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Aufklärung und Kritik, Sonderheft 13/2007 291 Dr. Günter Lüling (Erlangen) Preußen von gestern und der Islam von morgen Preußens Geist der Aufklärung Man muß es in Erinnerung rufen: Vor der französischen Revolution von 1789 war für fast ein Jahrhundert Preußen mit sei- nem berühmten König Friedrich II an der Spitze der Hort der liberalen Aufklärung in Europa betreffs der Organisation der Gesellschaft und des Staates wie auch in allen Wissenschaften, besonders aber der Theologie und der Islamwissenschaft. Denn in Sachen Religion war Preußen schon durch die sogenannte Preußische Union der beiden Konfessionen Luthe- raner und Reformierte seit 1644 das non plus ultra der Liberalität: Der schar- fe Gegensatz dieser beiden protestanti- schen Konfessionen in der Auffassung des Abendmahls war auf der freieren und hö- heren Ebene der preußischen dogmati- schen Vereinigung von Lutheranern und Reformierten (Calvin, Zwingli) zu einer im Christentum unvergleichlichen libera- len Gemeinsamkeit emporgehoben wor- den etwas, wozu heute die Katholische Kirche trotz jahrzehntelanger ökumeni- scher Gespräche immer noch nicht be- reit und fähig ist, mit den Protestanten gleichermaßen liberal und gemeinsam zu bewerkstelligen. Dieser aufklärerische, preußische Prote- stantismus erstrebte in unglaublich weit- sichtiger Weise den friedlichen Zusam- menschluß der globalen menschlichen Gesellschaft überhaupt wie man das in den Schriften Immanuel Kants, dem her- ausragenden Philosophen Preußens, pro- klamiert findet. Die Idee eines weltweit gleichgestellten Weltbürgertums und der zukünftigen Betrachtung aller Geschich- te als eine und gemeinsame und welt- bürgerliche, sowie das Prinzip der demo- kratischen Republik als Grundlage eines zukünftigen Völkerbundes sind bei ihm vorgedacht und gefordert. So wie er streb- ten auch die besten Köpfe der liberalen protestantischen Theologie mit einer rücksichtslosen theologischen Selbstkri- tik die Überwindung und Aussonderung aller heilsgeschichtlichen Konzepte an, die schlechthin, wie z.B. die biblischen, auf klaren Geschichtsfälschungen beru- hen, und die dennoch in reaktionär-restau- rativer Gesinnung immer noch fundamen- talistisch aufrechterhalten werden. Das aber hält uralte, bittere und tiefverwur- zelte Feindschaft zwischen den Völkern der Welt aufrecht. Auch die deutschsprachige Islamwissen- schaft des 18. und 19. Jahrhunderts war bestimmt von dieser protestantisch auf- klärerischen Haltung. Im 19. Jh. wa- ren in der Regel unter 3 Professoren der Arabistik mindestens zwei vollausgebil- dete liberale protestantische Theologen (oder liberale Rabbiner!), die, wegen der unter kirchlichen Theologen natürlich noch lange anhaltenden Abneigung ge- genüber liberaler Dogmenselbstkritik, im Interesse ihrer wissenschaftlichen Freiheit in die philosophische (philologische) Fa- kultät übergewechselt waren. Sie haben infolge ihrer gegenüber Christentum und Judentum so entschieden selbstkritischen Haltung eine so harte aber faire Kritik des Islam erarbeitet, daß diese Islamkritik selbst bei Muslimen ob ihrer Sachlichkeit und Gerechtigkeit in höchstem Ansehen stand und auch heute noch steht. Ara- ber freuen sich natürlich, wenn Abend- länder sich sachkundig und fair über ihr

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Aufklärung und Kritik, Sonderheft 13/2007 291

Dr. Günter Lüling (Erlangen)Preußen von gestern und der Islam von morgen

Preußens Geist der AufklärungMan muß es in Erinnerung rufen: Vor derfranzösischen Revolution von 1789 warfür fast ein Jahrhundert Preußen mit sei-nem berühmten König Friedrich II an derSpitze der Hort der liberalen Aufklärungin Europa �– betreffs der Organisation derGesellschaft und des Staates wie auch inallen Wissenschaften, besonders aber derTheologie und der Islamwissenschaft.Denn in Sachen Religion war Preußenschon durch die sogenannte �„PreußischeUnion�” der beiden Konfessionen �„Luthe-raner�” und �„Reformierte�” seit 1644 dasnon plus ultra der Liberalität: Der schar-fe Gegensatz dieser beiden protestanti-schen Konfessionen in der Auffassung desAbendmahls war auf der freieren und hö-heren Ebene der preußischen dogmati-schen Vereinigung von Lutheranern undReformierten (Calvin, Zwingli) zu einerim Christentum unvergleichlichen libera-len Gemeinsamkeit emporgehoben wor-den �– etwas, wozu heute die KatholischeKirche trotz jahrzehntelanger �„ökumeni-scher Gespräche�” immer noch nicht be-reit und fähig ist, mit den Protestantengleichermaßen liberal und gemeinsam zubewerkstelligen.Dieser aufklärerische, preußische Prote-stantismus erstrebte in unglaublich weit-sichtiger Weise den friedlichen Zusam-menschluß der globalen menschlichenGesellschaft überhaupt �– wie man das inden Schriften Immanuel Kants, dem her-ausragenden Philosophen Preußens, pro-klamiert findet. Die Idee eines weltweitgleichgestellten Weltbürgertums und derzukünftigen Betrachtung aller Geschich-te als eine und gemeinsame und welt-

bürgerliche, sowie das Prinzip der demo-kratischen Republik als Grundlage eineszukünftigen Völkerbundes sind bei ihmvorgedacht und gefordert. So wie er streb-ten auch die besten Köpfe der liberalenprotestantischen Theologie mit einerrücksichtslosen theologischen Selbstkri-tik die Überwindung und Aussonderungaller �„heilsgeschichtlichen Konzepte�” an,die schlechthin, wie z.B. die biblischen,auf klaren Geschichtsfälschungen beru-hen, und die dennoch in reaktionär-restau-rativer Gesinnung immer noch fundamen-talistisch aufrechterhalten werden. Dasaber hält uralte, bittere und tiefverwur-zelte Feindschaft zwischen den Völkernder Welt aufrecht.Auch die deutschsprachige Islamwissen-schaft des 18. und 19. Jahrhunderts warbestimmt von dieser protestantisch auf-klärerischen Haltung. Im 19. Jh. wa-ren in der Regel unter 3 Professoren derArabistik mindestens zwei vollausgebil-dete liberale protestantische Theologen(oder liberale Rabbiner!), die, wegen derunter kirchlichen Theologen natürlichnoch lange anhaltenden Abneigung ge-genüber liberaler Dogmenselbstkritik, imInteresse ihrer wissenschaftlichen Freiheitin die philosophische (philologische) Fa-kultät übergewechselt waren. Sie habeninfolge ihrer gegenüber Christentum undJudentum so entschieden selbstkritischenHaltung eine so harte aber faire Kritik desIslam erarbeitet, daß diese Islamkritikselbst bei Muslimen ob ihrer Sachlichkeitund Gerechtigkeit in höchstem Ansehenstand �– und auch heute noch steht. Ara-ber freuen sich natürlich, wenn Abend-länder sich sachkundig und fair über ihr

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so diffiziles altarabisches Schrifttum äu-ßern. Wir werden sogleich die wichtig-sten Errungenschaften dieser protestan-tisch-preußischen Islamwissenschaft auf-zählen, müssen jedoch zuvor das vorzei-tige Ende dieser liberal-theologisch sobedeutsamen Epoche beleuchten:

Der Verfall der vom frühen Preußen-tum getragenen AufklärungNach Friedrich dem Großen wurden diepreußischen Könige wieder fundamenta-listisch fromm. Friedrich Wilhelm II. (re-gierte 1786-1797) machte der friederizia-nischen Aufklärung ein Ende und befahlsogar seinem Philosophen ImmanuelKant, nicht weiter in der Richtung fort-zufahren, in die er sich mit seiner Abhand-lung �„Religion innerhalb der Grenzen derblossen Vernunft�” (1794) begeben hatte.Die preußische Aneignung der Kaiserkro-ne 1871 (und damit die Begründung desZweiten Reiches!) bedeutete die Hinwen-dung zu reiner Machtpolitik und zugleichdie desinteressierte Kapitulation vor derAufgabe, die damals schon 350 Jahrewährende religiöse Spaltung Deutsch-lands in Katholisch und Evangelisch ineiner geistigen, und d.h. theologisch-dog-menkritischen Anstrengung zu überwin-den. Kein anderes Land war in Europadurch Jahrhunderte religiös so tiefgreifendgespalten wie Deutschland �– weshalb esdurch solche Erfahrung in Europa amgeeignetsten war und noch ist, diese Auf-gabe der Integration zu bewältigen �– auchdie der Integration des Islam, der ja, wieder preußische Theologe und IslamistFriedrich Schwally (1863-1919) betonte,�„zur Kirchengeschichte gehört�” und heu-te mit 30 Millionen von muslimischenIndividuen in Europa unmittelbar präsentist.

Doch blieb die preußisch-protestantischeLiberalität in den Wissenschaften nocheinigermaßen intakt bis hin zu dem gei-stigen Umbruch, der sich aus der Um-wandlung der staatlichen Strukturen (Ab-schaffung der Monarchie etc.) infolge desverlorenen 1. Weltkrieges ergab. Das be-stimmendste neue aber zweifellos nega-tive Element war nunmehr, nach 1918, derzur Maxime erhobene Pluralismus: Allebestehenden traditionellen Gruppierun-gen, und insbesondere die religiösen Kon-fessionen, aber auch neuerdings entstan-dene gesellschaftliche Kräfte wie Standes-organisationen, Gewerkschaften undweltanschauliche (sozialistische, atheisti-sche, christliche) Parteien, wurden je inihrem traditionellen Geist oder Ungeistermutigt, ohne daß der Wahrheitsgehaltihrer heilsgeschichtlichen und politischenKonzepte auf die Waage gestellt und ent-schieden geprüft wurde. Der Fundament-alismus trat also von nun an in der Ge-stalt des Pluralismus auf, des Palaver-Plu-ralismus, um es genauer zu definieren:Jede Gruppe konnte alles behaupten undversprechen, ohne sich rechtfertigen zumüssen, und was noch abträglicher ist:ohne gehalten zu sein, sich selbst und dieDoktrinen der konkurrierenden Gruppen/Konfessionen entschieden zu kritisieren,zu bestreiten und effektiv zu widerlegen,um zu einer gemeinsamen Wahrheit zukommen. Es sollte keine allgemeingülti-ge Wahrheit geben, sondern nur sich end-los streitende pluralistische Meinungen(nicht zu kritisierende Meinungsfreihei-ten). So ist es kein Wunder, daß der Na-tionalsozialismus so leicht an die Machtkam, um dann aber den institutionalisier-ten Palaver-Pluralismus sofort zu elimi-nieren um selbst ungerechtfertigt die staat-liche Macht totalitär an sich zu reißen.

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Dieser Pluralismus breitete sich verständ-licherweise auch in der Wissenschaft aus:Während Universitas ursprünglich eintheologischer Begriff ist (�„in unum ver-tere�”: sich von aller Peripherie �„in Eineswenden�”) bedeutet es nun moderner Wei-se das Gegenteil: �„sich überallhin in diePeripherie wenden�” (das �„unum�” wird garnicht mehr verstanden!), wobei die Ver-bindungen zwischen den peripheren Fä-chern unter sich wie auch die der Peri-pherien zum Zentrum verloren gehen. Dadie Produktion von Publikationen überunzusammenhängend-periphere Dingenicht nur unvermindert anhält sondernsogar rasant steigt, kommt es aufgrunddieses Palaver-Pluralismus zu einer �„Ver-schmutzung der geistigen (und morali-schen) Umwelt�” durch die Überproduk-tion von peripheren und im Unbedeuten-den verbleibenden �„Geistes�”-Erzeugnis-sen. Die zentralen Fragen, die im Blickauf das Gemeinwohl der globalen Weltinsgesamt alle Gruppen angehen, bleibenunerörtert, ja ihre Behandlung wird mög-lichst ohne Aufsehen mit allen Mittelnverhindert. Alle Gruppen sollen weiter-hin alles verheißen und versprechen dür-fen, ohne entschieden kritisiert zu wer-den. Man nennt diese politisch unkritischeHaltung gegenüber allem und jedem imWesten auch �„political correctness�” �– einOrwellscher Begriff, denn er sollte, we-gen der Grundtendenz der allseitig nachVorteilen schielenden Anerkennung vonUnwahrheit, richtiger �„political incorrect-ness�” lauten.Diese gesellschaftliche Entwicklung wirdin der zweiten Hälfte des 20. Jh. noch gra-vierender dadurch, daß die einstigen na-tionalsozialistischen Karrieristen nun indieser Nachkriegszeit in der Regel denrestaurativen und reaktionären Charakter

der bundesrepublikanischen Gesellschaftenorm verstärkt haben: Wer vor 1945 inAnpassung an den Nationalsozialismusentschieden kirchenfeindlich orientiertwar, stellt sich nun um und ist fortan, undkonform mit der reaktionär-restaurativen,palaver-pluralistischen Tendenz der Nach-kriegszeit, kirchenfreundlich, hält sich zu-mindest fern von jeder Gesellschafts- odergar Kirchenkritik. Der Palaver-Pluralis-mus als die westliche Form des reaktio-nären Fundamentalismus ist so durch dieNazi-Generation beträchtlich gefördertworden. Diese negative Tendenz wirdnoch verstärkt durch die Aufblähung desBildungssektors in dieser selben Zeit: Dieprosperierende bundesrepublikanischeWirtschaft der 50er bis Mitte 80er Jahrebegünstigte z.B. die Installation unzähli-ger Lehrstühle für periphere Fächer (�„uni-versitär�” im modernen negativen Sinnevon �„sich in alle Peripherien wendend�”),während die zentralen Fächer, wie etwadie Theologien, verschult werden (Schaf-fung von �„kirchlichen Hochschulen�”!)und in die Peripherie abdriften, weil ihreeinstige zentrale Ausstrahlung in die Pe-ripherien der Universität aufgegeben wor-den ist, nachdem sich diese Theologienuntereinander (katholisch-evangelisch)nicht mehr grundsätzlich kritisieren undselbst auch von der Peripherie her garnicht mehr ernstlich in Frage gestellt wer-den (in Bayern wurde das wissenschaft-lich-theologische Hochschulpersonal inetwa verzwölffacht!): Alles und jedes istals Ausdruck freier Meinungsäußerungunbesehen zu loben! Der hochangeseheneJournalist und Diplomat Günter Gauskonstatierte 2004 in seinem letzten Fern-sehauftritt vor seinem zu frühen Tod:�„Diese Demokratie ist bereits völlig ge-scheitert�”. Man muß spezifizierend hin-

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zufügen: Alle Bildungsreformen der BRDsind aufgrund ihres restaurativ-reaktionä-ren und palaver-pluralistischen Charak-ters endgültig gescheitert. Selbst in dernun beginnenden, aus finanziellen Grün-den erzwungenen aber konzeptlosenSchließung von Lehrstühlen (z.B. auchsolcher der Islamwissenschaft inmittender größten Krise zwischen der islami-schen Welt und dem Westen!) offenbartsich das völlige Fehlen einer zentralen,im konservativen Sinne zentripetal-�„uni-versitären�” Idee, die beabsichtigte, denPalaver-Pluralismus zu überwinden, dasGemeinwohl der Welt zu organisieren,und die Welt insgesamt im Geiste derAufklärung weltbürgerlich zu einen.

Die BRD-Universitäten als Hort derUnterdrückung essentieller KritikIn unserer palaver-pluralistischen Gesell-schaft kann und soll jede Gruppe, Kon-fession etc. alles folgenlos propagierenkönnen, auch wenn dieses sich wissen-schaftlich kritisch nicht erweisen läßt, jadas Gegenteil beweisbar oder schon be-wiesen ist. Die Unwahrheit vertreten zukönnen, wird als Ausdruck der uneinge-schränkten Meinungsfreiheit gefeiert.Diese Billigung bedeutet aber auch un-ausweichlich die Billigkeit des Propagier-ten: Die bei vollen Kassen in den 60er bis80er Jahren möglich gewesene Auswei-tung der Universität insbesondere durchdie Schaffung weiter ausdifferenzierterLehrstühle führte, jedenfalls innerhalb derGeisteswissenschaften, nur zu einer Auf-blähung, zu heißer Luft, in der die Kon-turen der zentralen Fragen und Problemeflimmernd verschwanden.Diese Entwicklung kann man entlarven-der noch aus einer anderen Perspektivebeschreiben, indem man nämlich ans

Licht hebt, was diese moderne palaver-pluralistische Universitätswelt mit außer-ordentlichem Fleiß seit dem geistigenUmbruch von 1918 verschwiegen und mitallen Mitteln unterdrückt hat und weiterverschweigt, nämlich die Forschungser-gebnisse jener liberalen, von preußischerAufklärung geprägten Wissenschaft, diesich weltweit großes Ansehen erworbenhatte, weil es ihr um Wahrheiten im In-teresse des Gemeinwohls einer zukünftiggeeinten Welt ging und geht. Deshalb lagund liegt dieser liberalen Wissenschaftauch daran, die eigenen ererbten dogma-tischen Falschheiten (und das sind insbe-sondere die dogmatischen Falschheitender drei Offenbarungs-Religionen) rück-sichtslos klarzustellen, um diese dogma-tischen Falschheiten dann zu verlassen hinzu einem neuen weltbürgerlichen Ver-ständnis der Geschichte der Menschheitals Grundlage neuen, weltbürgerlichenDenkens und Handelns der gesamtenMenschheit. Es dürfte ja von vornhereineinleuchtend sein, daß diese aufkommen-de orwellisch-westliche, palaver-plurali-stisch-fundamentalistische Gesellschaftsolchem aufklärerischen, am Gemeinwohlder Welt orientierten, weltbürgerlichenDenken ein Todfeind ist �– was man unterder international vors Gesicht gehaltenen�„politischen-Inkorrektheits�”-Maske na-türlich nicht zugeben will.

Palaver-pluralistische Unterdrückungvon Forschung am Beispiel der deut-schen IslamwissenschaftKein geringerer als der berühmte preu-ßisch-protestantische Dogmenhistorikerund Theologe Adolf von Harnack (1851-1930) hat um die Jahrhundertwende inseiner großen Dogmengeschichte denCharakter spätantiker christlicher Kir-

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chen- und Dogmenpolitik schlicht umris-sen als �„Geist der Lüge, welcher im 4.Jahrhundert schon mächtig in der offizi-ellen Schriftstellerei sich regte ... und im 5.und 6. die Kirche beherrscht hat ... In die-sen Jahrhunderten hat keiner mehr irgend-einer schriftlichen Urkunde, einem Akten-stück oder Protokoll getraut.�” Und sokommt Adolf von Harnack nicht von un-gefähr zu dem unnachsichtigen Urteil:�„Der Islam, der über diese Gebilde (desspätantiken Christentums) im Sturm ge-fahren ist, war ein wirklicher Retter; denntrotz seiner Dürftigkeit und Öde war er einegeistigere Macht als die christliche Religion,die im Orient nahezu die Religion des Amu-letts, des Fetischs und der Zauberei gewor-den ist, über denen das dogmatische Ge-spenst, Jesus Christus, schwebt.�”Dies ist ein wissenschaftlich fundiertesUrteil der Jahrhundertwende 1900 (heutewird man politically incorrect nicht ein-mal mehr von �„Dürftigkeit und Öde�” desIslam sprechen wollen!), das typisch preu-ßisch-protestantisch ist: Die Selbstkritikdes Christentums ist unnachsichtig undgerät weit schärfer als die Kritik des ent-fernteren Gegenübers Islam. Aber diechristlichen Theologien seit 1918 denkennun so entschieden selbstkritisch gar nichtmehr, denn sie sind ja von der westlichenpalaver-pluralistischen Gesellschaft auf-gefordert, in orwellscher Weise mit sichselbst und mit jeder konkurrierenden mo-dernen Gruppe �„politically correct�”, unddas heißt sprachverwirrend unkritisch undunaufrichtig zu verfahren. Jede noch sounsinnige Meinung ist zu belobigen. Die-se konservativ-christlichen Theologienhaben seit dem frühen 20. Jahrhundert diewohltuend selbstkritische Haltung derAufklärung des 18. und 19. Jahrhundertsverlassen �– und sind es gewohnt, solcher

selbstkritischen Haltung, wo sie dennochin ihren Reihen und darüberhinaus begeg-net, mit allen unauffälligen oder gar ver-deckten Maßnahmen die Existenzgrund-lage rigoros zu entziehen. (Denn die auf-klärerisch-liberale Dogmenkritik ist, mitihrer Orientierung auf das Gemeinwohlder Welt, die einzige erklärte Gegnerinaller Gruppierungen der palaver-plurali-stisch-fundamentalistischen westlichenGesellschaft!) Die Konfessionen undGruppen der palaver-pluralistischen Ge-sellschaft sind in ihrem Alltagsleben vielzu sehr mit der Selbsterhaltung und derErhaltung ihrer Privilegien beschäftigt, alsdaß sie sich über diese ihre mit Fleiß unddoch unauffällig-beiläufig betriebene Un-terdrückung jener liberalen Wissenschaf-ten, die sich um das Gemeinwohl der Weltkümmern, ernstlich Rechenschaft ablegenwollten.Harnacks Urteil über das frühe Christen-tum und den entstehenden Islam war einsehr allgemeines und ging so im allgemei-nen Desinteresse des folgenden funda-mentalistischen Palaver-Pluralismus desWestens unter. Wir müssen daher dogma-tisch noch zentralere Aspekte erörtern, umdie gegenwärtige Situation zu beleuchten.Da wir uns dabei auf neutestamentlich-christliche Belange konzentrieren müssen,sei zuvor zum alttestamentlich-jüdischenThema nur noch folgendes kurz bemerkt:Der große deutsch-jüdische PhilosophHermann Cohen (1842-1918) schrieb, alsdie deutsche liberale Theologie nochhöchst aktiv war: �„Die Bibelkritik der pro-testantischen Theologie ist das beste Ge-gengift gegen den Judenhaß�”. Als nach1918 der fundamentalistische Palaver-Pluralismus zur Herrschaft kam, ging fastschlagartig die liberale dogmenselbstkriti-sche Forschung zurück und wurde ersetzt

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durch die Interessenpolitik der katholi-schen und evangelischen Neo-Orthodo-xien als Untergruppen der pluralistischenGewinn-und-Genuß-Gesellschaft. Derpalaver-pluralistischen Gesellschaft ent-sprechend paßten sie sich der allgemei-nen Maxime an, daß man, in doppelbödi-ger Orwellscher Korrektheit, grundsätz-lich keine Gruppe oder Konfession ernst-haft kritisiert. Die liberale Dogmenkritikschwieg man tot. Denn man hätte mit Kritikzugleich ihre Wahrheit bekannt gemacht.Diese gesellschaftliche Gemengelage ex-plodierte dann in den schlimmsten Juden-haß, den die Erde je sah, weil eine Grup-pe, die Nationalsozialisten, die westlich-pluralistischen offiziösen Inkorrektheitennur benutzte, um sich und die von ihnenvertretene, vorgeblich allgemeine Wahr-heit an die totale Macht zu putschen, ob-wohl es mit Abstand der denkbar größteUnsinn dessen war, was seinerzeit Grup-pen propagiert haben. Die einzige Kraft,die, wie Hermann Cohen richtig sah, die-se Katastrophe hätte verhindern können,die liberale protestantische Dogmen-selbstkritik im Interesse des Gemeinwohlsder Welt, war den beiden Hauptgegnernder liberalen Dogmenkritik zum Opfergefallen: den christlichen Neo-Orthodo-xien als gewichtigen Teilgruppen des pa-laver-pluralistischen Fundamentalismusund den Protagonisten einer ungebildet-kirchenfeindlichen, phantastisch-indoger-manistischen Rassenideologie. Der pro-testantische Liberalismus war dagegen inseiner radikalen Kirchenkritik eigentlichzugleich immer kirchenfreundlich, da erdie Verwandlung der Kirchen in einewahrhaftigere, weltbürgerliche Form er-strebte. Und eine Tendenz zum Rassismushat es in der liberalen Theologie nie ge-geben.

Wie dem auch sei, die von HermannCohen damals aufgestellte Diagnose istauch heute noch, oder heute wieder, gül-tig: Nur die liberale Dogmenkritik ist ge-eignet, den erbitterten Streit zwischen denParteien im Nahen Osten wie überhauptden tiefgreifenden Gegensatz zwischender pluralistisch-fundamentalistisch-west-lichen (jüdischen und christlichen) Weltund dem archaisch-fundamentalistischenislamischen Kulturkreis ohne Gewalt ineine geistige Gemeinsamkeit aufzuheben.Um nur einen, aber zentralen Aspekt an-zudeuten: Das alte Testament ist, wie dieliberalen protestantischen Alttestamentlerschon im 19. Jahrhundert mit guten Grün-den zu beweisen begannen (siehe heuteFinkelstein/Silbermann, Keine Posaunenvor Jericho, 2002), kein historisches Ge-schichtsbuch und deshalb auch kein Kata-sterregister, mit dem man Landbesitz-rechte beweisen könnte, wie das die Fun-damentalisten des heutigen Israel gegen-über aller Welt versuchen. Die wahre Vor-und Frühgeschichte der Hebräer und Is-raels ist immer noch nicht erarbeitet undgeschrieben, weil der protestantischedogmenkritische Liberalismus im frühen20. Jahrhundert erstickt worden ist. Abernur die wahre, gemeinsame, weltbürger-liche Gesamtgeschichte des VorderenOrients und der Alten Welt ist in der Lage,die seit Jahrtausenden angestaute Feind-schaft zwischen den religiösen Parteiender alten Mittelmeerwelt in eine geistigeGemeinschaft zu verwandeln.

Die Unterdrückung der historischenWahrheit hinsichtlich der Trinitäts-lehreDie christliche Trinitätslehre, �– Gott Va-ter, Gott Sohn und der Heilige Geist bil-den den einen monotheistischen Gott:

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�„tres personae, una substantia�” (�„drei Per-sonen, eine Substanz�”), wie der ältesteKirchentheologe Tertullian (ca. 160-225)es formulierte �–, ist der große Streitpunkt,wegen dessen der Islam in heftigster Be-streitung dieser christlichen Lehre ganzeigentlich nur entstanden ist (um 600n.Chr.). Die liberale protestantische Theo-logie hat in der ersten Hälfte des 20. Jahr-hunderts text- und historisch-kritisch denBeweis geführt, daß die christliche Trini-tätslehre eine (erstaunlich frühe) Erfin-dung früher hellenistischer Theologen ist,die nichts mit dem Christus-Verständnisder semitisch-christlichen Urgemeindeund dem Selbstverständnis Jesu zu tun hat.Es ist insbesondere das zuletzt entstande-ne Evangelium, das Johannesevangelium(um 120 n.Chr.), das diese neue und inscharfem Gegensatz zum ursprünglichenVerständnis der Person Jesu stehende Leh-re einführt. Es waren insbesondere dieSchweizer liberal-protestantischen Theo-logen Albert Schweitzer (1875-1965) undMartin Werner (1887-1964), die aus denbiblischen und frühen theologischen Tex-ten der Kirche dokumentiert haben, daßJesus und die Urgemeinde den Messiasgemäß der in spätjüdischer Zeit herr-schenden Kosmologie als prä- und post-existenten �„Herrschaftsengel�” verstandenhaben. Auch die griechische Anrede Jesu�„Kyrios�”, �„Herr�”, weist ihn den im NT�„kyriotäs�” genannten �„Herrschaftsen-geln�” zu. Auch im Koran herrscht nochdas alte Verständnis der verschiedenenEngelklassen, und im Koran heißen dieHerrschaftsengel �„rabbânîyûn�”, was derAnrede Jesu als rabbûnî �„mein Herr�”entspricht, wenn er im NT in aramäisch-semitischer Sprache angeredet wird (z.B.Mark. 10,51; Joh. 20,16). Engel aber gel-ten damals als Geschöpfe Gottes.

Ohne hier auf die eigentlichen Hintergrün-de für die Abschaffung der urchristlichenEngel- und Christus-Lehre im römisch-griechischen Christentum eingehen zukönnen, �– diese hintergründigen Motivesind für dieses trinitarische Christentumein sehr negatives, ein entlarvendes Kapi-tel �–, müssen wir hier wenigstens das un-schwer erkennbare Faktum hervorheben,daß in diesem zentralen Streitpunkt derchristlichen Lehre von der Trinität nur derIslam im Prinzip bei der Wahrheit stehengeblieben ist, während das trinitarischeChristentum die urchristliche Wahrheit(bald nach 100 n.Chr.) mutwillig fälschendverlassen hat. Dieser heute klar erkennba-re Umstand wäre nun eigentlich ein eben-so triftiger wie erfreulicher Anlaß dafür,daß beide, Christentum und Islam, sich inder Weise einigen oder gar vereinigen, daßdas Christentum zur urchristlichen Wahr-heit zurückkehrt und auf diese Weise demIslam Recht gäbe. (Es gibt genug anderePunkte der Dogmatik, wo im Gegenzugder Islam aufgrund moderner Erkenntnis-se abendländische historische Wahrheit an-zuerkennen hätte!) Aber die erfundeneTrinitätslehre hatte die Christenheit so frühund so umfassend erobert, daß ihre Ab-schaffung heute die Abschaffung von rund19 Jahrhunderten verfälschten Christen-tums bedeutet. Warum eigentlich nicht,wenn man die betrügerische und blutigeGeschichte dieser 19 Jahrhunderte be-denkt, und daß somit ein Neuanfang desweltbürgerlichen Denkens möglich würde?Aber das will die heutige, real existieren-de christliche Kirche nicht. Sie möchte beiihrer Unwahrheit bleiben, selbst unter demAspekt, daß sie so die 1400 Jahre derFeindschaft zum Islam für alle Zukunftaufrecht erhält �– zum Leidwesen der gan-zen Welt! Und so sind die eindeutigen

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Arbeiten Albert Schweitzers und MartinWerners von der palaver-pluralistisch-fundamentalistischen Theologie des 20.Jahrhundert mit größtem Fleiß und nochgrößerer Unauffälligkeit totgeschwiegenworden. Jedem angehenden Theologen,der sich als Parteigänger dieser liberalenTheologen Schweitzer und Werner zu er-kennen gab, wurde der Weg in eine aka-demische Laufbahn versperrt �– natürlichmit anderslautender, nichtssagender Be-gründung. Und so kennt man heute Mar-tin Werner und seine Argumente gar nichtmehr �– obwohl in Büchern (noch) griff-bereit vorhanden. Von Albert Schweitzerweiß man noch, daß er ein berühmterUrwalddoktor war und ein hervorragen-der Orgelspieler, womit er sich Spendenfür sein Urwaldhospital erspielte. Daß erein großer liberaler Theologe war und austiefster Resignation über dieReformunwilligeit der Kirchen in den Ur-wald zu tätiger Nächstenliebe abwander-te, ist aus dem Gesichtskreis verdrängt.Jedenfalls hat er die Reformunwilligkeitund die unbeirrte fundamentalistischeVerdrängungstheologie der christlichenKirche im 20. Jh. richtig vorausgesehen.

Die deutsche liberal-protestantischeTheologie und die liberale Islamwis-senschaft mitsamt ihrer Korantext-kritikIm 19. Jahrhundert, als die europäischeIslamwissenschaft noch im Entstehen be-griffen war, war es üblich gewesen, daßliberale protestantische Theologen, diewegen ihrer Dogmenkritik Probleme mitder herrschenden restaurativ-kirchlich ori-entierten Theologie bekamen, in das FachIslamwissenschaft überwechselten. Daswar ein horizonterweiternder Gewinn fürdie Islamwissenschaft. Nach 1918 wird die

palaver-pluralistische Islamwissenschaftkeine liberalen dogmenkritischen Theologenmehr in ihren Reihen dulden. Man ist nunstolz, daß man nur noch �„reine Philologie�”betreibt und niemanden ernsthaft kritisiert.Diese vielen liberalen Theologen in der Is-lamwissenschaft des 19. Jahrhunderts ha-ben ihre am Alten und Neuen Testamenterarbeiteten und bewährten Techniken derTextkritik nun auch intensiv auf den Ko-rantext angewandt. So kam es, daß in denletzten Jahrzehnten vor der Verdrängungder liberalen Theologie durch den plura-listischen Fundamentalismus (also ca.1885-1915) zwei Thesen intensiv disku-tiert wurden, die den traditionellen isla-mischen Korantext in bisher nie dagewe-sener Weise in Frage stellten:Zuerst vertrat der Wiener Professor fürIslamwissenschaft David Heinrich Mül-ler (1846-1912), �– in seiner wissenschaft-lichen Karriere zuvor Rabbiner an einemjüdisch-theologischen Seminar in Breslau�–, die These, daß der Koran in umfang-reichen wesentlichen Teilen ursprünglichaus Strophenliedern bestand, deren klarestrophische Gliederung durch spätere Ein-griffe in den Text mutwillig zerstört wor-den ist, so daß der schließlich sanktionier-te islamische Korantext nur noch einemonotone Prosa bot. Sein Schüler undNachfolger auf seinem Wiener LehrstuhlRudolf Geyer (1861-1929) hat dann ineiner späteren Abhandlung (1908) in ei-ner großen Zahl von koranischen Surendiesen ursprünglichen Strophenbau desKoran überzeugend nachgewiesen. EineReihe weiterer hervorragender Professo-ren nahm an dieser Diskussion teil undbefürwortete einhellig die Fortführungdieser Erfolg versprechenden Forschun-gen zum ursprünglichen Strophenbau imKoran.

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Auf dem Internationalen Orientalisten-kongress in Algier 1905 trat dann der li-berale protestantische Theologe und Is-lamwissenschaftler Karl Vollers (1857-1909; 1886-1896 leitender Bibliothekaran der Khedivialbibliothek in Kairo) mitder These hervor (sein Buch erschien1906), daß der gesamte Koran ursprüng-lich nicht in klassischem Hocharabisch(der Sprache der heidnischen Helden-dichtung der Araber) sondern in dem alt-arabischen Dialekt (Umgangssprache)Zentralarabiens geschrieben gewesen war.Dieser Dialekt besaß wie alle arabischenDialekte keine Kasusendungen. Dieser ur-sprüngliche umgangssprachliche Koran-text wurde also insbesondere dadurch vonden frühen Muslimen in die klassischeHochsprache erhoben, daß allen Wörterngrammatische Kasus- und Modalendun-gen angehängt wurden.Interessanterweise stützten sich beideThesen (1. ursprüngliche Strophendich-tung, 2. ursprüngliche Umgangssprach-lichkeit) gegenseitig, denn alle arabischeStrophendichtung war und ist im Prinzipimmer umgangssprachliche Dichtung.Aus diesem Umstand ergibt sich, daß,wenn der Koran ursprünglich Strophen-dichtung enthielt, er auch ursprünglichumgangssprachlich geschrieben gewesensein muß. Außerdem ergibt sich aus die-sem Umstand, daß die Verwandlung desTextes vom Umgangssprachlichen zumHochsprachlichen zugleich ein Mittel derVernichtung der Endreime aller Strophen-zeilen darstellte: Da die Verwandlung insHocharabische notwendigerweise in derHinzufügung von Kasus- und Modalen-dungen an alle Wörter bestand, ergibt sich,daß diese hinzugefügten grammatischenEndungen die ursprünglich endreimendenSilben in die zweitletzte Position verdräng-

ten und somit den ursprünglichen Reimvernichteten, so daß die ursprünglich mitjeder Zeile reimende Strophendichtunginsgesamt im Prinzip schon beseitigt war.Andererseits leuchtet ein, daß die Rück-verwandlung des Textes in einen umgangs-sprachlichen Text durch die Weglassungder grammatischen Kasusendungen die ur-sprünglichen Reime der Strophenzeilen imPrinzip wiederherstellt.Der zweifellos berühmteste Gelehrte derislamischen Welt des 20. Jhdts, der (alsKnabe erblindete) Professor für arabischeLiteraturwissenschaft Taha Husain (1891-1973; für einige Jahre auch Kultusmini-ster Ägyptens) vertrat 1926 ebenfalls dieThese, daß der Koran �„vorislamische me-trische Dichtung�” enthalte. Er wurde abersofort gezwungen, diese Aussage zu wi-d e r r u f e n .Sobald (1918) in der deutschsprachigenIslamwissenschaft jene seit längerem auf-kommende pluralistisch und/oder faschi-stisch orientierte Richtung die letztlichalleinige Führung des Faches übernom-men hatte, führte deren geistiger Charak-ter natürlich nicht zur Widerlegung die-ser umwerfend wichtigen, liberal-theolo-gisch und philologisch bestens fundiertenErkenntnisse der Jahre 1885-1915 übereine einstige Strophendichtung im Koran,sondern in völlig unwissenschaftlicherWeise zu ihrer stillschweigend-taktischenAusgrenzung aus dem Gesichtskreis dernunmehr �„rein philologischen�” Islamwis-senschaft. Der letzte große liberal-prote-stantische Theologe und Islamwissen-schaftler Paul Kahle (1875-1964) hat nochin verschiedenen Publikationen (zuletzt1948 und 1949) energisch für die ur-sprüngliche Umgangssprachlichkeit desKoran gestritten, und es ist bezeichnend,daß seine Bemühungen dadurch behindert

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waren, daß er aufgrund von antisemitischenPressionen auf ihn 1939 zur Emigration(nach England) gezwungen war. Heutenoch vertritt die palaver-pluralistischedeutsche Islamwissenschaft die traditio-nell-islamische Auffassung, der Koran seihocharabisch geschrieben, und das schonimmer, und enthalte auch keine Strophen-lieder.Damit war die grundlegende wissen-schaftlich-dogmenkritische Revolutionaller Vorstellungen über den Koran sowieüber die Entstehung des Islam von dieserneudeutschen, im Geist des Palaver-Plu-ralismus wie des Nationalsozialismusgroßgewordenen Arabistik und Islam-wissenschaft für das gesamte 20. Jahrhun-dert mittels westlicher �„politischer Kor-rektheit�” oder besser �„Inkorrektheit�” ver-hindert. Denn diese nun etablierten neu-deutschen, �„rein philologischen�” Profes-soren der Islamwissenschaft seit 1933, diedie dogmenkritische Richtung der welt-weit angesehenen liberal-protestantischenTheologie und Islamwissenschaft des 19.Jahrhunderts aus dem Fach Islamwissen-schaft verdrängten, �– sie verstanden nichtsvon Theologie und waren auch völlig des-interessiert an ihr! �–, sollten bis in dieMitte der 80er Jahre absolutistisch regie-ren �– und durch die von ihnen zu Profes-soren gemachten Schüler bis ins 21. Jahr-hundert hinein.

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhundertsoder der allerletzte liberal-protestanti-sche Theologe im Bereich der deut-schen IslamwissenschaftNoch ein letztes Mal ersteht den deut-schen Islamwissenschaftlern ein Voll-theologe in ihren Reihen. Günter Lüling(geb. 1928) examinierte als Theologe 1954(Diplom rerum politicarum 1957). Er hat-

te sich eigentlich auf das hebräische AlteTestament spezialisiert, zu dessen besse-rem Verständnis er schon seit 1951 ne-benher Arabisch studierte, um dieseArabischstudien nie wieder zu verlassen.Die Religions- und Geistesgeschichte stu-dierte er (mit Unterbrechungen) von 1951bis 1970 bei dem angesehenen liberalenjüdischen Historiker Hans-JoachimSchoeps. Die christliche Dogmatik betref-fend war er Schüler und erklärter Anhän-ger der großen liberalen Theologen Al-bert Schweitzer und Martin Werner undihrer wissenschaftlich zentralen Wieder-entdeckung des urchristlichen, nichttrini-tarischen Verständnisses der Person Chri-sti. Diese antitrinitarische Position Lü-lings begründete natürlich seine Unge-eignetheit für einen anschließenden kirch-lichen Dienst und damit die Notwendig-keit, sich um einen anderen Beruf als deneines protestantischen Pastors umzuse-hen. In solchen Fällen dogmatischer Pro-blematik lag schon im 19. Jahrhundert dienächste Lösung in einem Überwechselnin das Fach Islamwissenschaft. Das tat er,aber die Verhältnisse in der deutschenIslamwissenschaft hatten sich inzwischengrundsätzlich verändert: Der Einfluß vonliberalen Theologen war seitens der nun-mehr einheitlich �„rein philologisch�” ori-entierten und an Theologie uninteressier-ten ja ihr gegenüber feindseligen Fach-wissenschaft nicht mehr erwünscht. Sowurde Lüling 1961 zum ersten Mal ausder Universität Erlangen gedrängt �– vonseinem islamwissenschaftlichen Profes-sor, der, was damals niemand wußte, Of-fizier der schwarzen (politischen) SS ge-wesen war und nun seinen Frieden mit denkonservativen Theologen seiner Univer-sität suchte. Deshalb wollte dieser gewen-dete Vollnazi keinen kirchenkritischen Wis-

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senschaftler an seinem Institut dulden.Lüling ging notgedrungen für einige Jah-re (1961-1965) als Direktor eines Goe-the-Instituts nach Syrien, wo er nebenbeietwas lernte, was man an deutschen Uni-versitäten nicht lernen kann, nämlich dieintensive Kenntnis und Praxis des arabi-schen Dialekts von Nordwestarabien �–außerordentlich wichtig für seine späte-ren Korantextrekonstruktionen. Als sichihm 1965 die Gelegenheit bot, an einerdeutschen Universität als wissenschaftli-cher Assistent zu lehren und zu forschen,kehrte er zu seinen islamwissenschaft-lichen Studien zurück.Der textkritische Ansatz Lülings war ei-gentlich, aufgrund der Erkenntnisse Al-bert Schweitzers und Martin Werners überdie ursprüngliche nichttrinitarische Engel-christologie Jesu und des Urchristentums,nun zu zeigen, daß der Korantext ur-sprünglich in präziser Terminologie undumfangreichen Formulierungen eben die-se urchristliche nichttrinitarische Christo-logie vertreten hat, bevor nachpropheti-sche muslimische Theologen diese Texteaus Desinteresse und Unverstand in feh-lerhafter Weise veränderten. Dieser Nach-weis gelang dann auch sehr schlüssig,wurde aber zu einem weniger interessan-ten Nebenthema dadurch, daß Lüling beidieser Arbeit auf das von der Islamwis-senschaft nach 1918 aus Desinteresse undAbneigung verlassene und alsbald verges-sene Thema aus den Jahren um 1900 stieß,nämlich auf die Vorleistungen zu den zweiThemen �„(christliche) Strophenlieder imKoran�” und �„die ursprüngliche Abfassungdes Korans in der Umgangssprache Zen-tralarabiens�”.

Um 1900 hatten die Pioniere dieser zweiThesen noch nicht gewagt, die ursprüng-

lichen Strophenlieder des Koran in derzentralarabischen Umgangssprache zurekonstruieren. Man wußte damals nochzu wenig über den dogmatischen Inhalt,den man in diesen vorislamischen Textenvorauszusetzen hatte. Doch diese Schwach-stelle war beseitigt, nachdem AlbertSchweitzer und Martin Werner die ur-christliche, noch nicht trinitarische Theo-logie wieder entdeckt hatten. So konnteGünter Lüling nun das Arsenal der Argu-mente für eine Rekonstruktion der voris-lamischen christlichen Strophenliederentscheidend erweitern: Zu den struktu-rellen, den ursprünglichen exakten Stro-phenbau betreffenden, und zu den gram-matischen, die ursprüngliche Sprachformbetreffenden Argumenten, trat nun einedritte Kategorie von Argumenten hinzu,nämlich die inhaltlichen, theologisch-dog-menkritischen Argumente. Das gleichzei-tige Zusammenwirken dieser verschiede-nen Kategorien von Argumenten bei derLösung spezieller Probleme kumulierte zueiner systematischen Methode der Text-rekonstruktion von praktisch hundertpro-zentiger Sicherheit �– besonders dann,wenn, und das ist oft der Fall, noch einevierte Kategorie bestätigend hinzutritt,nämlich wenn nach aller Rekonstruktions-arbeit sich am Ende herausstellt, daß dieälteste islamische Koranwissenschaftselbst Nachrichten über Korantextvarian-ten überliefert hat, daß z.B. ein bestimm-tes Wort in anderer Weise gelesen wor-den ist, als der heutige, sakrosankte Ko-rantext lautet �– und wenn nun diese imIslam selbst überlieferte, vom heutigenKorantext abweichende Lesung genau diewar, die Lüling aufgrund der anderen dreiArgumentkategorien zuvor rekonstruierthatte. Die islamische Überlieferung selbsthatte den theologisch-dogmatischen Sinn

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der tradierten abweichenden Lesartenschon lange nicht mehr verstanden!Lülings Rekonstruktionsarbeit war so tat-sächlich die unumstößliche Vollendungdessen, der letzte i-Punkt auf das, waswährend des 18., 19. und 20. Jahrhundertsin der deutschsprachigen, liberal-theolo-gisch orientierten Islamwissenschaftdurch Generationen von Gelehrten suk-zessive erarbeitet worden war: Der Ko-ran enthält tatsächlich unter späteren Text-überarbeitungen ein umfangreiches alt-christliches Lektionar, einst bestimmt fürden wechselseitig (zwischen Diakon undGemeinde) gesungenen Vortrag im litur-gischen Gottesdienst. Und diese alt-christlichen Korantexte können durch dieAnwendung vier völlig verschiedenerKategorien von Argumenten mit praktischhundertprozentiger Sicherheit rekonstru-iert werden �– mit ganz erheblichen inhalt-lichen Abweichungen vom heutigen isla-mischen Korantext.

Die Reaktion der reaktionär-restaura-tiven Fachwissenschaft auf diese Voll-endung der koranwissenschaftlichenForschung von zwei Jahrhunderten derAufklärung1969 hatte Lüling eine ca. 200 Seitenumfassende Sammlung von rekonstruier-ten christlichen Strophenliedern des Ko-ran als Promotionsdissertation vorgelegt.Die beiden zuständigen Gutachter (mansollte wissen: der �„Doktorvater�” wargleichaltrig mit Lüling, der Zweitgutach-ter, ein Altorientalist, jünger) benoteten die-se Dissertation einhellig mit der höchst-möglichen Note �„eximium opus�”, �„außer-gewöhnliches Werk�”, eine Benotung, diegemäß Habilitationsordnung der Univer-sität das Werk gleichstellt mit der Aner-kennung des Werkes als Habilitations-

schrift für die Hochschullehrerlaufbahn.Es wird ausdrücklich hervorgehoben, daßdie Rekonstruktion vorislamisch-christli-cher Strophenlieder im Koran als geglücktbetrachtet werden könne. Die Arbeit stel-le �„die Entstehungsgeschichte des Islamund die Dogmengeschichte des früh-orientalischen Christentums in neue Di-mensionen.�”Sobald Vertreter der älteren Professoren-Generation, deren akademische Karriereum 1930 mit nationalsozialistischer Theo-logiefeindlichkeit begonnen hatte, vondieser Revolution Kenntnis bekamen,stand für sie fest, daß sie mit allen Mit-teln zu verhindern sei. In einem nichtöf-fentlichen Gutachten (1969) von der, imSelbstverständnis, �„grauen Eminenz desFaches�” heißt es über Lülings For-schungsergebnisse: �„... Ihre Richtigkeitvorausgesetzt, würden sie die bisherigenVorstellungen von Entstehungsgeschich-te, Text und Inhalt des Korans freilich aufden Kopf stellen ...�” Das durfte auf kei-nen Fall passieren. Letzterer Gutachterund Ordinarius scheute sich nicht, in dembesagten nichtöffentlichen Gutachten wis-sentlich falsche Argumente gegen Lülingvorzubringen, weil er sicher sein konnte,daß unter den zu 99 % nichtarabistischgebildeten Adressaten seines Gutachtensniemand versuchen würde, seine Argu-mente in der Fachliteratur nachzukontrol-lieren. Anschließend unternahm er esauch, eine seiner Schülerinnen eine vonihm inspirierte Habilitationsschrift überdie ältesten Teile des Koran schreiben zulassen, in der sie seine Ansicht vertrat, daßder Koran weder Strophenlieder enthältnoch umgangssprachlich geschrieben war�– wobei in dieser eindeutig (und nach-weislich) gegen Lüling gerichteten Habili-tationsschrift der Name Lülings und seine

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Gegenthese mit keinem Wort erwähnt wer-den. Mit dieser �„Wissenschaft wider bes-seres Wissen�” verdiente sich diese Dameihre Professur (Habilitation 1977) und siegilt heute noch als die hervorragendsteKoranspezialistin der bundesdeutschenIslamwissenschaft �– in �„politicalcorrectness�” die traditionellen islamisch-dogmatischen Vorstellungen vertretend.Lüling war im Zuge dieser Umtriebe zum31.12.72 aus dem Hochschuldienst ent-lassen worden. Aber er versuchte sichgegen diese Machenschaften zu wehren,indem er, mit aufschiebender Wirkung fürdie Entlassung, Klage gegen diese Um-stände erhob. Und er reichte, �– die bei-den eximium-opus-Gutachter waren in-zwischen auf die Meinung der beleidig-ten bundesrepublikanischen Senioren desFaches eingeschwenkt, obwohl zumindesteiner sein eximium-opus-Gutachten 1982nocheinmal offiziell bestätigte! �–, einegrößere Sammlung von rekonstruiertenStrophenliedern des Koran als eigenstän-dige Habilitationsschrift ein (1973; 550Seiten; 1974 als Buch �„Über den Urko-ran�” erschienen), um sich damit gegen denausdrücklichen Willen des Lehrstuhlinha-bers (Islamwissenschaft) zu habilitieren.Das wußte die Fakultät, und sie erzwangdeshalb von Lülings Promotions- und�„Habilitationsvater�”, der gerade jetzt zumDekan gewählt worden war, die Zusage,die Dekanatsgeschäfte an den Prodekanabzugeben, wo und wann sie mit dem�„Habilitationsverfahren Lüling�” zu tunhatten. So verpflichtete er sich dazu undgab tatsächlich die Geschäftsführung inden allgemeinen Fakultätssitzungen je-weils ab, wenn die Sache �„Lüling�” zurSprache kam. Aber offenbar nur zumSchein, denn er schrieb zugleich ohneWissen der Fakultät nicht weniger als 20

(!) Briefe mit Briefkopf und Unterschrift�„Der Dekan�” an zur Gutachtung längstvorgesehene auswärtige Gutachterzwecks Beeinflussung des Verfahrens,denn er versuchte die Gutachter zur Eileanzutreiben mit dem Hinweis auf ein An-sinnen der Fakultät (Beschleunigung desVerfahrens), das diese nie erhoben hatte.Auch wurde im Zuge dieser Korrespon-denz ein aller Voraussicht nach für Lülingvotierender Gutachter (der einzige Spe-zialist für arabische Strophendichtung inEuropa!), der tätig werden sollte und woll-te, von diesem offiziell untätigen Dekandurch unzumutbar kurze Fristenstellungausgebootet und durch einen fanatischenParteigänger der reaktionären Fronde ge-gen Lüling ersetzt. Die Fakultätsmitglie-der erfuhren nie davon. Zahlreiche ähnli-che Betrugsmanöver wurden, wie die in-ternen Fakultätsakten später ergaben, vor-genommen mit dem Ziel, die Fakultäts-versammlung zu täuschen, um sie zurStimmabgabe gegen Lüling zu veranlas-sen. Diese Versammlung stimmte dann1974 auch dementsprechend für die Ab-lehnung der Habilitation Lülings für Ara-bistik und Islamwissenschaft (mit 33Stimmen gegen und 22 für; 53 Fakultäts-mitglieder hatten keinerlei Arabisch-kenntnisse).Indem dieses unglaubliche Habilitations-verfahren aber Gegenstand von Verwal-tungsgerichtsverfahren durch alle vierInstanzen bis zum Bundesverfassungsge-richt wurde (1972-1978), sind in sehr um-fassender Weise diese unglaublichen Ma-nipulationen zwecks Erreichung einerAblehnung der Forschungsarbeit Lülingsprotokolliert, und zeigen nun zusätzlichnoch das völlige Versagen der deutschenJustiz, die sich in unglaublicher Weise be-müht zeigte, die betrügerischen Umtriebe

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der Professoren (der Dekan agierte nichtallein) juristisch-terminologisch zu beschö-nigen. Der Justiz letztendliches Urteil war,daß zwar Fehler in der Durchführung desHabilitationsverfahrens vorgefallen seien,aber nicht in dem Maße, daß der negativeAusgang zu annulieren und das Verfahrenzu wiederholen sei. Heute, nach gut drei-ßig Jahren, zeigt sich, daß die deutscheJustiz die sich über Jahre hinziehenden aka-demischen Machenschaften gestützt hat,die darauf zielten, ein epochales, als Voll-endung der hochangesehenen deutschenIslamwissenschaft des 19. Jhdts zu ver-stehendes und inzwischen in Fachkreisenweltweit bekanntes und diskutiertes For-schungsergebnis mit Erfolg zu unterdrük-ken und den Urheber dieses Forschungs-ergebnisses (Cand.theol. Dipl.rer.pol.Dr.phil. und jahrelang Goethe-Instituts-Direktor in Arabien), trotz seinerletztinstanzlichen Anrufung auch des Bun-desverfassungsgerichtes, rechtskräftig undendgültig aus dem deutschenHochschulleben zu verbannen (Abschlußaller gerichtlichen Verfahren 1978; derEntlassene ist 50 Jahre alt!). Es gibt klareHinweise darauf, daß an den in den 80erJahren folgenden Umtrieben der deutschenUniversitätswelt, Lüling auch noch erfolg-reich von der Vergabe von Forschungs-stipendien durch private Stiftungen aus-zuschließen, auch der Verfassungsschutzder BRD (aus Kreisen der Universitätinstrumentalisiert) dienstlich beteiligt war.Beiläufig sei bemerkt, daß in den 80er Jah-ren auch zwei von der Bundesanstalt fürArbeit für Lüling organisierte Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen an Bibliothe-ken von Vertretern der Universität Erlan-gen vereitelt wurden. Wer ein eindrucks-volles, exaktes Bild davon geben will, mitwelchen unglaublichen Mitteln, mit wel-

chem unauffälligen Fleiß und mit welcherNachhaltigkeit in der BRD liberal-dogmenkritische Wissenschaft ausge-schaltet wurde und wird, muß nur den In-halt der umfangreichen Akten zum FallGünter Lüling übersichtlich darstellen.Der bundesdeutsche Staatsrechtler Wer-ner Weber (1904-1976), �– der in seineraufgeklärt preußischen, liberalen Grund-haltung als der Albert Schweitzer oderMartin Werner innerhalb der deutschenJurisprudenz apostrophiert werden kann�–, hat schon in den 50er Jahren festge-stellt, daß das westdeutsche, grundgesetz-lich festgelegte Rechtssystem zu dürftigist, als daß es den zukünftig herantreten-den Anforderungen gerecht werden könn-te. Zu Recht beklagte Werner Weber, daßder Grundgesetzartikel 98, II,V �„Richter-anklage�” so gefaßt ist, daß er, vorausseh-bar, nie zur Anwendung kommen wird �–und tatsächlich auch bis heute nie zur An-wendung gekommen ist: Ohne diesenGG-Artikel 98 würde sich der Unmut derÖffentlichkeit über stattgehabte Rechts-beugungen von Richtern ungebremst Luftmachen, und das würde auch die Richter-schaft heilsam beeinflussen. Existiert aberein GG-Artikel 98, der die Richteranklagegarantiert (obgleich er so abgefaßt ist, daßer nie zur Anwendung kommen wird),dann glaubt und vertraut das Volk irriger-weise, mit der Rechtsprechung der bun-desrepublikanischen Richterschaft sei al-les in Ordnung. Werner Weber sah vor-aus, daß die bundesrepublikanisch-grund-gesetzliche �„Juridifizierung der Politik�”unweigerlich die �„Politisierung der Ju-stiz�” zur Folge haben werde, wie im Fal-le Lüling klar zu erkennen ist. (WernerWeber:) �„Man kann die Formen eines in-takt erscheinenden Gerichtswesens beibe-halten und doch versteckt Willkür und

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Mißbrauch walten lassen. Dann erfährtdas richterliche Walten eine besonderstraurige Entartung, weil hier der Macht-und Beherrschungswille, in der Robe desRichters versteckt, sich die Würde aus-teilender Gerechtigkeit anmaßt.�”

Gegenwärtiges GeplänkelEs ist angebracht, noch einen signifikan-ten Umstand hervorzuheben, der das Ver-halten der deutschen Islamwissenschaftzu Lülings Forschungsergebnissen ganzgenerell charakterisiert: In der Zeit von1969 bis 2003 sind nach den zwei exi-mium-opus-Gutachten zur Promotions-schrift mindestens 10 weitere nichtöffent-liche Gutachten (allein 5 zur Habilitati-onsschrift 1973 �„Über den Urkoran�”) von,in der Regel, deutschen Islamwissen-schaftlern offiziell erstellt worden, diesenun aber alle mit entschiedener Ableh-nung, das letzte 1999 zur Ablehnung desAntrags von Lüling auf den von �„InterNationes/Bonn�” üblicherweise gewährtenZuschuß zu Übersetzungs- und Druckko-sten, und zwar für die im Ausland seit lan-gem dringend gewünschte englische Edi-tion der Hauptwerke Lülings (G.L., Überden Urkoran, 3. Aufl. 2004; G.L., Die Wie-derentdeckung des Propheten Muham-mad, 1981). Doch kein einziger dieser ca.10 Gutachter hat vor oder nach seinemnegativen Gutachten (auch die ersten zweiäußerst positiven wurden in ihrem Sinnenie öffentlich wiederholt!) diese seineoffizielle Ablehnung der Forschungser-gebnisse Lülings öffentlich, und d.h.durch Publikation in irgendeiner Fachzeit-schrift, wiederholt. Dies offenbar deshalb,weil, wie aus den von Gerichts wegenLüling zur Kenntnis gekommenen 5 Habi-litationsgutachten eindeutig hervorgeht, dievorgebrachten Argumente für die Ableh-

nung in der Regel völlig unhaltbar (z.T.sogar wissentlich falsch) sind und deshalbdas Licht der weltweiten wissenschaftli-chen Öffentlichkeit scheuen müssen. Dar-über hinaus hat kein deutscher Islamwis-senschaftler in der Zeit von 1969 bis 2003in irgendeinem den Koran tangierendenwissenschaftlichen Buch oder Zeitschrif-tenartikel Lülings korantextkritische Ar-beiten auch nur erwähnt. Dies ist, zumalwenn man die Zentralität des Koran füralle Islamwissenschaft bedenkt, einewahrhaft außergewöhnliche, ja in derdeutschen Wissenschaftsgeschichte über-haupt beispiellose Leistung �– währendzugleich im Ausland (im französischen,englischen, italienischen, tschechischen,russischen, schwedischen und spanischenSprachraum) schon früh (seit 1974) zahl-reiche sehr anerkennende Stellungnahmenerfolgt sind (auch von zwei sehr sachkun-digen ostdeutschen [DDR-] Koranwissen-schaftlern!). Man darf annehmen, daß die-ses geschlossene, bis heute mit Energiebetriebene Schweigen der BRD-Islamwis-senschaft zunehmend auch dadurch be-wirkt worden ist, daß man sich dieseseklatanten Fehlverhaltens immer sehr wohlbewußt war, daß man aber, je länger diesanstößige Verhalten andauerte, umso mehrbemüht war, über die Untaten der Wort-führer des deutschen Faches Arabistik undIslamwissenschaft so lange wie möglich denMantel des Schweigens zu breiten. So ließsich auch die eigene, von diesen Wortfüh-rern abhängige Karriere besser fördern.In der Süddeutschen Zeitung vom 24.2.04hat der Prof. emeritus für Arabistik undIslamwissenschaft Stefan Wild/Bonn nachdiesem 35-jährigen solidarischen Schwei-gen der gesamten deutschen Islamwissen-schaft nun zum ersten Male öffentlich ein-geräumt: �„Lülings These wurde von der

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deutschen Islamwissenschaft zu Unrechttotgeschwiegen�”. Dieses späte Bekennt-nis ist zwar überfällig, aber es läßt nochunerwähnt, daß Lüling auch zu Unrechtaus dem Hochschuldienst entlassen wur-de und dadurch mit Frau und Kindern inseiner Existenz für Jahrzehnte schwer ge-troffen worden ist. Seither ist auch nichtzu erkennen, daß diese deutsche Fachwis-senschaft nun bemüht wäre, die sachlicheund wahrhaftige Diskussion der �„TheseLülings�” nun nachzuholen. Es scheinteher so, daß das nun zentimeterweise auf-gegebene Schweigen nur zu entstellendenDarstellungen der �„These Lülings�” führt.Eine Rezension von Lülings englischem�„Über den Urkoran�” (G.L., A Challengeto Islam for Reformation�”, Delhi 2003)in der Neuen Zürcher Zeitung vom19.2.04 ist beispielhaft: Dort gibt einnichtpromovierter, auf dem Gebiet derKoranforschung mit nichts ausgewiese-ner junger Mann, �– aber von der 1977dubios habilitierten Professorin (s. hieroben) der NZZ als �„Koranexperte�” ange-dient �–, eine unglaublich unsachliche undmaliziöse Darstellung der KorantextkritikLülings. Um seine Infamie an einem nichtfachwissenschaftlichen Detail zu illustrie-ren, hier seine kurzgefaßte Darstellung derUmtriebe zur Entlassung Lülings: �„Lülingselbst verließ nach der Promotion unterdubiosen Umständen die Universität.�”Hätte er geschrieben �„...wurde unter du-biosen Umständen aus seiner Stellung alsHochschullehrer (Beamter auf Widerruf)entlassen�”, wäre er der Wahrheit ziemlichnahe geblieben. Aber er wollte die Dubio-sität dieser Umstände unbedingt als Lü-ling selbst und allein zuzurechnende dar-stellen �– offenbar zur Entlastung seiner ihnvorgeschickt habenden Professorin (s.o.),der es gut angestanden hätte, wenn sie sich

nach drei Jahrzehnten ihres unglaublichenFehlverhaltens endlich selbst zu einerwahrhaftigen Stellungnahme bereit gefun-den hätte.Nach dem Erscheinen dieser englischenAusgabe der 1974 abgelehnten Habil-schrift Lülings �„Über den Urkoran�” inDelhi/Indien 2003 (Motilal BanarsidassPublishers, Delhi email: [email protected])scheint den deutschen Islamwissenschaft-lern nun nach 35 Jahren der zeitweiligsehr effektiven Intrigen und Täuschungs-manöver klar geworden zu sein, daß derDurchbruch der liberal-protestantischenKorantextkritik Lülings an die Weltöffent-lichkeit letztendlich nicht mehr zu verhin-dern ist. Inzwischen treten auch muslimi-sche Gelehrte an die Seite und gratulie-ren ihm for your brilliant analysis of theorigins of the Koran �– auf welche Musli-me sich Lüling nicht namentlich und öf-fentlich berufen kann, denn sie sind fürAbfall vom Islam mit Todesstrafe bedroht.

Die Moral von der GeschichtAuch an dem gerade angesprochenen ge-genwärtigen Geplänkel wird ersichtlich,daß die fachgelehrten Gegner von LülingsForschungsergebnissen immer nur vonder �„These Lülings�” sprechen. Diese Kon-zentration auf Lüling verschleiert aber nurdie tatsächlichen Beweggründe und Um-stände des Jahrzehnte währenden unlaute-ren Widerstandes einer praktisch fachbe-herrschenden Wissenschaftsmafia, dennLüling ist an sich völlig nebensächlich:Lülings pluralistisch-fundamentalistischeGegner in der Islamistik haben auch, �–und tun es auch heute noch �–, die Thesender liberal-theologisch-islamwissenschaft-lichen Pioniere um 1900 in Sachen �„Stro-phenlieder im Koran�” und �„Um-gangssprachlichkeit des Koran�” totge-

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schwiegen und eliminiert, und zwar ganzin der Art, wie auch die etablierten, neu-orthodox fundamentalistisch-pluralisti-schen Theologien (katholisch wie evan-gelisch) des 20. Jh. die dogmenkritischenErrungenschaften der liberal-protestanti-schen Theologen der Schweiz, AlbertSchweitzer und Martin Werner, totge-schwiegen haben und noch totschweigen,um sie aus dem Gesichtskreis der Öffent-lichkeit zu verbannen und damit abzutö-ten. In Wirklichkeit geht es also überhauptnicht um Personen und schon gar nichtum eine These Lülings sondern um dieliberale theologische (wie auch säkulare)Dogmenkritik insgesamt, und zwar weildiese der Aufklärung verpflichtete libe-rale Dogmenkritik die fragwürdig gewor-denen Dogmen ihrer Hauptgegner, �– unddas sind alle diese modernen Gruppen despalaver-pluralistischen Fundamentalis-mus �– , unnachsichtig und ohne �„politicalincorrectness�” in Frage stellt, in der Ab-sicht sie alle als historisch unhaltbar undnicht mehr zeitgemäß zu ersetzen. Diesist der Kern und das Wesen der komple-xen geistigen Auseinandersetzung, diesich lediglich wie die Spitze eines Eis-bergs am Beispiel der unglaublichen jahr-zehntelangen Unterdrückung von Lülingund �„seiner These�” zeigt. Diese Verkür-zung des Problems auf eine �„These Lü-lings�” hat keine sachliche Grundlage unddient allein der Irreführung der Öffent-lichkeit �– allenfalls noch einem tiefenpsy-chologisch bedingten Selbstbetrug der re-aktionären Wissenschaft. Die Tatsache,daß die Vertreter der deutschen Islamwis-senschaft ohne Ausnahme die seit dem 19.Jh. andiskutierte und 1969 von Lüling zumDurchbruch gebrachte umwälzende Wie-derentdeckung des ca. 200 Jahre älterenchristlichen Urkoran im islamischen Ko-

ran mit großer Disziplin totgeschwiegenhaben, zeigt letztendlich nur an, daß dieseAuseinandersetzung um das Zentrum derIslamwissenschaft, den Koran, tatsächlichein Jahrhunderte, ja Jahrtausende revolu-tionierender Streit ist, der mit �„TheseLülings�” völlig inadäquat bezeichnet ist.Diese Konstellation der widerstreitendenParteien ist also heute noch oder wiederdie Konstellation des 18. und 19. Jahrhun-derts: Preußisch-aufklärerische, liberal-protestantische, weltbürgerliche Dogmen-kritik gegen europazentrische, mittelalter-liche, trinitarisch-christliche Reaktion undRestauration mit Pfründenwirtschaft, dienur deshalb so schwer als solche zu er-kennen ist, weil sie auf den ach so men-schenfreundlich-sanften Pfoten der mo-dernen Freiheits- und Wohlstandsverspre-chungen des moralisch durch und durchfragwürdigen palaver-pluralistischenFundamentalismus einherkommt.Diese Aufklärung-kontra-Fundamentalis-mus-Konstellation entspricht nun abergenau dem, was im Kern der frühen Ent-stehungsphase des Islam in Arabien selbstan Konfrontation passierte. Denn wennwir von den im Koran wiederentdecktenvorislamisch-christlichen Strophenliedernals literargeschichtlichem Problem abse-hen, �– sie bringen an ur- und altchristli-chen Gedanken nichts, was man neuer-dings nicht schon vorher gewußt hätte,und die dichterische Schönheit der Lie-der ist dogmatisch und religionspolitischohne Relevanz �–, und wenn wir dann nachdem eigentlichen ideologisch-theologi-schen Kern der damaligen Auseinander-setzung fragen, wie er sich nunmehr ausdem Gegeneinander der wiederentdecktensich bekämpfenden Textstücke und Text-schichten des Koran klar erkennen läßt,dann ergibt sich, daß der Prophet bis zu

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seinem Tod 632 erbittert gegen die Chri-sten Zentralarabiens und Mekkas ge-kämpft hat, die, zuvor noch für Jahrhun-derte (bis ca. 500 n.Chr.) urchristlich-nichttrinitarisch, inzwischen trinitarischgeworden waren. Dabei ist diese Bewe-gung des frühen Islam weg vom Christen-tum (und Judentum) zugleich eine Bewe-gung hin zur Religion der zentralarabi-schen (demokratischen) Stammesgesell-schaft, die im Koran wiederholt bezeich-net wird als die �„Religion Abrahams undder Stämme�”. Und dieses �„Zurück zurReligion Abrahams und der Stämme�”wird verstanden als das Zurück vor diehoffnungslos verfälschten Religionen �„Ju-dentum�” und �„hellenistisches (trinitari-sches) Christentum�”. Mit dieser Absicht�„Zurück vor die verfälschten Formen derbiblischen Religionen�” entspricht aber derProphet schon damals genau den Absich-ten der liberal-protestantischen Dogmen-kritik, die im 18. und 19. Jahrhunderts dieBeweisführung für diese fundamentalenFälschungen von Judentum und Christen-tum schon erfolgreich durchgeführt hat �–obschon noch vieles zu tun bleibt. Auchdie seit 1918 fast völlig erstickte liberal-protestantische Dogmenkritik des 20. Jh.erstrebt, genau wie einst der preußisch-dogmenkritisch wirkende Prophet, dieses�„Zurück vor die Verfälschungen der bi-blischen Religionen�”. Insofern ist der Pro-phet Muhammad also ein herausragenderfrüher Vordenker der liberal-theologi-schen Dogmenkritik des 19. und 20. Jahr-hunderts, dessen Absichten jedoch vonder nachfolgenden frühislamischen Or-thodoxie sofort nach dem Tode des Pro-pheten redaktionell in ihr Gegenteil ver-dreht wurden: Zu des Propheten Lebzei-ten hatte man die trinitarischen ChristenZentralarabiens wegen iher Trinitätslehre

als �„Polytheisten�” beschimpft und wegenihrer Verehrung des Kruzifixes und derHeiligenbilder als �„Götzendiener�”. Derfrühe nachprophetische Islam frisierte unddeutete dann alle derartigen Beschimp-fungstexte als gegen tatsächliche zentral-arabische Heiden gesprochen, d.h. manleugnete emphatisch die Christlichkeit dereinstigen Opponenten des Propheten, gabsie nun für �„zentralarabische Heiden�” aus.Dies tat man, weil man fürchtete, sich mitder Verfechtung der radikalen Revoluti-on des Propheten gegen das byzantinischeChristentum zu übernehmen und letztend-lich sogar die eigene machtpolitische Exi-stenz des gerade erst so eben etabliertenund durch Bürgerkriege gefährdeten Is-lamischen Imperiums zu verspielen. Aberdiese diametrale nachprophetisch-früh-islamische Umdeutung der Gegner desPropheten von trinitarischen Christen zutumben zentralarabischen Heiden bedeu-tete zugleich auch die diametrale Umdeu-tung der revolutionären Absichten desPropheten �– die auf diese Weise für 1400Jahre begraben worden sind. Ebenso wur-de verschleiert, daß die Kaaba bis zum Is-lam eine christliche Wallfahrtskirche war.Aber es sind immer noch reichliche undüberzeugende Beweise dafür vorhanden(s. G.Lüling, Der christl. Kult a.d. vor-islam. Kaaba, 1992).Mit seinem revolutionären �„Zurück zurwahren Religion vor den Verfälschungendurch Judentum und Christentum�” ist derProphet Muhammad aber auch in gewis-ser Weise ein Gesinnungsgenosse des Hei-ligen Augustinus, des großen Kirchenleh-rers des Abendlandes (gestorben 430n.Chr.) gewesen. Denn der schreibt (Re-tractationes I,12,3):�„Denn was heute Christentum genanntwird, hat es schon bei den Alten gegeben

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und hat nicht gefehlt seit Anbeginn desmenschlichen Geschlechts, bis ChristusFleisch wurde. Seit dieser Zeit heißt diewahre Religion, die bereits vorhandenwar, die christliche.�”Er schrieb diesen Satz in seiner letztenPublikation. Hätte er ihn am Anfang sei-ner Karriere geschrieben und veröffent-licht, hätte er keine Karriere mehr vor sichgehabt.Heute muß man sich zugunsten einer zu-künftigen, weltbürgerlichen Gesamtsichtder Welt und ihrer Geschichte, insbeson-dere ihrer Religionsgeschichte, nur nochdarauf einigen, daß es nicht unbedingt aufden Namen ankommt, den das bekommensoll, was seit Anbeginn des menschlichenGeschlechts schon immer war und zu-künftig wieder gültig sein könnte und soll-te.Was den heutigen Islam betrifft, so wirder sich, �– nachdem die avantgardistisch-modernen religionspolitischen Absichtenseines Propheten besonders durch die Ar-beit von drei Jahrhunderten preußisch-li-beraler Dogmenkritik in unbestreitbarerKlarheit wieder zum Vorschein gekom-men sind �– , mit Sicherheit wieder aufdiese moderne, preußisch-liberal anmu-tende, weltbürgerliche Position seinesPropheten hinbewegen, um sie letztend-lich zum Wohle der zu einenden Weltwieder tatkräftig einzunehmen �– wie lan-ge dieser, zugegeben schwere, Selbstfin-dungsprozeß des Islam auch immer dau-ern mag. Der orthodoxe Islam muß �„nur�”erkennen, wie außerordentlich schwer-wiegend er das großartige und heute nochmoderne Anliegen seines eigenen Prophe-ten sofort nach seinem Tod verraten, ver-leugnet und verdunkelt hat.

Veröffentlichungen von Günter Lüling:Lüling, Günter: Kritisch-exegetische Un-tersuchung des Qur�‘ântextes, (Dissertati-on) Erlangen 1970, XVI + 172 pp.; �–,�– :Die einzigartige Perle des Suwaid b. AbîKâhil al-Yaskurî, Erlangen 1973 (Ab-handlungen zur Christlichen Altarabi-schen Literatur 1), 52 pp.; �–,�– : Über denUrkoran, Erlangen 3rd ed, 2004, (1st ed.1974, 2nd ed. 1993), XX + 546 pp.; �–,�– :Der christliche Kult an der vorislamischenKaaba als Problem der Islamwissenschaftund christlichen Theologie, Erlangen 1977,2nd edition Erlangen 1992, 104 pp.; �–,�– :Der vorgeschichtliche Lichtbringermythusin der Altarabischen Poesie, ZDMG Sup-plement Vol. IV (1980), 290-292; reprintin the here following book of 1985; �–,�– :Die Wiederentdeckung des Propheten Mu-hammad. Eine Kritik am »christlichen«Abendland, Erlangen 1981, 424 pp.; �–,�– :Das Passahlamm und die altarabische»Mutter der Blutrache« die Hyäne, ZRGG34 (1982), p. 130-146; Offprint with theadditional subtitle �„Das Passahopfer alsInitiationsritus zu Blutrache und HeiligemKrieg�”, Erlangen 1982; reprinted in thehere following book of 1985; �–,�– : Archai-sche Wörter und Sachen des Wallfahrts-wesens am Zionsberg, DBAT 20 (1984),51-121; reprinted in the here followingbook of 1985; �–,�– : Ein neues Buch zueinem alten Streit, (A review on Ko-ranics), ZRGG 36 (1984), p. 59-67; �–,�– :Sprache und Archaisches Denken. NeunAufsätze zur Geistes- und Religionsge-schichte, Erlangen 1985, 2nd enlarged ed.Erlangen 2005, 274 pp.; �–,�– : Ein neuesParadigma für die Entstehung des Islamund seine Konsequenzen für ein NeuesParadigma der Geschichte Israels, pub-lished in the book of 1985 here abovecited, p. 193-226; �–,�– : Noch eine Habili-

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tationsschrift zur Koranwissenschaft! (Re-view of Karl Prenner, Muhammad undMûsâ, Altenberge 1986), DBAT 25 (1988),237-241; �–,�– : Preconditions for theScholarly Criticism of the Koran and Is-lam, with some Autobiographical Re-marks, Journal of Higher Criticism (JHC)3 (1995), p. 73-109; �–,�– : Semitisch»Repha�‘îm« und »Teraphîm« sowie grie-chisch »Orpheus«, Zeitensprünge 7(1995), p. 31-35; �–,�– : Europäische Inve-stitur und archaisches semitisches Mas-kenwesen, Zeitensprünge 7 (1995), p.432-449; �–,�– : Das Blutrecht (die Blutra-che) der archaisch-mythischen Stammes-gesellschaft, Zeitensprünge 11 (1999), p.217-227; �–,�– : Das Problem »Hebräer«,Zeitensprünge 12 (2000), p. 180-193; �–,�–: A new Paradigm for the Rise of Islamand its Consequences for a New Paradigmof the History of Israel, JHC 7 (2000), 23-53; �–,�– : The Passover Lamb and theHyena, the old Arab �„Mother of BloodVengeance�”, translated from German byA. Savchenko/Kiew, JHC 11/2 (Fall2005), p. 24-38); �–,�– : The Unique Pearl.Famous Poem of Suwaid ibn Abî Kâhilal-Yaskurî (±600 CE) [Verses 61-108],Exemplary Case of Islamic Reworkingand Reinterpretation of a unambiguouslyChristian pre-Islamic Classical Poem stillexactly recoverable, 302 pp., forthcoming

[kopiert aus G. Lüling, A Challenge toIslam for Reformation. The Rediscoveryand reliable Reconstruction of a com-prehensive pre-Islamic Christian Hymnalhidden in the Koran under erliest IslamicReinterpretations. (Motilal BanarsidassPublisher s, [email protected]) Delhi2003, LVIII + 580 pp.]

Zum Autor:Günter Lüling (* 1928) war familiärschon orientalistisch vorbelastet: EinVorfahr Theodor Lüling (* 1762) warpreußischer General und Gesandter ander Hohen Pforte in Istanbul, der VaterGerhard kämpfte als preußischer Offi-zier 1916-1918 im deutschen kaiserli-chen Palästinakorps an der Seite derTürken und war von 1925-1935 Mitar-beiter des deutschen „ Hilfsbunds fürchristliches Liebeswerk im Orient“ , sodaß Günter schon von Kindesbeinen anmit Muslimen aufwuchs. Und der inter-national angesehene Berliner Orientali-stik-Professor Hans-Heinrich Schaeder(1896-1957; seit 1931 Prof. in Berlin,seit 1946 in Göttingen) war ein beträcht-lich älterer Vetter. 1936 Rückkehr derFamilie nach Deutschland (Vater über-nimmt eine protestantische Pfarrei beiKöslin/Hinterpommern). Entsprechendseinem Jahrgang wird Günter Januar1944 Marinehelfer, seit März 1945 Pan-zergrenadier, Gefangenschaft. SeitHerbst 1945 Maurerlehre. 1949 Nach-holung des Abiturs in Wolfenbüttel. Stu-dium seit SS 1950: Protestantische Theo-logie mit Zweitstudium Klassische Phi-lologie und Germanistik (theol. ExamenGöttingen 1954); 1954-1957 Staatswis-senschaften mit Zweitstudium Arabistik,Islamwissenschaft, Religionswissenschaf-ten (1957 Dipl. rer. pol. Er langen).1961-1965 Dozent des Goethe-Institutse.V. München, 1962-1965 Direktor desGoethe-Instituts Aleppo/Syrien. SeitHerbst 1965 Widerrufsbeamter und wiss.Assistent an der Universität Erlangen.Zum 31.12.1972 aus dem Hochschul-dienst entlassen; Arbeitslosenhilfe, Ren-te ab 1991.Email: [email protected]