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Leseprobe aus: ISBN: 978-3-498-02139-9 Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

Leseprobe aus - Vivat!Schlafdefizit als Gesundheitsrisiko Kapitel 2 Der gesunde Schlaf: Was dabei im Körper passiert und warum er so wichtig ist ... und gesellschaftlichen Folgen

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Page 1: Leseprobe aus - Vivat!Schlafdefizit als Gesundheitsrisiko Kapitel 2 Der gesunde Schlaf: Was dabei im Körper passiert und warum er so wichtig ist ... und gesellschaftlichen Folgen

Leseprobe aus:

ISBN: 978-3-498-02139-9Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf www.rowohlt.de.

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Ingo Fietze

Die übermüdete GesellschaftWie Schlafmangel uns alle krank macht

Rowohlt

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1. Auflage Mai 2018Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH,

Reinbek bei HamburgUnter Mitarbeit von Monika Köpfer

Satz aus der FF ScalaGesamtherstellung CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978 3 498 02139 9

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Inhalt

1. KapitelEinleitungKapitel 1 Der vernachlässigte Schlaf: AlarmierendeFakten

Wie schlafen unsere europäischen Nachbarn?Ein nächtlicher Plausch mit dem Nachbarn – dieSchlafgewohnheiten unserer VorfahrenSchlafdefizit als Gesundheitsrisiko

Kapitel 2 Der gesunde Schlaf: Was dabei im Körperpassiert und warum er so wichtig ist

Die Anatomie von Wachen und SchlafenWas macht guten Schlaf aus?

Kapitel 3 Krank, dick und unkonzentriert: WozuSchlafmangel und schlechter Schlaf führen können

Wie wichtig der Schlaf für das Gedächtnis istWarum zu wenig Schlaf dick machtWie sich mangelnder Schlaf auf den Hormon-haushalt auswirktAntioxidanzien brauchen SchlafInfektanfälligkeitMacht schlechter Schlaf depressiv?Schlechtere Prognose bei KrankheitenUnfallrisiken im Beruf und im HaushaltTeurer Schlafmangel

Kapitel 4 Auch unter Kindern und Jugendlichen sindSchlafstörungen auf dem Vormarsch: Gesellschaftli-che Ursachen und die Folgen

Risikofaktor MedienkonsumRisikofaktor sozialer JetlagSchlafhygiene bei KindernDer ideale Tag für eine ideale Nacht

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Kapitel 5 Schlafmangel und dessen Ursachen: Wasuns alles den Schlaf raubt

Schlafgefährder Nummer eins: StressSchlafgefährder LärmSchlafkiller LichtSchlafgefährder Alkohol, Koffein und CannabisSchlafgefährder elektronische GeräteSchlafgefährder Schichtarbeit«Schlafgefährder» Schwangerschaft?Schlafkiller Schmerzen, Juckreiz, Nebenwirkungvon Medikamenten

Kapitel 6 Chronische Schlafstörungen: Welche For-men es gibt und wie sie therapiert werden können

Die InsomnieSchlafapnoeDas Restless-Legs-SyndromHypersomnie, Narkolepsie und ParasomnieDie zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmusstörun-genTherapie-Möglichkeiten

Kapitel 7 Die schlafgestörte Gesellschaft: Was zu tunist

Wie Sie mit einer individuellen SchlafhygieneIhren Schlaf verbessern könnenWas muss auf gesellschaftlicher Ebene passie-ren?Wer kümmert sich um die übermüdete Gesell-schaft? Flächendeckende schlafmedizinischeVersorgung tut notWie geht es weiter mit unserer schlafgestörtenGesellschaft?

Literatur und Studien zum Thema

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EinleitungSchlaf als Balsam für die kranke Seele heißt es bei Sha-kespeare. Schlaf als Balsam für den stressgeplagten Men-schen, würde ich gern ergänzen. Der Schlaf ist in unsererSprache fest verankert, sei es in Redewendungen, Aphoris-men, Metaphern. Sich gesund schlafen, ein wohlfeiler Rat,aber was, wenn wir nicht mehr abschalten und in wohligeBewusstlosigkeit abtauchen können? Über etwas schlafen,und schon sieht man am nächsten Tag klarer. Glücklich, werdas kann. In Morpheus’ Armen ruhen. Was für ein wunder-bares Bild. Nur leider gelingt es immer weniger Menschen,sich von diesen Armen umfangen zu lassen. Ein Nickerchenmachen: aber wie denn – in einer Leistungsgesellschaft, inder dafür keine Zeit ist? In der auf den Biorhythmus kei-ne Rücksicht genommen wird. Schlafen wie ein Murmel-tier: lang und tief schlafen wie diese putzigen Tierchen, ei-ne wohlige Vorstellung. Andererseits hält die Sprache fürMenschen, die viel Schlaf benötigen, auch Schimpfwörterwie Schlafmütze oder Langschläfer parat. Jemand, der vielund gern schläft, hat den Nimbus eines Faulenzers oderbestenfalls von jemand, der nicht besonders leistungswil-lig ist. Dagegen gelten Manager, die mit wenigen StundenSchlaf auskommen, als erfolgreiche Macher. Und auch dieMächtigen der Welt brüsten sich gern damit. Die meistenSpitzenpolitiker in den westlichen Hauptstädten schlafenim Schnitt weniger als sechs Stunden. Nicht nur phasenwei-se, sondern oft jahrelang. Die Fähigkeit, mit wenig Schlafauszukommen, scheint geradezu Grundvoraussetzung füreine Alpha-Politiker-Karriere zu sein. Von der Bundeskanz-lerin ist der schöne Satz überliefert, sie habe «eine Art Ka-melkapazität». Wenn sie und ihre europäischen Amtskolle-gen bisweilen am späten Nachmittag vor die Kameras undMikrophone vor dem Brüsseler EU-Ratsgebäude treten, um

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einen folgenreichen Beschluss zu verkünden, sind sie sicht-lich übernächtigt, haben sie manchmal seit mehr als 30 St-unden nicht mehr geschlafen.

Aber wollen Sie das Schicksal unseres Landes und Eu-ropas tatsächlich in die Hände von Menschen gelegt se-hen, die durch ihren Schlafmangel genauso beeinträchtigtsind, wie wenn sie ein paar Gläschen getrunken hätten?Denn wer «zehn Nächte hintereinander nur sechs Stundenschläft, befindet sich, was Leistungsvermögen, Reaktions-geschwindigkeit, Gedächtnis und Urteilskraft angeht, in ei-nem Zustand, als hätte er ein Promille Alkohol im Blut», wieder Chronobiologe Christian Cajochen von der UniversitätBasel herausgefunden hat.

Aus den USA weht schon seit längerem ein umgekehrterTrend zu uns herüber, der jedoch längst noch nicht im Be-wusstsein unserer Gesellschaft angekommen ist, geschwei-ge denn in den Chefetagen: «Schlaf als neues Statussym-bol», titelte die New York Times kürzlich. In gewissen eli-tären Kreisen scheint auch hierzulande ein Umdenken be-gonnen zu haben. Der nimmermüde Manager, dem ein paarwenige Stunden Schlaf genügen, taugt nicht länger als Vor-bild. Guter Schlaf wird zunehmend als Maßstab für eine ho-he Leistungsfähigkeit angesehen. Ein Trend, der allerdingsauch seine Schattenseiten hat. Nach Essen, Sex und kör-perlicher Fitness hat die Selbstoptimierungsindustrie nunden Schlaf als natürlichen menschlichen Faktor entdeckt,den es zu monetisieren gilt. Doch meistens taugen die Pro-dukte, die einen gesunden Schlaf versprechen, nichts. Au-ßerdem übt dies Druck auf all jene aus, die nicht mehr aus-reichend und gut schlafen können oder schlicht nicht dieZeit dazu haben, und dieser Druck verstärkt das Problemwomöglich noch.

Fakt ist, ein Großteil der Deutschen schläft deutlich zuwenig, wie immer mehr Studien zu den gesundheitlichenund gesellschaftlichen Folgen von Schlafmangel beweisen.

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Scharen von sensiblen und schlechten Schläfern plagensich durch die Tage und Nächte. Die Anzahl der Betroffenenwird immer größer und hat bereits dramatische Dimensio-nen erreicht. Als Schlafforscher beobachte ich seit vielenJahren, dass immer mehr Menschen unter Schlafstörungenleiden.

Trotz hoher medialer Aufmerksamkeit und diesbezüg-licher Studien wird schlechter Schlaf als Risikofaktor fürdie eigene Gesundheit, den Arbeitsplatz und die Gesell-schaft noch immer völlig unterschätzt. Dabei hat die Welt-gesundheitsorganisation im Schlafmangel bereits eine dergrößten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts ausge-macht. Wenn Sie zu den Glücklichen gehören, die gut schla-fen, mag Sie das alles nicht sonderlich beunruhigen. Aberschlechter Schlaf hat nicht nur für den Betroffenen, son-dern die ganze Gesellschaft weitreichende Konsequenzen,und jeder Einzelne kann davon in Mitleidenschaft gezo-gen werden, etwa durch einen müdigkeitsbedingten Unfall.Hinter jedem einzelnen Fall steckt nicht nur das individu-elle Leid, sondern Schlafprobleme mindern in der Summedie Leistungsfähigkeit unserer Gesellschaft in einem Maße,wie wir es uns kaum vorstellen können. Sie verursachenUnmengen an Kosten, Geld, das die Gesellschaft wesentlichsinnvoller verwenden könnte.

80 Prozent der deutschen Arbeitnehmer schlafen entwe-der zu kurz, nicht mehr gut oder schlecht. Das heißt, dassweit über die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung nichtnur das Risiko trägt, sich selbst zu gefährden, sondern auchandere. Bei ungefähr 20 Prozent der schweren Verkehrs-unfälle spielt die Übermüdung des Fahrers eine entschei-dende Rolle. Unter dem Heer von Unausgeschlafenen be-finden sich Politiker, leitende Manager, Schichtarbeiter, Pi-loten und Fluglotsen, Berufskraftfahrer, Lehrer, Polizisten,Krankenschwestern und Ärzte etc., die tagtäglich Gefahrlaufen, grobe Fehler zu begehen, falsche Entscheidungen

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zu treffen, Haushalts- und Arbeitsunfälle zu verursachen.Ein besorgniserregender Befund für unsere ganze Gesell-schaft.

Doch niemand ist gern ein schlechter Schläfer. Die meis-ten Menschen, die zu wenig schlafen, würden viel darumgeben, endlich wieder leicht ein- und durchschlafen zu kön-nen. Woran liegt es, dass sich der Schlaf der Deutschen ver-schlechtert hat? Und vor allem, was können wir dagegentun?

Um diese Frage zu beantworten, gilt es zunächst, dieUrsachen aufzuzeigen. Um ihnen, sofern sie individuellerNatur sind, gegebenenfalls zu Leibe rücken zu können.Indem wir unseren ungesunden Lebensstil umstellen, et-wa den übermäßigen Konsum von Alkohol, Nikotin oderMedikamenten, Schlafentzug durch Handy und Tablet & Co., Bewegungsmangel und falsche Ernährung. Diese in-dividuellen Verhaltensmuster lassen sich unter Umstän-den ändern. Aber was ist mit den psychosozialen Ursa-chen? Leistungsdruck, Stress, Doppelbelastung durch Be-ruf und Familie. Lärm und Lichtverschmutzung. SozialeProbleme. Existenzsorgen. Schichtarbeit. Zunehmende Ar-beitsüberlastung. Faktoren, die der Einzelne kaum beein-flussen kann: Hier sind Arbeitgeber, Gewerkschaften unddie verantwortlichen Gesundheitspolitiker gefragt, um dienotwendigen Rahmenbedingungen für Veränderungen zuschaffen.

Denn: Guter Schlaf liegt nicht nur im gesundheitlichenInteresse jedes Einzelnen, sondern auch in gesamtgesell-schaftlicher Verantwortung. Der zunehmende Schlafman-gel ist eine Entwicklung, der bisher nichts oder kaum et-was entgegengesetzt wird. Mit diesem Buch möchte ich ei-nen Beitrag dazu leisten, dass den individuellen und ge-sellschaftlichen Folgen von Schlafmangel und gestörtemSchlaf endlich die gebührende öffentliche Aufmerksamkeitgeschenkt wird, dass die Verantwortlichen in der Politik

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und den Betrieben endlich gegensteuern, damit dem Schlafder Platz in unserem Leben eingeräumt wird, den er ver-dient. Um zu verstehen, wie essenziell der Schlaf für dieErholung des Organismus und für das Immunsystem ist,nehme ich Sie mit auf eine Reise in das Schlafzentrumdes Gehirns und versuche, die komplexen Vorgänge zu ver-anschaulichen, die unseren Schlaf-Wach-Rhythmus bestim-men, und welche Rolle die Hormone und andere Fakto-ren dabei spielen. Ferner stelle ich Ihnen den Schlaf un-serer Kinder und die Auswirkungen von kurzem und / oderschlechtem Schlaf vor, und Sie erhalten einen Einblick indie verschiedenen Arten von Schlafstörungen und derenUrsachen sowie in die aktuellen schlafmedizinischen Er-kenntnisse, Therapien und Trends.

Lassen Sie uns zuerst die beunruhigenden Daten überunser Schlafverhalten betrachten, die mich unter anderemdazu bewegt haben, dieses Buch zu schreiben.

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Kapitel 1Der vernachlässigte Schlaf:

Alarmierende FaktenDem Schlaf wird kein Respekt gezollt, hat die Amerika-nische Schlafstiftung festgestellt, obwohl er genauso wieBlutdruck, Atmung, Körpertemperatur und Puls ein wich-tiges Zeichen für Gesundheit und Wohlbefinden ist. Demkann ich nur zustimmen. Eine Reporterin brachte es imHerbst 2017 auf einer Pressekonferenz zum Thema Schlafauf den Punkt. Sie meldete sich zu Wort und gab an, dasssie nachts gern acht bis neun Stunden schlafe, das tue ihrgut, mit diesem Schlafpensum sei sie leistungsfähig, fit undgesund. Nur traue sie sich normalerweise nicht, ihre Wohl-fühlschlafzeit laut zu sagen. Sie befürchtet, als unproduk-tive Langschläferin, Faulenzerin oder wie auch immer ab-gestempelt zu werden. Tatsächlich bildet sie sich das nichtnur ein, sondern genießt der Schlaf in unserer Gesellschaftnach wie vor einen geringen Stellenwert. Bereits eine nor-male, gesunde Schlaflänge gilt als anrüchig – genauso wieder Mittagsschlaf und das Nickerchen zwischendurch. Aus-giebig zu schlafen, scheint mit der modernen Leistungs-gesellschaft nicht kompatibel zu sein. Woher kommt das?Der Philosoph Arthur Schopenhauer nannte den Schlaf den«kleinen Bruder des Todes», verlieren wir im Schlaf dochgrößtenteils unser Bewusstsein. Die Ratio ist hingegen un-weigerlich mit dem Wachsein verbunden. So verwundert esnicht, dass der Schlaf bei den Denkern der Aufklärung we-nig Ansehen genoss.

Doch allmählich scheint das Bewusstsein dafür zu erwa-chen, wie wichtig ein gesunder Schlaf ist. In den letztendrei Jahren wurde eine Reihe von Umfragen zum ThemaSchlaf publiziert. Schauen wir uns zunächst an, wie viel wir

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Deutsche im Durchschnitt schlafen. Hier ist eine Umfra-ge aufschlussreich, die 2016 das Markt- und Meinungsfor-schungsinstitut Forsa im Auftrag eines Bankhauses durch-geführt hat. 1003 Personen wurden in Deutschland zu ih-rem Schlaf befragt. Es zeigte sich, dass die Teilnehmer derStudie unter der Woche – abgesehen von Freitag – über-wiegend zwischen 22 und 23 Uhr ins Bett gingen und zwi-schen 6 und 8 Uhr aufstanden. Das hört sich für mich alsSchlafforscher erst einmal ganz gut an. Ein weiterhin inter-essantes Ergebnis war, dass die Männer in der Regel kür-zer schliefen als die Frauen, allerdings nur kürzer, nichtschlechter. Weiterhin wurde deutlich, dass sich die Fak-toren gute Gesundheit, intakte Partnerschaft und Freiheitvon Geldsorgen positiv auf einen gesunden Schlaf auswir-ken. Hingegen führten Geldsorgen, die in dieser Umfrageim Auftrag eines Bankhauses natürlich eine Rolle spielten,bei einem Drittel der Befragten zu schlechtem Schlaf, unddie Sparer schliefen besser als Nicht-Sparer. Dieses Ergeb-nis deckt sich mit internationalen Umfragen, die ebenfallszeigten, dass ein guter Kontostand beziehungsweise Geld-sorgenfreiheit für einen besseren Schlaf sorgen.

Im Rahmen einer anderen Umfrage von 2015, die eben-falls die Forsa im Auftrag der Knappschaft-Krankenkas-se durchführte, wurden 1516 erwachsene Versicherte zumSchlaf befragt. Mehr als ein Drittel schläft nur sechs St-unden oder weniger pro Nacht. Das hört sich schon weni-ger gut an. Nur 41 Prozent kommen auf sieben Stunden.Das sind zu wenige. In Nordrhein-Westfalen gibt es dem-nach die meisten Kurzschläfer, ob sie nun gewollt oder un-gewollt wenig schlafen. Acht Stunden oder länger zu schla-fen, gaben häufiger Ostdeutsche als Westdeutsche an, Be-fragte unter 30 und über 60 Jahren sowie Nichterwerbstä-tige und Personen ohne Kinder im Haushalt. Am Wochen-ende schlafen 43 Prozent der Befragten länger, meist cir-ca zwei Stunden, was mir wenig erscheint. Nicht die zwei

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Stunden, sondern die 43 Prozent. Denn aus schlafmedizini-scher Sicht ist es ratsam, am Wochenende länger zu schla-fen, wenn man unter der Woche dem Körper Schlaf vor-enthalten hat. Warum? Ich nenne Ihnen ein kurioses, wennauch sicherlich nicht das wichtigste Argument dafür: Ko-reanische und amerikanische Wissenschaftler haben her-ausgefunden, dass jede Stunde, die man am Wochenendemehr schläft und mit der man das unter der Woche ange-häufte Schlafdefizit abbaut, zu einer Gewichtsabnahme von0,12 Kilogramm pro Quadratmeter Körperoberfläche führt.Das wären bei mir etwa 342 Gramm pro Wochenende. ImJahr könnten das also 15 Kilo sein. Dies könnte zumindestfür all jene, die mit überschüssigen Pfunden kämpfen undsich an den freien Tagen noch weniger Schlaf gönnen alsunter der Woche, ein Ansporn zum Ausschlafen am Wo-chenende sein.

Doch zurück zu der Umfrage: 46 Prozent der Befragtenwürden gern länger schlafen. Daran kann man unter Um-ständen arbeiten, zum Beispiel, indem man sich einfachmehr Zeit zum Schlafen nimmt. Aber das trifft natürlich nurauf jene zu, die aus eigenem Antrieb wenig schlafen, weilsie zum Beispiel die Nacht zum Tag machen. ZahlreicheMenschen können sich schlicht nicht mehr Schlaf gönnen,zum Beispiel weil kleine Kinder sie nachts auf Trab haltenoder sie ganz einfach Mühe haben, Beruf und Familienall-tag unter einen Hut zu bringen. 30 Prozent der Befragtengaben an, unter qualitativ schlechtem Schlaf zu leiden. Die-se Zahl korreliert mit den deutschlandweit 30 bis 35 Pro-zent sogenannten schlechten Schläfern. Diese Prozentzahl,die aus früheren Untersuchungen und Befragungen resul-tiert, nimmt seit fünf Jahren beständig zu. Ursache bezie-hungsweise Auslöser für den schlechten Schlaf der Befrag-ten der Knappschaft-Umfrage waren bei 66 Prozent Sor-gen, bei 45 Prozent die Gedanken an den nächsten Tag, bei30 Prozent Lärm und bei 29 Prozent erlebter und zu erwar-

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tender Stress. Es sind demnach die Alltagssorgen, die denmeisten Personen den Schlaf rauben. Würden wir alle wie-der gut schlafen, wenn es keine Sorgen und keinen Arbeits-stress gäbe? Nein, auch in einer sorgenlosen Gesellschaftgäbe es mehr oder weniger gute und schlechte Schläfer.Denn wie gut wir schlafen, ist nicht zuletzt auch eine Frageder Veranlagung und der Gewöhnung und weiterer Fakto-ren, die uns möglicherweise den Schlaf rauben. Doch dazumehr im fünften Kapitel.

Laut der genannten Studie kennt mehr als die Hälfte derBefragten keinen erholsamen Schlaf, leidet mehr als einDrittel unter Schlafstörungen und klagt mehr als ein Drit-tel über Tagesmüdigkeit. Frauen sind mehr von Schlafstö-rungen betroffen als Männer, und 20 Prozent der Befragtenleiden unter Albträumen. Am besten schläft es sich laut die-ser Umfrage übrigens im Süden der Republik, sofern manzwischen 18 und 25 Jahre alt ist, einer beruflichen Beschäf-tigung nachgeht und nicht verheiratet ist.

53 Prozent der Befragten schlafen allein, vor allem imOsten und in Nordrhein-Westfalen – was dem Umstand ge-schuldet ist, dass es in unserer Gesellschaft immer mehr Al-leinstehende und weniger Kinder gibt. Außerdem zeigt sichbei den Befragten ein Zusammenhang zwischen schlechtemSchlaf und Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes.

Einen aufrüttelnden Gesundheitsreport mit Fokus aufSchlafstörungen hat 2017 die Krankenkasse DAK veröffent-licht. Ich wurde als Experte eingeladen, den Bericht zu le-sen, zu bewerten und zu diskutieren, und er hat mich wie-der einmal in meinem täglichen Kampf gegen die Insom-nie – der medizinische Fachbegriff für Schlaflosigkeit undSchlafstörungen – bestätigt. Die Kernaussage des Reportsresultiert aus dem Vergleich mit Umfrageergebnissen ausdem Jahr 2010. Demnach sind die Schlafprobleme bei denVersicherten der DAK in nur sechs Jahren um circa 66 Pro-zent angestiegen. Nicht nur die gelegentliche Schlafstö-

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rung, sondern auch die Insomnie, also die bereits manifes-te Erkrankung, nimmt zu. Diese Zahl ist erschreckend unddeckt sich mit der steigenden Zahl an Betroffenen, die sichzunehmend bei uns in der Schlafambulanz vorstellen. Unddie Schlafgestörten werden immer jünger. Noch vor zehnJahren war der durchschnittliche Schlafapnoe-Patient, eineandere häufige Schlaferkrankung, 55 Jahre alt, und der Al-tersdurchschnitt der Insomniker lag etwas darüber. Heu-te ist der Altersdurchschnitt der Schnarcher und Schlaf-apnoiker geringfügig niedriger, was mit der allgemeinenGewichtszunahme zu tun hat, während der des Insomnikersdeutlich gesunken ist. Das durchschnittliche Alter der sichbei uns vorstellenden Patienten mit einem sensiblen oderschlechten Schlaf beträgt heute circa 40 bis 45 Jahre.

Die Süddeutsche Zeitung nahm den DAK-Report zum An-lass, um über den Irrsinn des Sparens am Schlaf zu schrei-ben. Der Artikel zitiert den Slogan auf einem Werbeplakateiner amerikanischen Zeitarbeitsfirma. Unter einer über-nächtigten Schönheit ist zu lesen: «Wenn dein Mittagessenaus einem Kaffee besteht. Wenn du zu Ende bringst, wasdu angefangen hast. Wenn Schlafentzug die Droge deinerWahl ist. Dann bist du vielleicht ein ‹Macher›.» Der Sub-text lautet: Dann bist du jemand, der arbeiten kann, keineTages- oder Nachtzeit kennt, dann passt du perfekt zu uns(der Firma) und damit in die Gig-Economy. In den Videosder Kampagne greifen junge, hippe Models auch noch aufdem Klo und beim Sex zum Handy. Dümmer geht es nicht.Die «Mitarbeiter», die gesucht werden, sind keine Macher,sondern extreme Selbstausbeuter, die sich ihre Gesundheitruinieren lassen.

Eine letzte deutschlandweite Umfrage, die ich zitierenmöchte, wurde 2017 vom Meinungsforschungsinstitut TNSEMNID unter 3491 Deutschen veröffentlicht. Sie decktinsbesondere noch einmal die regionalen Unterschiede inDeutschland auf. Laut dieser Umfrage beträgt die durch-

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schnittliche Schlafzeit sechs Stunden und 54 Minuten, al-so im Durchschnitt unter sieben Stunden. Da hier die Wo-chenendtage mitberücksichtigt sind, ist dies, wie bereits er-wähnt, nach den heute gültigen Richtwerten für einen ge-sunden Schlaf zu kurz. 7,5 Stunden Schlaf gelten als opti-mal. Aber entscheidend ist, wie ausgeschlafen sich jederEinzelne mit seiner individuellen Schlafdauer fühlt. Auffäl-lig ist jedoch, dass die durchschnittliche Schlafdauer ab-nimmt: Laut Umfragen von vor fünf bis zehn Jahren betrugdie durchschnittliche Schlaflänge in Deutschland noch sie-ben Stunden und zehn Minuten. Interessant ist auch derVergleich der Schlafdauer in den verschiedenen Bundeslän-dern: Am schlechtesten schlafen die Berliner und generelldie Städter. Mögliche Ursachen sind sicher Stress, Licht,Lärm, finanzielle Sorgen und eine höhere Außentempera-tur, vor allem im Sommer. Und es gibt ein Nord-Süd-Gefäl-le. Im Norden wird allgemein besser geschlafen als im Sü-den – die bereits erwähnten beschäftigten Alleinstehendenunter 25-Jährigen sind auch hier ausgenommen.

Verschiedene Umfragen kommen jedoch hin und wieder zuscheinbar widersprüchlichen Ergebnissen. Das ist daraufzurückzuführen, dass die Studien methodisch verschiedenangelegt und Schlafgewohnheiten höchst heterogen sind.So können die Gründe für den schlechten Schlaf des einenden guten Schlaf eines anderen begünstigen. Dieses Dilem-ma zeigt sich in dem Vergleich mit einer älteren Studiedes Robert Koch-Instituts, die mit mehr als 7000 Befragtendurchgeführt und 2013 veröffentlicht wurde. Diese Umfra-ge kam zu dem Schluss, dass die häufigsten Schlafproblemeund Schlafstörungen (Insomnie) im Norden der Republik,mehr im Westen als im Osten und mehr auf dem Land undin kleineren Städten auftraten. Eine mögliche Erklärungist, dass finanzielle Sorgen in gewissen ländlichen Gebie-ten eher größer sind als in der Stadt und der auf dem Land

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Schlafende gegenüber Störungen nicht so gestählt ist wieder Großstädter. Sein Schlaf ist häufig sensibler und leich-ter störbar, da er Ruhe gewöhnt ist. So berichten mir Men-schen, die in Einfamilienhäusern leben und in ruhiger Ab-geschiedenheit schlafen, immer wieder, sie hätten Proble-me, in einer geräuschintensiveren Umgebung in den Schlafzu finden.

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Wie schlafen unsereeuropäischen Nachbarn?

Schlafen eigentlich nur wir Deutschen so schlecht, odersind auch unsere europäischen Nachbarn häufig unaus-geschlafen? Besonders erhellende Datenerhebungen gibtes von den Briten, lassen Sie mich daher einen Blick aufdie dortige Situation werfen. Eine Befragung, die 2013mit 5007 Teilnehmern durchgeführt wurde, lieferte ähnli-che Ergebnisse wie hierzulande. Auch dort wurde die Si-tuation über einen bestimmten Zeitraum hinweg beleuch-tet: 2010 schliefen 27 Prozent weniger als sechs Stunden,drei Jahre später waren es schon 34 Prozent, und heutesind es bereits mehr als 45 Prozent. Eine erschreckendeTendenz. Nur 32 Prozent der jugendlichen Briten im Al-ter zwischen 16 und 24 Jahren geben an, gut zu schlafen,bei Menschen zwischen 45 und 54 Jahren sind es gar nur21 Prozent. In der Metropole London schläft jeder Dritte(29 Prozent) schlecht, in Wales nur jeder Fünfte (19 Pro-zent). Wahrscheinlich aus denselben Gründen, aus denenin Deutschland die Berliner tendenziell schlechter schlafenals die Bewohner ländlicher Gegenden: weil es dort wenigerlaut und hektisch ist. Der Brite kommt durchschnittlich aufsechs Stunden und 35 Minuten Schlaf, also auf noch weni-ger als der Deutsche, und schläft im Schnitt um 23 . 15 Uhrein. Jeder Zehnte nennt Stress als Ursache oder Auslöserfür seine Schlafstörung. Die Bettgehzeiten der Briten sindvergleichbar mit denen in Deutschland, was zeigt, dass so-wohl Dauer und Qualität des Schlafs als auch die Schlafens-zeiten in den Industrienationen ähnlich sind.

In einer neueren, vielbeachteten britischen Untersu-chung der RAND Corporation wurden in den Jahren 2015und 2016 62 366 Personen befragt. Ziel war es, herauszu-finden, was uns wie viel Minuten an Schlaf kostet. Nehmen

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Sie sich etwas Zeit für diese interessante Auflistung. DasAlter der Befragten lag überwiegend zwischen 20 und 55 Jahren. Zu einem kurzen Schlaf führten demnach persön-liche Faktoren wie z. B. Stress, sozio-demographische Fak-toren und die bereits erwähnten finanziellen Probleme, diein der Summe jede Nacht zehn Minuten Schlaf rauben; ei-ne fehlende Krankenversicherung verkürzt den Schlaf umfünf Minuten, und wer Kinder unter 18 Jahren betreut, büßtnochmals durchschnittlich 4,2 Minuten Schlaf ein. Ist manmännlichen Geschlechts, dann verliert man zusätzlich neunMinuten Schlaf im Vergleich zu den Frauen. Bei Alleinste-henden fallen 6,5 Minuten weg. Es sei denn, man war schoneinmal verheiratet und ist jetzt Single, dann sind es nur4,8 Minuten weniger als bei Verheirateten. Psychische Er-krankungen schlagen mit 17,2 Minuten zu Buche, und dieauch nicht seltenen muskuloskelettalen Erkrankungen – Er-krankungen des Bewegungsapparats, die häufig bei älterenMenschen auftreten – mit 2,7 Minuten.

Das sind alles Faktoren, die wir im Zweifelsfall wenig be-einflussen können. Jetzt aber zu den Dingen, die wir selbstin der Hand haben. Rauchen raubt fünf Minuten Schlaf, feh-lende körperliche Aktivität (weniger als 120 Minuten proTag) 2,6 Minuten und mehr als zwei zuckerhaltige Geträn-ke am Tag 3,4 Minuten.

Und wie wirkt sich der jeweilige Arbeitsplatz aus? Werkeine Wahlmöglichkeit bei der Ausübung der Tätigkeit hat,schläft 2,3 Minuten weniger, 3,7 Minuten sind es bei feh-lender Unterstützung durch den Vorgesetzten, 2,6 Minutenbei falscher Anleitung durch den Vorgesetzten, acht Mi-nuten bei unrealistischem Zeitdruck, 2,7 Minuten bei irre-gulären Arbeitszeiten, 9,2 Minuten bei einem Arbeitsweg,der zwischen 30 und 60 Minuten dauert, und 16,5 Minuten,wenn man länger als 60 Minuten zur Arbeitsstelle braucht.

Nun mögen diese vielen Einzelminuten für sich genom-men geringfügig erscheinen, doch in den meisten Fällen

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treffen mehrere Faktoren gleichzeitig zu. Also wenn jemand45 Minuten zur Arbeit pendelt, in Schichten arbeitet undZeitdruck ausgesetzt ist, dann schläft er schon eine halbeStunde (28,5 Minuten) weniger als jemand, der regulär ar-beitet, nur 15 Minuten zur Arbeitsstelle braucht und im Jobkeinen Stress hat. Das sind 173 Stunden Schlaf pro Jahr!

Diese Befragung zum Thema Schlaf hat viel Aufsehenerregt. Denn es gibt nur wenige Untersuchungen mit einerderart hohen Teilnehmerzahl, die das tägliche Schlafdefizitso präzise abgefragt haben, wodurch dessen Ursachen ver-deutlicht werden konnten.

Interessante Ergebnisse förderte auch eine holländischeUntersuchung zutage. Über einen Zeitraum von 20 Jahrenwurde die Schlaflänge von 3695 Personen im Alter zwi-schen 20 und 59 untersucht, die am Schluss folglich zwi-schen 40 und 79 Jahre alt waren. Wie sich herausstellte,blieben 56 Prozent der Teilnehmer über die vielen Jahrehinweg gute Schläfer mit sieben bis acht Stunden Schlaf,während 40 Prozent der Teilnehmer zunehmend zu Kurz-schläfern mit weniger als sechs Stunden Schlaf wurden.Diese Untersuchung bestätigt die Tatsache, dass es durch-aus viele gute Schläfer gibt, bei denen sich die Schlafdauerauch mit zunehmendem Alter nicht ändert. Und sie sind inder Überzahl. Doch bei mehr als einem Drittel nimmt mitzunehmendem Alter die Schlaflänge ab, und in den meistenFällen wird auch die Schlafqualität schlechter. Einige lei-den schließlich unter Insomnie. Etwas anderes ist hingegenein landläufig und karikierend mit «seniler Bettflucht» be-zeichnetes Phänomen. Das bedeutet, dass sich das Schlaf-verhalten mit zunehmendem Alter ändert. Aus einem star-ken körperlichen Schlafbedürfnis heraus gehen ältere Men-schen häufig früh ins Bett und wachen sehr früh wieder auf.Um sich dann schlaflos im Bett zu wälzen.

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Nachdem wir das Schlafverhalten von Erwachsenen be-trachtet haben, möchte ich die Gruppe der Schüler, Stu-denten und Auszubildenden in den Blick nehmen. Leidergibt es zu deren Schlaf-Wach-Verhalten im deutschsprachi-gen Raum keine Erhebungen. Die mache ich in der Pra-xis selbst: Wenn ich in der Universitätsklinik Seminare zumThema Schlaf halte, frage ich die Studenten jedes Mal zumAuftakt, wie lange sie letzte Nacht geschlafen haben. Ichgebe folgendes Zeitfenster vor: einen Schlaf von wenigerals sechs Stunden, zwischen sechs und acht Stunden undmehr als acht Stunden. Die Ergebnisse fallen immer sehrähnlich aus. Circa 10 bis 15 Prozent der Studenten schla-fen mehr als acht Stunden, und der Rest teilt sich unge-fähr hälftig auf die kürzeren Schlafzeiten auf. Das heißt,dass circa 40 Prozent der Studenten deutlich zu kurz undweitere 40 Prozent grenzwertig kurz schlafen. Im Alter zwi-schen 20 und 30 braucht man noch circa acht bis 8,5 Stun-den Schlaf. Fazit: Auch unsere Medizinstudenten schlafenzu wenig. Aber nicht nur die. Schon vor elf Jahren berichte-ten 87 Prozent der Studenten in den USA, nicht ausreichendSchlaf zu bekommen. Das sind 87 Prozent zu viel, denn zuwenig Schlaf und Müdigkeit beeinträchtigen die Lernfähig-keit. Und wie sieht es bei den Schülern aus? Auch bei ihnenhat die Gesamtschlaflänge weiter abgenommen, wie eineUmfrage des Centers of Disease Control and Prevention inden USA bei Oberschülern ergab. Schliefen im Jahr 2013bereits schon 68,3 Prozent der Schüler weniger als 8 Stun-den, so stieg diese Zahl 2015 weiter auf 72,7 Prozent an.Dabei gilt bei Teenagern im Alter zwischen 13 bis 18 Jahreneine durchschnittliche Schlafdauer von acht bis zehn Stun-den als notwendig.

Zu den Auswirkungen von Schlafdefiziten und Schlafstö-rungen bei Kindern und Jugendlichen später noch mehr.

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Egal, ob die diversen Studien Erwachsene oder Jugendlichein den Blick nehmen: Als Schlafmediziner kann man nurfroh sein über derart fundierte Informationen. Diese Unter-suchungen leisten Schützenhilfe für Gespräche mit Kran-kenkassen, Entscheidungsträgern, Vorständen von Indus-trieunternehmen, Schuldirektoren und Politikern. Die Da-ten, die sie erheben, sind überaus wichtig, weil sie die Au-gen für die zunehmenden Probleme öffnen. Die Zahlen hel-fen auch, Versorgungsforschung zu begründen. Denn bean-tragt man heute Fördergelder in Deutschland oder der Eu-ropäischen Union, dann muss man seine forschende Fach-richtung angeben. Da die Schlafmedizin als Fachrichtungleider nicht vorgegeben wird, muss man sich überlegen,wo man sich inhaltlich aufgehoben fühlt, beziehungsweisein welcher Schublade die Chancen höher stehen, an Geldzu kommen. Ich bin Schlafmediziner, Internist, Pulmologe,Pathophysiologe, und das Schlafzentrum gehört zur Abtei-lung Kardiologie. Ich stehe also jedes Mal vor der Frage,welche Rubrik ich bei meinen Anträgen angebe: Herzkreis-lauf, Lunge, Grundlagenforschung oder Zentralnervensys-tem. Das ist eine Lotterie mit entsprechend niedrigen Ge-winnchancen, nicht zuletzt weil wir innerhalb dieser Rubri-ken Exoten sind. Ich hoffe, dass die Zahlen der aktuellenErhebungen endlich auch die Gesundheitspolitiker auf denPlan rufen. Denn es ist höchste Zeit, dass auf allen Ebenenetwas getan wird: der Wissenschaft, der Medizin sowie derPrävention und Gesundheitsförderung.

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Ein nächtlicher Plausch mit demNachbarn – die Schlafgewohnheiten

unserer VorfahrenDie aktuellen Studien und Umfragen werfen kein positivesLicht auf unseren Schlaf: Wir schlafen nicht nur zu kurz,sondern auch schlecht oder kurz und schlecht. Und Lang-zeituntersuchungen zeigen, dass sich die Probleme auswei-ten und verstärken. Doch war es früher wirklich besser?Haben unsere Vorfahren acht Stunden am Stück durchge-schlafen und waren dann 14 Stunden lang ausgeruht undwach? Zunächst gilt es als erwiesen, dass wir heute eineStunde weniger schlafen als vor 100 Jahren und einige St-unden weniger als vor der Industrialisierung und vor derEntdeckung des elektrischen Lichts. Die segensreiche Er-findung von Straßenlampe und Glühbirne führte auch dazu,dass sich unser Schlafmuster änderte. Denn davor schlie-fen die Menschen oft noch in zwei Phasen, mit einer Wach-phase von circa zwei Stunden dazwischen. Das, was heuteals Schlafstörung gilt, war damals gang und gäbe. Und dieMenschen wälzten sich nicht etwa sinnlos im Bett, sondernnutzten diese Schlafpause, um zum Beispiel die Blase zuentleeren, Holz nachzulegen, eine Pfeife zu rauchen oderzu beten. Eine eigene Sorte von Gebetbüchern war dieserwachen Nachtstunde gewidmet. Manchmal begab man sichauch auf einen Plausch zum Nachbarn. Daher erklärt sich,warum in den Werken des englischen Dichters Chaucer, derim 14. Jahrhundert lebte, häufig vom «ersten Schlaf» dieRede ist. Und befremdlich klingt für heutige Ohren auch diefolgende Stelle aus Don Quichotte: «Don Quichotte entrich-tete der Natur seinen Zoll, indem er dem ersten Schlummerunterlag, aber den zweiten gestattete er sich nicht […].»

Das elektrische Licht hat uns den ausschließlich mo-nophasischen Schlaf gebracht, das heute bei uns vorherr-

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schende Muster nur einer Schlafphase. In der damit einset-zenden industriellen Revolution wurde bald die Betonungauf eine optimale menschliche Produktivität gelegt. Tho-mas Edison, der Vater des elektrischen Lichts, war übrigensder Meinung, dass mehr als drei bis vier Stunden Schlafungesund seien und das Leben ineffektiv machen würden.

Dafür, dass einige oder gar viele Menschen vor demEinzug des künstlichen Lichts biphasisch schliefen, zeugennicht nur die Werke Chaucers, sondern unzählige Dramen,Traktate und Tagebücher, wie ein Historiker von der Virgi-nia Tech University zutage förderte. Aber auch Experimen-te, die amerikanische Wissenschaftler 1992 durchgeführthaben, beweisen, dass ein gesunder Schlaf nicht unbedingtin einer einzigen Etappe erfolgen muss. Sie haben gezeigt,dass wenn man Probanden nur natürlichem Licht aussetztbeziehungsweise ihnen das künstliche Licht für 14 Stundenentzieht, sie zweimal vier Stunden schlafen, mit ein bis dreiStunden Pause zwischen den Schlafepisoden. So halten esheute noch häufig die Menschen in den mediterranen Län-dern. Nur wurden dort aus zweimal vier zwei unterschied-lich lange Schlafphasen. In Ägypten schläft man beispiels-weise sechs Stunden nachts und zwei Stunden am Tag. Imbengalischen Gebiet im Norden von Indien und in TeilenBangladeschs heißt der Nachmittagsschlaf Rice-Sleep, derSchlaf nach dem Essen von Reis. Nicht nur der König vonBotswana, sondern auch die Efe, eine Gruppe von Pygmäenim Kongo, schlafen, wenn es passt und nicht in einer gesell-schaftlich definierten Schlafenszeit. Die Aché, eine indige-ne Gruppe in Paraguay, nutzen die Nacht für Konversationund Rituale. Und die Temiar in Indonesien und die Iban aufder Insel Borneo pflegen, wie unsere Vorfahren in der vor-industriellen Zeit es taten, einen polyphasischen Schlaf. Beiden Tiv, einer Ethnie in Westafrika, sieht er folgenderma-ßen aus: Der erste Schlaf erfolgt ab Sonnenuntergang undder zweite Schlaf bis Sonnenaufgang. Dazwischen ist viel

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Zeit. Man steht also nach zwei Stunden Anfangsschlaf, derdem Abendmahl folgt, wieder auf und widmet sich dem Sex,dem Beten oder der Unterhaltung und legt sich dann wie-der hin, um noch einmal sechs Stunden Schlaf zu genießen.

Beispiele für nächtliche Betriebsamkeit finden sich auchim Nahen Osten. So schliefen die Einwohner von Muscat,der Hauptstadt des Oman, Anfang des 19. Jahrhunderts vorMitternacht (ab 22 Uhr) für zwei Stunden, um nach 2 Uhrmorgens die zweite Schlafphase zu beginnen. ZwischenMitternacht und 2 Uhr war man ähnlich wie in den vorhergenannten anderen Kulturen rege.

Dass nur ein monolithischer Schlafblock von ungefähracht Stunden gesund ist, hat sich also als Mythos erwiesen.Denn offenbar können wir auch in Etappen schlafen unduns ausgeruht fühlen. Nicht auf das Schlafmuster kommt esan, sondern auf die Gesamtschlaflänge, die wir benötigen.Sie können also gern versuchen, eines der beschriebenenSchlafmuster bei sich zu Hause einzuführen. Da unser ge-sellschaftliches Leben und Miteinander aber anders getak-tet ist, wird es vermutlich nicht so leicht sein, ein solchesMuster aufrechtzuerhalten.

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Schlafdefizit als GesundheitsrisikoDa man als Schlafmediziner tagtäglich die Auswirkungeneines schlechten und / oder zu kurzen Schlafs vor Augenhat, habe ich mich gefragt, inwieweit sich die weitverbreite-ten Schlafprobleme in weltweiten Erhebungen zu Gesund-heit und Krankheit widerspiegeln. Erstaunlicherweise tunsie es bislang gar nicht. In der Global Burden of Disea-se Study zum Beispiel, im Rahmen derer zwischen 1990und 2015 weltweit 1800 Forscher Daten zur Gesundheitder Weltbevölkerung ausgewertet und 79 Gesundheitsrisi-ken untersucht haben, wurden bedauerlicherweise keineDaten über die Auswirkungen von Schlafstörungen erho-ben. Untersucht wurde die Anzahl an Lebensjahren, die be-stimmte Krankheiten den Betroffenen durch frühzeitigenTod rauben, sowie die Anzahl von Jahren, in denen Men-schen aufgrund einer Krankheit mit Einschränkungen le-ben müssen. Folgende Risikoerkrankungen, die die meis-ten Lebensjahre kosten, wurden herausgefiltert: korona-re Herzerkrankung, Krankheiten mit Nacken- und Rücken-schmerzen, Lungenkrebs, Schlaganfall, Depression, Alzhei-mer, Diabetes mellitus, chronisch obstruktive Lungener-krankung und Darmkrebs. Allein die sogenannten Nicht-Infektionskrankheiten machen heute 40 Millionen Todes-fälle pro Jahr und damit 70 Prozent der durch eine Er-krankung verursachten Gesamttodesfälle aus. 17,7 Millio-nen von ihnen werden durch Herz-Kreislauf-Erkrankungenverursacht, 8,8 Millionen durch Krebs, 3,9 Millionen durchLungenerkrankungen und 1,6 Millionen durch die Zucker-krankheit.

Die Studie ermittelte auch die weltweit häufigsten Ge-sundheitsprobleme, die 10 Prozent der Weltbevölkerungbetreffen. Wenn schon nicht unter der Rubrik Krankhei-ten, hätten wenigstens hier Schlafstörungen und / oder Mü-digkeit berücksichtigt werden müssen. Stattdessen werden

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hier Karies, Kopfschmerzen, Eisenmangelanämie, Haaraus-fall, Migräne, Genitalherpes, Speicherkrankheiten und As-cariasis (Spulwurm) genannt.

Bleibt zu hoffen, dass in einer nächsten vergleichbarenErhebung auch Schlafstörungen die ihnen gebührende Rol-le spielen werden, denn sie stellen eines der häufigsten undstetig zunehmenden medizinischen Probleme unserer Ge-sellschaft dar.

Doch warum sind die Folgen von Schlafdefizit, Schlafstö-rungen und Müdigkeit so gravierend?, werden Sie sich viel-leicht fragen. Kennen wir sie nicht alle, die kurzen Nächte,die uns den Start in den neuen Tag erschweren und uns denlieben, langen Tag lang schlechte Laune machen? Davonwird man doch nicht krank – oder doch? Ja und nein. Erstwenn Schlafstörungen und Schlafdefizit chronisch werden,machen sie krank. Akute Schlafstörungen und ein akutesSchlafdefizit verursachen Unaufmerksamkeit, die zu Feh-lern, Unfällen, ja gar Katastrophen führen können. Letzteremögen vielleicht den Einzelnen nicht krank machen, stellenjedoch eine Gefahr nicht nur für ihn, sondern für andereund die Gesellschaft dar.

Darauf, welche Folgen Schlafdefizit und Schlafstörun-gen genau haben können und was unseren Schlaf beson-ders stört, gehe ich in den folgenden Kapiteln näher ein.Doch zunächst eine Reise in das Schlaf-Wach-Zentrum.

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