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4 Liturgiereform wider den Zeitgeist Papst Pius V. – Erneuerung aus Überlieferung V ortrag bei der Hauptversammlung 2012 der Laienvereinigung für den klassischen römischen Ritus in der Ka- tholischen Kirche in Paderborn von Prof. Dr. Michael Fiedrowicz, Theologische Fakultät Trier Neugestaltung oder Wiederherstellung? Es ist eine schöne Fügung, wenn die diesjährige Hauptversammlung von „Pro Missa Tridentina“ auf das Fest des heiligen Papstes Pius V. fällt, ist doch sein Name unauflöslich mit dem klas- sischen römischen Ritus verknüpft. In der kurzen Einführung sagt es das Schott-Meßbuch (1962): „Der große Reformpapst tat sich hervor im Kampf gegen die Häretiker und Türken und durch die Neuordnung der Liturgie.“ Seine bleibende Bedeutung auf die- sem Gebiet betont die Hinführung im Volksmeßbuch von Urbanus Bomm (1953): „Zum Papst erhoben 1566, hat er durch seine Reformen die Liturgie geordnet und ihr die heutige einheit- liche Gestalt gegeben.“ Daher heißt es auch in der Oration des Tagesheili- gen: „Gott, Du hast in Deiner Huld den heiligen Pius zum Hohenpriester aus- erwählt, um die Feinde der Kirche nie- derzuwerfen und den göttlichen Kult wieder herzustellen“ - Divinum cultum reparare. Das lateinische Wort reparare bedeutet: wieder erwerben, wieder her- stellen, wieder aufbauen, wieder kräfti- gen. Die entsprechenden Lexika nen- nen als Beispiele des Wortgebrauchs: verlorene Dinge wiedergewinnen, ent- standenen Schaden beheben, Kräfte erneuern. Verfänglich, wenn nicht gar irreführend ist daher die Übersetzung in dem sonst sehr getreu übertragen- den Volksmeßbuch von Bomm. Dort heißt es, Gott habe den heiligen Pius erwählt, um „den Gottesdienst neu zu gestalten“. Zweifellos konnte man in den fünfziger Jahren des letzten Jahr- hunderts noch unbekümmert eine sol- che Formulierung gebrauchen, ahnte damals doch noch niemand, was es schon gut zehn Jahre später bedeu- ten sollte, „den Gottesdienst neu zu gestalten“. Nein, hätte Papst Pius V. in „Umsetzung“ der Beschlüsse des Kon- zils von Trient den Gottesdienst tat- sächlich „neu gestaltet“, so hätte die- ses Reformwerk - das Missale von 1570 – nicht kraftvoll vierhundert Jahre na- hezu unverändert überdauert. Hätte der Papst bzw. die von ihm eingesetz- te Reformkommission etwas Neues geschaffen und an die Stelle des Alten, bisher Gültigen und jahrhundertelang Überlieferten gesetzt, so wäre dies vielleicht nicht unbedingt auch nur „ein plattes Produkt des Augenblicks“ gewesen, um eine bekannte Formu- lierung von Kardinal Ratzinger aufzu- greifen. 1 Das theologische Niveau und die humanistische Bildung jener Zeit hätten solches vermutlich verhindert. Gleichwohl hätte sich auch unter die- sen Voraussetzungen schon sehr bald das „neu Gestaltete“ als zeitbedingt, wiederum als reformbedürftig, über- holt und veraltet erwiesen und nach weiteren Neuerungen verlangt. Gewiß werden die Liturgiewissen- schaftler nicht müde, auf Verände- rungen zu verweisen, die auch das sogenannte Meßbuch von Trient in der Folgezeit ständig erfahren hat, um dessen Unantastbarkeit in Frage zu stellen und ihr eigenes Reformwerk bzw. das des II. Vatikanums zu recht- fertigen. Bei näherer Betrachtung aber zeigt sich, mit welch großer Achtung vor dem Überkommenen spätere Päpste verfuhren, um jenes Missale neuen Erfordernissen anzupassen. Die Beispiele sind weitgehend bekannt: neue Präfationen kamen hinzu, neue 1 Vgl. Vorwort zu: Simandron – der Wachklopfer. Gedenkschrift für Msgr. DDr. Klaus Gamber, hg. von W. Nyssen, Köln 1989, 14f. Heiligenfeste wurden eingeführt, die Rubriken wurden sprachlich überar- beitet und leicht modifiziert. Ein anschauliches Beispiel für sol- che sinnvollen Neuerungen ist auch das heutige Meßformular Si diligis me. Papst Pius XII. ließ 1942 dieses neue Formular in das Missale aufnehmen, damit es an den Festen heiliger Päpste verwendet werde. Das Einführungsde- kret erläutert die Gründe: Wenngleich die Pforten der Hölle immer versucht hätten, den starken apostolischen Fel- sen mit heftigen Angriffen zu erschüt- tern, „so trachten die Kirchenfeinde in heutiger Zeit, da man grundsätzlich jede übernatürliche Weltordnung leugnet, in rücksichtsloser Weise da- nach, unmittelbar die Päpste selbst mit ihren Hieben zu treffen und mit böswilligen Aussagen zu bemäkeln. Um diesen beklagenswerten Ausfäl- len zu begegnen und der Würde der Päpste, die ihnen Gott verliehen, im- mer größere Achtung zu verschaffen, und um schließlich diejenigen Päpste, die durch Heiligkeit hervorgeleuchtet, mehr und mehr zu Ehren zu bringen, hat unser Heiliger Vater Papst Pius XII. angeordnet, daß eine neue Messe für die Feste der heiligen Päpste geschaf- fen werde.“ 2 Wir sehen, welcher Art die Ände- rungen waren, die das Missale Pius‘ V. kontinuierlich erfuhr, und aus welchen Motiven heraus diese geschahen, in welchem Geist man es tat. Wenn es also über vierhundert Jahre hinweg stets nur geringfügige Änderungen waren, die niemals den Ordo Missae selbst tangierten, dann liegt diese Zurückhaltung nicht allein darin be- gründet, daß sich die nachfolgenden Päpste an die Promulgationsbulle „Quo primum“ (MRom 1570) gebun- den wußten, in der Pius V. bekanntlich 2 Zitiert nach: Lateinisch-Deutsches Volksmeß- buch, hg. U. Bomm, Einsiedeln/Köln 91953, 1454.

Liturgiereform wider den Zeitgeist - pro-missa-tridentina.org · (Darstellung von El Greco) Foto: The Yorck Project. 6 Der klassische römische Ritus vermag sich auszuweisen durch

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Liturgiereformwider den Zeitgeist

Papst Pius V ndash Erneuerung aus Uumlberlieferung

Vortrag bei der Hauptversammlung 2012 der Laienvereinigung fuumlr den

klassischen roumlmischen Ritus in der Ka-tholischen Kirche in Paderborn von Prof Dr Michael Fiedrowicz Theologische Fakultaumlt Trier

Neugestaltung oder Wiederherstellung

Es ist eine schoumlne Fuumlgung wenn die diesjaumlhrige Hauptversammlung von bdquoPro Missa Tridentinaldquo auf das Fest des heiligen Papstes Pius V faumlllt ist doch sein Name unaufloumlslich mit dem klas-sischen roumlmischen Ritus verknuumlpft In der kurzen Einfuumlhrung sagt es das Schott-Meszligbuch (1962) bdquoDer groszlige Reformpapst tat sich hervor im Kampf gegen die Haumlretiker und Tuumlrken und durch die Neuordnung der Liturgieldquo Seine bleibende Bedeutung auf die-sem Gebiet betont die Hinfuumlhrung im Volksmeszligbuch von Urbanus Bomm (1953) bdquoZum Papst erhoben 1566 hat er durch seine Reformen die Liturgie geordnet und ihr die heutige einheit-liche Gestalt gegebenldquo Daher heiszligt es auch in der Oration des Tagesheili-gen bdquoGott Du hast in Deiner Huld den heiligen Pius zum Hohenpriester aus-erwaumlhlt um die Feinde der Kirche nie-derzuwerfen und den goumlttlichen Kult wieder herzustellenldquo - Divinum cultum reparare Das lateinische Wort reparare bedeutet wieder erwerben wieder her-stellen wieder aufbauen wieder kraumlfti-gen Die entsprechenden Lexika nen-nen als Beispiele des Wortgebrauchs verlorene Dinge wiedergewinnen ent-standenen Schaden beheben Kraumlfte erneuern Verfaumlnglich wenn nicht gar irrefuumlhrend ist daher die Uumlbersetzung in dem sonst sehr getreu uumlbertragen-den Volksmeszligbuch von Bomm Dort heiszligt es Gott habe den heiligen Pius erwaumlhlt um bdquoden Gottesdienst neu zu gestaltenldquo Zweifellos konnte man in den fuumlnfziger Jahren des letzten Jahr-

hunderts noch unbekuumlmmert eine sol-che Formulierung gebrauchen ahnte damals doch noch niemand was es schon gut zehn Jahre spaumlter bedeu-ten sollte bdquoden Gottesdienst neu zu gestaltenldquo Nein haumltte Papst Pius V in bdquoUmsetzungldquo der Beschluumlsse des Kon-zils von Trient den Gottesdienst tat-saumlchlich bdquoneu gestaltetldquo so haumltte die-ses Reformwerk - das Missale von 1570 ndash nicht kraftvoll vierhundert Jahre na-hezu unveraumlndert uumlberdauert Haumltte der Papst bzw die von ihm eingesetz-te Reformkommission etwas Neues geschaffen und an die Stelle des Alten bisher Guumlltigen und jahrhundertelang Uumlberlieferten gesetzt so waumlre dies vielleicht nicht unbedingt auch nur bdquoein plattes Produkt des Augenblicksldquo gewesen um eine bekannte Formu-lierung von Kardinal Ratzinger aufzu-greifen1 Das theologische Niveau und die humanistische Bildung jener Zeit haumltten solches vermutlich verhindert Gleichwohl haumltte sich auch unter die-sen Voraussetzungen schon sehr bald das bdquoneu Gestalteteldquo als zeitbedingt wiederum als reformbeduumlrftig uumlber-holt und veraltet erwiesen und nach weiteren Neuerungen verlangt

Gewiszlig werden die Liturgiewissen-schaftler nicht muumlde auf Veraumlnde-rungen zu verweisen die auch das sogenannte Meszligbuch von Trient in der Folgezeit staumlndig erfahren hat um dessen Unantastbarkeit in Frage zu stellen und ihr eigenes Reformwerk bzw das des II Vatikanums zu recht-fertigen Bei naumlherer Betrachtung aber zeigt sich mit welch groszliger Achtung vor dem Uumlberkommenen spaumltere Paumlpste verfuhren um jenes Missale neuen Erfordernissen anzupassen Die Beispiele sind weitgehend bekannt neue Praumlfationen kamen hinzu neue

1 Vgl Vorwort zu Simandron ndash der Wachklopfer Gedenkschrift fuumlr Msgr DDr Klaus Gamber hg von W Nyssen Koumlln 1989 14f

Heiligenfeste wurden eingefuumlhrt die Rubriken wurden sprachlich uumlberar-beitet und leicht modifiziert

Ein anschauliches Beispiel fuumlr sol-che sinnvollen Neuerungen ist auch das heutige Meszligformular Si diligis me

Papst Pius XII lieszlig 1942 dieses neue Formular in das Missale aufnehmen damit es an den Festen heiliger Paumlpste verwendet werde Das Einfuumlhrungsde-kret erlaumlutert die Gruumlnde Wenngleich die Pforten der Houmllle immer versucht haumltten den starken apostolischen Fel-sen mit heftigen Angriffen zu erschuumlt-tern bdquoso trachten die Kirchenfeinde in heutiger Zeit da man grundsaumltzlich jede uumlbernatuumlrliche Weltordnung leugnet in ruumlcksichtsloser Weise da-nach unmittelbar die Paumlpste selbst mit ihren Hieben zu treffen und mit boumlswilligen Aussagen zu bemaumlkeln Um diesen beklagenswerten Ausfaumll-len zu begegnen und der Wuumlrde der Paumlpste die ihnen Gott verliehen im-mer groumlszligere Achtung zu verschaffen und um schlieszliglich diejenigen Paumlpste die durch Heiligkeit hervorgeleuchtet mehr und mehr zu Ehren zu bringen hat unser Heiliger Vater Papst Pius XII angeordnet daszlig eine neue Messe fuumlr die Feste der heiligen Paumlpste geschaf-fen werdeldquo2

Wir sehen welcher Art die Aumlnde-rungen waren die das Missale Piuslsquo V kontinuierlich erfuhr und aus welchen Motiven heraus diese geschahen in welchem Geist man es tat Wenn es also uumlber vierhundert Jahre hinweg stets nur geringfuumlgige Aumlnderungen waren die niemals den Ordo Missae selbst tangierten dann liegt diese Zuruumlckhaltung nicht allein darin be-gruumlndet daszlig sich die nachfolgenden Paumlpste an die Promulgationsbulle bdquoQuo primumldquo (MRom 1570) gebun-den wuszligten in der Pius V bekanntlich

2 Zitiert nach Lateinisch-Deutsches Volksmeszlig-buch hg U Bomm EinsiedelnKoumlln 91953 1454

5Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Erneuerung aus Uumlberlieferung

Papst Pius V amtierte von 1566 bis 1572 (Darstellung von El Greco)

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Der klassische roumlmische Ritus vermag sich auszuweisen durch die Kraft Heilige zu formen Konversionen zu erwirken Kuumlnstler zu inspirieren Das Trienter Missale hat denTest der Geschichte bestanden

sanktionierte daszlig bdquoan diesem Unse-rem kuumlrzlich edierten Missale niemals irgendetwas hinzugefuumlgt wegge-nommen oder geaumlndert werden darfldquo

Jahrhundertelang bewaumlhrtDas minimale Reformbeduumlrfnis

darf vielmehr durchaus auch als Guuml-tesiegel der sogenannten tridentini-schen Messe betrachtet werden Es bedurfte offenkundig keiner groumlszlige-ren Aumlnderungen weil dieser Ritus den liturgischen Beduumlrfnissen der Kirche in bester Weise entsprach und zwar uumlber vier Jahrhunderte hinweg

Wo und wann wurde nicht uumlberall Jahrhunderte hindurch genau diese Messe gefeiert in den groszligen Kathe-dralen Europas von Bischoumlfen und Kardinaumllen mit prachtvollen Para-menten begleitet von Choumlren und Or-chestern aber auch in den entlegens-ten Missionsstationen im Dschungel mit duumlrftigster Ausstattung in altehr-wuumlrdigen Abteikirchen ebenso wie in den Frontstellungen der Kriegsschau-plaumltze in Privatkapellen der Paumlpste ebenso wie in den Baracken der Kon-

zentrationslager bei Kaiser-kroumlnungen ebenso wie in den Klausen der Eremiten bei der Entdeckung neuer Kontinente ebenso wie in den Krankensaumllen mittelal-terlicher Spitaumller ndash immer und uumlberall war es dieselbe Messe

Wer hat nicht alles uumlber Jahrhunderte hinweg genau diese Messe gefeiert mit genau diesen Worten gebe-tet genau am gleichen Tag im Jahr dasselbe Evangeli-um gehoumlrt Thomas Morus

Teresa von Avila Ignatius von Loyola Petrus Canisius der Pfarrer von Ars Kardinal JH Newman Papst Pius X und zahllose weitere Heilige Wieviele Glaumlubige haben nicht um dieser Mes-se willen groumlszligte Opfer auf sich genom-men Wieviele sind nicht um dieser Messe willen zu Martyrern geworden Wieviele Konversionen hat es nicht gegeben ausgeloumlst durch die Begeg-nung gerade mit diesem Ritus

Welche Kunstwerke sind nicht ent-standen um gerade diesem Ritus zu dienen Man denke in der Musik an die einzigartigen Klaumlnge der Gregorianik an die groszligartigen Kompositionen ei-nes Palaumlstrina und Victoria man den-ke in der Architektur an die majestaumlti-schen Kathedralen oder die imposan-ten Werke eines Bramante und Michel-angelo In der Malerei zeigt Raffaels sogenannte Disputagrave den Triumph der heiligen Eucharistie die Himmel und Erde zu verbinden vermag und all jene um die Monstranz sammelt die das Meszligopfer in der uumlberlieferten Form gefeiert haben Schlieszliglich finden sich in der Literatur in unterschiedlicher

Form Reminiszenzen an diese Liturgie keineswegs nur bei katholischen Au-toren sondern sogar bei solchen die der Kirche fernstehen Der klassische Ritus vermag sich auszuweisen durch die Kraft Heilige zu formen Konversi-onen zu erwirken Kuumlnstler zu inspirie-ren Das Trienter Missale hat den Test der Geschichte bestanden

Erneuerung aus UumlberlieferungWoher ruumlhrt diese geheimnisvolle

Kraft der klassischen Liturgie Woher kommt es daszlig wir in diesem Jahr 2012 nun schon ein kleines Jubilaumlum bege-hen duumlrfen fuumlnfzig Jahre Missale Ro-manum 1962 das ja in seiner Substanz identisch ist mit dem Missale Piuslsquo V Woher kommt es daszlig dieses Missale trotz der allseits bekannten Umwaumll-zungen der letzten Jahrzehnte und trotz aller anhaltenden Widerstaumlnde heute noch auf unseren Altaumlren liegt mehrfach nachgedruckt wurde ja ge-genwaumlrtig von einer jungen Genera-tion von Priestern Seminaristen und Laien neu entdeckt und wertgeschaumltzt wird Diese geheimnisvolle Kraft und spirituelle Vitalitaumlt ruumlhrt daher daszlig Papst Pius V gerade nicht bdquoden Gottes-dienst neu gestaltenldquo wollte vielmehr nur der authentischen Uumlberlieferung Geltung zu schaffen suchte3 Wie der Papst in der Promulgationsbulle bdquoQuo primumldquo betonte bestand das Ergeb-nis der Kommissionsarbeit darin das Missale bdquoentsprechend der altehrwuumlr-digen Norm und dem Ritus der hei-ligen Vaumlter wiederhergestellt zu ha-benldquo (ad pristinam Missale sanctorum

3 Zum Folgenden vgl M Fiedrowicz Die uumlber-lieferte Messe Geschichte Gestalt und Theologie des klassischen roumlmischen Ritus MuumllheimMosel 2011 30-43

Ekstase der hl Theresa von Avila (GLBernini um 1650)

7Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo beschworen werden um das neue Meszligbuch

als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

Patrum normam ac ritum restituerunt) Es war also genau genommen we-der eine Reform im modernen Sinne noch eine Art archaumlologischer Rekon-struktion die einen vermeintlichen Urzustand wie man ihn sich in spaumlte-rer Zeit vorstellte zuruumlckholen sollte Ebenso der Titel des Meszligbuches (Mis-sale Romanum ex decreto restitutum) wie die Promulgationsbulle (Missale restituerunt) sprechen gleichermaszligen von einer Wiederherstellung

Eine solche Wiederherstellung war notwendig geworden um die Liturgie aus dem Zustand der Unsicherheit Verwirrung und Willkuumlr herauszu-fuumlhren in den sie aus verschiedenen Gruumlnden geraten war bislang fehlte eine einheitliche liturgische Gesetz-gebung der Gottesdienst wies vor allem im Spaumltmittelalter eine uumlberaus groszlige Vielfaumlltigkeit auf so daszlig sogar in ein und derselben Kirche die Pries-ter in unterschiedlichster Weise die Messe zelebrierten hinzu kamen exu-berant gewordene Ausdrucksformen zB eine nahezu unuumlberschaubare Zahl von Praumlfationen und Sequenzen schlieszliglich waren waumlhrend der Refor-mationszeit haumlretische Elemente in viele lokale Riten eingedrungen deren Folge wiederum waren willkuumlrliche Umgestaltungen der Messe ndash Fortlas-sen des Kanons Unterdruumlckung der dort genannten Heiligen Wegfall wichtiger Texte (Introitus Graduale Offertorium) und Einfuumlgung eigen-maumlchtiger Gebete Das Zusammenspiel all dieser Faktoren hatte zu einer tiefen Krise der Liturgie gefuumlhrt der Pius V die Reformimpulse des Tridentinums aufgreifend wirkungsvoll begegnete indem er das Missale Romanum von 1570 zur tragfaumlhigen Grundlage einer

umfassenden Erneuerung des liturgi-schen Lebens der Kirche machte Er verfuumlgte daszlig bdquovon nun an und fuumlr alle kuumlnftigen Zeitenldquo die Messe nach kei-ner anderen Form als der des von ihm herausgegebenen Missale zelebriert werden duumlrfe4

Dieses Missale war aber letztlich nichts Neues sondern basierte weit-gehend auf dem sogenannten Usus Curiae romanae wie er sich seit Papst Innozenz III (1198-1216) im Laufe der 4 Promulgations-Bulle bdquoQuo primumrdquo (MRom 1570) ne in posterum perpetuis futuris tempo-ribus alias quam iuxta Missalis a Nobis editi for-mulam decantetur aut recitetur

Jahrhunderte herausgebildet hatte Insofern das Missale der roumlmischen Kurie weitgehend frei geblieben war von den zahlreichen Fehlern die sich aus dem haumlufigen Abschreiben und Abdrucken ergaben vor allem aber von den spaumltmittelalterlichen Wuche-rungen unberuumlhrt blieb die in Form apokrypher Praumlfationen nur lokal be-deutsamer Heiligenfeste fragwuumlrdi-ger Votivmessen und volkstuumlmlicher Sequenzen Eingang in die liturgischen Buumlcher gefunden hatte konnte das in Rom selbst verwendete Missale dem Einheitsmeszligbuch zugrundegelegt

Hildegard von Bingen (1098 - 1179)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchtevermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgieeine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt

Levitiertes Hochamt in Kriegsruinen

werden das der Gesamtkirche vorge-schrieben werden sollte

Liturgiewissenschaftler bemaumlngeln gern jenes Reformwerk und sagen mit einem gewissen Bedauern damals zur Zeit des Konzils von Trient habe man es eben nicht besser gekonnt Die bdquoNorm der Vaumlterldquo sei aufgrund mangelnder Kenntnis aumllterer Quellen eben nur die roumlmische Liturgie zur Zeit Papst Gregors VII (1073-1085) gewe-sen leider aber nicht die alte Liturgie Roms aus den ersten Jahrhunderten Dieses Urteil entspringt jedoch jenem liturgischen Archaumlologismus der in

der Ruumlckkehr zu den fruumlhesten Ent-wicklungsstadien das Ideal erblickt und alles spaumlter Gewordene als Ver-fremdung betrachtet die es zu uumlber-winden gilt Weder die Konzilsvaumlter von Trient noch Papst Pius V haumltten sich eine solche Sichtweise zu eigen gemacht Sie wuszligten um die Legitimi-taumlt einer organischen Entwicklung der Liturgie und waren uumlberzeugt daszlig der roumlmische Ritus auch nach der Fruumlhzeit der Kirche viele wertvolle Elemente in sich aufgenommen hatte die es zu be-wahren galt zB das Stufengebet die Offertoriumsgebete die Kanonstille

die priesterlichen Vorbereitungsgebe-te vor der heiligen Kommunion der Schluszligsegen der urspruumlnglich den Bi-schoumlfen vorbehalten war und anderes mehr

Mit der Schaffung eines Missale das Einheit im Ritus Klarheit in den Ru-briken und Rechtglaumlubigkeit im Beten garantierte das nichts Neues einfuumlhr-te vielmehr die klassische Ordnung wiederherstellte indem die liturgische Tradition der roumlmischen Kurie den Maszligstab bildete um Miszligbraumluche ab-zustellen und den Ritus von religioumlsem Subjektivismus sowie sonstigen Uumlber-

9Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquoerfunden werden um das neue Meszligbuchals adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas sie Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

lagerungen zu befreien war der Inten-tion des Konzils von Trient in bester Weise entsprochen worden Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo be-schworen werden um das neue Meszlig-buch als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarieren was die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten Vereinheitlichung des Meszligritus und bdquoWiederherstellung des Urspruumlnglichen ehrwuumlrdig Al-ten und damit des Roumlmischen in der Meszligliturgieldquo waren die beiden wich-tigsten Reformwuumlnsche5 Das Missale Romanum von 1570 entsprach den seit langem erhobenen Forderungen nach einer einheitlichen Norm fuumlr den roumlmisch-lateinischen Ritus Es war ein eindrucksvolles Ergebnis der katholi-schen Reformbewegung des 16 Jahr-hunderts die im Konzil von Trient ih-ren greifbarsten und zukunftsweisen-den Ausdruck fand Das Missale Ro-manum fand insgesamt gesehen eine schnelle Rezeption auf weltkirchlicher Ebene Fuumlr die folgenden Jahrhunder-te war es das Meszligbuch der roumlmisch-katholischen Kirche

Anthropozentrik oder Theozentrik der Liturgie

Papst Pius V starb am 1 Mai 1572 Im Jahre 1672 wurde er seliggespro-chen 1712 erfolgte seine Heiligspre-chung Das Missale von 1962 gedenkt seiner mit einem Fest dritten Ranges Es waumlre allerdings eine grobe Verken-nung liturgischer Rangstufen wollte man hierin nur eine bdquodrittklassigeldquo Ver-ehrung sehen die dem heiligen Papst in der alten Liturgie die er maszliggeblich praumlgte zuteil wird Drittklassige Ver-

5 H Jedin Das Konzil von Trient und die Reform des roumlmischen Meszligbuchs Liturgisches Leben 6 (1939) 30-66 52

ehrung im negativen Sinn ist hinge-gen das was der Novus Ordo aus dem einstigen Fest gemacht hat indem er diesem Heiligen nur eine memoria ad libitum zubilligte einen Gedenktag dessen Feier dem Belieben des Zele-branten anheimgestellt ist Deutlicher konnten die hierfuumlr verantwortlichen Reformer wohl kaum zum Ausdruck bringen was sie von der mit dem Namen dieses Papstes verbundenen Liturgie hielten wie sehr sie von dem Wunsch beseelt waren Neues an die Stelle des Bisherigen zu setzen Be-kanntlich gibt es nichts Intoleranteres als an die Macht gekommene Revolu-tionaumlre

In einem Interview aumluszligerte der renommierte Liturgiehistoriker und Benediktiner Alcuin Reid auf die Fra-ge bdquoKontinuitaumlt oder Bruchldquo es gebe Anzeichen bdquodie darauf hindeuten daszlig die fuumlr die Reform Verantwortlichen einen Bruch im Sinn hatten ndash sowohl in theologischer als auch in ritueller Hinsicht Das was durch die Tradition uumlberliefert war wollten sie nicht Sie wollten das auch nicht weiterentwi-ckeln Sie wollten etwas Neues das den sbquomodernen Menschenlsquo der sechzi-ger Jahre widerspiegelte und was die-ser ihrer Meinung nach brauchteldquo6 Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchte vermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgie eine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt7

Braucht der moderne Mensch An-fang des dritten Jahrtausends jene Liturgie noch Oder braucht er sie viel-leicht gerade wieder Braucht er sie

6 Zitat nach Die Tagespost 0510 2011 S 57 So A Haumluszligling Liturgiereform Materialien zu einem neuen Thema Archiv der Liturgiewissen-schaft 31 (1989) 1-23 29

moumlglicherweise dringender denn je weil die anthropozentrische Wende der reformierten Liturgie ndash die Aus-richtung des Gottesdienstes primaumlr auf den Menschen - nicht das ist was er wirklich und im Innersten braucht

Die Tagesoration bittet bdquoGib daszlig wir durch seinen Beistand beschirmt werdenldquo ndash fac nos ipsius defendi praesi-diis Woumlrtlicher noch muumlszligte es heiszligen bdquolasse uns durch seinen Schutz seine Hilfe sein Geleit verteidigt seinldquo Inwie-fern koumlnnte Papst Pius V nicht nur im allgemeinen himmlischer Fuumlrsprecher der irdischen Kirche sein insbesonde-re all derer die sich pro missa tridenti-na engagieren sondern gerade mit der von ihm kodifizierten Liturgie uns heute hilfreich verteidigen

bdquoAuch wir haben den Kult des Men-schenldquo beteuerte Papst Paul VI 1965 in seiner Ansprache zur Eroumlffnung der letzten oumlffentlichen Sitzung des II Va-tikanum am 7 Dezember 1965 Er ap-pellierte an die Unglaumlubigen mit den Worten bdquoDieses Lob spendet wenig-stens dem Konzil ihr die ihr in diesem unseren Zeitalter den Kult der Mensch-lichkeit pflegt und die Wahrheiten die die Natur der Dinge uumlbersteigen zu-ruumlckweist anerkennt zugleich unsere neuartige Bemuumlhung um die Mensch-lichkeit auch wir ja wir mehr noch als die anderen sind Verehrer des Menschenldquo ndash Cultores hominis sumus8 Der vorausgegangene Kontext paral-lelisierte nun aber ausdruumlcklich cultus Dei (bdquoVerehrung Gottesldquo) und cultus hominis (bdquoVerehrung des Menschenldquo) Gewiszlig war damit zunaumlchst gemeint daszlig die Sorge der Kirche stets dem Menschen gelte Eine Selbstverstaumlnd-lichkeit die gerade in jenen Epochen

8 AAS 58 (1966) 56

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Garant der Theozentrik ist hier aber auchdie bis auf das Aumluszligerste minimierte Moumlglichkeitdaszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen

der Kirchengeschichte am aufopfe-rungsvollsten verwirklicht wurde wo am wenigsten daruumlber geredet wurde Die Formulierung und ausdruumlckliche Parallelisierung mit dem bdquoGotteskultldquo hingegen erscheint fragwuumlrdig und wurde entsprechend kritisiert bdquoKult des Menschenldquo Muszlig ein Papst so re-den Muszlig sich die Kirche in dieser Wei-se der unglaumlubigen Welt anempfeh-len Verraumlt sich in dieser Formulierung nicht die Mentalitaumlt der sechziger Jah-re die das Konzil praumlgte und auch die Liturgiereform impraumlgnierte

bdquoDer Mensch ndash das Maszlig aller Din-geldquo Man koumlnnte meinen der griechi-sche Sophist Protagoras von dem die sogenannte homo mensura-Maxime stammt habe Sitz und Stimme im Consilium gehabt dem Rat zur Durch-fuumlhrung der Liturgiereform Alles muszlig dann diesem Menschen restlos ver-staumlndlich und faszligbar sein Uumlberall muszlig er sich aktiv einbringen koumlnnen Stets muszlig er sich mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und alltaumlglichen Beduumlrf-nissen wiederfinden koumlnnen Was mit der Maxime ndash bdquoder Mensch ndash das Maszlig aller Dingeldquo ndash nicht kompatibel erscheint wird abgeschafft gekuumlrzt uminterpretiert frei uumlbersetzt durch

neue Texte ersetzt zur bloszligen Wahl-moumlglichkeit herabgestuft Der Erfin-dungsreichtum ist groszlig damit endlich auch die katholische Kirche sich ruumlh-men koumlnne den bdquoKult des Menschen zu habenldquo

Ganz anders ndash naumlmlich theozent-risch ndash orientiert war das Reformwerk Piuslsquo V bdquoDen goumlttlichen Kult wiederher-zustellenldquo sei seine Berufung gewe-sen sagt die Tagesoration ndash divinum cultum reparare Das Adjektiv bdquogoumlttlich ndash divinusldquo gewinnt fuumlr uns ungeahnte Aktualitaumlt Es ist die ausgepraumlgte Theo-zentrik der klassischen Liturgie die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt Diese primaumlre Ausrich-tung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung ver-sus altare in der Sakralsprache in der Kanonstille in unzaumlhligen Zeichen der Reverenz ndash Kniebeugen Verneigun-gen Verhuumlllungen Kreuzzeichen - in der ganzen Atmosphaumlre der Sakralitaumlt die der klassische Ritus ausstrahlt

Garant der Theozentrik ist hier aber auch die bis auf das Aumluszligerste mini-mierte Moumlglichkeit daszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen Gertrud von le Fort klagt in ihren bdquoHymnen an die KircheldquobdquoWer errettet meine Seele vor den Wor-ten der Menschen Sie toumlnen aus der Ferne wie Posaunen aber wenn sie nahe kommen tragen sie nur Schellen Sie draumlngen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln aber wenn der Wind aufsteht zerflattert ihr Gepraumlnge Houmlret ihr Lauten und Vermeszlignen ihr Wetterfluumlchtrsquogen des Geistes und ihr Kin-der eurer Willkuumlr Wir sind verdurstet bei euren Quellen wir sind verhungert bei eurer Speise wir

sind blind geworden bei euren Lampen Ihr seid wie eine Straszlige die nie an-kommt ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber Ihr seid wie ein treibendes Gewaumlsser immer ist in eurem Munde euer eignes Rauschenldquo9

Wer erinnert sich hier nicht un-willkuumlrlich an manches Erlebnis mit der neuen Liturgie die menschlicher Redseligkeit weiten Spielraum laumlszligt ausufernde persoumlnliche Begruumlszligungen und Verabschiedungen unermuumldli-ches Kommentieren aller liturgischen Handlungen oder Texte selbstfabri-zierte Fuumlrbitten ebenso duumlrftig im Inhalt wie banal im Ausdruck bdquoLauter kleine Schritte um euch selber Immer ist in eurem Munde euer eignes Rau-schenldquo Der traditionelle Ritus bietet diesem Kreisen um sich selber keiner-lei Raum fuumlr ein Sich-Berauschen an den eigenen Worten gibt es keinen Platz bdquoWer errettet meine Seele vor den Worten der Menschenldquo ndash bdquoder klassische Ritusldquo lautet die einfache Antwort Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimension der Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassen dies ist das Gebot der Stunde

Reichtum der klassischen Gebetssprache

Zum Reichtum der uumlberlieferten Messe gehoumlrt ebenso die Sprache ihrer Gebete Houmlren wir nochmals Gertrud von le Fort in ihren bdquoHymnen an die Kircheldquo wo die Seele zu dieser spricht bdquoDeine Gebete sind wie tausendjaumlhrige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere hellip

9 G von le Fort Hymnen an die Kirche Muumlnchen 51948 22

Papst Paul VI (1897 +1978 Papst 1963-1978)

11Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

5Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Erneuerung aus Uumlberlieferung

Papst Pius V amtierte von 1566 bis 1572 (Darstellung von El Greco)

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Der klassische roumlmische Ritus vermag sich auszuweisen durch die Kraft Heilige zu formen Konversionen zu erwirken Kuumlnstler zu inspirieren Das Trienter Missale hat denTest der Geschichte bestanden

sanktionierte daszlig bdquoan diesem Unse-rem kuumlrzlich edierten Missale niemals irgendetwas hinzugefuumlgt wegge-nommen oder geaumlndert werden darfldquo

Jahrhundertelang bewaumlhrtDas minimale Reformbeduumlrfnis

darf vielmehr durchaus auch als Guuml-tesiegel der sogenannten tridentini-schen Messe betrachtet werden Es bedurfte offenkundig keiner groumlszlige-ren Aumlnderungen weil dieser Ritus den liturgischen Beduumlrfnissen der Kirche in bester Weise entsprach und zwar uumlber vier Jahrhunderte hinweg

Wo und wann wurde nicht uumlberall Jahrhunderte hindurch genau diese Messe gefeiert in den groszligen Kathe-dralen Europas von Bischoumlfen und Kardinaumllen mit prachtvollen Para-menten begleitet von Choumlren und Or-chestern aber auch in den entlegens-ten Missionsstationen im Dschungel mit duumlrftigster Ausstattung in altehr-wuumlrdigen Abteikirchen ebenso wie in den Frontstellungen der Kriegsschau-plaumltze in Privatkapellen der Paumlpste ebenso wie in den Baracken der Kon-

zentrationslager bei Kaiser-kroumlnungen ebenso wie in den Klausen der Eremiten bei der Entdeckung neuer Kontinente ebenso wie in den Krankensaumllen mittelal-terlicher Spitaumller ndash immer und uumlberall war es dieselbe Messe

Wer hat nicht alles uumlber Jahrhunderte hinweg genau diese Messe gefeiert mit genau diesen Worten gebe-tet genau am gleichen Tag im Jahr dasselbe Evangeli-um gehoumlrt Thomas Morus

Teresa von Avila Ignatius von Loyola Petrus Canisius der Pfarrer von Ars Kardinal JH Newman Papst Pius X und zahllose weitere Heilige Wieviele Glaumlubige haben nicht um dieser Mes-se willen groumlszligte Opfer auf sich genom-men Wieviele sind nicht um dieser Messe willen zu Martyrern geworden Wieviele Konversionen hat es nicht gegeben ausgeloumlst durch die Begeg-nung gerade mit diesem Ritus

Welche Kunstwerke sind nicht ent-standen um gerade diesem Ritus zu dienen Man denke in der Musik an die einzigartigen Klaumlnge der Gregorianik an die groszligartigen Kompositionen ei-nes Palaumlstrina und Victoria man den-ke in der Architektur an die majestaumlti-schen Kathedralen oder die imposan-ten Werke eines Bramante und Michel-angelo In der Malerei zeigt Raffaels sogenannte Disputagrave den Triumph der heiligen Eucharistie die Himmel und Erde zu verbinden vermag und all jene um die Monstranz sammelt die das Meszligopfer in der uumlberlieferten Form gefeiert haben Schlieszliglich finden sich in der Literatur in unterschiedlicher

Form Reminiszenzen an diese Liturgie keineswegs nur bei katholischen Au-toren sondern sogar bei solchen die der Kirche fernstehen Der klassische Ritus vermag sich auszuweisen durch die Kraft Heilige zu formen Konversi-onen zu erwirken Kuumlnstler zu inspirie-ren Das Trienter Missale hat den Test der Geschichte bestanden

Erneuerung aus UumlberlieferungWoher ruumlhrt diese geheimnisvolle

Kraft der klassischen Liturgie Woher kommt es daszlig wir in diesem Jahr 2012 nun schon ein kleines Jubilaumlum bege-hen duumlrfen fuumlnfzig Jahre Missale Ro-manum 1962 das ja in seiner Substanz identisch ist mit dem Missale Piuslsquo V Woher kommt es daszlig dieses Missale trotz der allseits bekannten Umwaumll-zungen der letzten Jahrzehnte und trotz aller anhaltenden Widerstaumlnde heute noch auf unseren Altaumlren liegt mehrfach nachgedruckt wurde ja ge-genwaumlrtig von einer jungen Genera-tion von Priestern Seminaristen und Laien neu entdeckt und wertgeschaumltzt wird Diese geheimnisvolle Kraft und spirituelle Vitalitaumlt ruumlhrt daher daszlig Papst Pius V gerade nicht bdquoden Gottes-dienst neu gestaltenldquo wollte vielmehr nur der authentischen Uumlberlieferung Geltung zu schaffen suchte3 Wie der Papst in der Promulgationsbulle bdquoQuo primumldquo betonte bestand das Ergeb-nis der Kommissionsarbeit darin das Missale bdquoentsprechend der altehrwuumlr-digen Norm und dem Ritus der hei-ligen Vaumlter wiederhergestellt zu ha-benldquo (ad pristinam Missale sanctorum

3 Zum Folgenden vgl M Fiedrowicz Die uumlber-lieferte Messe Geschichte Gestalt und Theologie des klassischen roumlmischen Ritus MuumllheimMosel 2011 30-43

Ekstase der hl Theresa von Avila (GLBernini um 1650)

7Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo beschworen werden um das neue Meszligbuch

als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

Patrum normam ac ritum restituerunt) Es war also genau genommen we-der eine Reform im modernen Sinne noch eine Art archaumlologischer Rekon-struktion die einen vermeintlichen Urzustand wie man ihn sich in spaumlte-rer Zeit vorstellte zuruumlckholen sollte Ebenso der Titel des Meszligbuches (Mis-sale Romanum ex decreto restitutum) wie die Promulgationsbulle (Missale restituerunt) sprechen gleichermaszligen von einer Wiederherstellung

Eine solche Wiederherstellung war notwendig geworden um die Liturgie aus dem Zustand der Unsicherheit Verwirrung und Willkuumlr herauszu-fuumlhren in den sie aus verschiedenen Gruumlnden geraten war bislang fehlte eine einheitliche liturgische Gesetz-gebung der Gottesdienst wies vor allem im Spaumltmittelalter eine uumlberaus groszlige Vielfaumlltigkeit auf so daszlig sogar in ein und derselben Kirche die Pries-ter in unterschiedlichster Weise die Messe zelebrierten hinzu kamen exu-berant gewordene Ausdrucksformen zB eine nahezu unuumlberschaubare Zahl von Praumlfationen und Sequenzen schlieszliglich waren waumlhrend der Refor-mationszeit haumlretische Elemente in viele lokale Riten eingedrungen deren Folge wiederum waren willkuumlrliche Umgestaltungen der Messe ndash Fortlas-sen des Kanons Unterdruumlckung der dort genannten Heiligen Wegfall wichtiger Texte (Introitus Graduale Offertorium) und Einfuumlgung eigen-maumlchtiger Gebete Das Zusammenspiel all dieser Faktoren hatte zu einer tiefen Krise der Liturgie gefuumlhrt der Pius V die Reformimpulse des Tridentinums aufgreifend wirkungsvoll begegnete indem er das Missale Romanum von 1570 zur tragfaumlhigen Grundlage einer

umfassenden Erneuerung des liturgi-schen Lebens der Kirche machte Er verfuumlgte daszlig bdquovon nun an und fuumlr alle kuumlnftigen Zeitenldquo die Messe nach kei-ner anderen Form als der des von ihm herausgegebenen Missale zelebriert werden duumlrfe4

Dieses Missale war aber letztlich nichts Neues sondern basierte weit-gehend auf dem sogenannten Usus Curiae romanae wie er sich seit Papst Innozenz III (1198-1216) im Laufe der 4 Promulgations-Bulle bdquoQuo primumrdquo (MRom 1570) ne in posterum perpetuis futuris tempo-ribus alias quam iuxta Missalis a Nobis editi for-mulam decantetur aut recitetur

Jahrhunderte herausgebildet hatte Insofern das Missale der roumlmischen Kurie weitgehend frei geblieben war von den zahlreichen Fehlern die sich aus dem haumlufigen Abschreiben und Abdrucken ergaben vor allem aber von den spaumltmittelalterlichen Wuche-rungen unberuumlhrt blieb die in Form apokrypher Praumlfationen nur lokal be-deutsamer Heiligenfeste fragwuumlrdi-ger Votivmessen und volkstuumlmlicher Sequenzen Eingang in die liturgischen Buumlcher gefunden hatte konnte das in Rom selbst verwendete Missale dem Einheitsmeszligbuch zugrundegelegt

Hildegard von Bingen (1098 - 1179)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

8

Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchtevermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgieeine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt

Levitiertes Hochamt in Kriegsruinen

werden das der Gesamtkirche vorge-schrieben werden sollte

Liturgiewissenschaftler bemaumlngeln gern jenes Reformwerk und sagen mit einem gewissen Bedauern damals zur Zeit des Konzils von Trient habe man es eben nicht besser gekonnt Die bdquoNorm der Vaumlterldquo sei aufgrund mangelnder Kenntnis aumllterer Quellen eben nur die roumlmische Liturgie zur Zeit Papst Gregors VII (1073-1085) gewe-sen leider aber nicht die alte Liturgie Roms aus den ersten Jahrhunderten Dieses Urteil entspringt jedoch jenem liturgischen Archaumlologismus der in

der Ruumlckkehr zu den fruumlhesten Ent-wicklungsstadien das Ideal erblickt und alles spaumlter Gewordene als Ver-fremdung betrachtet die es zu uumlber-winden gilt Weder die Konzilsvaumlter von Trient noch Papst Pius V haumltten sich eine solche Sichtweise zu eigen gemacht Sie wuszligten um die Legitimi-taumlt einer organischen Entwicklung der Liturgie und waren uumlberzeugt daszlig der roumlmische Ritus auch nach der Fruumlhzeit der Kirche viele wertvolle Elemente in sich aufgenommen hatte die es zu be-wahren galt zB das Stufengebet die Offertoriumsgebete die Kanonstille

die priesterlichen Vorbereitungsgebe-te vor der heiligen Kommunion der Schluszligsegen der urspruumlnglich den Bi-schoumlfen vorbehalten war und anderes mehr

Mit der Schaffung eines Missale das Einheit im Ritus Klarheit in den Ru-briken und Rechtglaumlubigkeit im Beten garantierte das nichts Neues einfuumlhr-te vielmehr die klassische Ordnung wiederherstellte indem die liturgische Tradition der roumlmischen Kurie den Maszligstab bildete um Miszligbraumluche ab-zustellen und den Ritus von religioumlsem Subjektivismus sowie sonstigen Uumlber-

9Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquoerfunden werden um das neue Meszligbuchals adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas sie Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

lagerungen zu befreien war der Inten-tion des Konzils von Trient in bester Weise entsprochen worden Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo be-schworen werden um das neue Meszlig-buch als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarieren was die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten Vereinheitlichung des Meszligritus und bdquoWiederherstellung des Urspruumlnglichen ehrwuumlrdig Al-ten und damit des Roumlmischen in der Meszligliturgieldquo waren die beiden wich-tigsten Reformwuumlnsche5 Das Missale Romanum von 1570 entsprach den seit langem erhobenen Forderungen nach einer einheitlichen Norm fuumlr den roumlmisch-lateinischen Ritus Es war ein eindrucksvolles Ergebnis der katholi-schen Reformbewegung des 16 Jahr-hunderts die im Konzil von Trient ih-ren greifbarsten und zukunftsweisen-den Ausdruck fand Das Missale Ro-manum fand insgesamt gesehen eine schnelle Rezeption auf weltkirchlicher Ebene Fuumlr die folgenden Jahrhunder-te war es das Meszligbuch der roumlmisch-katholischen Kirche

Anthropozentrik oder Theozentrik der Liturgie

Papst Pius V starb am 1 Mai 1572 Im Jahre 1672 wurde er seliggespro-chen 1712 erfolgte seine Heiligspre-chung Das Missale von 1962 gedenkt seiner mit einem Fest dritten Ranges Es waumlre allerdings eine grobe Verken-nung liturgischer Rangstufen wollte man hierin nur eine bdquodrittklassigeldquo Ver-ehrung sehen die dem heiligen Papst in der alten Liturgie die er maszliggeblich praumlgte zuteil wird Drittklassige Ver-

5 H Jedin Das Konzil von Trient und die Reform des roumlmischen Meszligbuchs Liturgisches Leben 6 (1939) 30-66 52

ehrung im negativen Sinn ist hinge-gen das was der Novus Ordo aus dem einstigen Fest gemacht hat indem er diesem Heiligen nur eine memoria ad libitum zubilligte einen Gedenktag dessen Feier dem Belieben des Zele-branten anheimgestellt ist Deutlicher konnten die hierfuumlr verantwortlichen Reformer wohl kaum zum Ausdruck bringen was sie von der mit dem Namen dieses Papstes verbundenen Liturgie hielten wie sehr sie von dem Wunsch beseelt waren Neues an die Stelle des Bisherigen zu setzen Be-kanntlich gibt es nichts Intoleranteres als an die Macht gekommene Revolu-tionaumlre

In einem Interview aumluszligerte der renommierte Liturgiehistoriker und Benediktiner Alcuin Reid auf die Fra-ge bdquoKontinuitaumlt oder Bruchldquo es gebe Anzeichen bdquodie darauf hindeuten daszlig die fuumlr die Reform Verantwortlichen einen Bruch im Sinn hatten ndash sowohl in theologischer als auch in ritueller Hinsicht Das was durch die Tradition uumlberliefert war wollten sie nicht Sie wollten das auch nicht weiterentwi-ckeln Sie wollten etwas Neues das den sbquomodernen Menschenlsquo der sechzi-ger Jahre widerspiegelte und was die-ser ihrer Meinung nach brauchteldquo6 Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchte vermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgie eine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt7

Braucht der moderne Mensch An-fang des dritten Jahrtausends jene Liturgie noch Oder braucht er sie viel-leicht gerade wieder Braucht er sie

6 Zitat nach Die Tagespost 0510 2011 S 57 So A Haumluszligling Liturgiereform Materialien zu einem neuen Thema Archiv der Liturgiewissen-schaft 31 (1989) 1-23 29

moumlglicherweise dringender denn je weil die anthropozentrische Wende der reformierten Liturgie ndash die Aus-richtung des Gottesdienstes primaumlr auf den Menschen - nicht das ist was er wirklich und im Innersten braucht

Die Tagesoration bittet bdquoGib daszlig wir durch seinen Beistand beschirmt werdenldquo ndash fac nos ipsius defendi praesi-diis Woumlrtlicher noch muumlszligte es heiszligen bdquolasse uns durch seinen Schutz seine Hilfe sein Geleit verteidigt seinldquo Inwie-fern koumlnnte Papst Pius V nicht nur im allgemeinen himmlischer Fuumlrsprecher der irdischen Kirche sein insbesonde-re all derer die sich pro missa tridenti-na engagieren sondern gerade mit der von ihm kodifizierten Liturgie uns heute hilfreich verteidigen

bdquoAuch wir haben den Kult des Men-schenldquo beteuerte Papst Paul VI 1965 in seiner Ansprache zur Eroumlffnung der letzten oumlffentlichen Sitzung des II Va-tikanum am 7 Dezember 1965 Er ap-pellierte an die Unglaumlubigen mit den Worten bdquoDieses Lob spendet wenig-stens dem Konzil ihr die ihr in diesem unseren Zeitalter den Kult der Mensch-lichkeit pflegt und die Wahrheiten die die Natur der Dinge uumlbersteigen zu-ruumlckweist anerkennt zugleich unsere neuartige Bemuumlhung um die Mensch-lichkeit auch wir ja wir mehr noch als die anderen sind Verehrer des Menschenldquo ndash Cultores hominis sumus8 Der vorausgegangene Kontext paral-lelisierte nun aber ausdruumlcklich cultus Dei (bdquoVerehrung Gottesldquo) und cultus hominis (bdquoVerehrung des Menschenldquo) Gewiszlig war damit zunaumlchst gemeint daszlig die Sorge der Kirche stets dem Menschen gelte Eine Selbstverstaumlnd-lichkeit die gerade in jenen Epochen

8 AAS 58 (1966) 56

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Garant der Theozentrik ist hier aber auchdie bis auf das Aumluszligerste minimierte Moumlglichkeitdaszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen

der Kirchengeschichte am aufopfe-rungsvollsten verwirklicht wurde wo am wenigsten daruumlber geredet wurde Die Formulierung und ausdruumlckliche Parallelisierung mit dem bdquoGotteskultldquo hingegen erscheint fragwuumlrdig und wurde entsprechend kritisiert bdquoKult des Menschenldquo Muszlig ein Papst so re-den Muszlig sich die Kirche in dieser Wei-se der unglaumlubigen Welt anempfeh-len Verraumlt sich in dieser Formulierung nicht die Mentalitaumlt der sechziger Jah-re die das Konzil praumlgte und auch die Liturgiereform impraumlgnierte

bdquoDer Mensch ndash das Maszlig aller Din-geldquo Man koumlnnte meinen der griechi-sche Sophist Protagoras von dem die sogenannte homo mensura-Maxime stammt habe Sitz und Stimme im Consilium gehabt dem Rat zur Durch-fuumlhrung der Liturgiereform Alles muszlig dann diesem Menschen restlos ver-staumlndlich und faszligbar sein Uumlberall muszlig er sich aktiv einbringen koumlnnen Stets muszlig er sich mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und alltaumlglichen Beduumlrf-nissen wiederfinden koumlnnen Was mit der Maxime ndash bdquoder Mensch ndash das Maszlig aller Dingeldquo ndash nicht kompatibel erscheint wird abgeschafft gekuumlrzt uminterpretiert frei uumlbersetzt durch

neue Texte ersetzt zur bloszligen Wahl-moumlglichkeit herabgestuft Der Erfin-dungsreichtum ist groszlig damit endlich auch die katholische Kirche sich ruumlh-men koumlnne den bdquoKult des Menschen zu habenldquo

Ganz anders ndash naumlmlich theozent-risch ndash orientiert war das Reformwerk Piuslsquo V bdquoDen goumlttlichen Kult wiederher-zustellenldquo sei seine Berufung gewe-sen sagt die Tagesoration ndash divinum cultum reparare Das Adjektiv bdquogoumlttlich ndash divinusldquo gewinnt fuumlr uns ungeahnte Aktualitaumlt Es ist die ausgepraumlgte Theo-zentrik der klassischen Liturgie die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt Diese primaumlre Ausrich-tung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung ver-sus altare in der Sakralsprache in der Kanonstille in unzaumlhligen Zeichen der Reverenz ndash Kniebeugen Verneigun-gen Verhuumlllungen Kreuzzeichen - in der ganzen Atmosphaumlre der Sakralitaumlt die der klassische Ritus ausstrahlt

Garant der Theozentrik ist hier aber auch die bis auf das Aumluszligerste mini-mierte Moumlglichkeit daszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen Gertrud von le Fort klagt in ihren bdquoHymnen an die KircheldquobdquoWer errettet meine Seele vor den Wor-ten der Menschen Sie toumlnen aus der Ferne wie Posaunen aber wenn sie nahe kommen tragen sie nur Schellen Sie draumlngen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln aber wenn der Wind aufsteht zerflattert ihr Gepraumlnge Houmlret ihr Lauten und Vermeszlignen ihr Wetterfluumlchtrsquogen des Geistes und ihr Kin-der eurer Willkuumlr Wir sind verdurstet bei euren Quellen wir sind verhungert bei eurer Speise wir

sind blind geworden bei euren Lampen Ihr seid wie eine Straszlige die nie an-kommt ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber Ihr seid wie ein treibendes Gewaumlsser immer ist in eurem Munde euer eignes Rauschenldquo9

Wer erinnert sich hier nicht un-willkuumlrlich an manches Erlebnis mit der neuen Liturgie die menschlicher Redseligkeit weiten Spielraum laumlszligt ausufernde persoumlnliche Begruumlszligungen und Verabschiedungen unermuumldli-ches Kommentieren aller liturgischen Handlungen oder Texte selbstfabri-zierte Fuumlrbitten ebenso duumlrftig im Inhalt wie banal im Ausdruck bdquoLauter kleine Schritte um euch selber Immer ist in eurem Munde euer eignes Rau-schenldquo Der traditionelle Ritus bietet diesem Kreisen um sich selber keiner-lei Raum fuumlr ein Sich-Berauschen an den eigenen Worten gibt es keinen Platz bdquoWer errettet meine Seele vor den Worten der Menschenldquo ndash bdquoder klassische Ritusldquo lautet die einfache Antwort Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimension der Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassen dies ist das Gebot der Stunde

Reichtum der klassischen Gebetssprache

Zum Reichtum der uumlberlieferten Messe gehoumlrt ebenso die Sprache ihrer Gebete Houmlren wir nochmals Gertrud von le Fort in ihren bdquoHymnen an die Kircheldquo wo die Seele zu dieser spricht bdquoDeine Gebete sind wie tausendjaumlhrige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere hellip

9 G von le Fort Hymnen an die Kirche Muumlnchen 51948 22

Papst Paul VI (1897 +1978 Papst 1963-1978)

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Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

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Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

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Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

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Der klassische roumlmische Ritus vermag sich auszuweisen durch die Kraft Heilige zu formen Konversionen zu erwirken Kuumlnstler zu inspirieren Das Trienter Missale hat denTest der Geschichte bestanden

sanktionierte daszlig bdquoan diesem Unse-rem kuumlrzlich edierten Missale niemals irgendetwas hinzugefuumlgt wegge-nommen oder geaumlndert werden darfldquo

Jahrhundertelang bewaumlhrtDas minimale Reformbeduumlrfnis

darf vielmehr durchaus auch als Guuml-tesiegel der sogenannten tridentini-schen Messe betrachtet werden Es bedurfte offenkundig keiner groumlszlige-ren Aumlnderungen weil dieser Ritus den liturgischen Beduumlrfnissen der Kirche in bester Weise entsprach und zwar uumlber vier Jahrhunderte hinweg

Wo und wann wurde nicht uumlberall Jahrhunderte hindurch genau diese Messe gefeiert in den groszligen Kathe-dralen Europas von Bischoumlfen und Kardinaumllen mit prachtvollen Para-menten begleitet von Choumlren und Or-chestern aber auch in den entlegens-ten Missionsstationen im Dschungel mit duumlrftigster Ausstattung in altehr-wuumlrdigen Abteikirchen ebenso wie in den Frontstellungen der Kriegsschau-plaumltze in Privatkapellen der Paumlpste ebenso wie in den Baracken der Kon-

zentrationslager bei Kaiser-kroumlnungen ebenso wie in den Klausen der Eremiten bei der Entdeckung neuer Kontinente ebenso wie in den Krankensaumllen mittelal-terlicher Spitaumller ndash immer und uumlberall war es dieselbe Messe

Wer hat nicht alles uumlber Jahrhunderte hinweg genau diese Messe gefeiert mit genau diesen Worten gebe-tet genau am gleichen Tag im Jahr dasselbe Evangeli-um gehoumlrt Thomas Morus

Teresa von Avila Ignatius von Loyola Petrus Canisius der Pfarrer von Ars Kardinal JH Newman Papst Pius X und zahllose weitere Heilige Wieviele Glaumlubige haben nicht um dieser Mes-se willen groumlszligte Opfer auf sich genom-men Wieviele sind nicht um dieser Messe willen zu Martyrern geworden Wieviele Konversionen hat es nicht gegeben ausgeloumlst durch die Begeg-nung gerade mit diesem Ritus

Welche Kunstwerke sind nicht ent-standen um gerade diesem Ritus zu dienen Man denke in der Musik an die einzigartigen Klaumlnge der Gregorianik an die groszligartigen Kompositionen ei-nes Palaumlstrina und Victoria man den-ke in der Architektur an die majestaumlti-schen Kathedralen oder die imposan-ten Werke eines Bramante und Michel-angelo In der Malerei zeigt Raffaels sogenannte Disputagrave den Triumph der heiligen Eucharistie die Himmel und Erde zu verbinden vermag und all jene um die Monstranz sammelt die das Meszligopfer in der uumlberlieferten Form gefeiert haben Schlieszliglich finden sich in der Literatur in unterschiedlicher

Form Reminiszenzen an diese Liturgie keineswegs nur bei katholischen Au-toren sondern sogar bei solchen die der Kirche fernstehen Der klassische Ritus vermag sich auszuweisen durch die Kraft Heilige zu formen Konversi-onen zu erwirken Kuumlnstler zu inspirie-ren Das Trienter Missale hat den Test der Geschichte bestanden

Erneuerung aus UumlberlieferungWoher ruumlhrt diese geheimnisvolle

Kraft der klassischen Liturgie Woher kommt es daszlig wir in diesem Jahr 2012 nun schon ein kleines Jubilaumlum bege-hen duumlrfen fuumlnfzig Jahre Missale Ro-manum 1962 das ja in seiner Substanz identisch ist mit dem Missale Piuslsquo V Woher kommt es daszlig dieses Missale trotz der allseits bekannten Umwaumll-zungen der letzten Jahrzehnte und trotz aller anhaltenden Widerstaumlnde heute noch auf unseren Altaumlren liegt mehrfach nachgedruckt wurde ja ge-genwaumlrtig von einer jungen Genera-tion von Priestern Seminaristen und Laien neu entdeckt und wertgeschaumltzt wird Diese geheimnisvolle Kraft und spirituelle Vitalitaumlt ruumlhrt daher daszlig Papst Pius V gerade nicht bdquoden Gottes-dienst neu gestaltenldquo wollte vielmehr nur der authentischen Uumlberlieferung Geltung zu schaffen suchte3 Wie der Papst in der Promulgationsbulle bdquoQuo primumldquo betonte bestand das Ergeb-nis der Kommissionsarbeit darin das Missale bdquoentsprechend der altehrwuumlr-digen Norm und dem Ritus der hei-ligen Vaumlter wiederhergestellt zu ha-benldquo (ad pristinam Missale sanctorum

3 Zum Folgenden vgl M Fiedrowicz Die uumlber-lieferte Messe Geschichte Gestalt und Theologie des klassischen roumlmischen Ritus MuumllheimMosel 2011 30-43

Ekstase der hl Theresa von Avila (GLBernini um 1650)

7Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo beschworen werden um das neue Meszligbuch

als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

Patrum normam ac ritum restituerunt) Es war also genau genommen we-der eine Reform im modernen Sinne noch eine Art archaumlologischer Rekon-struktion die einen vermeintlichen Urzustand wie man ihn sich in spaumlte-rer Zeit vorstellte zuruumlckholen sollte Ebenso der Titel des Meszligbuches (Mis-sale Romanum ex decreto restitutum) wie die Promulgationsbulle (Missale restituerunt) sprechen gleichermaszligen von einer Wiederherstellung

Eine solche Wiederherstellung war notwendig geworden um die Liturgie aus dem Zustand der Unsicherheit Verwirrung und Willkuumlr herauszu-fuumlhren in den sie aus verschiedenen Gruumlnden geraten war bislang fehlte eine einheitliche liturgische Gesetz-gebung der Gottesdienst wies vor allem im Spaumltmittelalter eine uumlberaus groszlige Vielfaumlltigkeit auf so daszlig sogar in ein und derselben Kirche die Pries-ter in unterschiedlichster Weise die Messe zelebrierten hinzu kamen exu-berant gewordene Ausdrucksformen zB eine nahezu unuumlberschaubare Zahl von Praumlfationen und Sequenzen schlieszliglich waren waumlhrend der Refor-mationszeit haumlretische Elemente in viele lokale Riten eingedrungen deren Folge wiederum waren willkuumlrliche Umgestaltungen der Messe ndash Fortlas-sen des Kanons Unterdruumlckung der dort genannten Heiligen Wegfall wichtiger Texte (Introitus Graduale Offertorium) und Einfuumlgung eigen-maumlchtiger Gebete Das Zusammenspiel all dieser Faktoren hatte zu einer tiefen Krise der Liturgie gefuumlhrt der Pius V die Reformimpulse des Tridentinums aufgreifend wirkungsvoll begegnete indem er das Missale Romanum von 1570 zur tragfaumlhigen Grundlage einer

umfassenden Erneuerung des liturgi-schen Lebens der Kirche machte Er verfuumlgte daszlig bdquovon nun an und fuumlr alle kuumlnftigen Zeitenldquo die Messe nach kei-ner anderen Form als der des von ihm herausgegebenen Missale zelebriert werden duumlrfe4

Dieses Missale war aber letztlich nichts Neues sondern basierte weit-gehend auf dem sogenannten Usus Curiae romanae wie er sich seit Papst Innozenz III (1198-1216) im Laufe der 4 Promulgations-Bulle bdquoQuo primumrdquo (MRom 1570) ne in posterum perpetuis futuris tempo-ribus alias quam iuxta Missalis a Nobis editi for-mulam decantetur aut recitetur

Jahrhunderte herausgebildet hatte Insofern das Missale der roumlmischen Kurie weitgehend frei geblieben war von den zahlreichen Fehlern die sich aus dem haumlufigen Abschreiben und Abdrucken ergaben vor allem aber von den spaumltmittelalterlichen Wuche-rungen unberuumlhrt blieb die in Form apokrypher Praumlfationen nur lokal be-deutsamer Heiligenfeste fragwuumlrdi-ger Votivmessen und volkstuumlmlicher Sequenzen Eingang in die liturgischen Buumlcher gefunden hatte konnte das in Rom selbst verwendete Missale dem Einheitsmeszligbuch zugrundegelegt

Hildegard von Bingen (1098 - 1179)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

8

Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchtevermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgieeine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt

Levitiertes Hochamt in Kriegsruinen

werden das der Gesamtkirche vorge-schrieben werden sollte

Liturgiewissenschaftler bemaumlngeln gern jenes Reformwerk und sagen mit einem gewissen Bedauern damals zur Zeit des Konzils von Trient habe man es eben nicht besser gekonnt Die bdquoNorm der Vaumlterldquo sei aufgrund mangelnder Kenntnis aumllterer Quellen eben nur die roumlmische Liturgie zur Zeit Papst Gregors VII (1073-1085) gewe-sen leider aber nicht die alte Liturgie Roms aus den ersten Jahrhunderten Dieses Urteil entspringt jedoch jenem liturgischen Archaumlologismus der in

der Ruumlckkehr zu den fruumlhesten Ent-wicklungsstadien das Ideal erblickt und alles spaumlter Gewordene als Ver-fremdung betrachtet die es zu uumlber-winden gilt Weder die Konzilsvaumlter von Trient noch Papst Pius V haumltten sich eine solche Sichtweise zu eigen gemacht Sie wuszligten um die Legitimi-taumlt einer organischen Entwicklung der Liturgie und waren uumlberzeugt daszlig der roumlmische Ritus auch nach der Fruumlhzeit der Kirche viele wertvolle Elemente in sich aufgenommen hatte die es zu be-wahren galt zB das Stufengebet die Offertoriumsgebete die Kanonstille

die priesterlichen Vorbereitungsgebe-te vor der heiligen Kommunion der Schluszligsegen der urspruumlnglich den Bi-schoumlfen vorbehalten war und anderes mehr

Mit der Schaffung eines Missale das Einheit im Ritus Klarheit in den Ru-briken und Rechtglaumlubigkeit im Beten garantierte das nichts Neues einfuumlhr-te vielmehr die klassische Ordnung wiederherstellte indem die liturgische Tradition der roumlmischen Kurie den Maszligstab bildete um Miszligbraumluche ab-zustellen und den Ritus von religioumlsem Subjektivismus sowie sonstigen Uumlber-

9Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquoerfunden werden um das neue Meszligbuchals adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas sie Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

lagerungen zu befreien war der Inten-tion des Konzils von Trient in bester Weise entsprochen worden Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo be-schworen werden um das neue Meszlig-buch als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarieren was die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten Vereinheitlichung des Meszligritus und bdquoWiederherstellung des Urspruumlnglichen ehrwuumlrdig Al-ten und damit des Roumlmischen in der Meszligliturgieldquo waren die beiden wich-tigsten Reformwuumlnsche5 Das Missale Romanum von 1570 entsprach den seit langem erhobenen Forderungen nach einer einheitlichen Norm fuumlr den roumlmisch-lateinischen Ritus Es war ein eindrucksvolles Ergebnis der katholi-schen Reformbewegung des 16 Jahr-hunderts die im Konzil von Trient ih-ren greifbarsten und zukunftsweisen-den Ausdruck fand Das Missale Ro-manum fand insgesamt gesehen eine schnelle Rezeption auf weltkirchlicher Ebene Fuumlr die folgenden Jahrhunder-te war es das Meszligbuch der roumlmisch-katholischen Kirche

Anthropozentrik oder Theozentrik der Liturgie

Papst Pius V starb am 1 Mai 1572 Im Jahre 1672 wurde er seliggespro-chen 1712 erfolgte seine Heiligspre-chung Das Missale von 1962 gedenkt seiner mit einem Fest dritten Ranges Es waumlre allerdings eine grobe Verken-nung liturgischer Rangstufen wollte man hierin nur eine bdquodrittklassigeldquo Ver-ehrung sehen die dem heiligen Papst in der alten Liturgie die er maszliggeblich praumlgte zuteil wird Drittklassige Ver-

5 H Jedin Das Konzil von Trient und die Reform des roumlmischen Meszligbuchs Liturgisches Leben 6 (1939) 30-66 52

ehrung im negativen Sinn ist hinge-gen das was der Novus Ordo aus dem einstigen Fest gemacht hat indem er diesem Heiligen nur eine memoria ad libitum zubilligte einen Gedenktag dessen Feier dem Belieben des Zele-branten anheimgestellt ist Deutlicher konnten die hierfuumlr verantwortlichen Reformer wohl kaum zum Ausdruck bringen was sie von der mit dem Namen dieses Papstes verbundenen Liturgie hielten wie sehr sie von dem Wunsch beseelt waren Neues an die Stelle des Bisherigen zu setzen Be-kanntlich gibt es nichts Intoleranteres als an die Macht gekommene Revolu-tionaumlre

In einem Interview aumluszligerte der renommierte Liturgiehistoriker und Benediktiner Alcuin Reid auf die Fra-ge bdquoKontinuitaumlt oder Bruchldquo es gebe Anzeichen bdquodie darauf hindeuten daszlig die fuumlr die Reform Verantwortlichen einen Bruch im Sinn hatten ndash sowohl in theologischer als auch in ritueller Hinsicht Das was durch die Tradition uumlberliefert war wollten sie nicht Sie wollten das auch nicht weiterentwi-ckeln Sie wollten etwas Neues das den sbquomodernen Menschenlsquo der sechzi-ger Jahre widerspiegelte und was die-ser ihrer Meinung nach brauchteldquo6 Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchte vermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgie eine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt7

Braucht der moderne Mensch An-fang des dritten Jahrtausends jene Liturgie noch Oder braucht er sie viel-leicht gerade wieder Braucht er sie

6 Zitat nach Die Tagespost 0510 2011 S 57 So A Haumluszligling Liturgiereform Materialien zu einem neuen Thema Archiv der Liturgiewissen-schaft 31 (1989) 1-23 29

moumlglicherweise dringender denn je weil die anthropozentrische Wende der reformierten Liturgie ndash die Aus-richtung des Gottesdienstes primaumlr auf den Menschen - nicht das ist was er wirklich und im Innersten braucht

Die Tagesoration bittet bdquoGib daszlig wir durch seinen Beistand beschirmt werdenldquo ndash fac nos ipsius defendi praesi-diis Woumlrtlicher noch muumlszligte es heiszligen bdquolasse uns durch seinen Schutz seine Hilfe sein Geleit verteidigt seinldquo Inwie-fern koumlnnte Papst Pius V nicht nur im allgemeinen himmlischer Fuumlrsprecher der irdischen Kirche sein insbesonde-re all derer die sich pro missa tridenti-na engagieren sondern gerade mit der von ihm kodifizierten Liturgie uns heute hilfreich verteidigen

bdquoAuch wir haben den Kult des Men-schenldquo beteuerte Papst Paul VI 1965 in seiner Ansprache zur Eroumlffnung der letzten oumlffentlichen Sitzung des II Va-tikanum am 7 Dezember 1965 Er ap-pellierte an die Unglaumlubigen mit den Worten bdquoDieses Lob spendet wenig-stens dem Konzil ihr die ihr in diesem unseren Zeitalter den Kult der Mensch-lichkeit pflegt und die Wahrheiten die die Natur der Dinge uumlbersteigen zu-ruumlckweist anerkennt zugleich unsere neuartige Bemuumlhung um die Mensch-lichkeit auch wir ja wir mehr noch als die anderen sind Verehrer des Menschenldquo ndash Cultores hominis sumus8 Der vorausgegangene Kontext paral-lelisierte nun aber ausdruumlcklich cultus Dei (bdquoVerehrung Gottesldquo) und cultus hominis (bdquoVerehrung des Menschenldquo) Gewiszlig war damit zunaumlchst gemeint daszlig die Sorge der Kirche stets dem Menschen gelte Eine Selbstverstaumlnd-lichkeit die gerade in jenen Epochen

8 AAS 58 (1966) 56

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Garant der Theozentrik ist hier aber auchdie bis auf das Aumluszligerste minimierte Moumlglichkeitdaszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen

der Kirchengeschichte am aufopfe-rungsvollsten verwirklicht wurde wo am wenigsten daruumlber geredet wurde Die Formulierung und ausdruumlckliche Parallelisierung mit dem bdquoGotteskultldquo hingegen erscheint fragwuumlrdig und wurde entsprechend kritisiert bdquoKult des Menschenldquo Muszlig ein Papst so re-den Muszlig sich die Kirche in dieser Wei-se der unglaumlubigen Welt anempfeh-len Verraumlt sich in dieser Formulierung nicht die Mentalitaumlt der sechziger Jah-re die das Konzil praumlgte und auch die Liturgiereform impraumlgnierte

bdquoDer Mensch ndash das Maszlig aller Din-geldquo Man koumlnnte meinen der griechi-sche Sophist Protagoras von dem die sogenannte homo mensura-Maxime stammt habe Sitz und Stimme im Consilium gehabt dem Rat zur Durch-fuumlhrung der Liturgiereform Alles muszlig dann diesem Menschen restlos ver-staumlndlich und faszligbar sein Uumlberall muszlig er sich aktiv einbringen koumlnnen Stets muszlig er sich mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und alltaumlglichen Beduumlrf-nissen wiederfinden koumlnnen Was mit der Maxime ndash bdquoder Mensch ndash das Maszlig aller Dingeldquo ndash nicht kompatibel erscheint wird abgeschafft gekuumlrzt uminterpretiert frei uumlbersetzt durch

neue Texte ersetzt zur bloszligen Wahl-moumlglichkeit herabgestuft Der Erfin-dungsreichtum ist groszlig damit endlich auch die katholische Kirche sich ruumlh-men koumlnne den bdquoKult des Menschen zu habenldquo

Ganz anders ndash naumlmlich theozent-risch ndash orientiert war das Reformwerk Piuslsquo V bdquoDen goumlttlichen Kult wiederher-zustellenldquo sei seine Berufung gewe-sen sagt die Tagesoration ndash divinum cultum reparare Das Adjektiv bdquogoumlttlich ndash divinusldquo gewinnt fuumlr uns ungeahnte Aktualitaumlt Es ist die ausgepraumlgte Theo-zentrik der klassischen Liturgie die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt Diese primaumlre Ausrich-tung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung ver-sus altare in der Sakralsprache in der Kanonstille in unzaumlhligen Zeichen der Reverenz ndash Kniebeugen Verneigun-gen Verhuumlllungen Kreuzzeichen - in der ganzen Atmosphaumlre der Sakralitaumlt die der klassische Ritus ausstrahlt

Garant der Theozentrik ist hier aber auch die bis auf das Aumluszligerste mini-mierte Moumlglichkeit daszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen Gertrud von le Fort klagt in ihren bdquoHymnen an die KircheldquobdquoWer errettet meine Seele vor den Wor-ten der Menschen Sie toumlnen aus der Ferne wie Posaunen aber wenn sie nahe kommen tragen sie nur Schellen Sie draumlngen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln aber wenn der Wind aufsteht zerflattert ihr Gepraumlnge Houmlret ihr Lauten und Vermeszlignen ihr Wetterfluumlchtrsquogen des Geistes und ihr Kin-der eurer Willkuumlr Wir sind verdurstet bei euren Quellen wir sind verhungert bei eurer Speise wir

sind blind geworden bei euren Lampen Ihr seid wie eine Straszlige die nie an-kommt ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber Ihr seid wie ein treibendes Gewaumlsser immer ist in eurem Munde euer eignes Rauschenldquo9

Wer erinnert sich hier nicht un-willkuumlrlich an manches Erlebnis mit der neuen Liturgie die menschlicher Redseligkeit weiten Spielraum laumlszligt ausufernde persoumlnliche Begruumlszligungen und Verabschiedungen unermuumldli-ches Kommentieren aller liturgischen Handlungen oder Texte selbstfabri-zierte Fuumlrbitten ebenso duumlrftig im Inhalt wie banal im Ausdruck bdquoLauter kleine Schritte um euch selber Immer ist in eurem Munde euer eignes Rau-schenldquo Der traditionelle Ritus bietet diesem Kreisen um sich selber keiner-lei Raum fuumlr ein Sich-Berauschen an den eigenen Worten gibt es keinen Platz bdquoWer errettet meine Seele vor den Worten der Menschenldquo ndash bdquoder klassische Ritusldquo lautet die einfache Antwort Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimension der Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassen dies ist das Gebot der Stunde

Reichtum der klassischen Gebetssprache

Zum Reichtum der uumlberlieferten Messe gehoumlrt ebenso die Sprache ihrer Gebete Houmlren wir nochmals Gertrud von le Fort in ihren bdquoHymnen an die Kircheldquo wo die Seele zu dieser spricht bdquoDeine Gebete sind wie tausendjaumlhrige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere hellip

9 G von le Fort Hymnen an die Kirche Muumlnchen 51948 22

Papst Paul VI (1897 +1978 Papst 1963-1978)

11Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

14

Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

16

Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

7Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo beschworen werden um das neue Meszligbuch

als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

Patrum normam ac ritum restituerunt) Es war also genau genommen we-der eine Reform im modernen Sinne noch eine Art archaumlologischer Rekon-struktion die einen vermeintlichen Urzustand wie man ihn sich in spaumlte-rer Zeit vorstellte zuruumlckholen sollte Ebenso der Titel des Meszligbuches (Mis-sale Romanum ex decreto restitutum) wie die Promulgationsbulle (Missale restituerunt) sprechen gleichermaszligen von einer Wiederherstellung

Eine solche Wiederherstellung war notwendig geworden um die Liturgie aus dem Zustand der Unsicherheit Verwirrung und Willkuumlr herauszu-fuumlhren in den sie aus verschiedenen Gruumlnden geraten war bislang fehlte eine einheitliche liturgische Gesetz-gebung der Gottesdienst wies vor allem im Spaumltmittelalter eine uumlberaus groszlige Vielfaumlltigkeit auf so daszlig sogar in ein und derselben Kirche die Pries-ter in unterschiedlichster Weise die Messe zelebrierten hinzu kamen exu-berant gewordene Ausdrucksformen zB eine nahezu unuumlberschaubare Zahl von Praumlfationen und Sequenzen schlieszliglich waren waumlhrend der Refor-mationszeit haumlretische Elemente in viele lokale Riten eingedrungen deren Folge wiederum waren willkuumlrliche Umgestaltungen der Messe ndash Fortlas-sen des Kanons Unterdruumlckung der dort genannten Heiligen Wegfall wichtiger Texte (Introitus Graduale Offertorium) und Einfuumlgung eigen-maumlchtiger Gebete Das Zusammenspiel all dieser Faktoren hatte zu einer tiefen Krise der Liturgie gefuumlhrt der Pius V die Reformimpulse des Tridentinums aufgreifend wirkungsvoll begegnete indem er das Missale Romanum von 1570 zur tragfaumlhigen Grundlage einer

umfassenden Erneuerung des liturgi-schen Lebens der Kirche machte Er verfuumlgte daszlig bdquovon nun an und fuumlr alle kuumlnftigen Zeitenldquo die Messe nach kei-ner anderen Form als der des von ihm herausgegebenen Missale zelebriert werden duumlrfe4

Dieses Missale war aber letztlich nichts Neues sondern basierte weit-gehend auf dem sogenannten Usus Curiae romanae wie er sich seit Papst Innozenz III (1198-1216) im Laufe der 4 Promulgations-Bulle bdquoQuo primumrdquo (MRom 1570) ne in posterum perpetuis futuris tempo-ribus alias quam iuxta Missalis a Nobis editi for-mulam decantetur aut recitetur

Jahrhunderte herausgebildet hatte Insofern das Missale der roumlmischen Kurie weitgehend frei geblieben war von den zahlreichen Fehlern die sich aus dem haumlufigen Abschreiben und Abdrucken ergaben vor allem aber von den spaumltmittelalterlichen Wuche-rungen unberuumlhrt blieb die in Form apokrypher Praumlfationen nur lokal be-deutsamer Heiligenfeste fragwuumlrdi-ger Votivmessen und volkstuumlmlicher Sequenzen Eingang in die liturgischen Buumlcher gefunden hatte konnte das in Rom selbst verwendete Missale dem Einheitsmeszligbuch zugrundegelegt

Hildegard von Bingen (1098 - 1179)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchtevermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgieeine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt

Levitiertes Hochamt in Kriegsruinen

werden das der Gesamtkirche vorge-schrieben werden sollte

Liturgiewissenschaftler bemaumlngeln gern jenes Reformwerk und sagen mit einem gewissen Bedauern damals zur Zeit des Konzils von Trient habe man es eben nicht besser gekonnt Die bdquoNorm der Vaumlterldquo sei aufgrund mangelnder Kenntnis aumllterer Quellen eben nur die roumlmische Liturgie zur Zeit Papst Gregors VII (1073-1085) gewe-sen leider aber nicht die alte Liturgie Roms aus den ersten Jahrhunderten Dieses Urteil entspringt jedoch jenem liturgischen Archaumlologismus der in

der Ruumlckkehr zu den fruumlhesten Ent-wicklungsstadien das Ideal erblickt und alles spaumlter Gewordene als Ver-fremdung betrachtet die es zu uumlber-winden gilt Weder die Konzilsvaumlter von Trient noch Papst Pius V haumltten sich eine solche Sichtweise zu eigen gemacht Sie wuszligten um die Legitimi-taumlt einer organischen Entwicklung der Liturgie und waren uumlberzeugt daszlig der roumlmische Ritus auch nach der Fruumlhzeit der Kirche viele wertvolle Elemente in sich aufgenommen hatte die es zu be-wahren galt zB das Stufengebet die Offertoriumsgebete die Kanonstille

die priesterlichen Vorbereitungsgebe-te vor der heiligen Kommunion der Schluszligsegen der urspruumlnglich den Bi-schoumlfen vorbehalten war und anderes mehr

Mit der Schaffung eines Missale das Einheit im Ritus Klarheit in den Ru-briken und Rechtglaumlubigkeit im Beten garantierte das nichts Neues einfuumlhr-te vielmehr die klassische Ordnung wiederherstellte indem die liturgische Tradition der roumlmischen Kurie den Maszligstab bildete um Miszligbraumluche ab-zustellen und den Ritus von religioumlsem Subjektivismus sowie sonstigen Uumlber-

9Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquoerfunden werden um das neue Meszligbuchals adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas sie Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

lagerungen zu befreien war der Inten-tion des Konzils von Trient in bester Weise entsprochen worden Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo be-schworen werden um das neue Meszlig-buch als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarieren was die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten Vereinheitlichung des Meszligritus und bdquoWiederherstellung des Urspruumlnglichen ehrwuumlrdig Al-ten und damit des Roumlmischen in der Meszligliturgieldquo waren die beiden wich-tigsten Reformwuumlnsche5 Das Missale Romanum von 1570 entsprach den seit langem erhobenen Forderungen nach einer einheitlichen Norm fuumlr den roumlmisch-lateinischen Ritus Es war ein eindrucksvolles Ergebnis der katholi-schen Reformbewegung des 16 Jahr-hunderts die im Konzil von Trient ih-ren greifbarsten und zukunftsweisen-den Ausdruck fand Das Missale Ro-manum fand insgesamt gesehen eine schnelle Rezeption auf weltkirchlicher Ebene Fuumlr die folgenden Jahrhunder-te war es das Meszligbuch der roumlmisch-katholischen Kirche

Anthropozentrik oder Theozentrik der Liturgie

Papst Pius V starb am 1 Mai 1572 Im Jahre 1672 wurde er seliggespro-chen 1712 erfolgte seine Heiligspre-chung Das Missale von 1962 gedenkt seiner mit einem Fest dritten Ranges Es waumlre allerdings eine grobe Verken-nung liturgischer Rangstufen wollte man hierin nur eine bdquodrittklassigeldquo Ver-ehrung sehen die dem heiligen Papst in der alten Liturgie die er maszliggeblich praumlgte zuteil wird Drittklassige Ver-

5 H Jedin Das Konzil von Trient und die Reform des roumlmischen Meszligbuchs Liturgisches Leben 6 (1939) 30-66 52

ehrung im negativen Sinn ist hinge-gen das was der Novus Ordo aus dem einstigen Fest gemacht hat indem er diesem Heiligen nur eine memoria ad libitum zubilligte einen Gedenktag dessen Feier dem Belieben des Zele-branten anheimgestellt ist Deutlicher konnten die hierfuumlr verantwortlichen Reformer wohl kaum zum Ausdruck bringen was sie von der mit dem Namen dieses Papstes verbundenen Liturgie hielten wie sehr sie von dem Wunsch beseelt waren Neues an die Stelle des Bisherigen zu setzen Be-kanntlich gibt es nichts Intoleranteres als an die Macht gekommene Revolu-tionaumlre

In einem Interview aumluszligerte der renommierte Liturgiehistoriker und Benediktiner Alcuin Reid auf die Fra-ge bdquoKontinuitaumlt oder Bruchldquo es gebe Anzeichen bdquodie darauf hindeuten daszlig die fuumlr die Reform Verantwortlichen einen Bruch im Sinn hatten ndash sowohl in theologischer als auch in ritueller Hinsicht Das was durch die Tradition uumlberliefert war wollten sie nicht Sie wollten das auch nicht weiterentwi-ckeln Sie wollten etwas Neues das den sbquomodernen Menschenlsquo der sechzi-ger Jahre widerspiegelte und was die-ser ihrer Meinung nach brauchteldquo6 Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchte vermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgie eine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt7

Braucht der moderne Mensch An-fang des dritten Jahrtausends jene Liturgie noch Oder braucht er sie viel-leicht gerade wieder Braucht er sie

6 Zitat nach Die Tagespost 0510 2011 S 57 So A Haumluszligling Liturgiereform Materialien zu einem neuen Thema Archiv der Liturgiewissen-schaft 31 (1989) 1-23 29

moumlglicherweise dringender denn je weil die anthropozentrische Wende der reformierten Liturgie ndash die Aus-richtung des Gottesdienstes primaumlr auf den Menschen - nicht das ist was er wirklich und im Innersten braucht

Die Tagesoration bittet bdquoGib daszlig wir durch seinen Beistand beschirmt werdenldquo ndash fac nos ipsius defendi praesi-diis Woumlrtlicher noch muumlszligte es heiszligen bdquolasse uns durch seinen Schutz seine Hilfe sein Geleit verteidigt seinldquo Inwie-fern koumlnnte Papst Pius V nicht nur im allgemeinen himmlischer Fuumlrsprecher der irdischen Kirche sein insbesonde-re all derer die sich pro missa tridenti-na engagieren sondern gerade mit der von ihm kodifizierten Liturgie uns heute hilfreich verteidigen

bdquoAuch wir haben den Kult des Men-schenldquo beteuerte Papst Paul VI 1965 in seiner Ansprache zur Eroumlffnung der letzten oumlffentlichen Sitzung des II Va-tikanum am 7 Dezember 1965 Er ap-pellierte an die Unglaumlubigen mit den Worten bdquoDieses Lob spendet wenig-stens dem Konzil ihr die ihr in diesem unseren Zeitalter den Kult der Mensch-lichkeit pflegt und die Wahrheiten die die Natur der Dinge uumlbersteigen zu-ruumlckweist anerkennt zugleich unsere neuartige Bemuumlhung um die Mensch-lichkeit auch wir ja wir mehr noch als die anderen sind Verehrer des Menschenldquo ndash Cultores hominis sumus8 Der vorausgegangene Kontext paral-lelisierte nun aber ausdruumlcklich cultus Dei (bdquoVerehrung Gottesldquo) und cultus hominis (bdquoVerehrung des Menschenldquo) Gewiszlig war damit zunaumlchst gemeint daszlig die Sorge der Kirche stets dem Menschen gelte Eine Selbstverstaumlnd-lichkeit die gerade in jenen Epochen

8 AAS 58 (1966) 56

Liturgiereform wider den Zeitgeist

10

Garant der Theozentrik ist hier aber auchdie bis auf das Aumluszligerste minimierte Moumlglichkeitdaszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen

der Kirchengeschichte am aufopfe-rungsvollsten verwirklicht wurde wo am wenigsten daruumlber geredet wurde Die Formulierung und ausdruumlckliche Parallelisierung mit dem bdquoGotteskultldquo hingegen erscheint fragwuumlrdig und wurde entsprechend kritisiert bdquoKult des Menschenldquo Muszlig ein Papst so re-den Muszlig sich die Kirche in dieser Wei-se der unglaumlubigen Welt anempfeh-len Verraumlt sich in dieser Formulierung nicht die Mentalitaumlt der sechziger Jah-re die das Konzil praumlgte und auch die Liturgiereform impraumlgnierte

bdquoDer Mensch ndash das Maszlig aller Din-geldquo Man koumlnnte meinen der griechi-sche Sophist Protagoras von dem die sogenannte homo mensura-Maxime stammt habe Sitz und Stimme im Consilium gehabt dem Rat zur Durch-fuumlhrung der Liturgiereform Alles muszlig dann diesem Menschen restlos ver-staumlndlich und faszligbar sein Uumlberall muszlig er sich aktiv einbringen koumlnnen Stets muszlig er sich mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und alltaumlglichen Beduumlrf-nissen wiederfinden koumlnnen Was mit der Maxime ndash bdquoder Mensch ndash das Maszlig aller Dingeldquo ndash nicht kompatibel erscheint wird abgeschafft gekuumlrzt uminterpretiert frei uumlbersetzt durch

neue Texte ersetzt zur bloszligen Wahl-moumlglichkeit herabgestuft Der Erfin-dungsreichtum ist groszlig damit endlich auch die katholische Kirche sich ruumlh-men koumlnne den bdquoKult des Menschen zu habenldquo

Ganz anders ndash naumlmlich theozent-risch ndash orientiert war das Reformwerk Piuslsquo V bdquoDen goumlttlichen Kult wiederher-zustellenldquo sei seine Berufung gewe-sen sagt die Tagesoration ndash divinum cultum reparare Das Adjektiv bdquogoumlttlich ndash divinusldquo gewinnt fuumlr uns ungeahnte Aktualitaumlt Es ist die ausgepraumlgte Theo-zentrik der klassischen Liturgie die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt Diese primaumlre Ausrich-tung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung ver-sus altare in der Sakralsprache in der Kanonstille in unzaumlhligen Zeichen der Reverenz ndash Kniebeugen Verneigun-gen Verhuumlllungen Kreuzzeichen - in der ganzen Atmosphaumlre der Sakralitaumlt die der klassische Ritus ausstrahlt

Garant der Theozentrik ist hier aber auch die bis auf das Aumluszligerste mini-mierte Moumlglichkeit daszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen Gertrud von le Fort klagt in ihren bdquoHymnen an die KircheldquobdquoWer errettet meine Seele vor den Wor-ten der Menschen Sie toumlnen aus der Ferne wie Posaunen aber wenn sie nahe kommen tragen sie nur Schellen Sie draumlngen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln aber wenn der Wind aufsteht zerflattert ihr Gepraumlnge Houmlret ihr Lauten und Vermeszlignen ihr Wetterfluumlchtrsquogen des Geistes und ihr Kin-der eurer Willkuumlr Wir sind verdurstet bei euren Quellen wir sind verhungert bei eurer Speise wir

sind blind geworden bei euren Lampen Ihr seid wie eine Straszlige die nie an-kommt ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber Ihr seid wie ein treibendes Gewaumlsser immer ist in eurem Munde euer eignes Rauschenldquo9

Wer erinnert sich hier nicht un-willkuumlrlich an manches Erlebnis mit der neuen Liturgie die menschlicher Redseligkeit weiten Spielraum laumlszligt ausufernde persoumlnliche Begruumlszligungen und Verabschiedungen unermuumldli-ches Kommentieren aller liturgischen Handlungen oder Texte selbstfabri-zierte Fuumlrbitten ebenso duumlrftig im Inhalt wie banal im Ausdruck bdquoLauter kleine Schritte um euch selber Immer ist in eurem Munde euer eignes Rau-schenldquo Der traditionelle Ritus bietet diesem Kreisen um sich selber keiner-lei Raum fuumlr ein Sich-Berauschen an den eigenen Worten gibt es keinen Platz bdquoWer errettet meine Seele vor den Worten der Menschenldquo ndash bdquoder klassische Ritusldquo lautet die einfache Antwort Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimension der Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassen dies ist das Gebot der Stunde

Reichtum der klassischen Gebetssprache

Zum Reichtum der uumlberlieferten Messe gehoumlrt ebenso die Sprache ihrer Gebete Houmlren wir nochmals Gertrud von le Fort in ihren bdquoHymnen an die Kircheldquo wo die Seele zu dieser spricht bdquoDeine Gebete sind wie tausendjaumlhrige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere hellip

9 G von le Fort Hymnen an die Kirche Muumlnchen 51948 22

Papst Paul VI (1897 +1978 Papst 1963-1978)

11Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

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Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchtevermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgieeine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt

Levitiertes Hochamt in Kriegsruinen

werden das der Gesamtkirche vorge-schrieben werden sollte

Liturgiewissenschaftler bemaumlngeln gern jenes Reformwerk und sagen mit einem gewissen Bedauern damals zur Zeit des Konzils von Trient habe man es eben nicht besser gekonnt Die bdquoNorm der Vaumlterldquo sei aufgrund mangelnder Kenntnis aumllterer Quellen eben nur die roumlmische Liturgie zur Zeit Papst Gregors VII (1073-1085) gewe-sen leider aber nicht die alte Liturgie Roms aus den ersten Jahrhunderten Dieses Urteil entspringt jedoch jenem liturgischen Archaumlologismus der in

der Ruumlckkehr zu den fruumlhesten Ent-wicklungsstadien das Ideal erblickt und alles spaumlter Gewordene als Ver-fremdung betrachtet die es zu uumlber-winden gilt Weder die Konzilsvaumlter von Trient noch Papst Pius V haumltten sich eine solche Sichtweise zu eigen gemacht Sie wuszligten um die Legitimi-taumlt einer organischen Entwicklung der Liturgie und waren uumlberzeugt daszlig der roumlmische Ritus auch nach der Fruumlhzeit der Kirche viele wertvolle Elemente in sich aufgenommen hatte die es zu be-wahren galt zB das Stufengebet die Offertoriumsgebete die Kanonstille

die priesterlichen Vorbereitungsgebe-te vor der heiligen Kommunion der Schluszligsegen der urspruumlnglich den Bi-schoumlfen vorbehalten war und anderes mehr

Mit der Schaffung eines Missale das Einheit im Ritus Klarheit in den Ru-briken und Rechtglaumlubigkeit im Beten garantierte das nichts Neues einfuumlhr-te vielmehr die klassische Ordnung wiederherstellte indem die liturgische Tradition der roumlmischen Kurie den Maszligstab bildete um Miszligbraumluche ab-zustellen und den Ritus von religioumlsem Subjektivismus sowie sonstigen Uumlber-

9Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquoerfunden werden um das neue Meszligbuchals adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas sie Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

lagerungen zu befreien war der Inten-tion des Konzils von Trient in bester Weise entsprochen worden Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo be-schworen werden um das neue Meszlig-buch als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarieren was die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten Vereinheitlichung des Meszligritus und bdquoWiederherstellung des Urspruumlnglichen ehrwuumlrdig Al-ten und damit des Roumlmischen in der Meszligliturgieldquo waren die beiden wich-tigsten Reformwuumlnsche5 Das Missale Romanum von 1570 entsprach den seit langem erhobenen Forderungen nach einer einheitlichen Norm fuumlr den roumlmisch-lateinischen Ritus Es war ein eindrucksvolles Ergebnis der katholi-schen Reformbewegung des 16 Jahr-hunderts die im Konzil von Trient ih-ren greifbarsten und zukunftsweisen-den Ausdruck fand Das Missale Ro-manum fand insgesamt gesehen eine schnelle Rezeption auf weltkirchlicher Ebene Fuumlr die folgenden Jahrhunder-te war es das Meszligbuch der roumlmisch-katholischen Kirche

Anthropozentrik oder Theozentrik der Liturgie

Papst Pius V starb am 1 Mai 1572 Im Jahre 1672 wurde er seliggespro-chen 1712 erfolgte seine Heiligspre-chung Das Missale von 1962 gedenkt seiner mit einem Fest dritten Ranges Es waumlre allerdings eine grobe Verken-nung liturgischer Rangstufen wollte man hierin nur eine bdquodrittklassigeldquo Ver-ehrung sehen die dem heiligen Papst in der alten Liturgie die er maszliggeblich praumlgte zuteil wird Drittklassige Ver-

5 H Jedin Das Konzil von Trient und die Reform des roumlmischen Meszligbuchs Liturgisches Leben 6 (1939) 30-66 52

ehrung im negativen Sinn ist hinge-gen das was der Novus Ordo aus dem einstigen Fest gemacht hat indem er diesem Heiligen nur eine memoria ad libitum zubilligte einen Gedenktag dessen Feier dem Belieben des Zele-branten anheimgestellt ist Deutlicher konnten die hierfuumlr verantwortlichen Reformer wohl kaum zum Ausdruck bringen was sie von der mit dem Namen dieses Papstes verbundenen Liturgie hielten wie sehr sie von dem Wunsch beseelt waren Neues an die Stelle des Bisherigen zu setzen Be-kanntlich gibt es nichts Intoleranteres als an die Macht gekommene Revolu-tionaumlre

In einem Interview aumluszligerte der renommierte Liturgiehistoriker und Benediktiner Alcuin Reid auf die Fra-ge bdquoKontinuitaumlt oder Bruchldquo es gebe Anzeichen bdquodie darauf hindeuten daszlig die fuumlr die Reform Verantwortlichen einen Bruch im Sinn hatten ndash sowohl in theologischer als auch in ritueller Hinsicht Das was durch die Tradition uumlberliefert war wollten sie nicht Sie wollten das auch nicht weiterentwi-ckeln Sie wollten etwas Neues das den sbquomodernen Menschenlsquo der sechzi-ger Jahre widerspiegelte und was die-ser ihrer Meinung nach brauchteldquo6 Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchte vermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgie eine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt7

Braucht der moderne Mensch An-fang des dritten Jahrtausends jene Liturgie noch Oder braucht er sie viel-leicht gerade wieder Braucht er sie

6 Zitat nach Die Tagespost 0510 2011 S 57 So A Haumluszligling Liturgiereform Materialien zu einem neuen Thema Archiv der Liturgiewissen-schaft 31 (1989) 1-23 29

moumlglicherweise dringender denn je weil die anthropozentrische Wende der reformierten Liturgie ndash die Aus-richtung des Gottesdienstes primaumlr auf den Menschen - nicht das ist was er wirklich und im Innersten braucht

Die Tagesoration bittet bdquoGib daszlig wir durch seinen Beistand beschirmt werdenldquo ndash fac nos ipsius defendi praesi-diis Woumlrtlicher noch muumlszligte es heiszligen bdquolasse uns durch seinen Schutz seine Hilfe sein Geleit verteidigt seinldquo Inwie-fern koumlnnte Papst Pius V nicht nur im allgemeinen himmlischer Fuumlrsprecher der irdischen Kirche sein insbesonde-re all derer die sich pro missa tridenti-na engagieren sondern gerade mit der von ihm kodifizierten Liturgie uns heute hilfreich verteidigen

bdquoAuch wir haben den Kult des Men-schenldquo beteuerte Papst Paul VI 1965 in seiner Ansprache zur Eroumlffnung der letzten oumlffentlichen Sitzung des II Va-tikanum am 7 Dezember 1965 Er ap-pellierte an die Unglaumlubigen mit den Worten bdquoDieses Lob spendet wenig-stens dem Konzil ihr die ihr in diesem unseren Zeitalter den Kult der Mensch-lichkeit pflegt und die Wahrheiten die die Natur der Dinge uumlbersteigen zu-ruumlckweist anerkennt zugleich unsere neuartige Bemuumlhung um die Mensch-lichkeit auch wir ja wir mehr noch als die anderen sind Verehrer des Menschenldquo ndash Cultores hominis sumus8 Der vorausgegangene Kontext paral-lelisierte nun aber ausdruumlcklich cultus Dei (bdquoVerehrung Gottesldquo) und cultus hominis (bdquoVerehrung des Menschenldquo) Gewiszlig war damit zunaumlchst gemeint daszlig die Sorge der Kirche stets dem Menschen gelte Eine Selbstverstaumlnd-lichkeit die gerade in jenen Epochen

8 AAS 58 (1966) 56

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Garant der Theozentrik ist hier aber auchdie bis auf das Aumluszligerste minimierte Moumlglichkeitdaszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen

der Kirchengeschichte am aufopfe-rungsvollsten verwirklicht wurde wo am wenigsten daruumlber geredet wurde Die Formulierung und ausdruumlckliche Parallelisierung mit dem bdquoGotteskultldquo hingegen erscheint fragwuumlrdig und wurde entsprechend kritisiert bdquoKult des Menschenldquo Muszlig ein Papst so re-den Muszlig sich die Kirche in dieser Wei-se der unglaumlubigen Welt anempfeh-len Verraumlt sich in dieser Formulierung nicht die Mentalitaumlt der sechziger Jah-re die das Konzil praumlgte und auch die Liturgiereform impraumlgnierte

bdquoDer Mensch ndash das Maszlig aller Din-geldquo Man koumlnnte meinen der griechi-sche Sophist Protagoras von dem die sogenannte homo mensura-Maxime stammt habe Sitz und Stimme im Consilium gehabt dem Rat zur Durch-fuumlhrung der Liturgiereform Alles muszlig dann diesem Menschen restlos ver-staumlndlich und faszligbar sein Uumlberall muszlig er sich aktiv einbringen koumlnnen Stets muszlig er sich mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und alltaumlglichen Beduumlrf-nissen wiederfinden koumlnnen Was mit der Maxime ndash bdquoder Mensch ndash das Maszlig aller Dingeldquo ndash nicht kompatibel erscheint wird abgeschafft gekuumlrzt uminterpretiert frei uumlbersetzt durch

neue Texte ersetzt zur bloszligen Wahl-moumlglichkeit herabgestuft Der Erfin-dungsreichtum ist groszlig damit endlich auch die katholische Kirche sich ruumlh-men koumlnne den bdquoKult des Menschen zu habenldquo

Ganz anders ndash naumlmlich theozent-risch ndash orientiert war das Reformwerk Piuslsquo V bdquoDen goumlttlichen Kult wiederher-zustellenldquo sei seine Berufung gewe-sen sagt die Tagesoration ndash divinum cultum reparare Das Adjektiv bdquogoumlttlich ndash divinusldquo gewinnt fuumlr uns ungeahnte Aktualitaumlt Es ist die ausgepraumlgte Theo-zentrik der klassischen Liturgie die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt Diese primaumlre Ausrich-tung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung ver-sus altare in der Sakralsprache in der Kanonstille in unzaumlhligen Zeichen der Reverenz ndash Kniebeugen Verneigun-gen Verhuumlllungen Kreuzzeichen - in der ganzen Atmosphaumlre der Sakralitaumlt die der klassische Ritus ausstrahlt

Garant der Theozentrik ist hier aber auch die bis auf das Aumluszligerste mini-mierte Moumlglichkeit daszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen Gertrud von le Fort klagt in ihren bdquoHymnen an die KircheldquobdquoWer errettet meine Seele vor den Wor-ten der Menschen Sie toumlnen aus der Ferne wie Posaunen aber wenn sie nahe kommen tragen sie nur Schellen Sie draumlngen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln aber wenn der Wind aufsteht zerflattert ihr Gepraumlnge Houmlret ihr Lauten und Vermeszlignen ihr Wetterfluumlchtrsquogen des Geistes und ihr Kin-der eurer Willkuumlr Wir sind verdurstet bei euren Quellen wir sind verhungert bei eurer Speise wir

sind blind geworden bei euren Lampen Ihr seid wie eine Straszlige die nie an-kommt ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber Ihr seid wie ein treibendes Gewaumlsser immer ist in eurem Munde euer eignes Rauschenldquo9

Wer erinnert sich hier nicht un-willkuumlrlich an manches Erlebnis mit der neuen Liturgie die menschlicher Redseligkeit weiten Spielraum laumlszligt ausufernde persoumlnliche Begruumlszligungen und Verabschiedungen unermuumldli-ches Kommentieren aller liturgischen Handlungen oder Texte selbstfabri-zierte Fuumlrbitten ebenso duumlrftig im Inhalt wie banal im Ausdruck bdquoLauter kleine Schritte um euch selber Immer ist in eurem Munde euer eignes Rau-schenldquo Der traditionelle Ritus bietet diesem Kreisen um sich selber keiner-lei Raum fuumlr ein Sich-Berauschen an den eigenen Worten gibt es keinen Platz bdquoWer errettet meine Seele vor den Worten der Menschenldquo ndash bdquoder klassische Ritusldquo lautet die einfache Antwort Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimension der Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassen dies ist das Gebot der Stunde

Reichtum der klassischen Gebetssprache

Zum Reichtum der uumlberlieferten Messe gehoumlrt ebenso die Sprache ihrer Gebete Houmlren wir nochmals Gertrud von le Fort in ihren bdquoHymnen an die Kircheldquo wo die Seele zu dieser spricht bdquoDeine Gebete sind wie tausendjaumlhrige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere hellip

9 G von le Fort Hymnen an die Kirche Muumlnchen 51948 22

Papst Paul VI (1897 +1978 Papst 1963-1978)

11Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

9Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquoerfunden werden um das neue Meszligbuchals adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarierenwas sie Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten

lagerungen zu befreien war der Inten-tion des Konzils von Trient in bester Weise entsprochen worden Es muszligte kein imaginaumlrer bdquoGeist von Trientldquo be-schworen werden um das neue Meszlig-buch als adaumlquate Umsetzung dessen zu deklarieren was die Konzilsvaumlter gewuumlnscht hatten Vereinheitlichung des Meszligritus und bdquoWiederherstellung des Urspruumlnglichen ehrwuumlrdig Al-ten und damit des Roumlmischen in der Meszligliturgieldquo waren die beiden wich-tigsten Reformwuumlnsche5 Das Missale Romanum von 1570 entsprach den seit langem erhobenen Forderungen nach einer einheitlichen Norm fuumlr den roumlmisch-lateinischen Ritus Es war ein eindrucksvolles Ergebnis der katholi-schen Reformbewegung des 16 Jahr-hunderts die im Konzil von Trient ih-ren greifbarsten und zukunftsweisen-den Ausdruck fand Das Missale Ro-manum fand insgesamt gesehen eine schnelle Rezeption auf weltkirchlicher Ebene Fuumlr die folgenden Jahrhunder-te war es das Meszligbuch der roumlmisch-katholischen Kirche

Anthropozentrik oder Theozentrik der Liturgie

Papst Pius V starb am 1 Mai 1572 Im Jahre 1672 wurde er seliggespro-chen 1712 erfolgte seine Heiligspre-chung Das Missale von 1962 gedenkt seiner mit einem Fest dritten Ranges Es waumlre allerdings eine grobe Verken-nung liturgischer Rangstufen wollte man hierin nur eine bdquodrittklassigeldquo Ver-ehrung sehen die dem heiligen Papst in der alten Liturgie die er maszliggeblich praumlgte zuteil wird Drittklassige Ver-

5 H Jedin Das Konzil von Trient und die Reform des roumlmischen Meszligbuchs Liturgisches Leben 6 (1939) 30-66 52

ehrung im negativen Sinn ist hinge-gen das was der Novus Ordo aus dem einstigen Fest gemacht hat indem er diesem Heiligen nur eine memoria ad libitum zubilligte einen Gedenktag dessen Feier dem Belieben des Zele-branten anheimgestellt ist Deutlicher konnten die hierfuumlr verantwortlichen Reformer wohl kaum zum Ausdruck bringen was sie von der mit dem Namen dieses Papstes verbundenen Liturgie hielten wie sehr sie von dem Wunsch beseelt waren Neues an die Stelle des Bisherigen zu setzen Be-kanntlich gibt es nichts Intoleranteres als an die Macht gekommene Revolu-tionaumlre

In einem Interview aumluszligerte der renommierte Liturgiehistoriker und Benediktiner Alcuin Reid auf die Fra-ge bdquoKontinuitaumlt oder Bruchldquo es gebe Anzeichen bdquodie darauf hindeuten daszlig die fuumlr die Reform Verantwortlichen einen Bruch im Sinn hatten ndash sowohl in theologischer als auch in ritueller Hinsicht Das was durch die Tradition uumlberliefert war wollten sie nicht Sie wollten das auch nicht weiterentwi-ckeln Sie wollten etwas Neues das den sbquomodernen Menschenlsquo der sechzi-ger Jahre widerspiegelte und was die-ser ihrer Meinung nach brauchteldquo6 Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchte vermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V kodifizierte Liturgie eine bdquoanthropologische Wendeldquo war angesagt7

Braucht der moderne Mensch An-fang des dritten Jahrtausends jene Liturgie noch Oder braucht er sie viel-leicht gerade wieder Braucht er sie

6 Zitat nach Die Tagespost 0510 2011 S 57 So A Haumluszligling Liturgiereform Materialien zu einem neuen Thema Archiv der Liturgiewissen-schaft 31 (1989) 1-23 29

moumlglicherweise dringender denn je weil die anthropozentrische Wende der reformierten Liturgie ndash die Aus-richtung des Gottesdienstes primaumlr auf den Menschen - nicht das ist was er wirklich und im Innersten braucht

Die Tagesoration bittet bdquoGib daszlig wir durch seinen Beistand beschirmt werdenldquo ndash fac nos ipsius defendi praesi-diis Woumlrtlicher noch muumlszligte es heiszligen bdquolasse uns durch seinen Schutz seine Hilfe sein Geleit verteidigt seinldquo Inwie-fern koumlnnte Papst Pius V nicht nur im allgemeinen himmlischer Fuumlrsprecher der irdischen Kirche sein insbesonde-re all derer die sich pro missa tridenti-na engagieren sondern gerade mit der von ihm kodifizierten Liturgie uns heute hilfreich verteidigen

bdquoAuch wir haben den Kult des Men-schenldquo beteuerte Papst Paul VI 1965 in seiner Ansprache zur Eroumlffnung der letzten oumlffentlichen Sitzung des II Va-tikanum am 7 Dezember 1965 Er ap-pellierte an die Unglaumlubigen mit den Worten bdquoDieses Lob spendet wenig-stens dem Konzil ihr die ihr in diesem unseren Zeitalter den Kult der Mensch-lichkeit pflegt und die Wahrheiten die die Natur der Dinge uumlbersteigen zu-ruumlckweist anerkennt zugleich unsere neuartige Bemuumlhung um die Mensch-lichkeit auch wir ja wir mehr noch als die anderen sind Verehrer des Menschenldquo ndash Cultores hominis sumus8 Der vorausgegangene Kontext paral-lelisierte nun aber ausdruumlcklich cultus Dei (bdquoVerehrung Gottesldquo) und cultus hominis (bdquoVerehrung des Menschenldquo) Gewiszlig war damit zunaumlchst gemeint daszlig die Sorge der Kirche stets dem Menschen gelte Eine Selbstverstaumlnd-lichkeit die gerade in jenen Epochen

8 AAS 58 (1966) 56

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Garant der Theozentrik ist hier aber auchdie bis auf das Aumluszligerste minimierte Moumlglichkeitdaszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen

der Kirchengeschichte am aufopfe-rungsvollsten verwirklicht wurde wo am wenigsten daruumlber geredet wurde Die Formulierung und ausdruumlckliche Parallelisierung mit dem bdquoGotteskultldquo hingegen erscheint fragwuumlrdig und wurde entsprechend kritisiert bdquoKult des Menschenldquo Muszlig ein Papst so re-den Muszlig sich die Kirche in dieser Wei-se der unglaumlubigen Welt anempfeh-len Verraumlt sich in dieser Formulierung nicht die Mentalitaumlt der sechziger Jah-re die das Konzil praumlgte und auch die Liturgiereform impraumlgnierte

bdquoDer Mensch ndash das Maszlig aller Din-geldquo Man koumlnnte meinen der griechi-sche Sophist Protagoras von dem die sogenannte homo mensura-Maxime stammt habe Sitz und Stimme im Consilium gehabt dem Rat zur Durch-fuumlhrung der Liturgiereform Alles muszlig dann diesem Menschen restlos ver-staumlndlich und faszligbar sein Uumlberall muszlig er sich aktiv einbringen koumlnnen Stets muszlig er sich mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und alltaumlglichen Beduumlrf-nissen wiederfinden koumlnnen Was mit der Maxime ndash bdquoder Mensch ndash das Maszlig aller Dingeldquo ndash nicht kompatibel erscheint wird abgeschafft gekuumlrzt uminterpretiert frei uumlbersetzt durch

neue Texte ersetzt zur bloszligen Wahl-moumlglichkeit herabgestuft Der Erfin-dungsreichtum ist groszlig damit endlich auch die katholische Kirche sich ruumlh-men koumlnne den bdquoKult des Menschen zu habenldquo

Ganz anders ndash naumlmlich theozent-risch ndash orientiert war das Reformwerk Piuslsquo V bdquoDen goumlttlichen Kult wiederher-zustellenldquo sei seine Berufung gewe-sen sagt die Tagesoration ndash divinum cultum reparare Das Adjektiv bdquogoumlttlich ndash divinusldquo gewinnt fuumlr uns ungeahnte Aktualitaumlt Es ist die ausgepraumlgte Theo-zentrik der klassischen Liturgie die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt Diese primaumlre Ausrich-tung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung ver-sus altare in der Sakralsprache in der Kanonstille in unzaumlhligen Zeichen der Reverenz ndash Kniebeugen Verneigun-gen Verhuumlllungen Kreuzzeichen - in der ganzen Atmosphaumlre der Sakralitaumlt die der klassische Ritus ausstrahlt

Garant der Theozentrik ist hier aber auch die bis auf das Aumluszligerste mini-mierte Moumlglichkeit daszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen Gertrud von le Fort klagt in ihren bdquoHymnen an die KircheldquobdquoWer errettet meine Seele vor den Wor-ten der Menschen Sie toumlnen aus der Ferne wie Posaunen aber wenn sie nahe kommen tragen sie nur Schellen Sie draumlngen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln aber wenn der Wind aufsteht zerflattert ihr Gepraumlnge Houmlret ihr Lauten und Vermeszlignen ihr Wetterfluumlchtrsquogen des Geistes und ihr Kin-der eurer Willkuumlr Wir sind verdurstet bei euren Quellen wir sind verhungert bei eurer Speise wir

sind blind geworden bei euren Lampen Ihr seid wie eine Straszlige die nie an-kommt ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber Ihr seid wie ein treibendes Gewaumlsser immer ist in eurem Munde euer eignes Rauschenldquo9

Wer erinnert sich hier nicht un-willkuumlrlich an manches Erlebnis mit der neuen Liturgie die menschlicher Redseligkeit weiten Spielraum laumlszligt ausufernde persoumlnliche Begruumlszligungen und Verabschiedungen unermuumldli-ches Kommentieren aller liturgischen Handlungen oder Texte selbstfabri-zierte Fuumlrbitten ebenso duumlrftig im Inhalt wie banal im Ausdruck bdquoLauter kleine Schritte um euch selber Immer ist in eurem Munde euer eignes Rau-schenldquo Der traditionelle Ritus bietet diesem Kreisen um sich selber keiner-lei Raum fuumlr ein Sich-Berauschen an den eigenen Worten gibt es keinen Platz bdquoWer errettet meine Seele vor den Worten der Menschenldquo ndash bdquoder klassische Ritusldquo lautet die einfache Antwort Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimension der Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassen dies ist das Gebot der Stunde

Reichtum der klassischen Gebetssprache

Zum Reichtum der uumlberlieferten Messe gehoumlrt ebenso die Sprache ihrer Gebete Houmlren wir nochmals Gertrud von le Fort in ihren bdquoHymnen an die Kircheldquo wo die Seele zu dieser spricht bdquoDeine Gebete sind wie tausendjaumlhrige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere hellip

9 G von le Fort Hymnen an die Kirche Muumlnchen 51948 22

Papst Paul VI (1897 +1978 Papst 1963-1978)

11Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

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Garant der Theozentrik ist hier aber auchdie bis auf das Aumluszligerste minimierte Moumlglichkeitdaszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen

der Kirchengeschichte am aufopfe-rungsvollsten verwirklicht wurde wo am wenigsten daruumlber geredet wurde Die Formulierung und ausdruumlckliche Parallelisierung mit dem bdquoGotteskultldquo hingegen erscheint fragwuumlrdig und wurde entsprechend kritisiert bdquoKult des Menschenldquo Muszlig ein Papst so re-den Muszlig sich die Kirche in dieser Wei-se der unglaumlubigen Welt anempfeh-len Verraumlt sich in dieser Formulierung nicht die Mentalitaumlt der sechziger Jah-re die das Konzil praumlgte und auch die Liturgiereform impraumlgnierte

bdquoDer Mensch ndash das Maszlig aller Din-geldquo Man koumlnnte meinen der griechi-sche Sophist Protagoras von dem die sogenannte homo mensura-Maxime stammt habe Sitz und Stimme im Consilium gehabt dem Rat zur Durch-fuumlhrung der Liturgiereform Alles muszlig dann diesem Menschen restlos ver-staumlndlich und faszligbar sein Uumlberall muszlig er sich aktiv einbringen koumlnnen Stets muszlig er sich mit seinen unmittelbaren Erfahrungen und alltaumlglichen Beduumlrf-nissen wiederfinden koumlnnen Was mit der Maxime ndash bdquoder Mensch ndash das Maszlig aller Dingeldquo ndash nicht kompatibel erscheint wird abgeschafft gekuumlrzt uminterpretiert frei uumlbersetzt durch

neue Texte ersetzt zur bloszligen Wahl-moumlglichkeit herabgestuft Der Erfin-dungsreichtum ist groszlig damit endlich auch die katholische Kirche sich ruumlh-men koumlnne den bdquoKult des Menschen zu habenldquo

Ganz anders ndash naumlmlich theozent-risch ndash orientiert war das Reformwerk Piuslsquo V bdquoDen goumlttlichen Kult wiederher-zustellenldquo sei seine Berufung gewe-sen sagt die Tagesoration ndash divinum cultum reparare Das Adjektiv bdquogoumlttlich ndash divinusldquo gewinnt fuumlr uns ungeahnte Aktualitaumlt Es ist die ausgepraumlgte Theo-zentrik der klassischen Liturgie die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt Diese primaumlre Ausrich-tung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung ver-sus altare in der Sakralsprache in der Kanonstille in unzaumlhligen Zeichen der Reverenz ndash Kniebeugen Verneigun-gen Verhuumlllungen Kreuzzeichen - in der ganzen Atmosphaumlre der Sakralitaumlt die der klassische Ritus ausstrahlt

Garant der Theozentrik ist hier aber auch die bis auf das Aumluszligerste mini-mierte Moumlglichkeit daszlig die Worte des Menschen Gottes Wort uumlberlagern und uumlbertoumlnen Gertrud von le Fort klagt in ihren bdquoHymnen an die KircheldquobdquoWer errettet meine Seele vor den Wor-ten der Menschen Sie toumlnen aus der Ferne wie Posaunen aber wenn sie nahe kommen tragen sie nur Schellen Sie draumlngen sich hervor mit Fahnen und Wimpeln aber wenn der Wind aufsteht zerflattert ihr Gepraumlnge Houmlret ihr Lauten und Vermeszlignen ihr Wetterfluumlchtrsquogen des Geistes und ihr Kin-der eurer Willkuumlr Wir sind verdurstet bei euren Quellen wir sind verhungert bei eurer Speise wir

sind blind geworden bei euren Lampen Ihr seid wie eine Straszlige die nie an-kommt ihr seid wie lauter kleine Schritte um euch selber Ihr seid wie ein treibendes Gewaumlsser immer ist in eurem Munde euer eignes Rauschenldquo9

Wer erinnert sich hier nicht un-willkuumlrlich an manches Erlebnis mit der neuen Liturgie die menschlicher Redseligkeit weiten Spielraum laumlszligt ausufernde persoumlnliche Begruumlszligungen und Verabschiedungen unermuumldli-ches Kommentieren aller liturgischen Handlungen oder Texte selbstfabri-zierte Fuumlrbitten ebenso duumlrftig im Inhalt wie banal im Ausdruck bdquoLauter kleine Schritte um euch selber Immer ist in eurem Munde euer eignes Rau-schenldquo Der traditionelle Ritus bietet diesem Kreisen um sich selber keiner-lei Raum fuumlr ein Sich-Berauschen an den eigenen Worten gibt es keinen Platz bdquoWer errettet meine Seele vor den Worten der Menschenldquo ndash bdquoder klassische Ritusldquo lautet die einfache Antwort Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimension der Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassen dies ist das Gebot der Stunde

Reichtum der klassischen Gebetssprache

Zum Reichtum der uumlberlieferten Messe gehoumlrt ebenso die Sprache ihrer Gebete Houmlren wir nochmals Gertrud von le Fort in ihren bdquoHymnen an die Kircheldquo wo die Seele zu dieser spricht bdquoDeine Gebete sind wie tausendjaumlhrige Eichen und deine Psalmen haben den Atem der Meere hellip

9 G von le Fort Hymnen an die Kirche Muumlnchen 51948 22

Papst Paul VI (1897 +1978 Papst 1963-1978)

11Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

14

Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

16

Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

11Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Divinum cultum reparare ndash die goumlttliche Dimensionder Liturgie wiederzugewinnen und erstarken zu lassendies ist das Gebot der Stunde

Deine Gebete sind kuumlhner als alle Gebir-ge der Denker Du baust sie wie Bruumlcken ins Uferlose du laumlszligt sie wie Adler ins Schwindelnde steigenldquo10

Die besondere Qualitaumlt des klas-sischen Meszligbuchs beruht nicht zu-letzt darauf daszlig dort und nur dort nicht mehr im Novus Ordo Missae Gebetstexte enthalten sind die in ein-zigartiger Weise das spezifisch Katho-lische zum Ausdruck bringen und den uumlberlieferten Meszligritus als gefeiertes Dogma erscheinen lassen Die Gebete dieser Liturgie bdquosind beherrscht und durchwirkt vom Dogmaldquo11

Sehr deutlich zeigt sich dies an den Orationen (collecta secreta postcom-munio) die schon in stilistischer Hin-sicht Kunstwerke houmlchsten Ranges sind Diese bdquoschoumlnsten Kleinodien des liturgischen Schatzes der Kircheldquo12 die zu den aumlltesten Bestandteilen ihres spirituellen Erbes gehoumlren und ganz vom Dogma durchdrungen sind bil-den geradezu eine Summa theologica in nuce die den katholischen Glauben unverkuumlrzt und praumlgnant zum Aus-druck bringt13 Allein die Orationen des klassischen Ritus enthalten und bewahren zahlreiche Gedanken die in spaumlteren modifizierten Fassungen abgeschwaumlcht oder ganz verschwun-den sind jedoch unaufgebbar zum katholischen Glauben gehoumlren die Losloumlsung vom Irdischen und die Sehnsucht nach dem Ewigen die Kouml-nigsherrschaft Christi uumlber die Welt und Gesellschaft der Kampf gegen

10 Ebd 28 3011 R Guardini Vom Geist der Liturgie Muumlnchen 141934 612 G Calvet Die heilige Liturgie Wien 1985 3113 Vgl Fiedrowicz Die uumlberlieferte Messe 230-241

Haumlresie und Schisma die Bekehrung der Unglaumlubigen die Notwendigkeit der Ruumlckkehr zur katholischen Kirche und unverfaumllschten Wahrheit Ver-dienste Wunder Erscheinungen der Heiligen Gottes Zorn uumlber die Suumlnde und die Moumlglichkeit ewiger Verdamm-nis All diese Aspekte sind zutiefst in der biblischen Botschaft verwurzelt und haben die katholische Froumlmmig-keit nahezu uumlber zwei Jahrtausende unverkennbar gepraumlgt

Die Kritik an sogenannten negati-ven Themen und polemischen Zuumlgen der klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Un aus ge-wo gen hei ten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten Vielmehr bekundet sich in jenen Gebetsformulierungen eine uumlberaus realistische Wahrneh-mung des Zustandes der Welt und des Menschen in ihr Wenn Augustinus in seinem Werk bdquoUumlber den Gottesstaatldquo (civ 1851) schrieb daszlig bdquodie Kirche seit Abel bis zum Ende dieser Zeit ihren Weg zwischen den Verfolgungen der Welt und den Troumlstungen Gottes geheldquo so sind die Orationen der eindringli-che Widerhall dieser geschichtsum-spannenden Erfahrung Unermuumldlich bittet daher die Kirche Gott er moumlge die Glaumlubigen vor allen Widrigkeiten schuumltzen (ab omnibus semper tueantur adversis)14 gegenuumlber allen Gefah-ren verteidigen (a cunctis nos defende periculis)15 von allem drohenden Un-heil befreien (a cunctis malis imminen-tibus hellip liberemur)16

14 Postcommunio am Fest des hl Markus 25 April 15 Sekret am Fest des hl Chrysogonus 24 No-vember16 Kollekte am Fest der hl Kosmas und Damian 27 September

Nicht nur von aumluszligeren Widrigkei-ten wird die Kirche vielfaumlltig bedraumlngt Vielmehr nimmt in den klassischen Orationen auch der Kampf gegen die Suumlnde groszligen Raum ein die die Majestaumlt Gottes beleidigt (qui mai-estatem tuam graviter delinquendo offendimus)17 die Seele verwundet (culpae vulnera)18 mit ihrem Gewicht herabzieht (qui peccatorum nostrorum pondere premimur)19 und gefangen-haumllt (sub peccati iugo vetusta servitus tenet)20 Der Umkehrwille des Suumlnders manifestiert sich in wuumlrdigen Fruumlch-ten der Buszlige (dignos paenitentiae

17 Kollekte am Fest des hl Bruno 6 Oktober18 Postcommunio am Hochfest der Immaculata conceptio 8 Dezember19 Kollekte am Fest des hl Papstes Gregor I 12 Maumlrz20 Kollekte der dritten Weihnachtsmesse am Tage

Liturgiereform wider den Zeitgeist

12

Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

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Die Kritik an sogenannten negativen Themen und polemischen Zuumlgender klassischen Orationen spiegelt eher den modernen Zeitgeist wider als daszlig hier theologische Unausgewogenheiten vorlaumlgen die korrigiert werden muumlszligten

fructus facere)21 tiefer Reumuumltigkeit (nos eorum consociari fletibus)22 und Suumlhneleistung (dignae quoque satis-factionis exhibeamus officium)23 Indem die Bedeutsamkeit auch des leiblichen Fastens betont wird (Inchoata ieiunia hellip observantiam quam corporaliter exercemus)24 erinnern die Orationen der Quadragesima daran daszlig die Wechselwirkungen zwischen Leib und

21 Kollekte am Fest des hl Raimund von Penafort 23 Januar22 Kollekte am Fest der sieben heiligen Gruumlnder des Servitenordens 12 Februar23 Kollekte am Fest des heiligsten Herzens Jesu24 Kollekte am Freitag n Aschermittwoch

Seele eine anthropologische Konstan-te bilden die zu allen Zeiten auch im Beten der Kirche den Glaumlubigen vor Augen zu fuumlhren ist soll dieses Gebet mehr sein als nur Spiegelbild des fak-tisch Praktizierten Die Gebetssprache der klassischen Liturgie widersteht allen Versuchungen sich der Men-talitaumlt des modernen Menschen an-zugleichen Sie ist gleichsam immun gegenuumlber dem Vorwurf den der ko-lumbianische Katholik und Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila der heutigen Kirche machen zu muumlssen glaubte wenn er in einem seiner bekannten

Aphorismen-Werke schrieb bdquoNachdem sie nicht erreichte daszlig Menschen prakti-zieren was sie lehrt hat die gegenwaumlrti-ge Kirche beschlossen zu lehren was sie praktizierenldquo25

Die uumlberlieferten Orationen kennen daher auch keine unkritische Oumlffnung zur Welt sondern rufen unermuumldlich die vom Evangelium gebotene Di-stanz in Erinnerung Charakteristisch hierfuumlr ist die Postcommunio des 2 Adventssonntages bdquoGesaumlttigt durch den Genuszlig der Seelenspeise bitten wir Dich flehentlich o Herr lehre uns durch die Teilnahme an diesem Ge-heimnis das Irdische verachten und das Himmlische liebenldquo - terrena despi-cere et amare caelestia Wie wenig eine solche Bitte mit einer falsch verstande-nen Weltverachtung zu tun hat zeigen allein schon die groszligen Kulturleistun-gen der Kirche in allen Epochen ihrer Geschichte Wie sehr die klassischen Orationen ganz dem Geist des Neuen Testamentes entsprechen beweisen schon wenige exemplarische Zitate bdquoWer Freund dieser Welt sein will wird ein Feind Gottes seinldquo (Jak 44) So warnt der heilige Paulus bdquoMacht euch nicht gleichfoumlrmig mit dieser Weltldquo (Roumlm 122) Viele aumlhnliche Texte lie-szligen sich anfuumlhren um zu zeigen daszlig die klassischen Orationen keineswegs einer bestimmten mittelalterlichen Mentalitaumlt (bdquoWeltfluchtldquo bdquoTal der Trauml-nenldquo) entstammen sondern genuin den Geist des Evangeliums atmen

Blicken wir noch einmal auf die Oration des heutigen Tagesheiligen bdquoO Gott Du hast in Deiner Huld den heiligen Papst Pius auserwaumlhlt damit er die Feinde der Kirche vernichte und den goumlttlichen Kult wiederherstelleldquo

25 NG Davila Einsamkeiten Wien 1987 77

Pontifikalamt in Nigeria

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

14

Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

13Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Die Gebetssprache der klassischen Liturgiewidersteht allen Versuchungensich der Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen

Im Novus Ordo Missae ist dieser Text wie folgt geaumlndert worden bdquoHerr unser Gott du hast den heiligen Papst Pius berufen in deiner Kirche den Glau-ben zu schuumltzen und die Liturgie zu erneuernldquo Den Glauben zu schuumltzen ist zweifellos die Aufgabe aller Nach-folger Petri Aber manifestiert sich hier nicht eine neue Sichtweise was das Verhaumlltnis Kirche-Welt betrifft Es ent-steht der Eindruck die bdquoKirche in der Welt von heuteldquo ndash so der Titel der Pa-storalkonstitution bdquoGaudium et spesldquo ndash hat keine Feinde mehr sie kennt nur noch Dialogpartner Es gibt allenfalls Menschen die bdquonoch fernldquo von Gott sind wie es im dritten Hochgebet des Novus Ordo heiszligt mehr oder weniger sind alle bdquoanonyme Chri stenldquo wie es Karl Rahner in den 70er Jahren propa-gierte

Der roumlmische Historiker Roberto de Mattei wurde in juumlngster Zeit auch im deutschen Sprachraum bekannt durch sein epochales Werk bdquoDas Zwei-te Vatikanische Konzil Eine bislang un-geschriebene Geschichteldquo26 In einem Interview aumluszligerte er vor einigen Mo-naten die provokante These bdquoDie Kon-zilsvaumlter haumltten mit einer prophetischen Geste die Moderne vielmehr herausfor-dern sollen als deren verwesenden Leib zu umarmen wie dies leider geschahldquo27

Es war der typische Optimismus je-ner Zeit die naive Fortschrittsglaumlubig-keit einer Generation die nun auch die uumlberlieferte Gebetssprache der Kirche die Rede von Feinden und von Kaumlmp-fen etwa als unzeitgemaumlszlig empfand und durch andere zeitgemaumlszligere For-mulierungen zu ersetzen suchte Jener

26 Edition Kirchliche Umschau 201127 Zitiert nach wwwkathnet vom 19 Januar 2011

Optimismus und Utopismus sind heu-te laumlngst passeacute Inzwischen wissen wir wieder sehr wohl daszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat an-gefangen von den sogenannten bdquoNeu-en Atheistenldquo (zB R Dawkins oder M Schmidt-Sa lo mon) die ihrerseits sehr kaumlmpferisch gegen die Kirche angehen bis hin zur Polemik in unse-ren Medien wie sie zuletzt im Vorfeld und waumlhrend des Papstbesuches im vergangenen Jahr entfesselt wurde In einer solchen Situation gewinnt die Gebetssprache der uumlberkommenen Li-turgie unerhoumlrte Aktualitaumlt Wer nicht voumlllig realitaumltsfremd ist erkennt die Kirche bdquoin der Welt von heuteldquo ist nicht einfach bdquoVolk Gottes auf dem Wegeldquo sie ist vielmehr eine streitende Kirche (ecclesia militans)28 Ihre Glieder sind daher zum Kampf gerufen Die Gebete

28 Kollekte am Fest des hl Ignatius von Loyola 31 Juli Vgl die Postcommunio am Christkoumlnigs-fest Qui sub Christi Regis vexillis militare gloria-mur

zeigen welchen Feinden und Widersa-chern im weltlichen wie im geistlichen Leben die streitende Kirche begegnen muszligte und weiterhin begegnen muszlig

Auf dem juumlngsten Konzil wurde auch daruumlber diskutiert Der kroatische Bischof von Split Frane Franić schlug am 12 Oktober 1963 vor im Entwurf bdquoDe Ecclesialdquo dem neuen Kirchentitel peregrinans (bdquopilgerndldquo) die traditi-onelle Bezeichnung militans (bdquostrei-tendldquo) hinzuzufuumlgen Der Vorschlag wurde abgelehnt da sich die Kirche der Welt nicht im Bild des Kampfes der Verurteilung oder Auseinander-setzung praumlsentieren wollte sondern im Zeichen des Dialoges des Friedens der Oumlkumene der bruumlderlichen Zu-sammenarbeit mit allen Menschen29 Wie realistisch solch ein Paradigmen-wechsel war zeigt ein Blick in die Ge-schichte bzw auf die Bilanz der so-genannten Nachkonzils-Epoche Der

29 Vgl R de Mattei Das Zweite Vatikanische Kon-zil 350-352

Asperges im Benediktinerkloster Ste Madeleine (Le Barroux)

Liturgiereform wider den Zeitgeist

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

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Inzwischen wissen wir wieder sehr wohldaszlig und wie viele Feinde die Kirche gerade heute hat

schon zitierte katholische Zeitkritiker Nicolas Gomez Davila konstatierte in einem seiner Aphorismen bdquoDie Pirou-etten des modernen Theologen haben ihm weder eine Konversion mehr noch eine Apostasie weniger eingebrachtldquo30

Einem heute weit verbreiteten Ver-zicht auf die sogenannte Ruumlckkehr-Oumlkumene stellt das klassische Missale die Uumlberzeugung der Kirche aller Jahr-hunderte entgegen daszlig keinesfalls alle Konfessionen gemeinsam auf dem Weg zur Wahrheit sind Die uumlberkom-menen Orationen erinnern demge-genuumlber in unbequemer Weise daran daszlig es in Glaubensfragen nicht nur unterschiedliche Meinungen sondern auch Irrtuumlmer geben kann die uumlber-wunden wenn nicht gar bekaumlmpft werden muumlssen31 Ein Verzicht auf die-sen Kampf kaumlme einem Sieg des Rela-tivismus gleich

Auch die Welt der Heiligen tritt im uumlberlieferten Ritus in unverkuumlrzter Ge-stalt vor Augen Mindestens 200mal sprechen die Orationen von den Ver-diensten der Heiligen (merita sancto-rum) die uns zugutekommen koumlnnen auf die wir uns in unseren Gebeten berufen koumlnnen Ebenso werden viele Wunder der Heiligen nur in den uumlber-lieferten Orationen erwaumlhnt Nicht die Mentalitaumlt des modernen Menschen ist Maszligstab fuumlr das liturgische Gebet sondern der uumlberlieferte Glaube der Kirche daszlig Christi Wundertaten seiner eigenen Verheiszligung gemaumlszlig (vgl Mk 1617f ) im Wirken der Heiligen gegen-waumlrtig bleiben werden

30 NG Davila Auf verlorenem Posten Wien 1994 21631 Vgl die Kollekte am Fest des hl Petrus Cani-sius 27 April sowie des hl Robert Bellarmin 13 Mai

Heiligenverehrung im uumlberkomme-nen katholischen Sinne mit Verdien-sten Wundern und Erscheinungen der Heiligen findet sich somit uneinge-schraumlnkt nur in der klassischen Litur-gie der alle rationalistischen Tenden-zen fremd sind die den Heiligen nur noch eine Vorbildfunktion zuzuerken-nen moumlchte alles streng Uumlbernatuumlrli-che hingegen auszublenden sucht

Ebenso zeigt sich im Bereich der Eschatologie daszlig die bdquoletzten Dingeldquo - die Wirklichkeit des Weltgerichts die Suumlndenstrafen die Moumlglichkeit ewiger Verwerfung ndash unverkuumlrzt nur in der uumlberlieferten Liturgie zum Ausdruck kommen Deren Texte propagieren nicht sorglos einen Heilsoptimismus sondern rufen auch unbequeme Glau-benswahrheiten in Erinnerung die nicht dadurch aus der Welt geschafft werden daszlig sie nicht mehr erwaumlhnt werden Die klassische Gebetssprache wehrt allen Tendenzen das Christen-tum in eine zeitgemaumlszlige bdquoWellness-Religionldquo zu verwandeln die von nie-mandem etwas fordert weil sie alles gutheiszligt und billigt

Der theologisch-spirituelle Reich-tum der klassischen Orationen be-weist daszlig es nicht darum gehen kann die offiziellen Gebetsformulare zu aumlndern um sie der Sprache und Mentalitaumlt des modernen Menschen anzugleichen sondern es im Gegen-teil darum gehen muszlig diesen Men-schen die Sprache der Liturgie lernen zu lassen Genau so verfaumlhrt die klas-sische Liturgie in ihrer Gebetssprache bdquoSo laumlszligt jedes Fest uns eine besondere Gnade erbitten mit einer Sanftheit und einer Genauigkeit die die Seele gerade-wegs in den Mittelpunkt des gefeierten Geheimnisses hineinfuumlhren Wir werden

belehrt um was wir bitten muumlssen wie wir bitten muumlssen warum wir bitten muumlssenldquo32

Unversehrtheit des GlaubensBlicken wir noch einmal auf die

Schluszligoration des heutigen Festes Im Novus Ordo gibt es keine spezifische Postcommunio fuumlr Papst Pius V viel-mehr wird eine allgemeine Oration fuumlr Paumlpste oder Bischoumlfe verwendet In der uumlberlieferten Oration heiszligt es bdquoWir bitten dich Herr lenke huldvoll Deine Kirche die Du mit heiliger Staumlr-kung genaumlhrt damit sie durch starke Fuumlhrung geleitet Zuwachs an Freiheit erlange und in ungebrochener Gottes-verehrung beharreldquo ndash in religionis inte-gritate persistere Integritas bedeutet

32 Calvet Liturgie 35

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

15Dominus Vobiscum Nr 5 Oktober 2012

Der klassische Ritus bezeugt die katholische Glaubenslehrein ihrer Integritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sichals klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubenswahrheiten

Liturgiereform wider den Zeitgeist

Unversehrtheit Vollstaumlndigkeit Voll-kommenheit

Auch in diesem Punkt ist die Litur-giereform Papst Piuslsquo V ebenso zeit-geistwidrig wie zukunftsweisend33 Viele die die klassische Liturgie nicht kennen nur mit der erneuerten Ge-stalt vertraut sind halten das was sie dort sehen und houmlren zumeist schon fuumlr das Ganze Kaum jemand ahnt daszlig biblische Perikopen vielleicht um zen-trale Aussagen verkuumlrzt wurden kaum jemand merkt wenn in den Orationen die Kirche nicht mehr ausdruumlcklich den Irrtum bekaumlmpft nicht mehr die Ruumlckkehr der Verirrten erbittet dem Himmlischen nicht mehr eindeutige Prioritaumlt vor dem Irdischen gibt die Heiligen zu bloszlig moralischen Vorbil-33 Zum Folgenden vgl Fiedrowicz Die uumlberlie-ferte Messe 282-293

dern macht den Ernst der Suumlnde ver-schweigt die Eucharistie nur noch als Mahl bezeichnet kaum jemand weiszlig noch was die Kirche anstelle der jet-zigen Gabenbereitung einst jahrhun-dertelang betete und wie sie in diesen Gebeten die Messe als Opfer verstand dargebracht durch die Hand des Prie-sters fuumlr Lebende und Verstorbene

Der klassische Ritus bezeugt die ka-tholische Glaubenslehre in ihrer Inte-gritaumlt Die uumlberlieferte Form der Messe erweist sich als klare und vollstaumlndige Bezeugung der zentralen Glaubens-wahrheiten als Bekundung des wah-ren Glaubens so daszlig die Norm des Be-tens (lex orandi) zugleich eine verlaumlszligli-che Norm des Glaubens (lex credendi) bietet Kein Kernelement des Depo-situm fidei wird verschwiegen abge-

schwaumlcht oder ambivalent formuliert Unmiszligver staumlndlich und unverkuumlrzt bekundet die uumlberlieferte Form der Meszligfeier was die Kirche glaubt seit jeher geglaubt hat und stets glauben wird Daher wurde die Liturgie als bdquoTradition in ihrer machtvollsten und feierlichsten Gestaltldquo34 als bdquowichtig-stes Instrument der Traditionldquo35 be-zeichnet Bezeichnend fuumlr eine voumlllige Verkennung dieser Tatsache ist die Forderung des sogenannten Theo-logen-Memorandums vom Februar vergangenen Jahres wo es heiszligt bdquoDer Gottesdienst darf nicht in Traditiona-lismus erstarrenldquo36 Die Feier der Litur-gie in ihrer uumlberlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenuumlber allen Verflachungen Verkuumlrzungen Verwaumlsserungen und Banalisierun-gen des Glaubens Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie voumlllig verschwinden oder darin stark abgeschwaumlcht werden drohen sie allmaumlhlich auch aus dem Glaubens-bewuszligtsein der Priester und Glaumlubi-gen zu verschwinden Die uumlberlieferte Form der heiligen Messe ist daher ein unerlaumlszligliches Korrektiv das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag

Den wertvollen Schatz der uumlberlie-ferten Liturgie zu bewahren gehoumlrt zur Bewahrung des Depositum fidei Der Apostel Paulus mahnte seinen

34 P Gueacuteranger Institutions liturgiques I Paris 21878 3 bdquoLa Liturgie est la tradition mecircme agrave son plus haut degreacute de puissance et de sollenniteacuteldquo 35 J-B Bossuet Eacutetats drsquooraisons VI (Oeuves V) Pa-ris 1868 464 bdquoLe principal instrument de la Traditi-on de lrsquoEacuteglise est renfermeacute dans ses priegraveresldquo 36 Memorandum von Theologieprofessoren und ndashprofessorinnen zur Krise der katholischen Kirche 4 Februar 2011 zitiert nach wwwmemorandum-freiheitde

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo

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Chesterton schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzigewas den Menschen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrtein Kind seiner Zeit zu seinldquo

Triumph des Thomas von Aquin uumlber Averroes (Benozzo Gozzoli 1471)

Schuumller bdquoO Timotheus bewahre das dir anvertraute (Glau-bens-)Gutldquo (1 Tim 620) In zeitloser Aktualitaumlt deutete der fruumlhchristliche Moumlnchspriester Vinzenz von Leacuterins (434) diese apostolische Weisung wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension ver-stand bdquoWer ist heute jener Timotheus wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten die das unversehrte Wissen der Gottesver-ehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen muumlssenldquo37 Die uumlberlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewaumlhrte Garant dieses unver-sehrten Wissens der Gottesverehrung

Zuwachs an FreiheitDer englische Schriftsteller und Konvertit Chesterton

schrieb bdquoDie katholische Kirche ist das Einzige was den Men-schen vor der erniedrigenden Knechtschaft bewahrt ein Kind seiner Zeit zu seinldquo38 Von bdquodegrading slaveryldquo ist die Rede von degradierender Sklaverei Der klassische Meszligritus beginnt mit dem Stufengebet ad gradus an den Stufen des Altares von Priester und Ministranten gesprochen Im Psalm Iudica me bittet der Priester bdquoSende aus Dein Licht und Deine Wahrheit daszlig sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich fuumlhren in Dein Zeltldquo um anschlieszligend die Al-tarstufen emporzusteigen Jede Feier der heiligen Messe in der uumlberlieferten Form ist gewissermaszligen die Umkehr aus der degradierenden Knechtschaft des Zeitgeistes schenkt sie uns doch in ihren groszligartigen Riten wie in ihren ein-zigartigen Texten jenes Licht und jene Wahrheit die uns emporfuumlhren und einen bdquoZuwachs an Freiheitldquo (incrementa libertatis) gewaumlhren - so die heutige Oration ndash einen Zu-wachs an innerer Freiheit gegenuumlber allen Verfuumlhrungen und Zwaumlngen des Zeitgeistes

37 Vinzenz von Leacuterins Commonitorium 222 (Mit einer Studie zu Werk und Rezeption herausgegeben von M Fiedrowicz uumlbersetzt von C Barthold Muumll-heim Mosel 2011 262-264)38 GK Chesterton The Catholic Church and Conversion London 1960 78 bdquoThe Catholic Church is the only thing which serves a man from the degrading slavery of being a child of his agerdquo