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223 Stahlbau 82 (2013), Heft 3 DOI: 10.1002/stab.201320031 Berichte 1 Aufgabenstellung Ein geschlossener, spannungsfreier Ring mit Kreishohlquer- schnitt liegt auf einer horizontalen, ebenen Unterlage, wel- che um das Maß T 0 erwärmt wird. Durch die damit verbundene Erwärmung des Rings dreht sich dieser bezüglich seiner eigenen Achse um den Winkel ϕ. Die Erwärmung des Rings (in gedrehter Lage) sei längs des Querschnittsumfangs linear veränderlich gemäß: T = ξ π T 0 für −π≤ξ≤π 2 Allgemeines zum Tragverhalten Alle Schnitt- und Formänderungsgrößen des Rings sind rotationssymmetrisch. Daraus folgt, dass keine Torsion auf- tritt. Im Übrigen muss aus Gleichgewichtsgründen gelten: Querkräfte Q y = 0, Q z = 0 (1) Normalkraft N = 0 (2) Biegemoment M y = 0 (3) letzteres, da kein Streckentorsionsmoment vorhanden ist. Aus Verträglichkeitsgründen muss gelten: Verkrümmung bezüglich der y-Achse κ y = 0 (4) Folgende Zustandsgrößen sind vorhanden: Biegemoment M z = konst. – Drehwinkel ϕ = konst. Alle Zustandsgrößen beziehen sich auf den um den Win- kel ϕ gedrehten Querschnitt gemäß Bild 1. Die Bestimmung des gesuchten Zustandes erfolgt durch Überlagerung folgender beiden Lastfälle: Lastfall ϕ: Der Ring wird um den Winkel ϕ gedreht; dabei ergibt sich das Biegemoment M ϕ mit den Komponenten M ϕ,y und M ϕ,z (Bild 3). Lastfall T: Der Ring (in gedrehter Lage) erfährt die Tempe- raturänderung T; aus der Bedingung κ y = 0 ergibt sich das Biegemoment M T,y . Lösung und Gewinner der Weihnachtspreisaufgabe 2012 Gegeben: R, r, t gemäß Bild E Elastizitätsmodul α T Temperaturdehnkoeffizient Gesucht: ϕ = ϕ(T 0 ), Drehwinkel ϕ in Abhängigkeit von T 0 Für ϕ = π/3 (= 60°): erforderliche Erwärmung T 0 , Biegemoment und zugehörige Biegeachse Kür: Ort und Größe der maximalen Zug- und Druckspannung Annahmen: Material linear-elastisch –r << R, t << r alle Zustände sind rotationssymmetrisch die Querschnitte bleiben eben und formtreu der Ring dreht sich reibungsfrei auf der Unterlage Hinweis: Die Aufgabe ist ohne Zuhilfenahme von EDV-Programmen zu lösen. Bild 1. Zustandsgrößen des Ringquerschnitts in gedreh- ter Lage

Lösung und Gewinner der Weihnachtspreisaufgabe 2012

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223Stahlbau 82 (2013), Heft 3

DOI: 10.1002/stab.201320031

Berichte

1 Aufgabenstellung

Ein geschlossener, spannungsfreier Ring mit Kreishohlquer-schnitt liegt auf einer horizontalen, ebenen Unterlage, wel-che um das Maß T0 erwärmt wird.

Durch die damit verbundene Erwärmung des Rings dreht sich dieser bezüglich seiner eigenen Achse um den Winkel ϕ.

Die Erwärmung des Rings (in gedrehter Lage) sei längs des Querschnittsumfangs linear veränderlich gemäß:

T =

ξπ

T0 für − π ≤ ξ ≤ π

2 Allgemeines zum Tragverhalten

Alle Schnitt- und Formänderungsgrößen des Rings sind rotationssymmetrisch. Daraus folgt, dass keine Torsion auf-tritt.

Im Übrigen muss aus Gleichgewichtsgründen gelten:

– Querkräfte Qy = 0, Qz = 0 (1)

– Normalkraft N = 0 (2)

– Biegemoment My = 0 (3)

letzteres, da kein Streckentorsionsmoment vorhanden ist.

Aus Verträglichkeitsgründen muss gelten: – Verkrümmung bezüglich der y-Achse κy = 0 (4)

Folgende Zustandsgrößen sind vorhanden:

– Biegemoment Mz = konst. – Drehwinkel ϕ = konst.

Alle Zustandsgrößen beziehen sich auf den um den Win-kel ϕ gedrehten Querschnitt gemäß Bild 1.

Die Bestimmung des gesuchten Zustandes erfolgt durch Überlagerung folgender beiden Lastfälle:

Lastfall ϕ: Der Ring wird um den Winkel ϕ gedreht; dabei ergibt sich das Biegemoment Mϕ mit den Komponenten Mϕ,y und Mϕ,z (Bild 3).

Lastfall T: Der Ring (in gedrehter Lage) erfährt die Tempe-raturänderung T; aus der Bedingung κy = 0 ergibt sich das Biegemoment MT,y.

Lösung und Gewinner der Weihnachtspreisaufgabe 2012

Gegeben:R, r, t gemäß BildE ElastizitätsmodulαT Temperaturdehnkoeffi zient

Gesucht: – ϕ = ϕ(T0), Drehwinkel ϕ in Abhängigkeit von T0

Für ϕ = π/3 (= 60°): – erforderliche Erwärmung T0, – Biegemoment und zugehörige Biegeachse

Kür: – Ort und Größe der maximalen Zug- und Druckspannung

Annahmen: – Material linear-elastisch – r << R, t << r – alle Zustände sind rotationssymmetrisch – die Querschnitte bleiben eben und formtreu – der Ring dreht sich reibungsfrei auf der Unterlage

Hinweis:Die Aufgabe ist ohne Zuhilfenahme von EDV-Programmen zu lösen.

Bild 1. Zustandsgrößen des Ringquerschnitts in gedreh-ter Lage

Berichte

224 Stahlbau 82 (2013), Heft 3

Aus Mϕ ergibt sich für einen allgemeinen, durch den Win-kel η = π/2 – ξ defi nierten Punkt (Bild 3) die Biegespan-nung (Zug positiv):

(11) σϕ = −

Ia

mit

(12) a = r sin η + ϕ

2

Nach Einsetzen von Mϕ gemäß Gl. (8) sowie I gemäß Gl. (7) erhält man:

(13) σϕ = −E r

R2 sin

ϕ2

sin η + ϕ2

4 Lastfall T: Erwärmung des Rings (in gedrehter Lage)

Da der Lastfall T (Bild 4) symmetrisch zur Vertikalachse ist, genügt die Betrachtung der rechten Symmetriehälfte mit 0 ≤ ξ ≤ π.

Gemäß Aufgabenstellung gilt dafür:

(14) T = ξ

πT0

Die Temperaturdehnung beträgt mit ξ = π/2 – η:

(15) εT = ξ

παTT0 = 1

2αTT0 − η

παTT0 = εT,k + εT,

mit dem konstanten Anteil

(16) εT,k = 1

2αTT0

und dem linearen Anteil

(17) εT, = − η

παTT0

Aus der Bedingung N = 0 folgt, dass die konstanten Deh-nungen εT,k unbehindert sind, also keine Normalspannun-gen σ hervorrufen. Dagegen folgt aus der Bedingung κy = 0 gemäß Gl. (4), dass die linearen Dehnungen εT,� vollstän-dig behindert sind, das heißt, es muss gelten:

(18) ε =

σT

E+ εT, = 0

und damit:

(19) σT = −E εT, = η

πEαTT0

Das Biegemoment einer Symmetriehälfte beträgt dann (Bild 4):

(20)

12

MT,y = σT(−z)t rdη−π/2

π/2

Im resultierenden Zustand gilt dann:

My = Mϕ,y + MT,y = 0 (5)

3 Lastfall ϕ: Drehung des Rings um den Winkel ϕ

Wie in Bild 2 dargestellt, wird dieser Zustand in drei Schrit-ten erreicht.

Schritt 1:Der Ring wird gedanklich an einer Stelle aufgeschnitten und zu einem geraden Stab aufgebogen, wobei an der In-nenseite Zug und an der Außenseite Druck entsteht. Zu-stand 1 in Bild 2 zeigt das damit verbundene Biegemoment

(6) M0 = EI

R

mit dem Flächenträgheitsmoment

I = π t r3 (7)

Schritt 2:Der gerade Stab wird bezüglich seiner Längsachse um den Winkel ϕ gedreht, siehe Zustand 2 in Bild 2.

Schritt 3:Der gerade, gedrehte Stab wird wieder zur Ringform zu-rückgebogen und an den Schnittufern verbunden; damit wirkt zusätzlich das auf die vertikale Achse bezogene Mo-ment M0 in entgegengesetzter Richtung wie bei Schritt 1, siehe Zustand 3 in Bild 2.

Bild 3 zeigt das resultierende Moment

(8) Mϕ = M0 2sin

ϕ2

mit den Komponenten

Mϕ,y = M0 sin ϕ (9)

und

Mϕ,z = M0(1 – cos ϕ) (10)

Bild 4. Lastfall T, Biege-moment MT,y des Rings in gedrehter Lage

Bild 2. Zustände 1 bis 3 zur Beschreibung des Lastfalls ϕ

Bild 3. Lastfall ϕ, resultierendes Biegemoment Mϕ und Spannungsverteilung σ

Berichte

225Stahlbau 82 (2013), Heft 3

(33) für − π

2≤ η ≤ π

2

Um den Extremwert von σ zu fi nden, wird die Ableitung nach η null gesetzt:

(34)

dσdη

= E rR

2sinϕ2

π4

cosϕ2

− cos η + ϕ2

= 0

Daraus ergibt sich:

(35) η = arccos π

4cos

ϕ2

− ϕ2

= 0,299197

und

(36) ξ = ξmin = π

2− η = 1,27160

Die zugehörige Spannung beträgt damit:

(37) σ = −0,529544E r

R= minσ

Da in beiden Lastfällen ϕ und T gegenüber (auf einem Durchmesser) liegende Spannungen gleiche Beträge und umgekehrte Vorzeichen aufweisen, triff t dies auch für den resultierenden Lastfall zu. Damit wird für:

ξmax = ξmin – π = –1,86999 (38)

die Spannung

(39) max σ = − minσ = 0,529544E r

R

erreicht.Bild 5 zeigt die Verteilung der Spannungen σ längs des

Umfangs.

mit

z = r sin η (21)

Nach Einsetzen ergibt sich:

(22)

MT,y = − 2π

E t r2 αT T0 η sin η−π/2

π/2

∫ dη

Für das Integral gilt:

(23)

η sin η−π/2

π/2

∫ dη = sin η − η cosη −π/2

π/2= 2

Somit erhält man:

(24) MT,y = − 4

πE t r2αTT0

5 Resultierender Lastfall

Der zu bestimmende Drehwinkel ϕ = ϕ(T0) ergibt sich ge-mäß Gl. (3) aus:

My = Mϕ,y + MT,y = 0 (25)

Nach Einsetzen erhält man:

(26) M0 sinϕ − 4

πE t r2αTT0 = 0

mit

(27) M0 = EI

R= Eπ t r3

R

Damit ergibt sich aus Gl. (26):

(28) ϕ = arcsin 4

π2Rr

αTT0

oder aufgelöst nach T0:

(29) T0 = π2

4rR

1αT

sinϕ

Für ϕ = π/3 erhält man:

(30) T0 = 3

8π2 r

R1

αT

= 2,13683 rR

1αT

Als resultierendes Biegemoment verbleibt gemäß Gl. (10):

(31) Mz = Mϕ,z = 0,5 EI

R= 0,5

Eπ t r3

R

Resultierende Spannungen σNach Einsetzen von T0 erhält man aus Gl. (19):

(32) σT = E r

Rπ4

ηsinϕ

Die Überlagerung der Lastfälle ϕ und T ergibt (für die rechte Hälfte):

σ = σϕ + σT = −E r

R2sin

ϕ2

sin η + ϕ2

+ E rR

π4

ηsinϕ

σ = E r

R2sin

ϕ2

π4

ηcosϕ2

− sin η + ϕ2

Bild 5. Resultierende Spannungsverteilung σ

6 Ergänzender Hinweis

Aus Gl. (28) ist ersichtlich, dass ϕ maximal den Wert

maxϕ = π

2

und T0 den Wert

max T0 = π2

4rR

1αT

erreichen kann.

Berichte

226 Stahlbau 82 (2013), Heft 3

Richtige Lösung mit Kür

Dipl.-Ing. Horst DennulatKirchstr. 18D-51702 Bergneustadt

Robert EderTennstallweg 244A-5752 Viehhofen, ÖSTERREICH

Dr.-Ing. Georg Geldmacherc/o Krebs und KieferHilpertstr. 20D-64295 Darmstadt

Dr.-Ing. Dietrich HeinzAm Wendelsberg 29D-97289 Thüngen

Dr. Walter HofmannBrunnholzstr. 63A-6068 Mils, ÖSTERREICH

Dipl. Bauingenieur ETH/SIA Theodor KellerHöhenstr. 15CH-8247 Flurlingen, SCHWEIZ

Prof. Dr.-Ing. Albert Konradc/o Hochschule MünchenKarlstraße 6D-80333 München

Christoph Lauermannc/o BASFGTE/BF – Q 920D-67056 Ludwigshafen

Markus MoserWaldmüllergasse 20/8A-8042 Graz, ÖSTERREICH

Stephan PfarrUibet 1D-88422 Tiefenbach

Dr.-Ing. Ernst SauerRingstr. 3aD-82538 Geretsried

Dr.-Ing. Ulrich SchmidtKipsdorfer Str. 187D-01279 Dresden

Die Redaktion dankt für die rege Beteiligung und gratuliert allen Gewinnern.

Für T0 > max T0 wäre eine statische Gleichgewichts-lage nicht mehr möglich, der Ring würde sich dann perma-nent umkrempeln.

7 Zusammenfassung der Ergebnisse

Drehwinkel ϕ in Abhängigkeit von T0:

ϕ = arcsin 4

π2Rr

αTT0

Für ϕ = π/3 erhält man:

T0 = 2,13683 r

R1

αT

Biegemoment bezüglich der vertikalen Achse (außen Zug, innen Druck):

Mz = 0,5

Eπ t r3

R

Maximale Druck- und Zugspannung:

minσ = −0,529544E r

R(Druck)

bei ξmin = 1,27160

max σ = 0,529544E r

R(Zug)

bei ξmax = ξmin – π = –1,86999

Prof. Dr. Helmut Rubin, Wien

Die nächste Weihnachtspreisaufgabe erscheint in Heft 11 dieses Jahres.

Folgende Personen erhalten für ihre richtige Lösung als Prämie ein Buch nach Wahl aus dem Programm des Verla-ges Ernst & Sohn:

Prof. Dr.-Ing. Udo FischerStieglitzweg 9D-39110 Magdeburg

Dr.-Ing. Michael Geisc/o GERB Engineering GmbHRuhrallee 311D-45136 Essen

Dr.-Ing. Jürgen KühnKronthaler Weg 26D-61476 Kronberg i. Ts.

Dipl.-Ing. Gerhard SchallerDürerstraße 33D-66424 Homburg

Dr.-Ing. Jörn WeichertHauptstraße 66A-6824 Schlins, ÖSTERREICH