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Wie Meta-Services die Wirtschaft umkrempeln DIE ZUKUNFT DES KONSUMS

Leseprobe Die Zukunft des Konsums

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Wie werden wir künftig konsumieren? Was kommt nach der Dienstleistungsgesellschaft? Und welchen Anbietern werden wir künftig noch vertrauen?

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Wie Meta-Services die Wirtschaft umkrempeln

Die ZukunftDes konsums

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Herausgeber: Zukunftsinstitut GmbHKaiserstraße 5360329 FrankfurtTelefon +49 69 2648489-0, Fax: [email protected]

Chefredaktion: Thomas Huber

Autoren: Thomas Huber, Andreas Steinle, Franziska Steinle, Doris Armellini

Redaktionelle Mitarbeit: Jana Ehret, Lukas Glaser

Lektorat:Franz Mayer

Druck:Henrich Druck + Medien GmbH, Frankfurt

Grafik-Design: Katja Söngen

Cover-Foto:Getty Images, Chaos

ISBN 978-3-938284-77-3

© Zukunftsinstitut GmbH, Juni 2013Alle Rechte vorbehalten.

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Inhalt

4 Einleitung: service-Heaven!

10 management summary

14 TEiL 1: Die treiber der Veränderung

Megatrends formen ein neues Service-Universum

» individueller » vernetzter » mobiler

40 TEiL 2: service-Cluster für morgen

» Multigrafie-Märkte

» Unterwegs-Märkte

» Talentismus-Services

» Healthness-Services

90 TEiL 3: service heute – status und theorie

112 Quellenangaben

inHalt

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Zukunftsinstitut :: Meta-Service

Die Zukunft Des konsums

Service

Einleitung

Meta-

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Meta-Services, spezifisch für jeden Ein-zelnen, aber doch umfassend und ganzheit-lich auf einer höheren Ebene, wie es der Wortstamm „Meta“ ausdrückt.

Vom Hyper-konsum zum sinn-konsumDiese Meta-Services helfen uns, uns zu entfalten auf unserem Weg heraus aus dem Hyper-Konsum hin zum Sinn-Konsum. Der alte Konsum hat seine Kraft verloren: Wir sind, was das Materielle anbetrifft, über-wiegend ausreichend ausgestattet. Status verliert an Bedeutung, die Sirenengesänge aus den Zeiten des Hyper-Konsums schlagen nicht mehr an. Was wir suchen, ist das „rich-tige Maß“, Dinge, die uns helfen, unser Leben besser zu führen, befriedigender, sinnvoller.

Für die Anbieter und Marken bedeutet das: Wer seine Kunden nicht kennt, nicht mit ihnen kommuniziert, sie teilhaben lässt und unterstützt, wird in der ökonomischen Welt der Meta-Services nicht mehr stattfinden.

Für den Konsumenten heißt das: Die richtigen Angebote nutzen, Qualität ein-schätzen können, unser Zeitbudget besser verteilen, Verschwendung dort reduzieren, wo etwas unnötig ist, uns zur richtigen Zeit positiv überraschen – all das wird möglich, wenn der Einzelne bereit ist, sich zu er-kennen zu geben.

Die Zeiten der Dienstleistungshölle könnten bald vorbei sein: Denn vor uns liegt Service-Heaven! Es geht

um nichts weniger als um das, was nach der Dienstleistungsgesellschaft kommt. Denn etwas wächst zusammen, was lange getrennt war.Zwei Gründe sind dafür verantwortlich. Zum einen hat die Massengesellschaft aus-gedient. Und zum anderen treten wir in eine Ära real-digitaler Identität ein. Vernetzung ist keine Hexerei mehr, sondern Grundvor-aussetzung unserer Existenz, wie fließendes Wasser und Strom aus der Steckdose.Künftige Dienstleistungen unterstützen uns immer dann, wenn wir es wollen. Sie werden uns begleiten, wohin wir auch gehen, sie werden da sein, egal in welcher Situation wir uns befinden, sie werden uns umgeben wie die Luft: übergreifend, allgegenwärtig, unaufdringlich. Sie werden uns umhüllen wie eine Wolke und werden so zu unserer persönlichen Service-Cloud. Erst in den kommenden Jahren wird der wahre Wechsel möglich und stattfinden, vom Zielgruppen-ansatz zu einem situativen Konsum, weil wir alle nicht länger nur bloße Empfänger sind, sondern Sender werden. Dieser Umschwung wird die Welt der Produkte und Services komplett verändern. Übergreifende und kooperativ angelegte Systeme werden uns Angebote einer neuen Art machen können:

service-Heaven!

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Einleitung

schädliche Nebenwirkungen, bewusst in Kauf genommener vorzeitiger Verschleiß – die rege Nachfrage nach Transparenz befördern Nicht-Regierungsorganisationen, Medienberichterstattung und Konsumen-teninitiativen. Politische Institutionen ver-suchen zunehmend, diesen Deutungsraum mit eigenen Initiativen zurückzuerobern. Management bedeutet künftig vordringlich, einen glaubwürdigen Dialog zu installieren, wie die Service-Design-Spezialistin Lucy Kimbell in einer Studie konstatiert1.

services in der steinzeitDazu gilt es zunächst einmal die Grund-motivation zu erkennen, denn sie reicht weit darüber hinaus, über das angebliche Wundermittel der sozialen Medien eine folgenlose Mitgliedschaft in einer Fan-gemeinschaft zu erzeugen. Denn: Services sind so alt wie die Menschheit.

Da der Mensch evolutionär als soziales Wesen angelegt ist, war es von Anfang an biologisch unausweichlich, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen. Schließlich ging es um nichts weniger, als in einer extrem gefährlichen Umwelt das Überleben zu sichern. Dieser Grundimpuls steckt bis heute in jedem Servicegedanken. Helfen und sich helfen lassen. Der – zugegeben

schnittstellen der digitalen identitätWer also den Individuen künftig in ihrer Entfaltung helfen will, muss sich mit den Services um die Schnittstellen der digitalen Identität kümmern: Er muss zum Teil der persönlichen Service-Cloud werden. Das ist für alle Marktteilnehmer in den Industrie-staaten auch deshalb unumgänglich, weil die Märkte gesättigt sind. Die Menschen verfügen über ausreichend Produkte. Nach dem Discount-Hype der frühen Nullerjahre ist das Bewusstsein für Qualität wieder ge-wachsen. Qualitätsprodukte haben zumeist lange Haltbarkeiten. Beides zusammen führt dazu, dass hierzulande übergreifende Dienstleistungen im Einklang mit Pro-dukten zum interessantesten Wachstums-feld werden. Diese Meta-Services bieten enorme Chancen zur Differenzierung, zum Aufbau von Loyalität und Vertrauen.

Respektvolle Kommunikation wird zum zentralen Servicefaktor in einer immer transparenteren Welt. Dies wird klare Rück-wirkungen haben auf die Organisationen, ihr Selbstverständnis, das Management und die Angebote, die man dem Kunden macht. Letztlich heißt es nichts weniger als: Der Kunde regiert das Organigramm. Moralisch fragwürdige Geschäftspraktiken werden heute wesentlich offensiver entlarvt. Aus-beutung, Repressalien, Falschdeklarationen,

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Ansatz der Vergemeinschaftung. Wer es nicht schafft, an diese Ebene positiv anzuknüpfen, verliert den Kunden. Denn der Mensch ist nicht einfach ein rational gesteuertes Wirtschaftssubjekt, das nüchtern Preis gegen Nutzen bewertet, sondern Ergebnis einer jahrtausendelangen Evolution, die primär und überwiegend auf Steuerungsmechanismen beruht, die älter, unmittelbarer und unkon-trollierbarer sind als unser Bewusstsein.Wann jemand zum ersten Mal für einen Service bezahlen musste, ist nicht überlie-fert, denn zwischen Vulkanausbrüchen und stampfenden Mammuts war niemand da, der es für die Nachwelt dokumentiert hat. Es spielt auch keine Rolle, wann genau es war, viel entscheidender ist, warum. Einem Dienst am anderen einen Wert beizumessen, den man beziffern kann in einer konkreten Gegenleistung, offenbart nämlich die zweite Seite der Dienstleistung: die Sicht-weise des Einzelnen.

Auch dieser Zug ist so alt, dass wir keinen Anfang finden. Sobald die eigene Leistung für einen anderen dem Handelnden als wichtiger, asymmetrisch aufwändiger oder wertvoller erschien, waren die Bewertung und der Handel geboren. Leistungen jenseits von physischen Produkten zu handeln ist keine Errungenschaft der Dienstleistungs-gesellschaft moderner Prägung. Und von

prähistorische – Aspekt ist deswegen wichtig, weil er erklärt, warum Services so intensiv mit Emotion verbunden sind. Services rühren an eine tief in der menschli-chen Biologie verankerte Ebene.Wir fühlen uns persönlich angegriffen, wenn ein Service schief geht. Wir nehmen das stärker übel, als wenn uns ein Joghurt nicht schmeckt, das Taschentuch zu dünn war oder ein Reifen zu schnell abgefahren ist. Der Mechanismus dabei ist archaisch: Wir wollten uns helfen lassen, doch wir wurden missachtet. Ein Affront gegen unsere Natur. Sehr schwierig, sehr tief verwurzelt, sehr schwer wiedergutzumachen.

Dieser kurze Exkurs soll eines verdeutlichen: Unternehmen leben in einer wirtschaft lichen Umwelt, die sehr viel mehr umfasst, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Es ist nicht damit getan, sich das Produkt des Hauses an-zusehen und es schön zu verpacken. Es muss die Käufer und Benutzer auf einer Ebene erreichen, die schon den Steinzeitmenschen glücklich gemacht hätte. Es muss hilfreich sein in einem zutiefst sozialen Sinne.Das ist die grundsätzliche Herausforderung der Dienstleistung. Das mag in unserem täglichen Wirtschafts-Erleben weit hergeholt erscheinen, doch im Grunde basieren alle Überlegungen rund um bestehende und neue Services immer auf diesem fundamentalen

Es ist mit den Geschäften wie mit dem Tanze: Personen, die gleichen Schritt halten, müssen

sich unentbehrlich werden; ein wechsel seitiges Wohlwollen muss daraus entspringen.

Johann Wolfgang von Goethe

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Einleitung

und Dienstleistungen das Gefühl zu geben, von positiven Erfahrungen berichten zu können.

Diese positiven Erfahrungen zu erzeugen, wird mit dem Eintritt in das Digitalzeitalter realisierbarer. Natürlich werden auch ab sofort nicht alle Menschen in perfektem Glück leben können. Das Entscheidende aber ist: Mit den Meta-Services entsteht eine grundsätzlich neue Option zur Weiterent-wicklung unserer Gesellschaft, des Konsums, der Ökonomie, aber auch anderer Bereiche unserer Gegenwart.

Der Wunsch nach einem anderen, bes-seren und weniger hochtourigen Konsum ist an vielen Stellen spürbar – Meta-Services könnten hier für eine echte Evolution sorgen.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine inspirierende Lektüre,

Anfang an müssen solche Leistungen, wie wir gesehen haben, auch dem Einzelnen ent-sprechen. Insofern ist auch der individuelle Charakter schon immer ein grundlegendes Element der Dienstleistung.

Hunderttausend mal frustWieso also ist es dann bis heute so prob-lematisch, Services zu vermarkten? Wieso müssen täglich hunderttausende von Menschen Frustrationserlebnisse im Zusam-menhang mit Dienstleistungen verdauen, die sie an die Grenze der Explosion oder des Infarktes bringen? Müssen wir die Geschichte der Dienstleis-tungen eher als eine Historie des Abstiegs begreifen? Ein Ansatz, der unserem gän-gigen Bild von Ökonomie sehr zuwiderläuft. Dessen Lesart lautet: Morgen gibt es das bes-sere Angebot als heute. Auf diesem Modell fußt unsere Wirtschaftskommunikation. Wachstum ist Fortschritt. Täglich werden neue Leistungen erfunden, die Wachstum erzeugen und Fortschritt manifestieren sollen. Trotzdem sind die Menschen nicht zufrieden mit den Angeboten des Marktes. Weshalb? Dieser Frage wollen wir in unserer Studie nachgehen. Wir wollen die zentralen Treiber der Verän-derung beschreiben und Antworten suchen auf die Frage, was künftig anders laufen könnte, um den Nutzern von Produkten

Thomas HuberChefredakteur

Andreas SteinleGeschäftsführer

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Zukunftsinstitut :: Meta-Service Management Summary

Die Zukunft des Konsums wird bestimmt von Meta-Services: Nur mit einer erweiterten Wertschöpfungskette lassen sich Kundenbedürfnisse im komplexen Lebensalltag bedienen.

Meta-Services bilden die nächste Entwicklungsstufe der Dienst-leistungsgesellschaft: Konsum der Zukunft heißt Daten + Dinge + Kontakte + Kommunikation.

Digitalisierung und individualisierung definieren die Konsummärkte komplett neu: Statt isolierter Produkte oder Services werden endlich situativ passende Lösungen angeboten.

Big Data bedeutet Big Responsi-bility: Mehr interaktion mit dem Kunden fördert den Zwang zu mehr Transparenz, Verantwortung und zu besserer Leistung.

Der Massenmarkt der industrialisierung geht zu Ende: in der informations-gesellschaft wird jedes Produkt Kom-munikationselemente und -services enthalten müssen.

Einbahnstraßen-Märkte gibt es in Zukunft nicht mehr: Alle Branchen und Unternehmen müssen sich vernetzen und ihre Abschottung überwinden.

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Unsere Realität ist einem perma-nenten Wandel unterworfen. Viele der großen Veränderungsprozesse

entspringen dabei gewissen Konstanten, die wir, in Anlehnung an das Modell von John Naisbitt1, Megatrends nennen. Megatrends sind ein Grundpfeiler unserer Arbeit in der Trend- und Zukunftsforschung. Wir beschreiben damit epochale Verände-rungen, die uns alle betreffen. Sie fungieren als „Drifts“ in komplexen menschlichen Gesellschaften und arbeitsteiligen Öko-nomien. Sie geben eine Richtung vor, aber kein Ergebnis. Megatrends transformieren gesellschaftliche Zustände auf eine neue Ebene. Wie jedoch diese neuen Zustände genau aussehen werden, ist Ergebnis eines gesellschaftlichen Verhandlungs- und Verständigungsprozesses.

Es gibt klare Kriterien, um Megatrends als solche zu erkennen und zu definieren.

Dauer: Der Trend muss eine Laufzeit von mindestens 50 Jahren haben.

ubiquität: Er muss in allen Lebensberei-chen eine Rolle spielen und Auswirkungen zeigen: in Ökonomie, Konsum, Politik, Alltagsleben etc.

Globalität: Megatrends sind globale Phänomene. Sie verlaufen synchron und asymmetrisch zugleich: Sie lassen sich in sämtlichen Gesellschaften rund um den Globus beobachten, sind aber nicht überall gleich stark ausgeprägt.

komplexität: Megatrends sind in ihrem Wesen mehrschichtige und mehrdi-mensionale Trends. Sie repräsentieren einen evolutionären Druck, der unsere Gesellschaft, Wirtschaft, unsere ganze Kultur durchdringt.

Megatrends laufen über viele Jahre. Sie sind nichts anderes als „die großen Themen“, an denen sich Gesellschaften abarbeiten und für die neue Lösungen und Modelle gefunden werden müssen. Die Rationali-sierungen durch die technische und struk-turelle Entwicklung in der Industriegesell-schaft hat beispielsweise die Frage der Arbeit als einen zentralen Punkt der Lebensgestal-tung für lange Zeit auf die Tagesordnung gesetzt. Wir nennen diesen Megatrend „New Work“, weil es um eine tiefgreifende Wand-lung dessen geht, welche Arbeit welchen Stellenwert in der Gesellschaft und für den Einzelnen einnimmt. Eine Veränderung, von der wir alle wissen, dass sie noch keineswegs abgeschlossen ist.In welche Weise beeinflussen Megatrends also die Vorstellung davon, was eine Gesell-schaft unter Dienstleistung versteht? Wir wollen in diesem ersten Abschnitt zeigen, welche Megatrends hierbei als die wichtigsten Treiber aktiv sind und welche Auswirkungen die jeweiligen Trendentwick-lungen darauf haben, was die Menschen in den jeweiligen Gesellschaften als befriedi-gende Services empfinden und was sie von Unternehmen verlangen, wenn es darum geht, sich zu einer Beziehung im modernen Konsumumfeld zu entschließen.

anDere services DurcH megatrenDs

Die Treiber der Veränderung

Quelle: EUROSTAT, OECD

Jenseits Des materiellen Anteil der Wirtschaftsbereiche an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung europäischer Länder im Jahr 2011

Angaben in Prozent Dienstleistungen Industrie Bauwesen Agrar

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100

Norwegen

Slowakei

Tschechien

Polen

Ungarn

Deutschland

Österreich

Finnland

Spanien

Schweden

Irland

Schweiz

Italien

Niederlande

Portugal

Großbritannien

Dänemark

Belgien

Frankreich

Griechenland

Luxemburg

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Diese drei Strömungen beinhalten die Felder mit den größten Auswirkungen auf die Weiterentwicklung der Dienstleistungsge-sellschaft zu dem, was wir eine Entfaltungs-gesellschaft nennen könnten. In dieser wird es immer stärker darum gehen, die Sicht der Individuen in ein ökonomisches Gesamtmo-dell mit aufzunehmen. Die Massenproduk-tion wird erweitert zu einer ökonomischen Umgebung, die sich nicht mehr als Selbst-zweck versteht, sondern als ein Enabler des Einzelnen. Dieser Weg ist noch weit und wird erheblich über die nächsten fünf Jahre hinausreichen. Die umwälzenden Entwick-lungen der Digitalisierung haben uns jedoch an die Schwelle einer neuen Ära gebracht, in der dies immerhin möglich wird.Von der Dienstleistungsgesellschaft spricht man seit dem 20. Jahrhundert.2 Dass nicht-materielle Güter eben auch Güter sind, wurde schon in der industriellen Revolu-tion klar (siehe Teil 3). Diese hatte zu einer Entfesselung von Produktivkräften geführt, die einen schnellen Anstieg des Wohlstands für immer größere Teile der Bevölkerung mit sich brachte, wie das in den Jahrhun-derten zuvor noch nie gesehen worden war. Alles schien sich zugleich zu entwickeln: Mehr Produkte in immer besserer Qualität

Unser Blick richtet sich hierbei primär auf die europäischen Märkte. Megatrends sind zwar weltweit sichtbar, das heißt aber noch nicht, dass sie sich überall gleich schnell entwickeln und gleich weit vorangeschritten sind. Wir wählen den europäischen Blickwinkel, weil die Märkte hier vergleichbare Stadien repräsentieren (wenn wir von manchen osteuropäischen Ländern absehen) und großteils geteilte kulturelle Werte eine Beschreibung weniger unübersichtlich machen.Wenn wir über die Veränderungen von Services und Dienstleistungen in den kommenden Jahren sprechen, sehen wir drei zentrale Veränderungen, die bestimmen werden, welche Angebote von den Nutzern, Konsumenten, Menschen angenommen werden und welche nicht. Sie fußen auf den Veränderungsprozessen, die sich in drei Megatrends beschreiben lassen.

Die drei Megatrends, die Services der kommenden Jahre maßgeblich beeinflussen werden, sind:

» individualisierung » konnektivität » mobilität

Europäische Perspektive aus Gründen der Ver-

gleichbarkeit

Zeitgeist &Märkte

Moden &Produkte

Megatrends

Megatrends laufen lange und beeinflussen viele Bereiche der Gesellschaft.

Modell der Trendschichten

Quelle: Zukunftsinstitut

Natur

Zivilisation

Technologie

Konjunktur & Ökonomie

Die Treiber der Veränderung

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Der Aufstieg des tertiären Sektors verlief als Kurve, die in der Wertschöpfung schon ab den späten 50er Jahren begann, stärker zu steigen als die der Industrieproduktion. Seit den 70er Jahren arbeiten in Deutschland mehr Menschen in der Erstellung nicht-materieller Güter als materieller. Im Jahre 2013 steht der tertiäre Sektor in Deutschland für rund 68% des Bruttosozialprodukts. Zu diesen Bereichen gehören viele Branchen, die wir heute im Zusammenhang mit dem Begriff Dienstleistung oder gar Service kaum assoziieren, und zwar zunächst einmal vorurteilsfrei einfach deshalb, weil die Angebote uns so fundamental erschienen, dass wir kaum einen Gedanken an sie ver-lieren: Banken, Telekommunikation, Medien, Versicherungen, Verwaltungen und viele weitere Branchen.

zu immer geringeren Preisen, sagenhafter Aufschwung der Naturwissenschaften, die immer neue Technologien hervorbrachten, Medizin, Chemie, Elektrizität. Immer mehr Produkte verließen die Fabriken und machten das Leben für jeden Einzelnen ein-facher, angenehmer, interessanter. Die Ge-schichte des deutschen Wirtschaftswunders ist ein Sinnbild für die Erfolge des Industrie-zeitalters. Es gab so viel Neues zu erstehen, zu erleben, zu kaufen, dass über viele Jahr-zehnte kein Grund zu Beschwerde bestand, auch wenn das eine oder andere mal nicht hielt, was versprochen worden war. Morgen kommt ja der Nachfolger und die neue Kollektion wird alle Kinderkrankheiten beseitigen! Die Grundlogik der Massenpro-duktion schuf eine neue Weltordnung mit einem dazu passenden Konsumverständnis.

Treiber 1

inDiviDualisierung

und Bereichsgrenzen zu verabschieden. Der zentrale Ansatz wird künftig der freie Fluss der Daten sein müssen, ohne die es nicht möglich sein wird, den Kunden auf seiner Er-fahrungsreise mit der Marke durchgehend zu begleiten. Das bedeutet: mehr Daten-punkte, die zusammengebracht und analy-siert werden müssen, mehr Quellen, mehr Format, mehr Touchpoints. Mit dem Aufbau solcher Meta-Services wird der Kontakt mit den Kunden zunächst einmal komplizierter. Klare Anforderung für die Anbieter ist eine konsequente Beurteilung aller Angebote unter Gesichtspunkten der Einfachheit. Eine Befragung englischer Konsumenten ergab viel aktuelle Konfusion: Rund 30 Prozent fanden Online-Recherche nach Preisen und Angeboten als zu verwirrend, 20 Prozent verlieren nach eigener Ansicht dort viel zu viel Zeit – viele verlassen sich daher auf persönliche Tipps von Freunden und Verwandten.3 Das Beispiel der Commonwealth Bank of Australia zeigt die Chancen, aber auch die Anforderungen: Mir ihrer App adressiert die Bank Immobilieninteressenten. Diese be-ginnen ihre Reise mit einem Foto von einem Haus, das ihnen gefällt. Lokalisierung in Kombination mit Bilderkennungssoftware

Als entscheidender Treiber in diesem Zusammenhang erweist sich der Megatrend der Individualisierung. Seit Jahrzehnten formen sich Gesellschaften auf der ge-samten Erde auf der Basis eines neuen Selbstverständnisses um: der Überzeugung, dass jeder Einzelne das Recht hat, sein Leben gemäß seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Individualität wird hierbei interpretiert als Freiheit zur Wahl. Politisch, ökonomisch, weltanschaulich. Im begin-nenden 21. Jahrhundert zeigen sich diese Phänomene verstärkt in allen Teilen der glo-balen Welt – mit all ihren Gegenbewegungen und Rekursionen: Extremkonservatismus in den USA, Wiedererstarken des Sozialismus in Lateinamerika, Islamismus oder die Ab-schottungstendenzen der „Festung Europa“. Dennoch bleibt der Individualismus damit der bestimmende Trend der Erde. Seine Kräfte haben enorme Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Menschen und damit auch auf die Anforderungen, die sie an Services und Dienstleistungen stellen.

Der Wunsch nach personalisierten Dienst-leistungen exakt dort und dann, wenn sie gebraucht werden, on-demand, wird die Anbieter zwingen, sich von alten Kategorien

Quelle: Statistisches Bundesamt, Alleinlebende in Deutschland 2012

single-gesellscHaft DeutscHlanD16 Millionen Menschen in Deutschland leben allein im Haushalt. Aber nicht, weil sie einsam sind, sondern überwiegend, weil sie es als individualisten selbst so wollen.

Alleinlebende(Bundesland)

Einwohner

30%

3 Mio.1 Mio.500 000

Alleinlebende

15% Hannover33%

Frankfurt28%

Stuttgart26%

Nürnberg25%

Hamburg28%

Bremen27%

Berlin31%

Leipzig31%

Düsseldorf28%

Essen25%

Duisburg22%

Dortmund24%

Köln28%

Dresden28%

München29%

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

Die Treiber der Veränderung

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filtert dann das dazugehörige Angebot aus der Datenbank, versehen mit Preis, Nebenkosten, Steuern, analysiert dann die finanzielle Lage des Interessenten, seine Kreditwürdigkeit bis zu welcher Höhe und schlägt Kreditanbieter vor.4 Schon heute müssen für dieses individuelle Angebot eine ganze Reihe unterschiedlicher Quellen und Abteilungen eingeschaltet werden.

In der Hausgerätebranche experimentieren viele Hersteller mit erweiterten Verbin-dungen zum Lebensmitteleinzelhandel: Daten aus den Scannerkassen zum individu-ellen Einkauf können die Kühlschranktem-peratur auf die zu kühlenden Lebensmittel anpassen, Ernährungsgewohnheiten für den Kunden transparent machen, ihm Vor-schläge zu ergänzenden Einkäufen machen oder ihm vor Ort beim Einkauf zeigen, was im Kühlschrank gerade fehlt. Alle Einkäufe können in ein Haushaltsbuch übernommen werden. Banken senden dem Kunden eine Warn-Message, wenn das Konto sich dem Ende zuneigt. Allen diesen Angeboten sind zwei Dinge gemeinsam: Sie benötigen einen „grenzüberschreitenden“ Datenverkehr und müssen sich streng an die individuelle Sicht-weise auf die Lösungsvorschläge halten, um erfolgversprechend sein zu können.

Denn wir sprechen hier eine Historie an, die mittlerweile tief im kulturellen Ge-dächtnis des Westens verankert ist. Der Individualismus hat sehr alte Wurzeln, die bis in die Renaissance und die westliche Aufklärung reichen. Er ist dennoch modern, weil er wie kaum ein anderes Phänomen auch beeinflusst, wie wir Ökonomie, Erfolg und Befriedigung definieren. Der Erfolg des Industriezeitalters hatte seinen Motor im besseren Leben für jeden Einzelnen. Produkte für einen erleichterten Alltag und später für höheres Prestige waren über viele Jahrzehnte ein Versprechen auf eine immer schönere Zukunft und entschä-digten für harten körperlichen Einsatz und viele Entbehrungen.Der Erfolg dieser Idee war aber auch der Grund für das heutige Dilemma der Dienst-leistungswelt. Um dies zu verstehen, müssen wir uns das Paradigma des Individualismus theoretisch ansehen. Auf ökonomischer Ebene bedeutet die zunehmende Individu-alisierung eine stetig wachsende Ausdiffe-renzierung der Angebote, bis wir schließlich bei der Zielgruppengröße Eins angelangt sind. Jeder Einzelne möchte ein Angebot, das exakt zu seinem Lebensmodell, seinen Vorlieben, seinem Personal Set-up passt. Ein klarer Widerspruch zur Idee der Massen-produktion, die nur deswegen immer mehr

Produkte zu immer besseren Preisen her-stellen konnte, weil die Skalierungsvorteile schneller zunahmen, als die Preise verfielen.

Die Produktion individualisiert sichIn der Produktion kommt dem System dabei zunehmend ein Phänomen zugute, das in der Entwicklung des Individuums erst neuerdings wieder stärker entdeckt und beachtet wird: Es gibt eine natürliche Bremse der Individualisierung. Sie liegt in dem eingangs beschriebenen Dualismus des Menschen begründet. Dem Drang zu Autonomie und Freiheit steht auf der biologischen Ebene die evolutionär gewach-sene Natur des Menschen als soziales Wesen gegenüber. Der Einzelne reklamiert zwar die Freiheit der Wahl für sich, schließt sich aber aus freien Stücken Gruppen anderer an, mit denen er dann hohe Ähnlichkeiten aufbaut.

Dies lässt sich gut am Reizthema der Single-Gesellschaft verdeutlichen: Sie wird oft als negative Begleiterscheinung eines zunehmenden Individualismus angeführt. Die Statistiken zur Zunahme der Einperso-nenhaushalte scheinen dabei eine deutliche Sprache zu sprechen. Insgesamt leben 15,9 Millionen Menschen in Deutschland in Ein-personenhaushalten. Das ist jeder Fünfte. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist der Anteil von 14 Prozent im Jahr 1991 auf fast 20 Prozent im Jahr 2011 gestiegen.5 In Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern lebt sogar jeder Dritte nach der Statistik in einem Einpersonenhaushalt. Was die Statistiken jedoch nicht erläutern: Leben die Menschen tatsächlich als Singles oder handelt es sich um Paare, die einfach in zwei Wohnungen wohnen, sogenannte LATs (Living apart together)? Geht der Bewohner des Einpersonenhaushalts tatsächlich allein durchs Leben oder ist er ein moderner Berufspendler, der sich ein kleines Appar-tement für unterhalb der Woche am Ar-beitsort gemietet hat und am Wochenende zur Familie fährt? Die Statistik kommt mit der Pluralisierung der Lebensstile nicht mit. Zudem bedeuten 20 Prozent in Einpersonen-haushalten auch, dass trotz allem 80 Prozent in Mehrpersonenhaushalten leben. So gesehen relativiert sich der viel gebrauchte Begriff der „Single-Gesellschaft“ eher zu einer Peergroup-Betrachtung.

Diesen Peergroup-orientierten Ansatz nennen wir daher auch das Modell des „integrierten Individualismus“. Der Wunsch nach Individualität erzeugt praktisch nebenbei eine neue Art der Gemeinschaft. Im beginnenden 21. Jahrhundert wird die wichtigste Frage der Märkte daher sein,

Es gibt eine natürliche Bremse der Individua-lisierung

Foto: © MakerBot

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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insgesamt situativer. Er muss zunehmend in einem spezifischen Zeitkontext betrachtet werden, denn die Frage, „wann“ etwas passiert, bestimmt immer stärker, „was“ überhaupt passieren kann.In der Produktion lässt sich dieser Effekt durch Modularisierung mittlerweile immer besser adressieren. Technologische Verbesse-rungen steigern die Effizienz der Produktion so weit, dass über Modularisierung enorme Anzahlen von „pseudo-individuellen“ Pro-dukten erzeugt werden können, am besten zu sehen in der Automobilindustrie, der Sportartikel- oder der Bekleidungsbranche. Unzählige Peergroups sammeln sich um hochmodulare Anbieter wie Ikea, Zara, BMW, deren Produkte neue Gemeinschaft möglich machen, indem sie Kombinierbar-keit zum Prinzip machen und den Gruppen die Interpretation dann selbst überlassen.

Den nächsten Schritt werden die Kon-sumenten dann noch stärker selbst mit-bestimmen. Fabbing – oder auch Rapid Prototyping –, das Ausdrucken von Ge-genständen mittels 3D-Drucker, ist einer der am heißesten diskutierten Trends der Produktion. „Atoms are the new bits“ lautet die griffige Formel, mit der Visionäre wie Neil Gershenfeld vom MIT eine Analogie zu PC-Technologien ziehen. 2005 schrieb Ger-shenfeld in seinem Buch „FAB: The Coming Revolution on Your Desktop“: „Die Potenziale von maschinellem Werkzeug werden nun für den Normalmenschen erschwinglich in Form von Personal Fabricators (PFs).“ Um diese Entwicklung voranzutreiben, entwickelten Gershenfeld und sein Centre for Bits and Atoms die FabLabs, kleine Produktionsstätten, in denen von Alltagsgü-tern des täglichen Bedarfs bis zu Hightech-Produkten fast alles dezentral produziert (und repariert) werden kann. Über 50 dieser FabLabs sind mittlerweile weltweit im Einsatz, vom ländlichen Indien bis Boston, von Südafrika bis Nord-Norwegen. Als eines der ersten FabLabs in Deutschland gründete sich in Köln die Dingfabrik. Es ist eine offene „Werkstatt“, in der mithilfe von computergesteuerten Maschinen mehr oder minder komplexe Objekte produziert werden können, die sonst nur industriell oder aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht hergestellt würden. Äußerst interessant ist dieses Produktionsprinzip beispielsweise für das Herstellen von Ersatzteilen, die nur in kleinen Stückzahlen benötigt werden und schnell direkt vor Ort gefertigt werden können. In den USA hat sich bereits ein Markt für 3D-Ausdrucke und begleitende Dienstleistungen in Höhe von 558 Millionen Dollar in 2011 herausgebildet.7

wie diese Peergroups identifiziert und adressiert werden können. Dass es mit den herkömmlichen Methoden der Demographie einfachen Zuschnitts und den vermeintlich dazugehörigen Massenmedien nicht mehr funktioniert, ist evident. Was an deren Stelle tritt, ist derzeit hingegen noch längst nicht ausgemacht.

Die entscheidende Herausforderung ist die Dynamisierung des Systems. Die Kon-sumenten füllen zunehmend mehr Rollen gleichzeitig aus, verändern zudem im Ver-lauf ihres Lebens ihre Bezugssysteme immer drastischer. Konkret äußert sich das in einer geringeren Planbarkeit der Lebenskarriere. Private, familiäre und berufliche Biogra-phien werden immer wechselhafter und unterschiedlicher.6 Auf der technologischen Seite hat die Entwicklung des Internets zu einer Vervielfachung der Kommunikations-kanäle geführt. All das macht den Konsum

Makerbot3D-Drucker werden erschwinglich

Die multigraphische Lebenskarriere hat kaum

mehr etwas mit Plan-barkeit zu tun

Die Treiber der Veränderung

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Aus dem Massenprodukt mit „One Size fits all“-Ansatz wird so in den kommenden Jahren immer breitflächiger ein echtes Me-Produkt, weil der Kunde daran mitgewirkt hat.

Die meta-service-RevolutionGanz anders stellt sich die gegenwärtige Situation bei den Dienstleistungen dar. Hier ist die Unzufriedenheit gewaltig. Mit dem ungeheuren Wachstum der Nachfrage nach wirklich individueller Ansprache haben die Anbieter von Services bisher in keiner Weise mitgehalten, gleich ob es Dienstleis-tungen mit oder ohne eine Kopplung an das Produkt sind. Ähnlich wie unter dem Stichwort „Individuelle Medizin“8 sind vermeintlich individuelle Dienstleistungen im Grunde das genaue Gegenteil dessen, was ihr Name verspricht, nämlich vor allem eine Erfassung des Verhaltens der Vielen in Standardprozessen. Sie sind knallharte Rationalisierungen auf Kosten des Kunden. Individuell ist an ihnen maximal, dass jeder einzelne der Callcenter-Mitarbeiter keine wirkliche Lösung parat hat. Dabei stehen die Märkte mit dem Auf-kommen der Meta-Services vor einer Service-Revolution. Sie wird massiv angetrieben vom Wunsch nach Indivi-dualisierung, der symbiotischen Weiter-entwicklung und rasanten Verbreitung der Technologie: meine Perspektive, mein Beitrag, mein Datensatz, mein Lebensum-feld. Wirklich persönliche Dienstleistungen werden mit der Umwälzung der Digitali-sierung noch einmal ein komplett neues Gesicht bekommen.

services heuteIn rasender Geschwindigkeit erhöht sich die Zahl der Touchpoints. Immer mehr mögliche Kontaktstellen mit dem Kunden entstehen, physisch, digital, aber auch zeitlich. Immer mehr Informationen über den Kunden landen bei den Anbietern. Bis jetzt erfüllt die Datensammlung über die Verhaltensweisen des Kunden vor allem den Zweck, statistische Werte zu ermitteln und die durchschnittlich rentabelsten Angebote zu schnüren. Ein klarer Widerspruch zu einem tatsächlich individuellen Service. Die Konzentration auf Kostengesichtspunkte verhindert die Entstehung innovativer Services erkennbar. Die richtigen Methoden und Modelle, um Services und Dienst-leistungen wirklich für den Einzelnen als Bereicherung erlebbar zu machen, fehlen noch überall, denn es geht darum, umfas-send jeden einzelnen Berührungspunkt des Konsumenten mit einer Marke service-orientiert aufzuladen.

Service wird herkömmlich vor allem als Pre-Sales-Argumentation nach dem Wasser-loch-Ansatz betrieben. Wer ein Möbel/Auto/Elektro-/Sportgerät oder sonstiges Produkt kaufen will, kommt an einen Touchpoint mit einem klar definierbaren Wünschefeld. Man kann ihn führen, beraten, Auswahl bieten. Wird man eines Interessenten an einem Touchpoint habhaft, setzt der Verkauf all seine Beratungskraft ein, um dem Kunden die Vorteile des Produktes zu erläutern. Ziel der Beratungsmühen ist der Abschluss.

Doch dieser Satz enthält einen entschei-denden Fehler. Er setzt den Kauf des Produktes mit dem Ende des Interaktions-prozesses mit dem Kunden gleich. Der Kunde wird in dem Moment unsichtbar, sobald er den Laden mit der Ware verlässt. Der Ver-käufer, Berater, bucht ihn aus seinem Kopf aus und das gesamte System verliert den Kunden aus den Augen. In der alten Pro-duktverkaufslogik spielt After-Sales keine Rolle, höchstens als Störfaktor. Der Kunde wird sich schon wieder melden, wenn er etwas will. Eine Haltung, deren Abschätzig-keit sich im Begriff „Abverkauf“ kristallisiert. Einfache Produkte: verkaufen, vergessen.

80% Gesundheit

72% Intakte Familie, Partnerschaft

66%Sein Leben weit-

gehend selbst bestimmen

58%Friedliches

Zusammenleben, soziales

Engagement56% Schutz der

Umwelt

Geld und

Besitz mehren

12%

Was ist Ihnen für Ihre Lebensqualität wichtig? Basis: Bevölkerung in Deutschland ab 14 Jahren

Besitz wird zunehmend weniger zentral

Quelle: Bertelsmann-Stiftung 2010

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

40

Service-Cluster für morgen

Service- Cluster für mor gen

teil 2

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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der Frage: Was treibt den Menschen dazu, sich in Zukunft ständig neu erfinden zu wollen? Und was ist der Haken bei der ganzen Angelegenheit?

Jede Wahl für etwas ist zugleich eine Wahl gegen etwas. Das ist die große Zumutung der Moderne: Die Freiheit der Wahl ist phantas-tisch, aber sie setzt auch unter Druck. Wie wir leben, welchen Beruf wir ergreifen – all das muss heute jeder für sich selber ent-scheiden. Früher dominierten die Zwänge: Als Sohn eines Metzgers wurde man ebenfalls Metzger. Als Tochter aus gutem Hause wurde man mit einem Mann gleichen Standes vermählt. Heute ist die Freiheit der einzige Zwang. Der Megatrend Individuali-sierung lässt die früheren Leitplanken der Lebensorientierung erodieren. Normge-bende Institutionen wie die Politik oder die Kirche verlieren an Autorität und legen die Antwort auf die Frage, welche Lebensweise die richtige ist, in die Verantwortung des Einzelnen. Die Möglichkeit zur Selbstver-wirklichung ist zugleich die Verpflichtung zur Selbstverwirklichung.

Das ist der Grund, warum der Markt für Rat-geberliteratur immer größer wird und auch in Zukunft weiter wachsen wird. Ob „Wege zur Traumkarriere“, „Glück in der Sexualität“ oder „Erfüllung in der Meditation“ – auf allen Ebenen des privaten und beruflichen

Was früher ein geordnetes Leben war, ist heute in ständigem Fluss – um nicht zu sagen Chaos. Asynchrone Lebensführung, ständige Erreichbarkeit, zunehmende Rollenvielfalt: Die Komplexität des Lebens steigt – und damit auch das Bedürfnis nach Support, nach neuen Meta-Services. Dienst-

leistungen, die dabei helfen, die verwor-renen Knäuel des Lebens zu entwirren. Services, die Rat und Orientierung bieten. Arrangements, die das Hin- und Herspringen zwischen Orten und Zeiten ermöglichen.

In gewissem Maße erfüllen die Social Networks wie Facebook & Co diesen Zweck. Wer ständig postet, verbindet die vielen einzelnen Versatzstücke seines Lebens durch den Fluss der Kommunikation. Doch das reicht in Zukunft nicht. Künftig gibt es noch viel größere Herausforderungen. Künftig wird es darum gehen, biografische Brüche zu managen, Neuerfindungen zu ermöglichen. Kurzum: Es geht um Life-Mas-tering. Das wird uns ohne vernetzte Meta-Services nicht gelingen. Diese zu entwickeln erfordert genaue Kenntnis des Menschen, gespeist durch ein hohes Maß an Empathie und ein Maximum an persönlichen Daten. Doch beschäftigen wir uns zunächst mit

multigrafie- märkte Meta-Services als Angebote zum Life-Mastering

„Sinn wird zunehmend zur Privatsache.“

Prof. Norbert Bolz, Medienphilosoph

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Service-Cluster für morgen

Lebens gibt es heute Orientierungshilfen, um das Credo der Moderne „Jeder ist seines Glückes Schmied“ zu verwirklichen. Im Grunde galt das schon immer. Neu ist, dass wir nicht mehr bereit sind, den Misserfolg zu akzeptieren. Wir akzeptieren nicht, zuweilen auch unglücklich zu sein, weshalb gerade die Glücksliteratur so boomt. Erst recht akzep-tieren wir nicht, dauerhaft unglücklich zu sein, so dass es zur eigenen Verpflichtung wird, sein Leben von Zeit zu Zeit neu zu erfinden. Die Folge ist: Die Biografie folgt keinem linearen Prozess mehr. Das Leben als solches wird zu einer Gestaltungsaufgabe. Dabei benötigen wir jedoch Unterstüt-zung. So werden sich neue Meta-Services vor allem um die verschiedenen biografi-schen Herausforderungen im Leben der Menschen gruppieren.

Von der Biografie zur multigrafieDie im Industriezeitalter gängige „Norm-biografie“ mit ihrem streng linearen Ablauf von Kindheit/Jugend, Erwerbs-/Familien-phase und Ruhestand verliert zunehmend an Gültigkeit. Es entfalten sich neue Lebens-phasen wie beispielsweise die Post-Adoles-zenz, bei der jugendliche Verhaltensmuster bis ins hohe Erwachsenenalter gepflegt werden. „Jugendlichkeit“ löst sich zunehmend

von der Jugend. Erwachsene Menschen werden in ihrer Lebensführung dem, was als „jugendlich“ gilt, immer ähnlicher. Die Forever Youngsters fahren Snowboard, leben in Wohngemeinschaften und sind häufig Singles. Der Anteil der 40- bis 54-Jährigen, die allein in einem Singlehaushalt leben, hat sich laut Alterssurvey des Deutschen Zentrums für Altersfragen von 7 Prozent im Jahr 1996 auf 13 Prozent im Jahr 2008 erhöht.

Entscheidungen, etwa das Kinderkriegen, werden im Vergleich zu früher länger – und teilweise zu lange – aufgeschoben, um die Phase der Optionenvielfalt zu verlängern. Heute wird das erste Kind im Durchschnitt geboren, wenn die Mutter 30 Jahre alt ist – 1960 bekamen Frauen bereits mit 25 Jahren ihr erstes Kind. Mit ein Grund hierfür sind die längeren Ausbildungszeiten, die in Zusammenhang mit dem Megatrend Individualisierung stehen. Die meisten Möglichkeiten, sein Leben selbstbestimmt zu gestalten, ergeben sich durch einen hohen Ausbildungsgrad mit einem an-schließend gut bezahlten Job. Wo früher Heirat und Familiengründung dem Leben Stabilität gaben, ist die moderne Biografie von Brüchen gekennzeichnet. Das berührt das Berufs- wie das Privatleben. Mehrere

Zick-Zack-Kurs: Von der Biografie zur Multigrafie

Quelle: Zukunftsinstitut

Ein moderner Lebensweg beinhaltet wesentlich mehr Phasen und Brüche als früher

Kindheit

Jugend

Post-Adoleszenz

Jobs

Familien

Rush-Hour

Zweiter Aufbruch

Un-Ruhestand

Alter 31 60

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Jobwechsel charakterisieren die Erwerbsbio-grafie. Im Privaten zeichnet sich der Ab-schied von linearen Lebensläufen durch eine steigende Scheidungsquote aus: Jede dritte Ehe wird heute geschieden, in Großstädten sogar jede zweite.

Wie so oft gibt es bei dieser Entwicklung zwei Seiten einer Medaille. Auf den ersten Blick mögen die Nachteile ins Auge stechen: das Fehlen von Planbarkeit, der Verlust an Sicherheit, die Instabilität von Beziehungen. Auf der anderen Seite liegt in jedem Bruch die Chance des Neuanfangs. Wer sich früher scheiden ließ, lebte mit einem Stigma. Viele blieben ihr Leben lang in einer unglückli-chen Beziehung. Heute können wir Fehlent-scheidungen revidieren. Gerade im Beruf, wo häufige Wechsel normaler geworden sind, lässt sich der Traumjob leichter finden: durch Ausprobieren. 50-Jährige machen heute ein Schnupper-Praktikum, weil sie sich noch einmal beruflich neu orientieren. Das Leben wird experimenteller. Es wird zur Norm, die Norm zu verlassen. Natür-lich ist das mühsamer und zugleich der Grund, warum die Menschen zunehmend auf Unterstützung bei ihrer ständigen Neuerfindung zurückgreifen. Der Boom des Coaching-Marktes, dessen Akteure im Kern den Menschen dabei helfen, das Leben nach ihren Vorstellungen und Talenten zu gestalten, ist nur ein Ausdruck davon. In Zukunft werden sich um spezifische biogra-fische Entwicklungsstadien Meta-Services herausbilden. Sie sind hochgradig vernetzt und begleiten die Menschen von einer Stufe bis zur nächsten – ein Leben lang.

Ansätze für multigrafische Meta-Services:

» kindheit & Jugend: early adulting-Rituale für früherwachsene

» Post-adoleszenz: komfort-Jugendlich-keit für neo-WGler

» Rush-Hour: Burnout-Prävention durch entlastende Zeit-services

» Zweiter aufbruch: existenzgründer-Beratung für über 60-Jährige

» unruhestand: Realisierung von Jugend-träumen als service

meta-service Beziehungspflege – support in liebesangelegenheitenDen richtigen Partner zu finden ist heute eine diffizile Angelegenheit, da auch hier die Individualisierung die Ansprüche nach oben schraubt. Der Partner bzw. die Partnerin soll möglichst passgenau sein, die gleichen Interessen und Wertvorstellungen teilen. Und natürlich muss Liebe im Spiel sein. Führten früher ökonomische Interessen

BEST PRACTICE

heavy-Metal- KreuzfahrtTouristische inno-vationen für Forever Youngsters

Durch die Auflösung tradierter biografischer Muster entsteht Raum für Innovationen – vor allem in der Freizeit- und Tourismusindustrie. Die Heavy-Metal-Kreuzfahrt ist hierfür ein gutes Beispiel. Wer einen höheren Anspruch an Komfort hat, vielleicht ein wenig den Spaß an verregneten, schlammigen Open-Air-Festivals verloren hat, kommt hier als Forever Youngster auf seine Kosten. tui cruises spricht mit seiner „Full Metal Cruise“ dieses Publikum an und kooperiert dafür mit den Machern des berühmten Wacken Open Air Metal-Festivals. 1.750 Gäste stachen zur ersten Kreuzfahrt im Frühjahr 2013 mit der „Mein Schiff 1“ in See und bekamen gehörig was auf die Ohren. Die Heavy-Metal-Fans werden mit einem Rundum-sorglos-Paket verwöhnt. Vor dem 20-Uhr-Konzert können sich die überwiegend tätowierten Kreuzfahrer in Lederkluft noch mit einem Vier-Gänge-Menü verwöhnen lassen. Die siebentägige Reise mit dem „Wohlfühlschiff“ (TUI Cruises) kostet pro Person in der Innenkabine 1.400 Euro, die Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit Dosenbier und Piña Colada inklusive. Für Landausflüge, Pilateskurse oder ein ver-ruchtes Make-up von der Kosmetikerin muss jedoch extra gezahlt werden. www.tuicruises.com/programm/full-metal-cruise

Zur Norm wird für die Bürger, die Norm zu

verlassen

Foto: © TUI Cruises 45

Service-Cluster für morgen

BEST PRACTICE

heavy-Metal- KreuzfahrtTouristische inno-vationen für Forever Youngsters

Durch die Auflösung tradierter biografischer Muster entsteht Raum für Innovationen – vor allem in der Freizeit- und Tourismusindustrie. Die Heavy-Metal-Kreuzfahrt ist hierfür ein gutes Beispiel. Wer einen höheren Anspruch an Komfort hat, vielleicht ein wenig den Spaß an verregneten, schlammigen Open-Air-Festivals verloren hat, kommt hier als Forever Youngster auf seine Kosten. tui cruises spricht mit seiner „Full Metal Cruise“ dieses Publikum an und kooperiert dafür mit den Machern des berühmten Wacken Open Air Metal-Festivals. 1.750 Gäste stachen zur ersten Kreuzfahrt im Frühjahr 2013 mit der „Mein Schiff 1“ in See und bekamen gehörig was auf die Ohren. Die Heavy-Metal-Fans werden mit einem Rundum-sorglos-Paket verwöhnt. Vor dem 20-Uhr-Konzert können sich die überwiegend tätowierten Kreuzfahrer in Lederkluft noch mit einem Vier-Gänge-Menü verwöhnen lassen. Die siebentägige Reise mit dem „Wohlfühlschiff“ (TUI Cruises) kostet pro Person in der Innenkabine 1.400 Euro, die Rund-um-die-Uhr-Versorgung mit Dosenbier und Piña Colada inklusive. Für Landausflüge, Pilateskurse oder ein ver-ruchtes Make-up von der Kosmetikerin muss jedoch extra gezahlt werden. www.tuicruises.com/programm/full-metal-cruise

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Geschäftsbedingungen: Versandkostenanteil In-land 3,- Euro, Ausland 5,- Euro. Sie haben ein Rück-gaberecht von zwei Wochen nach Erhalt der Ware laut BGB §312. Bei umfangreicheren Bestellungen räumen wir Ihnen gerne Rabatte ein. Kontakt: Anna Kunz, [email protected], Tel.: +49 (0)69 26 4848 9-22

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Wie Meta-Services die Wirtschaft umkrempeln

DIE ZUKUNFT DES KONSUMS

Wie werden wir künftig konsumieren? Was kommt nach der Dienstleistungsgesellschaft? Und welchen Anbietern werden wir künftig noch vertrauen?

Immer öfter stehen Anbieter heute intensiven Fragen von Konsumenten gegenüber. Ein anderer, besserer Konsum wird eingefordert. Mehr Individualität, mehr Passgenauigkeit, mehr Ehrlichkeit. Was diese Veränderungen in den kommenden Jahren für Unternehmen bedeutet, beleuchtet diese Studie. Zudem werden die zentralen Treiber des Wandels beschrieben und Antworten auf die Frage gegeben, was künftig anders lau-fen muss, um den Nutzern von Produkten und Dienstleistun-gen das Gefühl zu geben, von positiven Erfahrungen berichten zu können.

Die Service-Cluster von morgen in der Übersicht:

> Multigrafi e-Märkte: Meta-Services als Angebote zum Life-Mastering> Unterwegs-Märkte: Die Verortung des Ich als Meta-Service> Talentismus-Services: Werden, wozu man bestimmt ist> Healthness-Services: Optimierung der Lebensenergie

Quelle: Zukunftsinstitut

Die kette erWeitert sicH Zu den klassischen Elementen kommen in Zeiten der Meta-Services weitere hinzu

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Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Service heute – Status und Theorie

Das neue Wert-scHÖPfungsmoDell

Erfolg durch Innovation in Meta-Services. Die Tendenzen sind eindeutig: Komple-xere Angebote für komplexere Wünsche. Das bedeutet:

» mehr Planung » mehr Bereitschaft zur permanenten

anpassung » weniger materielle fokussierung

Während am Beginn der kommerziellen Nutzung des Internets Unternehmen und ihre Marken bekannt waren für ihre Monologe – in Form von Werbung genauso wie in Gestalt von Produktinformationen –, reicht diese Art der Aufmerksamkeitser-zeugung heute nicht mehr aus. Vernetzung und Digitalisierung revolutionieren die Art und Weise, wie wir verkaufen. Was früher eine rein auf der Transaktion basierende Beziehung war, wird nun ein fortwährender Dialog. Es geht um die Pflege der Beziehung, um Teilen und um Partizipation. Transpa-renz und Vertrauen sind dabei unabdingbare Werte, die Orientierung an den tatsächlichen Lebenslagen und Bedürfnissen der Konsu-menten ist selbstverständlich.

Aus einem einmaligen Verkaufsakt wird also ein fortwährender Prozess des Sich-Austauschens.Egal ob Händler, Hersteller, Dienstleister, ob Groß- oder Kleinunternehmer, sie alle werden zusätzlich als Botschafter, Infor-manten und Berater fungieren.

Mit dem Aufkommen des sozialen Internets und der immer weiteren Verbreitung mo-biler Endgeräte etablieren sich völlig neue Regeln in der ökonomischen Wertschöp-fung. Der traditionelle Ansatz, in der Regel von einem dreistufigen Modell ausgehend, wird in neueren Modellen wesentlich erweitert, um den Lebenszyklus breiter und umfassender greifbar zu machen. Im Zen-trum steht die Frage, wie die Konsumenten künftig stärker in die Wertschöpfung inte-griert werden und die Unternehmen besser mit ihnen interagieren können. Das Ziel der neuen Wertschöpfung wird zunehmend darin liegen, die Beziehung zum Kunden als eine fortwährende Historie zu beschreiben. Viele Studien weisen auf den Vorteil hin, den Bestandskunden gegenüber Neukunden für Anbieter haben: Werbungskosten können geringer ausfallen, Prozesse vereinfacht werden, weil der Adressat bekannt ist. Das ist jedoch nur die eine Seite der Betrachtung. Wer in den vielversprechenden Markt der Meta-Services eintreten will, muss sich über die hohen Anforderungen klar sein, die ein permanenter Kontakt zum Kunden ver-langt. Ernst gemeinte Kommunikation statt beschönigender Floskeln. Reale Nutzwerte statt Pseudovorteile. Offenheit statt Ge-heimniskrämerei. Wer diese Forderungen ernst nimmt, braucht eine passende Unter-nehmensstruktur und Manager, die diese Werte teilen. Innovation heißt in diesem Umfeld nicht mehr Beschleunigung der Produktzyklen, sondern eine Steigerung von

Die Beziehung zum Kunden wird zur lebens-

langen Historie

früher heute

Zukunftsinstitut :: Meta-Service

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Der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen. Aus diesem Grund werden virtuelle Kontakte und Beziehungen niemals die realen ersetzen. Im Gegenteil: Je größer die sozialen Fliehkräfte, desto mehr Meta-Ser-vices bilden sich heraus, um reale Kontakte herzustellen. Diese Tendenz lässt sich sehr deutlich in der Gastronomie und Hotellerie ablesen. Erfolgskonzepte wie Vapiano oder Pain Quotidien lassen ihre Gäste an großen Gemeinschaftstischen zusammenrücken. In jungen, modernen Hotels wie dem Berliner Lux wird an einer großen Tafel gefrühstückt. Und die 25h-Hotels reißen die Schranke zwischen Einheimischen und Touristen nieder, indem sie ihre Bars und Restaurants von vornherein als Treffpunkte für Locals konzipieren.

Das Erfolgskonzept der 25h-Häuser heißt Heimat in der Fremde. Es baut auf folgenden Elementen:

» individuelle Zimmergestaltung – wie zu Hause

» liebevolle Details – wie in einer privaten Wohnung

» persönliche kommunikation – wie unter freunden

» lockere atmosphäre – wie bei einer privaten einladung

Wer als Gast des neuen Wiener 25h-Hotels das Zimmer betritt, sieht zunächst das Kopfkissen, das mit „almost home“ bestickt ist. Über einem Kleiderbügel hängt eine bedruckte Papiertüte mit dem Spruch „Come as you are“. Und zur Minibar gehört eine Fla-schenpost mit folgender Anleitung: „Keinen Bock, unter die Leute zu gehen? Na dann, die Minibar räumen und aufs Bett schmeißen!“ Alles soll dem Gast vermitteln: „Fühl dich wie zu Hause. Hier ist deine zweite Heimat in der Fremde.“ Das Konzept kommt gut an. Vor allem im Milieu der kreativen Job-No-maden, die als Programmierer oder Designer projektweise überall auf der Welt arbeiten.

Heimat wird zum neuen unterwegs-serviceDas Konzept der Nähe in der Fremde zeichnet auch die neuen Reisenetzwerke wie Couch-Surfing oder AirBnB aus. Couch-surfing, wo die Übernachtung bei Privatper-sonen kostenlos ist, hat mittlerweile über 3 Millionen Mitglieder in 81.500 Städten über den gesamten Globus verteilt. Und AirBnB, wo Privatleute gegen Geld ihre Zimmer vermitteln, ist bereits in 192 Ländern aktiv und konnte in den letzten drei Jahren zwei Millionen Übernachtungen vermitteln. Den Nutzern von Couchsurfing oder AirBnB geht es nicht in erster Linie um den günstigsten Preis, sondern vor allem um den Aufenthalt in einer privaten Atmosphäre. Wer in einer Privatwohnung unterkommt, ist kein Tourist, sondern ein Gast. Man erhält einen authenti-schen Einblick in die Alltagskultur, und sehr häufig entwickeln sich mit dem Gastgeber wunderbare Gespräche und zuweilen auch neue Freundschaften. Alles Dinge – bezie-hungsweise Gefühle –, die mit Geld nicht zu bezahlen sind und künftig noch viel stärker an Bedeutung gewinnen.Angebote wie Couchsurfing oder AirBnB entstehen aus einem realen Bedürfnis von Menschen. Sie sind daher ein Gradmesser dafür, wohin sich die Tourismus- und Freizeitindustrie bewegt. Die Dienstleistung wird nicht mehr darin liegen, eine Reise zu organisieren oder ein Zimmer anzubieten. In Zukunft geht es um Meta-Services, die Men-schen mit anderen Menschen interessante Erlebnisse teilen lassen. Es wird darum gehen, den Zauber des Zufalls einzuplanen, damit sich ungezwungene Bekanntschaften ergeben. Das ist der große Unterschied zum Gruppenzwang der Clubkonzepte à la Ro-binson. Bei den Meta-Services von morgen finden digitale Filter schon im Vorfeld heraus, wer mit wem und was in Kontakt kommen könnte: die Likes und Dislikes von Freunden, die Check-ins von Bekannten, die Empfehlungen von Menschen, die Teil meiner Me-Cloud sind.

Service-Cluster für morgen

Täglich

Mindestens 1x pro Woche

Mindestens 1x pro Monat

Seltener

Nie

Keine Angabe

0,9 %

6,0%

9,3%

26,2%56,3%

1,3%

Wie oft haben Sie Kontakt zu Freunden oder Verwandten im Ausland? (Anteil in Prozent)

Über 40 Prozent der Deutschen halten Kontakt zu Freunden und Verwandten im Ausland

Fern der Heimat

Quelle: © 2009, SOEP - das Soziooekonomische Panel

BEST PRACTICE

Unterwegs mit FreundenYour local soulmate

Das junge Unternehmen, das von zwei Designstudentinnen in Österreich gegründet wurde, erstellt individuelle Reise-führer. Diese sollen das Gefühl vermitteln, mit einem vertrauten Freund an der Hand die Straßen fernab der üblichen Touristenpfade zu erkunden. Hierfür suchen die Nutzer auf der Plattform zunächst nach passenden „Locals“ bzw. „Soulmates“: Seelenverwandte, die zum eigenen Lebensgefühl passen. Von ihnen gibt es Tipps zu Bars, Kneipen und Cafés, die in keinem Reiseführer stehen. Präsentiert werden die Reise-Schmankerl in einem kreativ gestalteten Ringbuch. Der Meta-Service von nectar & Pulse besteht darin, „Local Soulmates“ aus Städten rund um den Globus zu scouten und ihre Empfehlungen an Menschen mit ähnlichen Werten weiterzugeben. www.nectarandpulse.com

Hoteliers werden Manager der Gemeinschaftsgefühle

Fotos: © Nectar & Pulse KG