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DENNIS BURMEISTER & SASCHA LANGE M O N U M E N T Urheberrechtlich geschütztes Material

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DENNIS BURMEISTER & SASCHA LANGE

M O N U M E N TD I E E R S T E V O L L S TÄ N D I G E W E R K S C H A U E I N E R E I N Z I G A R T I G E N B A N D

100 Millionen verkaufte Platten, ausverkaufte Touren, eine außergewöhnliche Fancommunity. Anhand einer der weltweit größten Depeche-Mode-Sammlungen wird die seit mehr als drei Jahrzehnten andauernde Erfolgsgeschichte greifbar und anschaulich gemacht: Die komplette Diskografie, unveröffentlichte Fotos, seltene Tonträger, ausgefallenes Promomaterial der Plattenfirmen, Interviews sowie detail-lierte Beschreibungen der vielfältigen Fanszene in Ost und West. Dies ermöglicht, das Wachsen und Erwachsenwerden der Band von 1980 bis heute noch einmal zu erleben, und eröffnet einen neuen Blick auf die popkulturelle Bedeutung von Depeche Mode.

Mit exklusivem Material von Alan Wilder, Daryl Bamonte und Herbert R. Kollisch (Intercord). Interviews mit Götz Alsmann, Anne Haffmans (Mute), Olaf Zimmermann (radioeins), Sven Plaggemeier (depechemode.de) u. a.

Sascha Lange und Dennis Burmeister sind zwei ausgewiesene Depeche-Mode-Experten und haben mit beeindruckender Akribie eine umfassende Werkschau vorgelegt, an der niemand vorbeikommen wird, der sich für Depeche Mode und das Phänomen ihrer Fans interessiert. Anne Haffmans, Mute-Labelmanagerin

Depeche-Mode-Fans wissen mehr über Depeche als ich. Gäbe es ein Quiz mit mir, Martin und Dave gegen drei Fans, würden sie spielend gewinnen. Andy Fletcher, Depeche Mode

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DENNIS BURMEISTER & SASCHA LANGE

M O N U M E N T

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INHALT

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VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

BASILDON . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

SPEAK AND SPELL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

A BROKEN FRAME . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

CONSTRUCTION TIME AGAIN . . . . . . . . . 70

SOME GREAT REWARD . . . . . . . . . . . . . . . . 94

THE SINGLES 81– 85 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

INTERVIEW MIT GÖTZ ALSMANN . . . . . . . . 136

BLACK CELEBRATION . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

INTERVIEW MIT HANS DERER . . . . . . . . . . . . 164

MUSIC FOR THE MASSES . . . . . . . . . . . . . . 166

INTERVIEW MIT HARALD BULLERJAHN . . . . 196

VIOLATOR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

INTERVIEW MIT ERIK VAN KASSEN . . . . . . . 222

SONGS OF FAITH AND DEVOTION . . . 226

ULTRA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

EXCITER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

PLAYING THE ANGEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

SOUNDS OF THE UNIVERSE . . . . . . . . . . . 312

INTERVIEW MIT ANNE HAFFMANS . . . . . . . 336

DELTA MACHINE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342

FANKULTUR IN OST UND WEST

BEHIND THE WALL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

INTERVIEW MIT OLAF ZIMMERMANN . . . . 384

INFOSERVICE & BONG-MAGAZIN . . . . . . . 388

SWISS FANCLUB & BMA . . . . . . . . . . . . . . . . . 394

INTERVIEW MIT ANDREA KRUMBEIN . . . . . 398

INTERVIEW MIT KAY SCHWARZBACH . . . . 400

BOOTLEGS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404

FANKULTUR 1990 BIS HEUTE . . . . . . . . . . . . . 406

INTERVIEW MIT ELVIS RASHIDI . . . . . . . . . . . 408

INTERVIEW MIT SVEN PLAGGEMEIER . . . . . 410

ANHANG

SÄMTLICHE TOURDATEN . . . . . . . . . . . . . . . . . 412

QUELLENVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

DANKSAGUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424

Inhalt5

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A BOOK FOR THE MASSESSeit mehr als 33 Jahren begeistern Depeche Mode Millionen von Menschen und haben doch nie Musik für die Massen gemacht. Der kaugummisüße Synthie-Pop von Speak & Spell, das metallisch scheppernde Some Great Reward-Album, das unglaubliche Music For The Masses, der weltweite Riesenhit Violator, das digital-mini-malistische Exciter oder aktuell Delta Machine – Depeche Mode sind nie irgendwelchen Charttrends hinterhergelaufen, haben sich nicht durch Kritiker von ihrem Weg abbringen lassen. Und gerade deshalb hatten und haben sie umso mehr Erfolg bei ihrer riesigen Fangemeinde. Man kann es also kaum anders sagen: Depeche Mode sind ein Phänomen.

Mute-Labelmanagerin Anne Haffmanns wusste von Dennis Burmeisters Sammlung. Seit 25 Jahren sucht er aus aller Welt Pro-momaterial, Tonträger, Merchandisingprodukte, Zeitungsartikel, Tourposter und sogar goldene Schallplatten zusammen. Zu seiner Sammlung zählen auch Raritäten wie das erste Promotape von 1980, mit dem sich Depeche Mode damals noch erfolglos bei Plat-tenfirmen beworben hatten. Anne Haffmans empfahl Dennis, doch irgendwann ein Buch darüber herauszubringen. Aber wo sollte man bei den unzähligen Sammlerstücken anfangen?

Der Zufall wollte es, dass wir uns 2008 ausgerechnet im Büro von Mute Records in Berlin zum ersten Mal begegneten. Dennis als Grafik-Designer und Sammler, ich, Sascha, als Buchautor und His-toriker für Jugendkultur. Aber vor allem waren wir zwei langjährige Depeche-Mode-Fans. Aufgewachsen in den Achtzigern, Dennis im mecklenburgischen Malchin, ich in Leipzig. Schnell kamen wir ins Gespräch, und plötzlich schien die Buchidee nicht mehr unmöglich.

Fünf Jahre später liegt Depeche Mode: MONUMENT vor. Ziel war es, eine umfassende Werkschau der Band zu erstellen. Dieses Buch bietet erstmals die Möglichkeit, die drei Jahrzehnte Musikge-schichte und eine bis ins Detail ausgefeilte Einheit von Musik und Gestaltung nachzuvollziehen.

Die Geschichte von Depeche Mode ist auch immer die von ihrer sehr aktiven Fancommunity, die den Style und das Artwork der Band aufnehmen und weitertragen. Deshalb ist hier erstmalig umfassend die Geschichte der Fankultur in West und Ost, von Fanclubs, Fan-zines, Fanpartys in einem sehr persönlichen Kapitel dokumentiert.

Maßgebend für Depeche Mode: MONUMENT war der Veröf-fentlichungskatalog von Mute Records in Großbritannien, dem Mutterland von Band und Label, der sich als komplette Diskografie über das gesamte Buch erstreckt. Darüber hinaus haben wir (west-)deutsche Releases, Promosingles und ungewöhnliche Veröffentli-chungen aus aller Welt abgebildet. Und wir sind sehr stolz, viele unveröffentlichte Fotos u. a. aus den Archiven von Tim Williams, Alan Wilder, Herbert R. Kollisch, Daryl Bamonte zeigen zu dürfen.

Wir bedanken uns an dieser Stelle nochmals herzlich für die Un-terstützung von Mute Records, ehemaligen Intercord-Mitarbeitern, zahlreichen Fotografen, Fans, Sammlern und Freunden.

Wir wünschen eine schöne Zeitreise, viel Spaß beim Schwelgen in Erinnerungen, beim Wieder- und beim Neuentdecken.

Herzlich, Dennis Burmeister und Sascha Lange

7 Vorwort

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BASILDONDIE GEBURT EINER BAND

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BASILDONDIE GEBURT EINER BAND Basildon ist langweilig. Etwa 50 Kilometer östlich vom Londoner Stadtzentrum gelegen, ist in Basildon von der Coolness der pul-sierenden Weltmetropole nichts zu spüren. Eine langweilige Neu-bausiedlung voller unzähliger kleiner Reihenhäuser, errichtet im Nachkriegsengland auf der grünen Wiese für 80 000 Ein wohner. Als Teenager in den späten siebziger Jahren kann man sich hier nur betrinken, prügeln oder eine Band gründen. Und genau hier beginnt die unglaubliche Geschichte von Depeche Mode.

Dave Gahan, Andy Fletcher, Martin Gore und Vince Clarke, die Gründungsmitglieder der Band, wachsen in bescheidenen, aber nicht prekären Verhältnissen in Basildon auf. Vincent »Vince« John Martin, geboren am 3. Juli 1960 in South Woodford, wird seinen Nachnamen erst in der Anfangszeit von Depeche Mode in Clarke ändern, angeblich, damit das Arbeitsamt nichts von seiner Band erführe. Vince, die treibende Kraft bei der Entstehung der Band, ist seit Kindertagen bei der Pfadfindergruppe Boys’ Brigade der St. Paul’s Methodistenkirche von Basildon und lernt dort Andrew »Andy« Fletcher, geboren am 8. Juli 1961 in Nottingham, kennen. Während der Schulzeit nimmt Vince Geigenunterricht, wechselt aber später zur Gitarre. Zu dieser Zeit dominiert noch der Siebzigersound von Simon & Garfunkel, T. Rex, Pink Floyd und David Bowie die Radios und Plattenregale.

Mit der Zeit gehen Vince und Andy nicht mehr zur Boys’ Brigade, sondern besuchen die Treffen der Jugendgruppe ihrer Kirchengemeinde. Dorthin kommt auch gelegentlich der schüch-tern wirkende Martin Lee Gore, geboren am 23. Juni 1961 in London, ein Schulfreund von Andy. Martin ist gut an der Gitarre, ein großer Fan der Sparks und Talking Heads und gründet 1977 schließlich seine erste Band, ein Duo namens Norman & The Worms. Vince formiert im selben Jahr in seinem Kirchenumfeld ebenfalls ein Duo namens Nathan, beeinflusst von der Musik Simon & Garfunkels. Zum Freundeskreis der künftigen Depeche- Mode-Mitglieder gehört auch Alison Moyet, die später mit Vince

Clarke das Duo Yazoo gründen wird. Alison geht, wie Martin und Fletch, auf die Nicholas School und belegt sogar einige Kurse mit ihnen zusammen.

Zu dieser Zeit träumen viele Jugendliche in Großbritannien von einer eigenen Band und einem Auftritt bei Top Of The Pops, der vor dem MTV-Zeitalter populärsten Musikshow im briti-schen Fernsehen. Wer dort auftreten darf, hat es geschafft – so die weitläufige Meinung. 1977 bricht in Großbritannien der Punk aus, eine Seuche, eine Revolution. Wie ein Virus infiziert er die Gehirne zahlloser Teenager. Auf einmal ist es ganz einfach, eine Band zu gründen. Kein jahrelanger Musikunterricht, kein Noten-lesen mehr. Mit nur zwei (Hand-)Griffen kann man einen Song auf der Gitarre spielen. Do-It-Yourself ist das Einzige, was man über Punk wissen muss. Aber Punk beschränkt sich nicht nur auf schnelle, aggressive Musik.

Als Joy Division aus Manchester 1979 ihr Debütalbum Unknown Pleasures und ein Jahr später Closer veröffentlichen, gründen sie damit, ohne es zu wissen, ein ganz neues Genre. Andere Bands folgen. Langsame melancholische Gitarrenriffs in Verbindung mit Synthesizern scheinen einer ganzen Generation von Jugendlichen direkt aus dem Herzen zu sprechen – New Wave ist geboren. Auch der Synthie-Minimalismus des 1978er Albums Die Mensch-Maschine der westdeutschen Elektroband Kraftwerk erlangt in der Punk- und New-Wave-Generation Kult-status.

Durch die technische Weiterentwicklung elektronischer Musik -instrumente sind nun neben der klassischen Rockband besetzung

Basildon Die Geburt einer Band 10

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aus Gitarre, Bass und Schlagzeug ganz neue Kombinationen möglich. Waren Drumcomputer und Synthesizer noch wenige Jahre zuvor für Teenager der Arbeiterklasse unbezahlbar, können sich inzwischen immer mehr junge Musiker diese »Instrumente« leisten. Futuristisch anmutende Maschinen, die auch zur Aus-rüstung von Han Solos Millennium Falcon gehören könnten, läu-ten ein neues Zeitalter ein – 1982 spricht das Magazin Der Spiegel im Zusammenhang mit den zahlreichen neuen elektronischen Bands aus Großbritannien auch von »Popmusik für die Star-Wars-Generation«. Die oftmals noch monophonen Synthesizer geben jeweils nur einen Ton von sich, so dass man zum Spielen nicht mehr als einen Finger braucht. Somit muss man sich nicht einmal mehr mit Akkorden auskennen, um Sounds und Melodi-en zu kreieren. Eines der radikalsten Beispiele für neue elektro-nische Musik aus der Zukunft ist zu dieser Zeit die westdeutsche Band Deutsch-Amerikanische Freundschaft, kurz DAF, mit ihrer LP Die Kleinen und Die Bösen.

Basildon ist langweilig. Und gerade deshalb verbreiten sich die Do-It-Yourself-Genres Punk und New Wave dort rasant. Die 79er Cure-Platte Three Imaginary Boys beeindruckt Vince Clarke sehr, und er hat Lust, auch etwas in dieser Richtung zu machen. Sein Nathan-Gitarren-Duo ist bereits wieder Geschichte. Das nächste kurzlebige Gitarren-Bandprojekt ist No Romance In China, das er mit zwei Kumpels betreibt. Vince und Andy treffen sich in die-ser Zeit nicht mehr in der Kirchengemeinde, sondern gehen mit Martin Gore und Vince’s Kumpel Robert Marlow ins Kulturzent-rum von Basildon, um dort über ihre neuesten Lieb lingsplatten zu

sprechen: OMD, Fad Gadget, The Human League, The Normal und Kraftwerk. Martin interessiert sich in dieser Zeit sehr für deutsche Kultur und Sprache, auch weil er an einem Schüleraus-tausch mit Erfde in Schleswig-Holstein teilnimmt. Besonders be-geistert ihn die westdeutsche Elektropunk-Musik szene mit Bands wie DAF, Palais Schaumburg und Der Plan.

Doch Musik bleibt zunächst ein Hobby. Im Sommer 1979 schließt Martin die Schule ab und arbeitet für die NatWest Bank in London. Andy Fletcher ist seit seinem Abschluss ebenfalls in London bei der Sun-Life-Versicherung angestellt.

Vince sucht sich erst gar keinen festen Job. Das klassische Ar-beitsleben langweilt ihn genauso wie Basildon. Vince will Musik machen, und zwar richtig, nicht nur nach Feierabend. Doch bis-her waren seine ersten Bands eher kurzlebig und so gründet er mit seinem Kumpel Andy Anfang 1980 eine neue mit dem etwas sperrigen Namen Composition Of Sound.

Ihr Sound soll genauso frisch und futuristisch klingen, wie die neuen elektronischen Bands, die sie gerade hören. Aber Vince be-sitzt nur eine Gitarre und Andy nur einen Bass. Also suchen sie nach weiteren Bandmitgliedern. »Sie nahmen mich, weil ich ei-ner der wenigen Leute in Basildon war, die einen Synthesizer besaßen«, erinnert sich Martin Gore, der zu dieser Zeit außerdem mit Robert Marlow bei einer Band namens French Look spielt. Zunächst proben sie in der kleinen Garage bei Vince zu Hause. Er hat die Songs geschrieben, die Beats kommen aus einem billigen Drumcomputer. In dieser Zeit geben sie bereits einige Wohnzim-merkonzerte für Freunde.

BASILDON, RAILWAY STATION Bonjour Tristesse …

Die Geburt einer Band Basildon 11

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Basildon Die Geburt einer Band 12

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PLAYGROUND BASILDON 16 Shepeshall (Martin Gore), 59 Mynchens (Vince Clarke), 101 Woolmergreen (Andy Fletcher), 56 Bonnygate (Dave Gahan)

Die Geburt einer Band Basildon 13

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Der neue Sänger macht sich schnell Gedanken um das Image der Band. Für Mode und Design hat Dave schon lange ein Faible, daher auch seine begonnene Ausbildung am Technical College in Southend-on-Sea. Besonders der sperrige Bandname schreit nach Veränderung. Nach einigen Gigs überzeugt Dave die anderen zu einem neuen und griffigeren Namen, zu dem ihn eine franzö-sische Modezeitung inspiriert hat, die irgendwann vor ihm lag: DEPECHE MODE.

Nicht nur der Name wird geändert, auch der Sound soll cooler werden. Wochenlang schlägt sich Vince mit miesen Gelegenheits-jobs rum, um sich endlich einen eigenen Synthesizer kaufen zu können. Und auch Andy besorgt sich einen. Gitarren haben aus-gedient. Aber sie geben sich nicht damit zufrieden, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und stolz zu sagen, man sei eine Band. Das Wichtigste ist nun, sich bekannt zu machen. Und das geht naturgemäß am besten, indem man möglichst viele Konzerte gibt.

Ein entscheidender Moment kommt, als der Clubbesitzer Gary Turner ihnen anbietet, regelmäßig im Crocs in Rayleigh, elf Kilometer östlich von Basildon, zu spielen. Und so treten sie im August 1980 dort gleich mehrmals auf. Fast 500 Leute passen in den Club und an den Samstagabenden ist der Laden nicht selten komplett voll. Viele im Publikum sind Teil der gerade angesag-ten New-Romantics-Szene, die sich durch extravagante Klamot-ten und Frisuren sowie stark geschminkte Gesichter definiert, der Rest sind Kumpels aus Basildon und Studenten des Technical College, welches Dave besucht.

Langsam entwickelt sich eine erste kleine Fanszene um die Band, die auch zu Konzerten nach London mitreist. Vince Clarke verschafft ihnen dort den ersten Gig in einem Pub im East End namens Bridgehouse. Obwohl sich nur wenige Leute zu ihrem Konzert dorthin verirren, bietet ihnen der Ladenbesitzer weitere Auftritte an. Neben Songs, die Vince geschrieben hat, gehören auch einige Coverversionen zu ihrem Repertoire, z. B. Price Of Love von den Everly Brothers. Es läuft ziemlich gut für Depeche Mode. Und in diesen Tagen kommen ständig Platten von neu-en Bands auf den Markt. Vor allem von elektronischen Bands. Warum sollten sie nicht auch dazu gehören?

COMPOSITION OF SOUNDAm 30. Mai 1980 haben Composition Of Sound bei einer Par-ty im The Paddock, einem Gemeindezentrum in Basildon, ih-ren ersten Auftritt vor »echtem« Publikum. Vince ist zwar der Sänger, überzeugt aber nicht wirklich als Frontmann, da er eher schüchtern hinter seinem Instrument steht. »Wir brauchten je-manden, damit wir interessant aussahen«, lautet rückblickend seine Einschätzung. Als mehrere Leute in einem der Proberäume der Woodlands-Schule David Bowies Heroes singen, fällt ihnen ein Typ auf, der auch zu ihrem erweiterten Bekanntenkreis ge-hört: David »Dave« Gahan, geboren am 9. Mai 1962 in Chigwell, ist ein »junger Wilder« aus einem anderen Teil von Basildon und zeitweise Teil der lokalen Soul-Boy-Szene. »Ich habe einige Male mit ein paar Bands geprobt«, erzählt Dave später dem Magazin Uncut. »Bin aber nie aufgetreten, war nur nach der Schule auf den Proben. Sie hießen The Vermin. In dem Teil von Basildon waren die richtig berühmt. In unsern Köpfen waren wir schon auf dem Weg, die nächsten Sex Pistols zu werden.«

Und er ist zeitweise der Soundmann von French Look. Andy erinnert sich: »Dave sah besser aus als wir und er hatte tausende Kontakte. Wir hingegen hatten keine Kontakte. Und er sang wirk-lich sehr gut.« Kurzentschlossen fragt Vince ihn, ob er Lust hätte, ihr neuer Sänger zu sein, und am 14. Juni 1980 treten Composition Of Sound beim Konzert im Garderobenraum der St. Nicholas School in Basildon das erste Mal zu viert auf.

Poster für das Konzert am 14. Juli 1980 in der Nicholas School in Basildon, designt von Rodney Martin, dem Bruder von Vince Clarke

Poster für das Konzert am 21. Juli 1980 im Top Alex in Southend-on-Sea, designt von Rodney Martin, dem Bruder von Vince Clarke

Composition Of Sound Basildon 15

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DREAMING OF A SINGLE»Ein Demotape«, drängt Vince Clarke, denn nur damit würden sie an bessere Konzerte kommen. Und so nehmen sie im Studio der Lower Wapping Conker Company im nahegelegenen Barking mit einer Vierspurmaschine und primitivem Equipment die Songs Ice Machine, Photographic und Radio News auf. Die Kassette lassen sie vom Tape Copying Services in London vervielfältigen. Als Kon-takt schreibt Vince handschriftlich seine elterliche Wohnadresse auf die Innenseite der Kassettenhülle.

Depeche Mode als Vorband von Fad Gadget in Canning Town. Daniel Miller ist auch vor Ort. Nachdem er Depeche Mode an diesem Abend erstmalig live gesehen hat, ändert er seine Meinung grundlegend. Es vergehen nur wenige Tage, als sie schon von Daniel gefragt werden, ob sie für Mute eine Single produzieren möchten. »Wir waren damals große Fans von Mute«, erklärt Martin später, »und von ihm spontan ein Angebot für eine Sin-gle zu bekommen, war unglaublich.«

Zeitgleich ist der damals 17-jährige Manager von Soft Cell, Steve »Stevo« Pearce, auf Depeche Mode aufmerksam geworden und bittet die Band, einen Song für seinen Futurists-Sampler bei-zusteuern, den er auf seinem Label Some Bizzare veröffentlichen will. »Futurists« ist kurzzeitig ein Sammelbegriff für einige der neuen elektronischen Bands, setzt sich jedoch nicht durch.

Auch DJ Stevo, der nebenbei zahlreiche Konzerte mit auf-strebenden Künstlern organisiert, möchte Depeche Mode unter Vertrag nehmen und lockt mit Supportauftritten für Ultravox und einem Deal für mehrere Alben. Depeche Mode bleiben zu-rückhaltend und wollen sich nicht gleich langfristig verpflichten, sondern erstmal nur eine Single machen. Für das Some Bizzare-Album sagen sie aber ihren Song Photographic zu, den Daniel Miller zusammen mit der Band Ende 1980 im Tape One Studio produziert. Am 30. Januar 1981 steht die Compilation mit dem ersten Song von Depeche Mode auf Vinyl in den Läden.

Die Jungs sind immer noch vier normale Jugendliche aus Basildon. Aber von Langeweile ist keine Spur mehr, denn sie können es kaum erwarten, ihre erste eigene Single in den Händen zu halten.

DEMOTAPEDas erste Demotape der Band galt lange als verschollen, tauchte dann aber im Feb-ruar 2011 in einem großen Online-Auktionshaus auf und wechselte am Ende für ca. 2.000 Britische Pfund den Besitzer. Ein zweites Exemplar aus dem Besitz von Terry Murphy, dem Inhaber des legendären Bridge House Pub in Canning Town, wurde nur wenig später ebenfalls versteigert und erzielte sogar einen noch höheren Preis, der bei ca. 2.800 Britischen Pfund lag.

In der Hoffnung auf einen Plattendeal klappern Vince und Dave damit auch verschiedene Majorlabels in London ab. Zu dieser Zeit schickt man seine Demos nicht einfach hin, sondern geht persönlich zu den Artists- & Repertoire-Managern (kurz A&R) und hört sich das Tape gemeinsam an – wenn die gerade darauf Lust haben. Aber keiner interessiert sich für Depeche Mode. Ih-re letzte Adresse ist das Indielabel Rough Trade mit dem kleinen Shop in Notting Hill. Dessen Inhaber Richard Scott hört sich das Tape zwar an, findet aber, dass dies nichts für Rough Trade sei. Er verweist sie an Daniel Miller von Mute Records, der ebenfalls im Laden ist. Doch der hat gerade ein technisches Problem mit der ersten Fad Gadget-LP und winkt nur ab.

Bis hierhin gleicht die Bandgeschichte von Depeche Mode der unzähliger anderer Bands – junge Musiker mit einem ambitionier-ten Demotape und kein Plattendeal in Sicht. Also besinnt man sich zunächst auf weitere Konzerte. Im November 1980 spielen

Poster zum Konzert am 16. Oktober 1980 in London, Bridgehouse

Basildon Dreaming Of A Single 16

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SOME BIZZARE Album PROMO Poster • UK

TWENTY BIZARRE NIGHTSParallel zur Veröffentlichung des Some Bizzare-Albums am 30. Januar 1981 kündigte Stevo Pearce in einer Pressemitteilung Twenty Bizarre Nights für den Februar 1981 an, bei denen einige der auf dem Album enthaltenen Bands Konzerte gaben.

Die Some Bizzare-Version von Photographic war lange Zeit nur auf diesem Album zu finden, wurde aber am 26. Oktober 1998 mit dem Depeche-Mode-Reissue von The Singles 81– 85 wiederveröffentlicht.

SOME BIZZARE ALBUM LP • SOME BIZARRE BZLP 1 • UK

Dreaming Of A Single Basildon 17

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selbst musikalisch zusagen, und er ist niemandem Rechenschaft schuldig. Auf der anderen Seite behalten die Bands die Kontrolle über ihr kreatives Schaffen. Und das ermöglicht etwas, das nicht nur für ein Indielabel unbezahlbar ist: Authentizität. Nicht Ziel-gruppen und Verkaufszahlen bestimmen das Programm, sondern die Musik. Das klingt unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunk-ten vielleicht naiv, aber nicht nur im Falle von Mute Records funktioniert es.

Und gerade weil die Bands der Indielabels oftmals authen tischer sind als Produkte der Majorlabels, finden sie größere Akzeptanz, und ihre Platten werden gekauft, wenn auch erst mal nur von einem Nischenpublikum.

Die Silicon Teens, Daniel Millers zweites Projekt, stehen für die Idee, Coverversionen alter Rock-’n’-Roll-Oldies mit Synthesizern zu instrumentieren – und sind eine subtile Mogelpackung. Die auf Platten und Flyern gedruckten sowie in Interviews genann-ten Musiker der »Band«, bestehend aus den Mitgliedern Darryl (Gesang), Jacki (Synthesizer), Paul (E-Beat) und Diane (Synthe-sizer), existieren überhaupt nicht. Gesang sowie Musik kommen alleine von Miller, welcher wie schon beim Vorgängerprojekt The Normal alles selbst einspielt.

Zu Mute kommen aber auch »echte« Bands hinzu, wie Fad Gad-get und zeitweise die westdeutsche Band DAF (Deutsch-Ameri-kanische-Freundschaft). Selbst Soft Cell sind kurzzeitig für Mute im Gespräch. »An einem Punkt musste ich mich entscheiden, ob ich Soft Cell oder Depeche Mode unter Vertrag nehme«, erinnert sich Daniel Miller später. Er entscheidet sich für Depeche Mode, Soft Cell gehen zu Some Bizzare und Phonogram. Daniel produziert aber 1981 noch deren erste Single Memorabilia.

Mute wird zu einer Plattenfirma, die ähnlich wie die Musik, die dort vertrieben wird, beispielhaft ist für die damalige Entwicklung des Postpunk: Independent. Diese Unabhängigkeit bezieht sich sowohl auf künstlerische als auf wirtschaftliche Entscheidungen. Daniel Miller arbeitet nur mit Bands zusammen, die ihm auch

SILICON TEENS • MEMPHIS TENNESSEE Promoposter für die Veröffentlichung der ersten Silicon Teens 7" Memphis Tennessee auf Mute

Zunächst betreibt Daniel sein Label von zu Hause aus, findet in Rough Trade aber kurz darauf einen ersten Vertriebspartner.

1976 als Plattenladen angefangen, kommen bei Rough Trade bald ein kleines Label und ein Lager für den Versand hinzu, wo Mute am Anfang seine Veröffentlichungen einlagern darf. So star-tet Daniel sein kleines Ein-Mann-Unternehmen und niemand ahnt, dass Mute weltweit zu einem der erfolgreichsten und be-ständigsten Independent-Labels avancieren würde.

MUTE RECORDSDo-It-Yourself ist das Gebot der Stunde – für Songs, Produktion, Artwork und Label. Daniel Miller ist seit Jahren ein großer Fan westdeutscher Elektronik- und Krautrockbands und braucht ein Label für sein eigenes Ein-Mann-Elektropunk-Musikprojekt The Normal. Der DIY-Gedanke der Punkbewegung überzeugt Miller sofort, denn er hat keine Ambitionen, ein kommerzielles Label anzufragen, da die ihm nur in seine Musik reingeredet hätten. Al-so gründet der damals 27-jährige 1978 Mute Records. Ohne die leiseste Ahnung, wie ein Label eigentlich funktioniert.

Die Debüt-Single von The Normal T. V. O. D. / Warm Leatherette erscheint am 1. Mai 1978 und verkauft sich etwa 30 000 Mal – für ein Indielabel ein großer Erfolg, und sie bringt Daniel Miller viel Anerkennung, wenn auch nur jenseits der Charts und Main-streampresse.

Basildon Mute Records 18

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DER ERSTE ROUGH TRADE SHOP in der Londoner Talbot Road 130 wurde 1976 gegründet. Der legendäre Plattenladen erfreut sich noch heute großer Beliebtheit.

THE NORMAL • T.V.O.D. 7" • MUTE • MUTE001 • UK SILICON TEENS • MEMPHIS TENNESSEE 7" • MUTE • MUTE003 • UK

Mute Records Basildon 19

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hat die New-Romantics-Ikone Visage mit Fade To Grey die Top Ten der britischen Charts erreicht. Überraschend kurz nach Er-scheinen wird Dreaming Of Me schon im Radio gespielt und klet-tert in den Singlecharts bis Platz 57. Das ist noch keine Sensation, aber ein sehr guter Start, denn keine der Mute-Veröffentlichungen hat es bis dahin in die Hitparade geschafft. Die Stimmung in der Band ist euphorisch. Martin erinnert sich: »Wir fühlten, wenn wir uns ein bisschen mehr auf die Band konzentrieren würden, könnten wir vielleicht unsere Jobs aufgeben, und es wirklich schaffen.«

HANDSHAKE WITH DANIEL MILLERGesucht: Junge Synthie-Band. Die britischen Plattenfirmen sehen mit Bands wie Visage, Spandau Ballet oder Soft Cell einen Trend kommen, und plötzlich sind die jungen Vertreter elektronischer Musik heißer begehrt denn je. Auch für Depeche Mode kom-men jetzt vielfältige Angebote: Roger Ames, A&R-Manager bei Phonogram, kontaktiert die Band und bietet ihnen einen Platten-vertrag inklusive großzügigem Vorschuss. Andere Majorlabels zei-gen ebenfalls Interesse. Mit derartigen finanziellen Verlockungen kann Daniel Miller nicht konkurrieren.

DREAMING OF MEJetzt geht es nicht mehr nur um ein Demotape, sondern um eine Vinylsingle für Plattenläden, Clubs, Radio- und vielleicht sogar Fernsehsender. Für ihre erste Mute-Veröffentlichung einigen sich Depeche Mode und Daniel aus dem Live-Repertoire der Band auf Dreaming Of Me, ein Song mit süßer, fließender Melodie und gutem Drive. In dem kleinen Londoner Blackwing Studio neh-men sie ihn zusammen mit Ice Machine als B-Seite auf. Daniel übernimmt dafür den Part des Produzenten, da er sich durch die Homerecordingarbeiten für seine eigenen Musikprojekte The Normal und Silicon Teens mit den Aufnahmeabläufen bereits et-was auskennt. Wird es die Single überhaupt schaffen, im Radio gespielt zu werden?

Die erste Pressemitteilung von Mute zum Release der Single im UK. Diese Schreiben wurden den Singles beigelegt und an Radiomoderatoren und DJs verschickt, um sie mit Releaseinformationen zu versorgen.

Bei all diesen ersten Schritten greifen Depeche Mode auf die Un-terstützung ihres Basildoner Freundeskreises zurück. Nicht nur dass sie die Band zu ihren Konzerten begleiten. Die Zeichnung auf dem Single-Cover von Dreaming Of Me stammt von Mark Crick, einem damaligen Freund von Martin Gore, der später Fo-tograf und Buchautor wird. Sie wohnen in derselben Straße und gehen beide auf die Nicolas School. In dieser Zeit stößt auch der erste Roadie aus ihrem Freundeskreis zur Band – Daryl Bamonte, der jüngere Bruder von Perry Bamonte, späterer Gitarrist von The Cure. Daryl sollte bis Mitte der neunziger Jahre für Depeche Mo-de arbeiten und zu einem engen Freund der Band werden.

Dreaming Of Me erscheint am 20. Februar 1981 in Großbri-tannien, etwa zeitgleich mit der sehr politischen Debütsingle von Heaven 17 (We Don’t Need This) Fascist Groove Thang. Kurz zuvor

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Aber Rod Buckle, Mitinhaber der Plattenfirma Sonet und Ko-operationspartner von Mute Records, und auch Mutes Radio-promoter Neil Ferris empfehlen der Band bei Daniel zu bleiben, da er sich besser um sie kümmern werde. Die Band entscheidet sich für Daniel und Mute – weil sie ihm vertraut und zutraut, De-peche Mode zusammen mit ihnen zu entwickeln und nicht nur einen kurzen Majorhype zu erleben. »Warum sollten wir nicht dazu imstande sein? Die anderen Plattenlabel waren recht alt-modisch und poporientiert, aber wir arbeiteten völlig anders«, erinnert sich Daniel Miller. Per Handschlag besiegeln sie eine 50/50-Gewinnbeteiligung für Großbritannien.

Der Deal verpflichtet Mute Records außerdem, in anderen Ländern Lizenznehmer zu finden. Zusätzlich hat Rod Buckle von Sonet einen kleinen Vorschuss organisiert und in Westdeutsch-land die Plattenfirma Intercord aus Stuttgart als Lizenznehmer für Mute-Künstler gewonnen. Von da an veröffentlicht Intercord alle Depeche-Mode-Platten in der Bundesrepublik bis 1998.

Erst wenn man die Bands betrachtet, die zeitgleich bei einem Major unterschrieben, aber schon bald darauf in der Versenkung verschwanden, wird deutlich, wie richtig doch die Entscheidung war, bei Mute und Daniel Miller zu bleiben.

DREAMING OF ME 7" • MUTE • MUTE 013 • UK

DREAMING OF ME 7" • INTERCORD • INT 197.206 • GER

In Westdeutschland wurde Dreaming Of Me nicht als Single veröffentlicht. Einige Exemplare wurden von der Intercord zu Promotionzwecken an Medien und DJs verschickt. Bei der Single handelte es sich allerdings um die englische Pressung, welche einen Sticker mit der von Intercord vergebenen Katalognummer 197.206 auf der Coverrückseite hat. Erwähnt wird diese Single in der Intercord-Presseinfo zur Veröffentlichung von Speak & Spell in Deutschland.

Die Erstauflage der UK-Single von Dreaming Of Me enthält auf der Rückseite des Covers den Hinweis »Distributet by Rough Trade«, während auf späteren Pressungen neben Rough Trade auch Spartan als Distributor aufgeführt wird.

Poster mit dem Motiv der Dreaming Of Me-Single für das Konzert in der Londoner Southbank Poly am 1. Mai 1981. Die Illustration stammt von Mark Crick, einem Freund von Martin Gore.

Handshake with Daniel Miller Basildon 21

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NEW LIFEBeflügelt vom Erfolg der ersten Single folgt am 13. Juni New Life. Erstmalig wird auch eine Maxisingle des Songs produziert. Und New Life bringt die langersehnte Einladung zu Top Of The Pops. Anschließend klettert die Single auf Platz 11 in den UK-Charts. Der Song wird ein Hit, und es folgen Angebote von verschiedenen europäischen TV-Sendern für Playbackauftritte in Fernsehshows. Der nächste Schritt war somit klar: Es musste ein Album folgen.

BLACKWING STUDIOSDaniel Miller stieß bereits auf der Suche nach einem Studio für die Arbeit an dem Album seines zweiten Musikprojektes Silicon Teens auf das Blackwing. Der Betreiber Eric Radcliffe und sein Tonassistent John Fryer zeigen sich offen für Daniels Arbeitsweise und neue elektronische Musik, was damals in der rockorientierten Studiolandschaft äußerst selten ist. Das Blackwing Studio verfügt außerdem über einen großen Kontrollraum, in welchem man die Synthesizer gleich mit aufbauen kann. Das Studio liegt in einer kleinen Nebenstraße im Herzen Londons und ist in einer ehe-maligen Kirche untergebracht, die von der deutschen Luftwaffe bei ihren Bombenangriffen 1941 teilweise zerstört worden war. Aus Kostengründen kann Gründer Eric Radcliffe 1980 das Studio zunächst nur mit einer Acht-Spur-Maschine ausstatten. Niemand, TOP OF THE POPS 1981 Auftritt mit New Life

Basildon New Life 22

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Radcliffe vermutlich am allerwenigsten, ahnt, dass das Black-wing in den Folgejahren zur legendären Geburtsstätte zahlreicher Mute-Alben werden und auch bei anderen Indielabels wie 4AD und Creation Records sehr gefragt sein würde. Neben Depeche Mode arbeiten dort in den folgenden Jahrzehnten Bands wie Dead Can Dance, My Bloody Valentine und Nine Inch Nails.

Für die Aufnahmen zum ersten Depeche-Mode-Album bringt Daniel seinen analogen Arp-2600-Synthesizer und Sequenzer mit ins Studio, wodurch das spärliche Equipment der Band für die Aufnahmen deutlich erweitert wird. Da Vince keinen Job hat, verbringt er mit Daniel den ganzen Tag im Blackwing, der Rest der Band kann erst nach der Arbeit dazustoßen.

Aufgrund der begrenzten Anzahl von nur acht Spuren der Auf-nahmemaschine spielen sie die Songs weitgehend live ein. »Ich wollte, so gut wie ich es konnte, die Atmosphäre der Songs einfangen, wie ich sie auch live gesehen hatte. Wir wollten ei-nen guten Elektronik-Popsound, aber nichts kopieren«, erklärt Daniel Miller. Doch der eigentliche Prüfstein kommt erst nach dem Abmischen. Dazu verlassen sie das Studio, setzen sich in Eric Radcliffes Auto und schieben eine Kassette hinein. Wenn sich die Songs auf einem Tape und in einem alten Autoradio gut anhören, würden sie auf jeder Musikanlage gut klingen.

Hinweis an der All Hallows Church, früher Blackwing Studio, 2012

Blackwing Studios Basildon 23

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Die Grafik auf dem Sleeve der New Life-12" im UK basiert auf der Fotografie eines weinenden Babys, welches bereits 1968 das Deckblatt des wissenschaftlichen Mind-Alive-Magazins schmückte.Die englische Rocklegende Black Sabbath nutzten das gleiche Motiv später für das Cover ihres 83er Album-Release’ Born Again.

NEW LIFE 12" • MUTE • 12MUTE014 • UK

NEW LIFE 7" • MUTE • 7MUTE014 • UK

Mit der Maxi- oder 12"-Single wurde ab Mitte der siebziger Jahre ein weiteres Vinyl- Format auf den Markt gebracht. Durch die im Vergleich zu herkömmlichen Singles und LPs wesentlich breitere Rille einer 12" wurde eine wesentlich bessere Wieder-gabequalität ermöglicht: höhere Grundlautstärke, deutlich besserer Dynamikumfang, also sattere Bässe und Höhen. Die höhere Grundlautstärke sorgt außerdem für ein besseres Signal-Rausch-Verhältnis, so dass bei höherer Abspiellautstärke, also in Diskotheken, die Klangqualität immens verbessert wurde. Die erste Maxisingle, die anfangs nur eine identische Auf nahme der 7"-Single enthielt, wurde im Handel bald als Super Sound Single angeboten. Die weltweite Etablierung dieser 12"-Single war im Wesentlichen auf den Bedarf von langen, tanzbaren, sogenannten Disko- Versionen, heute nur noch Remix genannt, zurückzuführen. Mit der New Life 12"

veröffentlichten auch Depeche Mode erstmals Remixe ihrer Songs. Spätere Pro-mo-12" mit Remixen der Band legten den Grundstein für den Erfolg vor allem auf US-amerikanischen Tanzflächen.

NEW LIFE

Basildon New Life 24

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Das englische Musikmagazin Sounds veröffentlichte am 27. Juni 1981 die erste große Titelstory über Depeche Mode im UK. Das Coverfoto stammte von Virginia Turbett, einer bekannten Rock- und Popfotografin. Aufgenommen wurde das Bild im Kirchhof des Blackwing Studios in London.

New Life Basildon 25

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MERCHANDISE 1981 Notenheft zu New Life von Music Sales Ltd London

Basildon New Life 26

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NEW LIFE 7" • INTERCORD • INT 111.800 • GER

NEW LIFE 12" • INTERCORD • INT 126.800 • GER

Das Sleevedesign von Simon Rice blieb vorerst nur der englischen 12" vorbehalten. Alle anderen Lizenznehmer veröffentlichten die 12" weltweit mit dem Motiv der 7" und der darauf enthaltenen Fotografie von Rodney Martin.Eine Verwendung fand das bei Fans als »Baby Sleeve« bekannte 12"-Cover erst wie-der mit der Veröffentlichung von Maxi-CDs ab Mitte der Achtziger. Auch die nament-liche Bezeichnung des Rio Mixes für die auf der B-Seite der 12" enthaltenen Remix-Version von Shout! erfuhr man vorerst nur auf dem englischen Cover.In Deutschland verschickte man zur Promotion die handelsübliche 7", versehen mit einem »Not For Sale«-Sticker.

Pressetext über die neue Band bei Intercord von Manfred Gillig-Degrave (oben) sowie die Pressemitteilung der Intercord zur Veröffent lichung von New Life in Deutschland vom 4. August 1981

New Life Basildon 27

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ERSTES FOTOSHOOTING MIT TIM WILLIAMSIm Juni 1981 wird der Fotograf Tim Williams, ein Depeche-Mode-Fan der ersten Stunde, von Vince Clarke gefragt, ob dieser nicht einige Fotos der Band machen könne. Der von Vince Clar-kes damaliger Freundin Deb Danahay neu gegründete Information Service, der die rasant wachsende Depeche-Mode-Fangemeinde in Zukunft regelmäßig über alle Bandaktivitäten informieren soll, bekommt immer öfter Fanpost mit Autogrammwünschen.

So fand am 21. Juni 1981 ein Fotoshooting in Basildon statt, in dessen Rahmen die Motive für die ersten drei offiziellen Auto-grammkarten entsteht. Die Karten werden auf Anfrage über den Information Service verschickt und als Merchandise auf den Kon-zerten verkauft.

FASHION & FAMENeben der Musik, den Artworks der Platten und den Liveperfor-mances ist der Kleidungsstil einer Band das Mittel, um zu zeigen, auf welcher Seite sie stehen, welches Image sie pflegen. Depeche Mode präsentieren sich 1981 sowohl in dunklen Anzügen, weißen Hemden und Schlips, fast wie Swingkids aus den Vierzigern, als

Dieses Bild entstand vor dem Elternhaus von Vince Clarke. Das Auto, auf dessen Motorhaube die Band ganz lässig posiert, gehörte dem Vater von Deb Danahay, Vince Clarkes damaliger Freundin und Gründerin des Depeche Mode Information Service, dem ersten Quasi-Fanclub der Band. 500 Autogrammkarten mit diesem Motiv wurden gedruckt.

Die von der Londoner Firma Walkerprint gedruckten Autogrammkarten stehen bei Sammlern hoch im Kurs. Von dieser Karte wurden insgesamt 1 000 Exemplare gedruckt.

Basildon Erstes Fotoshooting mit Tim Williams 28

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auch in Lederoutfits, wie sie zu dieser Zeit in Schwulenclubs an-gesagt sind. Unentschlossen wechselt die Band hin und her, ohne dass ihr Kleidungsstil eine wirkliche Einheit mit ihrer Musik bil-det. Dieses Markenzeichen würden sie erst viel später entwickeln. Aber mit diesem Style-Mix sind sie nicht alleine. Auch zahlreiche andere Bands wie z. B. Soft Cell prä sentieren sich in solchen Kla-motten.

Die britische Musikpresse, damals dominiert von New Musical Express, Sounds und Melody Maker, macht aus Depeche Mode nach der Veröffentlichung der ersten Single ein Teeniepop-Phänomen. Möglicherweise liegt es daran, dass Dreaming Of Me keine Moll-Töne hat und die Band auf ihren Fotos zu optimistisch in die Zukunft blickt – im Gegensatz zu anderen New-Wave- und New-Romantics-Bands, denen man wahlweise Weltschmerz oder Arro-ganz im Gesicht ablesen kann. »Die Menschen nahmen uns nicht so ernst wie zum Beispiel Heaven 17 oder The Human League oder ähnliche Bands, was sehr deprimierend war«, erinnert sich Mutes Radiopromoter Neil Ferris. Mit der Single New Life bessert es sich zwar etwas, aber es ist nicht einfach für die Band, zu erklären, dass sich die Charttauglichkeit

ihrer Musik, die Ernsthaftigkeit und die Independent-Attitüde nicht ausschließen. »Depeche Mode sind zu jung, als dass sie so melancholisch sein könnten wie Kraftwerk, und ihre Unterhosen sind viel zu sauber für die Verzweiflung von DAF. Allerhöchs-tens – wenn die drei Synthies bei »I Take Pictures« kurz stottern und dann aussetzen – wirken sie wie Kinder, die Matchboxautos überein anderstapeln«, schreibt der NME im August 1981. Der westdeutsche Musikexpress glaubt hingegen, dass Depeche Mode lediglich ein Produkt von Daniel Miller ist, und urteilt daher mit launigen Worten: »Unkomplizierter Ultra-Synthi-Gla-mour-Pop von vier hübschen Buben, die Produzenten-As Daniel Miller (Fad Gadget, Silicon Teens) in seiner Elektro-Werkstatt zu einem kommerziellen Kraftpaket zusammen geschweißt hat. Das Motto: Jede Single ein Hit!« Obgleich die Band – anders als in Großbritannien – in der Bundesrepublik zu dieser Zeit nur ein Geheimtipp ist, wählen die Leser der westdeutschen Sounds Depeche Mode Ende 1981 unter der Rubrik Newcomer/Inter-national bereits auf Platz 4. Vor ihnen liegen nur noch Au Pairs und Bow Wow Wow, die gleich darauf wieder von der Bildfläche verschwinden sollten – und Heaven 17.

Depeche Mode im Juni 1981, fotografiert auf einer Böschung am Vange Hill Drive in Basildon. 500 Autogrammkarten mit diesem Motiv wurden gedruckt.

Fashion & Fame Basildon 29

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DEPECHE MODE LIVE

Depeche Mode live im Bridge-house Pub in Barking, East London am 29. Juli 1981.Dieses Konzert fand wenige Wochen nach dem Top-Of-The- Pops-Auftritt statt und wurde geheim gehalten, um einen Massenauflauf zu vermeiden.In der Konzertanzeige im NME. stand daher auch »Modepeche: Dreaming of a new life« anstelle des Bandnamens.

Basildon Depeche Mode Live 30

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Depeche Mode Live Basildon 31

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JUST CAN’T GET ENOUGH 7" • MUTE • 7MUTE016 • UK JUST CAN’T GET ENOUGH 12" • MUTE • 12MUTE016 • UK

TOP OF THE POPSDepeche Mode mit Just Can’t Get Enough bei Top Of The Pops.Die Produktion der BBC war eine der erfolgreichsten Musiksendungen der achtziger Jahre. Aufgrund sinkender Zuschauerzahlen wurde sie am 20. Juni 2006 nach über 42 Jahren abgesetzt.

JUST CAN’T GET ENOUGHNoch bevor das Debütalbum veröffentlicht wird, erscheint An-fang September bereits die dritte Single Just Can’t Get Enough, welche bis auf Platz 8 der britischen Charts klettert. Wieder ge-lingt ihnen ein Auftritt bei Top Of The Pops. Und nach langem Zögern scheint die Zeit jetzt reif: Sie kündigen ihre Jobs, um sich ganz aufs Musikmachen zu konzentrieren. Jetzt gibt es so schnell kein Zurück mehr.

JUST CAN’T GET ENOUGH • PRESSEINFOzum Release von Just Can’t Get Enough im UK. Mit ausführlichen Informationen zur Band oder dem auf den Singles enthaltenen Material hielt man sich nach wie vor zurück.

Basildon Just Can’t Get Enough 32

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MERCHANDISE 1981 Notenheft von Music Sales Ltd London

Die Freude über das Titelbild, welches mit dem NME am 22. August 1981 erschien und vom holländischen Fotografen Anton Corbijn stammt, der bereits für Bands wie Joy Division und U2 tätig war, hielt sich vor allem bei Frontmann Dave Gahan in Grenzen, schließlich ist dieser nur als verschwommene und grobkörnige Silhouette erkennbar. Dieses neue und in der Fotografie unübliche Stilmittel machte Anton Cor-bijn in den kommenden Jahren weltberühmt.

JUST CAN’T GET ENOUGH 7" • RCA • SPBO-7292 • ESP • PROMO JUST CAN’T GET ENOUGH 7" • FERMATA • 88.506 • BRA • PROMO

Just Can’t Get Enough Basildon 33

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