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Lise Meitner und die Kernspaltung : ,,Fallout" der Entdeckung Von Ruth Lewin S h e * Uber Lisc Meitner ist vie1 geschrieben worden, und doch ist sie immer eine Randfigur geblie- ben. Uber ihre bahnbrechenden Leistungen in der Kernphysik ist nur wenig bekannt, ihren Namen assoziiert man hauptsichlich rnit der Kernspaltung; die Anerkennung ihres Anteils an dieser Entdeckung blieb ihr jedoch verwehrt. Insbesondere in Deutschland haben die Akteure dieses Szenarios ihren festen Platz: Otto Huhn im Rampenlicht, Fritz StruJrnann in seinem Schatten, Lise Meitner nur schemenhaft am Rande des Geschehens erkennbar. Uber ihre Rolle 1aBt sich spekulieren. Die Ostberliner Schriftstellerin Renate Fey/ bezeichnet Lise Meitners Lebenswerk als .,gekront rnit dem Nobel-Preis fur Otto Hahn'"']; K.- E. Zimen, ehemaliger Direktor einss nach ihr benannten Instituts, stellt sie als diejenige dar, die der Entdeckung von Anfang an im Wege stand[''. Oft tritt sie lediglich als Huhns MitarbeiterinI3' in Erscheinung; zuweilen sucht man vergeblich nach ihr, wie z. B. in einem der bedeutendsten Wissenschafts- museen der Welt[**], in dem 30 Jahre langI4] der Arbeitstisch rnit der Spaltapparatur -- von Lise Meitner in ihrern Laboratorium in ihrer Physikabteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts fur Chemie aufgebaut - zu sehen war, ohne dal3 ihr Name in diesem Zusammenhang iiberhaupt genannt wurde. Die Akteure selbst sind unterschiedlicher Meinung. In seinen Memoiren hat Huhn erstaunlich wenig iiber seine langjahrige intensive berufliche und freundschaftliche Ver- bindung mit Lise Meitner zu sagen. Nur bei einem Glas Wein, so erfahrt der Leser, ,,konnte ihm die AuBerung entschliipfen: ,Ich weiss nicht; ich fiirchte, Lischen hatte mir die Uranspal- tung verboten"[51. Struj'mann betont: ,,Lise Meitner war die geistig Fiihrende in unserem Team gewesen"[61! Von Lise Meitner selbst liegt keine Autobiographie vor; die umfangreiche Sammlung von Briefen und Dokumenten aus ihrem NachlaB jedoch ermoglicht es uns, weit mehr zu erfahren. 1. Einleitung Der Historiker Fritz Stern schrieb iiber den beriihmtesten Wissenschaftler dieses Jahrhunderts: ,,Einstein and Ger- many: they illuminate each other"[']. Das Gleiche gilt - ei- gentlich in noch vie1 hoherem Mane - fur Lise Mritner, well sie Deutschland starker verbunden war, linger blieb und ihre Verbindungen dorthin auch spiter niemals abreiBen IieB, und weil sowohl ihr groBer wissenschaftlicher Erfolg als auch die bitteren Folgen ihrer Emigration nur vor dem Hin- tergrund der wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Gegebenheiten im damaligen Deutschland gesehen werden konnen. Aus ihrer Geburtsstadt Wien kam sie 1907 nach Berlin. Frauen war damals noch der Zugang zu preunischen Univer- sitaten verwehrt; trotzdem fand sie einen Platz, an dem sie arbeiten und ihre Fihigkeiten unter Beweis stellen konnte. In kurzer Zeit wurde Deutschland ihre berufliche Heimat, die Statte. die ihr ~ wie sie glaubte ~ vor einem vertanen, inhalts- losen Leben in Osterreich Zuflucht hot[']. An den Meilen- steinen ihrer Laufbahn konnte man die fortschreitende Inte- gration der Frauen in die Wissenschaft in Deutschland able- sen; in der anregenden Atmosphare der deutschen Physiker- gemeinde feierte sie Erfolge und schuf sich einen festen Platz unter den bedeutendsten Kernphysikern ihrer Zeit. [*I Dr. R. L. Sime Department of Chemistry Sacramento City College Sacramento. CA 95822 (USA) [**I Ltw Mc>itnc.r wurde am 4 Juli 1991 rnit der Aufstellung einer Biiste im Ehrensaal des Deutschen Museums Munchen geehrt. In diesem Ehrensaal sind Busten. Reliefs und Gemilde von jetzt 40 namhaften Wissenschaft- lern, Erlindsrn und Technikern aufgestellt, darunter Nikoluus Koperntkus. Jnhunni,.s Giilenhrrx. Curl Bm:. Conrud Riin/gctt, Mu.$- Plunck, Alhrr, Em- .sl~iti und Olio Huhn Nach 1933 wares gerade ihr Erfolg in Deutschland, der sie veranlaBte, an dem festzuhalten, was sie hatte, und zu lange zu bleiben. Als ihr dann schlieBlich nur noch die Flucht blieb, zerstorte das Exil ihre Karriere und triibte ihren wis- senschaftlichen Ruf. Im Dezember 1938, fiinf Monate nach Lise Meitners Flucht aus Berlin, identifizierten Hahn und SfraJrnunn Barium als ein Produkt der Bestrahlung von Uran mit Neutronen. Dies war, wie Lise Meitner selbst es ausdriickte, .,wirklich ein Meisterstiick radioaktiver Che- mie"['], zugleich wares aber auch ein wesentlicher Teil und das direkte Resultat einer gemeinschaftlichen Untersu- chung, die Lise Meitner in Berlin initiiert und vier Jahre lang geleitet hatte, und zu der sie bis zum SchluB Entscheidendes beitrug. Eines steht zweifelsfrei fest: Wire Lise Meitner nicht ausgerechnet eine ,,Nicht-Arierin" im Exil gewesen, hitte sie ungeschmalert Anteil an der Entdeckung gehabt" 'I. Statt dessen machte man letzten Endes sie - und die Physik - dafiir verantwortlich, daB die Entdeckung nicht schon friiher ge- lungen war. In diesem Artikel sol1 aufgezeigt werden, daB nicht wissen- schaftliche Beweggriinde zu Lise Meitners AusschluB gefiihrt haben, sondern daB der Grund dafiir in der Rassenpolitik und den politischen Irrlehren des nationalsozialistischen Deutschlands zu suchen ist. Belegt werden sol1 auljerdem, daR ihr AusschluB, lange nachdem das Dritte Reich zu Ende gegangen war, zu Unrecht fortdauerte, ja sogar absichtlich verstarkt wurde. Dieser Artikel 1st nicht als umfassende Dar- stellung der Entdeckung der Kernspaltung gedacht, er will statt dessen das Geschehen von einer anderen Seite betrach- ten und Lise Meitner und ihr Werk in den Mittelpunkt stellen. Indem ich ihre fiihrende Rolle bei der Untersuchung des Urans in Berlin dokumentiere, mochte ich die Bedeutung der Physik und ihres so wichtigen Zusammenspiels mit der Chemie betonen; indem ich aufzeige, daB Lise Meitner bis 956 ( VCH fivluxsKrwllsc huff tnhH W-6940 Wemhiwn. 1991 Oo44-R249/Yl/oR(~R-O956 $3 70 + 18/0 AngeM Chem 103 (1991) 986-967

Lise Meitner und die Kernspaltung: „Fallout” der Entdeckung

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Page 1: Lise Meitner und die Kernspaltung: „Fallout” der Entdeckung

Lise Meitner und die Kernspaltung : ,,Fallout" der Entdeckung

Von Ruth Lewin S h e *

Uber Lisc Meitner ist vie1 geschrieben worden, und doch ist sie immer eine Randfigur geblie- ben. Uber ihre bahnbrechenden Leistungen in der Kernphysik ist nur wenig bekannt, ihren Namen assoziiert man hauptsichlich rnit der Kernspaltung; die Anerkennung ihres Anteils an dieser Entdeckung blieb ihr jedoch verwehrt. Insbesondere in Deutschland haben die Akteure dieses Szenarios ihren festen Platz: Otto Huhn im Rampenlicht, Fritz StruJrnann in seinem Schatten, Lise Meitner nur schemenhaft am Rande des Geschehens erkennbar. Uber ihre Rolle 1aBt sich spekulieren. Die Ostberliner Schriftstellerin Renate Fey/ bezeichnet Lise Meitners Lebenswerk als .,gekront rnit dem Nobel-Preis fur Otto Hahn'"']; K.- E. Zimen, ehemaliger Direktor einss nach ihr benannten Instituts, stellt sie als diejenige dar, die der Entdeckung von Anfang an im Wege stand[''. Oft tritt sie lediglich als Huhns MitarbeiterinI3' in Erscheinung; zuweilen sucht man vergeblich nach ihr, wie z. B. in einem der bedeutendsten Wissenschafts- museen der Welt[**], in dem 30 Jahre langI4] der Arbeitstisch rnit der Spaltapparatur -- von Lise Meitner in ihrern Laboratorium in ihrer Physikabteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts fur Chemie aufgebaut - zu sehen war, ohne dal3 ihr Name in diesem Zusammenhang iiberhaupt genannt wurde. Die Akteure selbst sind unterschiedlicher Meinung. In seinen Memoiren hat Huhn erstaunlich wenig iiber seine langjahrige intensive berufliche und freundschaftliche Ver- bindung mit Lise Meitner zu sagen. Nur bei einem Glas Wein, so erfahrt der Leser, ,,konnte ihm die AuBerung entschliipfen: ,Ich weiss nicht; ich fiirchte, Lischen hatte mir die Uranspal- tung verboten"[51. Struj'mann betont: ,,Lise Meitner war die geistig Fiihrende in unserem Team gewesen"[61! Von Lise Meitner selbst liegt keine Autobiographie vor; die umfangreiche Sammlung von Briefen und Dokumenten aus ihrem NachlaB jedoch ermoglicht es uns, weit mehr zu erfahren.

1. Einleitung

Der Historiker Fritz Stern schrieb iiber den beriihmtesten Wissenschaftler dieses Jahrhunderts: ,,Einstein and Ger- many: they illuminate each other"[']. Das Gleiche gilt - ei- gentlich in noch vie1 hoherem Mane - fur Lise Mritner, well sie Deutschland starker verbunden war, linger blieb und ihre Verbindungen dorthin auch spiter niemals abreiBen IieB, und weil sowohl ihr groBer wissenschaftlicher Erfolg als auch die bitteren Folgen ihrer Emigration nur vor dem Hin- tergrund der wissenschaftlichen, kulturellen und politischen Gegebenheiten im damaligen Deutschland gesehen werden konnen.

Aus ihrer Geburtsstadt Wien kam sie 1907 nach Berlin. Frauen war damals noch der Zugang zu preunischen Univer- sitaten verwehrt; trotzdem fand sie einen Platz, an dem sie arbeiten und ihre Fihigkeiten unter Beweis stellen konnte. In kurzer Zeit wurde Deutschland ihre berufliche Heimat, die Statte. die ihr ~ wie sie glaubte ~ vor einem vertanen, inhalts- losen Leben in Osterreich Zuflucht hot[']. An den Meilen- steinen ihrer Laufbahn konnte man die fortschreitende Inte- gration der Frauen in die Wissenschaft in Deutschland able- sen; in der anregenden Atmosphare der deutschen Physiker- gemeinde feierte sie Erfolge und schuf sich einen festen Platz unter den bedeutendsten Kernphysikern ihrer Zeit.

[*I Dr. R . L. Sime Department of Chemistry Sacramento City College Sacramento. CA 95822 (USA)

[**I Ltw Mc>itnc.r wurde am 4 Ju l i 1991 rnit der Aufstellung einer Biiste im Ehrensaal des Deutschen Museums Munchen geehrt. In diesem Ehrensaal sind Busten. Reliefs und Gemilde von jetzt 40 namhaften Wissenschaft- lern, Erlindsrn und Technikern aufgestellt, darunter Nikoluus Koperntkus. Jnhunni,.s Giilenhrrx. Curl Bm:. Conrud Riin/gctt, Mu.$- Plunck, Alhrr, Em- . s l ~ i t i und Olio Huhn

Nach 1933 wares gerade ihr Erfolg in Deutschland, der sie veranlaBte, an dem festzuhalten, was sie hatte, und zu lange zu bleiben. Als ihr dann schlieBlich nur noch die Flucht blieb, zerstorte das Exil ihre Karriere und triibte ihren wis- senschaftlichen Ruf. Im Dezember 1938, fiinf Monate nach Lise Meitners Flucht aus Berlin, identifizierten Hahn und SfraJrnunn Barium als ein Produkt der Bestrahlung von Uran mit Neutronen. Dies war, wie Lise Meitner selbst es ausdriickte, .,wirklich ein Meisterstiick radioaktiver Che- mie"['], zugleich wares aber auch ein wesentlicher Teil und das direkte Resultat einer gemeinschaftlichen Untersu- chung, die Lise Meitner in Berlin initiiert und vier Jahre lang geleitet hatte, und zu der sie bis zum SchluB Entscheidendes beitrug. Eines steht zweifelsfrei fest: Wire Lise Meitner nicht ausgerechnet eine ,,Nicht-Arierin" im Exil gewesen, hitte sie ungeschmalert Anteil an der Entdeckung gehabt" 'I. Statt dessen machte man letzten Endes sie - und die Physik - dafiir verantwortlich, daB die Entdeckung nicht schon friiher ge- lungen war.

In diesem Artikel sol1 aufgezeigt werden, daB nicht wissen- schaftliche Beweggriinde zu Lise Meitners AusschluB gefiihrt haben, sondern daB der Grund dafiir in der Rassenpolitik und den politischen Irrlehren des nationalsozialistischen Deutschlands zu suchen ist. Belegt werden sol1 auljerdem, daR ihr AusschluB, lange nachdem das Dritte Reich zu Ende gegangen war, zu Unrecht fortdauerte, ja sogar absichtlich verstarkt wurde. Dieser Artikel 1st nicht als umfassende Dar- stellung der Entdeckung der Kernspaltung gedacht, er will statt dessen das Geschehen von einer anderen Seite betrach- ten und Lise Meitner und ihr Werk in den Mittelpunkt stellen. Indem ich ihre fiihrende Rolle bei der Untersuchung des Urans in Berlin dokumentiere, mochte ich die Bedeutung der Physik und ihres so wichtigen Zusammenspiels mit der Chemie betonen; indem ich aufzeige, daB Lise Meitner bis

956 ( VCH fivluxsKrwllsc huff tnhH W-6940 Wemhiwn. 1991 Oo44-R249/Yl/oR(~R-O956 $ 3 70 + 18/0 AngeM Chem 103 (1991) 986-967

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zur Entdeckung der Kernspaltung und auch danach de facto ein Mitglied cles Berliner Teams blieb, mochte ich verdeutli- chen, daI3 politische - und nicht wissenschaftliche - Beweg- grunde ihre Anerkennung verhinderten. SchlieRlich mochte ich noch die Zeit nach der Entdeckung der Kernspaltung beleuchten, als Lise Meitners AusschluR endgiiltig feststand, die Physik zum Sundenbock gemacht und die Geschichte verzerrt dargestellt wurde. Zu diesem Zweck befasse ich mich in erster Linie rnit Otto Hahn, der die Entdeckung fur die Chemie allein in Anspruch nahm. und dessen beispiellose Beruhmtheit im Nachkriegsdeutschland dafur sorgte, daI3 seine Version als die allgemein anerkannte galt. 50 Jahre sind seitdem vergangen; es ist an der Zeit, das Bild gerade zu riicken. Dieser Artikel ist als Versuch gedacht, Lise Meitner und die Entdeckung sowie die Physik und die Chemie ins rechte Verhiiltnis zueinander zu bringen und auI3erdem die Wissenschaft im historischen und politischen Zusammen- hang zu betrachten.

2. Die Anfange des Uran-Projekts

Obwohl die Entdeckung der Kernspaltung ohne jeden Zweifel ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Chernie ist["], war doch die Kernphysik die treibende Kraft bei den Untersuchungen. Der Physiker Enrico Fermi initiierte die Untersuchung, die Physikerin Lise Meitner ,,importierte" sie nach Berlin und prCgte ihren Fortgang. Einige Jahre splter, 1944, schilderte sie M a x von Laue die Anfangszeit. Damals lebte sie in Stockholm und war unzufrieden rnit ihren Ar- beitsbedingungen; von Laue hatte die Vermutung geiuBert, ihre Unzufriedenheit sei moglicherweise auf die fehlende Zu- sammenarbeit mit Otto Hahn zuruckzufuhren : ,.. . .so ist Ihre strikte Erkliirung. es fehle mir die Zusammen- arbeit rnit Otto, so irrig, dass ich, verzeihen Sie, lieber Freund, etwas Iacheln musste. Otto und ich haben von 1920- 1935 auf ganz getrennten Gebieten gearbeitet, er hat sich sogar nach eigenem Gestandnis gar nicht fur meine physika- lischen Probleme interessiert und wir sind dabei sehr gute Freunde geblieben. Dass wir dann nach so langer Zeit wieder gemeinsam gearheitet haben. lag daran, dass mich die Fer- mi'schen Untersuchungen brennend interessiert haben und es mir zugleich klar war, dass man rnit Physik allein auf diesem Gebiet nicht weiter kommen konnte. Es musste ein so ausge- zeichneter Chemiker wie Otto mithelfen, wenn es Erfolg ha- ben sollte. Ich habe mehrere Wochen gebraucht, bis ich Otto

dafur interessiert hatte, er wird es Ihnen gern bestitigen, dass es sich so verhalt"[1211.

2.1. Bestrahlung mit Neutronen

Die Untersuchungen. die Lise Meitner so stark faszinier- ten, begannen irn Marz 1934 in Rom[I3. l4[, als Fermi et al. versuchten, Kernreaktionen durch Bestrahlung von Elemen- ten rnit Neutronen herbeizufiihren und neue radioaktive Iso- tope zu schaffen. Sie arbeiteten sich dabei systematisch durch das Periodensystern und konnten bei Fluor. danach bei Aluminium" 51 erste Erfolge verzeichnen; zwei Wochen splter waren sie bei Lanthan angelangt und berichteten in der Folgezeit iiber fast 20 weitere Elementer". ''I. Die italie- nischen Wissenschaftler reichten ihre Ergebnisse bei der Zeitschrift Ricerca Scientifica ein und schickten wenige Tage spiiter Preprints an ungefiihr 40 der weltweit namhaftesten und aktivsten Kernphysikerl". "1. Auf diese Weise erfuhr Lise Meitner als eine der ersten von den Arbeiten in Rom; bereits im Mai hatte sie die Neutronenexperimente an Al, Si, P, Cu und Zn nachvollzogen[201, von denen sie die ersten drei in einer Nebelkammer vornahm und die Halbwertszeiten der gebildeten Aktivitaten maR.

2.1.1. Lise Meitners Hintergrund[" - 2 6 1

Als Expertin auf dem Gebiet der Radioaktivitat und ver- traut mit Neutronenreaktionen war Lise Meitner pridesti- niert, diese Experimente weiter zu verfolgen. Bereits 1906 hatte sie in Wien iiber Radioaktivitat gearbeitet; ab 1907 identifizierten sie und Otto Hahn mehrere neue Radioiso- tope, entwickelten Techniken des radioaktiven RuckstoBes, leisteten bahnbrechende Arbeit auf dem Gebiet der p-Spek- tren im Magnetfeld und entdeckten 1918 das Protactinium (Ordnungszahl 91)["]. Damals waren sie ~ jeder als Leiter einer eigenen Abteilung - am Kaiser-Wilhelm-Institut fur Chemie in Berlin-Dahlem tltig. Ungeflhr 1920, als man glaubte, die Radioaktivitlt hinreichend erforscht zu ha- benrZ8], wandte sich Lise Meitner dem noch wenig bekannten Gebiet der Kernphysik zu, wahrend Hahn sich weiter mit der Entwicklung und Verbesserung radiochemischer Techniken befaRte.

Lise Mritner erschlol3 sich in engem Kontakt rnit der Theorie fast das gesamte Gebiet der experimentellen Kern-

Ruth Lewin Sime, i939 in New York geboren, schloj3 i960 ihr Chemiestudium am Barnard College ah und promovierte 1964 an der Harvard- Univrrsitat unter Willium Lipscomh iiher Riintgenbeugungsuntersuchungen an molekularen Strukturen. Neben ihrer Lehrtatigkrit arbeitet sie an Programmrn zur Fiirderung des Anteils von Frauen und Studenten aus Minoritatsgruppen in naturwissenschaftlichen Studiengungen mil. Ihr brsonderes Interesse an Lise Meitner hegann von ungejuhr i5 Jahren. als sie ein Seminar iiher ..Frauen in der Wissenschaft" hielt und iiher- rascht feststellte. wie wenig Beachtung Lise Meitners Leben und Werk hisher in Fachkreisen gejiunden hatten. Ruth Lewin Sime arbeitet gegenwurrig an einer ~tiissenschafilichen undpersiin- lichen Meitner- Biographie.

An,qen. Chem. 103 (1991) 956-947 951

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physik : die GesetzmaDigkeiten des radioaktiven Zerfalls, das kontinuierliche ,O-Spektrum, nucleare Streuexperimente, energiereiche 7-Strahlung. Mit neuen Geriiten macht sie sich rasch vertraut und setzte diese gezielt ein, unter anderem die Wilsonsche Nzbelkammer fur Kernreaktionen und Geiger- Muller-Zlihler fur Untersuchungen der Absorption von y- Strahlen. Nach der Entdeckung des Neutrons und des Posi- trons im Jahr 1932 benutzte sie die Nebelkammer zur Be- stimmung der Neutronenmasse, und sie konnte als erste eine Elektron-Positron-Paarbildung beobachten. Otto Hahn be- schrieb diese Jahre spater als eine Zeit, in der Lise Meitners Arbeit - weit mehr noch als seineeigene -dem Institut inter- nationale Anerkennung e i n b r a ~ h t e ' ~ ~ ] . AuBer der Betreuung

Abb 1. LLW M~,rlner, ca 1937 (Quelle: Archiv des Churchill College, Cambridge, England).

ihrer Studenten und Assistenten oblag Lise Meitner auch oft der Empfang von Besuchern aus dem Ausland. Einer davon war Fraiico Rasetti. ein Wissenschaftler aus Fermis Arbeits- gruppe, der den groDten Teil des Jahres 1932 in Dahlem verbrachte, um sich fur das neue Versuchsprogramm in R o ~ [ ~ ' ] die notigen Arbeitstechniken anzueignen -den Um- gang mit Radioaktivitat, Neutronenquellen und Nebelkam- mer.

2.2. Schwerere Elemente als Uran: ,,Ich fand diese Versuche so faszinierend.. ."

Im Laufe der Versuche, die Fermi und seine Arbeitsgruppe auf ihrem Weg durch das Periodensystem vornahmen, stell- ten sich einige GesetzmaDigkeiten heraus: (n,a)- und (n,p)- Reaktionen konnten nur bei leichteren Elementen beobach- tet werden ; als typisch fur schwerere Elemente erwiesen sich Neutroneneinfangreaktionen (n, y); in jedem Fall aber wan- delten sich die neuen kunstlichen radioaktiven Substanzen bei /hBestrahlung in das nachsthohere Element um. Als bei der Bestrahlung von Uran mit Neutronen mehrere neue p- Strahler entstanden, stellte Fermi dementsprechend spontan

die Hypothese auf, daB es sich bei der aktiven Substanz des Urans um das Element 93 handeln konnte[311. Dies wurde im Mai in der Zeitschrift Ricerca Scientifica veroffentlicht; im Juni sprach Fermi in einem Nature-ArtikeI vorsichtig von der Moglichkeit der Entstehung der Elemente 94 und 95, obgleich er einraumte, daB es noch zu fruh fur eine definitive Hypothese uber die untersuchte Zerfallsreihe seif3'. 331. An diesem Punkt wandte sich Lise Meitner an Otto Hahn:

,,Ich fand diese Versuche so faszinierend, dass ich sofort nach deren Erscheinen im Nuovo Cimento und in der Natu-

Otto Hahn uberredete, unsere. . . direkte Zusammenar- beit wieder aufzunehmen, um uns diesen Problemen zu wid- men"[91. Erst nach mehreren Wochen gelang es ihr, ihn fur ihr Vorhaben zu gewinnen.

2.2.1. Otto Hahn

Huhn hat die Zusammenhlnge anders in Erinnerung. In seinen Memoiren ist nirgendwo davon die Rede, daB die Initiative von Lise Meitner ausging; fur ihn war das auslo- sende Moment fur die Berliner Untersuchungen immer eine Arbeit von Aristide von Grosse, einem seiner ehemaligen Stu- denten, der ihn in eine unerfreuliche offentliche Kontroverse uber die Entdeckung und die Eigenschaften des Protacti- niums hineingezogen hatteL3'].

,,Nach dem Erscheinen dieser Arbeiten durch Fermi etc. kam eine Arbeit von v. Grosse und Agruss. nach der es durchaus nicht sicher sei, daB die Fermischen Korper El. 93 oder ahnliches seien, sondern es sei durchaus mit dem El. 91 : Ekatantal [Protactinium] zu rechnen. Nach diesen Arbeiten beschlossen L. Meitner und ich, die Fermischen Arbeiten zu wiederholen und die Grossesche Annahme zu prufen."

So schilderte es Hahn im Jahr 1945[361, und fast dieselbe Formulierung benutzte er unter anderem 1946, 1950, 1959, 1962 und 1968r37-411. Die Notiz von von Grosse und Agruss erschien jedoch erst in der Physical-Review-Ausgabe vom 1. August 193414'], die in Deutschland sicherlich nicht vor Ende August verfugbar war, also erst viele Wochen, nachdem Lise Meitner Otto Hahn zum ersten Ma1 in dieser Angelegenheit angesprochen hatte[431. Es kann nicht aus- schlieBlich an mangelndem Erinnerungsvermogen liegen, daD Hahn Lise Meitners Rolle als Initiatorin ihrer Zusam- menarbeit so haufig unerwahnt lafit, zumal ein Beweis in Form einer Publikation vorliegt : In ihrer ersten gemeinsa- men Veroffentlichung zur Uran-Thematikf441 treffen Hahn und Meitner die klare Aussage: ,,Wir haben im Laufe einiger anderer Versuche" - und an dieser Stelle werden zwei fruhe- re, von Lise Meitner allein durchgefuhrte Neutronenstu- dienlz0. 451 zitiert - .,jetzt eine eingehende Untersuchung die- ser Uranprozesse in Angriff genommen.. .''

2.3. Bildung des Berliner Teams

Im August 1934 blieb das Institut wegen der Sommerfe- rien geschlossen; im September reisten Meitner und Hahn nach Leningrad zu einer Gedenkfeier zu Mendelejews 100. Geburtstag. Obwohl Lise Meitner sich in Gedanken standig rnit den Fermischen Versuchen b e ~ c h a f t i g t e ~ ~ ~ ] , konnten sie erst nach ihrer Ruckkehr aus Leningrad die Ar- beit ernsthaft in Angriff nehmen.

958 Angew. Chem. 103 (1991) 956-967

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Bei einem Vergleich von Neutronenquellen stellte sie festI4’], daB die fur leichtere Elemente typischen (n,cc)- und (n,p)-Reaktionen schnelle Neutronen erfordern, wahrend langsamere Neutronen bevorzugt von schwereren Elemen- ten eingefangen werden. Fermi und seine Arbeitsgrupper4’[ fanden einige Wochen spater, daB durch wasserstoffhaltiges Material abgebremste Neutronen rnit hoheren Ausbeuten eingefangen werden.

In ihrer ersten gemeinsamen Arbeit auf diesem Gebiet[441 untersuchten Meitner und Huhn vier der in Rom gefundenen ,!-Aktivitlten. Zwei wiesen Halbwertszeiten von 10 s und 40 s auf. was fur eine chemische Identifizierung nicht aus- reichte, bei den beiden anderen jedoch, rnit Halbwertszeiten von 13 min und 90 min, lie13 sich chemisch nachweisen, daB es sich nicht um die Elemente 80 (Hg) bis 92 (U) handelte. In Zusammenarbeit rnit Fritz StruJmunn, einem jungen Analy- tiker am Kaiser-Wilhelm-Institut, entwickelten Huhn und Meitner ein verbessertes Verfahren zur Mitfallung dieser bei- den Substanzen rnit Platin- und Rheniumsulfid, wiesen in miihevoller Kleinarbeit nach, daB es sich bei diesen Aktivita- ten nicht um Protactinium-Isotope handelte und kamen - wie Fermi - zu dem SchluB, daB die 13 min- und 90 min-Ak- tivitaten durchaus die Elemente 93 und 94 sein konnten.

Meitner und Huhn erkannten bald, daB es sich bei den beiden Aktivitaten jeweils um Gemische handelte[481; Mitte 1935 erweiterten sie ihr Team, indem sie StruJmunn als Voll- zeitmitarbeiter aufnahmen. Der Zusammenhalt des Teams wurde auch durch ahnliche politische Gesinnungen gepragt: Meitner, eine ,,Nicht-Arierin“, Huhn, ein Gegner des Nazire- gimes. SfruJmunn, ein junger Mann mit auflergewohnlich hochstehenden Grundsatzen, der aufgrund seiner Abnei- gung gegen den Nationalsozialismus und seiner Weigerung, dem gleichgeschalteten Verein Deutscher Chemiker beizutre- ten, im Institut als AuBenseiter galt und auBerhalb keine Anstellung bekommen hatte[49].

3. Wege und Irrwege

Spater beschrieb Lise Meitner den Weg, der zur Entdek- kung der Kernspaltung fuhrte, als ,,erstaunlich lang und zum Teil ein Irrweg“[91. Fermi, Meifner, ja alle, die an den Uran- Untersuchungen beteiligt waren, wurden durch zwei falsche Voraussetzungen irregeleitet : Die Physik ging davon aus, daR bei Kernreaktionen nur geringfugige Veranderungen stattfinden konnten; die Chemie setzte voraus, daB es sich bei den Transuranen um hohere Homologe der dritten Reihe der Ubergangselemente - Re, Os, Ir, Pt etc. - handelte. Als bei der Bestrahlung von Uran rnit Neutronen neue p-Aktivi- taten entstanden. die mit Platin- und Rheniumsulfid mitge- f;dllt werden konnten, war dies ungliicklicherweise mit beiden Annahmen vereinbar, und selbst, als sich nach der Entdek- kung der Kernspaltung die erstgenannte als falsch erwies, schopfte in wissenschaftlichen Kreisen niemand Verdacht, daB auch die zweite unzutreffend sein konnte[sO1.

Es lag jedoch nicht allein an diesen falschen Voraussetzun- gen, daB versaumt wurde, nach Alternativen zu suchen. Ida Nodducks Annahme[”], daB ein Zerplatzen der Kerne in groBe Bruchstucke moglich sei, wurde nie ernsthaft in Erwi- gung gezogen[”]; auch Ida Nodduck selbst verfolgte ihre Hypothese nicht weiter; Max Delbriick, eine Zeitlang Lise Meitners ,,Haustheoretiker“, erinnert sich beschamt daran,

wie er am ,,Holzweg der zahllosen .Transuran‘-Isomere“ mitarbeitete, anstatt einen Ausweg zu ~uchen[’~1.

Den Transuranen haftete etwas Faszinierendes an[541. Dies und die auBerst schwierige Identifizierung schwacher neuer Aktivitaten in Gegenwart des stark radioaktiven na- turlichen Urans veranlante das Berliner Team, nur den Pla- tinsulfidniederschlag zu untersuchen. von dem sie annah- men, daB er die .,Transurane“ enthielt. GroBtenteils igno- rierten sie das Filtrat, weil sie voraussetzten, es enthielte lediglich Uran und dessen natiirliche Zerfallsprodukte. Dies war ein FehlschluB, wie Lise Meitner sich erinnerte:

,,Unsere Fallungen bei Bestrahlung mit schnellen Neutro- nen wurden immer so ausgefiihrt, dass U. Pa und Th im Filtrat bleiben muBten, wodurch wir meinten eine gewisse Stutze fur die Transurannatur der gefallten Elemente zu ge- winnen. Darum haben wir - und das war unser Irrtum - zunachst niemals. auch nicht bei den Versuchen rnit verlang- samten Neutronen. die Filtrate unserer Fallungen unter- ~ucht“[’~. Besonders bemerkenswert war dieses Versaiumnis, wenn man bedenkt, daB eine wichtige Aktivitat. ein Uran- Isotop rnit einer Halbwertszeit von 23 min, nur bei Bestrah- lung mit abgebremsten Neutronen entstand[”’.

,,Also ich glaube wirklich, unser Ungliick war, dass wir die Filtrate nicht untersuchten. Wir konnten sie nicht untersu- chen, weil wir das Uran drin gehabt haben, nicht wahr, da konnten wir nichts sehen. Wir hatten zu schwache Bestrah- lungsquellen. . .[D]ie Chemiker wollten absolut nicht. ich ha- be sie geplagt, sie sollen es machen wie ich dort war, weil ich so unruhig war. Gerade weil ich zu wenig von Chemie verste- he, war ich natiirlich immer unruhig iiber das, was nicht gemacht worden ist, aber dann haben es ja Hahn und Strass- mann so wunderbar gemacht, also zu der Zeit hates wirklich keine Chemiker gegeben. die das hatten machen kon- nen“ 1561,

Spater beanspruchten H u h und seine Befiirworter die Entdeckung fur die Chemie allein, indem sie fur die ,,Irrwe- ge“ ausschlieBlich die Physik verantwortlich machten, die davon ausgegangen war, daB nur geringfugige Kernum- wandlungen moglich seien. Diese Haltung lie6 jegliche wis- senschaftliche Objektivitat vermissen - die Fehler der Che- mie wurden dabei ebenso ignoriert wie die richtungsweisende Rolle der Physik. Die Physik hat die Spaltung selbstver- standlich nicht vorausgesagt, doch rnit ihrer Hilfe konnten Fehler entdeckt werden, die auBerhalb der Moglichkeiten der Chemie lagen; ohne die Physik hatten die Chemiker nie- mals die Untersuchungen begonnen; ohne die Physik hatten sie keinen Grund gehabt, sie weiterzufiihren.

3.1. Chemie: GewiRheit

Aus der wissenschaftlichen Literatur jener Jahre[”I wird ersichtlich, daB die Chemie die experimentellen Daten liefer- te und die Kernphysik fur deren Interpretation zustandig war. Diese Doppelrolle wird besonders deutlich in parallelen Berichten, in denen Hahn als Hauptautor fur Chemie, Lise Meitner fur Physik zeichnete. In den Jahren 1936 und 1937 registrierte die Dahlemer Arbeitsgruppe drei Uranaktiviti- ten und zwei parallele .,Transuran“-Zerfallsreihen rnit zwei Eka-Re (das vermutete Element 93), zwei Eka-0s (94), ei- nem Eka-Ir (95) und einem Eka-Pt (96), alles 8-Strahler. Von den Uranaktivitaten konnte nur diejenige mit der Halb-

Angeu. Chem. 1173 (1991) 956-967 959

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wertszeit von 23 min chemisch abgesichert werden; die 10 s- und 40 s-Aktivitaten, die aufgrund ihrer kurzen Halbwerts- zeit keine chemische Identifizierung zulieBen, wurden Uran zugeschrieben, weil aus ihrem radioaktiven Verhalten abge- leitete genetische Beziehungen darauf hindeuteten, daD sie den beiden Eka-Re vorangingen. Insgesamt waren die Uber- einstimmungen zwischen der fur die Transuran-Elemente er- warteten Chemie und den genetischen Beziehungen so hoch, daB ein Irrtum auDerst unwahrscheinlich schien. 1936 folger- te die Arbeitsgruppe in einer Publikation: ,,[D]ie Zuordnung des 2.2-Min.- und des 16-Min.-Korpers zum Eka-Rhenium ist frei von Willkiir; sowohl die genetischen Beziehungen als auch die chemischen Eigenschaften lassen wohl keinen Zwei- fel iiber ihre Zugehorigkeit zum Element 93", und bei Eka- Os, Eka-Ir und Eka-Pt ,,sind wir nach ihrem allgemeinen chemischen Verhalten sicher beziiglich ihrer Gruppen-Zuge- horigkeit'G[581. Und ein Jahr spater: ,,Vor allem steht ihre chemische Verschiedenheit von alIen bisher bekannten Ele- menten ausserhalb jeder D i s k u ~ s i o n " [ ~ ~ ' .

3.2. Physik: Zweifel

In dem MaRe, wie die Chemiker ihre Hypothese rnit jedem neuen Glied in der Kette der Transurane bestltigt sahen, erschwerte die Uberfiille des Zahlenmaterials die physikali- sche Deutung. Lise Meitners Aufgabe bestand darin, unter Beriicksichtigung der Chemie, der Radiochemie und ihrer eigenen physikalischen Experimente eine sinnvolle Interpre- tation der Kernreaktionen zu liefern. Ihre Erkenntnis, daD das nicht moglich war, spornte die Untersuchung an.

Bei der Interpretation der drei Uranaktivitaten ging Lise Meitner zunachst[601 von drei verschiedenartigen Reaktio- nen von Neutronen mit Uran aus, kam jedoch nach einer umfassenden Reihe physikalischer Versuche zu dem SchluD. da13 es sich in allen drei Fallen um ein und denselben Reak- tionsmechanismus handelte. Sie identifizierte - was sich spa- ter als korrekt erwies -die 23 min-Aktivitat als Uran-239[6'1, das durch typischen Resonanzeinfang ziemlich langsamer Neutronen durch Uran-238 gebildet wurde. Bei den 10 s- und 40 s-Uranaktivitaten, den Ausgangsstoffen der beiden parallelen Reihen von ,,Transuranen", schien es sich eben- falls um Uran-239 zu handeln: Beide Reihen hingen in gleicher Weise von der Energie der Neutronen ab, wurden durch BeschuB mit schnellen Neutronen ausgelost und durch thermische Neutronen verstiirkt. Im ganzen gesehen waren die Resultate jedoch nicht schliissig : Die dreifache Kerniso- merie von Uran-239 war problematisch, vererbbare Drei- fachisomerie iiber mehrere Generationen ganzlich unmog- lich. 1937 stellte sie fest: ,.Dieses Ergebnis ist rnit den Kern- vorstellungen sehr schwer in Ubereinstimmung zu brin- gen"[551 und 1938, nachdem bei Thorium eine ahnliche Mehrfachisomerie festgestellt worden war: ,,Dieser Erkla- rungsversuch stoBt auf erhebliche Schwierigkeiten. . ,"[621.

Was Lise Meitner zudem immer besonders beunruhigte, war die lange Reihe von b-Zerfallsreaktionen zu Eka-Re, Eka- Os, Eka-Ir, Eka-Pt usw.: Das Einfangen nur eines Neutrons durch Uran-238 konnte doch keine so hohe Instabilitat ver- ursacht haben, daB fiinf und mehr b-zerfalle als Ausgleich erforderlich waren.

,,[I]ch war immer ungliicklich dariiber weil ich nicht ver- stehen konnte, ,wie kann eigentlich die Kernladung steigen

bei derselben Masse?' Das war immer, was ich [C. F. von] Weizsacker gefragt habe: Wie ist das moglich? Also ich war nie gliicklich iiber unsere Versuche vor der fission"[6'].

In Paris hatten unterdessen Irene Curie und Paul Savitch das gesamte Urangemisch ohne chemische Trennung unter- sucht und berichteten iiber einen neuen P-Strahler mit einer Halbwertszeit von 3.5 h und bislang ungeklarten chemischen E i g e n ~ c h a f t e n ~ ~ ~ ' . In Berlin interpretierte man die Aktivitat als Kontaminationseffekt und nannte sie , , C u r i ~ s u r n " [ ~ ~ ~ .

4. Flucht aus Deutschland

1938 kam der AnschluD Osterreichs ans Deutsche Reich, und schon bald wurden Geriichte laut: ,,Die Jiidin gefahrdet das Institut"[661. Huhn war beunruhigt beim Gedanken dar- an, daD Professor Kurt He$', ein , ,fanatkcher Nationalsozia-

der in der Gastabteilung im Oberstock des Kaiser- Wilhelm-Instituts fur Chemie arbeitete, nach seiner Position trachtete. Lise Meifners Entlassung stand kurz bevor, als sie erfuhr, daD Wissenschaftler und Techniker kiinftig nicht mehr ohne Genehmigung aus Deutschland ausreisen durf- ten; am 13. Juli 1938 verlieD sie das Land heimlich. Nieder- liindische Freunde, die Physiker Dirk Custer und Adriuon Fokker, brachten sie nach Holland; mit Hilfe Niels Buhrs und schwedischer Freunde erhielt sie einen Arbeitsplatz in Manne Siegbuhns Nobel-Institut fur Experimentelle Physik in Stockholm[6s1.

4.1. ,,Radium"-Isomere

31 Jahre lang hatten Lise Meitner und Huhn unter einem Dach gearbeitet; die Trennung war fur beide ein Schock. In wissenschaftlicher Hinsicht jedoch war Lise Meitner nicht sofort von Berlin abgeschnitten. Meitner und Huhn standen in regem Briefwechsel[69.701 - noch gehorte sie in der Tat weiter zum Team.

Am 23. Oktober erkundigte sie sichc7'] brieflich iiber die 3.5 h-Substanz von Curie und Suvitch, gerade als eine neue P~bl ika t ion[ '~] der Pariser Wissenschaftler in Berlin eintraf. StruJmunn ging davon aus, daD die 3.5 h-Substanz mogli- cherweise Radium enthielt und schlug seine eigene sauberere Trennmethode V O ~ [ ~ ~ ] . ,,Vielleicht hat sogar ein Ra-Isotop was dabei zu tun"[741, schrieb Huhn am 25. O k t ~ b e r ~ ~ ~ ] an Lise Meitner, und eine Woche spiiter: ,,Wir sind jetzt fast iiberzeugt, daD es sich um einige - 2 oder 3 - Radiumisotope handelt, die sich in Ac etc. umwandeln. , . Es ware uns natiir- lich sehr lieb, Du wiirdest Dir den Fall einmal iiberlegen, wie eine a-Strahlenumwandlung [U(n,a) --* Th + Ra] rnit wahr- scheinlich auch langsamen Neutronen zu Stande kommen kann, und dabei gleich auch wieder mehrere Isomere. . ."[751.

(Hervorhebungen im Original sind durch Kursivdruck kenntlich gemacht.) Lise Meitner antwortete postwendend : ,,Ich will mir brennend gern iiberlegen, wie Ra od[er] Ac Isotope entstehen konnen, wenn Du mir nur tatsachlicher schreiben wolltest.. . Warum glaubt Ihr daR mehrere Korper da sind, habt Ihr mehrere Halbwertzeiten? Warum glaubt Ihr daD es verstarkbar ist? Habt Ihr rnit langsamen Neutro- nen erheblich mehr bekommen? Und wie stark ist denn die Aktivitat.. . verglichen rnit dem 16 Min K[orper (Eka-

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Re)]?. . . Bitte sei lieb und beantworte alle Fragen. Auch wenn es noch nicht so definitiv ist.. ."[761.

Die Reaktionsbedingungen, so teilte Otto Hahn mit, wa- ren im wesentlichen die gleichen wie bei den Transuranen. In der Zeitschrift Naturwissenschaften berichteten er und StraJmann iiber drei Ra- und drei Ac-Isomere und resiimier- ten: ,,Hier liegt also wohl zum ersten Male der Fall einer r-Strahlenabspaliung rnit verlangsamten Neutronen vor "['71.

4.2. Treffen in Kopenhagen

Eine Woche spater trafen Lise Meitner und Otto Hahn in Kopenhagen zusammen; beide waren an Bohrs Institut fur Theoretische Physik eingeladen. Dort konnte sie ihn im per- sonlichen Gesprach iiberzeugen, daB mit den neuen Ra-Ac- Isomeren etwas grundlegend nicht stimmen konnte: Eine durch langsame Neutronen ausgeloste (n,a)-Reaktion war ganz und gar ~ n t n o g l i c h " ~ ~ .

Ihr Treffen fand drei Tage nach der Reichskristallnacht statt. AuBerhalb Kopenhagens wuBte niemand von diesem Treffen. Auch in seinen Memoiren Jahre spater erwahnte Huhn dieses Treffen nie. erinnerte sich jedoch an Bohrs skep- tische Haltung (,.ziemlich ungliicklich") gegeniiber den Ra- I ~ o m e r e n [ ~ ~ . ~ ~ ] und sogar an ein Gesprich rnit Lise Meitners Neffen Otio Robert F r i s ~ h ' ~ ~ ' . Doch aus Eintragungen im Giistebuch des Bohrschen Instituts geht hervor, dal3 Lise Meitner sich vom 10. bis 17. Novembers dort aufhielt[8'1, und in Hahns Taschenkalenderfs2. 831 finden sich Notizen, die belegen, daB Lise Meitner ihn am Morgen des 13. Novembers um 6.48 Uhr vom Bahnhof abholte, daB sie zusammen friihstiickten und lange Gesprache fiihrten, daB am nachsten Tag, nach einem gemeinsamen Fruhstiick mit Niels und Mtrrgrrthe Bohr, Lise Meitner und ihr Neffe Hahn zum Bahnhof begleiteten und er um 11.13 Uhr den Zug zu- ruck nach Berlin bestieg. Zweifelsfrei steht auch Lise Meit- ners eindringliche Bitte an Otto Huhn fest, die Radium-Iso- mere nochmals griindlichst zu untersuchen: Mit dieser Information kehrte Hahn nach Berlin zuriick. Strupmann erinnert sich deutlich : .,Jedenfalls hat sie (laut einer A u k rung von 0. Hahn) dringend darum gebeten, diese Experi- mente noch einmal sehr sorgfaltig und intensiv zu iiberprii- fen.. . Zum Gliick hatte L. Meitners Ansicht und Urteil bei uns in Berlin ein so groBes Gewicht, daB die erforderlichen Kontrollversuche sofort unternommen wurden"[841.

4.3. Barium: ,,Eine Art Arbeit zu Dreien"

Wenige Tage spater begannen Huhn und Strapmann rnit den Fraktioriierungsexperimenten, die auf direktem Wege zur Entdeckung des Bariums fiihrten1853861. Ihren AuBerun- gen ist zu entnehmen, daB sie Lise Meitner noch immer als zu ihrem Team gehorig betrachteten. Strupmann schrieb spater: ,.Was bedeutet es, da Lise Meitner nicht direkt teilhatte an der ,Entdeckung'?? Ihrem Impulse ist der Beginn des ge- meinsamen Weges mit Hahn, ab 1934, zuzuschreiben - 4 Juhre danoch grhortr sie zu unserem Team -, anschlieBend war sie von Schweden aus gedanklich mit uns verbunden.. . Hahn hatte griindliche radiochemische, nur iibliche analy- tische Kenntnisse - bei mir war es umgekehrt, und die Analy-

tik gab den Ausschlag! Aber es ist meine Uberzeugung: Lise Meitner war die geistig Fiihrende in unserem Team gewesen. und darum gehorte sie zu uns ~ auch wenn sie bei der ,Ent- deckung der Kernspaltung' nicht gegenwlrtig war"['].

Hahn dachte damals ebenso. Am 19. Dezember unterrich- tete er Lise Meitner iiber den Bariumfund; rnit keinem der Physiker am Institut hatte er dariiber gesprochen[*']: .,Ich habe mit StraBmann verabredet, dass wir vorerst nur Dir dies sagen wollen." DaR Barium gefunden worden war, war ein ,,schreckliche[r] SchluB"; er bat sie eindringlich um eine Interpretation. ,,Vielleicht kannst D u irgend eine phantasti- sche Erklarung vorschlagen.. . Falls Du irgendetwas vor- schlagen konntest, das Du publizieren konntest, dann ware es doch noch eine Art Arbeit zu Dreien!"[881.

Um keine Zeit zu verlieren, reichte Hahn den Artikel am 22. Dezember bei der Zeitschrift Naturwissenschaften zur Publikation ein, ohne die Antwort Lise Meitners abzuwar- ten. Er[891 erwihnte den Fund von Barium erst am Ende des Artikels, nach seitenlangen Ausfiihrungen iiber das Radium, und dies auch nur ,,zogernd". In seinem Bericht kommt das Wechselspiel der Chemie und der Physik zum Ausdruck, das fur die gesamte Untersuchung charakteristisch war. Die che- mische Seite reprlsentierte fur ihn GewiBheit ~ ,,Als Chemi- ker miiBten wir.. . statt Ra, Ac, Th die Symbole Ba, La. Ce einsetzen" - und die physikalische Seite Zweifel: ,,Als der Physik in gewisser Weise nahestehende ,Kernchemiker' kon- nen wir uns zu diesem, allen bisherigen Erfahrungen der Kernphysik widersprechenden, Sprung noch nicht entschlie- Ben. . ."[901. An Lise Meitner schrieb erIssl: ,,Wir wissen da- bei selbst, dass es eigentlich nicht in Ba zerplatzen kann!. . . Also iiberleg Dir noch, ob sich nicht irgendeine Moglichkeit ausdenken liesse; so etwa Ba-Isotope rnit vie1 hoheren A. G. [Atomgewicht] als 137?" Hahn hatte noch nicht erkannt, daB das Uran in zwei Bruchstiicke zerplatzt

Aus Huhns Brief, der sie am 21. Dezember erreichte, er- fuhr List Mritner erstmals vom Fund des Bariurns. Sie ant- wortete postwendend: ,,Mir scheint vorlaufig die Annahme eines so weitgehenden Zerplatzens sehr schwierig. aber wir haben in der Kernphysik so viele Uberraschungen erlebt, dass man auf nichts ohne weiteres sagen kann: es 1st unmog- l i ~ h " [ ~ ~ l . Hahn muR iiberrascht und zugleich erleichtert ge- wesen sein. Im November noch hatte Lise Meiiner den Ra- dium-Isomeren vehement widersprochen; nun war sie zwar nach wie vor unruhig, aber nicht mehr ablehnend und intu- itiv bereit. in dem Bariumfund eher eine Erweiterung als einen Widerspruch zu friiheren kernphysikalischen Erkennt- nissen zu sehen.

Jahre spiiter hat Huhn bekanntlich geiuljert, daB, ware Lise Meitner in Berlin geblieben, sie ihm die Entdeckung wahrscheinlich ausgeredet, sie ihm ,,verboten" hattecg3]. Zweifellos sagt aber ihr Brief vom 21. Dezember das genaue Gegenteil - und damals mu0 Hahn dies als auBerst ermuti- gend empfunden haben, denn erst nach Erhalt des Briefes am 23. Dezember fiigte er in den Fahnenabziigen des fur die Naturwissenschaften vorgesehenen Artikels einen Abschnitt ein, in dem er andeutete, daB der Urankern in zwei Bruch- stiicke zerplatzt sein konnte[94]. Dies verlieh dem Artikel Gewicht, wurde dadurch doch gezeigt, daB Hahn und Strap- mann nicht nur Barium identifiziert hatten, sondern sich auch dariiber klar waren, daB eine Spaltung stattgefunden hatte. In der Zwischenzeit erarbeiteten Lise Meitner und ihr Neffe Ofto Robert Frisch wiihrend ihrer gemeinsam ver-

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brachten Weihnachtsferien die erste theoretische Interpreta- tion des Spaltungsprozesses und bereiteten ihre Ergebnisse zur Publikation V O ~ [ ~ ~ ] .

Lise Meitner leistete also von den ersten Arbeiten in Berlin an bis zum Fund des Bariums und dariiber hinaus ohne Unterbrechung Beitrage zur Entdeckung der Kernspaltung. Nach der Flucht fehlte lediglich ihre personliche Anwesen- heit. Meitners und Hahns eigene Erfahrungen hatten jedoch gezeigt, daR nicht jedes Mitglied eines Teams zu jeder Zeit personlich anwesend sein muB: 191 7 und 1918 war Hahn im Krieg. Lise Mritner machte fast die ganze Arbeit allein, und selbstverstandlich wurde die Entdeckung des Protacti- n i u m ~ ~ ~ ' , ' ' ~ ] als ihrer beider Verdienst betrachtet. Aus den- selben rassenpolitischen Griinden, die ihre Flucht aus Deutschland erzwangen, blieb ihr 1938 die Mitautorenschaft bei der Barium-Publikation versagt und - wie wir noch sehen werden - waren es eben diese Griinde, die es Hahn so schwer machten. seine fortdauernde Zusammenarbeit rnit einer im Exil lebenden ,,Nicht-Arierin" auch nur zuzugeben.

4.4. Sinneswandel: ,,Wir haben die Physik absolut nicht beriihrt.. ."

Lisp Meitner wuBte, daB nichts zu andern war[971; als sie Hahn und StraJinann zu ihrem ..wunderschonen Ergebnis" begliickwiinschte, konnte sie nicht umhin hinzuzufiigen : ,,wenn ich jetzt auch mit sehr leeren Handen d a ~ t e h e " ~ ~ ~ ] . DaB sie nicht unter den Entdeckern des Bariums genannt wurde, war um so schlimmer, als man ihren Namen noch immer stark mit den falschen ,,Transuranen" assoziierte, von denen ihr nun klar war, daB es sich um Spaltprodukte han- delte und nicht etwa um schwerere Elemente als Uran.

Fur Lise Meitner kam die Entdeckung zur Unzeit; sie bemiihte sich um einen neuen Anfang in Stockholm. Sie fiirchtete um ihren Ruf und war besorgt, in der Offentlich- keit konne es heiaen: ,,[D]ie Drei haben also Unsinn ge- macht, und jetzt nach dem Weggang des einen haben die zwei andern das in Ordnung g e b r a ~ h t " ~ ~ ~ ] .

Noch hoffte sie[lool, Hahn wiirde in seinem nachsten Arti- kel erwahnen, daB die Entdeckung des Bariums auf Techni- ken und Ergebnisse zuriickging, die sie gemeinsam erarbeitet hatten. Sie konnte sich nicht vorstellen, daB Hahn schon bald nicht nur seine fortwahrende Zusammenarbeit mit ihr ver- leugnen, sondern auch die Bedeutung ihrer gesamten wissen- schaftlichen Arbeit in Berlin in Frage stellen wiirde.

Am 16. Januar 1939 schickten Meitner und Frisch ihre theoretische Deutung des Spaltungsprozesses an die Zeit- schrift Nature" O1). Sie verwendeten zur Beschreibung des Atomkerns das klassische Bohrsche Modell des Fliissigkeits- tropfchens. dessen Oberflachenspannung bei Erhohung der Ladung sinkt und das dann in zwei Bruchstiicke zerplatzt - ein Vorgang, bei welchem Masse in eine Energiemenge von 200 MeV umgewandelt wird und bei welchem neutronenan- gereicherte Spaltprodukte entstehen, deren lange a-Zerfalls- reihe nun endlich schliissig war. Lise Meitner wuBte, daR sie rnit ihrer Interpretation gute Arbeit geleistet hatten. Auch wenn dies keine Entschadigung fur ihren AusschluB von der Entdeckung selbst war, so hatte sie doch wieder einen Bezug hergestellt; sie legte als erste die Theorie der vererbten Iso- merie und die ,,Transurane" ad acta, und dariiber hinaus gelang es ihr, ein friiher erzieltes Ergebnis zu ,,retten": Das Uran-239-Isotop rnit der Halbwertszeit von 23 min erwies

sich als Vorgangersubstanz des ersten tatsachlichen Ele- ments 93.

Mittlerweile erschien in Berlin der Barium-Artikel am 6. Januar 1939 in den Naturwissenschaften - und die Dahle- mer Physiker waren hochst aufgebracht, daB sie davon nicht friiher in Kenntnis gesetzt worden waren. Hahns Position war angreifbar inmitten eines Kollegenkreises von mehr oder weniger begeisterten und opportunistisch eingestellten Par- teimitgliedern; Sorgen machte ihm insbesondere der ehrgei- zige und gefahrliche Professor HeJ in der Gastabteilung im Oberstock[1021. Bei der Abfassung des nachsten Hahn- StraRmann-Artikels Ende J a n ~ a r ~ " ~ ~ erwiihnte Hahn Lise Meitners friihere Beitrage nur sehr kursorisch und ging kaum auf ihre und Frischs theoretische Interpretation ein I I 041,

Lise Meitner war verzweifelt. An ihren Bruder schrieb sie: ,,Hahn hat jetzt in Fortsetzung unserer letzten gemeinsamen Arbeiten ganz wunderbare Dinge gefunden.. . Und so sehr mich diese Resultate wissenschaftlich und personlich fur Hahn freuen - so denken hier jetzt manche Menschen, dass ich iiberhaupt nichts gemacht habe"1'051. In Stockholm, so schrieb sie Hahn, stehe ihr zwar ein Raum in Siegbahns Insti- tut zur Verfiigung, jedoch keinerlei Gerate, keine Mitarbei- ter, keine Rechte; sie habe zwar Ideen fur Experimente, kon- ne sie jedoch nicht umsetzen, und rnit Manne Siegbahn kame sie nicht aus. ,,Jetzt wird Siegbahn allmahlich glauben - be- sonders nach Euern so schonen Ergebnissen - dass ich iiber- haupt nichts gemacht habe und Du auch die ganze Physik in Dahlem gemacht hast. Ich verliere allmahlich allen Mut. Verzeih diesen unfrohen Brief. Ich weiss manchmal nicht mehr, was ich rnit meinem Leben anfangen soll. Wahrschein- lich geht es vielen, die weggegangen sind, so wie mir, aber darum ist es doch sehr schwer"['061.

Hahn zahlt in seiner Antwort eine Reihe von Physikern und deren Anschuldigungen gegen ihn auf. ,,Ich fiirchte, es wird mir auch etwas iibel genommen, daR wir strikte nichts iiber unsere Versuche erzahlten.. . [Ich] mochte den Herren [Physikern im Institut] aber doch nicht beichten, daB Du der Einzige warst, der sofort alles erfahren hat., .Wie Du glau- ben kannst, Siegbahn denkt, StraBmann und ich machten auch die Physik, verstehe ich nicht. Wir haben bei der ganzen Arbeiterei die Physik absolut nicht beriihrt, sondern immer und immer wieder nur chemische Trennungen gemacht. Wir kennen doch unsere Grenzen und wissen naturlich auch, daB in diesem besonderen Falle es zweckmaBig war, nur Chemie zu machen.. .[D]ie Arbeit iiber das Uran [ist mir] ein vom Himmel gesandtes Geschenk. Ich fiirchte namlich manch- mal, daB Dr. K.[Io7] dem Herrn. . . allmahlich Teile des Insti- tuts geben will. . ."[1081.

Aus diesem Brief spricht die Angst, die Hahn dazu brach- te, in nur zwei Monaten aus ,,einer Art Arbeit zu Dreien" eine Arbeit zu machen, ,,die die Physik absolut nicht beriihrt hat". Indem er die Entdeckung zum Resultat ausschliel3lich der chemischen Trennungen, die er und StraJrnann im De- zember durchgefiihrt hatten, umdefinierte, schied er die Kernspaltung von der Physik und sich selbst von Lise Meit- ner.

5. Prioritaten

Hahn wich von dieser Ansicht nie mehr ab. Wahrend des ganzen Friihjahrs 1939 befand er sich in einem Zustand stan-

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diger Besorgnis ; er fiirchtete um seinen Prioritiitsanspruch an diesem .,vom Himmel gesandten Geschenk". In der nachfolgenden Flut von Publikationen zur Kernspaltung wurden Huhns und StruJmunns Arbeiten mitunter nicht voll- standig zitiert. Huhn fiihlte sich stlndig angegriffen und war entsprechend reizbar; er stritt mit Lise Meitner, mit Bohr. mit englischen Kollegen; aIs Lise Meitner einmal sein wenig groRziigiges Verhalten gegeniiber Curie und Suvitch kriti- sierte, war er ~ e r C r g e r t I ' ~ ~ ~ , als Ida Nodduck ihn scharf ta- delte, weil er ihre Veroffentlichung aus dem Jahr 1934 nicht erwahnt hatte, weigerte er sich, Stellung zu nehmen" lo]. Als Gegner des Nationalsozialismus fiihlte er sich in Deutsch- land isoliert. als Deutscher den Wissenschaftlern im Ausland entfremdet. Sogar als Chemiker fiihlte er sich iibergangen. Nachdem er zu der Uberzeugung gelangt war, daB die Ent- deckung in keiner Weise der Physik zu verdanken sei, war er wenig erfreut zu sehen, daB die Weiterentwicklung der Kern- spaltung sich mehr und mehr als Domane der Physiker er- wies. zumal es ihm Schwierigkeiten bereitete, deren Arbeiten zu verstehen. Zu den Physikern an seinem Institut hatte er nie enge Kontakte gepflegt; Lise Meitner hatte ihm die Dinge immer geduldig erklart" ' I 1 . Im Sommer 1939 schlieBlich schienen sich die Situation am Institut und seine Position stabilisiert zu haben. ,,Die ,Uranspaltung' hat da die ganze Situation gerettet''[661.

6. Die Bombe

Wahrend der Kriegsjahre korrespondierten Lise Meitner und Otro Huhn vorsichtig; Themen wie Politik, den Krieg und die Kernspaltung mieden sie. In Schweden konnte Lise Meitner nicht heimisch werden" "I, sie fiihlte sich als unwill- kommener Gast in Siegbuhns Institut und von der Kernphy- sik abgeschriitten. Zu ihrem Kummer sah sie sich in Deutsch- land zur Unperson werden; ihre Arbeit wurde entweder giinzlich ignoriert" l3], oder man ging beim Zitieren nach einem ,,Auswahlprinzip" vor['141, d. h. ihr Name wurde ein- fach weggelassen. Sie bemiihte sich, nicht bei ihren personli- chen Sorgen zu verweilen; sie wiinschte zwar die Niederlage Deutschlands herbei. war jedoch iiber die Kriegsverluste auf beiden Seiten ~erzweifelt["~]. 1943 erhielt sie das Angebot, mit einer Gruppe britischer Wissenschaftler in den For- schungslaboratorien von Los Alamos zu arbeiten. Damit bot sich ihr die Moglichkeit. aus Schweden wegzukommen und in einem Kreis geschatzter Kollegen wieder interessante Phy- sik zu betreiben. Doch sie schlug das Angebot aus: ,Jch will nicht an einer Bombe mitarbeiten"" l6 ] . Uber das entspre- chende Vorhaben auf deutscher Seite war ihr wenig bekannt; sie wul3te lediglich, daR es ein solches gab, daR Werner Hei- smberg es leitete und daR Hahn etwas damit zu tun hatte - genug also, um Berichte iiber die Entwicklung neuer machti- ger Waffen in Deutschland mit Besorgnis zu verfolgen" ''I.

Als der Krieg in Europa zu Ende ging, ohne daR eine Atombombe gefallen war, war L i x Meitner hochst erleich- tert; die Nachricht vom Bombenabwurf auf Hiroshima traf sie deshalb als ungeheurer Schock" Wochenlang wurde sie von Presseleuten belagert, die Interviews fingierten, wenn sie sich weigerte, mit ihnen zu sprechen, und die die Tatsa- chen verdrehten, wenn sie es schlieRlich doch tat.

Otto Huhn war mittlerweile in Farm Hall interniert, einem Landsitz in der Nahe von Cambridge (England). Auch er

war iiber die Atombombe schockiert, dann jedoch aufge- bracht, weil nicht er der Wissenschaftler des Tages war, son- dern Lise Meitner. In seinen Memoiren schreibt er dazu: ,,Zum Teil unwahre Angaben iiber die Entdeckung; beson- ders am Anfang spielt Lise Meitner dabei eine grone Rolle, ich selbst werde nicht genannt"["']. Am 8. August 1945, zwei Tage nach Priisident Trumans Ankundigung des ersten Bombenabwurfs, bereitete Huhn eine Erkllrung fur die Pres- se vor:

,,So lang Prof. Meitner in Deutschland war, war von einer Spaltung des Urans keinerlei Rede. Sie wurde fur unmoglich gehalten. Auf Grund von ausfiihrlichen, chem. Untersu- chungen iiber die bei der Bestrahlung des Urans mit Neutro- nen auftretenden chemischen Elemente wurden Ende des Jahres 1938 Hahn und StraRmann zu der Annahme gezwun- gen, dass bei diesen Vorgangen das Uran in zwei Teile zer- platzt, von denen ein Teil, das chem. Element Barium sicher nachgewiesen wurde.. . Mit ihrem Neffen, Dr. 0. R. Frisch gab [Prof. Meitner] eine Erkliirung fur diese von Hahn und StraRmann experimentell gefundene, bisher fur unmoglich gehaltene ,Atomspaltung"'['201.

Dies war der Sommer des Jahres 1945; es hatte ein neuer Anfang sein konnen, eine Zeit, um die Dinge wieder zurecht- zuriicken und das Bild von Lisp Meitners Rolle im Berliner Team und bei der Entdeckung der Kernspaltung zu korrigie- ren. Stattdessen tat Huhn alles, um den Eindruck zu erwek- ken, ihr Beitrag zur Kernspaltung habe lediglich darin be- standen, daR sie ,,sie fur unmoglich gehalten" und eine Ent- deckung zu einem friiheren Zeitpunkt verhindert habe.

7. Unterdriickung der Vergangenheit

Noch einmal macht H u h sich die Kernspaltung zunutze - diesmal nicht aus personlichen Motiven. sondern fiir das besiegte Deutschland. Er hatte bereits den Nobel-Preis fur Chemie 1944 zuerkannt bekommen ~ noch inoffiziell. aber er wuBte es. Er wollte sein personliches Prestige und die Bedeu- tung der Entdeckung nutzen, um auf Deutschlands Elend aufmerksam zu machen, um die deutsche Wissenschaft wie- der aufzubauen. Zu diesem Zweck empfand er es als notwen- dig, die Entdeckung fur sich allein in Anspruch zu nehmen. Er sah keinen Sinn darin, auf die Ungerechtigkeiten der Na- zizeit zuriickzublicken, fur ihn bestand keine personliche Notwendigkeit zur Wiedergutmachung. Kaum gehorte das Dritte Reich der Vergangenheit an, kam bereits wieder das alte Nationaldenken zum Vorschein. Hahns Sorge galt Deutschland - und nur Deutschland.

Lise Meitner hatte diese Entwicklung schon vor dem Ende des Krieges geahnt. Im Marz 1945 schrieb sie an eine schwe- dische Freundin: ,.Die Briefe der deutschen Freunde klingen sehr gedriickt und doch glaube ich nicht, dass sie ganz erfasst haben, welchem Schicksal sie Deutschland durch ihre Passi- vitat ausgeliefert haben. Und noch weniger scheinen sie sich bewusst, dass sie ein Stuck Mitverantwortung haben fur die schrecklichen Verbrechen, die Deutschland begangen hat. Dieser Gedanke macht mich richtig ungliicklich. Wie sol1 die Welt Vertrauen zu einem neuen Deutschland haben, wenn seine besten und geistig hochst stehenden Vertreter nicht diese Einsicht haben und nicht den brennenden Wunsch ha- ben, gut zu machen, was gut zu machen ist. Sie miissten das

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nicht nur stark fiihlen, sondern sich zur gegebenen Zeit offen dazu bekennen. Aber ich fiirchte. davon sind sie noch sehr weit entfernt. Darum glaube ich auch nicht an einen Wider- stand ,.en masse" von innen heraus"['211.

Otto Hahn wurde im Januar 1946 aus Farm Hall entlassen und kehrte in ein hungerndes, unwirtliches und bittere Not leidendes Deutschland zuriick. Seine Briefe an Lise Meitner lasen sich wie eine Litanei von Entbehrungen. Sie empfand Mitleid, sie schickte Pakete ~ mehr, als sie sich eigentlich leisten konnte - sie konnte jedoch Otto Hahns iibersteigertes NationalbewuBtsein nicht ertragen. Wenn er iiber Nah- rungsmittelknappheit, entwiirdigende Reisebeschrinkungen und beschlagnahmte Wohnungen klagte, entgegnete sie scharf, Deutschland habe Leiden und Tod iiber Millionen gebracht[I2']; als er auljerte ,,[O]b das Verhalten der Besat- zungsmachte heute so sehr vie1 gronziigiger 1st als das der Deutschen in Teilen der besetzten Lander, mochte ich fast bezweifeln"[' 231, reagierte Lise Meitner rnit Bestiirzung und erinnerte ihn an die Millionen. die von Deutschen im besetz- ten Polen umgebracht worden w a ~ e n [ ' ~ ~ ] . Bis Dezem- ber 1946. als Otto Hahn und seine Frau Edith zur Verleihung des Nobel-Preises nach Stockholm kamen, lagen sie iiber dieses Thema standig im Streit; Lise Meitner erwartete, daB der Besuch ein , , E i e r t a n ~ " [ ' ~ ~ ] werden wiirde, aber sie war entschlossen, freundlich zu sein.

Nach Stockholm kam Hahn nicht nur, um seinen Preis in Empfang zu nehmen, sondern als Fiirsprecher fur Deutsch- land['261. Damit hatte Lise Meitner zwar gerechnet, doch erst jetzt kam ihr voll zu BewuBtsein, daB sie keinen Platz mehr in Otto Huhns Leben hatte, ja, nicht einmal in seiner Erinnerung. In seinen vielen Presseinterviews sprach er nie iiber ihre gemeinsame Arbeit; nicht einmal ihren Namen erwahnte er. In seinem N ~ b e l - V o r t r a g ~ ~ ~ ] konnte er sie zwar nicht ganzlich totschweigen, aber er maB ihrer Zusammenar- beit keinerlei Bedeutung bei, sondern betonte statt dessen, daB die Entdeckung trotz anderslautender Prognosen der Kernphysik gemacht wurde.

Nach der Abreise der Huhns versuchte Lise Meitner in Briefen an Freunde, Klarheit zu gewinnen. ,,Dass [Hahn] mit keinem Wort mich in seinen Interviews erwahnt hat, geschweige von unserer mehr als 30jahrigen Zusammenar- beit etwas gesagt hat, fand ich etwas schmerzhaft. Was ihn dazu veranlasst haben mag, 1st komplizierter Natur. Er ist iiberzeugt, dass den Deutschen unrecht geschieht und das umso mehr als er die Vergangenheit einfach verdrangt. Da- her war sein einziger Gedanke hier fur Deutschland zu spre- chen. Ich bin ein Teil der zu verdrangenden Vergangenheit und das umso mehr als ich bevor er hierher kam.. . versuch- te, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass die anstandigen Deutschen Deutschland nur helfen konnen, wenn sie die Ge- schehnisse objectiv sehen.. . " [ 1 2 7 1 . ,,In seinem.. . Interview, sagte e r . . . er sei gliicklich, dass sich Deutschland nicht mit der Schuld der Konstruktion einer Atombombe und dem sinnlosen Toten von so vielen tausend Menschen belastet hatte. Ich versuchte ihm klar zu machen, dass er das wohl hatte sagen diirfen, wenn er dazu gefiigt hatte, er sei darum dariiber ftoh. weil die Deutschen ja so vie1 Schreckliches getan hatten. Aber darauf ging er wieder nicht ein.. . [E]r verdrangt die Vergangenheit mit aller Macht, obwohl er die Nazi wirklich immer gehasst und verachtet hat. Aber da sein zweites Hauptmotiv ist, Deutschland wieder zu internationa- lem Ansehen zu bringen und er weder ein starker Charakter,

noch ein sehr nachdenklicher Mensch ist, leugnet er einfach das Geschehene oder bagatellisiert es. . ."[1281.

1947 bot Fritz StraJmann Lise Meitner an, als Leiterin der Physikalischen Abteilung und Direktorin des unlangst nach Mainz verlegten Kaiser-Wilhelm-Instituts fur Chemie (das bald darauf in Max-Planck-Institut umbenannt werden soll- te) nach Deutschland zuriickzukommen[1291. Sie iiberdachte das Angebot - aber nur, weil sie StraJmann sehr schatzte -, und lehnte dann ab[I3']. An eine schwedische Freundin schrieb sie: ,,[D]ie Deutschen [haben] noch immer nicht be- griffen, was geschehen ist und alle Greuel, die nicht ihnen personlich widerfahren sind, vollig vergessen. Ich glaube, ich wiirde in dieser Atmosphare nicht atmen konnen"['31].

Zehn Jahre nach ihrer Flucht aus Deutschland begriff Lise Meilner, daB es keine Riickkehr fur sie geben konnte.

8. Postskriptum: die M i t ~ r b e i t e r i n ~ ~ ~

Lise Meitner fiihrte ihre brieflichen Auseinandersetzungen rnit Hahn nicht weiter. Eine nostalgische Herzlichkeit kehrte allmahlich in ihre Freundschaft zuriick. und sie war oft zu Vortragen und Konferenzen in Deutschland. Unter der Oberflache aber war alles beim alten. Hahn wurde der Held der wissenschaftlichen Nachkriegsgeschichte Deutschlands schlechthin, iiberall gefeiert als Nobelpreistrager, Prlsident der Max-Planck-Gesellschaft und Prototyp des ,,anstandi- gen Deutschen". Lise Meitner, in jeder Hinsicht eine AuBen- seiterin, muBte erleben, wie ihre wissenschaftliche Vergan- genheit verblake. 1953 schrieb sie Hahn: ,,Jetzt mochte ich etwas Personliches schreiben, das mich bedriickt und das ich Dich bitte in Erinnerung an unsere mehr als 40-jahrige Freundschaft und rnit dem Wunsch, mich zu verstehen, zu lesen. In dem Bericht der Max-Planck-Gesellschaft wird der Vortrag, den ich in Berlin gehalten habe, (ein rein physikali- scher Vortrag) angefiihrt und ich werde genannt als Janglah- rige Mitarbeiterin unseres Prasidenten.' Gleichzeitig habe ich in der ,Naturwissenschaftlichen Rundschau' einen Arti- kel von Heisenberg gelesen iiber die Beziehungen zwischen Physik und Chemie in den letzten 75 Jahren, wo die einzige Erwahnung von mir. . . lautet: ,Die langjahrige Mitarbeiterin Hahns, Frl. Meitner.'['321 Ich bin im Jahr 1917 vom Verwal- tungsrat des K. W. fur Chemie offiziell rnit der Einrichtung der Physikalischen Abteilung betraut worden und habe sie 21 Jahre geleitet. Versuche Dich einmal in meine Lage hin- einzudenken! Was wiirdest Du d a m sagen, wenn D u nur charakterisiert wiirdest als der langjahrige Mitarbeiter von mir? Sol1 mir nach den letzten 15 Jahren, die ich keinem guten Freund durchlebt zu haben wiinsche, auch noch meine wissenschaftliche Vergangenheit genommen werden? 1st das fair? Und warum geschieht es?"[' 331

Es ist unwahrscheinlich, daB Hahn sie verstand, jedenfalls trat er niemals fur Lise Meitner ein. Im Gegenteil, in seinen A~tobiographien[~'. 411 erwahnte er Lise Meitner als Mensch nur sehr oberflachlich - auBer in ein paar wenig geschmackvollen Anekdoten['341 tritt sie mehr als Geist denn als menschliches Wesen in Erscheinung. Dem Bild, das er von Lise Meitner als Wissenschaftlerin entwirft, 1aBt sich wenig uber die friihen Jahre ihrer Zusammenarbeit oder iiber Lise Meitners unabhangige Forschungen entnehmen; ihre Initiative irn Jahre 1934, ihre Fiihrungsrolle im Berliner

964 Angen. Chem. 103 (1991) 956-967

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Team, ihr entscheidendes Zusammentreffen rnit ihm in Ko- penhagen, ihre ermutigende Unterstiitzung spater werden rnit keinem Wort erwlhnt. Hahns Autobiographien - ganz offensichtlich ohne Beriicksichtigung der wissenschaftlichen Literatur, seiner Korrespondenz oder seiner Tagebiicher ge- schrieben - enthiillen ein so falsches, oberflachliches, einsei- tiges und auf Eigennutz ausgerichtetes Erinnerungsvermo- gen, daB sein Charakter und seine Motive in Frage gestellt werden miissen. Moglicherweise waren Hahns Selbsttau- schung und seine Gefiihlskalte, die ihm in der Zeit des Ter- rorregimes als Uberlebensstrategie dienten, wihrend der Nachkriegszeit so sehr ein Teil seiner selbst geworden, daB es ihm nicht mehr moglich war, sich rnit der Vergangen- heit auseinariderzusetzen. Lise Meitner formulierte es auf ihre wienerische Art so: ,,Man kann wahrscheinlich nicht ein so charmanter Mensch sein und daneben sehr tief se,n" [ I 3 51

In der Offentlichkeit auBerte sich Lise Meitner nicht zu diesem Thema; sie hatte nicht den Wunsch, gegen das Pha- nomen Otto Hahn a n ~ u k a m p f e n [ ' ~ ~ ~ . In der Tat brachte Hahns einzigartige Beriihmtheit eine enorme Fiille biogra- phischer Sekundarliteratur hervor.

Ein Chor friiherer Mitarbeiter, von denen jedoch keiner zu seinem engeren Kreis gehort hatte, stimmte in seine Behaup- tung ein, die Kernspaltung habe nichts rnit der Physik oder rnit Lise Meilner zu tun. Die Kernspaltung, so beharrten sie, hatten die Chemiker trotz des Widerstands der Physikerin en tde~kt [ '~ ' I .

In Deutschland erkannten nur Fritz StraJmann und M a x von Laue, was offensichtlich war: Ware Lise Meitner nicht zur Emigration gezwungen gewesen ,,ware [sie] sonst zweifel- 10s in der einen oder anderen Form an der Entdeckung der Uranspaltung mitbeteiligt. . . ' ' I 6 . 13*]

Ware sie im Dezember 1938 in Deutschland gewesen, ware die Entdeckung als Meisterstiick eines interdisziplinaren Teams gepriesen worden. Stattdessen bewirkte die damalige Rassenpolitik ihren AusschluR. Anstatt dies als ein Unrecht zu erkennen. warteten Hahn und seine Anhanger rnit haltlo- sen wissenschaftlichen Erklarungen auf: Sie gaben dem Op- fer die Schuld. Arrogant und rnit unangebrachten National- stolz leugneten sie geschehenes Unrecht, schufen neues Un- recht, das sie fortbestehen lieBen - und verwickelten sich selbst darin.

9. Zukunft

Von Primo Levi stammt der Satz: ,,Im iibrigen kann die gesamte Geschichte des kurzlebigen ,Tausendjahrigen Rei- ches' als Krieg gegen das Erinnern neu gelesen werden, als Orwellsche Fiilschung der Erinnerung, Falschung der Wirk- lichkeit, Verleugnung der Wirklichkeit, bis hin zur endgiilti- gen Flucht vor eben dieser Wirklichkeit".[139]

Lise Meitners Beispiel zeigt, wie Erinnerung und Wirklich- keit verfdscht wurden, selbst von jenen, die namentlich Geg- ner des Naziregimes waren, sogar von Wissenschaftlern, deren Auftrag es ist, nach der Wahrheit zu suchen. Doch fur Lise Meitner scheint eine echte Rehabilitation im Gange zu sein: Eine neue Generation hat begonnen, sich mit ihrer wis- senschaftlichen Vergangenheit, ihrem Leben und ihrer Welt zu be~chaf t igen[ '~~l .

Ich danke Irmgard StraJmann und dern verstorbenen Pro- ,fessor Fritz StraJmann , f ir wertvolle Diskussionen ; Ulla Frisch und dem verstorbenen Professor Otto Robert Frisch fur die Erlaubnis, die Meitner-Sammlung im Churchill College einzusehen, der verstorbenen Marie-Luise Rehder fur zahlrei- che HilJicn; Dr. Marion Kazemi und dem Archiv zur Geschich- te der Max-Planck-Gesellschaft , f ir Zugang zu den Archiven. Joan Brombrrg, Stanley Goldberg und Pieter Van Assche dan- ke ich fur kritische Durchsicht dieses Artikels. Diese Arbeit wwde von der US National Science Foundation und dern Na- tional Endowment ,for the Humanities unterstiitzf.

Eingegdngen a m 5. April 1990 [A 8291 Ubersetzt von Eva Schweikurr. Viernheim

[ l ] R. Feyl: .,Lise Meitner 1878-1968" in Drr luutlosr Aulhrurh Frauen in der Wissenschu/i, Luchterhand. Darmstadt 1983. S. 162.

[2] K:E. Zimen, Aromwirrwh. Aromtech. 33 (1988) 588; Zimen war Direktor des Hahn-Meitner-Instituts in Berlin.

[3] Die Bezeichnung ,.hlitarbeiterin" weist stiirker als das englische ..co- worker'' - auf eine untergeordnete Stellung hin. Neueres Beispiel: H. Rechenberg, Phvs. El. 44 (1988) 453; siehe auch [4].

[4] In der Beschriftung des im Deutschen Museum ausgestellten sogenannten .,Arbeitstischs von Orlo lfahn" wurde StraJmariri nur am Rande erwahnt und L i s p Meitnrr iiberhaupt nicht; erst Anfang 1989 wurde eine kleine Tafel hinzugefugt. auf der Li.w Meitner als Hahns .,Mitarbeiterin" be- zeichnet wird. Kiirzlich wurde die Beschriftung des Exponats abgeindert und nennt jetrt die Namen von Huhn , Mrirner und StruJmunn; entspre- chend geindert wurden auch Tonbandtext und schriftliches Material.

[5] W. Heisenherg, Ordm pour le mt+iri+r Wi.s.sen.srhu/i und KunstP. Redwr and Gedenkw~rrr Y (1968/1969) I l l

[6] F. StraBmann: Kernspol/un,q - Brrlin De-emhcv 1938. Privatdruck. Mainz 1978. S. 23; Nachdruck in [22]. S. 211

[7] F. Stern: Dreams and De/u.rions: Nurionul Socialism in thr Dramu of thr German Past. Vintage. New York 1989, S. 27.

[XI Meirner an Eli.saheth Schirmann. 31. Dezember 1913; wenn nicht anders angegeben. stammer. alle Briefe aus der Meitner-Sammlung. Churchill College, Cambridge (England).

[9] L. Meitner, Noturwiss. Rundsch. I 6 (1963) 167. [ lo] Max von Laue auDerte dies 1957, siehe Abschnitt 8 sowie Lit. [6. 221. [ l l ] a) G. Herrmann. A n p w . Chem. 102 (1990) 469; Angen,. Chem. In!. Ed.

Engl. 29(1990) 481; b)G. Herrmann. Nucl. Phys. A502 (1989) 141c. [12] Meilner a n Max von Lour, 4. September 1944. 1131 E. Segre: Enricu Fermi: P/~wicIsr. University of Chicago Press, Chicago

1970, S. 73. [14] E. Segre (Hrsg.): Enrico Fermi: Collecred Papers (Note e Mrmorie),

University of Chicago Press, Chicago (Accademia Nazionale dei Lincei, Roma) 1962, Yo/. 1, S. 640.

I151 E. Permi, Rir. Sci. 51'11 (1934) 283: 25. M i r z 1934; engl. Ubers. in [14]. S. 674-675.

[16] E. Fermi, Rir. Sci. 5 ' 1 ) (1934) 330; engl. Ubers. in [14], S. 676. [17] E. Fermi. Nature (London) 133 (1934) 757; eingereicht am

10. April 1934. [18] Lit. [13], S. 74. [19] Meitner a n Enrico Frrmi, 16. Mai 1934. [20] L. Meitner, Nalurwissenschafren 22 (1934) 420. [21] 0. R. Frisch, Biogr. U e m . Fellows R. Soc. 16 (1970) 405. 1221 E Krdfft: Im Scharten der Sensorion: Lehen und Wirken von Fritz SrraJ-

[23] F. Krafft. Angew. Chem. 90 (1978) 876; Angeu. Chem. Inr . Ed. Engl. 17

[24] C . Kerner: Liw, Alomph.ysikrrin, Beltz. Weinheim 1986. [25] S. A. Watkins. Am. J Phys. 51 (1983) 551. [26] R . L. Sime, J Rodioonul. Nucl. Chem. 142 (1990) 13. [27] R. L. Sime. J Chem. Educ. 63 (1986) 653. [28] L. Badash: Rudioactivi!)~ in America, John Hopkins University Press,

Baltimore 1979. S. 21 3. Badash attestiert der Radiochemie ,,suicidal suc- cess.. .the field effectively ceased to exist".

[29] D . Hahn (Hrsg.): Otto l fuhn. Erlehnissr und Erkenntni.sse, Econ Verlag. Diisseldorf 1975. S. 43.

[30] Lit. [14], S. 548. [31] E. Fermi. E. Amaldi, 0. D'Agostino, F. Rasetti. E. Segre, Ric. Sci. 5 ( / )

[32] E. Fermi, F. Rasetti. 0. D'Agostino. Ric. Sci. 5 ( 1 ) (1934) 536; eingereicht

1331 E. Fermi, Nature lLoidon) 133 (1934) 898; erschienen a m 16. Juni 1934. [34] Das richtige Nature-Zitat ist eindeutig [33], erschienen am 16. Juni 1934;

Lise Meirner hat wohl eher Ricerca Scientifica (Lit. [31] oder [32] gemeint als die im Juli in Nuovo Cimento erschienenen Ubersichtsartikel (E. Fermi, Nuovo Cimenro 11 (1934)429 und E. Amaldi. E. Fermi. I; Rasetti,

munn, Verlag Chemie, Weinheim 1981; Kap. 2.

(1978) 826.

(1934) 452; engl. Ubers. in [14], S. 677.

am 6. Juni 1934,

Anxew. Chem. 103 i t 9911 956-967 965

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E. Segre. ibid I / (1934) 442); die beiden Artikel enthielten keine Ergeb- nisse. die nicht schon vorher in Ricerca Scientificd und Nature veroffent- licht worden waren. In jedem Fall 1st offensichtlich, daD Lise Meilner im Juni von Fermis Urdn-Ergebnissen wufite.

[35] Siehe Lit. [29]. S. 40-41 ; 0. Hahn, L. Meitner. Nulurwissenschufien 19 (1931) 738; A. von Grosse, 0. Hahn, L. Meitner, ihrd20 (1932) 362.

[36] Lit. [W]. S. 47. 137) Nohel L w i u n , ~ C'hemisfr), 1942.- 1962. Elsevier. Amsterdam 1964. S. 172;

I381 0. Hahn: Nric Atoms, Elsevier, New York 1950. S. 17. [39] 0. Hahn. NuturM.is.rensrhu/irn 46 (1959) 158. [40] a) 0. Hahn : Viim Rudrorhor zur Uronspultung : Einc i~issen.schufrlichc

Selbsrhiogruphie Vieweg, Braunschweig 1962. S. 116; b) 0. Hahn : A Sc.ienr(/ic Aurohiogruph?, (iibers. von W. Ley). MacGibbon& Kee, Lon- don 1967. S. 141.

[41] a ) 0. Hahn : Mein Lehen. Bruckmann. Miinchen 1968, S. 148; b) 0. H a h n . My Life (iibers. von E. Kaiser und E. Wilkins). Herder and Her- der, New York 1970, S . 147-14X.

siehe auch [41], S . 253.

1421 A. von Grosse. M . Agruss, Pliys. Rev. 46 (1934) 241 [43] In [41 a] auf S. 148 ([41 b] auf S. 147) .,erinnert" Huhn sich gar dardn. daD

er und Lise Meirner erst nach ihrer Riickkehr von einer Tagung in der Sowjetunion im Sepfembar 1934 von Fermis Versuchen erfuhren und daD Mus Ddhriick sie zu deren Wiederholung anregte.

1441 0. Hahn, L. Meitner. Nururwi.wn.rchufien 23 (1935) 37. [45] L. Meitner, Nururllirsenschufirn 22 (1934) 759 1461 L. Mcitner, Nururn.issenschu/ien 22 (1934) 733. 147) E. Fermi, E. Amaldi. B. Pontecorvo, F. Rasetti, E. Segre. Ric. S r i . S (2 )

148) 0. Hahn, L. Meitner. NurirrMr.~.s.rcn.rcliUfrPii 23 (1935) 230. [49] Lit. 1221. S. 40-47; 1986 wurde StruJmunn posthum vom Israeli Holo-

ciiust Memorial (Yad Vashem) diifiir geehrt, daO er wihrend des Krieges eine judische Bekannte bei sich aufnahm und so ihr Leben rettete.

(1934) 282- 283; engl. Ubers. in (141, S. 761.

[SO] E. Segre. P l i u Rri , . 55 (1939) 1104; siehe auch 1641. [51] I . Noddack. 2. Angew. Chem. 47(1934) 653. I521 E. Antalrtr, ein Mitglied von Fermis Arbeitsgruppe. erinnert sich. dab man

in Rom gegen Idu Nodduck voreingenommen war (Lit. [22]. S. 316); dies war auch in Berlin der Fall. Siehe auch P. Van Assche. NucL Ph.vs. A 480 (1988) 205.

(531 Lit. [22]. S. 103-104. 1541 S. R . Weart in W. R. Shea (Hrsg.) : Orro Huhn und rhr Rise of Nurleur

P h w i u , Reidel, Dordrecht 1983. S. 105. in Berlin hoffteman, die interna- tionale Aulmerksamkeit. die den ..Transuranen" zuteil wurde. konnte die drei polittsch unerwunschten Wissenschaftier und ihr lnstitut schutzen.

[55] L. Meitner. 0. Hahn, F. StraUmann, Z. Phys. 106 (1937) 249. [56] L. Meitner. Interview am 12. Mai 1963, American Institute of Physics

[57] Ubersichtsartikel aus jener Zeit siehe u. a. L. Quill, Chrm. Rev. 23 (1938)

[58] 0. Hahn. L. Meitner, F. StraDmann. Ber. Dtsch. Chem. GES. 69 (1936)

[59] 0. Hahn. L. Meitner, F. StraDmann, Ber. Dt.rch. Chern. Ges. 70 (1937)

[60] L. Meitner, 0. Hahn. Nurur~rscn.sc/iu/ren 24 (1936) 158. [61] Die 23min-Aktivitit Uran-239 zerfillt in jedem Fall zum Element 93,

doch das Berliner Team, das nur uber schwache Neutronenquelle verfiig- te und durch die anderen ,,Transurane" abgelenkt war. fand es nicht; siehe [ I l a ] .

(Nen York), Oral History Project.

87. L.. A. Turner. Rev. Mod. P h w I 2 (1940) I ; siehe auch Lit. [ l l a].

905.

1374.

1621 L. Meitner, F. StrdDmann, 0. Hahn. 2. P/i.rs 109 (1938) 538 [63] Lit. 1561; auch in [ lo l l schrieb Lisp Mermer: ,,The long chain of beta

(641 H G. Grastzer, D . J. Anderson: The Discovery qfFission. A Documentury

[65] Lit. 1291. S. 58. [66] Lit. 1291. S. 54. [67] Lit 1221. S. 43. [68] R . L. Sime. A m J. Pliy.s. SX (1990) 262. 1691 Lit 1221. S.234ff. [70] J. Lemmerich: DicI Ge.schichte dcr Enfilwkuiig der Kcrnspulrung, Katalog

zur Ausstcllung in der T U Berlin und im Deutschen Museum Miinchen; Universititsbibliothek Technische Universi t t Berlin, Berlin 1988, s. 1S7ff.

decays has always puzzled us ''

Hixror!. Van Nostrand, New York 1971, S. 34-37.

[71] Mpirner a n Huhn, 23. Oktober 1938. 1721 I . Curie, 1'. Savitch. J. P h w Rudiuni Y (1938) 355. 1731 Lit. [22], S. 207. 1741 Huhn an .Mf,itner. 25. Oktober 1938 [75] fiuhn an .Meirner. 2. November 1938. 1761 Mcirner a n H u h . 4. November 1938 (versehentlich auf 4. Oktober 1938

daticrt). [77] Huhn a n Mritner. 5./6. November 1938; 0. Hahn, F. StraBmann. Nurur-

nis.sensthufien 26 (1938) 755; eingereicht am 8. November 1938. [78] Im gleichen Jahr ( I 938). als die Bestrahlung von Thorium mit Neutronen

ihnliche Ra-Ac-lsomere zu ergeben schien, vcrmutlich ebenfalls durch (n,r)-Reaktion, hatte Meiiner bereitr berechnet (in [62]). daD ein (n.a)- ProzeD theoretisch nur mit .schne//m Neutronen moglich ist.

[79] Lit. (41 a] und (41 b]. S. 150.

1801 0. Hahn, Nururnws. Rund.sch. /S (2) (1962) 43; H u h schreibt. .,Ihm [Bohr] war die Abspaltung von zwei cr-Strahlen aus dem Uran unheim- lich. Er konnte sie nicht fur moglich halten.. :'. Diese AUSsdge stammt ganz sicher von Lise Meirnrr (moglicherweise ebenfalls von Eohr).

[XI] Lit. [22], S. 208, Anm. 17. [82] 0. Hahn, 1938 Siemens-Taschenkalender. 13. und 14 November 1938

(Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem); zitiert in [83].

[83] P. Brix, Phys. Bl. 45 (1989) 1. [84] Lit. 16). S. 18; Lit. [22]. S. 208. [85] Lit. [22]. S. 247ff. [86] 1945 (Lit. [29]. S. 58) nennt Huhn keinen Grund fur das Fraktionierungs-

experiment: ,,Aus irgendwelchen Grunden wollten wir unsere Ra-Isotope etwas anreichern." Spater (Lit. 141 a], S. 255-256: Lit. [38]. S. 20 etc.) erwlhnt er lediglich, die Fraktionierungen seien zur Feststellung der schwdchen Strahlung eines langlebigen Ra-Isomers notwendig gewesen. einen Grund, den Herrmunn [ I 1 a, b] als ziemlich trivial bezeichnet. Eher diirften Huhn und SfruJmunn Lisr Meirnrrs Bitte nachgekommen sein und nach Thorium gesucht haben. denn wenn die Annahme des Zerfalls Ra +Ac + Th sich als richtig herausstellte. wurde es sich beim resultie- renden Thorium-231 um das bekannte U Y oder ein Isomer davon han- deln. Siehe Meirner an Huhn. 26. November und 5. Dezember 1938. ge- kiirzte Wiedergabe in Lit. 1221. S. 250 251

[87] Lit. (221. S. 104- 105 [XX] I iuhn an Meitnur, 19. Dezember 1938; fdksimiliert in Lit. 1701. S. 1 6 6 ~

[XY] Die Artikel des Autorenteams Huhn/SlruJniunn wurden stets von Huhn

[YO] 0. Hahn. F. StraDmann, Nalur~i.rsen.~c.hufien 27 (1939) 11. [Y 11 W. Gerlach: Ein Forsrherlehm unserer Zeir. Oldenbourg, Miinchen 1969.

[92] Meilner an Hohn. 21. Dezember 1938: fakstmiliert in Lit. 1701, S. 171. 193) Laut Aussagen von E. Bugge iufierte Huhn 1945 ..Wenn Frl. Meitner im

Dezember 1938 noch im lnstitut gewesen ware. h i t t e sie uns das Barium ausgeredet." (personliche Mitteilung. R . Fleischmunn an P. Vun A.ssche. 1982); siehe auch Hrisenherg[5]. Obwohl soche Berichte aus zweiter und driller Hand natiirlich durch Quellen belegt werden miissen. so spiegeln sie doch Huhns spi tere Weigerung wider. Liscz Mcitncr an der Entdeckung teilhaben zu lassen.

167.

allein verfa0t. Siehe [6], S. 19, 1221. S. 209.

s. 53.

[94] Huhn a n Evu von Buhr-Berxius. 23. Dezember 1938; Lit. [22]. S . 267. (951 0. R. Frisch: Whur Litrlr I Remember, Cambridge University Press.

Cambridge 1979; S. 115-117. [96] Hierzu iu0erte Fritz Kru,ffi: .,Eine entsprechende Loyalitit hatte sie dann

eigentlich auch 1938 erwarten konnen." Siehe F. Krafft : LISP Meirner, Hahn-Meitner-institut HMl-B448, Januar 1988 (Ansprache am 2. Dezember 1987). In ihrem 1918 erschienenen Artikel uber Protacti- nium war Huhn sogar an erster Stelle genannt- 0. Hahn, L. Meitner. Phys. 2. 19 (1918) 257.

1971 Selbst ein gemeinsam verfafiter Widerrufder Transurane war ..vermutlich undurchfuhrbar", da es fur Lisp Meitner aus politischen Grunden un- moglich (wenn nicht gar illegal?) war, in Deutschland zu publizieren (Meifnc,r a n Huhn. I . Januar 1939); sie teilte Huhn keine Einzelheiten zu ihrer und Frischs Deutung mit, bevor diese nicht bei Nature angenommen worden war, ..wed D u ja nicht in der Lage bist. sie unveroffentlicht zu zitieren und weil sie allerlei priifbare Behauptungen enthilt." (Meitner an Huhn. 18. Januar 1939). Siehe auch Lit. (1041.

[YX] Meitner an Huhn. 3. Januar 1939. [YY] 0 R. Fri.sch an Huhn. 4. Januar 1939, Lit. [22]. S. 271.

[loo] Meirrier a n Huhn, 18. Januar 1939. [I011 L. Meitner, 0. R. Frisch. Nu/ure (London) 143 (1939) 239. [lo21 Lit. [29], S. 64-66. [lo31 0. Hahn. F. StraOmann, Nufurn~is.si~n.schu/fnl 27 (1939) 89. [I041 Huhn ignorierte beim Zitieren auch den Hinweis Meirners und Frisehs auf

das zweite Spaltprodukt Krypton und dessen Zerfallsprodukte. obwohl entsprechende Untersuchungen in Berlin gleichzeitig mil oder unmittel- bar nach Bekanntwerden der Ergebnisse von Meitner und Fri.w.h began- nen.SieheLit. [22],S. 282-284;R. L.Sime,J.Ch~m. Edur.66(1989)373.

[lo51 MPirncr an Wulrer Meirner. 6. Februar lY39. [I061 Meirner a n I iuhn. 5 . Februar 1939; wcitere Informationen zu Lisr Meit -

ners Lebensbedingungen in Schweden finden sich bei Kruff[23]. [lo71 Moglicherweise handelte es sich um einen gewissen Professor Kruuch

(siehe Lit. [29]. S. 64- 65). der den ..politisch belasteten" Huhn unter Druck setzte.

[lo81 Huhn an Meifnor, 7. Februar 1939. [lo91 Meirnrr an H u h . 2. Juni 1939; Huhn an Meitner , 5 . Juni 1939. [I101 Lit. [22], S. 315ff. [ill] Meitner a n Hahn. 12. und 15. Juli 1939. I1121 Meirner a n M u von Luue. 12. November 1946. [I 131 In einem 1941 erschienenen Ubersichtsartikel zur Theorie der Kern-

spaltung zitierte Lise Meirners fruherer enger Mitarbeiter C. F von Weiz- sicker simtliche relevante Literatur mit Ausnahme der Arbeiten von Mrrlner und Frisch; siehe C. E von Weizsicker, F o r d . Forrschr. 17 (1941) 10; zu Li.w Meitners Reaktion auf dieses Verhalten siehe Meitner an I luhn. 20. Januar 1941 ; F. Krafft, Mit t . dsrerr. Ges. Ceschichre Nurur- i k 7 . 4 (1984) 1, Anm. 15. Die Praxis. Arbeiten judischer Autoren beim

966 Angen.. Chem. 103 (199,) 956-967

Page 12: Lise Meitner und die Kernspaltung: „Fallout” der Entdeckung

Zitieren nicht zu heriicksichtigen, sie ohne Nennung der Autoren zu zitie- ren oder ihre Arbeiten anderen zuzuschreihen. war iuDerst weit verbrei- let; meines Wissens wurde seit 1945 bis zum heutigen Tag keinerlei Ver- such unternommen, dies zu korrigieren.

[I 141 Meirnrr a n Huhrr. 15. April 1943: Beim Zitieren von Veroffentlichungen des Autorentearns Meirnerltfahn ersetrte Fritz Hourermum 1943 den Na- men Li,w Mrirners durch den SrruJmunns.

[ 11 51 Mei1nt.r an Eru i'on Buhr-Bergiu.r, 17. Mai 1941. [I 161 0. R. Frisch: ,.Lise Meitner" in Dirrionury ofScienrrfir Biogruphy Val. 9,

Scrihners. New York 1974. S. 260; M. Gowing: Briruin und Aromir ErrerXj, 1939-1945, MacMillan, London 1964, S. 261 ff.: L. Eppstein, Schweden 1988. personliche Mitteilung.

[117] Meirner an Evu )'on Buhr-Bergiu.s. 21. Juni 1944. [I 181 Meitner-Tagehucher: August. September 1945; Archiv des Churchill

[119] Lit. [29], S. 72. [I201 ,,Prof. L. Meitner and the splitting of uranium", Huhn an Major Rirrner,

Farm Hall. 8. August 1945. Lise Meilners Reaktion ist dem Interview aus dem Jahr 1963 zu entnehmen (Lit. [56]. S. 18): ,,. . .die Chemiker hehaup- t en . . . [daD] wir Physiker solche Prozesse (Kernspaltung) fur unmoglich erkl i r t habcn. aher wir hahen sie j a nie diskutiert. . ."

College, Cambridge (England).

[121] Mi,i/ner a n Evu ron Buhr-Brrgius. 30. M i r z 1945. [I221 Meitner a n Huhn, 1. April 1946. [123] Huhn a n Meimer. 17. September 1946. [124] Meirner an Huhn, 20. Oktoher 1946. [I251 Meirner an Frisch, 28. November 1946. [126] Lit . [41 a], S. 208-210; Lit. [41 h]. S. 201 203. 11271 Meirniv an Eva ion Buhr-Brrgius. 24. Dezemher 1946. [128] Meilrier an Jamrs Frunrk, 16. Januar 1947 (versehentlich auf 1946 da-

11291 StruJmurrn a n Meirnrr. 11. November 1947. [130] Mrirnrr an SrruJmunn. 21. Dezemher 1947; Meirner an t fuhn,

[I311 Mrirner an Evu van Buhr-Bergius, 10. Januar 1948. [I 321 Aus Platzgrunden 1st eine Diskussion. inwieweit LISP Meirner aufgrund

ihrer Geschlechtsrugehorigkeit Nachteile erwuchsen. hier nicht moglich. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daD ein minnlicher Wissenschaftler vom Range LISP Meirriers als jemandes ..Mitarheiter" hezeichnet worden w i -

tiert).

6. Juni 194k.

re. DaIJ Heismberg. der Li.w MEi lnrr gut kannte. als sie noch in Deutsch- land war, sie als Huhris ,,Mitarbeiterin" zu hezeichnen pflegte und ihre Arheit ignorierte. leg1 wohl Chauvinismus mehr als einer Spielart nahe.

[133] Meirner a n Huhn, 22. Juni 1953. [I341 Lit. [40a]. S. 86. 147-148. 11351 Meirner an Lolu Allers, 29. Dezemher 1946. 11361 In einer sehr milde formulierten Antwort auf Huhns 1962 erschienene

wissenschafthche Biographie schilderte L i x Mcirnrr 1963 (,.Wege und Irrwege zur Kernenergie". Lit. 191) erstmals ihre eigene Initiative und zihl te die Fehler sowohl der Chemie als auch der Physik auf, ebenso in einem Interview aus demselhen Jahr (Lit. [56]).

[137] Diese Aussage stammt von %imen[2]. Als .,Beweis" fuhrt er an. daD der Physiker Munnr Sieghuhn Lisr Meitner personlich kannte und sie fur den Nobel-Preis vorgeschlagen hitte. witre ihre Arheit diese Auszeichnung wert gewesen. Diese Behauptung ist ebenso unglaubhaft wie ungerecht: Zimen, der damals in Schweden lebte, wuDte ganz hestimmt. dalJ es gera- de die schlechte Beziehung zwischen Lise Meirner und Sieghuhn war. die diesen hewog. sie nichr fur einen Preis vorzuschlagen. K . Starke ( J C h m E d w 56 (1979) 771) druckt sich zwar weniger drastisch aus. verkniipft jedoch die Entdeckung der Kernspdltung ehenfalls mit L i r ~ Meirners Ahwesenheit (die er auf den Verlust der osterreichischen Staatshurger- schaft zuriickfuhrt !).

[138] Auch in den USA sah m a n e s so: h u t Aussage von Glmn Srahorp (per- sonliche Mitteilung 1988) erhielt LISP Meirner aus diesem Grund 1966 zusammen mit Huhn und SrruJmann den Enrico-Fermi-Preis.

[139] P. Levi: Die U n / e r ~ e g u n ~ i ~ n i w iind die Gwc,rrrriw (uhers. von M. Kahn), Carl Hanser Verlag, Munchen 1990. S. 28.

[140] Eine Auswahl neuerer Literatur in deutscher Sprache zu diesem Themen- kreis: Die Arheiten yon Frirz Kruffr (Lit. [2?], [23]. [96]) fanden weite Beachtung; Churlorre Kcvners Buch [24] wurde 1987 mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet; die Kommentare von Renure Fey/[l] fanden groDes Interesse. ebenso das Buch von H . Kiinig.sdorfc.r ( R c q w k r - loser UmXunK, Luchterhand. Darmstadt 1986); in Lemmerirhs Ausstel- lung zur Geschichte der Kernspaltung[70] war Lisp Meitners Werk a d i - quat reprdsentiert; bei den Gedenkfeiern am Lise-Meitner-Gymnasium in Boblingen 1988 und 1989 wurden unter anderem Vortrdge von Perrr Bri.x (Heidelherg) [P. Brix, MPG-Spirgcl 1/90. S. 291. Puul Kicnlc (GSI Darmstadt) und Ei8alie.s Muyer (TH Darmstadt) gehalten.

A n p w . Chem. 103 (1991) 956 967 967