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Als hätte die Naturgewalt von Erdbeben und Tsunami in Japan mit tausenden To- desopfern, hunderttausen- den Verletzten, Millionen Ob- dachlosen und Schäden in Milliardenumfang nicht ge- nug Grauen verbreitet, hält sie eine zusätzliche Katast- rophe bereit, deren Folgen erst allmählich begreifbar werden. Als vor drei Jahren in Fukushima ein Reaktorblock nach dem anderen in die Luft flog, saß ich gebannt vor dem Bildschirm und ahnte mit et- was Vorstellungskraft, dass das die schwerste Atomreak- torkatastrophe sein würde, die die Menschheit bisher er- lebt hat. Für Laien schienen sich die Explosionen in Block 1, 2 und 3 kaum zu unter- scheiden. Aber für Experten wie Helmut Mayer, ehemali- ger Betriebsleiter des AKW Biblis, schoss der Adrenalin- spiegel hoch, als der dritte Block explodierte. Sofort er- kannte er, dass sich diese Ex- plosion von den anderen un- terschied. Sie sah aus, als ob eine Atombombe explodier- te. Und er sollte Recht be- halten. Der Super-Gau einer Kernschmelze war als relativ unwahrscheinliches Restrisi- ko eingetreten. Täglich strö- men Tausende Tonnen kon- taminiertes Wasser in den Ozean, verseuchen Fische, Tiere und Pflanzen und Strah- lung wird durch Wind und Re- gen über breite Gebiete ver- breitet. Über 100.000 Personen mussten innerhalb der 20-km-Sperrzone ihre Hei- mat verlassen, leben im- mer noch zum großen Teil in Wohncontainern, haben ih- re Heimat und ihre Beschäf- tigung als Fischer wohl für immer verloren, weil die Strahlendosis um das Tau- sendfache zu hoch ist, um in diesem Gebiet gesund zu überleben. Trotzdem will die japanische Regierung das Sperrgebiet für Heimkehrer öffnen. Nicht weil dies ge- sundheitlich unbedenklich wäre. Nein. Vielmehr will die Regierung damit der Betrei- berfirma Tepco Kosten er- sparen, die sie an die Atom- flüchtlinge bis ein Jahr nach Aufhebung des Evakuierungs- befehls für die Verluste zah- len muss. Bisher wurden zwar lediglich die Wohnge- biete, aber nicht das gesamte Gebiet dekontaminiert. Die Strahlungswerte und der in der Umgebung herumliegen- de notdürftig in Plastesäcken verstaute Atommüll tut sein Übriges zur hohen Strahlen- belastung. Und die Regierung hält wesentliche Informatio- nen vor der Bevölkerung ge- heim, ja unterbindet sogar eine kritische Berichterstat- tung in den Medien. So wer- den die Menschen noch ein- mal in die Irre geführt und ihrem Schicksal ausgeliefert. Die geschmolzenen Brenn- stäbe aus den Reaktorker- nen herauszuholen, ist nur sehr schwer möglich, weil dafür erst noch geeignete Technologien entwickelt wer- den müssen. Selbst wenn das gelingt, veranschlagt die Betreiberfirma rund 40 Jahre für den Rückbau der Atomruinen. In Deutschland gibt es sechs mit Fukushima baugleiche Siedewasserre- aktoren, von denen bisher nur zwei abgeschaltet sind. Das Sicherheitsproblem die- ser Reaktoren besteht dar- in, dass sie nur über ein ein- ziges Kühlsystem verfügen. Fällt das aufgrund einer Stö- rung des Pumpsystems oder eines Stromausfalls aus, be- steht die Gefahr einer Kern- schmelze mit allen Folgen. Das kann auch ohne Erdbe- ben und Tsunami geschehen. Deshalb muss am Atomaus- stieg in Deutschland festge- halten werden. Denn schon regen erste Stimmen an, wie die vom ehemaligen CSU- Verkehrsminister Ramsauer, über eine Verlängerung der Laufzeiten für die AKW nach- zudenken. Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2014 Drei Jahre nach der verheerenden Reaktorkatastro- phe von Fukushima Daichii

Links! Ausgabe 04/2014

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Ausgabe April 2014 der Zeitung LINKS! inklusive Beilagen.

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Page 1: Links! Ausgabe 04/2014

Als hätte die Naturgewalt von Erdbeben und Tsunami in Japan mit tausenden To-desopfern, hunderttausen-den Verletzten, Millionen Ob-dachlosen und Schäden in Milliardenumfang nicht ge-nug Grauen verbreitet, hält sie eine zusätzliche Katast-rophe bereit, deren Folgen erst allmählich begreifbar werden. Als vor drei Jahren in Fukushima ein Reaktorblock nach dem anderen in die Luft flog, saß ich gebannt vor dem Bildschirm und ahnte mit et-was Vorstellungskraft, dass das die schwerste Atomreak-torkatastrophe sein würde, die die Menschheit bisher er-lebt hat. Für Laien schienen sich die Explosionen in Block 1, 2 und 3 kaum zu unter-scheiden. Aber für Experten wie Helmut Mayer, ehemali-ger Betriebsleiter des AKW Biblis, schoss der Adrenalin-spiegel hoch, als der dritte Block explodierte. Sofort er-kannte er, dass sich diese Ex-plosion von den anderen un-terschied. Sie sah aus, als ob eine Atombombe explodier-te. Und er sollte Recht be-halten. Der Super-Gau einer Kernschmelze war als relativ unwahrscheinliches Restrisi-ko eingetreten. Täglich strö-men Tausende Tonnen kon-taminiertes Wasser in den Ozean, verseuchen Fische, Tiere und Pflanzen und Strah-lung wird durch Wind und Re-gen über breite Gebiete ver-breitet.Über 100.000 Personen mussten innerhalb der 20-km-Sperrzone ihre Hei-mat verlassen, leben im-mer noch zum großen Teil in Wohncontainern, haben ih-re Heimat und ihre Beschäf-tigung als Fischer wohl für immer verloren, weil die Strahlendosis um das Tau-sendfache zu hoch ist, um

in diesem Gebiet gesund zu überleben. Trotzdem will die japanische Regierung das Sperrgebiet für Heimkehrer öffnen. Nicht weil dies ge-sundheitlich unbedenklich wäre. Nein. Vielmehr will die Regierung damit der Betrei-berfirma Tepco Kosten er-sparen, die sie an die Atom-flüchtlinge bis ein Jahr nach Aufhebung des Evakuierungs-befehls für die Verluste zah-len muss. Bisher wurden zwar lediglich die Wohnge-biete, aber nicht das gesamte Gebiet dekontaminiert. Die Strahlungswerte und der in der Umgebung herumliegen-de notdürftig in Plastesäcken verstaute Atommüll tut sein Übriges zur hohen Strahlen-belastung. Und die Regierung hält wesentliche Informatio-nen vor der Bevölkerung ge-heim, ja unterbindet sogar eine kritische Berichterstat-tung in den Medien. So wer-den die Menschen noch ein-mal in die Irre geführt und ihrem Schicksal ausgeliefert. Die geschmolzenen Brenn-stäbe aus den Reaktorker-nen herauszuholen, ist nur sehr schwer möglich, weil dafür erst noch geeignete Technologien entwickelt wer-den müssen. Selbst wenn das gelingt, veranschlagt die Betreiberfirma rund 40 Jahre für den Rückbau der Atomruinen. In Deutschland gibt es sechs mit Fukushima baugleiche Siedewasserre-aktoren, von denen bisher nur zwei abgeschaltet sind. Das Sicherheitsproblem die-ser Reaktoren besteht dar-in, dass sie nur über ein ein-ziges Kühlsystem verfügen. Fällt das aufgrund einer Stö-rung des Pumpsystems oder eines Stromausfalls aus, be-steht die Gefahr einer Kern-schmelze mit allen Folgen. Das kann auch ohne Erdbe-ben und Tsunami geschehen. Deshalb muss am Atomaus-stieg in Deutschland festge-halten werden. Denn schon regen erste Stimmen an, wie die vom ehemaligen CSU-Verkehrsminister Ramsauer, über eine Verlängerung der Laufzeiten für die AKW nach-zudenken.

Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt April 2014

Drei Jahre nach der verheerendenReaktorkatastro-phe von Fukushima Daichii

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Seite 2Links! 04/2014 Links! im Gespräch

»Am besten wären freundschaftliche Verhältnisse«Im Februar feierte in Dresden das Deutsch-Russische Kul-turinstitut (DRKI) sein 20-jäh-riges Bestehen. Das DRKI war die Keimzelle des ersten Rus-sischen Zentrums im deutsch-sprachigen Raum, das im Herbst seit fünf Jahren beste-hen wird. In seiner Rede an-lässlich der Vereinigung der Krim mit Russland erinnerte der russische Präsident Wla-dimir Putin die Deutschen da-ran, welches Glück es bei der Wiedervereinigung gegeben habe – seit Anfang der 90er Jahre seien die Russen über viele Länder verstreut. Wer sich in Deutschland an den November 1989 erinnert, sol-le auch die Menschen auf der Krim verstehen. Anlässlich der Irritationen im Ukraine-Kon-flikt zwischen Russland und Deutschland sprach Links! mit dem langjährigen Leiter des Deutsch-Russischen Kulturin-stituts, Dr. Wolfgang Schälike.

Herr Dr. Schälike, Dresden hat im gesamten deutsch-sprachigen Raum das ers-te Russische Zentrum be-kommen. Vielleicht können Sie einleitend etwas zur Ge-schichte des Hauses sagen?

Die reicht in der Tat weit zu-rück. Gleich nach dem Krieg war es für die Sowjetunion noch unklar, was einmal aus der sowjetisch besetzten Zo-ne wird. Aus diesem Grund kaufte die Sowjetunion in Ost-deutschland Immobilien – ca. 200 Stück an der Zahl. Hier in Dresden gehörte dazu diese Villa auf der Zittauer Straße, außerdem Schloss Albrechts-berg.

Das ist eines von den drei Elbschlössern. Ich erinnere mich daran, dass es zu Zei-ten meiner Kindheit noch Pi-onierpalast war und dort je-des Jahr tausende Pioniere hinkamen.

Genau. Wie gesagt, nach 1945 waren die Würfel noch nicht gefallen – eine DDR-Grün-dung, wie sie ja dann schließ-lich 1949 erfolgte, war in die-ser frühen Nachkriegszeit für niemanden absehbar. Auch in Moskau war man ja damals nicht auf die deutsche Teilung eingestellt, sondern man hatte die Möglichkeit in Betracht ge-zogen, dass sich Deutschland so wie Österreich entwickelt, also ein blockfreies Land wird, das zu keinem Militärbündnis gehört. Damit hätte die Sowje-tunion gut leben können.

Außenminister Lawrow

wünscht sich für die Ukrai-ne ebenfalls den Status ei-nes blockfreien Landes. Denkt heute wie auch 1945 bei Deutschland in Russland niemand über eine Teilung der Ukraine nach?

Russland ist an stabilen Ver-hältnissen in der Ukraine inter-essiert. Eine Teilung wäre nicht unproblematisch. Am besten wäre es wohl für beide Länder, wenn sie freundschaftliche Verhältnisse miteinander pfle-gen würden. Bedenken Sie: Es gibt wohl an die drei Millio-nen Ukrainer in Russland, vie-le arbeiten dort. In der Ukraine gibt es viele gemischte Famili-en, ebenso in Russland. Wenn Wladimir Putin von Brudervöl-kern spricht, dann meint er das auch wirklich so. Denn es ist im wahrsten Sinne des Wor-tes eine familiäre Erfahrung vielerorts, deshalb sollen Uk-rainer möglichst einfach nach Russland zu ihren Verwandten reisen können und Russen aus Russland zu ihren Verwandten in der Ukraine.

Das wäre wohl kaum mög-lich, wenn die Ukraine in die EU aufgenommen wür-de, EU-Außengrenze wäre und womöglich noch NATO-Land.

Das kann man sich in der Tat in Russland kaum vorstellen. Ich habe Flugzeugbau bei Mos-kau studiert und ich sehe auch

praktische Probleme. Denken Sie nur an die unterschiedli-chen Normen in der EU und Russland – bis jetzt produziert die Ukraine sehr viel für den russischen Markt, nicht nur Raketen- und Militärtechnik. Dann kennen Sie ja die EU-Normen in der Landwirtschaft. In dem Moment, wo die Ukra-ine den russischen Markt ver-lieren würde, hätte sie doch nicht automatisch einen fes-ten Platz auf dem EU-Markt. Es würde große auch wirtschaft-liche Instabilitäten geben und das nicht nur in der eher agrarisch geprägten West-, sondern auch in der indust-rialisierten rohstoffreichen Ostukraine, wie zum Beispiel in der Donbass-Region. Wenn Sie wissen, wie die Planwirt-schaft von Moskau aus für die gesamte Sowjetunion funktio-nierte, dann wissen Sie, dass sehr viel aus Russland in der Ukraine investiert wurde.

Das Verhältnis scheint durch die Geschehnisse auf der Krim zwischen der Ukra-ine und Russland stark be-lastet.

Russland ist da in einer schwierigen Lage, und die Uk-raine nicht minder. In Russland macht man dafür insbesonde-re den Westen verantwortlich. Es ist bekannt, wer Klitsch-ko finanziert und wie viel die Amerikaner in die sogenannte Opposition investiert haben.

Wenn Sie aber genau zuhören, dann lässt Russland zwar an der derzeitigen Putschistenre-gierung kaum ein gutes Haar – fünf Minister in Kiew und der Generalstaatsanwalt sind Par-teigänger der russlandfeindli-chen Rechtsextremen –, aber man kritisiert nicht das ukraini-sche Volk sondern vielmehr ei-ne äußerst unverantwortliche Politik der EU, die die Ukraine vor die Wahl gestellt hat: Ent-weder ihr seid für die EU oder ihr seid für Russland. Und es war doch jedem klar, der ein wenig die Verhältnisse in der Ukraine kennt, dass das die Meinungen spaltet.

In den Westmedien wird uns die Botschaft verkauft, in Kiew hätten EU-freundliche Kräfte die korrupte Janu-kowitsch-Clique gestürzt. Wenn man russische Medi-en verfolgt, hat man das Ge-fühl, dass darin die Rolle der Nazis, die ja zweifellos kräf-tig mitmischen, doch stark überbetont wird.

Da ist etwas dran. Der „Rechte Sektor“, das sind 4.000 Mann, also 40 Hundertschaften. Dass die eine ernsthafte Be-drohung für Russland darstel-len, bei allem martialischen Auftreten, kann man wirklich bezweifeln. Gleichwohl sieht man in Kiew keine Regierung, mit der man verhandeln könn-te. Der Westen hat seit Beginn der Krise eine äußerst ein-

seitige Berichterstattung ge-pflegt – man stellte sich be-dingungslos auf die Seite der „Aufständischen“, ohne zu sa-gen, wer diese Leute sind. Der russische Vorwurf, dass viele von denen aus der Westukrai-ne nach Kiew gekarrt worden sind, stimmt. Viele Menschen in der Westukraine leben und arbeiten den Sommer über im Westen – viele in Spanien, Ita-lien, Frankreich – als Saison-kräfte und kommen dann den Winter über in ihre Heimat. Diese Leute haben schon et-was von der Welt gesehen und waren in der Tat unzufrieden mit den Verhältnissen in der Ukraine.

Welche Meinung haben Sie zu Janukowitsch?

Ehrlich? Da hat eine Oligar-chen-Clique die andere Oligar-chen-Clique abgelöst bei den letzten echten Wahlen, als Ja-nukowitsch gewann. Man hält übrigens in Russland selbst nicht besonders viel von Ja-nukowitsch. Medwedjew soll sich geweigert haben, ihm die Hand zu geben. Es ist doch schon auffallend, dass Januko-witsch nicht in der Ost-Ukraine oder auf der Krim geblieben ist, finden Sie nicht? Offenbar ist er sich nach seinen Amts-jahren nicht so sicher, dass man ihn in der Ost-Ukraine wirklich will.

Was will man in der Ost-Uk-raine?

Ich denke, man pokert. Für manche könnte es wohl unter einer EU-Anbindung besser sein, andere sehen die Zukunft in einer engeren Bindung an Russland. Wer wird die bes-seren Angebote machen? Aus meiner Sicht ist heute nicht absehbar, wohin die Reise in der Ukraine geht. Übrigens sollte man auch noch zwei Din-ge in Betracht ziehen. Sowohl die Ukraine als auch Russland sind Länder, die erst noch ihre eigene Identität finden müs-sen. Auch der russische Nati-onalismus ist sehr stark, das vergisst man im Westen bei aller Putin-Kritik. Vielleicht ist Wladimir Putin das letzte Boll-werk gegen die russischen Nationalisten? Was wird ge-schehen, wenn diese nach der Macht greifen, in einem Land voller Atomwaffen mit über einhundert Nationalitäten? Wenn der Westen klug ist, wird er Putin unterstützen – auch jetzt in dieser für ihn nicht ein-fachen Zeit.

Die Fragen stellte Ralf Richter.

Bild: Ralf Richter

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Seite 3 04/2014 Links! Die dritte Seite

Wilhelm und Jacob Grimms Sammlungen von Sagen und Märchen kennt wohl jede und jeder. Zumindest gehört hat man schon davon. Aber wer kennt schon die „Gesta Roma-norum“ (Die Taten der Römer)? Nur so viel: Es ist eine in Latein geschriebene Sammlung von „Exempeln“ aus dem Mittelal-ter. Ins Deutsche übersetzt hat sie 1842 ein gewisser Johann Georg Theodor Graesse, sei-nes Zeichens Privatbibliothekar des sächsischen Königs Fried-rich August II. Da gibt es eine merkwürdige Geschichte. Der ungarische König Conan bela-gert ein Schloss. Die Schloss-herrin erkennt von der Mauer herab, dass dieser Ungarnkö-

nig ein sehr schöner Mann ist. Heimlich schreibt sie ihm, falls er sie zur Frau nähme, würde sie ihm die Burg übergeben. Der Ungar lässt sich darauf ein. Die Ehe wird vollzogen. Die be-reits vorhandenen Kinder der Frau fliehen. Das war der erste Tag. Was aber tat der grausa-me Magyare schon am zwei-ten Tag? Er übergab die frisch angetraute Frau zwölf Ungarn, „um sie öffentlich zu beschimp-fen“, und schon am dritten Tag „ließ er sie am ganzen Körper bis an die Kehle durchbohren“. Die Begründung? „Ein solches Weib, die vor fleischlicher Lust ihre eigene Stadt ins Verder-ben gestürzt hat, muss auch ei-nen solchen Ehemann bekom-men“. Bei der Lektüre war ich bisher immer erzürnt über die Grausamkeit, mit der sexuel-les Begehren von Frauen be-straft wurde. Männern ist dies ja in den meisten Sagen und Märchen nicht nur gestattet, Frauen sind dann auch noch der Preis für Heldentaten. Wie es heute ist, mag jede und je-der selbst bewerten. Die ganze

Sache schien mir aber gerade deshalb Anfang März im Um-feld des Frauentages zitierens-wert. Und dann kam uns allen etwas dazwischen: die Ukraine und die Krim. Die Geschichte jedoch blieb mir im Kopf! Wie das?Mir fielen plötzlich die vielen „Freierinnen“ ein, die sich der sie „belagernden“ EU und NA-TO willig ergeben hatten oder das noch machen wollten. Ist doch geil – oder? An Folgen malte man sich die schönsten Beglückungen aus. Nun droh-te nach dem Vollzug der Ver-mählung nicht gleich der qual-volle Tod. Die Beschimpfungen

blieben aber oft nicht aus. Die Griechinnen und Griechen, Portugiesen und Portugiesin-nen und manch andere Völ-kerschaften können das Lied davon singen. In der Ukraine

wollte man es nicht hören. Und hätte man die Finger von der Liaison gelassen, wie es eini-ge durchzusetzen versuchten, sollte man hinterher jammern wie die stolze Prinzessin im Märchen vom König Drossel-bart: „Ach hätte ich ihn doch genommen, den König Dros-selbart!“ Vom Märchen wis-sen wir, dass sie ihn schließlich „genommen“ hatte – nicht frei-willig und zunächst unter Vor-spiegelung falscher Tatsachen. Dieses Märchen hat aber ein „happy-end“. Der die Braut zu-nächst zum Betteln gezwungen und bösen Schikanen ausge-setzt hatte, entpuppte sich am Ende doch als der verschmäh-te König und späte Glücksbrin-ger. Wer glaubt, dass es auch heute so enden könnte, ... sie-he oben. Oder es wäre anzu-nehmen, dass Stolz und freier Wille einer Seite zuvor gebro-chen werden müssten, ehe das Glück einkehren könnte. Dass im Fall der Ukraine gleich zwei Freier konkurrierend auftauch-ten, machte die Sache nicht besser und ließ kaum alternati-

ve Perspektiven erhoffen. Die Wirklichkeit enteilte ohnehin der Analogie zu Märchen und Sagen. Wie sie sich am Tag des Erscheinens dieser Kolumne darstellen wird, ist noch nicht abzusehen. Den Freiern ist die Braut nicht mehr wert als ein Regenwurm, den man in zwei weiterlebende Hälften zertei-len kann. An die Stelle ästheti-scher Sprache tritt im Kampf um die Hälften die Brutalität der Schmähreden. Durch die Sprachrohre dröhnen die ge-genseitigen, vergangen ge-glaubten Schuldzuweisungen. Die Welt aber hat Angst. Hun-dert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und fünf-undsiebzig Jahre nach dem Aufflammen des größten Wel-tenbrandes aller Zeiten, des Zweiten Weltkrieges, geht die Furcht vor neuerlicher Wieder-holung um. Moment mal! „Aus-bruch“? „Aufflammen“? Nein, das gilt für Kriege nicht. Sie werden noch immer von Men-schen gemacht. Märchen und Sagen sind hierzu übrigens sehr präzise.

Die Taten der Europäer

Als jemand mit sehr vielen Kon-takten – auch persönlicher Art – sowohl nach Russland als auch in die Ukraine fühle ich mich subjektiv sehr stark von den Ereignissen dort und von ihrer Reflexion in den hiesigen Medien betroffen. Bereits wäh-rend der Olympischen Spiele von Sotschi hatten ja nahezu alle mir bekannten aufmerksa-men und kritischen Fernseh-zuschauer das Gefühl, dass die Grundtendenz der Berichter-stattung nicht so ganz mit der Realität, wie sie auch durch die Statements von Sportlern und Offiziellen immer wieder darge-stellt wurde, korrespondierte. Da dies alles schon eine Weile zurückliegt, sei hier von detail-lierteren Betrachtungen dazu abgesehen. Auch die an Einseitigkeit nichts zu wünschen übriglassende mediale Reflexion des Gesche-hens auf dem Unabhängigkeits-platz in Kiew (ukrainisch: „Mai-dan Nesaleschnosti“) soll hier nur erwähnt und nicht vertieft werden. Dass die antirussische und Putin dämonisierende Be-richterstattung mit den Ereig-nissen um die Krim nochmals eskalierte, erklärt sich meiner Überzeugung nach nicht so sehr aus der Sorge um die Ver-letzung internationalen Rechts (territoriale Integrität der Staa-ten, siehe Ex-Jugoslawien, Ko-sovo, Ex-Sowjetunion – über all das hatten unsere Leitme-dien sehr wohlwollend berich-tet), sondern mehr aus der Frustration der USA (und in deren Gefolge der EU und ih-rer nahezu gesamten Medien-

landschaft) darüber, dass man zwei bis drei Tage lang glauben durfte, einen genialen geostra-tegischen Schachzug getan zu haben, um gleich darauf einen kleinen, aber nicht unwesent-lichen Teil dieser „Beute“ dau-erhaft der neuen Einflusssphä-re wieder entgleiten sehen zu müssen. Das Selbstbestim-mungsrecht der Völker als die nächste wichtige Kategorie des Völkerrechts, die bei anderen Gelegenheiten (s. o.) sehr gern bemüht wird, spielte in diesem Falle gar keine Rolle. Für mich ist es übrigens nicht ohne Pikanterie, wie der will-kürliche Akt eines Sowjetfüh-rers – die Krim wurde 1954 von Chruschtschow in einem An-flug von Selbstherrlichkeit von der Russischen SFSR an die

Ukrainische SSR verschenkt –, der in jedem anderen vorstell-baren Fall nur schlimmstes Un-recht hätte bewirken können, von westlicher Seite in diesem Kontext plötzlich als absolut normal und völkerrechtskon-form angesehen wird! Eben-falls interessant ist die vielfach in den hiesigen Medien kolpor-tierte Argumentation der neu-en ukrainischen Regierung, wo-nach die Abtrennung der Krim nicht verfassungskonform sei. Allerdings: Wäre diese Verfas-sung von den neuen Herrschen-den nicht außer Kraft gesetzt worden, wäre ja Viktor Janu-kowitsch noch Präsident und die Krimfrage hätte sich so gar nicht gestellt!„Russland ist auf der Krim mit Streitkräften einmarschiert.“

Wer hat das eigentlich gese-hen? Sollen wir das unseren „objektiv“ berichtenden Me-dien nach allen anderen Re-chercheleistungen einfach so abnehmen? Ich bin skeptisch. Was wir wirklich wissen – nicht nur zunächst das Parlament, sondern auch eine überwälti-gende Mehrheit der Krimbe-völkerung hat in einem demo-kratischen Verfahren für einen Beitritt zur Russischen Föde-ration gestimmt. Auf der Krim handeln sogenannte „Selbst-verteidigungskräfte“, allerdings im Gegensatz zum „Maidan“ oh-ne Gewalt und vor allem ohne Blutvergießen. Ist dies mit dem „Begriff „Annexion“ tatsächlich zutreffend beschrieben? Es be-stand für Russland nach aller Logik überhaupt keine Notwen-

digkeit – selbst wenn es aggres-sive Absichten verfolgt hätte –, mit Streitkräften dort einzurü-cken. Für die Menschen auf der Krim haben sich mit dem neuen Regime in Kiew aber die Lebens-grundlagen verändert, zum Bei-spiel sollte die russische Spra-che als Amtssprache verboten werden. Obwohl die Halbinsel also 1954 von der Russischen SFSR an die Ukrainische SSR überging, hat sich die Krimbe-völkerung – stets russisch ori-entiert – immer loyal zur Ukra-ine verhalten, zunächst, weil sich im Rahmen des Gesamt-staates UdSSR ohnehin nichts wirklich Substanzielles verän-dert hatte, später im Rahmen einer weitgehenden Autonomie. Jetzt sind die Grundlagen dieser Loyalität zerstört worden. Für die ukrainische Bevölke-rung insgesamt, der entschei-dende Verbesserungen ihrer Le-benslage dringend zu wünschen wären, ist es eher sehr fraglich, ob die „neuen“ Bedingungen wirklich Fortschritte bringen. Aus unmittelbarer Kenntnis der Situation habe ich daran erheb-liche Zweifel. Zum Schluss sei angemerkt, dass in breiten Krei-sen – vor allem der älteren Ein-wohner der Ukraine und Russ-lands – die aktive Einmischung Deutschlands in diese Krise vor dem Hintergrund seiner ge-schichtlichen Rolle, gelinde ge-sagt, sehr skeptisch gesehen wird. Dr. Reinhold Gläß ist Professor der Universität der Nationalbank der Ukraine und Ehrendoktor der Universität Kostroma (Russische Föderati-on).

Von Sotschi über Kiew zur Krim

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Seite 4Links! 04/2014 Hintergrund

Kurz vor den Europawahlen im Mai dieses Jahres sieht es für die Europäische Linkspartei (EL) gar nicht so schlecht aus. Im zehnten Jahr ihres Beste-hens legt sie in der politischen Stimmungslage europaweit zu. Zwar gibt es in einigen europä-ischen Staaten überproportio-nal hohe Zuwächse für Partei-en der radikalen Linken, wie in Spanien oder Griechenland. Die griechische Linke SYRIZA liegt stabil zwischen 25 und 29 Pro-zent, die Vereinigte Linke Spani-en (IU) rangiert bei 16 Prozent in Umfragen. Neu, und deshalb besonders, ist aber die Tatsa-che, dass Parteien links der So-zialdemokratie in vielen Län-dern der Europäischen Union an Stärke gewinnen. Dies führt da-zu, dass die Linksfraktion im Eu-ropäischen Parlament derzeit in Vorwahlbefragungen mit knapp 18 Prozent als drittstärkste Fraktion gehandelt wird. Nun sind Umfragen noch keine Wahlergebnisse und in die Zah-len mischt sich nach wie vor ein großer Wermutstropfen. Denn nicht in allen Mitgliedsstaaten der EU verfügt die Europäische Linke über Mitglieds- oder Part-nerparteien. Dies betrifft vor al-lem den Osten des Kontinents. Schlimmer noch: Hier gibt es kaum nennenswerte und veran-kerte Linksparteien, die zukünf-tig ihren Weg in die EL oder die Linksfraktion im Europäischen Parlament finden könnten. Gründe dafür gibt es zahlreiche. Mit Sicherheit gehören dazu ein starkes antikommunistisches Moment in den Transforma-tionsstaaten des ehemaligen Ostblocks, Wirtschafts- und So-

zialkrisen sowie Symbol- und Betätigungsverbote für die po-litische Linke. Die Europäische Linke ist also gespalten in Ost und West. Mit dem EU-Beitritt Kroatiens verfügt die Linksfraktion im Europaparlament (GUE/NGL) nun über zwei Abgeordnete aus osteuropäischen EU-Staaten, die nicht Mitglied der starken tschechischen Linken KSCM sind. Nikola Vuljanic (Hrvatski laburisti – Stranka rada) aus

Kroatien und Alfred Rubiks von der Sozialistischen Partei Lett-lands sind die einzigen Vertreter Osteuropas in der parlamentari-schen Vertretung der Linken in Europa.Dies kann sich mit den Wahlen am 25. Mai nun ändern. Denn ei-ne neue Linksformation nimmt Anlauf auf einen Sitz im EP. Die

Rede ist von der „Vereinten Lin-ken Sloweniens“, der aktuell zwischen sechs und neun Pro-zent der Stimmen zugeschrie-ben werden.Bei der slowenischen Linken handelt es sich genau genom-men um keine Partei, sondern vielmehr um ein Bündnis drei-er Linksparteien, die alle noch nicht lange im politischen Ge-schäft des Landes mitmischen. Dreh- und Angelpunkt ist die „Initiative für demokratischen

Sozialismus“, die aus den So-zialprotesten im Frühjahr und Sommer des vergangenen Jah-res entstanden ist. Hierbei han-delt es sich um eine Gruppe vor allem junger Menschen, die Massenproteste gegen die Aus-teritätspolitiken der Troika im ehemaligen EU-Musterschüler-land Slowenien organisierten.

Gemeinsam mit der „Partei für nachhaltige Entwicklung“ und der „Demokratischen Arbeits-partei“ haben sie Anfang März das Parteienbündnis der „Ver-einten Linken Sloweniens“ ins Leben gerufen. Der Andrang von Interessierten in Ljubljana war übergroß und auch das Me-dieninteresse war erstaunlich. Sämtliche slowenischen Fern-sehstationen und wesentliche Tageszeitungen verfolgten die Unterzeichnung der Koopera-

tionsvereinbarung. Als Taufpa-ten und Mitunterzeichner des gemeinsamen Wahlantritts zu den Europawahlen waren der Spitzenkandidat der Europäi-schen Linkspartei, Alexis Tsi-pras und das EL-Vorstands-mitglied der LINKEN, Dominic Heilig geladen. Die Chancen für das Wahlbündnis, die Bürgerin-

nen und Bürger von ihren alter-nativen und links-ökologischen Inhalten jenseits der Vierpro-zenthürde zu überzeugen, ste-hen also nicht schlecht. Denn die Vereinte Linke Sloweniens schließt mit ihrem Wahlantritt eine Lücke auf der politischen Bühne, die die ehemalige Kom-munistische Partei der Teilrepu-blik Sloweniens in Jugoslawien nach ihrer Transformation zur Sozialdemokratischen Partei hinterlassen hatte. Der Linken ist es in nur einem Jahr gelun-gen, die parteifern organisier-ten Proteste gegen die Sozial-kürzungspolitiken nach dem Vorbild Griechenlands zu bün-deln und in ein Wahlbündnis zu transformieren. Mehr noch: Die slowenische Linke will sich dau-erhaft etablieren und hat vor diesem Hintergrund einen Auf-nahmeantrag bei der Europäi-schen Linkspartei gestellt. Dass ein Erfolg der slowenischen Ge-nossinnen und Genossen bei den Wahlen und deren Mitglied-schaft in der EL bzw. GUE/NGL eine positive Sogwirkung für die Linke im Osten Europas ha-ben wird, ist bereits jetzt deut-lich. In Bulgarien, Ungarn, Kro-atien und weiteren Staaten der Europäischen Union haben lin-ke Organisationen und Parteien überaus positiv auf die Entwick-lungen in Ljubljana reagiert und schöpfen daraus wieder neue Kraft. Für die Europäische Lin-ke könnten diese Ereignisse da-zu führen, auch in den osteuro-päischen Ländern endlich Fuß zu fassen. Die Spaltung der EL zwischen Ost und West würde damit um ein Vielfaches kleiner. Dominic Heilig

Sorbengesetz: Sachsen muss nachziehen„Neues Sorbengesetz für Bran-denburg heizt Diskussion in Sachsen an“ titelte eine Zeitung in Brandenburg. In der Tat: Die Diskussion ist in diesen Tagen breit gefächert, bei den Sorben selbst, in der politischen Öf-fentlichkeit der Oberlausitz und auch in den Parteien. Allein die Fraktion DIE LINKE im Sächsi-schen Landtag machte aus der Herausforderung Konkretes: Sie veranstaltete in Bautzen ei-ne hochkarätig besetzte Dis-kussion zum Thema „Mit- statt Fremdbestimmung“. Die Domowina als Interessen-vertreterin der Sorben wertet die Novellierung des Gesetzes in Brandenburg als „historisch bedeutsamen Akt im Sinne des sorbischen Volkes“. Abgesehen davon, dass mit dem verbesser-ten Sorbengesetz in Branden-burg ein Wahlversprechen der LINKEN erfüllt wurde, erfüllt es

zuallererst Forderungen der Sorben selbst. Was sollte nun aber in Sachsen getan werden?Sachsen, das Land, in dem mit dem Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölke-rung 1948 ein neues Kapitel des Minderheitenrechts in Deutsch-land eröffnet wurde, hat eine besondere Verpflichtung. Man schaut auf dieses Bundesland. Nach der „Wende“ galt das Sor-bengesetz aus dem Jahre 1948 zunächst als sächsisches Lan-desrecht fort. Ende 1997 wollte die CDU dieses Gesetz im Rah-men der „Rechtsbereinigung“ ersatzlos streichen, Die damali-ge PDS-Fraktion übernahm mit einem Entwurf zu einem neuen Sorbengesetz die Initiative und brachte die Staatsregierung da-zu, mit einem eigenen Gesetz-entwurf nachzuziehen. In diesen Tagen wird das da-mals auf der Grundlage des Ent-

wurfs der Staatregierung (der PDS-Entwurf durfte es natür-lich nicht sein!) einstimmig vom Sächsischen Landtag beschlos-sene Gesetz fünfzehn Jahre alt. Zwar noch nicht allzu sehr in die Jahre gekommen, weist es den-noch, wie schon bei seiner Ver-abschiedung, Mängel auf. Eine Novellierung ist darum dringlich. Sachsen, in dem zwei Drittel der Sorben leben, darf nicht hinter Brandenburg zurückbleiben.Die Liste von notwendigen Ver-änderungen ist nicht klein. Obenan sollte das Verbands-klagerecht für den sorbischen Dachverband stehen. Gerade in Sachsen ist das Fehlen des Verbandsklagerechts bei den Schließungen sorbischer Mit-telschulen und bei der durch den Bergbau bedingten Zerstö-rung des sorbischen Siedlungs-gebietes schmerzlich spürbar geworden. Es ist so und bleibt

so: Gerade für Minderheiten ist die Einklagbarkeit von Rechten von enormer Bedeutung. Nicht minder wichtig ist die minder-heitenrechtliche Stärkung des sorbischen Siedlungsgebietes, insbesondere beim Abbau von Braunkohle und, wie auch ak-tuell ins Gespräch gebracht, von Kupfererz und Kaolin. Sorbische Dörfer sind Heimstätte von sor-bischer Bevölkerung, ihrer Spra-che und Kultur. Auch der Bericht zur Lage des sorbischen Volkes sollte ange-sichts der Gefährdungen für die sorbische Sprache und Kul-tur und der sie stützenden Ein-richtungen anders gestaltet und erstattet werden: Er sollte die internationalen und die EU-Ver-pflichtungen zum Schutz von Minderheitenrechten und Min-derheitensprachen und eine klare Bestandsaufnahme, Wir-kungsanalysen der Fördermaß-

nahmen und Perspektive der Landespolitik in diesen Fragen beinhalten. Die breite öffentli-che Diskussion ist dringend er-forderlich. Es geht auch um die Sensiblisierung. Auch in den Kommunen, und nicht zuletzt in den im Landtag vertreten demo-kratischen Parteien.Die Legitimation des Sorbenra-tes ist zu erhöhen, seine Kom-petenz zu erweitern. Die Zusam-mensetzung des Rates, der die Sorben in ihren Angelegenhei-ten beim Landtag vertritt, müs-sen die Sorben selbst wählen können. Zu regeln wäre auch die dringend notwendige Koordinie-rung der Ministerien in Angele-genheiten der Sorben, was nur auf der Ebene eines Beauftrag-ten für sorbische Angelegenhei-ten bei der Staatsregierung gut laufen kann. Mithin: Der Rege-lungsbedarf ist groß. Heiko Kosel

Europäische Linksparteien

Ein weißer Fleck färbt sich rot

Bild: Luis García / Wikimedia Commons /CC BY-SA 3.0

Mitglieds- und Beobachterparteien der Europäischen LINKEN. Grafik: european-left.org

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04/2014 Sachsens Linke! Seite 1

Thomas Dudzak und Stefan Hartmann bli-cken zurück auf den Landesparteitag und betrachten das Wahl-programm der sächsi-schen LINKEN, das von den Delegierten ein-stimmig verabschie-det wurde. Tilo Wirtz schautz zurück auf die Entstehungsgeschichte

der WASG. Halina Wa-wzyniak erläutert, war-um die Abschaffung der Sperrklauseln bei Wah-len wünschenswert ist. Michael Leutert macht

deutlich, warum LINKE Haushaltspolitik glaub-würdig sein muss, wäh-rend Caren Lay LINKE Vorstellungen zur Ener-giewende verweist.

Dialog für SachsenDiskutieren und Vorschläge einbringen - auf

www.dialog-für-sachsen.de

Sachsens Linke

April 2014

11. Landesparteitag beschließt Landtagswahlprogramm einstimmig

Kein Wechsel ohne uns

Auf dem 11. Landesparteitag in Dresden haben wir einen langen Verständigungsprozess abge-schlossen. Über vier Jahre haben wir unter uns, aber auch unter Einbeziehung verschiedenster Akteure aus der Gesellschaft diskutiert, wie wir uns ein besse-res Leben in Sachsen vorstellen. Dieser Prozess mündete nicht nur in eine Vielzahl von Leitlini-en, sondern nun auch in unser Wahlprogramm für die kommen-de Landtagswahl. Dieses Pro-gramm, das wir konsequenter-weise unter den Titel „Besser leben in Sachsen“ gestellt ha-ben, ist unser inhaltliches Ange-bot für einen Politikwechsel in Sachsen an alle Menschen im Freistaat. Um Missverständnissen vorzu-beugen: Uns zieht es nicht um je-den Preis in die Staatskanzlei. Im Gegenteil. Wir haben in der Ver-gangenheit bewiesen, dass uns auch die Oppositionsbänke nicht zu hart sind. Wir können Opposi-tion. Doch uns muss auch immer wieder klar sein: Ohne uns wird es keine gänzlich andere Politik in diesem Land geben, fernab der CDU. Wir kämpfen für einen politischen Wechsel, für einen spürbaren demokratischen Auf-bruch, für langfristige soziale Sicherheit, Wohlstand und Per-spektive für alle, die hier leben. Sollte dies am Wahlabend zu an-deren Mehrheitsverhältnissen in diesem Land führen, so müssen wir dem offen gegenüberstehen. Wir werben um Zustimmung für unsere Politik. Wir müssen da-mit rechnen, diese zu bekom-men. Ein politischer Wechsel in diesem Land sollte deshalb nicht an uns scheitern. Dass wir be-reit dazu sind, Verantwortung zu übernehmen, haben wir mit un-serem Programm dokumentiert.

Am 15. März 2014 trafen sich die Delegierten auf der Be-sucherplattform des Dresd-ner Flughafens, um das Wahl-programm für die diesjährigen Landtagswahlen zu beschlie-ßen. An diesem Ort, an dem auch 2009 bereits das Pro-gramm für die letzte Landtags-wahl beschlossen worden war, endete damit auch ein vier-jähriger inhaltlicher Verstän-digungsprozess. In den ver-gangen Jahren hatte die Partei eine Vielzahl von Leitlinien er-arbeitet und verabschiedet, die die inhaltliche Grundlage des nun beschlossenen Wahlpro-gramms bildeten. Rico Gebhardt, Landesvor-sitzender und designier-ter Spitzenkandidat für die Landtagswahl, hatte den Lan-desparteitag eröffnet. In seiner Rede nannte Gebhardt Soziale Sicherheit, Soziale Gerechtig-keit und sozialer Zusammenhalt als die drei Leitgedanken, die dem Programmentwurf zugrun-de lägen, was die Partei von der herrschenden schwarz-gelben Regierung abgrenze. Der Mar-kenkern der Partei stehe da-mit weiterhin im Mittelpunkt. Der Partei sei aber klar, dass alles, was verteilt werden sol-le, zunächst produziert werden müsse. Deshalb stehe das The-

ma Wirtschaft und Arbeit ganz oben im Programm. „Soziales und Wirtschaft sind zwei Seiten derselben Medaille“, heißt es dazu in der Präambel.Im Hinblick auf den derzeiti-gen Ministerpräsidenten sag-te Gebhardt: „Tillich degradiert die Menschen zur Ressource.“ Und weiter: „Ich sage: Für uns als LINKE ist der Mensch nicht Mittel zum Zweck, sondern Ziel und Wert an sich.“ Sachsen brauche daher den Wechsel, der nur durch LINKE, SPD und Grüne gemeinsam erreicht wer-den könne. Bei allen program-matischen Differenzen vereinen diese drei Parteien die Vision ei-ner humanen Gesellschaft und ein gemeinsames Wertefunda-ment. „Wenn wir diesen Fakt nicht verschweigen, dann ge-ben wir den Menschen in Sach-sen die Chance, eine politische Wechselstimmung zu entwi-ckeln, denn dann wissen sie, wer mit wem und wozu den Poli-tikwechsel in Sachsen schaffen kann!“, so Gebhardt.Auch Bodo Ramelow, Fraktions-vorsitzender und designierter Spitzenkandidat für die Land-tagswahl in Thüringen, Klaus Lederer, Berliner Landesvor-sitzender, und Katja Kipping, Parteivorsitzende der LINKEN, stimmten die Delegierten auf

die bevorstehenden Wahlgän-ge ein. So verwies Klaus Le-derer auf die bundesweite Be-deutung der bevorstehenden Landtagswahlen: „Das, was in Sachsen im August passiert, was in Thüringen und Branden-burg passiert, wird bundesweit von Bedeutung sein.“ Und wei-ter: „Wir müssen das politische Koordinatensystem nach links verschieben!“ Bodo Ramelow verwies auf die ähnlichen Herausforderungen, vor der DIE LINKE in Sachsen und Thüringen stehe. So müsse im Hinblick auf die zunehmen-de Aufgabenübertragung an die Kommunen die Finanzierung geklärt werden: „Wer will, dass die Kommunen Aufgaben über-nehmen, der muss die Kom-munen auch ausfinanzieren!“. Dies sei der LINKEN klar. Katja Kipping forderte ihre Partei auf, auch selbstbewusst zu Erfolgen in der Regierungsbeteiligung wie die Absenkung des Wahl-alters in Brandenburg zu ste-hen. In Bezug auf die kommen-den Europawahlen stellte sie noch einmal die Position ihrer Partei klar: „Wir haben in Ham-burg eine wichtige Entschei-dung getroffen: für uns kommt der Rückzug ins Nationale nicht in Frage.“ Vor dem Beschluss des Pro-

gramms stand für die Dele-gierten eine intensive An-tragsdebatte. Mehr als 150 Änderungsanträge waren zum zweiten Entwurf des Wahlpro-gramms eingegangen, teilweise auf Anregung von außerpartei-lichen Bündnissen und Inter-essenvertretungen. Kurz nach 18.00 Uhr folgte schließlich die Schlussabstimmung über das Programm mit dem Titel „Bes-ser leben in Sachsen“, das ein-stimmig angenommen wurde. Rico Gebhardt fasste in sei-nen Schlussworten noch ein-mal den Anspruch an das Wahl-programm zusammen: „Dieses Landeswahlprogramm ist unser politisches Rezept für eine Ge-staltung des Landes ohne CDU in der Regierung.“Angesichts der aktuellen Wel-le fremdenfeindlicher Aktionen beschloss die Partei außerdem einen Dringlichkeitsantrag, der ein offensives Vorgehen gegen die NPD fordert: „Wir werden ihnen zeigen, dass sie nirgends ungestört rassistische Hetze verbreiten können“, heißt es in dem Beschluss.Thomas DudzakInformationen zum 11. Lan-desparteitag finden sich auch im Internet unter http://www.dielinke-sachsen.de/partei/parteitag/11-landesparteitag/

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Sachsens Linke! 04/2014 Seite 2

Meinungen

ImpressumSachsens Linke! Die Zeitung der Linken in Sachsen

Herausgeberin: DIE LINKE. SachsenVerleger: Verein Linke Kultur

und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a,01129 Dresden

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wie-der. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinnwahrende Kür-zungen vor. Termine der Redakti-

onssitzungen bitte erfragen.Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Druckerei GmbH in Cottbus in einer Auf-lage von 15.150 Exp. gedruckt.

Der Redaktion gehören an: Ute Gelfert, Jayne-Ann Igel, Rico Schubert, Antje Feiks (V.i.S.d.P.), Andreas Haupt,

Ralf Richter, Stathis Soudias.Bildnachweise, wenn nicht gesondert vermerkt:

Archiv, iStockphoto, pixelio.Kontakt:

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Tel. 0351-8532725

Fax. 0351-8532720Redaktionsschluss 25.03.2014

Die nächste Ausgabe erscheint am 30.04.2014.

Zur EU(-Wahl) (Sachsens Lin-ke! 03/2014, S. 1)Die „Idee von Frieden und ge-lebter Solidarität“ ist eine lin-ke, nicht auf Europa und erst recht nicht die EU beschränk-te Idee. Dagegen führten Grün-dungsmitglieder der Vorläufer-organisationen der EU schon seit Beginn Krieg (z. B. Koloni-alkriege) und wollten ihre wirt-schaftlichen und Herrschafts-interessen auf Kosten anderer Menschen durchsetzen. Nach langen Jahren Frieden hat die EU im Bündnis mit der NATO unter starkem Einfluss der BRD den Krieg wieder nach Europa gebracht (Zerschlagung Jugos-lawiens). Staaten, die sich nicht unterwerfen, werden mit Sank-tionen (z. B. Iran) und Krieg be-droht. Neben der aggressiven Politik nach außen und innen (z. B. Polizeieinsätze, Kürzungs-diktate) ist die Förderung der Wirtschaft und damit der wirt-schaftlich Mächtigen Hauptziel der EU. Auch die Regional-, Bil-dungs- und Sozialprogramme sind dem Ziel unterworfen, die Menschen besser wirtschaft-lich verwerten zu können. Was Regierungen nicht im Inland durchsetzen können, setzen sie häufig in der EU und damit in al-len Mitgliedsstaaten durch, weil die EU noch undemokratischer als die Mitgliedsstaaten ist. Die-

se und viele weitere Kritikpunk-te sind Ausdruck der EU-Grund-satzorientierung und können somit nur durch eine EU-Über-windung beseitigt werden. Und wir LINKEN sollten erfolgrei-che Abwehrkämpfe gegen die EU-Politik nicht als „Errungen-schaften der EU“ verklären. Rita Kring, Dresden

Abwasserkonzept der Regie-rung birgt sozialen Spreng-stoffDie EU fordert hundertprozen-tigen Kläranlagenanschluss oder vollbiologische Kleinklär-anlagen bis 2015. Das ist wie-der so ein 100 %-Diktat, denn EU-Richtlinien lassen keine Abweichung von der Regel zu – gleichgültig, ob es die Lage vor Ort erfordert oder eine an-dere Lösung besser ist. Diese Gesetze setzen Wissenschaft und Technik außer Kraft. Dass es auch anders geht, zeigten die Technischen Normen, Gü-tevorschriften und Lieferbedin-gungen (TGL) der DDR mit der Festlegung, „verbindlich, soweit nicht andere Lösungen mög-lich sind“. Diese kategorische Forderung stellt die ländlichen Gemeinden und ihre Bewohner vor unlösbare finanzielle Pro-bleme, denn auch eine 6000 € teure Kleinkläranlage erzeugt Abwasser, das entsorgt werden

muss. Nur selten fließt ein Bach vorbei, der genügend Fließwas-ser für die Abwasseraufnahme führt. Ansonsten verbleiben nur ein Abwasserteich zur Verduns-tung oder eine normgerech-te Versickerungsanlage für den Grundstückseigentümer. Und die kostet das Gleiche wie die geförderte Kleinkläranlage, nur ohne staatliche Förderung! Au-ßerdem darf sich im Umkreis von 200m kein Brunnen befin-den, wie andere Gesetze es for-dern. Da verbleibt dann wieder nur ein Kanal zum nächsten aus-reichenden Fließgewässer.Solche Kanäle gab es schon für die alten Mehrkammer-klärgruben und ihr restliches Abwasser als Teilortskanalisa-tion, auch „Bürgermeisterkanä-le“ genannt. Dort hat sich aber die juristische Lage völlig ge-ändert, weil sie oft über priva-te Grundstücke verlaufen. Sie wurden und werden mangels Einnahmen nur unzureichend gewartet, befinden sich in sehr schlechtem Zustand. Da kom-men unbezahlbare Lasten auf die Gemeinden zu.Für Grundstücke an solchen vor-handenen oder möglichen Lei-tungen würden sich im Zuge der Gemeindeplanungen auch Gruppenkläranlagen auf Ba-sis der Abwasserzweckverbän-de oder Abwassergenossen-schaften beschließen lassen. Deren Vorteile: Staatliche För-derung für Gruppenanlage und Anschlusskanal, klare Verant-

wortung für die fachliche Be-treibung. Der Anschlussnehmer muss nur seine Mehrkammer-faulgrube kurzschließen und die Leitungsrechte gewähren. Er leistet Gebühren und Abwas-serbeitrag, die deutlich geringer sind als seine Kosten bei einer vollständigen Anlage auf seinem Grundstück. Aber die Last der Renovierung und Unterhaltung kommt wieder auf die Gemein-de zu. Die betroffenen Grund-stückseigentümer haben auch ohne die Gemeindeaktivitäten die Möglichkeit, sich zu einer Abwassergenossenschaft mit gleichen Vorteilen zusammen-zuschließen. Planungsbüros und Genossenschaftsverbände zur Beratung gibt es ausreichend.Was wird aber mit denen, die in den letzten Jahren solche nied-rigen Einkommen hatten, dass sie diese teure Technik nicht be-zahlen können? Zu den zigtau-senden Euro Umrüstungskosten kommen die jährlichen Inspek-tions- und Wartungskosten von 200 bis 400 €! Allein mit einer Verordnung Druck zu machen (wie im Vor-jahr geschehen) und das Gan-ze den örtlichen Wasserbetrie-ben aufzudrücken, kann doch wohl keine Lösung sein. Wir unterstützen die Forderung der Lommatzscher Bürger-meisterin, Frau Dr. Maaß, (SZ 28./29.12.2013) nach gründli-cher Beratung und einem Um-denken. Dr. Michael Röhner & Dr. Eckehard Franz

Im Jahr 2014 jährt sich der Aus-bruch des I. Weltkrieges zum 100. Mal. Das Erbe des anti-militaristischen Kampfes von Karl Liebknecht („Der Haupt-feind steht im eignen Land“) und Rosa Luxemburg gegen die damalige Kriegspolitik ist bis heute innerhalb der LINKEN sehr lebendig. Seine Aktualität gewinnt der seinerzeitige kon-sequente Friedenskampf der beiden KPD-Mitbegründer auch daraus, dass die nach 1990 ver-größerte BRD schon wieder von Mali bis zur Ukraine unverhoh-len deutsche Großmachtpolitik betreibt. Für die Leipziger LINKE, die im Geburtshaus von Karl Lieb-knecht in der Braustraße 15 ihren Sitz hat, bleibt die zeitge-mäße Pflege seines Vermächt-nisses eine ehrenvolle Aufgabe. Um dieser Verpflichtung auf ori-ginelle und kreative Weise ge-

recht zu werden, entstand die Idee, ab Anfang August 2014 die im Liebknecht-Haus präsen-tierte Original-Schreibmaschine von Karl Liebknecht „ins Netz“ zu stellen. Am 22. März wurde dazu auch ein entsprechender Beschluss auf dem Stadtpartei-tag gefasst. Es handelt sich bei dieser histo-rischen Schreibmaschine um ein relativ frühes Modell. Die „Caligraph 2“ war die erste Voll-tastaturmaschine (mit Groß- und Kleinbuchstaben) und wur-de ab 1882 bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein gefertigt. Für jeden Buchstaben existiert ein eigener Typenhebel, der über ein hölzernes Tastenhebel-werk ausgelöst und von unten auf das in eine Walze einge-spannte Papier aufgeschlagen wird. Für den Schreiber blieb der Text zunächst unsichtbar, wollte er die Walze nicht zur

Kontrolle manuell anheben.Im Zuge des Projekts soll nun eine Webseite entstehen, auf der die Schreibmaschine visu-ell und funktionell umfassend präsentiert wird. Neben Hin-tergrundinformationen zum Objekt, seinem ehemaligen Besitzer und seinen (ggf. auf dem Original getippten) Reden und Schriftstücken existieren auch interaktive Elemente. Zum einen wird es möglich sein, eine (um eine Achse) drehbare 360°-Ansicht der Schreibma-schine am Bildschirm zu bewe-gen und so einen räumlichen Eindruck zu erlangen. Zum anderen wird in einer zweiten Ansicht ein Abbild der Original-tastatur als virtuelle Tastatur eingeblendet, mit der eigene Texte in der Manier klassischer Schreibmaschinen erstellt wer-den können. Dies richtet sich vor allem an Nutzer von Tablet-

Computern. Bei der Interaktion mit dieser virtuellen Schreib-maschine ertönen authen-tische Geräusche bei Tasten-druck, „Papiereinlegen“ und Zeilenanschlag. Die getippten Texte können exportiert und gedruckt werden.Der Leihgeber der Maschine – das Stadtgeschichtliche Muse-um Leipzig – ist von dem Vorha-ben begeistert. Wir hoffen nun, dass möglichst viele Menschen die Idee aktiv unterstützen, denn sie kostet natürlich Geld. Die dafür notwendigen Kosten in Höhe von ca. 2.500 Euro sollen über ein Einzelsponso-ring der insgesamt 75 Schreib-maschinetasten zu je 35 Euro zusammen kommen. Die Spon-sorInnen werden dann auf der Webseite namentlich aufge-führt. Die ersten 10 Tasten sind schon vergeben. Volker Külow

Karl Liebknechts Schreibmaschine wird virtuell

Glosse

Was wäre die moderne Po-litik ohne Hitler? Schlicht nicht möglich – denn ohne Hitler kommt sie nicht aus. Wo immer im Namen von Freiheit, Demokratie und Rü-stungsexporten ein Krieg um Ressourcen, Wegerechte, Produktionsstandorte und Ab-satzmärkte angezettelt wird, ist Deutschlands berühmtes-ter Seitenscheitel alternativlos und wird auch in Amerika sehr gern genommen. Egal, ob der Schurke nun Ara-ber (Saddam, Assad), Serbe (Milosevic) oder seit neuestem Russe (Putin) ist – Hitler ist er in jedem Falle! Ein wenig Hit-ler in der Kriegserklärung ist so unersetzlich wie die Auster auf dem Buffet des Wohltätig-keitsballes oder eine Spiegel- TV-Reportage aus den Keme-naten geschasster Despoten, die kürzlich noch geachtete Verhandlungspartner auf dem diplomatischen Parkett oder Gastredner auf Wirtschafts-konferenzen waren. Es kommt immer, wie es kommen muss. Zu Beginn der Maidan-Proteste belehrte der Rummelboxer Vi-tali Klitschko den inzwischen bei Adolf Putin untergekro-chenen Gauleiter der Ukraine, Wiktor Janukowitsch, über die schlimmen Folgen der Gewalt. Diese Warnung des vitalen Ghandi der Boxarenen hätte der SA-Mann vom Dnepr ernst nehmen sollen – dann wäre ihm das Schicksal von Rudolf Hess erspart geblieben. Stattdessen trinkt nun Julia Timoschenko, die liebste Pa-tientin von Angela Merkel und Werner Schulz, literweise Ziel-wasser, um irgendwann den freien Oberkörper des Kreml-Führers vom Pferd schießen zu können. Für die westliche Welt dürfte dies kein unersetzlicher Verlust sein: Im Bunker der Minsker Reichskanzlei wartet schon der nächste Hitler auf den Sturm der Schwarzroten Armee!

Der Endsieg ist nah!von Uwe Schaarschmidt

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Unbestritten: Mit unserem Wahlprogramm zur Landtags-wahl haben wir eine ganze Rei-he guter inhaltlicher Positionen beschlossen. Nun können und dürfen wir uns aber nicht der Hoffnung hingeben, dass die-se Vorschläge von ganz allein fruchten. Nur die wenigsten WählerInnen lesen tatsächlich in einem Wahlprogramm, noch weniger werden sich die ganzen 90 Seiten zu Gemüte führen. Deshalb gilt: Die guten Konzep-te und Ideen müssen nun auch raus auf die Straßen und Plätze gebracht werden. Wir stellen dem Programm das Kapitel zu Wirtschaft und Ar-beit voran. DIE LINKE setzt auf ein zukunftsfähiges und nach-haltiges Wirtschaften mit guter Arbeit und guten Löhnen. Wir wollen uns für eine moderne In-dustriepolitik einsetzen als Weg zu einer stabilen und selbst-tragenden Wirtschaft, anstatt Sachsen weiter als „verlängerte

Werkbank“ zu entwickeln. Dazu setzen wir auf eine Stärkung von Forschung und Entwicklung, auf den Wissenstransfer aus den Hochschulen, auf den Ausbau von Technologiezentren. Wir wollen als LINKE, dass sich der Freistaat in diese wirtschaftli-che Entwicklung einbringt, mit öffentlichem Risikokapital für Start-up-Unternehmen aus Pra-xis und Wissenschaft und einem „Innovationsfonds Sachsen“ für Risikokapital Unternehmens-gründungen aktiv fördert. Mit diesen Positionen wollen wir uns aber nicht zur Wirtschafts-partei transformieren. Wir ver-wässern damit nicht unseren Markenkern. Unser Programm ist getragen von dem Dreiklang der sozialen Gerechtigkeit, sozi-alen Sicherheit und sozialem Zu-sammenhalt. Diese drei Leitmo-tive sind Dreh- und Angelpunkt unserer Politik. Die Betonung von wirtschaftlicher Entwick-lung und guter Arbeit ist daher

nur die alte Erkenntnis, dass al-les, was wir im Sinne dieser Leit-motive verteilen wollen, auch erwirtschaftet werden muss. Es stärkt die Glaubwürdigkeit un-serer sozialen Position. So set-zen wir uns selbstverständlich weiter für den Mindestlohn ein, wollen ein Vergabegesetz, das die Vergabe öffentlicher Aufträ-ge an die Einhaltung definierter Sozial- und Umweltstandards koppelt, und engagieren uns für einen gleichen Lohn für glei-che und gleichwertige Arbeit im Sinne der Geschlechtergerech-tigkeit. Wir werden in Sachsen wieder aktive Arbeitsmarktpoli-tik betreiben, indem wir ein Lan-desarbeitsmarktprogramm mit Orientierung auf die Bekämp-fung des Fachkräftemangels auflegen. Wir werden uns für berufliche Weiterbildung und den Abbau der Zugangsbarrie-ren zur Erwerbstätigkeit stark-machen. In diesem Programm erschlie-

ßen wir aber auch neue Posi-tionen, die mit unserer Partei zunächst nicht identifiziert wer-den. Dass wir uns der Kleingärt-nerInnen und der Freiwilligen Feuerwehr ausführlich widmen, ist das eine. Das andere aber ist, dass wir erstmals ausführ-lich unsere Vorstellungen für ei-ne Erneuerung der öffentlichen Verwaltung dokumentieren. Wir sind die Partei, die sich für eine effiziente und bürgernahe Ver-waltung einsetzt. Wir wollen die stärkere Verpflichtung der öffentlichen Hand für das öf-fentliche Wohl. Wir wollen eine zweigliedrige Verwaltung und die Abschaffung der Landesdi-rektion. Im Sinne einer transpa-renten Politik und Verwaltung wollen wir ein Informationsfrei-heitsgesetz auf den Weg brin-gen, das Sachsen als eines der letzten Bundesländer bisher nicht hat. Dass sich diese Vor-stellungen natürlich auch mit der adäquaten personellen Aus-

stattung der Verwaltung und den angemessenen Arbeitsbe-dingungen und Vergütungen, sowie dem Ausbau der Mitbe-stimmungsrechte der im öffent-lichen Dienst Beschäftigten ver-bindet, unterscheidet uns von der herrschenden Politik. Auch werden wir konsequent auf den Erhalt des öffentlichen Eigen-tums, insbesondere der öffent-lichen Daseinsvorsorge, hinwir-ken. Aus diesem Verständnis heraus wollen wir eine „Privati-sierungsbremse“. Es gibt sicherlich noch viele an-dere Botschaften, die wir mit unserem Wahlprogramm ge-setzt haben. Sicherlich findet jede und jeder noch einen an-deren Punkt, der ihr oder ihm besonders wichtig ist. Wichtig ist aber auch, zu betonen, dass wir mit unserem Programm ein umfassendes Angebot machen. Nicht weniger als ein Angebot für ein besseres Leben in Sach-sen. Stefan Hartmann

„Ein Angebot für ein besseres Leben in Sachsen“

Im März 2004 verweigerten ei-nige bayrische SPD-Genos-sinnen und -Genossen um den Schweinfurter Gewerkschafts-sekretär Klaus Ernst dem Bas-ta-, Hartz- und Kriegskanzler Gerhard Schröder den Gehor-sam und gingen mit ihrem Auf-ruf „Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ an die Öffent-lichkeit. Sie stellten fest, dass sich die SPD von ihren Grund-sätzen verabschiedet habe. Die SPD sei zur Hauptakteu-rin des Sozialabbaus sowie der Umverteilung von unten nach oben geworden und zum Kanz-lerwahlverein mutiert, der al-les negiert, wofür diese Partei für über hundert Jahre stand. In der Arbeitsmarktpolitik hät-te die SPD ausschließlich den Druck auf die Arbeitslosen er-höht, ihre Steuerpolitik sei ge-kennzeichnet durch eine sozia-le Schieflage und Umverteilung von unten nach oben, das pari-tätisch finanzierte Rentensys-tem sei beschädigt worden, die Gesundheitspolitik ginge zu Lasten der Patienten und so-zial Schwachen, während die Bildungspolitik der Elitenförde-rung diene und die Universitä-ten verarme, während das Be-kenntnis zur Tarifautonomie lediglich „taktisch“ sei. Die Re-bellen resümierten: „Wir gehen diesen Weg nicht mehr mit.“ Weiter: „Wir treten für ein Bünd-nis mit allen politischen Kräf-ten und Personen ein, die sich für die Erhaltung und den Aus-bau des Sozialstaates und für ein sozial gerecht finanziertes Gemeinwesen einsetzen. Aus diesem Bündnis könnte eine bei der nächsten Bundestagswahl wählbare soziale Alternative

entstehen.“ Dieser bitteren Abrechnung mit der deutschen Sozialdemokra-tie vorangegangen war eine Rei-he von politischen Tabubrüchen der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer seit ihrem Regierungs-antritt 1998. Dinge hatten ih-ren Lauf genommen, die selbst unter dem „Geistig-moralische-Wende“-Kanzler Helmut Kohl vorher als undenkbar erach-tet worden waren. Bereits fünf Jahre vor dem Aufruf der WASG hatte Rot-Grün den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr im Ausland durchführen lassen, ab 24. März 1999 im Kosovo.

Am 14. März 2003, ein Jahr vor dem Aufruf, hatte Kanzler Schröder seine Agenda 2010 verkündet, während seit Feb-ruar 2002 an den Hartz-Geset-zen gearbeitet wurde, die vom 23. Dezember 2002 bis 24. De-zember 2003 nach und nach be-

schlossen wurden und ab spä-testens 1. Januar 2005 (Hartz IV) in Kraft traten. Verbunden damit war ein Paradigmen-wechsel in der Sozialpolitik. Die schwarz-gelbe Opposition von rechts sorgte im Bundesrat für eine Verschärfung der rot-grü-nen Pläne. Die Opposition von links war gelähmt, denn seit der Bundestagswahl im August 2002 saß die PDS nur noch über zwei Direktmandate im Bundes-tag. In dieser politischen Situati-on war der Aufruf ein Fanal. Tat-sächlich begann sich unter der Initiative eine flächendeckende politische Bewegung zu formie-ren. Häufig in Gewerkschafts-

häusern konstituierten sich Orts- und Landesverbände. Im Juli 2004 gründete sich die in-zwischen Wahlalternative Ar-beit und soziale Gerechtigkeit genannte Gruppe als Verein. Gewerkschaftsmitglieder, un-zufriedene SPD-Mitglieder, po-

litisch Aktive aus dem Umfeld der PDS und Menschen, die ih-re ersten Schritte in der Politik machten, gingen euphorisch bis naiv an die Arbeit, der rot-grü-nen Regierung den Kampf anzu-sagen. Der Verein WASG wurde im Januar 2005 als Partei ge-gründet. Ziel war ein eigenstän-diger Wahlantritt zur Bundes-tagswahl 2006. Dies ging bis zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22.05.2005, die von Rot-Grün spektakulär verloren wurde. Gerhard Schröder stellte dar-aufhin die Vertrauensfrage, die seine Kanzlerschaft vorzeitig beendete. Sein alter Widersa-

cher, Oskar Lafontaine, kehrte auf die politische Bühne zurück und regte ein Wahlbündnis zwi-schen PDS und WASG an. Mit 8,7 Prozent kam bei der vorge-zogenen Bundestagswahl 2005 die Linkspartei.PDS in den Bun-destag und etablierte eine Kraft

links von SPD und Grünen. Der mit dem gemeinsamen Wahlan-tritt begonnene Annäherungs-prozess mündete in der im Juni 2007 vollzogenen Verschmel-zung von Linkspartei.PDS und WASG zur Partei DIE LINKE. Jüngst mehren sich Stimmen, die den mit der Gründung der WASG verbundenen Westauf-bau insbesondere nach dem Verlust von einigen Fraktio-nen in Länderparlamenten als gescheitert betrachten wol-len und gutheißen, dass Über-gangsregelungen zu Gunsten der Westverbände ausgelaufen sind. Dazu ein paar Zahlen. Zur Bundestagswahl 2002 erzielte die PDS im „Osten“ 1.700.348 Stimmen und im „Westen“ 378.855. Zur noch nicht ein-mal erfolgreichsten Bundes-tagwahl 2013 wurden im „Os-ten“ 1.866.669 Stimmen und im „Westen“ nunmehr 1.888.030 Stimmen – hier fünfmal so vie-le wie 2002 – verbucht. Länder-parlamente hin oder her, der Bestand der Bundestagsfrakti-on entscheidet sich im Westen auf dem Fundament der WASG-Gründung. Und gibt es auch im Westen weniger Mitglieder – vom Wahlergebnis her steht es fifty-fifty, das wäre zukünftig zu beachten. DIE LINKE ist eine ge-samtdeutsche politische Kraft und kein ostdeutscher Traditi-onsverein. Heterogenität, un-terschiedliche Erfahrungen und auch regionale Besonderheiten sollten als Bereicherung begrif-fen werden. Denn das vormali-ge West-Spielbein der PDS ist seit der Bundestagswahl 2007 zum zweiten – unverzichtbaren – Standbein der Partei DIE LIN-KE geworden. Tilo Wirtz

10 Jahre Aufruf der Initiative Arbeit & soziale Gerechtigkeit

Das Liebknecht-Haus - Heimat der vereinigten Partei DIE LINKE. Bild: SK49 / Wikimedie Commons / CC BY 3.0

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Nicht umsonst hat das Bundes-verfassungsgericht statt von ei-ner Hürde von einer Sperrklau-sel gesprochen, denn genau das besagen alle Regelungen, nach denen eine Partei erst dann über Stimme und Sitze in einem Parlament verfügt, wenn sie mehr als einen willkürlich festgelegten Prozentsatz der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnte. Egal, ob es sich um fünf Prozent bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag oder um drei Pro-zent bei Wahlen zum Europäi-schen Parlament handelt – es fehlt an zwingenden Gründen, in die Wahl- und Chancen-gleichheit durch Sperrklauseln einzugreifen und damit den Ge-danken der repräsentativen De-mokratie einzuschränken.Deshalb war es zu erwarten

und ist trotzdem eine gute Ent-scheidung, dass die von Uni-on, FDP, SPD und Grünen ge-gen die Stimmen der LINKEN eingeführte 3-Prozent-Sperr-klausel zur Europawahl für ver-fassungswidrig erklärt wurde. Damit sind Wahlrechts- und Chancengleichheit der politi-schen Parteien hergestellt.Viele, die aus unterschiedlichs-ten Gründen für eine Beibehal-tung der Sperrklausel waren, sagen nun, das Urteil schwä-che die Abgeordneten, werde zu Chaos im Parlament führen, das zu einer Schwatzbude zu verkommen drohe, und die Ent-scheidungsfindung erschwe-ren. Ich sage, die Bevölkerung ist der Souverän! Eine 3-Pro-zent-Hürde bei den Europa-wahlen hätte – hochgerechnet auf die Wahl 2009 – bedeutet,

dass zehn Prozent der gültigen Stimmen (das sind 2,8 Millio-nen Wahlberechtigte) nicht an der Sitzverteilung des Europa-parlaments beteiligt sind. Wir müssen lernen, damit umzuge-hen, was und wie der Souve-rän gewählt hat und haben kein Recht zu sagen: Wir lassen Ihre Stimme mal unter den Tisch fal-len, weil wir sonst unsere Arbeit nicht organisiert kriegen.Politik ist die Suche nach Mehr-heiten und das Finden von Kom-promissen. Ein Parlament ohne Sperrklauseln hat die Chance, ein Parlament zu werden, in dem das Argument, das Zuhö-ren und die freie Debatte mehr zählen als die Macht in Stein ge-meißelter Mehrheiten.In aller Konsequenz heißt dies für mich, dass auch die 5-Pro-zent-Hürde im deutschen Wahl-

recht fallen muss. Auch wenn damit einhergeht, dass wir uns dann im Parlament mit rech-ten, nationalistischen Parteien wie der AfD werden auseinan-dersetzen müssen. Eine star-ke Demokratie wird das nicht nur aushalten, sondern aus die-ser öffentlichen, parlamenta-rischen Auseinandersetzung noch gestärkter hervorgehen.Aber nicht nur Sperrklauseln sollten der Vergangenheit an-gehören. Das Wahlrecht sol-len auch alle Menschen erhal-ten, die mindestens fünf Jahre in Deutschland leben. Es darf nicht länger an die Staatsbür-gerschaft gebunden sein. Sehr weitgehend ist die For-derung nach der Senkung des Wahlalters auf 0 Jahre. An die-ser Stelle sage ich gleich, dass eine häufig damit einhergehen-

de Forderung nach einem soge-nannten Familienwahlrecht in meinen Augen Unsinn ist. Die Wahlstimme ist nicht übertrag-bar. Aber Kinder sollen die Mög-lichkeit haben, zu entscheiden, ab wann sie wählen gehen wol-len. Natürlich ist nicht zu erwar-ten, dass ein drei Monate alter Säugling diese Entscheidung trifft, aber die Festlegung ei-nes Wahlalters ist genauso will-kürlich wie die Festlegung einer Sperrklausel. Mit der Diskussion um das Wahlrecht von Geburt an geht die Debatte um ein Wahlrecht für all jene Menschen, die auf Grund einer richterlichen An-ordnung unter Betreuung in al-len Angelegenheiten (sog. Voll-betreuung) stehen, einher. Auch ihnen muss es gewährt werden. Halina Wawzyniak

Als Finanzminister Wolfgang Schäuble im März den Regie-rungsentwurf des Bundes-haushalts 2014 vorgestellt hat, enthielten die Eckdaten wenig Überraschungen: Der Entwurf umfasst 298,5 Milliarden Euro und damit drei Prozent weni-ger als 2013. Die größten Ein-zelposten bleiben weiterhin Arbeit und Soziales (122,3 Milli-arden Euro), Verteidigung (32,8 Milliarden Euro) und Schul-dentilgung (30,1 Milliarden Eu-ro). Der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung liegt aber vor allem auf der Absenkung der Nettokreditaufnahme von 25,1 auf 6,5 Milliarden Euro. Da-mit scheint das selbstgesteck-te Ziel von Schäuble, 2015 ei-nen Haushalt ohne strukturelle Neuverschuldung zu präsentie-ren, greifbar nah. Das Ziel eines ausgegliche-nen Haushalts wird jedoch im-mer mehr zum Mantra, dessen

volkswirtschaftlicher Nutzen kaum in Frage gestellt wird. Ob-gleich der Finanzminister in sei-ner Planung von der relativ gu-ten Konjunktur, die ihm mehr Steuereinnahmen bringt, und den niedrigen Zinsen, welche die Ausgaben für die Schulden-tilgung um 18 Milliarden absin-ken lässt, profitiert, bleibt eine Deckungslücke. Sie umfasst sogar nach Berechnungen wirt-schaftsliberaler Ökonomen mehrere Milliarden Euro. Das ist kaum verwunderlich, gilt es doch, Wahlgeschenke wie den Verzicht auf Steuererhöhun-gen, die Mütterrente oder die Rente mit 63 zu finanzieren. Um die Haushaltslöcher zu stop-fen, greift der Finanzminister in die Sozialkassen. So kostet beispielsweise das Vorhaben der Bundesregierung, älteren Müttern in Zukunft zwei Erzie-hungsjahre bei der Rente an-zurechnen, mehrere Milliarden

Euro. Laut Haushaltsentwurf wird es nicht durch Steuern fi-nanziert, sondern aus der Ren-tenkasse. Auch für die Rente mit 63 soll unter anderem das Polster der Rentenversicherung herhalten. Auf die Versicherten können so in absehbarer Zeit statt der Entlastungen, welche die Rentenversicherung errech-net hatte, Beitragserhöhun-gen zukommen. In die gleiche Richtung geht die Kürzung des Bundeszuschusses für den Ge-sundheitsfonds um 3,5 Milliar-den: Der Bund spart kurzfristig Geld, was für die Beitragszah-ler auf höhere Beiträge hinaus-laufen könnte. Dies wiegt umso schwerer, als selbst nach Ein-schätzung des Internationalen Währungsfonds der Bund jähr-lich auf Steuermehreinnahmen im zweistelligen Milliardenbe-reich – insbesondere durch ei-ne höhere Besteuerung von Besserverdienenden – verzich-

tet. Insgesamt lässt sich fest-stellen, dass die Bundesregie-rung im Entwurf für 2014 ihrem Ziel, einem Bundeshaushalt oh-ne strukturelle Neuverschul-dung näher zu kommen, die se-riös-nachhaltige Finanzierung des Haushalts untergeordnet hat. Die ‚schwarze Null’ wird immer mehr zu einer abstrak-ten Größe, die sich nur aus sich selbst rechtfertigt.Die Aufgabe der LINKEN in den beginnenden Haushaltsver-handlungen ist es aber nicht al-lein, die Bundesregierung für diese Politik zu kritisieren. Wir müssen zugleich belegen, dass eine andere Politik nicht nur in-haltlich notwendig, sondern auch finanziell zu realisieren ist. Dafür müssen unsere Konzepte und Vorschläge gut aufeinander abgestimmt sein und sich rech-nen. Sie dürfen zusammen nicht mehr oder sogar ein Vielfaches mehr kosten als der Bund nach

unseren eigenen Berechnungen einnehmen wird. Wenn schon zwei Anträge der Fraktion zur Rente und den Tarifverhandlun-gen im öffentlichen Dienst ein Volumen von 20 Milliarden ha-ben, das gesamte Steuer- und Finanzkonzept der Linksfrak-tion aber ‚nur’ 52 Milliarden Mehreinnahmen aufweist, wird deutlich, wo wir uns noch ver-bessern müssen. Wichtig wird es in diesem Kontext auch sein, uns über prioritäre Maßnahmen zu verständigen. Das Argument hingegen, wir seien doch nicht die Regierung, also bräuch-ten wir auf die Finanzierbarkeit nicht zu achten, ist falsch. Wir laufen sonst nicht nur Gefahr, uns in den Haushaltsberatun-gen lächerlich zu machen. Wir berauben uns auch selbst un-serer Wirkungsmöglichkeiten. Schließlich wollen wir doch, dass linke Politik Realität wird, oder?! Michael Leutert

Hürde genommen – mehr Chancengleichheit bei den Europawahlen

Bundeshaushalt 2014 – Für eine LINKE Politik, die sich rechnet

Page 9: Links! Ausgabe 04/2014

Kommunal-Info 3-2014

WohnmodelleGemeinschaftliche Wohnmodelle für die Zukunft

Seite 2

KommunalrechtWichtige Änderungen im Überblick

Seite 3

Passivhäuser Nachhaltiger Bau und Betrieb von Gebäuden

Seite 4

Gewählt, und nun?Grundlagenseminare für die kommunalpolitische Arbeit

Seite 4

K o m m u n a l p o l i t i s c h e s F o r u m S a c h s e n e . V .K F S

Online-Ausgabe unter www.kommunalforum-sachsen.de

26. März 2014

Kommunalpolitik in SachsenAm 25. Mai werden die Bürgerinnen

und Bürger in Sachsens Städten und Gemeinden an die Wahlurnen gerufen, um neben den Wahlen zum EU-Parla-ment die Kommunalvertretungen für fünf Jahre neu zu wählen.

Welche Stellung nehmen Gemein-den und Landkreise in der politischen Ordnung ein? Was heißt kommunale Selbstverwaltung? Diese und manch andere elementare Fragen stellen sich dann insbesondere für die „Neulinge“ in der Kommunalpolitik.

Gewählt werden am 25. Mai die Ver-tretungen

in den Landkreisen (die Kreistage),in den Gemeinden und Städten (die

Gemeinderäte bzw. Stadträte), sowie in Ortschaften (die Ort-

schaftsräte). Gesetzlich werden keine prinzipiel-

len Unterschiede zwischen Städten und Gemeinden gemacht. Die Bezeichnung „Stadt“ tragen Gemeinden entspre-chend ihrer Einwohnerzahl, Siedlungs-form und charakteristischer Verhältnis-se mit typisch städtischem Gepräge.

Die Kommunale EbeneGemeinden, Landkreise und Ge-

meindeverbände (Verwaltungsver-bände, Verwaltungsgemeinschaften) bilden die kommunale Ebene der Ver-waltung, sie sind nach Artikel 82 der Verfassung des Freistaates Sachsen die Träger der kommunalen Selbstverwal-tung.

Die Gemeinden, Landkreise und Ge-meindeverbände sind rechtsfähige Kör-perschaften des öffentlichen Rechts, sie erledigen im eigenen Namen und ei-gener Verantwortung öffentliche Auf-gaben in ihrem Wirkungskreis und können dazu auch Verwaltungsakte er-lassen.

Die Verbandsversammlung eines Ge-

meindeverbandes geht nicht wie die Gemeinderäte und Kreistage aus Wah-len hervor, sondern durch die Entsen-dung von Vertretern der sich zusam-menschließenden Gemeinden.

Zur kommunalen Ebene gehören unterhalb der Gemeinden außerdem die Ortschaften, für die bei den Kom-munalwahlen am 25. Mai auch die Ortschaftsräte gewählt werden. Die Ortschaften sind jedoch keine rechts-fähigen Körperschaften des öffent-lichen Rechts, sie haben nur eine be-grenzte Zuständigkeit innerhalb ihrer Ortschaft.

Das Recht der SelbstverwaltungDie kommunale Selbstverwaltung

wird durch Artikel 28 des Grundge-setzes gewährleistet. Danach haben die Gemeinden das Recht, die Angelegen-heiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln. Glei-ches gilt für die Landkreise in Bezug auf die Wahrnehmung der überörtli-chen, regionalen Aufgaben.

Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland geht auf die Stein’sche preußische Städteordnung von 1808 zurück, die seinerzeit ein Bestandteil der Reformen des preußischen Staats-wesens war.

Selbstverwaltung der Kommunen be-deutet im rechtlichen Sinne zunächst, die eigenverantwortliche Erfüllung von öffentlichen Aufgaben in ihrem Wirkungskreis durch eigene Organe und eigene Verwaltung. Als selbstän-dig handelnde Körperschaften verfü-gen sie über eigene Finanzen, die sie in eigener Verantwortung einsetzen kön-nen.

Ausdruck der kommunalen Selbst-verwaltung sind insbesondere solche Rechtsgarantien wie

die sog. Allzuständigkeitsvermutung,

d.h., die Gemeinde wird vorderhand für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft als zuständig erklärt, so-fern diese nicht schon per Gesetz an-deren Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen wurden. Das Prinzip der Allzuständigkeit gilt, wenn „die Be-lange des örtlichen Bereiches berührt sind und die Durchführung innerhalb der räumlichen Grenzen und der wirt-schaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinde möglich ist.“1

Den Gemeinden und den Landkrei-sen wird eine Eigenverantwortung zu-gewiesen, durch die sie ihre Aufgaben ohne staatliche Vormundschaft oder Weisung nach eigenen Zweckmäßig-keitsüberlegungen realisieren können. Die Einwirkungsmöglichkeit des Staa-tes beschränkt sich hier auf eine Kon-trolle der Gesetzlichkeit.

Zu den elementaren Selbstverwal-tungsgarantien gehört weiterhin das Satzungsrecht der Gemeinden und Landkreise. Hiernach können sie ihre eigenen, weisungsfreien Angelegen-heiten durch Satzungen zum „Gemein-derecht“ bzw. „Kreisrecht“ erheben.

Jedoch sind weder die Gemein-den noch die Landkreise so etwas wie „kommunale Republiken“, die sich ih-re Kommunalverfassung selbst geben können. Sie sind Teil des Verwaltungs-aufbaus des jeweiligen Landes, was u.a. auch darin zum Ausdruck kommt, dass das jeweilige Land die kommuna-le Gesetzgebung bestimmt. Gemein-den und Landkreise können also nur im Rahmen der vom Land beschlosse-nen Gesetze Satzungen für ihre eigenen Angelegenheiten erlassen. Die wich-tigsten Gesetze des sächsischen Kom-munalrechts sind:

die „Gemeindeordnung für den Frei-staat Sachsen“,

die „Landkreisordnung für den Frei-

staat Sachsen“,das „Sächsische Gesetz über kom-

munale Zusammenarbeit“. Im Zuge Fortentwicklung des säch-

sischen Kommunalrechts durch Be-schluss des Sächsischen Landtags im November 2013 gibt es eine Reihe von Änderungen in diesen und weiteren kommunalrelevanten Gesetzen. So-fern noch keine gedruckten Ausgaben dieser Gesetze vorliegen, besteht auch die Möglichkeit, diese aus dem Inter-net herunterzuladen unter www.revo-sax.sachsen.de/.

Schulen der DemokratieIn § 1 der Sächsischen Gemeindeord-

nung werden das Wesen und die Stel-lung der Gemeinde in der politischen Ordnung wie folgt bestimmt:

„(1) Die Gemeinde ist Grundlage und Glied des demokratischen Rechts-staates.“

„(2) Die Gemeinde erfüllt ihre Auf-gaben in bürgerschaftlicher Selbstver-waltung zum gemeinsamen Wohl aller Einwohner durch ihre von den Bürgern gewählten Organe sowie im Rahmen der Gesetze durch die Einwohner und Bürger unmittelbar.“

Nach dieser Bestimmung sind die Gemeinden die „Keimzelle der Demo-kratie“ (Bundesverfassungsgericht)2 – ohne kommunale Demokratie also kein demokratischer Rechtsstaat!

Deshalb gelten die Gemeinden schlechthin als „Schulen der Demokra-tie“, ein Begriff, den der französische Philosoph und Politiker Alexis de Toc-queville (1805-1859) prägte, nachdem ihn bei seiner Reise durch die USA das dortige kommunalpolitische Leben tief beeindruckt hatte.

Gemeinden werden als das ursprüng-

Fortsetzung auf Seite 2

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Seite 2Kommunal-Info 3/2014

ImpressumKommunalpolitisches

Forum Sachsen e.V.Großenhainer Straße 99

01127 DresdenTel.: 0351-4827944 oder 4827945

Fax: 0351-7952453info@kommunalforum-sachsen.dewww.kommunalforum-sachsen.de

V.i.S.d.P.: A. Grunke

Die Kommunal-Info dient der kommunalpolitischen Bildung und Information und wird aus finanziellen Zuwendungen des

Sächsischen Staatsministeriums des Innern gefördert.

liche Feld für die politische Betätigung der Bürgerinnen und Bürger angese-hen. Durch das Mitwirken in der Kom-munalpolitik findet eine politische Sozialisation statt und können demo-kratische Normen und Verhaltensmus-ter entwickelt und erlernt werden. Al-lerdings können nur starke Gemeinden ihren Verfassungsauftrag als Grund-lage und Glied des demokratischen Rechtsstaates erfüllen.3

Kommunale Selbstverwaltung im po-litischen Sinne bedeutet vor allem das ehrenamtliche Wirken der Bürgerin-nen und Bürger bei der Wahrnehmung der kommunalen Angelegenheiten.

Es gehört zum Wesen kommunaler Selbstverwaltung, dass sie vom Enga-gement der mit den örtlichen Verhält-nissen besonders vertrauten Bürger/innen getragen wird. Das schafft Bür-ger- und Sachnähe, Überschaubarkeit, Flexibilität und Spontanität der Ent-scheidungen und garantiert damit ei-ne höhere Qualität und Akzeptanz der Aufgabenerfüllung bei den Einwoh-ner/innen.

Sinn einer politisch verstandenen

Selbstverwaltung ist es, der Übermacht der Verwaltungsbürokratie entgegen-zuwirken und die Entfremdung zwi-schen Verwaltung und Bürger durch ihre Beteiligung an der Verwaltung zu-rückzudrängen.4

Auch und gerade deshalb, weil kom-munale Verwaltung zunehmend einer Professionalisierung unterliegt und durch wachsenden Einsatz hauptbe-ruflicher Angestellter und Beamter ge-kennzeichnet ist, braucht sie als krea-tiven Gegenpol das Ehrenamt. Um das zu gewährleisten, müssen die Rech-te der kommunalen Vertretungen ge-stärkt werden, sie dürfen als kommu-nale Hauptorgane nicht zum Anhängsel der Verwaltung werden.

Eine Besonderheit und Wesensele-ment kommunaler Selbstverwaltung besteht darin, dass das kommunale Mandat im Gemeinderat ausschließlich ehrenamtlich wahrgenommen wird. Darin unterscheiden sich die gewähl-ten Mandatsträger/innen im Gemein-derat erheblich von Berufspolitiker/innen in Bundes- und Landtag. Das be-deutet aber auch, dass die Arbeitsweise des Gemeinderats bzw. Kreistags sowie der Ausschüsse so organisiert werden muss, dass die gewählten Mandatsträ-

ger/innen ihre Tätigkeit auch ehren-amtlich ausüben können. Sitzungen des Gemeinderats und seiner Gremien sol-len deshalb zeitlich so gelegt werden, dass auch Berufstätige die Möglichkeit haben, den Pflichten in ihrem Mandat nachkommen zu können.

Ehrenamtliche Tätigkeit bedeutet nicht zwangsläufig unentgeltliche Tä-tigkeit. Eine Aufwandsentschädigung gehört heute regelmäßig zum Ehren-amt. Der Charakter des Ehrenamtes bleibt solange gewahrt, bis dies nicht zum Hauptberuf wird.

„Bürgerschaftliche Selbstverwal-tung“, wie es in § 1 der Sächsischen Gemeindeordnung heißt, wird nicht nur über die gewählten Organe reali-siert, sondern auch „durch die Einwoh-ner und Bürger unmittelbar“. Deshalb gehören zu einer lebendigen kommu-nalen Selbstverwaltung auch die For-men der direkten Demokratie (Bür-gerbegehren und Bürgerentscheid) und der Bürgerbeteiligung (Einwohnerver-sammlung, Einwohnerantrag, Bürger-haushalt u.a.m.).

AG

1 Hegele/Ewert, Kommunalrecht im Freistaat Sachsen, 3. Aufl., S. 28.

2 BVerfGE 79, 127 (149).3 Vgl. Gemeindeordnung für den Frei-

staat Sachsen. Ergänzbarer Kommen-tar mit weiterführenden Vorschriften, G § 1, S. 5 sowie Naßmacher/Naßma-cher: Kommunalpolitik in Deutsch-land, 2. überarb. Aufl., S. 24f.4 Vgl. Kommunale Selbstverwaltung.

Rechtsgrundlagen-Organisation-Auf-gaben…, 3. überarb. Auflage, S. 34f.

Fortsetzung von Seite 1

Kommunalpolitik...

Gemeinschaftliche Wohnformen ge-winnen an Bedeutung. Sie sind ein wichtiger Ansatz zur Bewältigung des demografischen Wandels. Im In- und Ausland gibt es eine Reihe von erfolg-reichen Praxisbeispielen.

Der demografische Wandel mit all seinen Facetten wird zunehmend in den Städten und Gemeinden sichtbar. Er stellt uns vor nie gekannte Heraus-forderungen, die beim Grundbedürfnis „Wohnen“ ganz real und greifbar wer-den. Deutschland steht unmittelbar vor einer demografischen Wohnrevolution.

Entsprechend der Faktenlage zur Be-völkerungsentwicklung in Deutschland – „wir werden älter, weniger und bun-ter“ verändern sich Bedürfnisse und Anforderungen an das Wohnen in gra-vierender Weise. Bereits im Jahr 2030 werden die über 65-Jährigen rund ein Drittel der Bevölkerung stellen. Das stärkste Wachstum findet in der Grup-pe der über 80-Jährigen statt.

Demgegenüber gibt es heute nur 600.000 Wohnungen, die dem An-spruch „barrierearm“ genügen. Das entspricht einem Anteil von rund 1,5 Prozent des gesamten Wohnungsbe-standes. Bereits im Jahr 2020 wird mit mindestens drei Millionen solcher Wohnungen die fünffache Anzahl be-nötigt.

Weitere Veränderungen sind bei den Familienstrukturen (z. B. Single-Haus-halte, Patchwork-Familien, Kleinfami-lien) und Lebensformen (z. B. hohe Mobilität durch die Anforderungen der modernen Arbeitswelt) festzustellen. Beziehungs-, Bindungs- und Unterstüt-zungssysteme entstehen zunehmend außerhalb der Familie als Gegenpool zur Tendenz einer wachsenden Indi-vidualisierung bis hin zur Vereinsa-mung.

Diesen Prozess gilt es in Einklang zu bringen mit der neuen Vielfalt von Al-

ter und Altern in einem Miteinander der Generationen. Im Ergebnis ist ein Paradigmenwechsel vom „Wohnen im Alter“ zum „Wohnen für alle“ überfäl-lig. National und international gibt es bereits erfolgreiche Beispiele für ge-meinschaftliche Wohnformen.

Anforderungen von Jung und AltWohnungen, Wohnumfeld, Wohnfor-

men und Quartiere müssen gleicherma-ßen den Anforderungen von Jung und Alt entsprechen und dazu beitragen, dass sie die spezifischen Kompetenzen

aller Generationen und aller Bewohner wechselseitig unterstützen. Wohnim-mobilien – im Bestand und im Neubau – sollten in ihrem Lebenszyklus stär-ker wechselnden Bedürfnissen, unter-schiedlichen Bewohnern und Nutzun-gen gerecht werden können, als dies bislang der Fall ist. Die Politik sollte ein besonderes Augenmerk auf bezahl-baren Wohnraum legen. Brennpunkte sind bekanntermaßen die Ballungsge-biete, in denen die Miet- und Immobi-lienpreise seit einigen Jahren kontinu-ierlich steigen.

Mehrgenerationenhäuser haben sich flächendeckend zum Erfolgsmodell entwickelt, sei es als Begegnungszent-

rum in einem Quartier oder als Ort des Wohnens in nachbarschaftlichen Ge-meinschaften von Familien, Alleinste-henden und Älteren in separaten, abge-schlossenen Wohneinheiten.

In privat- und trägerinitiierten ge-meinschaftlichen Wohnprojekten en-gagieren sich Menschen, um gemein-sam maßgeschneiderte Lösungen zu realisieren. Das in der Rechtsform ei-nes Vereins organisierte Mehrgene-rationenprojekt „Heller Wohnen“ in Schwäbisch Hall zum Beispiel ist Hei-mat für Familien, Alleinstehende und

Menschen mit Behinderung, die in in-dividuellen Wohnungen leben und Ge-meinschaftsräume nutzen können.

Integriert ist eine Wohngemeinschaft für Studenten und Auszubildende. Vor-gesehen und bei Bedarf aktiviert wer-den kann eine Pflegewohngemein-schaft.

Die Zusammenarbeit und der Dia-log der Generationen prägt die Haus-gemeinschaft und strahlt auch auf die Nachbarschaft im Wohngebiet aus. Im Beginenhaus in Tübingen leben Frauen unterschiedlichster Herkunft zusam-men und unterstützen sich gegenseitig. Das Haus wird von einer Stiftung ge-tragen.

Unterstützung in der Nachbarschaft

Eigenständiges Wohnen und Unter-stützung in der Nachbarschaft, sei es bei der Kinderbetreuung, bei hand-werklichen Aufgaben oder beim Ein-kaufen, sind gefragt. Gerade in diesen nachbarschaftlichen Netzwerken liegt eine große Chance zur Gestaltung von Wohnen und Leben im demografischen Wandel.

Zeitgemäße Impulse für Architek-tur und Wohnungsbau setzt das Netz-werk Wohnen unter der Federführung des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt am Main. Unter demo-grafischen Aspekten wurden gelunge-ne Projekte im Neubau und im Bestand national und international zusammen-gestellt.

In Eschweiler zum Beispiel wurde das ehemalige Kaufhaus Breuer als Wohn- und Geschäftshaus mit barrie-refreien Wohnungen umgebaut. In der Innenstadt von St. Gallen (Schweiz) wurde eine leer stehende Stickerei in 17 Wohnungen umgebaut. Die Wohnfab-rik Solinsieme ist so konzipiert, dass für Hausarbeiten, handwerkliche Tä-tigkeiten und Gästeempfang gemein-sam genutzte Räume in der Hausge-meinschaft zur Verfügung stehen.

Kommunen und Bürger, Planer, Ar-chitekten, Stadtentwickler, Wohnungs-wirtschaft und Kreditinstitute sind ge-meinsam gefordert, nach realisierbaren Lösungen für das Generationen-Woh-nen zu suchen und diese umzusetzen. Im Fokus muss der Aufbau von in-terdisziplinären Netzwerken stehen. Daraus können neue Verantwortungs-bündnisse für das Wohnen der Genera-tionen wachsen, in denen sich Einzel-ne für das Gemeinwohl engagieren, um die Zukunft des „Wohnens für alle“ zu bauen. (Sabine Neumann-Braun)(www.gemeinderat-online.de, 3/2014)

Wohnmodelle für die Zukunft

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PARLAMENTSREPORT

Liebe Leserinnen und Leser,das Urteil gegen Uli Hoeneß wurde lange und mit Spannung erwartet. Nun muss der ehemalige Präsident des FC Bayern ins Gefängnis, auch wenn ihm viele Fans weiterhin die Treue halten dürften. Eines aber ist deutlich geworden: Frechheit lohnt sich nicht. Was hat das mit sächsischer Landes-politik zu tun? Der Fall Uli Hoeneß, der leider nicht so einzigartig ist, wie man vermuten möchte, setzt eine wichtige Frage auf die Tagesordnung: Wollen wir weiterhin akzeptieren, dass millionenschwere Steuerbetrüger per Selbstanzeige ihr Heil in der Flucht suchen können? Der Grundsatz, wo-nach vor dem Gesetz alle gleich sind, gerät in Gefahr, denn Steuerhinter-ziehung ist eben kein Kavaliersdelikt. Ob unser Gemeinwesen funktioniert, hängt ganz erheblich davon ab, ob alle entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu seiner Finanzierung beitragen. Jeder Euro, den wir an Steuern zahlen, kommt uns indirekt wieder zugute: Etwa wenn wir unsere Kinder zur Schule schicken, Straßen befahren, das Theater besuchen, in Wäldern und Parks spazieren, die Straßenbahn nut-zen. Das alles und vieles mehr ist nur möglich, wenn alle mithelfen. Wer das verweigert, gefährdet den sozialen Frieden. Mit Diskussionen zur Kinder- und Jugendhilfe und Forderungen nach bezahlbarem Wohnraum hat die Fraktion DIE LINKE übrigens auch beim Märzplenum gezeigt, dass sie für sozialen Zusammenhalt einsteht. Nicht durch Gerichtsurteile und Strafzahlungen soll das Gemeinwesen bekommen, was ihm zusteht, sondern durch vorausschauende Politik.

Rico GebhardtFraktionsvorsitzender

März 2014 Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

Die CDU regiert den Freistaat seit nahezu einem Vierteljahrhundert. Ihre Dominanz zeigt sich auf allen Ebenen. So gehören auch alle säch-sischen Landräte dieser Partei an. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Köpfe der zehn Landkreise die Staatsregierung nun einhellig für deren Kinder- und Jugendpolitik kriti-siert haben. Gemeinsam legten sie im November 2013 ein jugendpolitisches Positionspapier vor, über das im März in Vorbereitung auf den Doppelhaus-halt 2015/2016 verhandelt wurde.Konkret bemängeln die CDU-Land-räte, dass der Freistaat die Kom-munen bei der Kinder- und Jugend-hilfe im Stich lässt, obwohl das Land gemäß § 82 SGB VIII dazu verpflich-tet ist, „auf einen gleichmäßigen Ausbau der Angebote hinzuwirken“. Dazu zählen Leistungen, die öffent-liche und freie Träger für junge Men-schen und Familien erbringen, also etwa Jugendarbeit, Jugendsozialar-beit, Jugendschutz, Familienberatung sowie die Kindertagesbetreuung. Für die Schule, die eindeutig in die Ver-antwortung des Kultusministeriums fällt, konstatieren die Landräte gar, es bedürfe „dringender Verbesserun-gen im Schulsystem, insbesondere ausreichende[r] personelle[r] und qua-litativ bedarfsdeckende[r] Ressour-cen, damit das System Schule wieder aus sich heraus fähig ist, Schullauf-bahnen auch verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher erfolgreich zum Abschluss zu bringen.“Weil auch die Fraktion DIE LINKE die mangelhafte Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfe seit langem kritisiert, beantragte sie eine Aktu-elle Debatte zum Thema „Hilfe für die Jugendhilfe! Verantwortung der Sächsischen Staatsregierung bei der

Ausstattung der Kinder- und Jugend-hilfe in Sachsen“.Angebote der Kinder- und Jugend-hilfe müssten sich dem Gesetz nach an alle Kinder und Jugendlichen rich-ten und dürften nicht nur „Feuer-wehr“ spielen, wenn es zu spät sei, so Annekatrin Klepsch, Spreche-rin für Kinder- und Jugendpolitik der Fraktion DIE LINKE. Die Jugend-pauschale, mit der Sachsen die örtli-chen Träger der öffentlichen Jugend-hilfe unterstützt, wurde im Jahr 2010 um ein Drittel gekürzt und bei 10,3 Mio. Euro eingefroren. Das setzt die Landkreise bis heute erheblich unter Druck und hat zur Kürzung und Schließung von Angeboten geführt. Auch die Betriebskosten der Kinder-tagesstätten steigen kontinuierlich. Die Pauschale, die der Freistaat den Trägern gewährt, ist jedoch seit zehn Jahren gleich geblieben. „Im Jahr 2000 hat die kommunale Ebene 581 Millionen Euro für die Kosten der Kin-dertagesbetreuung aufgewendet. Im Jahr 2011 waren es schon 1,16 Milliar-den Euro. Wir haben es fast mit einer Verdoppelung der Kita-Kosten zu tun. Der Freistaat ist hier gefordert“, so Klepsch. Problematisch seien auch die steigenden Kosten für die Hilfen zur Erziehung, also für sozialpäda-gogische Familienhilfe, ambulante Einzelfallhilfe und stationäre Unter-bringung. Zwischen 2000 und 2011 wuchsen sie trotz einer zurückgegan-genen Anzahl junger Menschen um 16 Prozent auf 200 Millionen Euro.Planungssicherheit gebe es auch nicht in der Schulsozialarbeit. Auf ein Jahr befristete Verträge und pre-käre Beschäftigung bei den pädago-gischen Fachkräften hätten gravie-rende negative Auswirkungen, gab Klepsch zu bedenken. „Die von mir

Hilfe für die Jugendhilfegenannten Punkte sind kein sozialpo-litisches Gejammer der LINKEN oder Besitzstandswahrung von Sozialpä-dagogen. Der Landkreistag hat die-ses Papier vorgelegt, und die Land-kreise sind am Ende ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit“, so Klepsch. Die Finanzierung der Jugendhilfe müsse neu ausgerichtet, Kitas ausreichend ausgestattet werden. Schulsozialar-beit und präventive Angebote seien auszubauen. Ihre Kollegin Kathrin Kagelmann verwies auf ihre Erfahrungen als Kreisrätin in ihrem Heimatkreis Gör-litz. Auch sie zeigte sich überrascht von der Kritik der CDU-Landräte an der CDU-Regierung: „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal fast Mit-leid mit meinem CDU-Landrat haben würde, der seit Jahren um einen nicht zu konsolidierenden Haushalt kämpft und dann immer wieder landespoliti-sche Nackenschläge erhält“. Ihr Land-kreis habe 2012 durch die Kürzung der Jugendpauschale erheblich weni-ger Geld in die präventive Jugendhilfe stecken können. Dadurch seien 15 Projekte und acht Vollzeitstellen weg-gefallen, auch zahllose Kleinprojekte wie Jugendfreizeiten und Klubs seien gestorben. Es sei fatal, dass versucht werde, mit Lohndumping bei den Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern der Freien Träger gegenzusteuern. „Ich finde, Sie verhalten sich enorm ego-istisch gegenüber Ihren Kommunen. Sie lassen Ihre Leute, die Kommunal-politiker vor Ort, im Stich!“, rief sie den Koalitionsfraktionen zu. Es wird sich zeigen, ob die CDU-geführte Staatsregierung wenigs-tens Forderungen aus ihren eigenen Reihen ernst nimmt, wenn sie schon die Kritik der Opposition fortwäh-rend ignoriert.

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PARLAMENTSREPORTSeite 2 März 2014

Die Ausgaben fürs Wohnen stellen in den allermeisten Geldbeuteln den größten Posten dar. Auch in Sach-sen wird bezahlbarer Wohnraum zunehmend knapp, gerade in und bei Großstädten. Wenn Wohnungen dann auch noch barrierefrei sein sollen, weil ihre Bewohner etwa aus Altersgründen körperlich beein-trächtigt sind, tendiert das Angebot schnell gegen Null. Die Staatsre-gierung zeichnet wegen des Weg-falls von knapp 160.000-180.000 Haushalten in den kommenden zehn Jahren zwar das Bild eines ent-spannten Wohnungsmarktes. Dabei verschweigt sie aber, dass dieser Leerstand vor allem in kleinen Städ-ten und Gemeinden im ländlichen Raum entstehen wird, nicht aber in den Großstädten. Gerade dort besteht aber ein hoher Bedarf.

Sachsens Haushalte werden älter und einkommensschwächer. Die nach 1990 gebrochenen Erwerbs-biografien führen zu geringeren Rentenansprüchen. Altersarmut bedroht Generationen von Gering-verdienern, „Aufstockern“ und Voll-verdienern mit Niedriglohn. Schon die durchschnittlichen Arbeitsein-kommen in Sachsen liegen nach übereinstimmenden Zahlen des Statistischen Landesamtes und der Bundesagentur für Arbeit knapp 700 Euro unter denen im Westen. Wenn Wohnraum umgebaut wird, damit er barrierefrei und/oder altersge-recht wird, liegen die Nettokaltmie-ten inzwischen aber schnell über 8 Euro. Das können Mieterinnen und

Mieter, die von Hartz IV betroffen, wohngeldberechtigt oder auf Grund-sicherung im Alter angewiesen sind, nicht bezahlen.

Wohnungen müssen umgebaut und modernisiert werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund notwendiger energetischer Sanierungen. Wie aber lässt sich das bewerkstelli-gen? Mit ihrem Antrag „Schaffung barrierefreien Wohnraums durch Um- und Neubau bedarfsgerecht fördern“ (Landtags-Drucksache 5/13743) hat die Fraktion DIE LINKE Antworten vorgeschlagen. Die Staatsregierung soll sich dem-nach beim Bund dafür einsetzen, dass ein Förderprogramm aufgelegt wird. Damit sollen Um- und Neubau von barrierefreiem und generatio-nengerechtem Wohnraum unter-stützt werden. Auch eigene För-dermaßnahmen sollen entwickelt

werden. Insgesamt solle sicher-gestellt werden, dass die Netto - kaltmieten die Zahlungsfähigkeit insbesondere einkommensschwa-cher Menschen und Menschen mit Behinderungen nicht überfordern.

Enrico Stange, wohnungspoli-tischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, sprach sich dagegen aus, Mieter und Wohnungsunter-nehmen mit den Kosten alleinzu-lassen: „Energetische Sanierungs-standards sind nicht Mietersache, sondern eine gesamtstaatliche Vorgabe. Auch die Schaffung von Wohnraum, der es ermöglicht, weite Phasen des Alters in den eigenen vier Wänden zu verbrin-gen, ist nicht mieterseitig zu stem-men“. Die Wohnungsunternehmen könnten, da sie die Mieterinnen und Mieter nicht verlieren wollen, die Kosten von Sanierung und Moderni-

sierung nicht auf die Mieten umle-gen. Mit zinsverbilligten Förder-darlehen seien diese Investitionen nicht möglich, die Rückzahlungs-zeiträume wären viel zu lang. Daher müsse der Staat Zuschüsse zahlen.

Die Staatsregierung schätzt, dass es in Sachsen 43.000 barrierefreie oder zumindest barrierearme Woh-nungen gibt. Horst Wehner, behin-dertenpolitischer Sprecher der Fraktion, verwies hingegen auf den tatsächlichen Bedarf: „Etwa 600.000 Menschen mit Beeinträch-tigungen leben in Sachsen. Min-destens 350.000 bezeichnen wir als schwerbehindert. Von diesen Schwerbehinderten haben allein 250.000 eine körperliche Beein-trächtigung. Der Sozialverband VdK Sachsen hat darauf hingewiesen, dass im Freistaat ein Bedarf von fast 145.000 pflegegerechten und barrierefreien Wohnungen besteht“. Schwerbehinderung sei keine frei-willige Lebensentscheidung, so Wehner. Wenn Wohnungen alters-gerecht umgestaltet werden, ließen sich auch in Medizin- und Pflegesys-tem Kosten sparen. Diese deckten einen Gutteil der Aufwendungen, die für den Umbau angefallen sind.

16 Wohnungswirtschaftsverbände, Wohnungsunternehmen und Betroffenenverbände unterstützen die Forderungen der Fraktion DIE LINKE. Die Staatsregierung sollte nun handeln, damit die Mieten künftig auch für kleine Geldbeutel bezahlbar bleiben.

Barrierefrei wohnen bis ins hohe Alter

Sichere Hilfe bei häuslicher GewaltHäusliche Gewalt, also Gewalt in Familien und in Partnerschaften besonders im Wohnumfeld, hat in den letzten Jahren stark zugenom-men. Fast 80 Prozent der Betrof-fenen sind Frauen, häufig auch mit Kindern. Die Ursachen sind vielfäl-

tig. Stärker wird dieses bisherige „Tabu-Thema“ in der Öffentlich-keit angesprochen. Das seit 2002 geltende Gewaltschutzgesetz hat sicher dazu beigetragen – aber das reicht nicht mehr aus. Besonders die personelle und finanzielle Situa-

tion der sächsischen Frauenschutz-häuser und Fachberatungsstellen für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder macht es notwendig, diese Angebote zu sichern und aus-zubauen.

Um im März ein Frauenthema zu behandeln, aber nicht nur des-halb, setzte die Fraktion DIE LINKE das Thema häusliche Gewalt auf die Tagesordnung des Landta-ges. Wenige Tage zuvor hatte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) einen neuen Bericht vorgestellt, der Gewalt gegen Frauen mit weltweiter Perspektive darstellt. Der gemein-sam mit der SPD-Fraktion einge-brachte Antrag „Hilfestruktur für Opfer und Betroffene von häus-licher und Beziehungsgewalt in Sachsen verbessern und sicher-stellen“ (Landtags-Drucksache 5/13374) zielt darauf, dass sich die Staatsregierung auf Bundes-ebene dafür einsetzen möge, für die Opfer häuslicher Gewalt einen Rechtsanspruch auf Hilfe durchzusetzen. Für Beratungs- und

Hilfeeinrichtungen sollen bundes-weit einheitliche Standards gelten, insbesondere bei deren Finan-zierung. Auch die Personalaus-stattung soll dem Bedarf ange-messen sein. Da die sächsischen Kommunen ohnehin unter chroni-schem Geldmangel leiden, brau-chen sie dabei allerdings Hilfe vom Land.

„Es ist an der Zeit, dass politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger Maßnah-men gegen diese weitverbreitete Gewalt ergreifen. Hierbei müssen die Bedürfnisse und die Rechte der Gewaltopfer nicht nur auf dem Papier berücksichtigt, son-dern auch in der Praxis umgesetzt werden“, forderte die gleichstel-lungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Heiderose Gläß, in ihrer Einbringungsrede. Die Koalitionsfraktionen stimmten dem Antrag jedoch nicht zu. Sie sehen offenbar keinen Handlungs-bedarf, obwohl die Familie durch-aus nicht für alle eine heile Welt darstellt.

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PARLAMENTSREPORTMärz 2014 Seite 3

Der Fall Marwa El-Sherbini, die 2009 im Landgericht Dresden aus ausländerfeindlichen Motiven bru-tal ermordet wurde, zeigt: Sicher-heit in sächsischen Gerichten ist nicht naturgegeben. Im Gerichts-saal sorgen Justizwachtmeisterin-nen und Justizwachtmeister für die Sicherheit der Anwesenden. Obwohl diese Berufsgruppe zahlen-mäßig klein ist, hat sich ihr Aufga-benspektrum in den vergangenen Jahren erweitert, die Verantwor-tung ist größer geworden. Waren früher vor allem Akten und Post zu befördern, so werden Justiz-wachtmeister heute zunehmend als „Sicherheitsfachkräfte“ im Bereich des Sicherheits-, Sitzungs- und Vorführdienstes eingesetzt. Sie müssen brisante Situationen eigen-ständig erkennen, situationsange-messen handeln und insgesamt auf alle Beteiligten deeskalierend wirken.

In ihrer Besoldung spiegelt sich diese Verantwortung allerdings nicht wieder. Bisher liegt der Ver-dienst im Justizwachtmeisterdienst weit unter dem im Polizei- und Straf-vollzugsdienst. Nach wie vor wer-den die sächsischen Wachtmeister in der Besoldungstabelle niedriger eingestuft als etwa ihre Kollegen in Bayern oder Nordrhein-Westfa-len. Auch Beförderungen lassen im Freistaat länger auf sich warten als anderswo.

Hinzu kommt, dass an sächsischen Gerichten immer mehr private Sicherheitsunternehmen engagiert werden, um die Justizwachtmeister zu unterstützen. Rechtlich ist aller-dings nicht klar geregelt, wie sie zusammenarbeiten sollen und wer im Zweifelsfalle weisungsbefugt ist. Im Ernstfall muss das Zusam-menspiel allerdings schnell und reibungslos funktionieren, sonst

stehen im schlimmsten Fall Men-schenleben auf dem Spiel.

Die Fraktion DIE LINKE hat den Antrag „Besoldung im Bereich des Justizwachtmeisterdienstes bei Gerichten und Staatsanwalt-schaften im Freistaat Sachsen verbessern“ (Landtags-Druck-sache 5/12599) eingebracht. Darin wird unter anderem gefor-dert, Besoldung und Aufstiegs-chancen der Justizwachtmeiste-rinnen und Justizwachtmeister zu verbessern, indem sie in eine höhere Besoldungsgruppe ein-gruppiert werden. Zudem soll künftig darauf verzichtet wer-den, private Sicherheitsunter-nehmen heranzuziehen, wenn es darum geht, die hoheitlichen Aufgaben des Justizwachtmeis-terdienstes zu erfüllen. Die Regie-rungsfraktionen lehnten die Vor-schläge erwartungsgemäß ab.

Gestiegene Verantwortung: Justizwachtmeisterdienst aufwerten!

Selbstlob und Kritik für Sachsens KulturpolitikRegierungserklärungen sind meist keine Höhepunkte des Parlaments-betriebes, sondern eher Projek-tionsflächen des Selbstlobs der Mächtigen. Sie können sich aber zu interessanten Tagesordnungspunk-ten entwickeln. Die Fachregierungs-erklärung der Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, zum Thema „Mehr als ein Verfassungsauftrag – gemein-sam fördern und pflegen wir unsere Kunst und Kultur in Sachsen“ wurde mit Spannung erwartet. Verantwort-lich dafür war die Diskussion um den geschassten Intendanten der Dresd-ner Semperoper, Serge Dorny. Aller-dings sollte dieser Fall nicht darüber hinwegtäuschen, welche Probleme im sächsischen Kulturbereich beste-hen. Dr. Volker Külow, kulturpoli-tischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, und Annekatrin Klepsch, Sprecherin für Soziokultur, wiesen auf den großen Handlungsbedarf hin. Zur kulturpolitischen Bilanz der letz-ten fünf Jahre stellte Volker Külow fest, dass der Anteil der Kulturaus-gaben am Gesamthaushalt stetig gesunken sei und noch rund zwei Prozent betrage. Ernst sei auch die Lage der Kulturräume, die inzwi-schen die Landesbühnen aus Eigen-mitteln teil finanzieren müssen. Das Orchester der Landesbühnen bleibe indes auf der Strecke; überhaupt warteten Sachsens Theater und Orchester noch immer auf Planungs-sicherheit, seien weiter strukturell unterfinanziert. „Ansonsten kenn-zeichnen gerade seit Ihrem Amtsan-tritt permanente Rückzugsgefechte

die freistaatliche Kulturpolitik. Der Freistaat versucht sich mehr und mehr aus seiner politischen Verant-wortung zu stehlen“, kritisierte Külow. Das zeige sich auch bei Betriebs- bzw. Rechtsformwechseln bei bedeu-tenden Kultureinrichtungen wie dem Staatsbetrieb „Staatliche Schlösser, Burgen und Gärten“ und der Säch-sischen Landes- und Universitäts-bibliothek Dresden (SLUB). Hinzu kämen Kürzungen an den Hochschu-len. An der Universität Leipzig drohe die Abwicklung der Theaterwissen-schaften und der sachsenweit einzig-artigen Archäologie, obwohl bald in Chemnitz das Haus der Archäologie feierlich eröffnet werden soll. Annekatrin Klepsch wies auf zwei weitere kulturpolitische Baustellen hin. So solle die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen zukünftig ver-

stärkt den internationalen kulturellen Dialog fördern. Allerdings sei ihr Pro-jektetat im Doppelhaushalt 2013/14 – erstmals nach zehn Jahren – um ledig-lich zehn Prozent erhöht worden. Dies fange beinahe den Inflationsausgleich auf, erlaube der Stiftung aber nicht die notwendige Entwicklung im Inte-resse der Kunstförderung. „Wie die Kulturstiftung in den nächsten Jahren in die Lage versetzt werden soll, inno-vative Projekte sowie freischaffende Künstlerinnen und Künstler in Sach-sen verstärkt zu fördern, dazu gab es heute keine Aussagen“, bemängelte Klepsch. Auch die Themen Soziokul-tur und Literatur habe sie in der Regie-rungserklärung vermisst. Das Selbstlob der Staatsregierung steht auch in der Kulturpolitik ohne Grundlage da. Der Freistaat verdient neue Impulse.

PlenarspiegelMärz 2014Am 12. und 13. März 2014 fan-den die 92. und 93. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags statt. Die Fraktion DIE LINKE war mit folgenden parlamentarischen Initiativen vertreten:

Aktuelle Debatte:– „Hilfe für die Jugendhilfe! Verantwortung der Sächsischen Staatsregierung bei der Ausstat-tung der Kinder- und Jugendhilfe in Sachsen“

Anträge:– Fraktionen DIE LINKE und SPD: „Hilfestruktur für Opfer und Betroffene von häuslicher und Beziehungsgewalt in Sachsen verbessern und sicherstellen“ (Drs 5/11374)– „Schaffung barrierefreien Wohnraums durch Um- und Neu-bau bedarfsgerecht fördern“ (Drs 5/13743)

Änderungsanträge:» Drs 5/13990 und Drs 5/13991 zum Gesetzentwurf der Staatsregie-rung in Drs 5/9812 „Drittes Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches“» Drs 5/13998 zum Gesetzentwurf der Staatsregierung in Drs 5/12953 „Wiederaufbaubegleitgesetz“ » Drs 5/14002 zum Gesetzentwurf der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion in Drs 5/13124 „Gesetz zur Änderung des Waldgesetzes für den Freistaat Sachsen“

Sammeldrucksache 5/13911:In den Berichten der Ausschüsse waren folgende Anträge der Fraktion DIE LINKE enthalten:– „Pädagogische Fachkräfte in der Kindertagesbetreuung in Sachsen zu „multiprofessionellen Teams“ entwickeln“ (Drs 5/12417)– „Besoldung im Bereich des Justiz-wachtmeisterdienstes bei Gerich-ten und Staatsanwaltschaften im Freistaat Sachsen verbessern“ (Drs 5/12599)– „Subsidiaritätsbedenken und ggf. Subsidiaritätsrüge nach Arti-kel 12b des EU-Vertrages zum Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über ein Europäi-sches Netz der Arbeitsvermittlun-gen, den Zugang von Arbeitskräften zu mobilitätsfördernden Diensten und die weitere Integration der Arbeitsmärkte (COM(2014) 6 final)“ (Drs 5/13804)

Auf Empfehlung der Ausschüsse lehnte die regierungstragende Mehr-heit im Plenum diese Anträge ab.

Drucksachen (Drs) und Redebeiträge unter www.linksfraktion-sachsen.de

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PARLAMENTSREPORTSeite 4 März 2014

ImpressumFraktion DIE LINKE im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-Platz 101067 Dresden

Telefon: 0351/493-5800Telefax: 0351/493-5460

E-Mail: [email protected]

V.i.S.d.P.: Marcel BraumannRedaktion: Kevin Reißig

Noch ist es zu früh, um alle Ergeb-nisse meiner Frühjahrstour 2014 abschließend zu bilanzieren. Sie steht in diesem Jahr im Zeichen der Kommunen, des kommunalen Mit-einanders. Doch aus den Begeg-nungen mit kommunalen Entschei-dungsträgern und Gesprächen mit Politikbetroffenen lassen sich erste Erkenntnisse und Schlussfolgerun-gen ableiten. Wer die richtigen Fragen stellt, erhält so manche überraschen-den Antworten, und auf das Zuhö-ren kommt es an. Das scheinen die Mächtigen verlernt zu haben. Denn nur wer aufmerksam zuhört, erkennt die Chancen zum richtigen Handeln. Als grundlegendes Prob-lem wird allerorts die mangelnde Finanzausstattung der Kommunen empfunden und beklagt. Aber nicht immer liegt es am (unbestritten) mangelnden Geld. Ob im Gespräch mit Elvira Hellmich, Leiterin des AWO Gesundheitszen-trum am Spiegelwald in Grünhain-Beierfeld, zur Entwicklung der Mutter/Vater-Kind-Klinik im Erzge-birge oder mit der Geschäftsleitung der Plauener Stadtwerke Strom zum Thema Grundversorgung und Stromabschaltungen oder mit dem Oberbürgermeister von Hohen-stein-Ernstthal, Lars Kluge (CDU), zur regionalen Wirtschaftsentwick-

lung – eines wird ganz deutlich: Trotz hervorragender Strukturen und materieller Voraussetzungen, die in den letzten Jahren in vielen Bereichen zweifelsfrei geschaffen wurden, sind die Menschen, die sich für ihre Aufgaben engagieren, wich-tiger als alles andere. Andererseits wächst der Unmut über politischen Stillstand und erlebte Willkür, der sich im Streben nach mehr direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung artikuliert. Und es sind gerade die Aktivsten und Engagiertesten, die sich zunehmend in ihrer Willens- und Handlungsfrei-heit eingeengt und behindert sehen. Sie stoßen immer öfter an die Gren-zen staatlicher Förder-, Bildungs-, Gesundheitspolitik.Ist es die Arroganz der Macht oder die Ohnmacht der Bevölkerung, wenn es für eine 8-Jährige keine Ausnahmeregelung bei der Benut-zung des Schulbusses gibt, weil ihr Zuhause 1960 m von Schule ent-fernt liegt, die Satzung zur Schüler-beförderung jedoch 2000 m Entfer-nung für die Nutzung vorschreibt? Ein anderes Beispiel: In Riesa wird engagierten Bürgerinnen und Bür-gern, denen die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Mitmenschen am Herzen liegt, mit fadenscheini-gen Begründungen die Einrichtung eines Umweltmesspunktes verwei-

gert, obwohl mit der Offenlegung der Messergebnisse die jahrelan-gen Streitigkeiten über den Grad der Feinstaub- und Lärmbelästigung vom Tisch wären. Leider müssen wir immer öfter beobachten, dass der Mensch hinter Satzungen, Verwal-tungsstrukturen und „übergeordne-ten Interessen“ zurücktreten muss. Dem gegenüber feiert die Staatsre-gierung sich und ihre Erfolge selbst mit Slogans wie „Alles für Sach-sen!“, „Sachsen stärken!“, „Wir sind Sachsen“ u. a. Es geht aber zuvorderst nicht um das Land, die Region, die Heimat – das wäre zu kurz gesprungen. Es muss um die Menschen im Land, um die Akteure in der Region, um die Sächsinnen und Sachsen, die hier ihre Heimat sehen, gehen. Es ist die den Men-schen vergessende CDU-Politik der Leuchttürme, die dem widerspricht. Deshalb ist es auch verständlich, dass die Zahl derer wächst, die sich eine politische Veränderung, einen Politikwechsel wünschen. Das geht nur in gemeinsamer Verantwortung von Rot-Rot Grün. Das ist auf kom-munaler Ebene tagtägliche Pra-xis. „Rot-Rot-Grün muss von unten wachsen“ – so eine Forderung, die in einem Bürgerforum in Döbeln erhoben wurde, das ich gemeinsam mit Hennig Homann aus der SPD-Landtagsfraktion bestritt.

Fazit: Das Verhältnis von Staat und Bürgerinnen und Bürgern muss auch in Sachsen neu ausgerichtet werden. Zu weit haben sich die Regierenden von den Menschen und deren tat-sächlichen Problemen entfernt. Die Ent-Demokratisierung der Gesell-schaft hat eine neue Stufe erreicht, die zum Streben nach mehr direkter Demokratie und Bürgerbeteiligung führt. Die verkrusteten Strukturen in der staatlichen Verwaltung und in der Staatspartei CDU behindern notwendige Innovationen. Es ist Zeit für den Politikwechsel. Rico Gebhardt

Kommunaltour: Zwischenbilanz

Die Beispiele Krim und Kosovo zei-gen: Der Welt bekäme es besser, wenn die Probleme von Minder-heiten friedlich in bestehenden Staaten gelöst würden statt durch gewaltsame Grenzverschiebungen. Nun droht weder eine Abspaltung der Lausitz noch eine sorbische Mobilmachung gegen den deut-schen Staat, aber es wäre auch für die hiesige Mehrheitsgesellschaft im Europa der offenen Grenzen ein Gewinn, wenn die slawische Spra-che und Kultur des kleinen sorbi-schen Volkes künftig mehr Rücken- als Gegenwind bekäme. Dass diese Frage nicht wenige Menschen bewegt, bewies das gut besuchte Forum zur Zukunft der politischen Mitbestimmung der Sorben, dass die Landtags-Linksfraktion am Aschermittwoch im Bautzener sor-bischen Gasthaus „Wjelbik“ durch-führte. Die Resonanz war umso erfreulicher, als gerade am Ascher-mittwoch die Konkurrenz der poli-tischen Termine groß ist und sich fast zeitgleich in Chemnitz Antifa-schisten aus dem ganzen Land tra-fen, um einem Naziaufmarsch ent-gegenzutreten.

Unter den fast vierzig Teilnehmern befanden sich von Seiten der LIN-KEN neben dem sorbischen Land-tagsabgeordneten Heiko Kosel auch Cornelia Falken und Marion

Junge sowie Marcel Braumann, neben seinem Job als Pressespre-cher der Fraktion Vertreter der „Sorbischen Linken“ im Landesrat. Aus Brandenburg war der minder-heitenpolitische Sprecher der dort regierungstragenden Linksfrak-tion im Landtag, Jürgen Maresch, gekommen, der auch stellvertre-tender Vorsitzender des parlamen-tarischen Beirates der Stiftung für das sorbische Volk ist.

Der Vorsitzende der Domowina, Dawid Statnik, lobte DIE LINKE in Brandenburg für das neue Sor-

bengesetz. Der bisherige, nach Experten-Meinung stark defizitäre minderheitenpolitische Zustand im Nachbarland konnte somit trotz der Bremsklötze des Koali-tionspartners SPD verbessert wer-den. „Das begrüßen wir“, so Heiko Kosel, „da wir für ein möglichst hohes und einheitliches, Landes-grenzen übergreifendes Niveau der Sorbenpolitik in beiden Bundes-ländern eintreten. Deshalb ist es auch richtig, interessante Neure-gelungen in Brandenburg in einem intensiven Diskurs der sorbischen Gremien mit der Landespolitik auf

Viel Interesse an sorbischer Mitbestimmungden sächsischen Prüfstand zu stel-len.“ Und weiter: „Es gibt einen weit verbreiteten Wunsch, mit einem Verbandsklagerecht die sorbischen Interessen bei Eingriffen ins sorbi-sche Siedlungsgebiet u. a. durch Braunkohle-Bergbau oder Kaolin-Abbau, besser wahren zu können. Es bestehen aber erhebliche Zwei-fel, ob die in Brandenburg gefun-dene Regelung praktikabel ist, wie der international anerkannte Minderheitenrechtsexperte Prof. Stefan Oeter befürchtet. Insofern sollten wir in Sachsen für ein Ver-bandsklagerecht ohne die Ein-schränkungen wie in Brandenburg kämpfen.“

Doch auch für ihre innerparteili-che sorbische Kandidatenauswahl bekam Sachsens LINKE eine inter-essante Anregung von Prof. Oeter und Thede Boysen, dem friesischen Büroleiter des schleswig-holstei-nischen Wirtschaftsministers: So sollten sich nach dem Vorbild US-amerikanischer Vorwahlen die sor-bischen Kandidaten der Partei auf öffentlichen Veranstaltungen im sorbischen Siedlungsgebiet vor-stellen und von allen Sorbinnen und Sorben, die das wollen, ausgewählt werden. Damit sei auch die in klei-nen Gruppen bestehende Manipu-lationsgefahr ausgeschlossen – ein gutes Modell!

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Seite 3 Kommunal-Info 3/2014

Änderungen im KommunalrechtIm November 2013 hatte der Sächsi-

sche Landtag eine Reihe von Änderun-gen im sächsischen Kommunalrecht beschlossen. Im Folgenden werden ei-nige wichtige Änderungen in der Säch-sischen Gemeindeordnung (SächsGe-mO) benannt, die in der Regel analog auch in der Sächsischen Landkreisord-nung (SächsLKrO) geändert wurden.

„Sport“ im Aufgabenkreis (§ 2) In der SächsGemO (wie der Sächs-

LKrO) wird der Sport im Aufgaben-kreis hervorgehoben. Damit erfährt der Sport zwar eine Aufwertung in der kommunalen Tätigkeit, ohne dass er je-doch zur kommunalen Pflichtaufgabe erklärt würde oder zwingend bestimm-te finanzielle Verpflichtungen damit verbunden wären.

Unterrichtung der Einwohner (§ 11)

Die Gemeinde informiert ihre Ein-wohner laufend über die allgemein be-deutsamen Angelegenheiten ihres Wir-kungskreises. Jetzt soll das auch in elektronischer Formen geschehen (z.B. über das Internetportal der Gemeinde/des Landkreises).

Ehrenamtliche Tätigkeit (§ 17)Wie bisher sind die Bürger der Ge-

meinde zur Übernahme und Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit ver-pflichtet. Künftig kann die Gemeinde auch Nicht-Bürgern eine ehrenamtli-che Tätigkeit mit deren Einverständnis übertragen.

Einwohnerversammlung (§ 22)Der Bürgermeister muss nicht mehr

zwingend die Einwohnerversammlung selbst leiten. Er kann das an einen von ihm beauftragten leitenden Bedienste-ten weitergeben, sofern der Gemeinde-rat nicht eines seiner Mitglieder damit beauftragt. Gemeinderäte und Vertre-ter der Gemeindeverwaltung müssen nun den Einwohnern für Fragen zur Verfügung stehen, bisher sollten sie das lediglich.

Bürgerbegehren (§ 25)Das gesetzliche Mindestquorum für

ein Bürgerbegehren wurde auf 10% herabgesetzt. In Gemeinden (jedoch nicht in Landkreisen) besteht weiterhin die Möglichkeit, durch Bestimmung in der Hauptsatzung das Quorum auf bis 5% herunter zu setzen.

Künftig müssen die erforderlichen Unterschriften für das Bürgerbegehren spätestens nach einem Jahr bei der Ge-meinde eingereicht werden.

Richtet sich das Bürgerbegehren ge-gen einen Beschluss des Gemeinderats, muss es nun innerhalb von 3 Monaten (bisher 2) nach der Bekanntgabe des Beschlusses bei der Gemeinde einge-reicht werden.

Akteneinsicht (§ 28)Nunmehr kann ein Fünftel der Ge-

meinderäte (bisher ein Viertel) in allen Angelegenheiten der Gemeinde verlan-gen, dass der Bürgermeister den Ge-meinderat informiert und diesem oder einem von ihm bestellten Ausschuss Akteneinsicht gewährt.

Anfragen an den Bürgermeister (§ 28)

Anfragen an den Bürgermeister über einzelne Angelegenheiten der Gemein-

de sind binnen einer angemessenen Frist zu beantworten. Konkretisiert wurde, dass diese Frist grundsätzlich vier Wochen zu betragen hat.

Fraktionen (§ 35a)Bisher galt schon, dass die Gemeinde

den Fraktionen Mittel aus ihrem Haus-halt für die sächlichen und personellen Aufwendungen für die Geschäftsfüh-rung gewähren konnte. In Gemeinden ab 30.000 Einwohnern sollen ihnen jetzt Mittel gewährt werden.

Außerdem kann durch Geschäfts-ordnungsregelung vorgesehen werden, dass Arbeitnehmer der Fraktionen zu nichtöffentlichen Sitzungen des Ge-meinderats und seiner Ausschüsse Zu-tritt haben.

In den Landkreisen galt bisher, dass den Fraktionen nach § 31 SächLKrO angemessene Mittel zu gewähren wa-ren. Nun heißt es nur noch: Der Land-kreis soll den Fraktionen Mittel aus seinem Haushalt für die Geschäftsfüh-rung gewähren.

Gemeinderatssitzung (§ 36) Der Bürgermeister kann nun den Ge-

meinderat nicht nur in schriftlicher, sondern auch in elektronischer Form einladen. Er soll künftig nicht mehr mindestens einmal monatlich einberu-fen werden, sondern nur noch, wenn es die Geschäftslage erfordert.

Der Gemeinderat ist unverzüglich einzuberufen, wenn es ein Fünftel der Gemeinderäte (bisher ein Viertel) un-ter Angabe des Verhandlungsgegen-standes beantragt.

Antrag auf Tagesordnung (§ 36)Bisher konnte nur auf Antrag von

mindestens einem Fünftel der Gemein-deräte ein Verhandlungsgegenstand auf die Tagesordnung spätestens der über-nächsten Sitzung des Gemeinderats ge-setzt werden. Jetzt steht dieses Recht auch einer Fraktion zu, unabhängig von ihrer Stärke.

Ausschluss von Sitzung (§ 38)Bisher konnte ein Gemeinderat bei

grobem Verstoß gegen die Ordnung vom Vorsitzenden aus dem Beratungs-raum verwiesen werden, womit der Verlust des Anspruchs auf die auf den Sitzungstag entfallende Entschädigung verbunden war. Nun kann bei wieder-

holten Verstößen der Gemeinderat ein Mitglied für mehrere, höchstens je-doch für drei Sitzungen ausschließen. Analog gilt das wie für die bisherige

Regelung auch entsprechend für sach-kundige Einwohner, die zu den Bera-tungen zugezogen sind.

Überweisung an Gemeinderat (§41)

Ein Fünftel aller Mitglieder (bisher ein Viertel) eines beschließenden Aus-schusses kann verlangen, dass eine An-gelegenheit dem Gemeinderat zur Be-schlussfassung unterbreitet wird, wenn sie für die Gemeinde von besonderer Bedeutung ist. Wichtig ist: dieses Min-destquorum von einem Fünftel bezieht sich auf die Gesamtzahl der Mitglieder des Ausschusses, nicht nur auf die Zahl der gerade anwesenden Mitglieder.

Besetzung der Ausschüsse (§ 42)

Weiterhin gilt der Grundsatz, dass die Zusammensetzung der Ausschüsse der Mandatsverteilung im Gemeinde-rat entsprechen soll. Kommt eine Eini-gung über die Zusammensetzung eines Ausschusses nicht zustande, können die Mitglieder von den Gemeinderäten auf Grund von Wahlvorschlägen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl unter Bindung an die Wahlvorschläge gewählt werden.

Neu ist jetzt aber die Möglichkeit, dass anstelle der Wahl der Ausschuss-mitglieder der Gemeinderat jetzt be-schließen kann, dass sich alle oder einzelne Ausschüsse nach dem Stär-keverhältnis der Fraktionen zusam-mensetzen. In diesem Fall werden die Ausschussmitglieder dem Bürgermeis-ter von den Fraktionen entsprechend der ihnen zustehenden Sitze schriftlich benannt. Die von einer Fraktion be-nannten Ausschussmitglieder können von dieser auch abberufen werden und durch andere ersetzt werden.

Neu ist auch, dass die Mitglieder der Ausschüsse sich im Einzelfall durch andere Gemeinderäte vertreten lassen können.

Sachkundige Einwohner (§ 44)Neu ist die Bestimmung, dass Mit-

glieder des Gemeinderats und Bediens-tete der Gemeinde nicht als sachkundi-ge Einwohner berufen werden können.

Widerspruch des Bürgermeisters (§ 52)

Hat der Bürgermeister gegen einen

Beschluss des Gemeinderats seinen Widerspruch eingelegt, ist unter An-gabe der Widerspruchsgründe eine Sit-zung des Gemeinderats einzuberufen, die spätestens 4 Wochen nach der ers-ten Sitzung stattzufinden hat (bisher war das auf 3 Wochen befristet).

Wurde vom Bürgermeister gegen Beschlüsse von beschließenden Aus-schüsse Widerspruch eingelegt, hat in diesen Fällen nun der Gemeinderat in gleicher Weise über den Widerspruch zu entscheiden.

Ortschaftsrat (§ 67)Dem Ortschaftsrat werden wie bis-

her zur Erfüllung der ihm zugewie-senen Aufgaben angemessene Haus-haltsmittel zur Verfügung gestellt. Die ortschaftsbezogenen Haushaltsansätze müssen jetzt im Rahmen der Gesamt-ausgaben der Gemeinde unter Berück-sichtigung des Umfanges der in der Ortschaft vorhandenen Einrichtungen festgesetzt werden (bisher sollten sie das lediglich).

Aufhebung der Ortschaftsverfassung (§ 69a)

Dieser Paragraph wurde gänzlich neu eingefügt. Danach kann die Ort-schaftsverfassung durch Änderung der Hauptsatzung zur nächsten regelmä-ßigen Wahl der Gemeinderäte aufge-hoben werden, wenn der Ortschaftsrat fortdauernd beschlussunfähig ist.

Wurde die Ortschaftsverfassung auf Grund einer Vereinbarung nach Ge-meindezusammenschluss auf unbe-stimmte Zeit eingeführt, kann sie nur mit Zustimmung des Ortschaftsrats aufgehoben werden, frühestens zur übernächsten regelmäßigen Wahl nach ihrer Einführung. Der Beschluss des Ortschaftsrats bedarf der Mehrheit der Stimmen aller Mitglieder. Ist die Zahl der Ortschaftsräte während der Wahl-periode auf weniger als die Hälfte der festgelegten Mitgliederzahl gesunken, entscheidet an seiner Stelle der Ge-meinderat.

Vertretung in Unternehmen (§ 98)

Werden in ein Unternehmen in Pri-vatrechtsform (z.B. GmbH) Vertreter der Gemeinde entsandt, müssen diese über die für diese Aufgabe erforderli-che betriebswirtschaftliche Erfahrung und Sachkunde verfügen, bisher soll-ten sie das lediglich.

Auch in einen Aufsichtsrat dürfen nur Personen entsandt werden, die über die für diese Aufgabe erforderliche be-triebswirtschaftliche Erfahrung und Sachkunde verfügen. Außerdem sollen künftig von der Gemeinde keine Per-sonen für den Aufsichtsrat bestimmt werden, die Arbeitnehmer des Unter-nehmens oder eines von diesem abhän-gigen Unternehmens sind.

AG

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Seite 4Kommunal-Info 3/2014

In eigener Sache:NEU GEWÄHLT-UND NUN?

GRUNDLAGENWISSEN ZUR ARBEIT IN DEN KOMMUNALVERTRETUNGEN

Zu den diesjährigen Kommunalwahlen führt das Kommunalpolitische Forum Sachsen im Juni 2014 eine sachsenweite Bildungstour durch. Wir möchten damit allen Interessierten, insbesondere den neu gewählten Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, die Gelegenheit bieten, sich grundlegendes kommunalpolitisches Wissen für die anstehende Legisla-turperiode anzueignen. Schwerpunkte der Veranstaltung werden sein:

Die novellierte sächsische GemeindeordnungHauptsatzung und GeschäftsordnungKonstituierung der Fraktion und des Gemeinderates bzw. KreistagesBesetzung von Ausschüssen, Aufsichtsräten und anderen gewählten Gremien

Als Dauer der Veranstaltung sind jeweils ca. drei Stunden vorgesehen und sie soll möglichst Nachtmittags bzw. Abends an einem Werktag durchgeführt werden. Der Teilnehmerbeitrag wird 3 Euro betragen.Um einer Vielzahl von Menschen die Teilnahme zu ermöglichen, möchten wir diese Veranstaltung dezentral in verschie-denen Kommunen in Sachsen anbieten. Für unsere Planung bitten wir um Terminvorschläge und Ortswünsche, um diese bei der Durchführung unserer Bildungstour möglichst berücksichtigen zu können.

Anmeldungen und Nachfragen bitte an: Kommunalpolitische Forum Sachsen e.V., Großenhainer Straße 99, 01127 DresdenTel. 0351-4827944/4827945E-Mail: [email protected]

Nachhaltiger Bau und Betrieb von Gebäuden

Die Entwicklung hin zu einem nach-haltigen Bauen und Betreiben von Ge-bäuden ist auf einen Bewusstseins-wandel angewiesen. Gefragt ist der adäquate Umgang mit den verfügbaren Ressourcen. Zukünftige Energiestan-dards sollten den Aufwand pro Person oder Nutzer mehr in den Vordergrund stellen.

Das Bauwesen hat an Ressourcenver-brauch und Klimawandel einen erheb-lichen Anteil. Gebäude verbrauchen in Deutschland 50 Prozent aller der Erde entnommenen Stoffe, verursachen 60 Prozent der Abfälle und verbrauchen die Hälfte der produzierten Endener-gie. Weltweit resultieren ein Drittel der Treibhausgasemissionen aus dem Bau und Betrieb von Gebäuden. Die Bewäl-tigung dieser Herausforderungen kann nur durch eine ganzheitliche Strategie in unterschiedlichen Handlungsfeldern gelingen.

Für Gebäude gilt es, systemische Lö-sungsansätze zu entwickeln, die passi-ve sowie aktive Strategien für die fünf grundlegenden Energiethemen eines Gebäudes behandeln: Wärme, Kälte, Luft, Licht und Strom. Passive Strate-gien versuchen den Energiebedarf des Gebäudes zu minimieren – also bei-spielsweise die Wärme innerhalb des Gebäudes zu erhalten oder den Strom effizient zu nutzen. Aktive Maßnah-men optimieren die Energieversorgung – so sollen Wärme und Strom effizient gewonnen werden. Die Effizienz des Energieverbrauchs von Gebäuden wird über unterschiedliche Standards defi-niert.

Novelle der Energieeinsparverordnung

Der Energiestandard, also prak-tisch die Effizienz des Gebäudes, kann durch gesetzliche Vorgaben, durch Fördergrenzen oder durch private For-schungsinstitute definiert werden. Er beschreibt häufig, wie hoch der En-ergiebedarf des Hauses pro Quadrat-meter und Jahr ist. Auch der Ressour-ceneinsatz oder die Emissionen pro Nutzfläche, Wohneinheiten oder Per-son können limitiert werden.

Der Mindeststandard für energie-sparendes Bauen in Deutschland wird durch die Energieeinsparverordnung (EnEV) gesetzlich auf Bundesebene festgelegt und mit jeder Novellierung in einem wirtschaftlich zumutbaren Rahmen prozentual verschärft. Am 16. Oktober 2013 wurde die Novellierung der EnEV, den Energiestandard EnEV 2014, beschlossen. Mit dem Inkrafttre-ten der Novellierung ist im Frühsommer 2014 zu rechnen. Die EnEV beschreibt neben den Bilanzregeln ein „Referenz-gebäude“, sozusagen den Stand der Bautechnik in Deutschland, über das die Mindestanforderungen festgelegt werden („Neubaustandard“).

Förderinstitutionen wie die KfW de-finieren ihre eigenen Standards mit Bezug zum Referenzgebäude (EnEV 2009-Neubaustandard), um zukunfts-trächtige Optimierungen wirtschaft-lich attraktiv zu machen. Die KfW-

Effizienzhaus-Standards werden in Relation zum Referenzgebäude der EnEV definiert. Folgende Förderstufen werden angeboten: KfW-Effizienzhaus 40, 55, 70, 85, 100 und 115 für Neubau und Bestand. Das Effizienzhaus 70 darf beispielsweise den Jahres-Primär-energiebedarf von 70 Prozent und den Transmissionswärmeverlust von 85 Prozent gegenüber dem EnEV 2009-Referenzgebäude nicht überschreiten.

Zusätzlich hierzu haben sich unab-hängige Standards im Wortgebrauch etabliert. Zu diesen zählen unter ande-rem das Solarhaus, das Niedrigenergie-haus und das 3-Liter-Haus, für die es keine wirklich festgeschriebenen Defi-nitionen gibt. Diese sind in erster Linie Baukonzepte, Demovorhaben mit For-schungscharakter oder schlicht Marke-tingbegriffe.

Passivhaus-StandardDer Passivhaus-Standard ist klar

durch Anforderungen und Kennwerte definiert, stellt jedoch keine gesetzli-che Verpflichtung dar. Das Passivhaus ist ein Musterbeispiel für eine klare und umfangreiche, im Unterschied zu anderen weitgehend bauphysikalisch begründete Definition, die hinsichtlich der mittlerweile verfügbaren aktiven Technologien aber der Fortentwick-lung bedarf. Festgelegt sind hier ein Heizwärmebedarf von nicht mehr als jährlich 15,4 Kilowattstunden pro Qua-dratmeter, eine Heizlast von nicht mehr als 10 W/m² und ein Primärenergiebe-darf inklusive Beleuchtung, Belüf-tung, Haushaltsstrom und Hilfsstrom

von nicht mehr als 120 kWh/(m²a). Weiterhin gefordert sind eine nahezu wärmebrückenfreie Konstruktion, eine hohe Luftdichtheit, sichergestellt durch einen Blower-Door-Test, sowie ein U-Wert der Fenster von kleiner gleich 0,85 W/(m²K). Dieser Standard wurde für Wohngebäude entwickelt und nach und nach auf Nichtwohngebäude über-tragen. Das Passivhaus definiert heute das Optimum des energieeffizienten Bauens und wird von der KfW analog der Effizienzhaus-Standards 40 und 55 gefördert.

Nutzen und HerausforderungenIn der Regel wird bei der Errichtung

eines Passivhauses von Mehrkosten in Höhe von zusätzlich fünf bis zehn Pro-zent gegenüber einem herkömmlich er-richteten Gebäude ausgegangen. Die höheren Investitionskosten amortisie-ren sich aufgrund des geringeren Ener-giebedarfs und den damit einhergehen-den geringeren Betriebskosten bereits nach wenigen Jahren.

Eine Herausforderung stellt die Be-dienbarkeit der komplexeren Gebäu-detechnik durch den Nutzer dar, denn oft werden die theoretisch errechneten Bedarfswerte aufgrund der nicht sach-gerecht bedienten (oder bedienbaren) Technik nicht erreicht. Weiterhin ist der vom Passivhaus-Standard vorgegebe-ne Heizwärmebedarf von gerundet 15 kWh/(m²a) nur mit erheblichem Auf-wand und teilweise mit gestalterischen Einschränkungen zu erreichen. Insbe-sondere die letzten 10 kWh/(m2a) brin-gen gemessen an den Mehrkosten nur

eine geringe Effizienzsteigerung.

Absoluter Energiebedarf pro Person

Die Steigerung der Energieeffizienz in Bauten und die Nutzung erneuer-barer Energieträger senken den Ener-gie- und Ressourcenverbrauch sowie die CO

2-Emissionen pro Quadratme-

ter Wohnfläche. Seit Einführung der ersten Wärmeschutzverordnung sinkt dementsprechend der Energiebedarf pro Quadratmeter von Neubauten kon-tinuierlich. Gleichzeitig werden Woh-nungen und andere Nutzflächen immer größer, pro Person werden größere Flä-chen in Anspruch genommen und dem-entsprechend auch konditioniert.

Die relativen Einsparungen pro Qua-dratmeter werden durch die größe-re Nutzfläche pro Person größtenteils aufgehoben. Der absolute Energiebe-darf pro Person ist daher trotz der er-heblichen Effizienzsteigerungen na-hezu unverändert hoch. Eine solche Entwicklung wird als Reboundeffekt bezeichnet.

Zukünftige Energiestandards wer-den andere Bewertungsmaßstäbe ver-wenden. Anstelle der Betrachtung pro Quadratmeter kann eine Bewertung pro Person treten. Eine solche Dar-stellung ermöglicht es dem Nutzer, die Folgen seiner Handlungen direkter nachzuvollziehen und kann daher ei-ne Verhaltensänderung bewirken. Dies wiederum bildet die Grundlage für Suffizienzstrategien.

Flächenbedarf als FaktorDie Suffizienz stellt die Frage nach

der Angemessenheit des eigenen En-ergieverbrauchs. Sie will den Überver-brauch von Ressourcen und Energie begrenzen sowie Genügsamkeit und Verhältnismäßigkeit im gesellschaft-lichen Umfeld herausfordern und um-setzen. Im Bauwesen geht es dabei zunächst um die Beantwortung der Grundsatzfrage, ob ein Flächenbedarf in der geplanten Größe überhaupt er-forderlich ist. Die Planung intelligen-ter, multifunktionaler Räume mit nied-rigem Flächenbedarf kann der zentrale Beitrag von Architekten und Planern zur Energie- und Ressourcenwende werden. (Joost Hartwig/Michael Kel-ler/Patrick Pick)(www.gemeinderat-online.de/)

Energieeffizient bauen

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Die Drei-Prozent-Hürde ist für die Europawahl gefallen. Das lässt die kleineren Par-teien frohlocken: Jetzt reicht in Deutschland etwa ein Prozent der WählerInnenstimmen aus, um ein Mandat im Europä-ischen Parlament zu erringen. Auch für die Tierschutzpartei (EU-Wahl 2009: 1,1 %) könnte es reichen, wenn sie ihre frühe-ren Ergebnisse wiederholt oder gar verbessert. In Sachsen erhielt die Tier-schutzpartei bei der Europa-wahl 2009 ganze 1,6 %, bei der Landtagswahl 2009 sogar 2,1 % und damit ihr historisch bestes Ergebnis oberhalb der kommunalen Ebene. Harm-lose TierschützerInnen? Zu-mindest in der Vergangenheit hatte die Partei Verbindungen zu der neuen religiösen Bewe-gung „Universelles Leben“. Mit braunem Beigeschmack, denn „Universelles Leben“ unterhält zahlreiche Kontakte zur poli-tischen Rechten. Berührungs-punkt zur Tierschutzpartei: die Forderung eines Verbots des Schächtens, also des rituellen betäubungslosen Schlachtens, wie es in Judentum und Islam praktiziert wird. Diese Forderung ist der Ein-stieg vieler Rechtsextremer in die Tierschutzszene. Tier-schutz spielte von Beginn an auch eine große Rolle in der Werteordnung des National-sozialismus. Schon im April 1933 beschlossen die Nazis ihr erstes Gesetz zur „Förderung des Tierschutzes“: Ein Verbot der betäubungslosen Schlach-tung warmblütiger Tiere. Nicht jedeR SchächtkritikerIn ist AntisemitIn. Allerdings ist

Schächtkritik meist aus dem Kontext heutiger Lebensmit-telproduktion und heutiger Konsummuster gelöst. Zur Erinnerung: Das Schächtge-bot im Alten Testament war unter anderem auch ein Tier-schutzgebot. Heute gibt es vielleicht wirklich schonendere Schlachtmethoden – die Zustände in der modernen Massentierhaltung und auf Schlachthöfen werden aber in der Regel weder den Tieren noch den Menschen, die dort arbeiten, gerecht; auch nicht denen, die tierische Produkte konsumieren wollen. Da in Europa Bevölkerung, Le-bensstandard und damit auch der Konsum von Nahrungs-mitteln stagnieren, können Lebensmittelkonzerne ihre Profite nur durch aggressive Preispolitik und durch Exporte sichern. Voraussetzung für beides ist die international or-ganisierte Intensivtierhaltung statt regionaler Erzeugung und Vermarktung: Futtermittel werden importiert, Fleisch und Milch werden exportiert, Mist und Gülle bleiben hier. All das hat negative soziale, ökolo-gische und ökonomische Aus-wirkungen in allen Regionen, die von diesem modernen Drei-eckshandel betroffen sind. In der vergangenen Wahlperio-de des Bundestags waren sich SPD, LINKE und Bündnisgrüne tierschutzpolitisch meist ei-nig, zum Beispiel für ein Ver-bandsklagerecht und gegen Qualzucht und Zwangsamputa-tionen (Schwänze und Schnä-bel stutzen usw.). CDU/CSU verteidigten die Interessen der internationalen Fleischlobby

und die FDP stand zwischen den Stühlen.Für die politische Linke stand der Kampf gegen die Aus-beutung von Menschen stets an erster Stelle. Ökologische Positionen, die Sorge um den Erhalt unserer Lebensgrundla-gen auch um ihrer selbst wil-len spielen seit den siebziger Jahren eine wachsende Rolle für linke Politik. Doch Kritik an Massentierhaltung als Teil der Kapitalismuskritik greift zu kurz: Auch in der DDR gab es schließlich Massentierhaltung und ökonomische Wachstums-ziele auf Kosten der Tiere und der Natur insgesamt.In den letzten 50 Jahren wur-de wissenschaftlich bestätigt, dass Tiere Gefühle haben, Freude und Glück, Schmerz und Trauer empfinden. Der deutsche Tierschutzbund hat fast eine Million Mitglieder und ist bei Weitem nicht die einzige Organisation in dem Bereich. Unabhängig von Wahlstrate-gien ist ein Klärungsprozess angezeigt: Es sollte nach der Anschlussfähigkeit des Tier-schutzes an linke Programma-tik gefragt werden. Das Thema sollte keinen Splitterparteien und erst recht nicht faschisto-iden Blut-und-Boden-Ideologen überlassen werden – gerade in Sachsen nicht.Jens-Eberhard Jahn

Der Autor war bis Oktober 2013 Tierschutzreferent in der Bun-destagsfraktion DIE LINKE. Er hält am 24.04. an der TU Dres-den im Rahmen einer Ringvor-lesung einen Vortrag über Tier-schutzmängel in der Milch- und Eierproduktion.

Tierschutz als politische Herausforderung

Für eine Energiewende mit SozialsiegelDie Reform des Erneuerbaren Energien-Gesetzes (EEG) ist eines der ersten großen Pro-jekte der schwarz-roten Bun-desregierung. Doch gerade bei diesem wichtigen Thema macht sie alles falsch, was man falsch machen kann. Die Vorschläge von Minister Gabriel für eine EEG-Reform sind eine Rolle rückwärts ins Atom- und Kohle-zeitalter im Interesse der Ener-gieriesen. An den hohen Strom-preisen ändern sie nichts.Wir als LINKE nehmen den mas-siven Anstieg der Strompreise ernst. In 13 Jahren hat sich der Strom für Haushaltskunden von 14 auf fast 30 Cent pro kWh verdoppelt! Doch von allen denkbaren Wegen, den Strom-preis zu senken, wählt der Ener-gieminister den schlechtesten: Gabriel möchte im Wesent-lichen die Förderung erneu-

erbarer Energien kappen und das Ausbautempo der Erneuer-baren drosseln. Das gefährdet die 900 neu entstandenen En-ergiegenossenschaften und die inzwischen 400.000 Arbeits-plätze im Bereich der Erneuer-baren Energien. DIE LINKE will eine Energiewen-de mit Sozialsiegel, eine Ener-giewende, die sozial, ökologisch und demokratisch ist. Sozial, um eine gerechtere Verteilung der Kosten und eine effiziente Erzeugung zu erzielen. Ökolo-gisch, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Demokratisch, um die Marktmacht der großen Energiekonzerne zu brechen und mehr Bürgerbeteiligung zu ermöglichen.Es ist skandalös, dass Gering-verdienerinnen oder Hartz IV-Bezieher, aber auch der kleine Bäcker an der Ecke über ihre

Stromrechnung die Großindu-strie subventionieren müssen. Aktuell profitieren sogar Golf-plätze, Fastfood-Ketten und Su-permärkte von den Industriera-batten. Allein im vergangenen Jahr gewährte die Bundesregie-rung über zweitausend Unter-nehmen großzügig Nachlässe bei der Ökostromumlage und belastete damit private Strom-kunden und kleinerer Unterneh-men in Höhe von 16 Milliarden Euro. Die Industrierabatte sind echte Strompreistreiber. Daher fordern wir die Abschaf-fung der ungerechtfertigten Industrierabatte. Wer wirklich energieintensiv produziert, muss auch nachweislich Strom sparen, um von Vergünsti-gungen zu profitieren. Würde zudem, wie von der LINKEN gefordert, wieder eine öffent-liche Preisaufsicht eingeführt

und die Stromsteuer auf das vorgeschriebene Minimum re-duziert, könnte der Strompreis deutlich sinken. Mit einem En-ergiewendefonds wollen wir die EEG-Umlage senken und bun-desweit einheitliche Netzent-gelte einführen. Das rechnet sich nicht nur für die Umwelt: Mit unseren Vorschlägen spart eine durchschnittliche Familie ca. 185 Euro im Jahr – ohne die Energiewende zu gefährden.Kohle- und Atomstrom werden seit Jahrzehnten stark subven-tioniert. Allein im Jahr 2012 lagen die Kosten für die kon-ventionellen Energien für die Bürgerinnen und Bürger durch Steuernachlässe, Subventionen aber auch Umweltverschmut-zung und deren Folgen bei 40 Milliarden Euro. Wir als LINKE wollen die Marktmacht der Koh-le- und Atomkonzerne brechen.

Wir machen uns für ökologische Stadtwerke stark. Gerade sie aber werden durch Gabriels Reform nachträglich für ihre In-vestitionen in die Energiewende bestraft. Viele zum Teil schon geplante Investitionen mussten gestoppt oder auf Eis gelegt werden. Gegen die Dominanz der Ener-gieriesen setzen wir die demo-kratische Kontrolle der Ener-gieversorgung und eine breite Bürgerbeteiligung an der Ener-giewende. Der Energieminister darf Energiegenossenschaften, Bürgerinitiativen und kleineren Stromerzeuger mit seinen Re-formvorschlägen nicht gefähr-den. Wir als LINKE unterstützen ihr Engagement und ihre Initiati-ve, denn wir wollen die Energie-wende: sozial, ökologisch und demokratisch!Caren Lay

Mare NostrumAm 1. März 2012 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die Politik der Sicherheitskräf-te der EU, vertreten durch die Grenzstaaten und Stellvertreter wie Frontex, Flüchtlinge ohne Prüfung ihres Anliegens auf of-fenem Meer zurückzuschicken, unrechtmäßig sei. Geändert hat sich seither nichts. Was sich seit den 90er Jahren im Mittelmeer und ringsherum abspielt, ist ein Verbrechen ge-gen die Menschlichkeit: Von wirt-schaftlicher Unsicherheit aus ihren Geburtsorten vertrieben, machen sich jährlich Zehntau-sende Menschen auf den Weg nach Norden. Im Jahr 2011 forderte die Flucht die meisten Toten, seit 1988 wird die Zahl der Ertrunkenen auf 20.000 ge-schätzt. Wenn Europa sich und seine Grundierung in Aufklärung,

Menschenrechten und einer Ori-entierung auf eine gemeinsame glückliche Zukunft ernst nimmt, können wir als Gesellschaft die Augen nicht mehr vor dem ver-schließen, was die Regierungen in Kauf nehmen: Die Abschottung wird, von der EU unterstützt, von Firmen wie Frontex betrieben, sodass die Regierungen die men-schenrechtswidrige Behandlung und Abweisung von Flüchtlingen nicht selbst betreiben, sondern in Auftrag geben und billigen. Boote werden zurückgeschickt und die Passagiere dem sicheren Tod überlassen. Das wider-

spricht der Genfer Konvention, dernach alle das Recht auf die Überprüfung eines Asylanspru-ches haben. Flüchtlinge, die das Festland erreichen, werden des-sen ebenso beraubt und nach langen Wartezeiten, die Men-schenrechtsorganisationen als menschenrechtswidrig bezeich-nen, in unsichere Gegenden zurückgeschickt. So nimmt die EU in Kauf, dass das Mittelmeer und der Weg dahin zu einem Massengrab werden. Spätere Generationen werden fragen, was wir getan haben, um das zu verhindern. Wir können die Verantwortung dafür nicht bei den Regierungen lassen, son-dern müssen fragen, was wir tun können: Protest, direkte Hilfe, Wahlentscheidungen. Jede und jeder hat das Recht auf ein gutes Leben, das ist keine Frage des

Geburtsortes. Deshalb geht es darum, Menschen aus Gebieten, in denen ihr Leben bedroht ist, sei es aufgrund von Krieg, Verfol-gung oder wirtschaftlicher Unsi-cherheit, Unterstützung und die Chance auf ein gutes Leben zu gewähren. Italien und Griechen-land reagieren repressiv, doch es ist Angelegenheit des ganzen europäischen Festlands. Es ist eine Frage von Glokalität (Go glo-bal local), dass wir in ganz Euro-pa uns dieser Frage annehmen. Und in Verbindung mit Afrika ein Meer zurückgewinnen: das Mare Nostrum. Julia Bonk

Bild: Jens Thöricht

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Sachsens Linke! 04/2014 Seite 6Jugend

Termine

Zum Landesparteitag hatten wir ein kleines Quiz zu unse-rem Landesjugendwahlpro-gramm vorbereitet, das eini-ge Delegierte auch ausgefüllt haben. Wir wollen Euch die-ses auch an dieser Stelle noch einmal präsentieren.

Viel Spaß beim Rätseln – die Ergebnisse findet Ihr am unte-ren Ende der Seite.

A Allgemein:Welches Kapitel / welche Überschrift gibt es nicht im Landesjugendwahlpro-gramm?a.) Leben wie Gott in Frank-reichb.) Arbeit & Faulheitc.) Möge die Macht mit dir seind.) Meine Freiheit, deine Frei-heit

B Kapitel 1 (Mitbestimmung):Für welche Altersgrenze bei Wahlen ist die linksjugend [‚solid] Sachsen?a.) 16b.) 14c.) 6d.) 0

C Kapitel 1 (Mitbestimmung):Wie viele der in Sachsen le-benden Menschen dürfen bei der Landtagswahl nicht mit-wählen?a.) 100.000b.) 400.000c.) 700.000d.) 1.000.000

D Kapitel 2 (Bildung, Schule):Was soll laut Landesjugend-wahlprogramm nicht abge-

schafft werden?a.) Schulnotenb.) Anwesenheitspflichtc.) Frontalunterrichtd.) Förderschulen

E Kapitel 3 (Hochschulpolitik):Wer soll an einer Hochschule die/den Rektor_in wählen?a.) Hochschulratb.) Student_innenratc.) Urwahl aller an der Hoch-schuled.) Senat

F Kapitel 4 (Inklusion):Welches Wort taucht nicht im Kapitel Inklusion auf?a.) behindertb.) Enthinderungc.) Krüppeld.) Sehschwäche

G Kapitel 5 (Feminismus & Gender):Wie viel weniger Lohn erhiel-ten Frauen 2013 im Bundes-durchschnitt?a.) 28 %

b.) 25 %c.) 22 %d.) 19 %

H Kapitel 6 (Laizismus):Auf welches historische Er-eignis gehen die sog. „Staats-leistungen“ vom Bund und den Ländern an die Kirchen ur-sprünglich zurück?a.) Reformationb.)Reichsdeputationshaupt-schlussc.) Reichskonkordatd.) Wiedervereinigung

I Kapitel 7 (Kulturpolitik):Was oder wer wird im Kapi-tel zur Kulturpolitik nicht er-wähnt?a.) Goetheb.) Seifenoperc.) Cello-Unterrichtd.) Reggae

J Kapitel 8 (Faulheit & Arbeit):Was ist der linksjugend [‚solid] Sachsen „Kombilohn“?

a.) Bedingungsloses Grund-einkommenb.) Mindestlohn & Tariflohnc.) Tariflohn & bed. Grundein-kommend.) Mindestlohn & bed. Grund-einkommen

K Kapitel 9 (Umweltpolitik):Was soll laut Landesjugend-wahlprogramm mit Tierversu-chen passieren?a.) gänzlich verbietenb.) für medizinische Zwecke erlaubenc.) nur erlauben, wenn medi-zinisch notwendigd.) dazu steht nichts im Pro-gramm

L Kapitel 10 (Stadtentwicklung):Was ist Gentrifizierung?a.) Strukturwandel bei Wohn-bevölkerungb.) geplanter Rückbau in der Stadtc.) Bevölkerungsschwundd.) Verkehrskollaps in urba-nen Zentren

M Kapitel 11 (Antirassismus):Was ist die „Festung Europa“?a.) Das europäische Grenzre-gime b.) Die iberische Halbinselc.) Ein Stützpunkt auf Sewas-topold.) Die NATO-Infrastruktur in Europa

N Kapitel 12 (Antifa):Was sagt das Programm zur Debatte um das NPD-Verbot?a.) „Keine Demokratie für An-tidemokraten“b.) „Dummheit lässt sich nicht verbieten“c.) „[...] diskutieren wir wei-ter“d.) „ist praktisch nicht umzu-setzen“

O Kapitel 13 (Freiheitsrechte & Daten-schutz):Wie sollen Polizeibeamte laut Programm gekennzeichnet werden?a.) mit einer Nummerb.) mit Klarnamenc.) mit Symbolen & Farbend.) mit bunten Stirnbändern

P Kapitel 14 (Drogenpolitik):Was soll laut Kapitel Drogen-politik entkriminalisiert wer-den?a.) Konsum & Erwerbb.) Handel & Konsumc.) Besitz & Herstellungd.) alles

Quiz zum Landesjugendwahlprogramm

Richtige Antworten: A c.) | B d.) | C c.) | D c.) | E c.) | F d.) | G c.) | H b.) | I d.) | J d.) | K c.) | L a.) | M a.) | N b.) | O b.) | P a.) – für jede richtige Antwort gibt‘s einen Punkt. Wie viele hast du?

12. April 2014, Nazis in Plau-en im Weg stehen, mehr unter www.vogtland-nazifrei.de

25. bis 27. April 2014, Ver-bandswochenende in Kas-sel, mehr Infos unter http://www.linksjugend-solid.de/events/verbandswochenen-de/

27. April 2014, ab 12:00 BR-Sitzung in Dresden

Mehr Infos unter www.links-jugend-sachsen.de.

Das Pfingstcamp wird immer größer, voller und vielfälti-ger. Letztes Jahr nahmen über 540 Personen teil – werden es diesmal mehr? Wir wissen das natürlich jetzt noch nicht. Fakt ist aber: Die Zeiten, in denen die Teilnehmer_innen-zahl deutlich unter 400 Perso-nen lag, sind vorbei. Das freut

uns natürlich einerseits, ande-rerseits wird das Pfingstcamp aber immer teurer. Das liegt daran, dass wir im Gegen-satz zu kommerziellen Veran-staltungen keinen steigenden Überschuss je Teilnehmer_in haben, sondern bei jeder Per-son, die kommt, drauf zahlen. Da wir vor allem junge Leute

ansprechen, deren finanzielle Lage oft prekär ist, können wir logischerweise auch die Prei-se nicht einfach nach oben schrauben. Deshalb haben wir jetzt eine Fundraising-Kampa-gne (sinngemäß: eine Spen-denkampagne) gestartet. Dort können alle interessier-ten Freund_innen des Jugend-

verbandes und des Camps et-was spenden. Der Betrag kann frei gewählt oder aber aus ei-ner Reihe fest vorgegebener Beträge gewählt werden – bei letzterem gibt’s dann sogar ein kleines Präsent. Also los geht’s: Jetzt spenden für das Pfingstcamp 2014!Tilman Loos & Rico Knorr

Alle Infos und die Spenden-möglichkeit auf: www.start-next.de/pfingstcamp-2014

Spenden für das Pfingscamp

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04/2014 Sachsens Linke! Seite 7

Einladend, bunt und fröhlich ist die Dekoration auf dem Europaparteitag in Hamburg. Eben genau so, wie wir LIN-KEN uns Europa vorstellen. Es wird gestritten und ge-lacht, sogar getanzt und un-sere Partei zeigt sich in all ih-ren Facetten.Da erreicht an Anruf die säch-sischen Genoss_innen aus Dresden und Bautzen. Auf das zum Jahresbeginn neu bezogene Büro am altehrwür-digen Bautzener Schülertor sind großflächig Nazisymbo-le geschmiert. Schon wieder, mag mancher denken!?Auch am alten Standort da-vor, der Seminarstraße, wa-ren Beschmierungen und Beschädigungen immer wie-derkehrende Tatsachen. Selbst Kameras schreckten hier nur wenig ab. In diesen Büros organisierte die Euro-paabgeordnete Dr. Ernst zahl-reiche Veranstaltungen zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Behörden, Verbänden jenseits und dies-seits der Grenzen. In diesen Büros fanden Gesprächsrun-den zu Asyl- und Flüchtlings-politik, zu Fragen der Min-derheiten in Europa oder der Arbeitnehmerfreizügigkeit statt, die allen Interessierten klare Vorstellungen und Wis-sen vermittelten. Dass das die Nazis stört, ist klar! Ein tumbes Menschen- und Weltbild verträgt eben keine Aufklärung. Das zeigt

auch ein weiteres Beispiel. Viele sächsische Kommunen sind in diesen Monaten mit Unterbringungs- und Versor-gungsfragen für Flüchtlinge und Asylbewerber_innen be-schäftigt. Gerade der Syrien-konflikt produziert hier viel Elend und Vertreibung. Aus Angst vor Folter und Tod wa-gen viele die ebenso gefähr-liche wie unsichere Flucht

Richtung Europa, Richtung Zuflucht. Sicherheit in Deutschland? Wenn es nur nicht diesen la-tenten Rassismus, diese ge-radezu bösartige Fremden-feindlichkeit in unserem Land gäbe. In Zeiten von Wahl-

kämpfen (aber nicht nur da) ein gern genutztes Thema für Politik. Vor allem bei Par-teien, deren Populismus die nicht vorhandenen Inhalte überdecken muss. Geradezu trefflich vorbereitet ist auch der Boden, auf den dieser Populismus trifft. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Eigenschaften, die nur Menschen von „niederer

Bildung“ besitzen, nein, bis in die Mitte der Gesellschaft sind sie anzutreffen. Schon werden die sozialen Netz-werke und Flugblätter ge-nutzt, um sogenannte „Bünd-nisse gegen (vorgeblichen) Asylmissbrauch“ zu knüpfen

und menschenfeindliche De-monstrationen und Kundge-bungen in der vorwiegend ländlichen Provinz abzuhal-ten, Ängste, Nichtwissen und Vorurteile der Bürger_innen bewusst missbrauchend. So geschehen unter anderem in Zittau, Bautzen, Bischofs-werda und Hoyerswerda. Ei-ne Handvoll Fraktionsleute der NPD tourte durch Sach-

sen und versuchte, Stimmung zu machen. Schnell und zahl-reich fanden sich aber über-all wirkliche Bündnisse von Aktiven aus allen demokrati-schen Parteien, aus Kirchen, Verbänden und den Gewerk-schaften. Wir als LINKE, als

Wahlkreismitarbeiter_innen, als Vorständler_innen, als Jugendliche, als Kreis- und Stadträtinnen und als Antifa-schistinnen und Antifaschis-ten standen überall in der ersten Reihe der Gegenakti-vitäten. Es wurden Gegenver-anstaltungen angemeldet, or-ganisiert und bunte Plakate „Menschenrecht statt rech-te Menschen“ verteilt. Kei-ne Veranstaltung, auf der die Nazis ungehindert Ihre faule Propaganda verbreiten konn-ten. Ein Erfolg für uns alle! Und die Nazis? Sie feierten auf ihren Facebookseiten an-gebliche Hundertschaften von zustimmenden Bürger_innen. Eine irre Traumwelt, klare Realitätsleugnung.Zurück zum Büro am Bautz-ner Schülertor. Die Nazisch-mierereien wurden entfernt, das Büro feierlich eröffnet und die erste inhaltliche Ver-anstaltung, natürlich zum Thema Europa, durchgeführt. Danach diente es als ein wichtiges Organisationsbüro der Proteste des Bündnisses „Bautzen bleibt bunt“. Wei-tere Veranstaltung, auch zu Themen wie Asyl, Flüchtlin-ge und Sinti- und Romapolitik werden folgen. Das ist unse-re Antwort auf Nazipropagan-da, auf Nazischmierereien. Wir machen weiter – trotz al-ledem! Sven Scheidemantel, Euro-pabüro Dr. Cornelia Ernst (MdEP)

Das Bundesverfassungsge-richt hat entschieden: Die Drei-Prozent-Sperrklausel bei der Europawahl im kom-menden Mai ist verfassungs-widrig. Sie verstößt unter anderem gegen die Chancen-gleichheit der Parteien. Das

BVerfG erachtet Sperrklau-seln als nicht notwendig für die Arbeit des Europäischen Parlaments. Unter Berufung auf das Kippen der Fünf-Pro-zent-Hürde bei Europawah-len hatten 19 kleinere Par-teien gegen die Sperrklausel geklagt. Mit Erfolg.Es war eine knappe Entschei-

dung. Das Parlament sei zwar auf dem Weg, sich als institutioneller Gegenspieler der EU-Kommission zu pro-filieren. Diese Entwicklung könne aber noch nicht mit der Situation im Bundestag verglichen werden, wo die

Bildung einer stabilen Mehr-heit für die Wahl einer hand-lungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unter-stützung nötig ist. Es gibt in Wahrheit nämlich keine trif-tigen, sachlichen Gründe für eine Sperrklausel bei Euro-pawahlen. Im Europäischen Parlament sind schon jetzt

über 160 Parteien vertreten.Vor dem Hintergrund der Wahlrechtsgleichheit und der Gleichheit der Grund-rechte für alle Menschen ist das Urteil zu begrüßen. Al-lerdings sollte dieses Urteil dann auch konkrete Auswir-

kungen für die Stärkung der Wahlrechtsgleichheit der na-tionalen Parlamente haben. Demgegenüber aber steht vor allem Kritik aus den Rei-hen von CDU und CSU, und so scheint das derzeit nicht erreichbar. Horst Seeho-fer plädiert sogar dafür, die Sperrklausel für die Bundes-

tagswahl im Grundgesetz zu verankern und diese so ei-ner gerichtlichen Überprü-fung nicht mehr zugänglich zu machen. Durch solche Sperrklauseln werden Stim-men und Mandate kleinerer Parteien auf die in den Par-lamenten vertretenen Partei-en umgelenkt. Diese haben daher auch ein machtpoliti-sches Eigeninteresse an der Beibehaltung von Sperrklau-seln. Millionen Menschen aber wird durch die Sperr-klauseln das Stimmrecht ge-nommen. Dieser Eingriff in ein fundamentales Grund-recht in einer repräsentati-ven Demokratie lässt sich jedoch nur dann rechtferti-gen, wenn dies zwingend er-forderlich ist, um die Funkti-onsfähigkeit der Parlamente zu erhalten. Allerdings ent-scheidet derzeit der Bun-destag selbst über Sperr-klauseln, genauso wie über Diäten und Parteienfinanzie-rung in eigener Sache und ist deshalb befangen. Eine Wahlrechtsreform ist unter

der jetzigen Regierung und den Mehrheitsverhältnissen im Parlament nicht denkbar.Gerade das Urteil des BVerfG sollte für alle Demokraten der Aufruf sein, auch die Wahlrechtsgleichheit und Grundrechtegleichheit der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zu stär-ken. Denn in Europa gibt es mit Deutschland nur 13 Staa-ten, in denen es keine Sperr-klauseln gibt. In den restli-chen Staaten schwankt sie zwischen 3 und 6 Prozent. DIE LINKE fordert, die Debat-te über ein gemeinsames Eu-ropawahlrecht wieder aufzu-nehmen.Jan-Robert Karas, Europabüro Dr. Cornelia Ernst (MdEP)

DIE LINKE im Europäischen Parlament

Die Hürden der Demokratie

Europa ist überall – trotz alledem.

Bild: CherryX / Wikimedie Commons / CC BY-SA 3.0

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Sachsens Linke! 04/2014 Seite 8

Ein Gespräch mit den Bundes-tagsabgeordneten Susanna Ka-rawanskij und Dr. Axel Troost

Susanna, nach der Bundes-tagswahl im vergangenen Jahr warst Du die „Neue“ im Parlament. Jetzt stand eine Premiere im Haus: Deine erste Rede im Plenum. Wie aufgeregt warst du? Susanna: Natürlich ist so eine erste Rede aufregend, eine Mi-schung aus wackligen Beinen, absoluter Anspannung und Ver-krampftheit. Ehrlich gesagt habe ich drei Tage lang kaum geschla-fen.

Wie hast du dich darauf vor-bereitet? Susanna: Die erste Rede hält man ja nicht im luftleeren Raum, sondern konkret am Thema. Die Fraktion hatte einen Antrag zur durchgreifenden Regulierung des grauen Kapitalmarktes ein-gebracht. Zu unseren Forde-rungen sollte ich sprechen. PRO-KON war für uns ein Auslöser, diesen Antrag zu stellen. Da wur-den viele Anleger geschädigt und teilweise um ihre Altersvorsorge und ihr Erspartes gebracht. Hier hat sich deutlich gezeigt, dass der graue Kapitalmarkt unzurei-chend reguliert ist. Wir stellen uns eine Art Finanz-TÜV vor, der eine Risikokategorisierung der einzelnen Finanzprodukte durchführt und auch einzel-nen Produkten die Zulassung verweigert, wenn sie volkswirt-schaftlich keinen Sinn haben, also systemstabilisierend wirken oder nur bestimmten windigen Anlegern das Geld in die Tasche wirtschaften. Wir wollen, dass diese Produkte gar nicht erst auf den Markt kommen. Damit hat man schon ein Grundgerüst für die Rede. Und natürlich schlägt man dann auch ein bisschen auf die Koalition und Bundesregie-rung ein, denn seit 2008 ist in dem Bereich trotz gegenteiliger Versprechungen nichts passiert.

Axel: Man konnte schon merken, dass Susanna vorher aufgeregt war. Als sie aber am Redepult stand, hat sie das ganz souve-rän gemacht und unsere Forde-rungen rübergebracht. Insofern: Ein sehr guter Einstieg.

Susanna, Du bewegst dich thematisch jetzt also voll im Gebiet der Finanzpolitik?Susanna: Na ja, unter anderem. Gemeinsam mit Axel, Richard Pitterle und Roland Claus ver-trete ich die Linksfraktion im Finanzausschuss. Aber dort gilt natürlich das Prinzip Arbeitstei-lung. Auf meinen Tisch liegen die Schwerpunkte Versicherung, finanzieller VerbraucherInnen-schutz und Familienleistungen. Außerdem bin ich Sprecherin für Kommunalfinanzen der Fraktion.

Und natürlich fühle ich mich als Vertreterin der dritten Genera-tion Ost mit ihren ganz eigenen Teilungserfahrungen, der immer noch bestehenden Spaltung zwi-schen Ost und West. Auch das will ich thematisieren.

Axel, du bist in der Fraktion schon fast ein Urgestein der Finanzpolitik. Hast du mit Susanna neue Konkurrenz be-kommen? Axel: Überhaupt nicht. Im Ge-genteil. Die jahrelange gute Zu-sammenarbeit mit Barbara Höll setzt sich jetzt mit Susanna fort.

Bisher war ich zuständig für den Bereich Kommunalfinanzen. Ich bin froh, mit Susanna eine gute Nachfolgerin gefunden zu ha-ben. Ich selbst will zum einen weiter die Frage der Finanz-marktregulierung bearbeiten. Dazu gehört im Augenblick die europäische Bankenunion, wo auf europäischer Ebene jetzt die großen Banken beobachtet, aber auch Abwicklungsmöglich-keiten für sie entwickelt werden sollen. Da liegt noch vieles im Argen. Der zweite Schwerpunkt ist die Frage einer Föderalismus-kommission III. Die Kommission gibt es noch nicht, aber zumin-dest muss man in diese Rich-tung überlegen. Gerade vor der Frage der Neuordnung des Län-derfinanzausgleichs.

Welche Vorstellungen hat die Fraktion da? Axel: Wir haben als LINKE in einem 61 Seiten-Papier ein hervorragendes Konzept vor-gelegt, in dem wir theoretisch, aber auch ganz konkret an Re-chenbeispielen zeigen, was wir wollen. Alles in allem wollen wir eine Chancengleichheit, eine Angleichung der Einnahmesitu-ation der Kommunen und der Länder im ganzen Bundesge-biet erreichen. Ein Kernpunkt davon ist ein sogenannter Alt-schuldenfonds, in den sämtliche

Schulden aller Bundesländer und Kommunen hineinkommen sollen, so dass die Kommunen von den Zinslasten entlastet werden, wenn die Schulden-bremse scharf gestellt wird und es so keine Möglichkeiten mehr gibt, über Kredite Ausgaben zu tätigen. Dann müssen die Kom-munen auch von den Zinslasten befreit werden, damit sie ver-nünftig wirtschaften können.

Daneben bist du auch neuer Landesgruppensprecher. Axel: Ja, die Landesgruppe hat sich neu aufgestellt. Sie hatte

von vornherein die Aufgabe, auch über die eigenen Büros hinaus in Regionen, in denen wir bisher eher schwach oder gar nicht vertreten waren, An-laufpunkte zu installieren. Das kostet natürlich zusätzliches Geld, und da haben wir uns in der Landesgruppe zunächst in-tensiv beraten müssen. Im Er-gebnis haben wir nun drei Regi-onalbüros in Görlitz, Meißen und Plauen erstmal bis zur Landtags-wahl. Die Landesgruppe arbei-tet intensiver als in der letzten Legislaturperiode und hat sich wirklich auch als Gruppe zusam-mengefunden. Wir haben gera-de heute zusammengesessen und geplant, wie wir im Sommer gemeinsam vor Ort in Sachsen wirken wollen.

Stichwort „Vor Ort“. Susanna, wie stellst du dir deine Arbeit im Wahlkreis vor? Susanna: Ich bin seit zwei Jah-ren Kreisvorsitzende in Nordsa-chsen. Das Bundestagsmandat erleichtert da natürlich auch den Zugang zu Multiplikatoren, Verbänden und zu Firmen. Dort ist es manchmal als Partei etwas schwieriger, reinzukommen. Das Mandat öffnet Türen. Insofern ist für mich von Priorität, dass wir vor Ort weiter eine gute Parteiarbeit machen und in der Fläche präsent sind. Wir führen

einen sehr engagierten Kommu-nalwahlkampf, auch wenn wir weniger geworden sind. Das ist auch eine Aufgabe für mich als Kreisvorsitzende wie als Abge-ordnete. Darüber hinaus ist mir vollkommen klar, dass ich nicht nur Verantwortung für den eige-nen Wahlkreis übernehme, son-dern auch für Leipzig. Das habe ich immer betont.

Wie wird das Engagement in Leipzig aussehen? Susanna: Ich bin im linXXnet groß geworden, hier bin ich politisch sozialisiert, habe hier

als Praktikantin angefangen. Der Stadt Leipzig bin ich mit dem Herzen verbunden, auch wenn mir Nordsachsen sehr ans Herz gewachsen ist. Natür-lich nehme ich auch in Leipzig Verantwortung wahr: Ich werde Bürosprechtage in Leipzig an-bieten, auch mit meinen Mitar-beitern vor Ort in Leipzig, wie in Nordsachsen sein. Wir entwi-ckeln gerade eine gute Routine. Da wird es ein ausgewogeneres Verhältnis geben. Es ist klar, dass ich als Kreisvorsitzende in Nordsachsen noch andere Ver-pflichtungen habe, aber Leipzig werde ich, werden wir – so habe ich mich mit Axel abgesprochen – als politisches Handlungs- und Wirkungsfeld wahrnehmen.

Und wie stellst du dir deine Arbeit vor Ort vor, Axel?

Axel: Ich will da an die Arbeit der letzten Legislatur anknüpfen. Wir versuchen, Kontakt auch zu größeren Firmen zu halten, wie auch zu öffentlichen Ein-richtungen. Es gibt immer noch Bestrebungen für ein Modellpro-jekt im Bereich Arbeitsmarktpro-jekt im Leipziger Land. Da müs-sen wir jedoch abwarten, welche Möglichkeiten sich ergeben. Ich möchte jedoch nochmals unter-streichen, was Susanna gesagt hat: Dadurch, dass Barbara Höll

als Bundestagsabgeordnete die Stadt Leipzig leider nicht mehr abdeckt, müssen wir beide auch das Stadtgebiet, die Universität, müssen wir das ganze urbane Leben in Leipzig mit abdecken. Dies ist sicherlich nicht ganz einfach, wir werden aber eine Mischung finden, wie wir die beiden Landkreise und die Me-tropolstadt mit vernünftigen Aktionen bespielen, um keinen weißen Fleck in der wichtigsten Stadt Ostdeutschlands entste-hen zu lassen.

Das Gespräch führte Marko For-berger.

DIE LINKE im Bundestag

„Keine weißen Flecken entstehen lassen“

DIE LINKE. im Bundestag, Büro der Landesgruppe SachsenKoordinator: Marko Forbergerc/o linXXnet, *Politik *Kultur *Projekte, Bornaische Straße 3d, 04277 Leipzig Telefon: 0341/3081199, Mobil: 0163/3846548, Fax: 0341/3081200 Email: [email protected], www.linke-landes-gruppe-sachsen.de

DIE LINKE. im Bundestag, Landesgruppe Sachsen,Regionalbüro GörlitzRegionalmitarbeiter: Mirko SchultzeSchulstraße 8, 02826 Görlitz Mobil: 0173/5383158, E-Mail: [email protected]

DIE LINKE. im Bundestag, Landesgruppe Sachsen,Regionalbüro MeißenRegionalmitarbeiter: Lutz Richter „Ein Haus für Viele(s)“, Dresd-ner Straße 13, 01662 Meißen Telefon: 03521/ 727702, E-Mail: [email protected] Sprechzeiten: Dienstag: 10.00- 16.00 Uhr oder auf Anfrage.

DIE LINKE. im Bundestag, Landesgruppe Sachsen,Regionalbüro PlauenRegionalmitarbeiterin: Janina Pfau Bahnhofstraße 49, 08523 Plauen Mobil: 0172/ 3558713Sprechzeiten: Montag 13-18 Uhr, Dienstag 12-18 Uhr, Donnerstag 13-18 Uhr

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Zwei Weltkriege – eine Katastrophe – ein JahrhundertDas zwanzigste Jahrhundert war noch minderjährig, als aus ihm ein Weltkrieg erwuchs. Achtzehn sollte es werden, be-vor jener Wachstumsprozess in den Blutmühlen und auf den Schlachtfeldern zum Stehen kam. Dazu meinte der engli-sche Schriftsteller D. H. Law-rence: Der Krieg habe „die lang gewachsene europäische Zivili-sation zerstört“. Der damalige britische Kriegskorrespondent Philip Gibbs schrieb 1920, es habe ein „großes Zerlegen des Fleisches unserer jungen Män-ner (gegeben), während die al-ten Männer ihre Opferung hin-nahmen und die Profitmacher reich wurden und die Feuer des Hasses durch patriotische Ban-kette und in Redaktionssesseln angefacht wurden“. Friedrich Engels formulierte schon 1887: „Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von ei-ner nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa kahlfres-sen, wie noch nie ein Heuschre-ckenschwarm. Die Verwüstun-gen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahre und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungers-not, Seuchen ...“.Wenn man vom Ersten Welt-krieg spricht, ist vom „Ma-schinenkrieg“ die Rede. Denn viele Waffen – das Maschinen-gewehr, Panzer, Gas und Flug-zeuge – kamen zum ersten Mal zum Einsatz. Viele Soldaten von damals sollte man auch beim Weltkrieg Teil 2 wieder treffen: Göring, Rommel, Keitel, Dö-nitz, um nur einige zu nennen. Doch bevor es der „Führer“ be-fahl, begann das Sterben für den Kaiser. War der erste Krieg,

unter anderem mit der Mar-ne- und der Ypern-Schlacht, mit der Somme und mit Ver-dun nicht schlimm genug? Oder war das historische Gedächt-nis zu schwach? Denn furchtba-rerweise folgte Jahre später in Warschau, London, Stalingrad, der Normandie, in Berlin und anderswo eine Fortsetzung mit Nazi-Mitteln.Sie sollte um vieles brutaler, verheerender und grausamer sein. Es war ein bis dahin nicht für möglich gehaltener indus-trieller Massenmord und eine regelrechte Menschenvernich-tung in Todesfabriken. Man denke nur an die etwa eine Mil-

lion Hungertoten während der Blockade Leningrads und an die zahlreichen Vernichtungs- und Konzentrationslager wie Ausch-witz und Buchenwald.Der Soldatentod ist zweifelsoh-ne immer schlimm. Schätzun-gen zufolge wurde er im ersten Weltkrieg rund 10-millionen-fach gestorben. Hinzu kamen um die 7 Millionen zivile Opfer.

Über 64 Millionen Tote forderte der zweite Weltkrieg, darunter waren 24 Millionen Zivilisten.Schneisen der Vernichtung von Körpern, Städten, von Kultur und von Landschaften schlägt jeder Krieg. Umso mehr muss man doch nach dem Sinn und Zweck jedes Krieges fragen. Umso mehr sind insbesonde-re die politischen Akteure jeder Zeit dem Frieden verpflichtet. Wie nähert man sich diesem Thema als Nachgeborener überhaupt? Unbestritten, das ist eine schwer zu beantwor-tende Frage. Aber man kommt nicht um sie herum, wenn man aus der Geschichte lernen will.

Darum geht es ja immer zuerst. Eine Bedingung dafür wäre, das schon oben erwähnte histori-sche Gedächtnis stets frisch zu halten und für neue Erkennt-nisse und Lehren aus der Ge-schichte offen zu sein. Wer sich so der Geschichte stellt und aus ihren Fehlern zu lernen be-reit ist, der vermeidet vielleicht, die alten Fehler neu zu bege-

hen. Hat die dem ersten Welt-krieg nachfolgende Generati-on diese Lernbereitschaft nicht aufgebracht und damit einen zweiten Weltkrieg erst möglich gemacht?Es wäre nicht das erste Mal, dass die Menschheit es daran hat fehlen lassen. Ein bered-tes Zeugnis für Defizite im Fach Friedenserhaltung und ziviler Konfliktlösungen waren zahl-reiche große und kleine Krie-ge, die auch nach 1945 immer wieder das zwanzigste Jahrhun-dert kriegerisch erschüttern sollten. Aus seiner Kriegs-und Konfliktchronik sei auszugs-weise nur auf die Atombom-

benabwürfe (1945), auf den Korea-Krieg (1950-53), den Vi-etnam-Krieg (1964-1975) und auf den Sowjetisch-Afghani-schen Krieg (1979-1989) ver-wiesen. Verantwortungsloses Wettrüsten und kalter Krieg brachte die Welt mehrfach an den Rand eines letztlich nukle-aren Abgrundes. In den „hoch-betagten“ wie auch offensicht-

lich „rüstigen“ Neunzigern des zwanzigsten Jahrhunderts zähl-te Alt-Kanzler Helmut Schmidt in seiner „Humboldt-Rede zu Europa“, gehalten an der gleich-namigen Universität am 8. No-vember 2000, allein mehr als 50 regionale und lokale militäri-sche Konflikte. Vergeblich hoff-te man nach dem Ende der Sys-tem- und Blockkonfrontation auf eine sogenannte Friedens-dividende. Stattdessen wird von Bundeswehrsoldaten seit 1990 wieder verlangt, dass sie ihre Haut zu Markte tragen und sie ihren Blutzoll entrichten, in-dem man sie weltweit in Aus-landseinsätze entsendet. Ein Bundespräsident, Horst Köhler, der gewisse Wahrheiten aus-sprach, musste abtreten. Doch kriegführende deutsche Bun-desregierungen von SPD, Grüne und Union – nicht zu vergessen die FDP – blieben im Amt und nannten das sämtlich, „Wahr-nehmung gewachsener Verant-wortung“. Die wird offenbar nur noch in militärischen Kategori-en gedacht. Die Mahnung des sozialdemokratischen Bundes-kanzlers und Friedensnobel-preisträgers, Willy Brandt, vom deutschen Boden dürfe kein Krieg mehr ausgehen, wurde zum Nutzen eiskalter Macht- und Interessenpolitik kaltblü-tig ignoriert. Wie will man dem beikommen? Mit dem preußi-schen General Clausewitz? Der schrieb: „Der ganze Krieg setzt menschliche Schwäche voraus, und gegen sie ist er gerichtet“ (Vom Kriege, 4. Buch, 10. Ka-pitel). Oder hält man ihnen die letzten Worte (1813) des „Mar-schall Vorwärts“, Gerhard Le-berecht von Blücher, unter die Nase? „Sie haben im Krieg man-ches von mir gelernt; jetzt sol-len Sie auch noch lernen, wie man im Frieden stirbt“.René Lindenau

Im zweiten AnlaufIm Sommer 1988 wurde Po-len von einer Streikwelle er-schüttert, die allerdings bei weitem nicht an die Wucht und die Kraft der Streiks vom Sommer 1980 herankam. Den-noch warf die Regierungsseite nun ihr letztes Angebot in die Waagschale: soziale Markt-wirtschaft und umfassende Demokratisierung der Gesell-schaft. Bereits im Herbst 1988 erlebten die staunenden Fern-sehzuschauer ein Fernsehdu-ell zwischen Lech Wałesa und dem Chef der regierungsna-hen Branchengewerkschaften. Damit war der Weg frei zur Le-galisierung der Gewerkschaft „Solidarnosc“, die seit Ausru-fung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 verboten war. Der entscheidende Schritt er-folgte mit dem Runden Tisch,

der von Anfang Februar bis An-fang April 1989 Regierungssei-te und „Solidarnosc“-Vertreter unter Vermittlung der katholi-schen Kirche zusammenführte. Symbolisch besiegelte die Wie-derzulassung der verbotenen Gewerkschaft am 5. April 1989 den erfolgreichen Abschluss der Rundtischgespräche. Für den 4. Juni 1989 wurden Par-lamentswahlen angesetzt, in denen ein Bürgerkomitee (Ko-mitet Obywatelski) die Wahl-plattform der „Solidarnosc“-Gewerkschaft bildete und die PVAP (Polnische Vereinigte Ar-beiterpartei), die bis dahin fak-tisch über das Machtmonopol verfügte, offen herausfordern konnte. Damals wurde für das Bürgerkomitee durch Adam Michnik übrigens die „Gazate Wyborcza“ (Wahlzeitung) ins

Leben gerufen, die bis heute Polens wichtigste überregio-nale Tageszeitung geblieben ist. Das Besondere an diesen Wahlen war ein komplizierter Wahlmodus, mit dem der Re-gierungsseite eine strukturelle Mehrheit eingeräumt werden sollte, allerdings eine relevante Anzahl der Abgeordnetenplät-ze frei gewählt wurde. Ein Kom-promiss, der in erster Linie den Bündnisbeziehungen geschul-det war. Anders gesagt: Po-len wäre zu diesem Zeitpunkt längst reif gewesen für allge-meine, freie, gleiche und gehei-me Wahlen, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs immer eine der zentralen politischen Forderungen der europäischen Arbeiterbewegung gewesen waren. Allein die Rücksicht auf Sowjetunion und Warschauer

Vertrag schien einen doppelten Boden erforderlich zu machen.Doch der hielt nicht, was er versprach – die Regierungs-seite steckte eine empfindli-che Niederlage ein, entspre-chend glanzvoll schnitt das „Solidarnosc“-Lager ab. Weni-ge Wochen genügten, um al-le beabsichtigten Rücksich-ten aufgeben zu können. Die Krise im sowjetischen Lager wurde manifester, die ersten DDR-Bürger fingen an, am Prin-zip der Berliner Mauer zu rüt-teln. So setzte sich im Som-mer 1989 das von Michnik in die Diskussion gebrachte Kon-zept durch: Euer Präsident, un-ser Ministerpräsident. Die Re-gierung übernahm mit Tadeusz Mazowiecki einer der engsten politischen Berater von Lech Wałesa, auf der anderen Sei-

te erhielt Wojciech Jaruzelski das neugeschaffene Amt des Staatspräsidenten. Damit war die Volksrepublik Polen Ge-schichte. Die Tür, die in Polen im Frühjahr und Sommer 1989 weit aufge-stoßen wurde, wies den Weg, den im Herbst 1989 auch an-dere Länder im sowjetischen Einflussbereich gingen. Was in Polen noch Monate gedau-ert hatte, vollzog sich jetzt an-dernorts innerhalb weniger Wochen oder Tage. Der Ver-such, eine nichtkapitalistische Gesellschaftsordnung ohne demokratische Verwurzelung aufzubauen, wurde zu Grabe getragen. Der Anteil der Ge-werkschaft „Solidarnosc“ an diesem geschichtlichen Vor-gang ist kein kleiner. Holger Politt

Gräberfeld in Verdun. Bild: Brian Hall / Wikimedie Commons

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TermineRosa-Luxemburg-Stiftung

Chemnitz, 1.-30.4.Ausstellung“Ich kam als Gast in Euer Land gereist…”Eine Ausstellung der Gedenk-stätte Deutscher Widerstand in Kooperation mit der Volks-hochschule Chemnitz und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sach-sen e.V.Volkshochschule Chemnitz, Mo-ritzstraße 20, 09111 Chemnitz

Die in dieser Ausstellung doku-mentierten Familiengeschich-ten zeigen das widerspruchs-volle Schicksal deutscher Hitlergegner in der Sowjetunion der Stalin-Zeit. Die Deutschen kamen als Arbeitsuchende An-fang der 1930er Jahre oder nach 1933 als politisch Ver-folgte in das Land ihrer Träu-me und Hoffnungen. Sie waren Facharbeiter, Journalisten, Leh-rer, Mediziner, Künstler, Archi-tekten – die Frauen unter ihnen immer mitgedacht. Ab 1936 wurden sie Opfer staatlichen Terrors: Ob vom NKWD ermor-det oder in Straflager depor-tiert, auf lange Jahre nach Sibi-rien oder Kasachstan verbannt oder in Kinderheime zwangs-weise eingewiesen – die Fami-lienschicksale gleichen mehr-fach zerrissenen Lebenslinien. Der Rückweg nach Deutsch-land war abgeschnitten; die Antifaschisten wurden zu dop-pelt Verfolgten. Auch das En-de von Krieg und Faschismus brachte vielen Exilanten nicht die erhoffte Freiheit: Erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jah-re konnte das Gros der in der Verbannung Lebenden ausrei-sen. Für sie war es die langer-sehnte Rückkehr in die Heimat, für ihre in der Sowjetunion so-zialisierten Kinder ein schwe-rer Neubeginn in einem frem-den Land.

Dresden, 2.4., 19 UhrVortrag und DiskussionÖffentliche Bibliotheken im 21. Jahrhundert: Medienverleihsta-tion mit Animationsanteil oder ernstzunehmende Bildungsein-richtung?Mit Gerhard Zschau, Diplom-Bibliothekar und Demokratie-

pädagoge M.A. und Peter Job-mann, Diplom-Bibliothekar und Demokratiepädagoge M.A.WIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Während der Zugang zu Infor-mationen aller Art immer ein-facher wird, ziehen sich Biblio-thekarinnen und Bibliothekare immer mehr auf ihre Funkti-on als inhaltlich völlig neutra-le Medienbereitsteller zurück. Zeitgleich positionieren sie sich aber offensiv als bedeu-tende Akteure im Kultur- und Bildungsbereich, wobei Schlag-worte wie Leseförderung, In-formations- oder Medien-kompetenz die Diskussion dominieren. Ein Diskurs um die Gefahren dieses Handelns hin-gegen ist fast völlig unsichtbar. Die Demokratieförderung, Ker-nelement nationaler und inter-nationaler bibliothekarischer Berufsethik, findet keine sicht-bare Anwendung. Warum ei-gentlich nicht?

Leipzig, 8.4., 19 Uhr PodiumsdiskussionWiderspiegelung der Parteien in den Medien. Die unsichtbare OppositionMit Malte Daniljuk, Journalist (Impulsreferat), Christian Bol-lert, Geschäftsführer detektor.fm; Prof. Dr. Peter Porsch, Ro-sa-Luxemburg-Stiftung Sach-sen; Tom Strohschneider, Chef-redakteur Neues Deutschland; Moderation: Michael Bartsch (Journalist u.a. für taz)Rosa-Luxemburg-Stiftung Sach-sen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Medien setzen die Themen, über die Bürgerinnen und Bür-ger reden, reflektieren und dis-kutieren. Viele politische Ak-teurinnen und Akteure setzen auf Inszenierung statt Diskussi-on von Sachthemen. Doch an-scheinend werden die Partei-en von den Medien nicht gleich behandelt. Ist dem so? Dieser Frage wollen wir nachgehen.

Chemnitz, 10.4., 19 UhrBuchvorstellung und Diskus-sion

Blackbox Abschiebung - Ge-schichten und Bilder von Leu-ten, die gerne geblieben wärenMit Miltiadis Oulios, Autor, KölnEine Veranstaltung von „Save me“ Chemnitz in Kooperati-on mit der Volkshochschule Chemnitz und der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V.Veranstaltungssaal, dastietz, Moritzstraße 20, 09111 Chem-nitz

Wir leben in einer Welt der er-wünschten Mobilität: Indische Informatiker programmieren im Silicon Valley; Frauen aus Ost-europa arbeiten hierzulande im Pflegesektor; Studenten ver-bringen Auslandssemester in aller Welt. Die Mobilität kennt aber auch eine Schattenseite: Menschen, die in den reichen Staaten des Westens ihr Glück suchen und denen permanent die Abschiebung droht. Doch was heißt das eigentlich, Ab-schiebung? Was passiert in der „Blackbox“ Abschiebegefäng-nis? Und welchen Sinn macht überhaupt Abschiebepolitik? Miltiadis Oulios entwickelt eine Theorie der Abschiebung und portraitiert Menschen, die ab-geschoben wurden. Mit Digital-kameras dokumentierten sie ihr Leben in der alten, neuen Heimat und erzählen ihre Ge-schichte. Die entstandenen Bil-der waren und sind im Rahmen einer gleichnamigen Ausstel-lung in zahlreichen deutschen Städten zu sehen.

Dresden, 15.4., 18 UhrREIHE: JUNGE ROSAWie kann ich vor Ort Flüchtlin-ge unterstützen?»Realität Einwanderung – Kom-munale Möglichkeiten der Teil-habe, gegen Diskriminierung« Mit Freya-Maria Klinger, MdL, ChemnitzWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Dresden, 16.4., 19 UhrVortrag und DiskussionDer große Wurf oder der große Stillstand?Zu den Auswirkungen der Bil-dung der Großen Koalition im Bundestag

Mit Dr. Jochen Weichold, Rosa-Luxemburg-Stiftung, BerlinWIR-AG, Martin-Luther-Straße 21, 01099 Dresden

Leipzig, 17.4., 18 UhrKurzbeiträge und Diskussion»Antifaschismus als Feindbild«Mit Katharina König, MdL, Fraktion DIE LINKE im Thürin-gischen Landtag; Thomas Datt, Journalist, Leipzig RLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Leipzig, 24.4., 18.30 UhrREIHE: Rosa L. in GrünauWolfgang Abendroth - Der „Par-tisanenprofessor im Lande der Mitläufer” (Jürgen Habermas)Mit Steffen Juhran, LeipzigKlub Gshelka, An der Kotsche 51, 04177 Leipzig

Leipzig, 24.4., 19 UhrVortrag und DiskussionKritische Gesellschaftstheo-rie, Herrschaft, Krise - Aktuel-le Kontroversen im Anschluss an Marx und den materialisti-schen FeminismusMit Alex Demiroviç, Etienne Schneider und Julia DückModeration: Christian SchmidtEine Veranstaltung der Zeit-schrift “Prokla”, dem Conne Is-land e.V. und der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V.Conne Island, Koburger Straße 3, 04277 Leipzig

Chemnitz, 24.4., 19 UhrLesung“Deutschland - ein Wintermär-chen” von Heinrich HeineMit Mike Melzer, ChemnitzSoziokulturelles Zentrum quer-beet, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Vor 170 Jahren erschien bei Hoffmann und Campe in Ham-burg ein Versepos – „Deutsch-land – ein Wintermärchen“ von Heinrich Heine. Es löste in Deutschland eine Verbotswel-le und einen Haftbefehl gegen den Autor aus. Schon 1831 ging Heinrich Heine in die fran-zösische Emigration. Auf einer Fahrt Ende 1843, auf der er seine Mutter und seinen Ver-leger Julius Campe besuch-

te, entstand die erste Fassung dieses Versepos. Darin nimmt Heine deutlich Partei für eine Veränderung der deutschen Zustände bis hin zum oft zitier-ten „Himmelreich auf Erden“. Sehr kritisch geht er mit dem Deutschtum und der Kleinstaa-terei um. Humoristisch kratzt er an Nationalmythen und -symbolen wie dem Reichsad-ler und dem Kaiser Barbarossa.Der Text atmet bis heute den „Hochverrat“ und den Angriff auf alles Nationale. Dies macht ihn neben der hohen literari-schen Qualität bis in unsere Ta-ge aktuell und hörbar.

Cunnersdorf, 25.4., 20 UhrGesprächrundePhilosophinnen in CunnersdorfMit: Theano von Thurij (Antike) und Hypathia von Alexandria (Spätantike)Eine gemeinsame Veranstal-tung der Rosa-Luxemburg-Stif-tung Sachsen mit der Alten Schule Cunnersdorf e.V.Alte Schule e.V., Schulweg 10, 01929 Schönteichen OT Cun-nersdorf

Chemnitz, 29.4., 18 UhrLesung und Frühlingsempfang“Von einem, der auszog..”Lesung mit Prof. Dr. Peter Porsch, anschließend Früh-jahrsempfang des Arbeitskrei-ses Chemnitz der Rosa-Luxem-burg-Stiftung Sachsen e.V.Soziokulturelles Zentrum “quer-beet”, Rosenplatz 4, 09126 Chemnitz

Leipzig, 29.4., 18 UhrVortrag und DiskussionPierre-Joseph Proudhon – ein Theoretiker der sozialen Ge-rechtigkeit? Mit Prof. Dr. Manfred Neuhaus, LeipzigRLS Sachsen, Harkortstraße 10, 04107 Leipzig

Dresden, 30.4., 19 UhrVortrag und DiskussionLenin und die globale Revoluti-on heuteMit Prof. Dr. Thomas Kuczyn-ski, WirtschaftshistorikerTU Dresden, Hörsaalzentrum, Bergstr. 64, 01067 Dresden

ImpressumLinks! Politik und Kultur für Sachsen, Europa und die Welt

Herausgebergremium: Dr. Monika Runge, Verena Meiwald, Prof. Dr. Peter Porsch, Dr. Dr. Achim Grunke, Rico Schubert

Verleger: Verein Linke Kultur und Bildung in Sachsen e.V., Kleiststraße 10a, 01129 Dresden

Namentlich gekennzeichne-te Beiträge geben nicht un-bedingt die Meinung der Re-daktion wieder. Die Redaktion behält sich das Recht auf sinn-wahrende Kürzungen vor. Ter-

mine der Redaktionssitzungen bitte erfragen.

Die Papierausgabe wird in der LR Medienverlag und Drucke-rei GmbH in Cottbus in einer Auflage von 15.150 Exempla-ren gedruckt.

Redaktion: Kevin Reißig (V.i.S.d.P.), Jayne-Ann Igel, Ute Gelfert, Ralf Richter

Kontakt: [email protected] Tel. 0351-84389773

Bildnachweise: Archiv, iStockphoto, pixelio

Redaktionschluss: 25.03.2014

Die nächste Ausgabe erscheint am 30.04.2014.

Die Zeitung kann abonniert werden. Jahresabo 10 Euro incl. Versand.

Abo-Service Tel. 0351-84389773

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Seite 7 04/2014 Links!

Es gibt kaum einen Künstler, der sich in seinem Werk so intensiv mit den Schrecknis-sen des Ersten Weltkrieges auseinandersetzte und das kollektive Bildgedächtnis des Krieges so wesentlich geprägt hat wie Otto Dix (1891-1969). Noch heute gelten seine Dar-stellungen der aufgerissenen, zerbombten Schützengräben, die schockierenden Dokumen-tationen vom Leid und Elend als bildgewordene Zeugnisse eines in seiner Zerstörung und Ausmaß bis dato ungekannten Krieges. Der in Gera geborene Dix mel-det sich, wie viele seiner Zeitge-nossen, 1914 freiwillig und wird bis 1918 an der Westfront ein-gesetzt. Seine Zeit als Soldat ist dabei weniger motiviert durch die heute unbegreifliche Kriegs-begeisterung und den Hurra-Patriotismus der unmittelbaren Vorkriegsjahre, sondern viel-mehr vor dem Hintergrund seines absoluten Lebens- und Erfahrungswillens zu verstehen, dem Wunsch, dem Leben in all seiner Schönheit und Hässlich-keit nahe zu kommen. Dass das Erlebte in den Gräben, die Sinn-losigkeit des Sterbens und der Horror des Krieges tiefe Wun-den riss, ist im Nachkriegswerk spürbar.Von da an wird der Krieg in all seinen Abgründen das Werk des Malers durchdringen. Immer wieder stellt sich der Künstler seinen Erfahrungen und reflektiert diese in ein-dringlichen Bildwerken. Für Dix

ist der Künstler selbst nicht nur das Auge der Welt – eine Ma-xime, die ihn zeitlebens zum

genauen Hinsehen, zur minu-tiösen Wirklichkeitserfassung trieb. Kunst ist für Dix ebenso Bannung und die Bilder vom Krieg so eine Sichtbarmachung und Mahnung zugleich. Anlässlich des 100. Jubiläums des Ersten Weltkrieges eröff-

net am 5. April im Dresdner Albertinum eine Ausstellung, die sich intensiv mit dem 1929-

1933 entstandenen Triptychon Der Krieg beschäftigt. In sei-ner Bildgewalt und Drastik gilt es heute zu Recht als eines der wichtigsten Kunstwerke der realistischen Malerei des 20. Jahrhunderts. Neueste Er-kenntnisse maltechnischer Un-

tersuchungen, ein facettierter Blick auf die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des

Bildes eröffnen dem Betrachter neue Einblicke. Zudem zwingen der nahezu sezierende Blick des Künstlers und die scho-ckierenden Nahaufnahmen zum Hinsehen und somit zur eigenen Befragung und Sen-sibilisierung für die Ereignisse

zwischen 1914 und 1918. Eine Sichtbarmachung, die, steht man vor dem Bild, bei-

nahe schmerzt und trotz der scheinbaren Historizität des Werkes angesichts aktueller Ereignisse an Bedeutung nichts verloren hat. Zu sehen ist die Sonderausstellung vom 5. April bis zum 13. Juli im Albertinum Dresden. Anja Eichhorn

In der großartigen Fernsehse-rie Breaking Bad sieht es im-mer spannend und spielerisch aus. Aber auch hier sieht man, dass Drogen mit viel Geld zu tun haben. Mit sehr viel Geld. Und das in jeder Hinsicht: Nicht nur die Gelder, die im Drogenhan-del verdient werden, sind gi-gantisch. Auch der Krieg gegen die Drogen, der sogenannte war on drugs, den die USA in den 70ern ausgerufen haben, ver-schlingt gewaltige Summen. Seit 1971 wurden dafür mehr als 1000 Milliarden Dollar aus-gegeben. Wie Kokain die Welt beherrscht ist daher zu Recht auch der Ti-tel von Robert Savianos neuem Buch Zero Zero Zero. Der Autor, der nach seinem Weltbestseller Gomorrha über die italienische Mafia im Untergrund unter star-kem Polizeischutz leben muss, nimmt auch hier kein Blatt vor dem Mund. Sein Bericht über die absurde Gewalt, die Pro-duktion, die Vertriebswege, die von gigantischen Drogen-kartellen organisiert werden, liest sich beängstigend. Savi-

ano beschreibt sehr detailliert den Aufstieg der mexikanischen Drogenkartelle und der kolum-bianischen Kokainproduzenten, aber auch die Vermittler- und Verteilerrolle der italienischen Mafia auf dem europäischen Markt, die natürlich – wie auch schon breaking bad zeigt – auch auf dem vergleichsweise neuen Methamphetaminmarkt mitmischen. Drogen sind nach Saviano das lukrativste Schmiermittel des Kapitalismus, da sie nicht nur vergleichsweise leicht zu trans-portieren sind, sondern sich auch gewaltige Margen erzie-len lassen. Der mexikanische Kriminalitätsforscher und Öko-nom Edgardo Buscaglia schätzt im SPIEGEL, dass es die Kartel-le auf einen Gesamtjahresum-satz jenseits der 100 Milliarden Dollar bringen. Das entspricht fast zehn Prozent des mexika-nischen Bruttoinlandsprodukts. Nicht überraschend wird der kürzlich festgenommene Jo-aquín Guzmán Loera „El Cha-po“, der Anführer des Sina-loa-Syndikats, seit Jahren vom

Wirtschaftsmagazin „Forbes“ auf der Liste der Milliardäre ge-führt.Saviano deckt die geheimen Geldwäschegeschäfte auf, an denen nicht nur amerikanische Banken sehr gut verdienen. Schockierend in diesem Zu-sammenhang, wie systemim-manent die Dollars der Drogen-syndikate sind: „Die Gewinne der kriminellen Organisationen sind für manche Banken das einzige flüssige Investitionska-

pital, um eine Insolvenz zu ver-meiden“, erklärte der Leiter des UN-Büros für Drogen- und Ver-brechensbekämpfung, Antonio

Maria Costa im November 2009 – auf dem ersten Höhepunkt der internationalen Finanzkrise. In einem System, das nichts so sehr braucht wie Liquidität, sind Drogengelder die einzigen, die fließen – eine unglaubliche Ent-hüllung. Die radikalste, aber wohl einzige Lösung, die Saviano daher ein-fällt, ist den Stoff zu legalisieren, um ihn zu entwerten und jenen die Macht zu nehmen, die den Anbau und den Vertrieb beherr-

schen. Denn eine Regelung, die diese Substanzen legalisie-ren würde, würde die Herstel-lung und den Handel den Märk-

ten für Alkohol oder Zigaretten angleichen. Der Konsum wäre durch Besteuerung reguliert, es gäbe Alters-Untergrenzen für den Erwerb, eingeschränkte Werbung, Warnhinweise sowie Konsumverbote an bestimm-ten Orten. Die erzielten Steuern würden nicht nur die Haushalts-defizite verringern, sondern womöglich sogar den Drogen-konsum eher verringern als der Krieg gegen die Drogen. Pe-ter Praschl träumt in der WELT: „Kokain könnte zu fairen Bedin-gungen produziert werden, nie-mand müsste mehr Mehl oder zerstoßenes Glas mitschnup-fen müssen, irgendwann gäbe es Bio-Zertifikate, Benotungen von Terroirs und Fachsimpe-leien, aber keine Kokskartelle mehr, deren Mitglieder einan-der und gänzlich Unbeteiligte abschlachten.“ Eine bisweilen in Details ausufernde, dennoch überaus lohnenswerte Lektüre.Rico Schubert

Robert Saviano: Zero Zero Zero. Wie Kokain die Welt beherrscht. Hanser Verlag, 24,90 Euro.

Legalize it! –Robert Savianos neues Buch propagiert die Freigabe auch harter Drogen

Alle Kunst ist Bannung – Otto Dix und der Krieg

Rezensionen

Gräberfeld in Verdun. Bild: Wikimedie Commons / nara.gov

Koka-Pflanze. Bild: Darina / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0

Otto Dix nimmt die Ernennungsurkunde zum Korrespondierenden Mitglied der Deutschen Akademie der Künste entgegen, 12. April.1957. An diesem Tag eröffnet in Berlin eine große Otto-Dix-Ausstellung.Bild: Bundesarchiv, Bild 183-45912-0002 / CC-BY-SA

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Seite 8Links! 04/2014 Kultur

Gerry Wolff, der charismatische Schauspieler und Chansonnier

Vom schwarzen Kaiserreich zur brasilianischen ModerneDer 16. März war in Sachsen ein Vorfrühlingstag, den man getrost „unter Glas“ verbringen konnte. So regnerisch, kühl und windig war es. Manche machen bei so einer Gelegenheit einen Schaufensterbummel, doch die bessere Alternative an dem speziellen Tag war es eindeutig, zur Messe zu fahren, zur Leip-ziger Buchmesse. In Riesa hat der Regionalexpress Verspä-tung, und als er dann endlich da ist, besteht er nur aus zwei übervollen Waggons. Reinkom-men ist alles, Sitzen unmög-lich. Kein Kontrolleur hätte hier die geringste Chance, auch nur fünf Meter vorwärts zu kom-men. In der S-Bahn ab Leipzig Hauptbahnhof ist das Raum-angebot größer. Ja, man weiß es inzwischen – die Buchmes-se verzeichnete einen neuen Besucherrekord. Der Sonntag ist, was die Veranstaltungsfül-le betrifft, bei weitem nicht so intensiv bestückt wie die vor-angegangenen Tage. Zum „Fa-milientag“ liegt eine Atmosphä-re der Entspannung in der Luft, wenn man in Begleitung zahlrei-cher Manga-Jugendlicher vom Bahnsteig entlang der Straßen-bahnschienen zu den Hallen läuft. Große Freude im Presse-büro: Es gibt nicht nur die Dan-kesrede zur Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Eu-ropäischen Verständigung von Pankaj Mishra, sondern auch die dazu gehörige Laudatio von Ilja Trojanow – allein um diesen Lesestoff zu bekommen, hat sich der Weg ins Pressebüro ge-lohnt. Bei Messebesuchen schwan-ke ich immer etwas zwischen straffer Planung und Anarchie – eigentlich will ich vier Veran-staltungen besuchen und ich bin wirklich auf dem allerbes-ten Wege, um mir einen Vor-trag anzuhören, in dem es um die „Einflüsse der Literatur auf die gesellschaftlichen Ausein-andersetzungen“ geht. Es sind

noch wenige Meter bis zu dem Stand, als ich eine Stimme hö-re: „Und da stand er vor mir, mein Großonkel, der Kaiser!“ Aha, denke ich, es ist Familien-tag und hier gibt es eine Mär-chenstunde – und schaue dann doch vorsichtig bei der Lesung rein. Der untersetzte Mann, der da vorn liest, ist schon älter. Der Einband ist wirklich mär-chenhaft bunt, doch der Vor-leser ist kein Märchenonkel und die Zuhörer sind keine Kin-der. „Wer war Haile Selassie?“

fragt er jetzt wieder, der Äthio-pier und Autor des Buches „Der letzte Kaiser von Afrika“. Sein Deutsch ist ausgezeichnet. Er erzählt von seiner OP als Kind, im Haile-Selassie-Krankenhaus in Addis Abeba, als er beim Auf-wachen aus der Narkose drei Männer an seinem Bett stehen sieht: den Großvater, den Va-ter und den „König der Könige“, Haile Selassie. Asfa-Wossen Asserate studierte in Frankfurt am Main und begleitete den Kaiser ein letztes Mal im Sep-tember 1973 durch Deutsch-land, ein Jahr vor dem Putsch der äthiopischen Offiziere – als die Ära beginnt, in der die DDR und die Sowjetunion Äthiopien

unter die Arme greifen und jun-ge Äthiopier u.a. an der Hum-boldt-Uni Berlin studieren. Der „König der Könige“ ließ sein Volk verhungern und wunder-te sich anschließend darüber, dass er 1974 gestürzt wurde. Sein Großneffe beklagt nun im Jahr 2014 in Leipzig, dass in den letzten 40 Jahren das Andenken seines Großonkels, dessen Vor-fahre König Salomon gewesen sei, in Äthiopien nicht gepflegt worden sei, und rühmt die „Gol-denen Tage“ des Kaiserreiches,

in dem es ihm – immerhin Sohn des Gouverneurs von Eritrea – so gut gegangen war, während andere Kinder seines Jahrgangs in Afrika kaum etwas zum Essen hatten. Auch für die Gespens-ter der Vergangenheit bietet die Buchmesse ein Podium, denke ich. Man kann daraus nur ler-nen: Unsere heutigen schein-bar wichtigen Erkenntnisse er-scheinen womöglich im Licht der Zukunft als fatale Irrtümer.Doch es gibt auch noch einen nicht-kaisertreuen Stand in Leipzig, an dem ein buntes Pro-gramm linke Bücher und linke Autoren vorstellt – das Gan-ze nennt sich „Die Bühne“ und wird von der Rosa-Luxemburg-

Stiftung gefördert. Da ich Hans-Dieter Schütt, den ehemaligen Chefredakteur der jungen welt, verpasst habe, entscheide ich mich für neue brasilianischen Literatur „der Marginalisierten“ und für eine Buchvorstellung zum Thema Videospiele. Vom schwarzen äthiopischen Kai-serreich bis zur brasilianischen Moderne sind es in Messetagen nur wenige Meter, und schon beschäftigt man sich mit den „Widerständigkeiten im Land der Zukunft – Andere Blicke

auf und aus Brasilien“. Ja, es ist Fußball-WM in diesem Jahr und Olympiade 2016. Die „anderen Blicke“ kommen von Forschern und Aktivisten aus Brasilien bzw. Deutschland und erstre-cken sich auf Widerstandsfor-men wie Straßenproteste, Mu-sik, Literatur, Straßenkunst und städtisches Gärtnern. Inter-essant finde ich die Geschich-te über eine Straßenkino-Be-treiberin, die davon träumt, die Favelas mit Straßenkinos zu besetzen. Die Leute vom Un-rast-Verlag aus Münster haben das Feld kaum geräumt, da geht es auch schon um Videospiele, ein Markt, der viel größer ist als der Kino-Markt. Besonders

im Blickpunkt von „Das virtu-elle Schlachtfeld“ von Michael Schulze von Glaßer vom Papy-rossa-Verlag ist die Koopera-tion von Spieleherstellern und Militär – auch um derzeit aktu-elle Feindbilder geht es. Beim Egoshooter „Battlefield 4“ geht es darum, möglichst viele Chi-nesen zu töten – das hat bei der South China Morning Post verständlicherweise nicht nur große Begeisterung ausgelöst, dort erschien ein energischer Protest. Eine richtig große, aber immer volle Bühne, vor der man mit et-was Glück aber doch noch ei-nen Platz ergattern kann, bietet Leipziger Volkszeitung. Hier hö-re ich dann Ernst Piper, der über sein Buch „Nacht über Europa“ spricht, das ich ganz großartig finde – und werde enttäuscht. Nein, der Autor „kommt nicht rüber“, redet mehr oder we-niger schüchtern nur mit dem LVZ-Redakteur. Der Glanz des Buches wird vom Autor nicht versprüht. Es hat schon seinen Grund, wenn gute Schauspieler an Stelle von Schriftstellern Ro-mane als Hörbücher einlesen – auch „Nacht über Europa“ hät-te manch anderer als der Autor bei der Buchmesse gewiss bes-ser präsentieren können. Fazit: Ich habe einen ganz win-zigen Bruchteil des Angebo-tes gesehen, vielleicht nur 0,01 Prozent. Doch bereits das We-nige war so anregend, dass man einen Leipziger Buchmes-se-Besuch nur empfehlen kann – auch wenn die Anreise mitun-ter doch etwas weniger kom-fortabel sein kann, aber irgend-wann bekommt das die Bahn bestimmt auch noch in den Griff. Allerdings: Man sollte sich schon mehr Zeit nehmen als ei-nen Tag – für die Leipziger „Bü-cher-Vorfrühlingstage“ im März wäre das angebracht. Wer die-ses Jahr nicht da war: Vom 12. bis 15. März 2015 gibt es eine neue Chance! Ralf Richter

„Zerreißt die Ketten von Skla-venzwang!“ So jedenfalls inter-pretiert er mit unverwechsel-bar intensivem Sprechgesang das Lied „Von der Arbeit auf-gewacht“ des bekanntesten Poeten der 1848er Revolution, Georg Herwegh, auf einer Lang-spielplatte, die 1969 aufhor-chen – und Gerry Wolff zum wichtigen Pionier des ostdeut-schen Chansons werden ließ.Er bereicherte mit diesem Werk die bis dahin langweilig erscheinende, volkstümlich klingende DDR-Musikszene und setzte seiner Zeit entsprechend durchaus progressive Akzente, ohne agitatorisch zu wirken. Seine Eltern, die Sopranistin Grete Lilien und den Schau-

spieler Martin Wolff, verlor der am 23. Juni 1920 in Bremen geborene Junge bereits mit elf Jahren, so dass er zu seiner Großmutter zog, die sich sei-ner annahm – bis er im Jahre 1935 aufgrund seiner jüdischen Herkunft das inzwischen na-tionalsozialistisch gewordene Deutschland verlassen muss-te und in Großbritannien eine einstweilige neue Heimat fand.In London bekam er in einem Buchverlag den Beruf eines Lektors. Nebenher befasste sich der jugendliche Gerry mit Theaterkunst und erste Auf-tritte als Schauspieler folgten. Nach Kriegsende beschloss er, wieder nach Deutschland zu gehen, wo er dann 1949 ein En-

gagement im Berliner „Theater am Schiffbauerdamm“ bekam. 1956 verpflichtete ihn die neu entstandene „Volksbühne“. Die DEFA entdeckte ihn bereits vier Jahre zuvor, und es wurden ihm zahlreiche Rollen in Spielfilmen angeboten. Er wirkte bis 2001 in über 100 Spiel- und Fernseh-produktionen mit, ohne jedoch seine gesanglichen Fähigkeiten zu vernachlässigen. Die be-kanntesten Filme, in denen er als charismatischer Darsteller zu sehen ist, sind „Nackt unter Wölfen“ 1963 unter Regie von Frank Beyer, „Anton, der Zaube-rer“ 1978, „Krupp und Krause“ 1968 und „Levins Mühle“ 1980.Anfang der 60er Jahre kamen beim DDR-Label VEB Deutsche

Schallplatten Berlin AMIGA mehrere Singles heraus, 1969 folgte die LP „Gerry Wolff, Por-trait in Noten“ (AMIGA-855171). Durch die Vielseitigkeit des Pro-tagonisten überzeugten sie mit hoher künstlerischer Qualität. Hier begeben sich nordame-rikanische Folksongs, latein-amerikanische, jiddische und griechische Volkslieder, eine altenglische Ballade und das französische Chanson in un-mittelbare Nachbarschaft und bilden in abwechslungsreicher Kombination ein ausgereiftes Werk, das sich politisch und emotional poetisch auf hohem Niveau befindet. Das Chan-son „Die Rose war rot“ wurde ein richtiger Hit, für den Gerry

Wolff beim Songfestival in So-pot den Sonderpreis der pol-nischen Presse bekam. Neben seiner Arbeit als Schauspieler und Sänger war Wolff auch als Hörspiel- und Synchronspre-cher aktiv.In den 90er Jahren kreierte er Programme, die sich haupt-sächlich der jiddischen Spra-che widmeten, unter anderem auch mit der schon in der DDR gegründeten jungen Berliner Klezmerband „Aufwind“. Das Programm hieß „Als der Rebbe tanzt“. Gerry Wolff verstarb am 16. Februar 2005 in Oranien-burg. Ich hätte mir noch mehr Aufnahmen seiner Lieder ge-wünscht. Jens-Paul Wollenberg

Bild: Ralf Richter