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Lesen lernen Ich möchte gerne diesen Beitrag aufgreifen und etwas ausführlicher behandeln. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich auf den Aufsatz Lesen lernen von Niklas Luhmann (erschienden in Short Cuts ). Dabei versuche ich, Luhmanns Vorschläge zur Lektüre von Texten, eine Art Leseheuristik, als Grundlage für die Weiterverarbeitung des Gelesenen mit Hilfe eines Zettelkastens zu verknüpfen. Dadurch möchte ich eine bestimmte Arbeitsweise mit diesem Programm beschreiben. Zuerst unterscheidet Luhmann drei Arten von Texten: Romane, Gedichte und wissenschaftliche Texte. Alle drei Textarten verlangen eine je unterschiedliche Lesart. Romane spielen mit dem Unbekanntsein der Zukunft (Story) und dem daraus resultierenden Spannungsaufbau. Für Gedichte wiederum sind Rhythmik, Versform und Wortwahl bzw. Wortspiele wichtig. Bei wissenschaftlichen Texten wiederum gibt es erneut andere Anforderungen an den Leser. Typisch für wissenschaftliche Texte ist die hohe Zufälligkeit der geschriebenen Sätze. Jeder Text, auch wenn Fragestellung und Ergebnisse gleich bleiben, würde beim zweiten Schreiben völlig anders formuliert werden. Die Füllmasse der Worte, die zur Satzbildung erforderlich sind, entzieht sich jeder begrifflichen Regulierung (S.152) Das macht es schwer, zu erkennen, welche Aussagen sehr wichtig sind, welche Worte nur Beiwerk. Und nach mehreren Seiten Lektüre ist der Anfang des Textes kaum noch zu erinnern. Eine Empfehlung zum Lesen besteht darin, sich den Stand der Forschung durch viel Querlesen anzueignen. Dabei bekommt man ein Gespür für die Unterscheidungen, die von den jeweiligen Autoren eingesetzt werden, erkennt also deren Beobachtungsschemata. Das hilft, herauszufinden, welche Gedanken (oder Beobachtungen oder Unterscheidungen) neu sind und welche sich wiederholen. An ausreichender Wiederholung von bestimmten Gedanken und Ideen erkennt man auch den Stand der Forschung. Allerdings braucht man dafür ein Langzeitgedächtnis, um Verknüpfungen und Querverweise zu bereits Gelesenem herzustellen, kann aber natürlich nicht alles erinnern und auswendig lernen. Und hier kommt der Zettelkasten ins Spiel: Die vielleicht beste Methode dürfte wohl darin bestehen, sich Notizen zu machen - nicht Exzerpte, sondern verdichtete Reformulierungen des Gelesenen. Die Wiederbeschreibung des bereits Beschriebenen führt fast automatisch zum Trainieren einer Aufmerksamkeit für »frames«, für Schemata des Beobachtens oder auch für Bedingungen, die dazu führen, daß der Text bestimmte Beschreibungen und nicht andere anbietet (Herv. von mir) Bei der Lektüre ist, wie bereits gesagt, es immer sinnvoll, nach den Unterscheidungen zu suchen, die vom Autor eingesetzt werden. Gibt der Text keine expliziten Hinweise hierauf, kann man durchaus kreativ werden:

Lesen lernen -Luhmann

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Lesen lernen

Ich möchte gerne diesen Beitrag aufgreifen und etwas ausführlicher behandeln. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich auf den Aufsatz Lesen lernen von Niklas Luhmann (erschienden in Short Cuts). Dabei versuche ich, Luhmanns Vorschläge zur Lektüre von Texten, eine Art Leseheuristik, als Grundlage für die Weiterverarbeitung des Gelesenen mit Hilfe eines Zettelkastens zu verknüpfen. Dadurch möchte ich eine bestimmte Arbeitsweise mit diesem Programm beschreiben.

Zuerst unterscheidet Luhmann drei Arten von Texten: Romane, Gedichte und wissenschaftliche Texte. Alle drei Textarten verlangen eine je unterschiedliche Lesart. Romane spielen mit dem Unbekanntsein der Zukunft (Story) und dem daraus resultierenden Spannungsaufbau. Für Gedichte wiederum sind Rhythmik, Versform und Wortwahl bzw. Wortspiele wichtig. Bei wissenschaftlichen Texten wiederum gibt es erneut andere Anforderungen an den Leser.

Typisch für wissenschaftliche Texte ist die hohe Zufälligkeit der geschriebenen Sätze. Jeder Text, auch wenn Fragestellung und Ergebnisse gleich bleiben, würde beim zweiten Schreiben völlig anders formuliert werden.Die Füllmasse der Worte, die zur Satzbildung erforderlich sind, entzieht sich jeder begrifflichen Regulierung(S.152)

Das macht es schwer, zu erkennen, welche Aussagen sehr wichtig sind, welche Worte nur Beiwerk. Und nach mehreren Seiten Lektüre ist der Anfang des Textes kaum noch zu erinnern. Eine Empfehlung zum Lesen besteht darin, sich den Stand der Forschung durch viel Querlesen anzueignen. Dabei bekommt man ein Gespür für die Unterscheidungen, die von den jeweiligen Autoren eingesetzt werden, erkennt also deren Beobachtungsschemata. Das hilft, herauszufinden, welche Gedanken (oder Beobachtungen oder Unterscheidungen) neu sind und welche sich wiederholen. An ausreichender Wiederholung von bestimmten Gedanken und Ideen erkennt man auch den Stand der Forschung.

Allerdings braucht man dafür ein Langzeitgedächtnis, um Verknüpfungen und Querverweise zu bereits Gelesenem herzustellen, kann aber natürlich nicht alles erinnern und auswendig lernen. Und hier kommt der Zettelkasten ins Spiel:

Die vielleicht beste Methode dürfte wohl darin bestehen, sich Notizen zu machen - nicht Exzerpte, sondern verdichtete Reformulierungen des Gelesenen. Die Wiederbeschreibung des bereits Beschriebenen führt fast automatisch zum Trainieren einer Aufmerksamkeit für »frames«, für Schemata des Beobachtens oder auch für Bedingungen, die dazu führen, daß der Text bestimmte Beschreibungen und nicht andere anbietet(Herv. von mir)Bei der Lektüre ist, wie bereits gesagt, es immer sinnvoll, nach den Unterscheidungen zu suchen, die vom Autor eingesetzt werden. Gibt der Text keine expliziten Hinweise hierauf, kann man durchaus kreativ werden:Sehr häufig gibt der Text auf diese Frage nach der anderen Seite seiner Aussage keine oder keine eindeutige Antwort. Aber dann muß man ihm mit eigener Imagination auf die Beine helfen. Skrupel im Hinblick auf hermeneutische Vertretbarkeit oder gar Wahrheit wären hier fehl am Platze. Es geht ja zunächst nur um ein eigenes Aufschreibsystem, um Suche nach etwas, was zu merken sich lohnt; und um Lesenlernen.

Am Anfang produziert man hierbei sicherlich viel Abfall, meint Luhmann. Aber da wir so erzogen wurden, aus unseren Tätigkeiten was Nützliches zu erwarten, kann man die Ideen zumindest systematisch verwalten: Der Abfall kann in einen Zettelkasten. Das klingt erst mal etwas ernüchternd, dass der Zettelkasten nur ein besserer Abfallbehälter sein soll (wozu der Aufwand? fragt man sich), aber es trainiert, und letztendlich steigt die Qualität eines Zettelkastens mit der Dauer immer mehr an. Wichtig ist also, bei der Lektüre und Verarbeitung von Texten zu versuchen, das Gelesene in eigenen Worten zusammenfassend zu reformulieren und dabei bereits die Unterscheidungen des Autors/Textes im Blick zu haben. Dadurch lässt sich das Gelesene gleich mit anderen Texten und Ideen vergleichen, kontrastieren und mit eigener Interpretation bzw. Schlussfolgerung ergänzen, sodass bereits ein eigener produzierter Textbaustein in den Zettelkasten gelangt und für die spätere Verwendung direkt aufbereitet ist.

Hiermit schließe ich dann mit meinen Anregungen darüber, wie man Texte lesen und exzerpieren und mit dem Zettelkasten verarbeiten könnte. Andere Möglichkeiten sind sicherlich denkbar. Anschließend daran stellt sich die Frage, wie man mit einem "gefüllten Zettelkasten" produktiv wird. Marc Scheloske greift dazu ein paar Diskussionen auf und gibt einen kurzen Überblick in seinem Blog.

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Luhmann, Mind Mapping, Bloggen

Veröffentlicht am 1. August 2007 von nerone

Zur technischen Ausstattung des Zettelkastens gehören hölzerne Kästen mit nach vorne ausziehbaren Fächern und Zettel im Oktav-Format.Niklas Luhmann, Kommunikation mit Zettelkästen, Ein Erfahrungsbericht

Ich beschäftige mich nun schon seit einiger Zeit offline mit Möglichkeiten der Archivierung und Strukturen eigener Daten und solcher, die ich auch „auf Vorrat“ sammel. Vor allem verfolge ich das Ziel mein Schreiben hinsichtlich seiner Methodik nachhaltig zu verbessern. Als ich mal das Vergnügen hatte, dass ich gerne wiederholen würde, Julio in einem Cafè in Düsseldorf gegenüber zu sitzen, spürte ich deutlich die Verwunderung, als ich ihm nochmals meinen Beruf „offenbarte“: „Wie kommt ein Innenarchitekt dazu sich mit den Themen zu beschäftigen, mit denen sich nerone beschäftigt?“

Neben den ersten Fragestellungen rund um die Anthroposophie und Waldorfpädagogik, spürte ich auch den Wunsch mein Schreiben zu trainieren und das Denken natürlich auch. Die Funktionsweise der Blogs bildet ja den Luhmann’schen Zettelkasten ab, gerade durch die Möglichkeiten der Verlinkung. Auf Julios Blog Axonas findet man den Hinweis im Header: „Axonas ist ein Zettelkasten, der Notizen, Exzerpte und Zitate aufbewahrt. Weder stellen die Notizen meine abschließenden Gedanken dar noch drücken die gesammelten Exzerpte und Zitate unbedingt meine Meinung aus.„

Ich habe jetzt nochmal eine Software angepackt, die sich am Zettelkasten Luhmanns orientiert und – durch Daniel Lüdecke(kompliment) – sehr gut programmiert ist. Ich lerne Systeme und Werkzeuge kennen, die ich für mein Studium nie brauchte, deren Sinn mir allerdings hinsichtlich des Schreibens einleuchten. Allerdings – und hier liegt das Problem – wie organisiere ich nun das Schreiben und Wissen? Nehme ich den Zettelkasten? Was passiert dann mit meinen geliebten Notizbüchern? Lasse ich das Ganze als Journal laufen, ähnlich einem Tagebuch, als Offline-Blog? Lege ich einfach alles auf den Blog? (nicht meine bevorzugte Variante)

Wie arbeite ich im und am Zettelkasten, ist für mich als Wissenschaftslaien nach wie vor die große Frage. Gebe ich die Ideen für Texte dort ein? Wenn ich einen Text angehe, der zwar die Richtung kennt, aber noch nicht seine Elemente, beginne ich meist (direkt im Editor, wenn ich Blogge) in der Textverarbeitung, oder in meinem Notizbuch, für Unterwegs. Notizen werden in Textdateien erfasst und dabei schon redigiert. Innerhalb der Textdatei wird strukturiert. Auf ein zweites Gedächtnis a la Luhmann würde ich gerne zurückgreifen, da ich eher assoziativ arbeite. Allerdings habe ich Angst vor der strengen Form des Zettelkastens und keine Erfahrung mit dem Umgang. Ein weiteres spannendes Werkzeug ist Freemind. Ich teste das gerade. Ob ich damit arbeiten kann? Weissnicht. Werde berichten…

http://nerone.wordpress.com/2007/08/01/luhmann-mind-mapping-bloggen/