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Leonardos Kreuz in der Teetasse : Spielwiese

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Page 1: Leonardos Kreuz in der Teetasse : Spielwiese

weinglas. Blickt man durch das leere Glas auf einen ent-fernten Gegenstand, so erscheint dieser etwas verkleinert.

Betrachtet man durch die Blase hindurch einen auf demBoden liegenden Stein (Abbildung 1 rechts), so stellt maneine beträchtliche Verkleinerung des Bildes fest, was auf ei-ne zerstreuende Linsenwirkung durch die Blase schließenlässt. Ursache für diesen Effekt ist die passgenaue Kombi-nation zweier Phänomene. Zum einen sorgt der Überdruckder Luft in der Blase dafür, dass die Wasseroberfläche ein we-nig eingedellt wird. Passend dazu kommt ein interessantesGrenzflächenphänomen ins Spiel: Ähnlich wie in einem mitWasser gefüllten Glas stellt sich an der Blasenhaut ein kon-kaver Meniskus ein. Das Wasser wird von der Haut ange-zogen und bewegt sich so weit an ihr hinauf, bis sich einGleichgewichtskontaktwinkel einstellt (Abbildung 2).

Beide Effekte zusammen sorgen dafür, dass die Wasser-oberfläche die Form einer Zerstreuungslinse annimmt, miteinem aufgewölbten Randbereich und einer abgesenktenMitte. Durch diese Linse hindurch betrachtet erscheint derauf dem Boden liegende Stein verkleinert.

Aus denselben Gründen, aus denen sich ein konkaverMeniskus am Innenrand der Blase einstellt, muss ein sol-cher auch am Außenrand entstehen. Dessen Wirkung kannman ebenfalls Abbildung 1 rechts entnehmen. Zum einenwird die Sonne außer auf der Blasenhaut am äußeren undinneren Meniskus reflektiert, so dass drei Abbilder der Son-ne an der Blase zu erkennen sind. Zum anderen äußert sichdie Wirkung der Menisken in einer ringförmigen Abbildungdes Steins, erkennbar als dunkler Rand der Blase.

Die kreuz- oder astroidförmige Kaustik auf dem Bodender Tasse wird durch den gesamten Meniskenring beimÜbergang der Blase zur Wasseroberfläche hervorgerufen.Da das Licht schräg von oben einfällt, trifft es auf die eineHälfte des Meniskenrings von außerhalb und auf die ande-re Hälfte von innerhalb der Blase. In beiden Fällen kommtes zur Fokussierung des Lichts, durch die je eine Hälfte deshellen Astroids hervorgerufen wird (Abbildung 2).

Wenn das Licht die Blase durchdringt und auf den in-neren Teil des Meniskenrings trifft, wird es in den Ring hi-nein gebrochen und anschließend an einem Teil der äuße-ren Grenzfläche zum Boden der Tasse hin total reflektiert.Der Reflex bildet den der Blase zugewandten Teil desAstroids und erinnert an die bekannte Kaffeetassenkaustik[1], wie man sie auch an einem Ring beobachten kann (Ab-bildung 3). Ihre Entstehung kann auf einfache Weise de-monstriert werden. Man lässt das Licht auf einen ebenen

Spielwiese

Leonardos Kreuz in der TeetasseH. JOACHIM SCHLICHTING | WILFRIED SUHR

Schon Leonardo da Vinci bemerkte, dass eine Blase auf derOberfläche eines mit Wasser gefüllten Gefäßes an dessenBoden unerwartete Lichtmuster erzeugt. Verantwortlich dafürsind komplexe Lichtbrechungen in der Blase.

244 Phys. Unserer Zeit 5/2012 (43) © 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI: 10.1002/ piuz.201201304

Es gibt Phänomene, die selbst nach Jahrhunderten ihrenReiz nicht verlieren. So notierte Leonardo da Vinci vor

rund einem halben Jahrtausend: „Der durch die Blase an derOberfläche des Wassers gehende Strahl wirft auf den Grunddes Wassers ein kreuzförmiges Bild von dieser Blase.“ Die-se Beobachtung lässt sich einfach nachstellen, indem manWasser in eine weiße Tasse einlässt, einen Tropfen Spül-mittel hinzufügt und auf der Oberfläche eine Blase erzeugt.Mit einiger Verwunderung wird man bei geeigneter Be-leuchtung feststellen, dass auf dem Boden nicht nur einSchatten der Blase zu beobachten ist, sondern eine kreuz-förmige Aufhellung. In Abbildung 1 links erscheint sie linksunterhalb eines dunklen Steins, den wir für ein weiteres Ex-periment auf den Boden gelegt haben. Das Sonnenlicht fälltschräg von rechts oben ein.

Wenn die Blase ausschließlich eine aus einer dünnenFlüssigkeitshaut bestehende Halbkugel auf dem Wasser wä-re, würde man ein derartiges Phänomen nicht beobachten.Die Blasenhaut würde sich allenfalls durch eine sehr gerin-ge zerstreuende Wirkung bemerkbar machen. Dieses Phä-nomen kennt man beispielsweise von einem bauchigen Rot-

Online-Ausgabe unter:wileyonlinelibrary.com

Abb. 1 Links: Eine Schaumblase auf der Wasseroberfläche erzeugt am Boden einesternförmige Kaustik. Rechts: Die Blase wirkt als Zerstreuungslinse und ruft einverkleinertes Bild eines am Boden liegenden Steins hervor.

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Literatur[1] C. Ucke, H. J. Schlichting, Spiel, Physik und Spaß. Physik zum

Mitdenken und Nachmachen, Wiley-VCH, Weinheim 2011, S. 217.

Die AutorenWilfried Suhr studierte Physik an der UniversitätOldenburg, wo er 1992 promovierte. Gegenwärtigist er als Mitarbeiter am Institut für Didaktik derPhysik der Universität Münster im Bereich derLehrerbildung tätig.

Hans Joachim Schlichting war bis 2011 Inhaber desLehrstuhls für Didaktik der Physik an der UniversitätMünster und ist Mitbegründer der Rubrik Spielwiese.

AnschriftProf. Dr. Hans Joachim Schlichting, Dr. Wilfried Suhr,Institut für Didaktik der Physik, Universität Münster,48149 Münster. [email protected]@uni-muenster.de

L E O N A R D O S K R E U Z S PI E LW I E S E

Streifen Spiegelfolie fallen, so dass es auf einen Schirm re-flektiert wird und dort eine rechteckige Aufhellung her-vorruft. Krümmt man jetzt die Folie zu einem Halbkreis, soüberlagern sich die reflektierten Lichtstrahlen, deren Ein-hüllende dann die Form der Katakaustik annimmt.

Der von der Blase abgewandte Teil des Astroids wirddurch den äußeren Halbring des Meniskus hervorgerufen.Auch hier hilft eine einfache Demonstration, um sich dieEntstehung dieser Kaustik zu veranschaulichen. Man hältstatt des Spiegelstreifens einen Streifen transparenter Folie(die vom Wasser benetzt wird) in das Wasser. Das an dementstehenden Meniskus ins Wasser gebrochene Licht ruftauf dem Boden des Gefäßes einen hellen Streifen hervor. Erentsteht dadurch, dass der vom direkten Licht erhellte Bo-den zusätzlich von dem am Meniskus gebrochenen Licht be-leuchtet wird. Biegt man jetzt die Folie zu einem Halbkreis,so bildet die Einhüllende der sich dadurch auf dem Bodenüberkreuzenden Lichtstrahlen abermals eine Kaustik. Siestellt aber wegen der umgekehrten Krümmung das spie-gelbildliche Gegenstück der oben diskutierten Katakaustikdar. Beide Kaustiken zusammen bilden dann den Astroiden,den wir als Leonardo-Kreuz bezeichnen.

ZusammenfassungEine Blase auf der Oberfläche eines mit Wasser gefüllten Gefäßes erzeugt bei geeigneter Beleuchtung am Boden einekreuzförmige Kaustik. Dieses schon Leonardo da Vinci be-kannte Phänomen lässt sich dadurch erklären, dass sich ander Innen- und Außenseite der Blase ein Wassermeniskus ausbildet. Zudem deformiert der Überdruck in der Blase dieWasseroberfläche. Dies führt insgesamt zu vielfältigen Refle-xionen und Lichtbrechungen, die in der Kaustik resultieren.Mit einfachen Mitteln lässt sich das Phänomen veranschauli-chen.

StichworteAstroid, Katakaustik, Kaustik, Leonardo-Kreuz, Lichtbrechung.

© 2012 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.phiuz.de 5/2012 (43) Phys. Unserer Zeit 245

Abb. 3 Katakaustik an einem Ring.

A B B . 2 S T R A H L E N G Ä N G E

Optische Wirkungen der Menisken beiderseits der Blasenwand.