Luhmann - 1988 - Die Wirschaft Der Gesellschaft

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    Niklas LuhmannDie Wirtschaft

    der Gesellschaftsuhrkampf taschenbuchwissenschaft

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    suhrkamp taschenbuchWissenschaft 1 1 5 2

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    Die moderne Wirtschaft beschreibt sich selbst durch Preise und durchInformationen ber Preise. Das mag in der Wirtschaft gengen, zumalanders grere operative Genauigkeit und schnelle Verstndigung auchbei wachsender Komplexitt kaum zu gewinnen wren. In der Gesell-schaft gengt es nicht, denn hier kann beobachtet werden, da in denPreisinformationen, mit denen sich die Wirtschaft versorgt, Informatio-nen ber die Auswirkungen der wirtschaftlichen Operationen in dergesellschaftlichen und natrlichen Umwelt der Wirtschaft systematischzu wenig Bercksichtigung finden. Der Erfolg der Wirtschaft gefhrdet

    Gesellschaft und NaturDie vorliegende Beschreibung der Wirtschaft der Gesellschaft, die sichfr beide Aspekte, den Erfolg und die Gefhrdung, interessiert, setztdort an, wo die Wirtschaft selbst sich bereits aufhlt: an einer hchsteigenartigen Gemengelage von Instabilitt und Stabilitt, von hochgra-diger Temporalisierung und Unbeweglichkeit, von Entsachlichung undErfindungsreichtum, von Bestimmtheit und Unbestimmtheit aller ele-mentaren Operationen. Sie beschreibt die Instabilitt selbst als Repro-duktionsmechanismus und fragt von dort aus nach den Auswirkungeneiner sich selbst destabilisierenden Wirtschaft auf zum Beispiel Politikund Erziehung, natrliche Ressourcen und menschliche Motive.

    Niklas Luhmann ( 1 9 2 7 - 1 9 9 8 ) hat im Suhrkamp Verlag u.a. verffent-licht: Funktion der Religion, 1982 und 1992 (srw 407); Gesellschaftsstruk-tur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesell-

    schaft. Band 1 , 1980 und 1 9 9 3 (stw 1 0 9 1 ) . Band 2 , 1 9 8 1 und 1 9 9 3 (stw1 0 9 2 ) . Band 3 , 1989 und 1 9 9 3 (stw 1 0 9 3 ) ; Liebe als Passion. Zur Codie-rung von Intimitt, i 9 8 2 u n d i994(stw 1 1 2 4 ) ; Soziale Systeme. Grundrieiner allgemeinen Theorie, 1984 und 1987 (stw 666); Die Wissenschaft derGesellschaft, 1 9 9 0 und 1 9 9 2 (stw 1 0 0 1 ) ; Das Rechtder Gesellschaft, 1 9 9 3 ;

    Die Kunstder Gesellschaft, 1 9 9 5 und 1 9 9 7 (stw 1 3 0 3 ) ; Die Gesellschaftder Gesellschaft, 1 9 9 7 und 1998 (stw 1 3 6 0 ) .

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    Niklas Luhmann

    Die Wirtschaftder Gesellschaft

    Suhrkamp

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    Die Deutsche Bibliothek - CIP-EinheitsaufnahmeEin Titeldatensatz fr diese Publikation

    ist bei Der Deutschen Bibliothek erhltlich.

    suhrkamp taschenbuch -Wissenschaft 1 1 5 2Erste Auflage 1994

    Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1988Suhrkamp Taschenbuch Verlag

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der bersetzung,des ffentlichen Vortrags sowie der bertragung

    durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

    Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

    ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systeme

    verarbeitet, vervielfltigt oder verbreitet werden.Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden

    Printed in GermanyUmschlag nach Entwrfen von

    Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

    4 j 6 7 8 9 - 07 06 05 04 03 02

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    Inhalt

    Vorwort 7

    1 Preise 13

    2 Die Wirtschaft der Gesellschaft als

    autopoietisches System 43

    3 Der Markt als innere Umwelt des

    Wirtschaftssystems 91

    4 Doppelkreislauf im Wirtschaftssystem 131

    5 Kapital und Arbeit: Probleme einer

    Unterscheidung 1516 Knappheit 177

    7 Geld als Kommunikationsmedium: ber symbolische

    und diabolische Generali sierungen 230

    8 Soziologische Aspekte des Entscheidungs-verhaltens 272

    9 Medium und Organisation 302

    10 Gren zen der Steuerung 324

    Register 350

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    Vorwort

    Soweit Soziologen sich berhaupt mit Fragen der Wirtschaft be-fat haben, ist ihre Einstellung zur wirtschaftswissenschaftli-

    chen Forschung eher ergnzend oder auch kritisch gewesen.

    Talcott Parsons beispielsweise hat noch unter dem Eindruck der

    Weltwirtschaftskrise von 1929 und nach sorgfltiger Lektre der

    soziologischen Klassiker den individuell-utilitaristischen Aus-

    gangspunkt der Wirtschaftswissenschaften fr unhaltbar, ja fr

    schlechthin unrealistisch erklrt. Jede Handlung habe eine kul-

    turelle und eine soziale Komponente. 1 Deshalb sei es schon im

    Ansatz verkehrt, mit Arrow das Problem der Sozialitt als einProblem der Aggregation individueller Prferenzen zu behan-

    deln. Auch Helmut Schelsky hat von einer berbewertung der

    Entscheidung gesprochen. 2 Neuere Publikationen fordern, in

    der Radikalitt und in der theoretischen Orientierung dahinter

    zurckfallend, die strkere Bercksichtigung wirtschaftsexter-

    ner Faktoren, des Eingebettetseins von Konze pte n fr Rationali-

    tt, fr Konkurrenz und fr Konflikt. 3 Das knnte unter dem

    1 Vgl. Talcott Parsons, Economics and Sociology: Marshall in Relation to

    the Thought of His Time, Quarterly Journal ofEconomics 46 (1932), S . 316- 347; ders.,Some Reflections on >The Nature and Significance ofEconomics

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    Gesichtspunkt der Institutionalisierung von Wirtschaft zu-

    sammengefat und in eine den konomen an sich nicht un-

    bekannte Tradition zurckverwiesen werden. Damit wird an

    Problemstellungen der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie,

    insbesondere an das Problem der rationalen Entscheidung und

    an das Problem der konflikttrchtigen Verteilung angeknpft -

    und zugleich vermieden, in den Hoheitsbereich einer anderen

    wissenschaftlichen Disziplin einzugreifen.

    Die in diesem Band zusammengestellten Beitrge sind nicht als

    Kritik dieses soziologieblichen Ausgangspunktes gemeint. Sie

    sind erst recht nicht als Kritik der wirtschaftswissenschaftlichen

    Theoriebildung zu verstehen. Sie setzen nur anders an - und-

    . rechnen damit, da man sich auf dem weitere n Weg schon hinund wieder, wenn vielleicht auch in etwas berraschender

    Weise, begegnen wird und dann in der Situation immer noch

    entscheiden kann, ob in Konsens oder in Dissens und mit wel-'

    eher Vorfahrtsregulierung.

    Der Ausgangspunkt hier liegt nicht in einer Gegenberstellung

    von wirtschaftlichen und sozialen Aspekten la Wirtschaft und

    Gesellschaft.4 Erst recht halte ich die Unterscheidung wirt-

    schaftlich/sozial/ kulturell fr irrefhrend. Alles wirtschaftliche

    Handeln ist soziales Handeln, daher ist alle Wirtschaft immerauch Vollzug von Gesellschaft. Vielleicht wird das von nieman-

    dem bestritten, aber dann sind eben die angefhrten Unterschei-

    dungen inadquat, wenn es darum geht, die Beobachtung und

    Ana lys e der wirtschaftlichen Asp ekt e des gesellschaftlichen G e -

    schehens zu beschreiben. Wir behandeln deshalb die Wirtschaft

    als Teilsystem der Gesel lschaft - und das soll de r Tite l Die Wirt-

    schaft der Gesellschaft ankndigen.

    Man gewinnt mit diesem Ausgangspunkt den Vorteil, neuere

    Entwicklungen in der allgemeinen Systemtheorie verfolgen und

    sie fr die Darstellung der Wirtschaft der Gesellschaft nutzen zu

    knnen. Sowohl die Gesellschaft als auch die "Wirtschaft werden

    als soziale Systeme begriffen, und die Verbindung beider liegt in

    einer Theorie der Systemdifferenzierung, die Differenzierung als

    Wiede rholung der Systemb ildung in S ysteme n auffat. Auf diese

    4 Vgl. dazu auch Richard Swedberg, The Critique of the Economy andSociety< Perspective Dring the Paradigm Crisis: From the UnitedStates to Sweden, Acta Sociologica 29 (1 9 8 6 ) , S. 9 1 - 1 1 2 .

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    Weise lassen sich Konzepte der neuen Kybernetik zweiter Ord-

    nung (der Kybernet ik des Beobachtens von Beobachtungen) und

    Anstze zu einer Theorie selbstreferentieller Systeme anzapfen.Man kann prfen, ob und wie die Vorstellungen ber operative

    Geschlossenheit und strukturelle Kopplung zur Klrung klassi-

    scher Probleme der Geldwirtschaft beitragen knnen, und,dabei

    wi rd immer mit im Blick zu halten sein, wie das Gesellschaftssy-

    stem begriffen werden mu, damit eine solche Anwendu ng mg-

    lich ist. In jedem Falle werden, und daran mu man sich mhsam

    gewhnen, Systeme nicht einfach als Objekte behandelt, die ne-

    ben anderen Objekten in der Welt existieren und von einem un-

    abhngigen Beobachter richtig oder falsch beschrieben werden

    knnen; sondern Gegenstand einer Beobachtung ist jeweils eineDifferenz, eine Differenz von System und Umwelt, und dies mit

    der Zusatzannahme, da es die selbstreferentielle Schlieung des

    Systems ist, die diese Differenz erzeugt und reproduziert.

    In verschiedenen Hinsichten, die wir hier nicht vorwegnehmend

    diskutieren sollten, fhrt dieser Theorieansatz zu einer Steige-

    rung des Auflse- und Rekombinationsvermgens und zu er-

    hhten Ansprchen an begriffliche Genauigkeit - und dies auf

    einem ganz anderen Wege als dem blichen der Mathematik.

    Man kann dann zum Beispiel ber Geld oder ber den Marktnicht mehr so reden, als wte man, worum es sich handelt, und

    als sei nur noch ein Problem der Erklrung konkreter Erschei-

    nungen zu lsen. Nimmt man das, was wir Autopoiesis der

    Wirtschaft nennen werden, als Ausgangspunkt und reduziert

    man folglich das, woraus Wirtschaft besteht, auf ein Netzwerk

    von selbstproduzierten Ereignissen, das stndig reproduziert

    wird oder anderenfalls einfach aufhren wrde zu existieren,

    dann stt man in einem sehr radikalen Sinne auf die Frage der

    Bedingungen der Mglichkeit und damit nicht zuletzt auf die

    Frage der damit verbundenen Einschrnkungen (constraints) frdie Reproduktion von Zusammenhngen. Sowohl der Problem-

    bezug Knappheit als auch das Tauschmittel Geld, sowohl die

    Anthropologie der Bedrfnisse als auch das Entscheiden als

    Form des Prozessierens von Kontingenz verlieren damit ihre

    grundbegriffliche Selbstverstndlichkeit und mssen system-

    theoretisch kontrolliert rekonstruiert werden. Anhand von zen-

    tral gewhlten Themen soll mit den Untersuchungen dieses Ban-

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    des ausprobiert werden, wohin eine Theorie treibt, wenn sie so

    anfngt, und welche theorietechnischen Entscheidungen dabei

    anfallen.

    Eine zweite Ambition bezieht sich auf Gesellschaftstheorie.

    Die Wirtschaft der Gesellschaft - das sagt auch, da wir mit

    einer Analyse der Wirtschaft etwas ber die Gesellschaft erfah-

    ren knnen, und spezieller: mit der Analyse der Geldwirtschaft

    etwas ber die moderne Gesellschaft. Fr diese Zwecke mu

    die Begrifflichkeit so aufbereitet werden, da sie sich, mit ent-

    sprechenden Vernderungen, auch auf andere Bereiche gesell-

    schaftlicher Kommunikation anwenden lt - also etwa auf das

    politische System oder das Erziehungssystem, auf das Religions-

    system, das Wissenschaftssystem, das Rechtssystem und dieFamiliensysteme. Die Hintergrundannahme fr einen solchen

    Vergleich lautet: da die moderne Gesellschaft im Unterschied

    zu allen Vorlufern als primr funktional differenziertes System

    aufgefat werden kann. Das erklrt dann Unterschiede als

    bedingt durch den Unterschied der Funktionen und erklrt

    Vergleichbarkeiten durch die allgemeinen Erfordernisse der Par-

    tizipation an den besonderen Bedingungen funktionaler Diffe-

    renzierung. Auch hierfr zieht die Analyse ihre Ressourcen aus

    der allgemeinen Systemtheorie, zustzlich aber auch aus der

    Kommunikationstheorie und, soweit Geld in Betracht kommt,

    aus einer Theorie generalisierter symbolischer Medien. In dieser

    Hinsicht versucht der vorliegende Band nicht zuletzt, einen Bei-

    trag zur Gesellschaftstheorie zu leisten. Denn wenn es gelnge,

    die wichtigsten Kommunikationsbereiche der modernen Gesell-

    schaft berzeugend als ausdifferenzierte, operational geschlos-

    sene Funktionssysteme zu beschreiben und hnlichkeiten wie

    Unterschiede dingfest zu machen, wird sich damit der Eindruck

    festigen, da solche Ubereinstimmungen nicht rein zufllig

    vorkommen, sondern einer Konstruktion der modernen Gesell-schaft, die sich dieser theoretischen Instrumente bedient, Plau-

    sibilitt verleihen knnen. Insofern bietet dieser Band einen

    Ausschnitt aus umfassend angelegten gesellschaftstheoretischen

    Forschungen, dem weitere Publikationen fr andere Funktions-

    systeme folgen sollen.

    Historisch gesehen liegt darin ein radikaler Bruch mit der mehr-

    hundertjhrigen Tradition der Politischen konomie. Dieser

    io

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    Begriff hatte postuliert, da die Gesellschaft in dem, was ihre

    Eigenart ausmacht, nicht mehr nur perfektionspolitisch (also alt-

    europisch), sondern auch, ja schlielich nur noch von der ko-

    nomie her zu begreifen sei. Wir gehen statt dessen von einemGesellschaftsverstndnis aus, von dem her gesehen Funktionssy-

    steme fr Politik und fr Wirtschaft neben vielen anderen nur fr

    spezifische Funktionen ausdifferenziert sind und daher weder

    Vorrang noch bergeordnete Bedeutung, ja (wie in Kapitel 10

    ausgefhrt werden wird) nicht einmal Reprsentations- und

    Steuerungsfunktionen der Gesellschaft in der Gesellschaft in

    Anspruch nehmen knnen. Aber gerade aus diesem Verzicht

    folgt, da die Abhngigkeit der Gesellschaft vom Funktionieren

    dieser Funktionssysteme sehr viel grer ist als je zuvor. Denn

    mit den Mglichkeiten, die sich aus der funktionalen Spezifika-

    tion ergeben, sind auch die Leistungsansprche und die darauf

    eingestellten strukturellen Kompatibilitten ins Unwahrschein-

    liche gewachsen, und zugleich hat die Gesellschaft multifunktio-

    nale Absicherungen und Redundanzen in so hohem Mae abge-

    baut, da die Funktion der Politik nur noch von der Politik, die

    Funktion der Wirtschaft nur noch von der Wirtschaft, die Funk-

    tion des Rechts nur noch vom Recht erfllt werden kann und

    eine auch nur temporreAuslagerung auf andere Trger, etwa auf

    Religion oder auf Familienverbnde, ausgeschlossen ist.Angesichts der geschilderten Theorielage verhalten die Beitrge

    dieses Bandes sich explorativ. Sie gehen in der Regel von bekann-

    ten Themenstellungen aus, handeln also von Preisen und Geld,

    von Knappheit und von Entscheidung, von Kapital und Arbeit,

    von Markt und Organisation. An diesen Themen werden analy-

    tische Instrumente anderer Provenienz ausprobiert, vor allem

    die Theorie autopoietischer Systeme, aber auch Unterscheidun-

    gen wie Medium und Form oder Struktur und Semantik oder

    Code und Programm. Angesichts durchgehender thematischerVerflechtungen - die Wirtschaft wird schlielich als System be-

    schrieben -sind berschneidungen nicht vermieden, ja zum Teil

    sogar ausgebaut worden, um sichtbar zu machen, wie etwa das

    Medium Geld eine spezifische Problemstellung Knappheit

    braucht und schafft, um ein autopoietisches System Wirtschaft

    ausdifferenzieren zu knnen. D ie Theorie sperrt sich aus inneren

    Grnden gegen eine lineare Darstel lung. Desha lb erschien es mir

    ii

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    sinnvoll, verschiedene Einstiege zu whlen, um dann zeigen zu

    knnen, welche Konfigurationen sichtbar werden, wenn man

    das eine oder das andere Thema im einzelnen verfolgt.

    Einige Beitrge greifen auf bereits publizierte Arbeiten zurck5

    ,andere sind eigens fr diesen Band geschrieben worden. Die be-

    reits publizierten Beitrge sind in allen Fllen fr die Aufnahme

    in diesen Band berarbeitet, teils gekrzt, teils erweitert und auf

    den neuesten Stand gebracht worden. Bei der Ausarbeitung der

    Einzelbeitrge und bei der Vorbereitung ihrer Zusammenstel-

    lung war mir Dirk Baecker ein wertvoller Gesprchspartner.

    Ihm ist es zu danken, wenn die Zahl der unabsichtlichen Zusam-

    menste mit Denkgepflogenheiten von Wirtschaftswissen-

    schaftlern verringert werden konnte. Die absichtlichen gehen

    dann um so mehr auf eine theoretisch gesteuerte Intention zu-

    rck.

    Bielefeld, im Deze mber 1987 Nik las Luhmann

    5 Siehe Niklas Luhmann, Das sind Preise, Soziale Welt 34 (1983), S. 153bis 170; ders., Die Wirtschaft der Gesellschaft als autopoietisches Sy-stem, Zeitschrift fr Soziologie 13 (1984), S. 308-327; ders., Soziologi-sche Aspekte des Entscheidungsverhaltens, Die Betriebswirtschaft 44(1984), S. 591-603; ders., Kapital und Arbeit: Probleme einer Unter-scheidung, in: Johannes Berger (Hrsg.), Die Moderne: Kontinuittenund Zsuren, Soziale Welt, Sonderband 4, Gttingen 1986, S. 57-78.

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    Kapitel i

    Preise

    I.

    Die Soziologie hat sich, besonders in neuerer Zeit, verhltnism-

    ig wenig an der Diskussion wirtschaftswissenschaftlicher Pro-

    bleme beteiligt. Das liegt einerseits an der imposanten Doku-

    mentation der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung, die fr

    jeden Auenstehenden abschreckend wirken mu. Es mag aberauch an der theoretischen Inkompetenz der Soziologie selbst

    liegen. Die Art und vor allem der Grad an Abstraktion in den

    derzeit verwendeten Grundbegriffen der Soziologie (etwa:

    Handlung, Rolle, Institution, Norm, Konflikt) reichen ganz of-

    fensichtlich nicht aus, um die Komplexitt des wirtschaftlichen

    Geschehens, geschweige denn des wirtschaftswissenschaftlich

    beschriebenen und des durch diese Beschreibung beeinfluten

    Geschehens zu erfassen. Es fehlt in der etablierten soziologi-

    schen Theorie dafr adquate Komplexitt (und erst recht natr-

    lich requisite variety im Sinne des Ash by- The ore ms).

    Die folgenden berlegungen gehen von Mglichkeiten des Be-

    schreibens und Erkennens aus, die sich ergeben, wenn man so-

    ziologische An aly sen an einer allgemeinen Systemtheorie orien-

    tiert. Sie suchen nach Mglichkeiten einer Anwendung dieser

    Theorie auf Probleme des Wirtschaftssystems. Es geht also nicht

    darum, zum vorliegenden Stand wirtschaftswissenschaftlicher

    Forschung kritisch Stellung zu nehmen. Es geht auch nicht um

    eine Wissenssoziologie der wirtschaftswissenschaftlichen

    Forschung, etwa um ein Nachzeichnen der Differenzen zu vor-liegenden Theorien, deren Reformulierung die Forschung vor-

    anbringt.1 Da s alles wr e im Prinz ip mglich, w rd e aber (fr die

    Soziologie zumindest) einen theoretischen Rahmen vorausset-

    zen , der zur Zeit nicht einmal in Umrissen fixiert ist. Wir widmen

    uns zunchst deshalb nur dem Versuch, einen Beitrag zu einer

    i So z.B. die soziologische Analyse der psychologischen Forschung imBereich, von Persnlichkeitstheorien bei Ray Holland, Seif in SocialContext, New York 1978.

    3

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    soziologischen Theorie der Wirtschaft zu skizzieren. Und um

    diesen ironischen disclaimer noch anzufgen: Sollten wirt-

    schaftswissenschaftliche Theorien sich in unseren Ausfhrungenwiedererkennen knnen, wre das reiner Zufall.

    II .

    Wie soziale Systeme berhaupt, sollen auch wirtschaftende Ge-

    sellschaften oder ausdifferenzierte Wirtschaftssysteme in Gesell-

    schaften als Systeme begriffen werden, die aufgrund von Kom-

    munikationen Handlungen bestimmen und zurechnen. Wederdie Ressourcen, um die es geht, noch die psychischen Zustnde

    der beteiligten Personen sind danach Elemente oder Bestandteile

    des Systems. Sie sind natrlich unerlliche Momente der Um-

    welt des Systems. Uber sie wird kommuniziert, und die Kom-

    munikation nimmt ihrerseits Materielles und Psychisches in

    Anspruc h. Sie wre ohne diese Umwelt nicht mglich. Die Sy-

    stembildung, um die es geht, liegt aber ausschlielich auf der

    Ebene des kommunikativen Geschehens selbst. Nur dies kann in

    einem genauen Sinne als soziale Wirklichkeit bzw. als soziales

    System bezeichnet werden.

    Auf Wirtschaft bezogene Kommunikation ist in allen Gesell-

    schaftsformationen ntig, wei l man sich ber Zugri ff auf knappe

    Gter verstndigen mu. Sie ist in entsprechend vielfltigen For-

    men mglich. Das Ausdifferenzieren eines besonderen Funk-

    tionssystems fr wirtschaftliche Kommunikation wird jedoch

    erst durch das Kommunikat ionsmed ium G eld in Gan g gebracht,

    und zwar dadurch, da sich mit Hilfe von Geld eine bestimmte

    Art kommunikativer Handlungen systematisieren lt, nmlich

    Zahlungen. In dem Mae, wie wirtschaftliches Verhalten sich anGeldzahlungen orientiert, kann man deshalb von einem funktio-

    nal ausdifferenzierten Wirtschaftssystem sprechen, das von den

    Zahlungen her dann auch nichtzahlendes Verhalten, zum Bei-

    spiel Arbeit, bereignung von Gtern, exklusive Besitznut-

    zungen usw., ordnet. Wir mssen zunchst, da Preise sich auf

    Zahlungen beziehen, genauer klren, was diese Bindung aller

    wirtschaftlichen Vorgnge an einen monetren Ausgleich sy-

    stemtheoretisch besagt.

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    blicherweise geht man bei der Darstellung der Geldfunktion

    nicht von systemtheoretischen, sondern von tauschtheoreti-

    schen Vorstellungen aus. Geld ermglicht eine sachlich/zeitlich/soziale Generalisierung von Tauschmglichkeiten. Es erweitert

    in all diesen Hinsichten die Tauschmglichkeiten und vergrert

    damit den Auswahlbereich (also auch die Selektionsleistung) der

    konkreten Tauschoperationen. Diese Einsicht, die soziologisch

    im Kontext einer Theorie symbolisch generalisierter Medien

    ausgedrckt werden kann, wird nicht in Frage gestellt, sie reicht

    aber fr eine systemtheoretische Analyse nicht aus. Die Ausdif-

    ferenzierung von sozialen Systemen erfordert die Schlieung

    eines selbstreferentiellen Verweisungszusammenhangs fr alle

    Operationen des entsprechenden Systems. Bei allem, was wirt-schaftlich geschieht, also der Wirtschaft als System zurechenbar

    ist, mu demnach Selbstreferenz mitlaufen. Di e Kommuni kat io-

    nen der Wirtschaft mssen sich als wirtschaftlich ausweisen, da-

    mit man sie nicht falsch interpretiert, etwa als auf Intimitt zie-

    lenden Annherungsversuch auffat 2; sie mssen, was immer sie

    sonst leisten, immer auch das Wirtschaftssystem selbst reprodu-

    zieren. Andererseits ist diese Geschlossenheit des selbstrefe-

    rentiellen Zirkels nie als ein Sachverhalt fr sich mglich; sie

    kann nur als mitlaufende Selbstreferenz eingerichtet werden.3

    Geschlossene Systeme sind nur als offene Systeme mglich,

    Selbstreferenz kommt nur in Kombination mit Fremdreferenz

    vor. Diese Umformung eines frher als Gegensatz formulierten

    Begriffsverhltnisses in einen Steigerungszusammenhang ist eine

    2 Fr Prostituierte ist diese Differenz besonders in ihrer Lehrzeit eindurchaus praktisches Problem. Sie mssen daher in Erscheinung undVerhalten sichtbar machen, was gemeint ist.

    3 Logiker wrden im Anschlu an Tarski formulieren, da die Tautologieder reinen Selbstreferenz entfaltet werden mu, und Entfaltung heithier: Aufbrechen der zugrundeliegenden Identitt. Vgl. z.B. Lars Lf-gren, Unfoldment of Self-Reference in Logic and Computer Science, in:Finn V. Jensen/Brian H. Mayoh/Karen K. fyteller (Hrsg.), Proceedingsof the 5th Scandinavian Logic Symposium, Aalborg 1 9 7 9 , S. 2 0 5 - 2 2 9 .Ihr bevorzugter Ausweg ist die Differenzierung nach Typen oderEbenen. Mit der These mitlaufender Selbstreferenz befinden wir unsan genau dieser Problemstelle, aber aufgrund der Beobachtung empiri-scher Systeme mit einem anderen Konzept.

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    der wichtigsten Errungenschaften der neueren Systemtheo- 4

    rie.

    Im Bereich der Wirtschaft ist das Geld die dafr ntige Voraus-

    setzung. Geld ist instituierte Selbstreferenz. Geld hat keinen

    Eigenwert, es erschpft seinen Sinn in der Verweisung auf das

    System, das die Geldverwendung ermglicht und konditio-

    niert.5 Da alle basalen Wirtschaftsvorgnge durch rechnerische

    bzw. zahlungsmige Geldtransfers parallelisiert sein mssen,

    heit dies, da alle Wirtschaftsvorgnge strukturell an Simul-

    taneitt von Selbstreferenz und Fremdreferenz gebunden wer-

    den. Selbstreferenz und Fremdreferenz werden zwangsweise

    (das heit unter anderem: situationsunabhngig) gekoppelt. Siebedingen sich wechselseitig. Und es ist dieser Bedingungszusam-

    menhang, der die Ausdifferenzierung des 'Wirtschaftssystems

    trgt. Produktion ist nur Wirtschaft, Tausch ist nur Wirtschaft,

    wenn Kosten bzw. Gegenzahlungen anfallen. Dann realisiert der

    Vorgang einen Verweisungskontext, der auf Gter und Leistun-

    gen, auf Wnsche und Bedrfnisse, auf Folgen auerhalb des

    Systems Bezug nimmt; und zugleich einen anderen, in dem es

    nur um Neubestimmung der Eigentumsverhltnisse an Geld,

    also an Mglichkeiten der Kommunikation innerhalb des Sy-

    stems geht. Diese mitlaufende Selbstreferenz ermglicht durch

    ihre Geschlossenheit die Offenheit des Systems. L'ouvert s'ap-

    puie sur le ferme. 6 Die Sicherheit der Selbstverweisung ist Be-

    dingung des Ausgreifens in die Umwelt. Die gewaltigen Vern-

    derungen in Ressourcen, Naturgleichgewichten und Motiven,

    die das System der Geldwirtschaft ausgelst hat, sind durch das

    Funktionieren der monetren Selbstreferenz bedingt. Das heit

    auch, da weitere Vernderungen und vor allem das Bewltigen

    der Folgen solcher Vernderungen wieder der Natur berlas-

    sen werden mten, wenn die Wirtschaft kollabiert.

    4 Oder hnlicher Forschungsrichtungen, die sich nicht auf AllgemeineSystemtheorie festlegen lassen wollen. Vgl. namentlich Edgar Morin,La Methode, Bd. i,Paris 19 7 7 , insb. S. 197ff .

    5 Mit dem Begriff Konditionierung (einem systemtheoretischenGrundbegriff) halten wir uns hier die Stelle offen, an die spter die Dis-kussion von Preisen angeschlossen wird.

    6 Morin, a. a. O., S. 2 0 1 .

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    I I I .

    Ein solches System ist nicht nur anhand von Grenzen von seiner

    Umwelt unterscheidbar. Es identifiziert sich in jedem seiner Ele-

    mente. Die Kopplung von Selbst- und Premdreferenz dient da-

    her auch zum Erkennen, Bestimmen und Reproduzieren der

    Elemente, aus denen das System besteht.

    Als Letztelement eines solchen Wirtschaftssystems haben Zah-

    lungen besondere Eigenschaften. Sie sind, wie Handlungen,

    temporre, zeitpunktgeme Ereignisse. Indem sie beginnen,

    hren sie auch schon wieder auf. Ein System, das auf der Basis

    von Zahlungen als letzten, nicht weiter auflsbaren Elementen

    errichtet ist, mu daher vor allem fr immer neue Zahlungensorgen. Es wrde sonst von einem Moment zum anderen

    schlicht aufhren zu existieren. Und dabei geht es nicht um die

    abstrakte Zahlungsfhigkeit, die sich aus dem Besitz liquider

    Mittel ergibt; es geht also nicht um eine relativ konstante Gre,

    sondern um die konkrete Motivation zur Zahlung und ihren ak-

    tuellen Vollzug. Die Wirtschaft ist demnach ein autopoieti-

    sches System 7 , das die Elemente, aus denen es besteht, selbst

    produziert und reproduzieren mu. Der adquate Bezugspunkt

    fr die Beobachtung und Analyse des Systems ist daher nicht dieRc kke hr in eine Ruhelage, wi e Theorien des Gleichgewichts

    suggerieren, sondern die stndige Reproduktion der moment-

    haften Aktivitten, eben der Zahlungen, aus denen das System

    besteht. Diese Motivation mu nicht, oder jedenfalls nicht nur,

    von auen gesichert werden, sondern durch das System selbst,

    das heit durch systemeigene Konditionierungen der Zahlungs-

    vorgnge. Die hierfr notwendigen Konditionierungen werden

    durch Preise vermittelt.

    Darber hinaus haben Zahlungen, im Vergleich zu anderen

    Handlungssorten, besondere Eigenschaften. Fr ihre systemim-

    7 Der Begriff ist eingefhrt und auf der Ebene biologischer Systeme be-handelt durch Humberto R. Maturana/Francisco J. Vrela, Autopoiesisand Cognition: The Realization of the Living, Dordrecht 1980. Fr einevielseitige Diskussion und weitere Hinweise vgl. auch Milan Zeleny(Hrsg.), Autopoiesis: A Theory of Living Organizations, New York1981. Fr die bernahme in soziologische Theorie Niklas Luhmann,Soziale Systeme: Grundri einer allgemeinen Theorie, Frankfurt 1984.

    17

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    manente Reproduktion ist vor allem wichtig, da Zahlungen

    durch einen sehr hohen Informationsverlust gekennzeichnet

    sind: Weder brauchen die Bedrfnisse oder Wnsche, die man

    ber Geldzahlungen befriedigen kann, besonders erlutert oder

    begrndet zu we rden, noch gibt der Zahlende b er die Herkunft

    des Geldes Aufs chlu . Insofern wir kt die Ge ld fo rm sozial desta-

    bilisierend, sie kappt kommunikativ mgliche Bindungen, und

    genau das ist Bedin gung der Ausdifferenzie rung eines besonde-

    ren Funktionssystems fr Wirtschaft. Dieser Informationsver-

    lust verstrkt sich nochmals auf der Ebene derjenigen Kondi-

    tionierungen, die als Preise allgemein festgesetzt sind; denn

    solche Preise geben nicht einmal darber Auskunft, ob und wie

    hufig zu diesem Preis tatschlich Zahlungen erfolgt sind.Andererseits ermglichen feststehende Preise aufgrund dieses

    Verzichts auf Information auch Informationsgewinn. Man kann

    sich anhand von Preisen ber Zahlungserwartungen informie-

    ren, kann also beobachten, wie andere den Markt beobachten 8,

    und kann insbesondere anhand von Preisanderungen Trends er-

    kennen. Preise mssen in diesem Theoriez usam menha ng also als

    Informationen fr Kommunikationsprozesse aufgefat werden.

    Der Begriff bezeichnet demnach nicht die in Tauschzusammen-

    hngen faktisch erbrachten Geldzahlungen (die gezahlten Geld-

    summen), sondern Informationen ber zu erwartende Geldzah-

    lungen, und z wa r ber Geldzah lunge n, die als Gegenleis tung fr

    Zugriff auf knappe Gter zu erwarten sind. 9 Da solche Erwar-

    tungen (wie Erw art ung en schlechthin) nicht ohne Rcksi cht auf

    Erfahrungen mit bereits erfolgten Ablufen festgelegt werden

    knnen, versteht sich von selbst. Insofern haben faktisch get-

    tigte Geldzahlun gen erwartungsbildende Bedeutung. D ie Funk-

    tion und die Orientierungsweise von Preisen hngt jedoch an

    ihrer Generali sierun g, die ihrerseits wieder abhngt von monet-

    8 Die'sen Gesichtspunkt verdanke ich Dirk Baecker, Information und Ri-siko in der Marktwirtschaft, Frankfurt 19 88 .

    9 Diese Formulierung lt mit Absicht offen,wer erwartet: der Zahlungs-empfnger, der Zahlende oder, was fr eine soziologische Analyse viel-leicht am wichtigsten ist,unbeteiligte Dritte, die durch die Tatsache derpreisgerechten Zahlung davon abgehalten werden, selbst ein Interessean dem knappen Gut, das bertragen wird, anzumelden und durchzu-setzen.

    18

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    rer Quantifikation. In diesem Sinne ist festzuhalten, da Preise

    fr Verwendung in Kommunikationszusammenhngen genera-

    lisiert sind und da darin ihre wirtschaftliche Funktion zu sehen

    ist.

    Viele wicht ige Seiten dieses informationsbez ogenen Begriffs von

    Preis knnen hier nur kurz gestreift werden. Festzuhalten ist vor

    allem, da ein preisorientiertes System fast ohne Gedchtnis

    operieren kann (und mu). Die notwendigen Informationen

    ber Bedarf und Angebotsmglichkeiten werden durch Preise

    und Zahlungen selbst erzeugt. E in e weitere Herkunftsforschung

    ist weder ntig noch sinnvoll. Wer nicht zahlen und was nicht

    bezahlt werden kann, wird vergessen. Die Komplexitt, die dasSystem erreichen kann, w ir d also nicht durch Anforder ungen an

    Memorierleistungen eingeschrnkt . 1 0 Di e aggregierende und ge-

    neralisierende Funkt ion v on Gedch tnis b leibt freilich relevant;

    sie mu anderweitig erfllt werden, und dies geschieht durch

    Aggregation von Daten in einem betrieblichen bzw. berbe-

    trieblichen Rechnungswesen. Auf dieser Grundlage kann man

    dann nur noch ohne Gedchtnis, also ber Algorithmen ent-

    scheiden.

    Die se Informationsraffung und -Verkrzung,die im Preis Ope-rationsgrundlage wird, hat wichtige Funktionen auch fr die

    Negativfassung der Operationen, fr ihr Unterbleiben. Auch

    das gehrt zur Ausdifferenzierung des Systems. Preise regulie-

    ren nicht nur die Zahlungen, die erfolgen, sondern auch die Zah-

    lungen, die nicht erfolgen. Preise halten vom Kaufen ab. Sie tun

    dies nicht durch Disqualifizierung des Kufers, nicht im An-

    schlu an dessen Merkmale als Arbeiter, Brger, Hausfrau, Ne-

    ger, Schauspieler, Henker. Alle strukturellen Kombinationen

    von Personenmerkmalen und Zugangsbahnen zur Wirtschaft,

    wie sie in Europa bis zur Franzsischen Revolution blich wa-ren, sind aufgehoben. Das Nichtkaufen ist formal allein durch

    den Preis bedingt, und alles Zurckweisen von Interessen wegen

    ihrer Eigenmerkmal e (an so jemanden verkaufe ich nicht!) gilt als

    wirtschaftlich irrationales Verhalten. Der hohe Informations-

    io Von der allgemeinen Systemtheorie aus gesehen mu dies als eine er-staunliche Besonderheit registriert werden. Vgl. z.B. Jean-Louis LeMoigne, La thorie du systme gnral: thorie de la modlisation, Paris1977, S. 106ff., 132 ff.

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    Verlust des Zahlung svorgan gs verhilft also auch dazu, das Abha l-ten vom Kauf zu entdiskriminieren. Gerade dadurch wird dann

    Geldbesitz zum Schichtungsmerkmal; und so erklrt sich auch,

    da Abweisungsbegriffe, etwa exklusiv oder Club in At-

    traktions- und Reklamebegriffe umfunktioniert werden konn-

    ten.

    De r quantitative Ausdruc k, der so hohe Konte xtverl uste ermg-

    licht, ist kommunikationstheoretisch die Przisierung eines Dif-

    ferenzschemas, das der weiteren Informationsverarbeitung zu-

    grunde gelegt und durch sie dann nicht mehr berschritten

    werden kann. Wenn man Information auffat als difference

    that makes a difference (Bateson), heit dies, da alle weitereInformationsverarbeitung ihren Ausgangspunkt nimmt in einer

    Differenz im Hinblick auf ein Mehr oder Weniger. Ein Preis von

    DM 3,50 ist nicht mehr und nicht weniger als DM 3,50. Und

    that makes the difference. Es kommt also nicht darauf an, wie

    schwer es fllt, diesen Betrag zu verdienen, ode r wi e schwer man

    sich tut, ihn auszugeben.

    Die Festlegung auf dieses (und kein anderes) Differenzschema

    hat freilich Folgen, die im System aufgefangen werden mssen -

    zum Beispiel anhand von zu viel oder zu weni g Ab sa tz zu diesemPreis. Die Quantifikation erfordert zur Korrektur ihres eigenen

    Abstraktionsrisikos die Instabilitt von Preisen: ihre nderbar-

    keit. Die nderung der Preise erfolgt anhand von Informatio-

    nen, die auf Grund bestimmter Preise gesammelt werden kn-

    nen, aber nicht in der Preisinformation selbst bestehen. Was auf

    zu viel oder zu wenig Absatz hin geschieht, ist dem Preise selbst

    nicht zu entnehmen, wird durch ihn selbst nicht bestimmt. Aber

    die Unbestimmtheit dessen, was daraufhin geschieht, ist eine

    Unbestimmtheit, die nur mglich ist durch die Bestimmtheit der

    Preise.

    Ein weiteres Merkmal fhrt auf dasselbe Problem der Instabili-

    tt. Preise sind, wie schon gesagt, Informationen ber letztlich

    zeitpunktgebundene Ereignisse: ber Zahlungen, die notwendi-

    gerweise an einem bestimmten Zeitpunkt stattfinden. Letztlich

    besteht ein Wirtschaftssystem, wie jedes Kommunikationssy-

    stem, aus temporalisierten Elementen, die als Elemente keine

    Da uer haben knne n. D er Zahlungsvorga ng ist selbst nichts wei -

    ter als eine Kommunikation - aber eine Kommunikation, die

    20

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    zeitlich fixiert werden mu, weil sie Kommunikationsmglich-

    keiten bertrgt und weil man in einem Wirtschaftssystem

    wissen mu, wer in welchem Zeitpunkt ber welche Kommuni-

    kationsmglichkeiten verfgt. Der basale Proze des Wirt-schaftssystems besteht insofern aus temporalisierten Selektionen,

    aus Ereignissen. Keine Strukturbildung kann die einmal hineinge-

    lassene Zeit wieder eliminieren. Darber hinaus wird man sogar

    vermuten drfen, da alle Strukturbildung es daraufhin mit den

    Folgeproblemen der Temporalisierung des Systems zu tun hat,

    so wie eine Beschleunigung der Kommunikation (etwa mit Hilfe

    elektronischer Datenverarbeitung) im Weltwirtschaftssystem

    enorme strukturelle Auswirkungen hat.

    An sich wrde man bei temporalisierten Systemen, die aus sofortwieder verschwindenden Ereignissen bestehen, hohe Sicherheit

    des Anschluwertes der Ereignisse erwarten mssen, denn sonst

    wrde die kontinuierliche Reproduktion des Systems gefhrdet

    sein. In einer Wirtschaft, die aus Zahlungsereignissen besteht,

    wird dieses Erfordernis durch eine ganz eigentmliche Vertei-

    lung von Sicherheit und Unsicherheit erfllt. Die Zahlung

    schafft sehr hohe Sicherheit der beliebigen Verwendung des er-

    haltenen Geldes fr den Gelderwerber (Geldeigentmer) und

    zugleich sehr hohe Unsicherheit der bestimmten Verwendung

    fr alle anderen. Durch den Einbau der beiden Variablen Sicher-heit/Unsicherheit und Beliebigkeit/Bestimmtheit mit Extrem-

    werten in die Struktur der Reproduktion des Wirtschaftssystems

    wird sehr hohe Instabilitt geschaffen, ohne da die Operatio-

    nen, die zur Reproduktion des Systems ntig sind, dadurch we-

    sentlich beeintrchtigt wrden. Die Vorteile dieser eigentmli-

    chen Kombination von Instabilitt und Reproduzierbarkeit sind

    so gewichtig, da das Wirtschaftssystem (und als Folge auch die

    gesellschaftliche Umwelt dieses Systems) in Ausnutzung dieser

    Vorteile hohe Komplexitt erreichen kann. Dadurch werdendann Geldcode , Zahlungen und Preise zu kaum mehr reversiblen

    evolutionren Errungenschaften: Man mte auf zu viel verzich-

    ten, wollte man die kombinatorischen Gewinne aufgeben, die

    hierdurch ermglicht sind.

    Sicherlich beruht diese Problemlsung auf der Quantifikation

    des monetren Ausdrucks sozialer Beziehungen. So wird zum

    Beispie l in der marxis tischen Ana lyse die Ware als Zelle der

    21

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    Wirtschaft mit kapitalistischer Produktionsweise gesehen."

    Diese Metapher ist jedoch noch zu grob und leitet auch insofern

    fehl, als Zell en wiederu m hochkomplexe autopoietische Systeme

    sind, die ihrerseits riesige Mengen von Makro molek le n laufendreproduzieren. Neuere systemtheoretische Analysen legen des-

    halb eine strkere Auflsung der Letzteinheit der Wirtschaft in

    rein temporale Ereignisse nahe, wobei dann Quantifikation als

    Struktur ihrer Reproduktion begriffen werden mu.

    So gesehen nimmt die Zeitlichkeit des Systems Quantifikation

    (und wiederum: Quantifikation Zeitlichkeit) in Anspruch zum

    Ausgleich des Abstraktionsrisikos, und sie forciert damit die

    Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems auf der Basis zeit-

    punktgebundener, momenthafter, notwendig vergnglicher Er-

    eignisse. Gewi: Alle Handlungssysteme (wie auch alle Bewut-

    seinssysteme, alle neurophysiologischen Systeme usw.) haben

    diese Eigenart temporalisierter Komplexitt, konstituieren sich

    also durch Relationierung von Ereignissen, die immer sofort

    wieder verschwinden. Alle diese Systeme sind endogen unruhig.

    Alle diese Systeme lassen das schrumpfen, was fr sie gleichzei-

    tig, also insofern unbeeinflubar ist; und alle diese Systeme ent-

    wickeln deshalb Mglichkeiten, sich selbst in Zeithorizonten zu

    beobachten, das heit, ihre aktuelle weltgleichzeitige Operation

    als Gegenwart zu unterscheiden von Vergangenheit und Zu-kunft. Insofern bietet das Wirtschaftssystem keine grundlegend

    andersartigen Zge als eine auch sonst bekannte Wirklichkeit.

    Die soziologisch interessante Frage ist jedoch, wieweit diese

    Eigenart temporalisierter Systeme in den Dienst von Spezialfunk-

    tionen des Gesellschaftssystems gestellt, wieweit sie funktional

    ausdifferenziert werden kann. Hierfr bieten Einsichten in Zu-

    sammenhnge von (i) Quantifikation des Differenzschemas der

    Informationsverarbeitung, (2) Spezifikation der Letztelemente

    auf den Basistypus Zahlung und (3) Risiko absor ption durch dar-

    auf bezogene Strukturen einen Schlssel fr weitere soziologi-

    sche Analysen. Und zu betonen ist, da der Einsichtsgewinn auf

    11 Und dies durchaus so, da die Einheit dieses Elements nicht auf seinenontologischen Qualitten beruht, sondern auf der Struktur des es repro-duzierenden Systems. Vgl. dazu I. V. Blauberg/V. N. Sadovsky/E. G.Yudin, Systems Theory: Philosophical and Methodological Problems,Moskau 1977, S. 20.

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    den Zusammenhang dieser Variablen bezogen werden mu und

    auf die daraus sich ergebende immanente Beschrnkung der Va-

    riation des Gesamtsystem s. N u r so kom mt man zu einer system-theoretischen Analyse.

    IV.

    Fr die Systemtheorie ist es eine gelufige These, da komplexe

    Systeme Instabilitten schaffen mssen, um den Problemen

    Rechnung tragen zu knnen, die sich aus der Erhaltung von ge-

    ordneter Komplexitt in einer noch komplexeren und weniger

    geordneten Umwelt ergeben. Diese Aussage lt sich auch um-keh ren : Instabilitten lassen sich in Systemen nur halten und ge-

    gen Verhrtung schtzen, wenn eine hinreichend komplexe Um-

    welt besteht, die berraschende Informationen auslst, welche

    durch Inanspruchnahme systeminterner Instabilitt, hier also

    durch nderung der Preise, verbraucht werden knnen. 1 2 Schon

    diese Einsichten fhren zu der Frage, wie die Komplexitt einer

    mit variablen Preisen vereinbaren Umwelt des Wirtschaftssy-

    stems bestimmt werden kann; und ob ein Wirtschaftssystem mit

    variablen Preisen zum Beispiel Vereinfachungen verkraftenkann, die darin bestehen, da eine Ressource (Ol) und ein Motiv

    (Autofahren) eine fatal dominierende Stellung einnehmen, die

    die Preise und damit den Absatz anderer Gter beeinflut.

    Wir sind nicht ausreichend vorbereitet, eine solche Frage, ber

    dunkle Ahnungen hinausgehend, zu beantworten. Wir knnen

    jedoch das Problem der preisbezogenen Instabilitt des Wirt-

    schaftssystems noch etwas genauer analysieren und damit theo-

    retische Perspektiven erschlieen, in denen man weiterfhrende

    Untersuchungen anstellen knnte. Wir tun dies anhand der

    Frage, wie Schranken der Instabilitt, also Variationsgrenzen derPreise ermittelt und kontrolliert werden knnen,

    Das traditionelle Modell fr die Lsung dieses Problems ist in

    der Lehre vom gerechten Preis zu finden. Diese Lehre sollte nicht

    Preisschwankungen schlechthin ausschlieen, wohl aber be-

    12 Siehe z.B. Ilya Prigogine, Vom Sein zum Werden: Zeit und Komplexi-tt in den Naturwissenschaften, Mnchen 1979, insb. S. 1 j 8 f.

    2

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    stimmte Motive fr Preisbestimmungen, vor allem Eigensucht

    und Gewinnstreben in einem Mae, das ber das hinausging,

    was zum standesgemen Unterhalt erforderlich erschien. So-ziologisch gesehen bezog sich die Semantik des gerechten Prei-

    ses mithin auf moralische Vorgaben, damit auf das Gesell-

    schaftssystem im ganzen, also auf allgemeine Bedingungen

    menschlichen Zusammenlebens und im besonderen auf Schich-

    tung. Sie richtete sich gegen rein individuelles Gewinnstreben

    unter Ausnu tzung aller sich anbietenden Mglic hkei ten. Die Se-

    mantik gerechter Preis ist mithin zu lesen vor dem Hinter-

    grund der Differenz von Gemeinwohl (das jedem Individuum

    sein Recht zukommen lt) und Eigensucht.

    Schon der gerechte Preis w urd e natrlich als ein variabler Preisangesehen. Nicht das Verhindern der Anpassung an sich n-

    dernde Verhltnisse war das Problem, sondern das Verhindern

    der ungerechtfertigten Ausbe utung von Chan cen aus reinem G e -

    winntrieb. Die zunchst auftauchende Alternative war: entwe-

    der den Preis direkt oder den Markt zu regulieren. Sie lief auf

    taxierte Preise mit Hilfe einer Theo rie der richtigen Preisbildung

    oder auf Konzentration und bersichtlichkeit des Marktgesche-

    hens hinaus. Beide Varianten finden im spten Mittelalter (und

    seitdem) ihre Vertreter. Preisregulierungen scheitern jedochpraktisch am Fernh andel sowie an den Finanzintere ssen der poli -

    tischen Herrschaften und der Kirche. 1 3

    Der Zusammenbruch der Lehre vom gerechten Preis zeichnet

    sich sptestens im 1 6 . Jahrhun dert ab. Ma n beginnt, besonders inEngland, das Gewinnstreben als Natur des Menschen zu sehen

    mit der Folge, da alles Schrankensetzen damals vor allem

    durch politische Manahmen - als unnatrlich, also als erfolglos

    beschrieben werden konnte . 1 4 Die sich abzeichnende, durch All-

    tagserfahrungen offenbar gedeckte Differenz von Wirtschaft

    13 Hierzu und zu den auf den Territorialstaat zulaufenden Weiterentwick-lungen einer Semantik wirtschaftlicher Verhltnisse im Gebiet desDeutschen Reiches Wolf-Hagen Krauth, Wirtschaftsstruktur und Se-mantik: Wissenssoziologische Studien zum wirtschaftlichen Denken inDeutschland zwischen dem 1 3 . und 17. Jahrhundert, Berlin 1984.

    14 Vgl. hierzu mit weiteren Hinweisen Alfred F. Chalk, Natural Law andthe Rise of Economic Individualism in England, Journal of PoliticalEconomy 5 9 ( 1 9 5 1 ) , S. 3 3 2 - 3 4 7 .

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    und Politik fhrt zur Legitimation unsozialen Verhaltens. An-

    ders gesagt: Die nicht zuletzt aus Grnden des internationalen

    Handels

    1 5

    zunehmende Differenzierung von Wirtschaft und Po-litik fhrt zur Verschrfung der Differenz von Individuum und

    Gesellschaft. Gesamtgesellschaftliche und moralische (den Men-

    schen als Menschen bindende) Schranken der Variabilitt verlie-

    ren an Plausibilitt und Operationalisi erbarkeit. Die Funktions-

    systeme gewinnen an Autonomie, werden in sich komplexer,

    bentigen infolgedessen hhere Instabilitten und mssen selbst

    fr deren Kontrolle sorgen. 1 6

    In der neueren Zeit werden hierfr zwei verschiedene Lsungs-

    wege bereitgehalten. Beide haben ein Prinzip gemeinsam: sie

    berlassen die Kontrolle der Instabilitt Instabilitten andererArt. Di e eine Mgl ichkei t ist: die Kont rol le des Fluktuierens der

    Preise ber Geldkosten laufen zu lassen. Die Verteuerung des

    Kredit s limitiert das Steigen der Preise. Di e Schranken von Insta-

    bilitt werden im Wirtschaftssystem selbst geregelt, und zwar

    durch Instabilitten einer hheren Ebene der Reflexivitt: durch

    den Preis nicht fr Waren, sondern durch den Preis fr Geld. 1 7

    Die andere Lsung liegt im Rckgriff auf die Instabilitten eines

    anderen Funktionssystems-; sie nimmt kollektiv bindende Ent-

    scheidungen des politischen Systems in Anspruch, zum Beispielin der Form von Rechtspolitik, Geldpolitik, Strukturpolitik

    oder auch durch Einrichtung regulativer oder administrativer

    Organisationen.

    Kollektiv bindende Entscheidungen knnen jeweils anders ge-

    15 Siehe hierzu Immanuel Wallerstein, The Modern World-System: Capi-talist Agriculture and the Origin of the European World-Economy inthe Sixteenth Century, New York 1974.

    16 Zum gesellschaftstheoretischen und wissenssoziologischen Kontextdieser Aussagen liegen weitere Untersuchungen vor. Vgl. Niklas Luh-mann/Karl Eberhard Schorr, Reflexionsprobleme im Erziehungssy-stem, Stuttgart 1979; Niklas Luhmann, Gesellschaftsstruktur und Se-mantik, Bd. i und 2, Frankfurt 1980/81; ders., Ausdifferenzierung vonErkenntnisgewinn: Zur Genese von Wissenschaft, in: Nico Stehr/Vol-ker Meja (Hrsg.), Wissenssoziologie, Sonderheft der Klner Zeitschriftfr Soziologie und Sozialpsychologie 22 (1980), S. 101-139; ders., Aus-differenzierung des Rechts, Frankfurt 1981.

    17 Vgl. hierzu auch Niklas Luhmann, Reflexive Mechanismen, in ders.,Soziologische Aufklrung, Bd. 1, 4. Aufl., Opladen 1974, S. 92-112.

    2

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    troffen und knnen, nachdem sie getroffen sind, wieder gendert

    werden. Sie binden nur, solange sie nicht gendert werden. Als

    Entscheidungen sind sie temporre Ereignisse, wie die Zahlun-

    gen im Wirtschaftssystem. Wie das Wirtschaftssystem, so wird

    auch das politische System auf der Basis instabiler Elemente aus-

    differenziert. Im einen Falle handelt es sich um Zahlungen, im

    anderen Falle um kollektiv bindende Entscheidungen. In beiden

    Fllen gibt es auf die Instabilitt bezogene Orientierungen, und

    in beiden Fllen gibt es Stufen der Reflexivitt, nmlich Preise fr

    Geld bzw. Entscheidungen ber Prmissen von Entscheidun-

    gen.

    Systemtheoretisch gesehen ist also das Verhltnis von Wirtschaft

    und Politik durch funktionsbedingte Unterschiede und durchParallelitten im Systemaufbau, insbesondere durch entspre-

    chende Instabilitten in beiden Systemen charakterisiert. Das

    macht es mglich, politische Variabilitt zur Kontrolle wirt-

    schaftlicher Variabilitt einzusetzen - allerdings nur in den

    Grenzen der Mglichkeit, durch kollektiv bindende Entschei-

    dungen Einflu auf wirtschaftliche Prozesse zu nehmen. (Man

    kann im politischen System zum Beispiel nicht einfach ent-

    scheiden: es soll uns wirtschaftlich gutgehen!) Dabei bleibt die

    Vorstellung, wirtschaftliches Geschehen durch politische Ent-scheidungen beeinflussen zu knnen und Verantwortung dafr

    bernehmen zu mssen, eine politische Vorstellung, die heute in

    den Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen gerckt ist,

    whrend die Wirtschaft mit eigenen Mitteln wie Variation von

    Preisen, Investitionen, Standortentscheidungen, Spekulation auf

    das reagiert, was sie als politische Festsetzung erfhrt oder antezi-

    piert. Auf beiden Seiten handelt es sich um strukturdeterminierte

    Systeme. Das heit, die Strukturen eines Systems knnen nur

    mit systemeigenen Operationen variiert werden, die ihrerseits

    von den Strukturen des Systems abhngen. Auch kann jedes Sy-stem sich selbst und seine Umwelt nur aufgrund eigener Unter-

    scheidungen beobachten. Von politischer Steuerung der Wirt-

    schaft kann man deshalb allenfalls in dem Sinne sprechen, da die

    Politik die Wirtschaft mit Hilfe politikeigener Unterscheidungen

    (zum Beispiel Konjunkturdaten im Verhltnis zu erwnschten

    Verlufen) beobachtet, dabei Differenzen feststellt (zum Beispiel

    zwischen der tatschlichen und der als unvermeidlich hinzuneh-

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    menden Arbeitslosigkeit) und diese Differenzen zu vermindern

    sucht.1 8 Au ch fr die Wirtschaft gilt, mutatis mutandis, nichts an-

    deres. Sie steuert sich selbst in genau diesem Sinne ber an Preisen

    und Preisvariationen sichtbare Unterschiede. Steuern kann je-

    des System also nur sich selber, weil alle Unterscheidungen sy-

    stemeigene Konstruktionen sind. Und nur ein externer Beobach-

    ter, etwa das Wissenschaftssystem, wird gewisse Zusammenhn-

    ge und gewisse Regelmigkeiten in den Zusammenhngen zwi-

    schen den Selbststeuerungsweisen von Wirtschaft und Politik er-

    kennen knnen, aber auch dies nur auf Grun d eigener Unter-

    scheidungen.19 Dies schliet im brigen keineswegs aus, da man

    aufgrund gesellschaftlich durchgehender Kommunikation von

    denselben Daten ausgeht; aber fr Steuerung ist eben nicht ent-scheidend, was die Daten bezeichnen, sondern innerhalb welcher

    Unterscheidungen sie einen Unterschied machen.

    Demnach haben es sowohl die Wirtschaft als auch die Politik mit

    strukturellen Instabilitten zu tun. Anders wre ja auch eine Va-

    riation von Strukturen nicht zu denken. Allgemeiner gesehen ist

    18 Dies ist, wie leicht zu erkennen, der Steuerungsbegriff der Kybernetik,der jede Aussage darber vermeidet, ob und wie das System seine Um-welt beeinflussen kann, obwohl er, zumindest in seiner altkyberneti-schen Form, Mechanismen voraussetzt, mit denen das System berOutputs seine Inputs verndern kann. Die neuere Kybernetik sieht alldies jedoch als rein internes Geschehen und macht nur noch das Uberle-ben entsprechender kybernetischer Maschinen von einer dafr hinrei-chenden Anpassung an die Umwelt abhngig.

    19 Dies gilt im brigen auch fr die Steuerungstheorie selbst. Man kommtin der Wissenschaft (und wie man hinzufgen sollte: nur in der Wissen-schaft) zur Beobachtung ganz anderer Phnomene, wenn man nichteinen kybernetisch-systemtheoretischen Steuerungsbegriff, sonderneinen handlungstheoretischen Steuerungsbegriff zugrunde legt. Dann

    geht es um Probleme der unerwnschten Nebenfolgen, der Schwierig-keiten bei der Implementation usw. So konsequent Renate Mayntz, Po-litische Steuerung und gesellschaftliche Steuerungsprobleme - Anmer-kungen zu einem theoretischen Paradigma, Jahrbuch zur Staats- undVerwaltungswissenschaft 1 (1987), S. 89-110. Ob der eine Steuerungs-begriff bessere Mglichkeiten empirischer Forschung erschliet als derandere, ist damit im brigen noch nicht entschieden. Er konstruiert zu-nchst einmal nur andere Phnomene. Vgl. hierzu im einzelnen Kapitel10.

    27

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    die Erhaltung struktureller Instabilitten dasjenige Problem, das

    allen Anpassungen an rasch sich ndernde Bedingungen zu-

    grunde liegt. Politik und Wirtschaft mssen, so gesehen, wech-

    selseitig destabilisierend wirken, dann aber jeweils eigene Mg-

    lichkeiten der Selbststeuerung ansetzen knnen, um die fr das

    eigene System wichtigen Differenzen zu verringern. Das rein po-

    litische Etikett der sozialen Marktwirtschaft drfte diese Sach-

    lage eher verschleiern als klren. In jedem Fa ll e geht es auf beiden

    Seiten nicht um Annherung an einen mglichst perfekten Na-

    turzustand, sondern um die Mglichkeiten, Instabilitten der

    Umwelt durch Instabilitten des eigenen Systems zu kontrollie-

    ren. Und dazu braucht die Wirtschaft variable Preise.

    V.

    Wenn die These einer basalen und strukturellen Instabilitt des

    Wirtschaftssystems zutrifft, hat das weittragende Folgen fr die

    Prob leme innerwirtschaftlicher Kalk ulat ion. Ma n stelle sich die-

    ses Wirtschaftssystem als Umwelt kalkulierender Unternehmen

    vor . 2 0 Die Fragestellung der klassischen Unternehmenstheorie

    war, wie Unternehmen in einer solchen Umwelt zurechtkom-men und bestmgliche Resultate erzielen. Statt dessen kann man

    aber auch die Systemreferenz des Gesamtsystems der Wirtschaft

    beibehalten und fragen, ob die Art, wie Unternehmen kalkulie-

    ren, sich eignet, auf der Basis von Instabilitt dynamisch-stabile

    Strukturen der Wirtschaft zu erzeugen. Wenn man sich das Un-

    ternehmen nach den Richtlinien der klassischen Theorie als Tri-

    vialmaschine vorstellt, die bei einer gegebenen Konstellation

    stets nur eine einzig-richtige Problem lsu ng erzeugen kann 2 1 , so

    fehlt in der Wirtschaft (die ja als Ga nz es nich t entscheiden kann!)

    jedes Potential der Unsicherheitsabsorption. Das Wirken sol-cher Trivialmaschinen mte die basale Instabilitt steigern, be-

    sonders wenn diese Maschinen sich wechselseitig beobachten.

    20 Dazu nher Kapitel 3.21 Siehe zu diesem Begriff Heinz von Foerster, Entdecken oder Erfinden:

    Wie lt sich Verstehen verstehen? In: Heinz Gumin/Armin Mhler(Hrsg.), Einfhrung in den Konstruktivismus, Mnchen 1 9 8 5 , S. 27 bis68 .

    28

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    Man kann nur vermuten, da in solcher Situation Zufallsakku-

    mulationen erzeugt werden, die die Instabilitt des Systems er-

    hhen und schlielich ber die Schranken hinaustreiben, inner-

    halb deren eine dynamische Stabilisierung noch mglich ist. Das

    Wirken solcher Trivialmaschinen wrde dazu fhren, da die

    Wirtschaft ihre Stabilitt nicht selbst erreichen kann, sondern

    externen Eingr iffen zu verdanken hat. U n d in de r Tat hat sich das

    politische System, wenngleich nicht durch die klassische Theo-

    rie, aus Anla von Konjunkturschwankungen zum Eingreifen

    veranlat gesehen.

    Inzwischen ist der Theorierahmen freilich revidiert worden.

    Einerseits ist das Rationalittsziel vom optimierenden auf dasbrauchbare Entscheiden zurckgenommen worden - was unter

    anderem heit, da die Maschinen nicht trivial operieren, son-

    dern auf undurchsichtige Weise unter mehreren zugelassenen

    Mglichkeiten whlen . 2 2 Andererseits sind im makrokonomi-

    schen Theoriezusammenhang Zweif el an Gleichgewichtsmodel -

    len zumindest angemeldet, und es spricht manches fr die Ge-

    genthese, da Stabilitt nur entweder bei zuviel Produktion oder

    bei zuwenig Produktion relativ zur Nachfrage erreicht werden

    kann 2 3 ; da also entweder Kufer oder Waren knapp gehalten

    werden mssen, weil anders Knappheit als stabiler Orientie-

    rungsfaktor 2 4 des Systems nicht sichtbar werden kann. Und in

    der Tat scheint die politkono misc he Au ftei lung der Welt genau

    diesem Prinzip zu folgen.

    Diese nderungen an dem, was man als klassische Theorie vor-

    aussetzen mu, komm en einer sozio logis chen Ana ly se in wichti-

    gen Hinsichten entgegen. Sie sind von soziologischer Seite je-

    doch noch kaum gesehen, geschweige denn genutzt worden. 2 5

    22 Vgl. als Ausgangspunkt einer umfangreichen Diskussion Herbert A.Simon, Models of Man, Social and Rational: Mathematical Essays onRational Human Behavior in a Social Setting, New York 1957.

    23 Hierzu Jnos Kornai, Anti-Equilibrium: On Economic SystemsTheory and the Tasks of Research, Amsterdam 1 9 7 1 .

    24 In abstrakterer theoretischer Betrachtungsweise knnte man auch sa-gen: als Kontingenzformel des Systems. Fr Vergleiche Niklas Luh-mann, Funktion der Religion, Frankfurt 1977, insb. S. 201 ff.; Luh-mann/Schorr, a. a. O., insb. S. 58ff. Vgl. auch unten Kapitel 6.

    25 Dies gilt, und das ist angesichts einer reich flieenden organisationsso-

    29

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    Es fehlt in der Soziologie, wie eingangs bemerkt, ein theoreti-

    scher Transformator - eine Rolle, die wir der Systemtheorie zu-

    weisen mchten.

    V I .

    Wir bleiben auf der Abstraktionsebene, auf der man interdiszi-

    plinr formulieren und Zusammenhnge mit der allgemeinen Sy-

    stemtheorie erkennen kann. Hier kann man zustzlich diejeni-

    gen Probleme in Betracht ziehen, die sich daraus ergeben, da

    soziale Systeme selbstreferentielle Systeme sind. Fr Kommu ni-kationssysteme heit dies, da immer in Kommunikationszu-

    sammenhngen kommuniziert wird und da das System sich in

    der eigenen Kommunikation auf sich selbst beziehen kann. Un-

    ter solchen Strukturbedingungen kann nicht verhindert werden,

    da die Instabilitten selbst, ihre Effekte und ihre Schranken die

    Wahl der Kom muni kationen beeinflussen ode r sogar selbst zum

    Thema der Kommunikation werden.

    Demnach ist zu erwarten, da ein instabilisiertes System in sich

    selbst auf die eigene Instabilitt zu reagieren beginnt . Das Systemwird durch die eigene Unruhe beunruhigt. Die Instabilitten

    wi rken verunsichernd. Sie lsen reaktives Verhalten aus, das sich

    dann nicht mehr an den Preisen, sondern an Mglichkeiten der

    nderung der Preise orientiert. Dabei kann es sich sowohl um

    spekulative Ausnutzung von vermuteten Chancen handeln als

    auch um Absicherungen, etwa um Bildung von Vorrten an Ka-

    pital oder an Waren oder auch'um berproduktion fr den Fall

    einer etwaigen Steigerung der Nachfrage, die man durch mehr

    Absatz (statt durch Erhhung der Preise) ausnutzen mchte.

    Dies alles gehrt zunchst zum normalen Umgang mit Instabili-tten und bringt keine unlsbaren Schwierigkeiten mit sich.

    Auch Spekulation und Sicherheitssuche werden in die normale

    Selbstreferenz des Systems einbezogen und in Grenzen erwart-

    bar gemacht. Von hier aus gelangt man zu einer Art Evolutions-

    ziologischen Forschung besonders erstaunlich, sogar fr Beziehungenzwischen Organisationsformen und Entscheidungsleistungen. Speziellhierzu Niklas Luhmann, Organisation und Entscheidung, in ders., So-ziologische Aufklrung, Bd.3, Opladen 1 981 , S. 335-389.

    3

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    thorie, die das Verhalten von Firmen in einer instabilen Umwelt

    untersucht. Die allgemeine, unfabare Komplexitt der ueren

    Umwelt des Wirtschaftssystems wird in diesem System auf dieForm instabiler Preise gebracht, und an dieser wirtschaftsinter-

    nen, schon prparierten Umwelt orientieren sich dann - mit

    mehr oder weniger Erfolg und sicherlich ohne garantiert ratio-

    nale Entscheidungsmglichkeiten - die einzelnen Firmen. 2 6

    Evolutionre Selektion von sich bewhrenden Unternehmen ist

    nur aufgrund jener wirtschaftsintern produzierten Instabilitt

    und nur durch die Unmglichkeit rational gesicherter Voraus-

    sicht mglich. Die unter solchen Bedingungen erfolgreichen

    Entscheidungsstrategien lassen sich nicht aus einer Theorie ra-tionaler Entscheidungen deduzieren. Sie mten empirisch er-

    mittelt werde n und hngen sicherlich von den Fo rm en ab , in de-

    nen das Wirtschaftssystem seine Instabilitt auf den Ebenen von

    Zahlungen und von Preisen reproduziert und begrenzt.

    Da mi t gelangt man jedoch zu der Frag e, ob die innerwirtschaftli-

    che Umwelt der Unternehmen berhaupt hinreichend stabil ist

    fr Mglichkeiten des Lernens und Bewhrens; und ob der Ein-

    flu der Unternehmen auf ihre Umwelt klein genug ist, so da

    zirkulre Prozesse des positiven feedback vermieden werden

    knnen. Wenn beide Voraussetzungen nicht erfllt sind, muman damit rechnen, da die innerwirtschaftliche Evolution auf

    der Ebene der Unternehmen Erfolge prmiiert, die ihre eigenen

    Voraussetzungen untergraben. Die Instabilitt der Preise ist fr

    sich allein auch unter marktwirtschaftlichen Bed ing ung en jeden-

    falls keine ausreichende Stabilittsgarantie.

    In diese Betrachtung mu nun auerdem einbezogen werden,

    da die Preisinstabilitten ihrerseits durch Instabilitten in

    Schranken gehalten werden oder da das zumindest versucht

    wird. Auch auf dieser Ebene reflexiver Instabilitten greifenselbstreferentielle Prozesse des Systems. Im Wirtschaftssystem

    orientiert man sich auch an der Instabilitt der Geldkosten und

    an der Instabilitt politischer Entscheidungen. Gerade weil mit

    beiden Arten von instabilen Ereignissen auf das Faktum der

    26 Vgl. zu diesem noch in den Anfngen befindlichen Konzept einer Theo-rie wirtschaftsinterner Evolution Richard R. Nelson/Sidney Winter,An Evolutionary Theory of Economic Change, Cambridge, Mass.1 9 8 2 .

    31

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    Preisentwicklung und der davon abhngigen Wirtschaftsent-

    wicklung reagiertwird, ist auf sie kein Verla. Gerade weil sie als

    Korrektiv einspringen und verhindern sollen, da Inflationenund Deflationen Extremwerte erreichen, geben sie keine festen

    Anhaltspunkte, sondern schwanken mit der Entwicklung der

    Wirtschaft selbst. Andererseits bedeutet die Doppelung der

    Kontrollmittel, ihre Verteilung auf Wirtschaft und Politik, da

    die Abso rpt ion dieser reflexiv gesteigerten Unsicherheit auf zwei

    Funktionssysteme verteilt werden kann, und darin liegt eine ge-

    wisse Entlastung. Die kollektiv bindenden Entscheidungen des

    politischen Systems fordern zu politischer Einflunahme her-

    aus, whrend der Geldpreis als solcher sich in die Wirtschafts-rechnung einbeziehen und von daher unter Druck setzen lt:

    Man sieht von Kreditaufnahme und Investitionen ab, wenn Geld

    zu teuer ist. Beide Arten der Reaktion schaffen wiederum Fak-

    ten, die durch Inanspruchnahme der instabilen Basisprozesse re-

    sorbiert werden knnen.

    Es ist schwer zu sagen (und rein theoretisch wohl auch kaum zu

    ermitteln), wo bei einem solchen System die Toleranzgrenzen

    fr Instabilitt liegen. Man sieht'keine Strukturen, die mit Si-

    cherheit ein fatales Kumulieren von Instabilitten verhindern

    knnten. Das wrde im Grenzfalle zu einem Zusammenbruch

    des Geldvertrauens, zu einem Schrumpfen der Zeithorizonte des

    Wirtschaftssystems auf die Gegenwart und damit zu einem Ver-

    zicht auf spezifisch wirtschaftliche, zuknftige Bedarfsbefriedi-

    gung sicherstellende Disposit ionen fhren. Die Repolitisierung

    der Wirtschaft wre die Folge mit all den Problemen einer Uber-

    lastung der Politik mit politisch nicht lsbaren Aufgaben. Zu

    verhindern ist dies nur durch Ausnutzung der Chancen, die in

    der Instabilitt selbst liegen, und durch Festhalten an den Struk-

    turen, die genau diese Mglichkeit bereithalten: an dezentra-lisiertem Eigentum, an rechtsstaatlicher und demokratischer

    Verfassung der Politik und an einem politisch nicht direkt mani-

    pulierbaren Bankensystem. (Alle drei Faktoren sind hier als

    Variable genannt und nicht als Absoluta. Sie knnen mehr oder

    weniger realisiert sein. Das bedeutet auch, da der Ausfall eines

    der Faktoren, etwa die volle Verstaatlichung des Bankensy-

    stems, zu einer Mehrbelastung des anderen fhren mu, also

    etwa demokratisch gefhrte Politik schwieriger macht.)

    3*

  • 8/8/2019 Luhmann - 1988 - Die Wirschaft Der Gesellschaft

    34/357

    V I I .

    Innerhalb ko mplexe r Systeme mu die Orienti erun g der basalenEreignisse und Prozesse am System durch eine Selbstbeschrei-

    bung des Systems vermittelt werden. Da das System selbst in

    seiner vollen Komplexitt undurchsichtig ist, kann es sich bei

    solchen Selbstbeschreibungen nicht um Vollabbild ungen des Sy-

    stems handeln. Vielme hr sind zur Erstellung von Selbstbeschrei-

    bungen erhebliche, hochselektive Vereinfachungen erforderlich.

    Solche Vereinfachungen gewinnen sehr rasch Realitt dadurch,

    da das System auf sie reagiert. In der kybernetischen Literatur

    steht an dieser Stelle der Begriff des Mo de ll s 2 7 , den wir jedoch

    nicht bernehmen, weil er die statische Komponente der Be-zugspunkte selbstreferentieller Orientierungen berbetont.

    Die Selbstbeschreibungen des Wirtschaftssystems bauen auf In-

    formationen ber Preise auf. Das ist kein Zufall. Preise bieten

    den besten Ausgangspunkt, weil sie sowohl dem temporren

    Charakter der basalen Elemente (Zahlungen) Rechnung tragen

    als auch, darauf bezogen, ein erwartun gs- und kommun ikatio ns-

    fhiges Gemisch aus Stabilitt und Instabilitt darstellen. So ver-

    meidet man die Gefahr, ein dynamisches System lediglich durch

    seine relativ stabilen Strukturen zu beschreiben und den Proble-men der Eigendynamik eine untergeordnete, eher strende, de-

    stabilisierende, ausgleichsbedrftige Rolle zuzuweisen.

    Sie reprsentieren also ein System, das nicht aus Substanzen,

    sondern nur aus Ereignissen besteht; und sie reprsentieren die

    darauf bezogenen Erwartungsstrukturen, die zwar ber das Ein-

    zelereignis hinausgreifen, aber ihrerseits instabil, nmlich nder-

    bar installiert sind. Anhand der Preise kann mithin eine Selbst-

    beschreibung gefertigt werden, in die eingeht, da und wie das

    System mit selbstproduzierter Sensibilitt auf sich selbst rea-

    giert. D ie Vorteile der quantitativen Darstel lung un d Aggregier-barkeit von Informationen kommen hinzu.

    Auf diese Weise kann, in mehr oder weniger komplizierter

    Weise, die wirtschaftliche Leistungsfhigkeit eines Systems er-

    rechnet und im Zeitvergleich beobachtet werden, und zwar fr

    27 Vgl. R. S. Conant/W. Ross Ashby, Every Good, Regulator of a SystemMust be a Model of That System, International Journal of SystemsScience 1 ( 1 9 7 0 ) , S. 89-97; Jean-Louis Le Moigne,a. a. O.

    33

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    alle Systeme, die berhaupt unter dem Gesichtspunkt von Wirt-

    schaft ausdifferenziert sind: fr einzelne Betri ebe , fr Konzerne,

    fr Nationalwirtschaften und fr das Gesamtwirtschaftssystemder Weltgesellschaft.

    Da es auch andere, mehr literarische Mglichkeiten gibt, Sy-

    steme der Wirtschaft zu beschreiben, steht auer Frage. Man

    kann sie als kapitalistisch oder als sozialistisch bezeichnen, man

    kann auf Industrie abstellen, kann vom homo oeconomicus oder

    von Rollenmerkmalen wie Gewinnstreben oder hnlichem aus-

    gehen. Dies blieben jedoch Beschreibungen von auen, die fr

    die Kommunikationsprozesse des Wirtschaftssystems kaum Be-

    deutung gewinnen knnen. Wenn es in strengem Sinne zu

    Selbstbeschreibungen kommen soll, die das beschriebene Systemin seinen eigenen Kommunikationsprozessen hervorbringt und

    benutzt, gibt es keine andere (gleich leistungsfhige) Mglichkeit

    als die, von Preisdaten auszugehen.

    Wenn dies stimmt und wenn weiter stimmt, da Selbstbeschrei-

    bungen hochselektive Simplifikationen sind, hat ein solcher Tat-

    bestand weitreichende Bedeutung. Man ist auf die Sprache der

    Preise festgelegt, und diese Sprache hat nicht die gleiche Elastizi-

    tt wie die Umgangssprache. Auch sie kennt reflexive Mechanis-

    men, etwa in der Form der Preise fr geliehenes Geld. Auch siekennt zirkulre Strukturen und Einschrnkungen der Mglich-

    keiten, die sich daraus ergeben. So wie man Fragen an eine Spra-

    che nur in der Sprache formulieren kann, so kosten Bemhungen

    um Information ber Preise und erst recht Bemhungen um eine

    Aggregation von Preisdaten Geld. Auch kommt in beiden Fllen

    ein erheblicher Zeitbedarf hinzu, mit der Folge , da der Versuch

    gar nicht erst unternommen wird, oder wenn unternommen, zu

    spt zu Resultaten kommt. Sprachtypische Probleme treten in

    den SpezialSprachen verschrft auf und schrnken damit den

    Verwendungswert der Selbstbeschreibung zustzlich ein. Wenn

    es aber keine anderen, keine besseren Mgl ichkeit en gibt, die der

    Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems entsprechen knn-

    ten, bleibt nur die Mglichkeit, sich mit mehr kritischem Be-

    wutsein darauf einzulassen.

    Was am meisten auffllt, ist jedoch, da Selbstbeschreibungen

    dieser Art keine direkte Information geben ber das Verhltnis

    von System und Umwelt. De r Idee nach soll zwa r ein Steigen der

    34

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    Preise Knappheiten anzeigen, nmlich Knappheit der Ressour-

    cen und/oder Knappheit der Arbeitsmotive, aber de facto wer-

    den die Knappheiten im System selbst erzeugt und manipuliert;und selbst wenn dies nicht oder in geringerem Mae der Fall

    wre, wrden sich preisbasierte Selbstbeschreibungen nicht eig-

    nen, die Differenz von System und Umwelt in das System selbst

    einzugeben. Wenn es also so etwas gbe wie ein Knapperwerden

    von Arbeitsmotivation: an den Lhnen und Gehltern knnte

    man es nicht ablesen! Und wenn man sich frhzeitig genug auf

    die kologischen Folgeprobleme der modernen Gesell schaf t ein-

    stellen woll te: ber Preise knnte man es nicht! Als Ergebnis ist

    demnach festzuhalten, da die Gesellschaft durch ihre Wirt-

    schaft nicht ber die dort ausgelsten Umweltprobleme infor-miert wird; und da man dafr auch die Selbstbeschreibung der

    Wirtschaft, ihre Bilanzen, ihr Bruttosozialprodukt nicht zu Rate

    ziehen kann; denn die Leistungsfhigkeit dieser Selbstbeschrei-

    bungen beruht gerade darauf, da sie nicht an die Differenz von

    System und Umwelt anschlieen. Zwar prsentiert auch die

    Selbstbeschreibung der Wirtschaft (wie jede Selbstbeschreibung)

    die Einheit des Systems als Differenz; aber nicht als Differenz

    von System und Umwelt, sondern als Differenz anhand einer

    Zahl: als nicht mehr und nicht weniger.

    VII I .

    Ein ausdifferenziertes Wirtschaftssystem kann im Hinblick auf

    die Erhaltung seiner Selbstreproduktion beurteilt werden. Seine

    basale Instabilitt ist dann einerseits etwas, was gegen allen

    Wunsch nach Sicherheit und Berechenbarkeit zu reproduzieren

    ist, und andererseits der Reproduktionsmechanismus selbst. Das

    System ist in diesem Sinne ein autopoietisches System. Bei allerAbhngigkeit von der Umwelt kann es nur selbst die Elemente

    produzieren, aus denen es besteht. Diese Betrachtungsweise ist

    jedoch unvollstndig. Sie zieht das Verhltnis von Umwelt und

    System nur in einer Richtung in Betracht, nmlich nur als Kom-

    plexittsreduktion. Die Umwelt ist bermig komplex. Eine

    dafr adquate Eigenkomplexitt kann das System nur durch

    Temporalisierung seiner Elemente, also nur ber eigene Instabi-

    litt erreichen, die dann ihrerseits durch Zusatzeinrichtungen

    35

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    entproblematisiert werden mu. So weit, so gut. Aber auch die

    Gegenberlegung verdient Aufmerksamkeit: Wie wirkt ein sol-

    ches System auf seine Umwelt zurck? Und: Mu man damitrechnen, da ein solches System seine Umwelt wesentlich vern-

    dert oder da es gar die Umweltvoraussetzungen untergrbt,

    von denen es selbst abhngt?

    Diese Fragestellung gewinnt an Prgnanz im Rahmen einer

    Theorie, die soziale Systeme als Kommunikationssysteme be-

    greift und alles andere, insbesondere kologische Bedingungen

    und mentale Zustnde der Menschen, Ressourcen und Motive,

    als Umwelt sozialer Systeme auffat. Zieht man ferner in Be-

    tracht, da das Wirtschaftssystem nicht mit dem Gesellschafts-

    system identisch ist, sondern als Funktionssystem mit eigener,selbstreferentieller Autonomie in der Gesellschaft ausdifferen-

    ziert ist, mu man zwei Arten von Umwelt des Wirtschaftssy-

    stems unterscheiden: Die gesellschaftsinterne Umwelt im Sinne

    anderer, nichtkonomischer Kommunikationen - etwa familia-

    ler, religiser, erzieherischer, wissenschaftlicher, politischer

    Art, und die Umwelt der Gesellschaft selbst, also all das, was

    nicht Kommunikation ist. Beide Umwelten sind sehr verschie-

    den gegliedert und sind durch diese unterschiedlichen Differen-

    zierungen sehr verschiedenen Interdependenzen ausgesetzt. Soist die Differenz (und Interdependenz) von Familienleben und

    Politik eine gesellschaftsinterne Differenzierung in der Umwelt

    des Wirtschaftssystems; die Differenz (und Interdependenz) von

    Ressourcen und Bedrfnissen bzw. Motiven eine (im weitesten

    Sinne) kologische Differenzierung in der Umwelt des Wirt-

    schaftssystems (und auch: des Gesellschaftssystems).

    Schon seit langem und besonders seit dem 19. Jahrhundert hatte

    man den Verdacht ventiliert, da eine ber Quantifikation und

    Instabilitt koordinierte Wirtschaft den Menschen und seine

    Kultur ruinieren knnte, und zwar nicht durch ihr Scheitern,

    sondern durch ihren Erfolg. Die Franzsische Revolution und

    die Destabilisierung von Politik scheint eine Folge wachsenden

    wirtschaftlichen Wohlstands gewesen zu sein, die Ausbeutung

    der Arbeiter und die Kommerzialisierung der Kultur ergeben

    sich aus dem Sieg der kapitalistischen Produktionsweise. Kon-

    servative und revolutionre Theorien setzen ihre Analysen sehr

    hnlich an, hnlich auch insofern, als sie zu einer partiellen und

    36

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    dadurch ideologischen Thematisierung tendieren. Im system-

    theoretischen Aufri erscheint die gleiche Problemstellung als

    sehr viel komplexer, und das heit nicht zuletzt, da Tendenz-aussagen und Gesamturteile ber die moderne, weitgehend

    durch Wirtschaft bestimmte Gesellschaft schwieriger werden.

    Aus diesem Bndel zusammengehriger Teilperspektiven liee

    sich zum Beispiel die politkonomische Fragestellung heraus-

    greifen. Sie mte lauten: Welche Probleme ergeben sich fr die

    Polit ik aus der Selbstdestabilisierung der Wirtschaft? Da die Po-

    litik eigene Sensoren besitzt und ein eigenes Nichtignorieren-

    knnen vertreten mu, werden die Effekte wirtschaftlicher

    Fluktuationen, o bwohl sie an sich in der Sprache der Preise aus-

    gedrckt werden, auch politisch relevant. Ein stndiges Labor ie-ren zwischen Daten und Hoffnungen ist das daraus folgende All -

    tagsgeschft. Die Tagesorientierung steht unter der Hoffnung,

    Wirtschaft durch kollektiv bindende Entscheidungen gnstig

    beeinflussen zu knnen, und diese Hoffnung ist sicher nicht

    ganz ohne Grundlage in der Realitt, denn kollektiv bindendes

    Entscheiden kann in der Tat Fakten schaffen, die das Fluktuieren

    der Preise limitieren. Die strukturelle Problemat ik fr das politi-

    sche System reicht jedoch in ganz andere Tiefen. Sie besteht in

    einem Problem der Kompatibilitt, nmlich in der Frage, ob undwie wirtschaftliche Instabilitten, die ihre Effekte zudem noch in

    unvorhersehbarer Weise kumulieren knnen, mit einem Schema

    institutionalisierter politischer Opposition und friedlichem

    Wechsel vereinbar sind. D ie Gefahr ist nicht abzuwe isen , da ein

    politischer Wechsel durch Wirtschaftsentwicklungen ausgelst

    (oder bei positiven Entwicklungen auch: verhindert) wird, die

    politisch nicht gesteuert und verantwortet werden knnen.

    So sehr die politkonomischen Fragen derzeit im Vordergrund

    stehen: sie machen nur einen Teil der Gesamtkonstellation aus.

    In vielen anderen Zwischensystembeziehungen ergeben sichhnliche Probleme. So mag man sich im Blick auf das Verhltnis

    von Wirtschafts- und Erziehungssystem fragen, ob die pdago-

    gische Zielsetzung einer mglichst langen und gehaltvollen Er-

    ziehung fr mglichst groe Teile der Bevlkerung haltbar ist,

    wenn das Wirtschaftssystem ber Fluktuation wirtschaftlicher

    Chancen eine unsichere Zukunft ankndigt und wenn zugleich

    das politische System unter egalitren Zielse tzungen schichtspe-

    37

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    zifische Berufskanalisierungen mehr und mehr auflst. Das Er-

    ziehungssystem wird unter solchen Umstnden mit einer hohen

    Quote von Aussteigern rechnen mssen, die den unmittelbarenErwerb vorziehen, d.h. bei langfristiger Ausbildungsplanung:

    mit abgebrochenen und so kaum verwendbaren Ausbildungen.

    Diesen Beispielen fr gesellschaftsinterne Umweltbeziehungen

    des Wirtschaftssystems sind Analysen der Beziehungen des

    Wirtschaftssystems zur gesellschaftsexternen Umwelt anzuf-

    gen. Sprechen wir, stark vereinfachend, von Ressourcen und

    Motiven. Das Wirtschaftssystem richtet sich bei der Inanspruch-

    nahme von Ressourcen und Motiven - Motiven fr Arbeit und

    Konsum! ausschlielich nach der eigenen Sprache der Preise.

    Nur in dieser Sprache kann wirtschaftlich kommuniziert wer-

    den. Nur in dieser Sprache kann die bentigte Instabilitt repro-

    duziert werden. Eine so systematisierte Kommunikation wirkt

    jedoch auf die Ressourcen und die Motive ein. Sie baut bekannt-

    lich nichtreproduzierbare Ressourcen ab, und zwar sehr rasch.

    Und sie greift in die psychische Reproduktion der Motive ein,

    insbesondere durch Steigerung von Anspruchsniveaus und

    durch Sinndeprivationen im Arbeitsbereich. Sie ndert damit die

    Umwelt, von der sie selbst abhngt, und zwar die Umwelt des

    Gesellschaftssystems, nicht nur die Umwelt des Wirtschaftssy-stems. Sie schafft Fakten, die ihrerseits dann wiederum die Preis-

    entwicklung beeinflussen mgen, ohne da man annehmen

    knnte, da diese Form der Reaktion die Fakten selbst entpro-

    blematisieren knnte. Das gilt besonders fr das Problem er-

    schpfbarer Ressourcen. Der letzte Tropfen Ol mag auf einer

    Auktion zu welchem Preis immer versteigert werden - aber da-

    nach gibt es kein l mehr. Eine wirtschaftswissenschaftliche

    Theorie mag es ablehnen, limitationale Faktoren dieser Art zu

    bercksichtigen. Sie mag es bevorzugen, die Wirtschaft als ge-

    schlossen-selbstreferentielles System zu betrachten, das seine ei-

    genen Substitutionsmglichkeiten produziert, sobald es sich

    wirtschaftlich lohnt. Aber eben damit verzichtet diese Theorie

    dann auf eine gesellschaftstheoretische Beschreibung der Wirt-

    schaft, ja eigentlich auch auf eine systemtheoretische Beschrei-

    bung der Wirtschaft, denn alle Systemtheorie baut heute, auch

    und gerade in der Orientierung am Theorem der Selbstreferenz,

    auf der Differenz von System und Umwelt auf.

    38

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    Wie bei System/Umwelt-Bez iehungen schlechthin stehen wir da-

    mit vor der Frage, ob, wie und mit welchen Folgen das Wirt-

    schaftssystem Auswirkungen auf seine Umwelt in die eigeneKommunikation wiedereinfhren kann. Im Prinzip ist das auf-

    grund der Instabilitt der Preise mglich - aber eben nur so! Ten-

    denziell ist bei wirtschaftlichem Erfolg daher mit zunehmender

    Knappheit und hheren Preisen zu rechnen, ohne da auf diese

    Weise die entstehenden Probleme befriedigend gelst werden

    knnen. Das Geldsystem und seine Preise lassen sich mithin ei-

    nerseits als kaum reversible evolutionre Errungenschaften cha-

    rakterisieren, die durch die auf ihrer Grundlage erreichte Kom-

    plexitt der Gesellschaft so gut wie festgeschrieben sind. Es ist

    nichts in Sicht, was die bentigten Instabilitten ebenso wirksam

    reproduzieren knnte. Politische Entscheidungen sind jeden-

    falls, so vie l ist heute an sozialistischen Wirtschaften ablesbar, ein

    problematisches Substitut. Andererseits ist genau dieser techni-

    sche Vorteil mit Folgen belastet, die heute zunehmend sichtbar

    werden. Preise bieten keine ausreichende Information ber die

    Umwelt, speziell dann nicht, wenn ihre Auswir kungen auf Nach-

    frage und Produkt ion Interdependenzen in der Umwelt tangieren

    und ber Folgewirkungen langfristig auf das System, das sie aus-

    lst, zurckwirken. Der Widerspruch lt sich theoretisch nichtauflsen. Man kann allenfalls noch fragen, was geschehen knnte,

    wenn das Gesellschaftssystem auf ihn aufmerksam wird und ihn

    als Theorie in seine Selbstbeschreibung bernimmt.

    Die neuzeitliche Semantik, die die Entwicklung funktionaler Dif-

    ferenzierung des Gesellschaftssystems begleitet und honoriert

    hat, hat begreiflicherweise trotz einer mitlaufenden Skepsis im-

    mer dazu geneigt, Erfolge in Funktionsrichtung fr rational zu

    halten. Das wurde auf der Ebene des Zweck/Mi ttel- Schemas der

    Handlungsrationalitt nur wiederholt und besttigt. Effiziente

    Politik, wirtschaftlicher Erfolg, zunehmende wissenschaftliche

    Weltkenntnis, Bildung usw. gelten danach als rational. Die

    Erfahrungen, die mit System/Umwelt-Differenzierungen, und

    zwar gerade mit ihrer erfolgreichen Realisierung anfallen, zwin -

    gen dazu, dieses Urteil zu revidieren. Systeme, die ber ihre

    Umwelt verfgen, verfgen ber sich selbst. Sie mssen Re-

    flexionsformen entwickeln, die die Differenz von System und

    Umwelt in die Selbstbeschreibung wiedereinfhren oder sie

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    werden in fr sie unkontrollierbarer Weise von sich selbst abhn-

    gig. Den Titel der Rationalitt mu man fr einen solchen Wie-

    dereintritt der Differenz in die Identitt reservieren, wenn diehohen Ansprche gehalten werden sollen, die in der Tradition

    mit diesem Titel verbunden waren. Dann aber steht man vor

    einer Frage, die die Problemstellungen des 1 9 . Jahrhunderts und

    alle revolutionr oder humanistisch auftretende Kritik des Ka-

    pitalismus zu ersetzen htte, nmlich vor der Frage , ob und wie

    die Sprache der Preise je Rationalitt erreichen kann.

    I X .

    Eine Kritik der Preise ist leicht gemacht - und gerade dadurch

    wird die Sprache der Preise der Kritik entzogen. Preise erschei-

    nen immer als zu hoch oder als zu niedrig, je nachdem, an wessen

    Wnschen sie gemessen werden. Die Instabilitt der Preise re-

    produziert Kritik als Dauerzustand. Der eigene Lohn ist zu

    niedrig, gemessen an eigenen Leis tungen u nd eigenem Interesse;

    zugleich wundert man sich aber, da bestimmte Waren in

    Deutschland nicht mehr hergestellt werden knnen, weil die

    Lhne zu hoch sind. Diese Art Kritik ist in den Preismechanis-

    mus so eingebaut, da sie Dankbarkeit fr eine Einigung bereinen bestimmten Preis ausschliet und daher auch moralische

    Verpflichtungen als Folge von Geschften ausschliet. .Auch

    daran ist zu erkennen, wie der Geldmechanismus Wirtschaft

    ausdifferenziert.

    Wenn die Kri tik der Preise so stark suggeri ert wird, fllt es um so

    schwerer, den Preismechanismus als solchen kritisch zu betrach-

    ten. Man mag befrchten, da dem Menschen etwas von seinem

    Wesen verlorengehe oder da er um Chancen der Selbstverwirk-

    lichung gebracht werde, wenn er zahle oder fr Geld arbeite.Auch damit wird die Kritik jedoch nur abgeleitet auf den wei-

    chen Bode n des Humanismus, wo sie versi ckert; und offenbar ist

    diese Kritik auch nicht ernst gemeint, denn niemand warnt die

    Frauen, wenn sie versuchen, Hausarbeit als Geldarbeit aner-

    kannt zu erhalten. Die innerkonomische Kri ti k ebenso wie die

    humanistische Kritik scheinen gerade durch ihre Plausibilitt

    und ihre Suggestivkraft den Zugang zu einer strukturellen Kritik

    des Preismechanismus eher zu verlegen.

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    Eine gewisse Befremdung hat den Geldmechanismus seit seiner

    Expansion im spten Mittelalter begleitet. 2 8 Auf die Versuche,

    ihn theologisch in Schranken zu halten, sind in der ersten Hlftedes 18. Jahrhunderts moraltheoretische Behandlungen gefolgt . 2 9

    Im 19. Jahrhundert folgt dem ein ber Entfremdung klagender

    Neu hum anis