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Leseprobe aus: "Große Werke der Literatur X" von Hans Vilmar Geppert, Hubert Zapf (Hrsg.)

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Der vorliegende Band ist der zehnte in der Reihe von Interpretationen großer Werke der Literatur, die aus einer Ringvorlesung an der Universität Augsburg hervorgegangen ist. Er versammelt Beiträge aus den Bereichen der deutschen, französischen, englischen und amerikanischen Literatur und umspannt einen Zeitraum vom Mittelalter über das 19. bis hin zum 20. Jahrhundert. Die Heterogenität der Autoren und Werke ist durchaus gewollt, ermöglicht sie doch den vergleichenden, oft Überraschendes zu Tage fördernden Blick über die gewohnten Grenzen von Epochen, Nationalliteraturen, Gattungen und Literaturformen hinweg. Dabei finden auch Beispiele der Populärliteratur Berücksichtigung und sind immer wieder auch neueste Texte vertreten, für die ein kanonischer Status nicht ohne weiteres beansprucht werden kann, die aber gerade im Dialog mit der literarischen Tradition zur Lebendigkeit der Debatte um die kulturelle Bedeutung von Literatur beitragen können. Auch in einer Zeit verschärfter Kanondebatten und des Aufstiegs anderer Medien stellt sich die Frage nach der ästhetischen, historischen und gesellschaftlichen Relevanz von Texten, die ganz offensichtlich kulturprägende Wirkungen entfalten und der immer neuen Auslegung und Aneignung bedürfen. Aus dem Inhalt: Freimut Löser, Artuswelt, Gral und Untergang: Der deutsche Lancelot-Roman · Kaspar Spinner, Jeremias Gotthelf, Die Schwarze Spinne · Klaus Maiwald, Emmy von Rhoden, Der Trotzkopf · Hubert Zapf, Kate Chopin, The Awakening · Hans Ulrich Seeber, Virginia Woolf, Kew Gardens · Martin Middeke, James Joyce, Portrait of the Artist as a Young Man · Henning Teschke, Marcel Proust, A la recherche du temps perdu ·Joachim Jacob, Stefan George, Das Jahr der Seele · Klaus Post, Rainer Maria Rilke, Neue Gedichte · Sandra Schwarz, Thomas Mann, Der Erwählte · Hans Vilmar Geppert, Jurek Becker, Jakob der Lügner · Eva Matthes, Bernhard Schlink, Der Vorleser

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A. Francke Verlag Tübingen und Basel

GROSSEWERKEDER LITER ATURBAND X

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Große Werke der Literatur XHerausgegeben von Hans Vilmar Geppert und Hubert Zapf

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Große Werkeder Literatur

BAND X

Eine Ringvorlesung an der Universität Augsburg

2006/07

herausgegeben von Hans Vilmar Geppert und Hubert Zapf

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Titel: Schmuckbuchstabe aus Hans Sachs:(Das vierdt poetisch Buch) mancherley neue Stücke schöner gebundener Reimen.

Nürnberg: Heußler, 1576; Oettingen-Wallersteinsche Sammlung der Universität Augsburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

© 2007 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 · D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außer-halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässigund strafbar. Das gilt insbeson-dere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und

die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier.

Internet: http://www.francke deE-Mail: [email protected]

Druck und Bindung: Hubert&Co., GöttingenPrinted in Germany

ISBN 978-3-7720-8240-5

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Vorwort

Die Publikationsreihe Große Werke der Literatur, die auf eine im zweijährigen Rhyth-mus stattfindende Ringvorlesung an der Universität Augsburg zurückgeht, erscheint nunmehr mit ihrem zehnten Band. Der Initiator und langjährige Alleinherausgeber der Reihe, der Komparatist Hans Vilmar Geppert, hatte zunächst keineswegs eine solch lange Erfolgsgeschichte von inzwischen zwanzig Jahren im Sinn, als er im Wintersemester 1988/89 mit dem ersten Zyklus der Ringvorlesung begann, die dazu gedacht war, innerhalb der Universität verschiedene Disziplinen, insbesondere die Philologien, unter dem Dach einer gemeinsamen Beschäftigung mit kulturellen Leit-texten zusammenzubringen und zugleich über die Universität hinaus ein literarisch interessiertes Publikum anzusprechen. Doch so wie die Vorstellung, man könne die Zahl „großer Werke“ auf eine überschaubare Zahl begrenzen, sich bald als illusionär herausstellte, so erledigte sich zugleich die Befürchtung, es könne irgendwann einmal der Gegenstand der Reihe erschöpft sein. Vielmehr erwies und erweist er sich nach wie vor als höchst lebendig, gibt es doch auf der einen Seite nicht nur ‚klassische‘ Werke wiederzuentdecken und im Licht gewandelter historisch-kultureller Bedin-gungen zu interpretieren, sondern kommen immer wieder auch neue Werke der Gegenwartsliteratur hinzu, deren Geltungsanspruch aufgrund der noch nicht gege-benen historischen Distanz in besonderer Weise in Frage steht und so der Diskussi-on bedarf.

Die Großen Werke der Literatur waren und sind, neben den genannten Aspekten der Zusammenführung verschiedener Nationalliteraturen und der Brückenbildung zwischen universitärer und außeruniversitärer literarischer Öffentlichkeit, ein durch-aus auch im Licht der neueren literaturwissenschaftlichen Kanondebatte aufschluss-reiches Projekt. Eine zeitlang schien es zwar, als wäre die Rede von ‚großen Werken‘ der Literatur angesichts der postmodernen Wende und kulturwissenschaftlichen Neuorientierung der Literaturwissenschaften im ausgehenden 20. Jahrhundert nicht mehr ohne weiteres möglich, schien sie doch die Fortschreibung unhinterfragter akademischer Traditionen und nicht zuletzt ein unkritisches Festhalten an einem elitären Konzept literarischer Hochkultur zu implizieren. Doch war der für die Reihe programmatische Begriff der „großen Werke“ von vornherein nicht durch die An-nahme fragloser überzeitlicher Geltungsgewissheiten, sondern durch Offenheit und das Bewusstsein der historischen Wandelbarkeit und Konstruiertheit eines jeglichen literarischen Kanons gekennzeichnet. Diese Offenheit kam vor allem auch dadurch zum Ausdruck, dass die Auswahl der Werke, die in die Reihe aufgenommen wurden, nicht vom Herausgeber vorgegeben, sondern von den beteiligten Referenten selbst vorgenommen wurde. So bildete sich ein literarischer ‚Kanon‘ unter Einbeziehung der subjektiven Präferenz der Beteiligten heraus, der sich letztlich immer wieder erst durch seine eigene Auslegungspraxis legitimierte. Die Reihe wurde und wird so einer Aufgabe gerecht, die angesichts neuer kultur- und literaturtheoretischer Herausfor-derungen umso dringlicher geworden ist, nämlich die Kriterien von Kanonbildung

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zu reflektieren, den Geltungsanspruch literarischer Werke begründbar zu machen, die Frage nach dem Status und der Funktion der Literatur innerhalb der Gesamtheit kultureller Diskurse immer wieder neu zu stellen – nicht durch explizite theoretische Reflexion, wie in der ebenfalls im Francke Verlag publizierten, parallelen Reihe Theo-rien der Literatur, deren Band III im Frühjahr 2007 erschienen ist, sondern durch möglichst überzeugende, lebendige und komplexe Auslegung der Texte selbst.

Dies erscheint angesichts einer neuerlichen Wende der Literatur- und Kulturwis-senschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts hin zu einer pragmatischeren Phase umso relevanter, in der gerade von den Geisteswissenschaften auch Orientierungs- und Überblickswissen gefordert wird, das die zunehmende Unüberschaubarkeit der Pri-mär- und Sekundärliteratur ordnen und überschaubarer machen soll. Die Reihe Große Werke der Literatur hat sicher auch eine solche pragmatische Komponente, insofern sie Texte, die den Beiträgerinnen und Beiträgern wichtig und interessant erscheinen, vorstellt bzw. einer Neubetrachtung unterzieht und so zum erstmaligen oder erneu-ten Lesen anregt. Und sie bietet zweifellos eine Orientierungshilfe für die literaturge-schichtliche Einordnung der Texte und die immer neu zu stellende Frage nach den Kriterien literarischer Qualität, Geltung und Relevanz. Gleichzeitig bleibt sie sich indessen der genannten Offenheit ihrer Fragestellung bewusst und spiegelt so die reflexive Dimension und produktive Unabschließbarkeit des Auslegungs- und Ka-nonisierungsprozesses von Literatur, die auch in Zeiten, da eine stärker pragmatische Aufbereitung literarischen und kulturellen Wissens gefordert wird, im Auge zu behal-ten ist.

So bietet auch der vorliegende Band wieder ein breites, spannungs- und kontrast-reiches Spektrum an Interpretationen von Texten aus verschiedenen Epochen, Gat-tungen und Nationalliteraturen. Er wirft einen neuen Blick auf die mittelalterliche Rezeption des Artusstoffes im deutschen Lancelot-Roman und bezieht andererseits mit Emmy von Rhodens Der Trotzkopf, einem der erfolgreichsten Werke der Jugend-literatur im 19. und 20. Jahrhundert, ein Werk der Populärliteratur ein. Er behandelt aus jeweils neuem Blickwinkel literarische Klassiker wie Jeremias Gotthelfs Die schwarze Spinne, Rilkes Neue Gedichte, Marcel Prousts A la recherche du temps perdu und James Joyces A Portrait of the Artist as a Young Man, aber auch unbekanntere Werke wie Kate Chopins The Awakening, Virginia Woolfs Kurzgeschichte Kew Gardens, Ste-fan Georges Das Jahr der Seele oder Thomas Manns Der Erwählte. Er schlägt schließ-lich den Bogen zu neuerer, teils kontrovers diskutierter Holocaust-Literatur mit Ju-rek Beckers Jakob der Lügner und Bernard Schlinks Der Vorleser. Der Band beweist ein weiteres Mal, dass Literatur eben nichts Abgehobenes oder nur Esoterisches ist, sondern eine Form komplexen Lebenswissens darstellt, die gerade durch ihren ima-ginativen Reichtum, ihre semantische Offenheit und ihre kreative Interaktion mit dem Leser ihre fortwährende Aktualität gewinnt. Er beweist ferner in der Vielfalt der Perspektiven und Deutungsansätze, aus denen der Dialog mit den Texten geführt wird, dass die Aufgabe und gesellschaftliche Relevanz der Literaturwissenschaft nicht zuletzt darin bestehen, dass sie selbst aktiv am Prozess der kulturellen Selbstverstän-digung, der Kritik, der Wertvermittlung und der beständigen Erneuerung von kultu-reller Kreativität teilnimmt, den die Literatur inszeniert.

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Vorwort 7

Der Dank der Herausgeber gilt Rektor und Kanzler der Universität, der Kurt-Bösch-Stiftung sowie dem Presseamt der Universität Augsburg für ihre ideelle, fi-nanzielle und organisatorische Unterstützung. Gedankt sei ferner Gunter Narr und Frau Kathrin Heyng vom Francke Verlag für die ausgezeichnete Kooperation und die gewohnt qualitätsvolle verlegerische Betreuung des Projekts. Besonders herzli-cher Dank gilt Christina Caupert, Julia Fendt und Nora Schüssler für die sorgfältige und zeitaufwendige Bearbeitung der Manuskripte und die Erstellung der druckferti-gen Fassung des Bandes.

Augsburg, im September 2007 Hans Vilmar Geppert und Hubert Zapf

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort 5

Freimut Löser

Der deutsche »Lancelot«-Roman. Artuswelt, Gral und Untergang 11

Kaspar H. Spinner

Jeremias Gotthelf »Die Schwarze Spinne« 31

Klaus Maiwald

Emmy von Rhoden »Der Trotzkopf« 45

Joachim Jacob

Stefan George »Das Jahr der Seele« 59

Hubert Zapf

Kate Chopin »The Awakening« 75

Klaus Dieter Post

Rainer Maria Rilke »Neue Gedichte« 97

Martin Middeke

James Joyce »A Portrait of the Artist as a Young Man« 121

Hans Ulrich Seeber

Virginia Woolf »Kew Gardens« 139

Henning Teschke

Marcel Proust »A la recherche du temps perdu« 159

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Inhalt 10

Sandra Schwarz

Thomas Mann »Der Erwählte«. Heimkehr aus dem Exil 175

Hans Vilmar Geppert

Jurek Becker »Jakob der Lügner« 219

Eva Matthes

Bernhard Schlink »Der Vorleser« 241

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Der deutsche Lancelot-Roman. Artuswelt, Gral und Untergang

Freimut Löser

Hier soll der deutsche Lancelot-Roman aus dem 13. Jahrhundert vorgestellt werden. Dies in einer Reihe, die den Titel „Große Werke der Literatur“ trägt. Bei vielen Wer-ken, die in dieser Reihe vorgestellt wurden und werden, ist es keine Frage, dass sie zur Weltliteratur gehören. Bei dem Text, der hier behandelt werden soll, stellen sich gleich drei Fragen: Ist er überhaupt ein „Werk“? Ist er „groß“? Ist er „Weltliteratur“?

Unser Werkbegriff ist häufig mit dem Begriff des Autors verbunden. Zum „Jahr der Seele“ gehört Stefan George, zu „The Awakening“ gehört Kate Chopin und zu den „Duineser Elegien“ gehört Rilke. Zum „großen Werk“ gehört der „große Au-tor“, so wie Thomas Mann zum „Zauberberg“ oder Kafka zum „Schloss“ gehören. Im Mittelalter ist ja bekanntlich vieles anders. Aber auch dies? Zum „Tristan“ gehört doch Gottfried von Straßburg, zum „Iwein“ gehört Hartmann von Aue und zum „Parzival“ Wolfram von Eschenbach. Alle diese Autoren nennen sich selbst im Pro-log oder/und anderwärts in ihren Werken, sie weisen sich als Verfasser aus oder/ und werden von anderen zeitgenössischen Autoren als solche genannt. Aber ist dies korrekt? Gehört nicht zum „Tristan“ Thomas von Bretagne und zu den Romanen Hartmanns und Wolframs – gehört zu denen nicht Chrétien de Troyes?

Gottfried von Straßburg, Tristan (ca. 1200-1220)

„Thomas von Britanje“ (ca. 1155/1190)

Hartmann von Aue, Erec (ca. 1180-1200) Iwein

Chrétien de Troyes, Erec et Enide (ca. 1170) Lancelot (Chevalier de la charrete) Yvain

Wolfram von Eschenbach, Parzival (Teile sicher nach 1204)

Perceval (Le comte du graal) (vor 1191)

Sind nicht die altfranzösischen Texte die „Werke“ und die deutschen bloße Überset-zungen? Man mag hier von den eminenten und bedeutenden Leistungen mittelalter-lichen Kultur-Transfers sprechen. Die Forschung ist sich aber auch einig darüber, dass man bei den großen Artus-Versromanen des deutschen Mittelalters Umin-terpretationen, Neuerzählungen, zu weiten Teilen gar Neuschöpfungen vor sich hat. An der genuinen Erzählkunst Gottfrieds (dort wo der Vergleich mit Thomas wegen

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der schlecht erhaltenen Vorlagen möglich ist), Hartmanns und Wolframs besteht – eben auch im Vergleich mit ihren großartigen Quellen – kein Zweifel.

Bei unserem Text ist dies etwas anders: Der deutsche „Prosa-Lancelot“ ist – an-ders eben als die klassischen höfischen Versromane – nicht Neugestaltung; auch nicht verantwortet von einem namentlich bekannten Autor, der sich selbst nennt und damit in die Literaturgeschichte einschreibt. Unsere Übersetzung basiert auch nicht – wie dies üblich ist zu dieser Zeit – auf einem Versroman, sondern sie ist die Übersetzung eines altfranzösischen Prosaromans. Sie ist, abgesehen von der nicht selten spürbaren Selbstständigkeit in Details, zudem eine Übersetzung, die offenbar eine möglichst genaue Bewahrung der Vorlage anstrebt – anders als Hartmann, der zum Beispiel darin glänzt, dass er über seine Vorlage hinaus seiner Heldin Enite seitenlang ein Pferd „andichtet“, anders als Wolfram, der Percevals/Parzivals Kind-heit die Elterngeschichte hinzuerfindet, das Verhältnis des Helden zur Mutter neu konzipiert oder den Gral seiner Vorlage völlig neu deutet.

Anders als bei Hartmann und Wolfram fehlt beim deutschen „Lancelot“ aber eben auch der Name des Verfassers. Mehr noch: Es müssten mehrere Namen sein; denn dem Text kann man es ansehen, dass verschiedene Übersetzer am Werk waren. Die Namen, die Intention, die Auftraggeber werden freilich nicht verraten. Nur in einer Version, in einer Teilübersetzung einer Kölner Handschrift (k, aus dem 15. Jahrhundert) wird berichtet, das buchelin sei aus einer flemische[n] Vorlage übertragen worden:

Diß buchelin zu einer stonden Hain ich inn flemische geschrieben fonden, Von eyme kostigen meister verricht, Der es uß franczose darczu hait gedicht. Dwile das alle dutschen nit konden verstan, Habe ich unnutzeliche zcijt darczu versließen und gethan, Biß das ich es herczu bracht hain. (Kluge II, S. 115)1

Man sieht: Selbst in der Prosa gibt die Reimform keine Ruhe. Die wichtige Informa-tion über die Vorlage muss gereimt vorgetragen werden. Der Hinweis aber gilt nicht für alle Textzeugen. Er findet sich, wie gesagt, nur in einer Version der Geschichte, die eine Kölner – ripuarische – Handschrift bewahrt hat. Und das führt aus einem anderen Blickwinkel erneut zur Frage nach dem Werkcharakter: Handelt es sich bei dem deutschen Prosa-Lancelot-Roman um ein Werk? Bekannt sind uns zehn Text-zeugen, die um 1250 im ripuarischen Raum einsetzen, ihren Schwerpunkt im Rhein-fränkischen haben, seit dem 15. Jahrhundert auch im Schwäbischen (speziell auch um Augsburg). Die bedeutendste – und als erste halbwegs vollständige – Hand-schrift ist heute in Heidelberg (P, benannt nach dem Namen der Bibliothek, Palati-na). P ist um 1430 wohl auch dort am Heidelberger Hof entstanden.

Die frühen Fragmente – um 1250 – bestätigen den Wortlaut von P und füllen ei-ne inhaltliche Lücke dieser Handschrift, die diese in zwei Teile (PI und PII) teilt. Der 1 Alle Zitate nach der im Literaturverzeichnis genannten kritischen Ausgabe.

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Text lag also im deutschen Raum um 1250 vor und er fand rasch einige handschrift-liche Bearbeiter, dann aber auch noch eine späte bairische Bearbeitung (beendet erst 1576). Der frühe Buchdruck hat unseren Text nicht erfasst. Insgesamt ergibt sich folgender Befund: Verschiedene Handschriften verschiedener Fassungen mit einer komplizierten Textgeschichte. Denn nicht nur, dass die flämische Vorlage in der Handschrift k erwähnt wird – man hat auch für den Teil PI mittelniederländische Spuren finden und evident machen können, dass auch PI über eine – allerdings nicht erhaltene – mittelniederländische Zwischenstufe vermittelt wurde. Kultur-Transfer im Mittelalter geht komplizierte, vermittelnde Wege. Das heißt konkret: Die Über-setzung dieses Teiles zumindest wäre wohl im niederrheinisch-ripuarischen Raum vor 1250 entstanden. Für PII behaupten die einen (ohne Detailnachweis bisher) eine „Unmenge von Nederlanismen“, den anderen fehlt der Nachweis dafür und sie hal-ten eine direkte Übersetzung aus dem Altfranzösischen (um 1300) für wahrschein-lich.

Damit rückt das Verhältnis des deutschen Textes zum altfranzösischen in den Mittelpunkt. Aber auch dem fehlt der Verfasser, wie wir gleich sehen werden. Über-tragen werden drei Teile einer Trilogie. Und am Ende eines jeden Teiles, dazu noch im Eingang des letzten, werden – entsprechend der altfranzösischen Trilogie – scheinbar Auftraggeber und Verfasser genannt: Auftraggeber der Vorlage sei König Heinrich II. von England († 1189), Verfasser Gautier (= Walter) Map. Dieser 1209 verstorbene Oxforder Archidiakon ist als Autor von „De nugis curialium“ bekannt, ein ausgesprochen kirchenkritischer Mann und freier Geist, der nur wohl leider nicht der Verfasser ist. Denn Authentizität wird für diese Angabe nicht mehr beansprucht; man geht von einer Verfasserfiktion aus, die den Anspruch der Trilogie als intendier-te Einheit festigt und den wahren Verfasser – vielleicht aus Furcht vor der Gefahr, die nicht immer orthodoxen religiösen Aussagen des Werkes könnten als häretisch verfolgt werden – kunstvoll und planvoll hinter einem bekannt kritischen, aber eben 1209 schon verstorbenen und nicht mehr belangbaren Geist verbirgt. Der Text gibt sich dabei viel Mühe, zunächst als eine Chronik wahrer Ereignisse zu erscheinen:

Und der konig gebot vier schribern die darzu gesaczt warn, das sie all die abentur schri-ben, die in sim hofe geschehen. Der ein was Arodion genant von Koln, und der ander was genant Tantamides von Vernaus und der dritt Thomas von Dolete, der vierd was Sa-piens genant von Budas. Diße vier schrieben die abentur in des konig Artus hof. Min her-re Gawan must zu allererst sagen, wann er heubt was an der suchung, und darnach Hestor und darnach myns herren Gawans gesellen die mit im an der suchung waren. Was sie sag-ten das wart alles geschriben. (Kluge I, S. 482,5-12)

Am Ende wird dann Gautier Map als Redaktor und Autor in Anspruch genommen; für die „Gral-Queste“, den Teil der Suche nach dem Gral, wird er ausdrücklich als Übersetzer des lateinischen Textes der „Chronik“ in die französische Volkssprache bezeichnet:

Da sie hetten geeßen in dem hoff, der konig Artus det her vor k�mmen die schriber, die da pflagen zu beschriben die abenture der ritter von dem hoff des koniges Artus. Und da Bohort hett erzalt die abenture von dem heyligen gral, in der wise als er es gesehen hett, und die wurden beschriben und behalten in der abtey von Salaberis. Da von meyster Ga-

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tiers [=Gautier] machen begund das buch von dem heiligen grale von latin zu welisch, umb konig Heinrichs willen synes herren, den er ser lieb hette. (Kluge III, S. 383,15ff.)

Komplizierte Verhältnisse also von allem Anfang an: Eine deutsche Bearbeitung ohne greifbaren Auftraggeber, von mehreren Bearbeitern vorgenommen, dennoch als einheitlicher Text stilisiert, basierend auf einer altfranzösischen Vorlage, die ver-mittelt wird über mittelniederländische Zwischenstufen, und die ihrerseits nicht auf einen großen bekannten Verfassernamen zurückzuführen wäre, sondern die Fiktion eines solchen Verfassers bewusst aufbaut und dabei so tut, als beruhe sie auf einer Chronik, den wahren – lateinischen! – Aufzeichnungen der Schreiber des Königs Artus höchstselbst, die ihrerseits den Rittern deren quasi diktierte Erlebnisberichte nach dem Munde schrieben. Diese angeblich so entstandene französische Version ist keineswegs eine einzige große Einheit. Das Verhältnis stellt sich so dar:

Handlungsteile:

a) Estoire del Saint Graal Vorgeschichte

b) Estoire de Merlin (fehlt im Deutschen)

Trilogie:

„Lancelot c) Lancelot a) Lancelot

en d) Queste del Saint Graal b) Gralqueste

prose“ e) Le Mort li Roi Artus c) Tod des Königs Artus

Ins Deutsche übertragen wurden die drei Teile der eigentlichen Trilogie im engeren Sinne, vereinigt im „Lancelot en prose“. Dafür, für diese altfranzösische Trilogie, wird ein Entstehungszeitraum sicher nach 1210, wohl von 1215 bis 1230 angesetzt. Dieser ursprüngliche Zyklus wurde erweitert, indem man ihm für die gegenwärtige Gral- wie die Artuswelt die jeweils entsprechende Vorgeschichte voranstellte: Für den Gral die „Estoire del Saint Graal“, für die Artuswelt die „Estoire de Merlin“. Diese doppelte Vorgeschichte fand im Deutschen keine Aufnahme. Die Vorlage wurde, so die Hypothese des großen französischen Forschers Frappier, von einem Autor, dem „Architekten“ entworfen, der selbst den „Lancelot propre“ verfasste und mehrere andere in der gemeinsam verpflichtenden Arbeit am Ganzen anleitete. „Teamwork in progress“ also gewissermaßen, ein Autorenkollektiv am Werk. Ande-re – wie Elspeth Kennedy – halten dagegen, hier seien einzelne, ursprünglich nicht zyklisch konzipierte Teile erst später und sekundär zu einem Ganzen verbunden worden. Ein schmaler Teil hat Chrétiens fragmentarisch erhaltenen „Lancelot“-Roman, die Karrenritter-Aventiure, als Grundlage.

Soweit zum „Werk“. Ist es „groß“? Auf einer ersten sehr einfachen Ebene ist die Frage einfach zu beantworten. Die kritische Ausgabe des deutschen „Prosa-Lancelot“ in drei Bänden zählt insgesamt 2.479 Seiten. Die Handschrift P enthält 41.250 sehr eng beschriebene Zeilen. Der Umfang des deutschen Prosa-Lancelots – eines wahrhaft „großen“ Werkes also – ist immens. Er übertrifft etwa Wolframs

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Der deutsche Lancelot-Roman 15

„Parzival“ um das Fünffache. Das ist nicht schiere Masse um der Masse willen oder Frucht eines ausufernden Erzählens. Die Menge der Wörter und Zeilen ist Ausfluss eines Totalitätsanspruches anderer Art. Was hier geboten wird, ist nichts anderes als die Summe der bis dahin entstandenen Artusliteratur, die Verbindung dieser Artusli-teratur mit dem Gralstoff und eine bewusst vorangetriebene bis in extreme Erzähl-kompilationen und Erzählkomplikationen gesteigerte Literatur mit Totalitätsan-spruch. Darauf wird zurückzukommen sein. Aber ist solch schiere Größe der Erzählung schon große Literatur? Auch diese Frage lässt sich auf einer ersten, sehr einfachen Ebene – nämlich von der Wirkung her – wiederum mit einem raschen und uneingeschränkten „Ja“ beantworten:

Die Wirkung in Deutschland ist – vor der Folie zeitgenössischer Texte – nicht vergleichbar mit der Wolframs (wie der Bestseller „Parzival“ mit seinen mehr als 80 Handschriften), aber auch nicht spärlich. Was wir über Auftraggeber, Besitzer und Leser wissen, weist auf große fürstliche Adelsbibliotheken hin (die Heidelberger Palatina, das Rottenburg der Erzherzogin Mechthild, auch den Münchner Wittelsba-cher Hof unter Herzog Albrecht). Freilich kann der „Lancelot“ als erster deutscher Prosaroman keine selbstständige deutsche Erzählprosa einleiten und bleibt in der Geschichte der deutschen Sprache als früher Erstling isoliert. Lancelots unvergleich-licher Ruhm in Europa, dann auch weltweit, verdankt sich vielmehr der ungebroche-nen Strahlkraft des altfranzösischen Prosaromans (mit ca. 100 Handschriften und sieben Drucken bis 1533), dann auch der Adaption durch Thomas Malory, der Aus-strahlung im englischen Raum, aufgegriffen in den USA, im 19. Jahrhundert nicht nur durch Mark Twains bekannten „Connecticut Yankee in King Arthur’s Court“, bis heute wirksam in Hollywood und damit in unseren Köpfen und Herzen. Wenn ich also ein großes Werk der Literatur vorstelle, dann müsste das eigentlich natürlich die altfranzösische Ausgangsversion sein. Es liegt an meiner (mangelnden) Kompe-tenz, dass ich als „Stellvertreter“ quasi, den deutschen Text wähle.

Totalität der Weltdarstellung – das Konzept findet seinen Niederschlag zunächst einmal auf drei verschiedenen Ebenen der Erzählung:

1. Erzählt wird die individuelle Geschichte Lancelots von seiner Kindheit bis zum Alter und zu seinem Tod; erweitert wird dies – wie bei Wolframs „Parzi-val“ oder Gottfrieds „Tristan“ – um die Vorgeschichte der Eltern.

2. Synchron dazu wird die Geschichte der Artusgesellschaft erzählt: die Phasen ihrer Erstarkung (verbunden mit dem Wirken Merlins), das Erreichen der strahlenden Höhe, der freilich schon immer Niedergang und Ende immanent sind, verwoben darin die Ehebruchsthematik (vergleichbar Gottfrieds „Tris-tan“), schließlich der unvermeidliche Untergang. Die Vorgeschichte dazu (die „Estoire de Merlin“), die die Trilogie im Französischen erweiterte, fehlt im Deutschen wie gesagt. Das gilt auch für die Vorgeschichte des Grals (die „Estoire de Saint Graal“). Die Gralsgeschichte aber in der Artusgegenwart bildet

3. die Vollendung aller Gralabenteuer und damit die Vollendung aller Abenteuer: das Finden des Grals als Ziel- aber auch Endpunkt alles Erzählens.

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Freimut Löser 16

Um diese Totalität des Erzählten (und des Erzählens) zu erreichen, bedarf es aber auch schon eines Personals, das diese Totalität der Welt abbildet, bzw. hilft, diese zu erzeugen. Wir begegnen folglich dem alteingeführten Personal des Artusromans:

- Dem Königspaar Artus und Ginover, - dem, mindestens bis dahin, besten aller Artusritter Gawan und seinen drei

Brüdern (Gaheriez, Guerier und Agravain), - dem Truchsess Keie, - den berühmten strahlenden Rittern der Tafelrunde, darunter Ywan, Segre-

mors, Yders, - Parceval, den man aus der bisherigen Tradition als Gralshelden kennt, - dem Verräter Meleagant, - den Agenten des Bösen Morgane und Mordred.

Dazu tritt natürlich Lancelot und eine ganze Gruppe von neuen Handlungsträgern aus seinem Umfeld:

- Seine Vettern Lionel und Bohort, letzterer gleichzeitig als Beteiligter an der „Gral-Queste“ vielleicht das festeste Bindeglied der Trilogie,

- Hestor/Hector, der später als Lancelots Halbbruder erkannt wird, - König Ban, Lancelots Vater, - und König Claudas, abtrünniger Artusvasall, Gegner von Ban, für Artus der

Rivale um den Weltherrschaftsanspruch, den ihm auch - Galahot streitig machte, der dann aber aus Freundschaft für Lancelot vom

Herausforderer zum Artusritter wird, - und schließlich Galaad, der Sohn Lancelots und Vollender aller Abenteuer,

der Parceval als Gralsheld ablöst. Dazu kommt – neben Ginover blasser – eine Reihe beeindruckender Frauen, wie Lancelots „Pflegemutter“ Ninienne (die Dame vom See) oder Galaads Freundin, die Frau von Maloant, oder Galaads Mutter, die Tochter des Gralkönigs.

Soweit die handelnden Personen.

Der Inhalt ist wohl kaum geläufig. Ich fasse ihn (auch unter Rückgriff auf die am Ende genannte einführende Literatur2) so kurz irgend möglich – und nur auf den Kern reduziert – zusammen:

Manche Erzählungen bergen schon am Anfang das Ende in sich. Diese gehört dazu. Diese Geschichte handelt am Ende vom Untergang des Artus-Reiches. Sie beginnt fern vom strahlenden Artushof, in Nord-West-Frankreich, im kriegsträchti-gen Grenzbereich zwischen bretonisch-arturischem und französisch-römischem Territorium; aber auch hier wird ein Untergang bildgewaltig beschrieben:

Claudas, der abtrünnige Artusvasall, ist im Reich des Königs Ban eingefallen. Ban hat die letzte Trutzburg in der Obhut seines Truchsessen zurückgelassen. Auf der Flucht kehrt er sich um, sieht sie brennen. Nach dem Verrat des Truchsessen ist 2 Vgl. besonders: Klaus Speckenbach, „Prosa-Lancelot,“ Mittelhochdeutsche Romane und Hel-

denepen, Hg. Horst Brunner (Stuttgart: Reclam, 1993), 326-52.

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Der deutsche Lancelot-Roman 17

Alles verloren. Bans Tod lässt Frau und Kind schutzlos zurück. Die Fee Ninienne entführt das Kind und nimmt sich seiner an. Lancelot (getauft eigentlich auf einen anderen Namen) verbringt seine Kindheit in ihrem Reich, das von außen betrachtet durch zauberische Spiegelungen als See (Lack) erscheint. Ninienne erzieht Lancelot. Als 18-jähriger begegnet er uns wieder:

Nu saget uns die historia das Lancelot was so lang mit syner frauwen gewesen von dem Lack das er achzehenjerig was worden, und was so schön ein jungherre das man in der welt so ein schön kint nit me funden hett. Er was wise und wolgezogen. Er was groß und lang und starck, und sin frauwen ducht wol zytt das er ritter wúrd, wann sie sah das er wy-se und groß und starck was. Sie ducht wol das es súnd were und schand, er wúrde dann ritter so sie allerschierst möcht. Si hett manch mal ir loß gewurffen umb yn und hett wol geprúfet das er noch zu hohen dingen solt komen und ritter werden solt und lieb solt werden aller der welt. (Kluge I, S. 117,15ff.)

Schön, weise, wohlerzogen, groß, lang und stark, zum Liebling der Massen be-stimmt, in Hollywood u.a. mit Richard Gere besetzt, also perfekt – das ist Lancelot. Aber auch der, der zur Ritterschaft geboren ist, bedarf der Belehrung. Die Dame vom See belehrt Lancelot ausführlich über sein Schwert:

Das schwert das der ritter furt, das zu beiden syten schnydet, und ist me geeret dann dheynerhande wapen und ist vil werder. Man mag da mit dryerhand ubel thun: stechen, slagen zur rechten hant und zur lincken hant, mit beiden. Das das schwert beydenthalb schnidet, das bezeichent die ritter die unsers herren gottes knecht múßen sin und syns volckes. Mit der eynen syten muß er slagen gottes fynde und die an yne nicht glauben wollen, mit der andern syten sol er got rechen von den die von böser gesellschafft sint, das sint die da nement und stelent. (Kluge I, S. 121,31ff.)

Nicht auf Hauen und Stechen kommt es an, sondern darauf, wofür der Einsatz er-folgt. Das Rittertum, so wird Lancelot belehrt, dient der Kirche:

Der ritter wesen wil der muß ein reyn hercz haben, das keyn dingk darinn sy, es sy reyn und gut, und alweg fechten umb den glauben zu stercken und die ee wiedder die philistin und wiedder die ungleubigen lút, und thun als die daten in der alten ee, die stritten mit yrn nachgeburen die ungleubig waren. [...] Ritterschafft wart gemacht betalliclichen umb die heiligen kirchen zu beschutten und zu beschirmen und darzu zu helffen mit libe und mit gut, wann sie sich nit gerechen mag mit arg, noch mit schwerten fechten mag noch mit wapen. Der ritter ist darzu gemacht das er den beschirme der den lincken backen bútet als er an den rechten geslagen wurt. (Kluge I, S. 123,12-16 und 120,33-121,1)

Nach diesen Lehren – und sie sind nicht obenhin gesagt, sondern werden Gewicht gewinnen – rüstet Ninienne den jungen Lancelot schließlich aus und sie bringt ihn an den britischen Königshof. Ziel: Artus soll ihn zum Ritter schlagen. Bei den Feier-lichkeiten wird jedoch versäumt, Lancelot das Schwert umzugürten. Das ist Lancelot nur recht, denn er nutzt die Gelegenheit, später von der Königin die Zusendung eines Schwertes zu erbitten. So ist er von diesem Augenblick an nicht nur Artusritter, sondern ganz speziell der Ritter Ginovers, ihr Ritter und dass er dies – und nichts anderes sein will – das weiß er wohl seit der ersten Begegnung: