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Luise Walker_Ein Leben Mit Der Gitarre_german

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Walker , Luise: Ein Leben mit der Gitarre

1. Auflage

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten. Fotokopieren unserer Ausgaben ist verboten und wird rechtlich verfolgt.

© 1989 by Musikverlag Zimmermann, Frankfurt am Main ISBN 3-921729-37-8 ZM 14

Luise Walker

Ein Leben mit der Gitarre

Kindheitserinnerungen • Begegnungen •

• Rund um die Gitarre • Konzertreisen

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Zum Geleit

Welche Aufgabe könnte einem Vorredner zu diesem flammen­den Bekenntnis einer großen Künstlerin zu ihrem Instrument zu­kommen, als das auszusprechen, was ihr verwehrt ist in eigener Sache zu sagen. Und so tue ich dies umso lieber, als es mir ein Bedürfnis ist, bei guter Gelegenheit einmal mehr zu publizieren, was mir am Herzen liegt:

Ich habe in zwei Jahrzehnten ungetrübter Künstlerfreundschaft mit Luise Walker das Glück gehabt, sie als Mensch, Musikerin, Künstlerin und Pädagogin kennenzulernen, wobei ich nicht wüßte, welcher Begegnung ich den Vorzug geben sollte.

Und genau das ist der Inhalt dieses faszinierenden Buches: Poe­tisches, Philosophisches, Zeitgeschichtliches, Bibliographi­sches, Musikhistorisches, Pädagogisches, Wissenschaftliches, Autobiographisches, alles mit Humor, mit dem Lächeln der Weisen - über sich selbst.

Es sei mir gestattet, ein paar Charakteristika zu ergänzen, die darzustellen Luise Walker ihre Bescheidenheit verbietet.

Wer Luise Walker auf der Bühne kennenlernt, ist fasziniert von der natürlichen Würde und Schönheit ihrer Bewegungen, von ihrer Disziplin und Beherrschung des Raumes, in dem sie musi­ziert und vor allem von ihrem Können. Sie besitzt die Faszina­tion großer Künstler.

Als Pädagogin ist sie, wie ich beobachten konnte, von großer Anteilnahme an dem Menschen, den sie betreut, gepaart mit dem Instinkt für notwendige Strenge und Konsequenz. Sie darf fordern, weil sie selbst Disziplin übt.

Wer sie als Mensch kennenlernt, der bewundert ihre Fähigkeit, Wärme, Geborgenheit und eine heitere Atmosphäre zu schaffen, verbunden mit einem ausgeprägten Sinn für die kleinen An­nehmlichkeiten des Lebens.

Im Gespräch ist sie geistreich, ohne belehrend zu wirken, hinter ihrem Humor verbirgt sich nicht selten ein mahnender Zeigefin­ger und echte Teilnahme am Nächsten.

Als Komponist habe ich von Luise Walker gelernt, wie man für Gitarre wirkungsvoll schreibt. Als Pädagoge habe ich ihr einige

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Kniffe notwendiger Haltung abgelauscht, als Mensch habe ich sie immer gut gelaunt, gestärkt in meinem Selbstbewußtsein und meist um eine Weisheit reicher verlassen.

Aber, wer kann einen Menschen wirklich richtig und in Kürze beschreiben? Außerdem bin ich im Falle Luise Walker Partei!

Lesen Sie ihr anregendes Buch, das die mehrfachen Facetten ih­rer Künstlerpersönlichkeit in breiter Sicht mit Kraft und Sensibi­lität beleuchtet.

Heinrich Gattermeyer*

* Mag. Heinrich Gattermeyer ist ordentlicher Hochschulprofessor an der Hochschule für Musik, Wien, und Leiter der Abteilung für Komposition, Mu­siktheorie und Dirigentenausbildung. Präsident der Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger (AKM).

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Vorwort

Dieses Buch ist ein Weg und eine Freundschaft. Es ist weniger mit dem Intellekt als mit dem Herzen geschrieben und so hoffe ich, daß es ein Echo finden und zu den Herzen meiner Leser sprechen wird, als das, was es meinem Wunsche nach sein soll: als ein Bekenntnis zur Gitarre.

Schon meine Kindheitserinnerungen sind mit den Anfängen und der Entwicklung des künstlerischen Gitarrespiels auf österrei­chischem und deutschem Boden eng verbunden. Die Eindrücke, die ich so empfing, haben zweifellos zu meiner menschlichen Entwicklung und zur Formung meiner Künstlerschaft gravie­rend beigetragen.

Ich möchte weiters über meine langjährigen Erfahrungen als Gi­tarristin und Lehrerin, sowie über zahlreiche Konzertreisen und Erlebnisse mit Persönlichkeiten des. Kunstlebens, vor allem aber der gitarristischen Welt, berichten.

Die vielfältigen Entwicklungsphasen der Gitarristik in den letz­ten Jahrzehnten, die Partnerschaft Publikum und die Partner­schaft Schüler lassen vielleicht in einer höheren Wirkungsebene eine neue Dimension entstehen. In dieser läßt sich Sinn und We­sen meines persönlichen, in bedeutendem Maß der Gitarre ge­widmeten Lebens besser erkennen und verstehen.

Meine Niederschrift soll beileibe kein trockenes Fachbuch sein, ich will darin auch nicht lehrhaft dogmatische Empfehlungen geben, die ja doch nicht für alle Gitarristen geeignet sein kön­nen. Es läßt sich bekanntlich nicht alles über den gleichen Lei­sten schlagen.

Selbstverständlich wird auch subjektiv Gefärbtes in Erscheinung treten. Wie könnte es anders sein?

Im allgemeinen versuche ich jedoch, in kürzeren, abgeschlosse­nen aber dennoch zueinander in Beziehung stehenden Kapiteln ein gitarristisches Panorama zu erstellen - eine Landschaft, in der jeder Gitarrebeflissene Vertrautes findet oder etwas, das ihm dienlich sein kann.

Wenn ich Ihnen die Spannungen und Schönheiten und die eigen­artige Lebendigkeit dieser Bereiche zeigen konnte, werde ich mich glücklich schätzen.

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An dieser Stelle möchte ich auch in Liebe und Dankbarkeit zweier Menschen gedenken: meines Vaters, der meine Bega­bung intuitiv erkannt und gefördert hat, obwohl ihm die Gitarre damals noch fremd war, und meines fürsorglichen Gatten, der meinem künstlerischen Wirken stets Interesse und vollstes Ver­ständnis entgegengebracht hat.

So schicke ich dieses kleine Buch auf seine Reise, zu den Freun­den der Musik und der Gitarre, denen ich mich verbunden fühle.

Luise Walker

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INS LEBEN KOMMEN

Was heißt das eigentlich: „ins Leben kommen"? Ist es, um sich in einem Körper zu erkennen, zu wissen, daß er Pflege, Speise, Trank benötigt? Um sich in einem Dickicht von Wünschen und Hoffnungen zu verstricken? Oder um die Natur zu erfassen, zu wissen, daß Blumen blühen, Nachtigallen singen, Bäume und Felder Früchte tragen, - immer wieder von Neuem, ohne unser Zutun? Ist es, um ein bereits Geordnetes in ein größeres zu inte­grieren, geistiger Sender und Empfänger zu werden, kommuni­zieren zu lernen? - Vielleicht auch, um zu begreifen, daß jede sinnvolle Gestaltung, alles Tun, - auf welchem Gebiet auch im­mer - mit wachsender Verantwortung im Gleichschritt gehen muß. Wie dem auch sei, hier möchte ich nicht länger säumen, speziell auf meine Geburt einen Rückblick zu werfen und mich der Ereignisse meines bisherigen Lebens zu erinnern, so gut mir dies möglich ist.

Was war das nur für ein Jahr, das Jahr meiner Geburt? In kosmi­scher Hinsicht sicher ein denkwürdiges, denn ein Komet stand am Himmel; der legendäre Komet, der „Halleysche", vor dem sich so viele Menschen fürchten und der alle 76 Jahre wie­derkehrt.

Sollte er für mich etwas Besonderes bedeuten, mir Glück oder Unglück bringen? Was eigentlich ist Glück, und was ist Un­glück?

Gestehen möchte ich, daß mein „Eintritt" hier nicht so ganz re­gulär erfolgte; wie man so sagt, nicht unter völlig „normalen" Umständen ... Ich bin nämlich um gute zwei Monate zu früh an­gekommen und war also nur ein Siebenmonate-Baby. Ich be­greife das eigentlich nicht, und hätte diese Eigenmächtigkeit von mir, einem so braven, manierlichen Kind, wie ich es später zu sein hatte, nicht erwartet.

War der Grund meiner Eile bloße Neugier? Wollte ich etwa noch letzten Herbstsonnenschein genießen oder gab es etwas viel Bedeutsameres, das ich nachholen wollte? Genau läßt sich das wohl nicht mehr feststellen. Ich glaube aber, es war einfach „der Engel", der mir ein Saitenspiel zeigte, einen Klang, der mich bezauberte und ins Leben lockte.

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Dunkel erinnere ich mich, daß mir - schon vorher - „jemand" eine Art „Eintrittskarte", für die ich einen höheren, aber ge­rechten Preis entrichten müsse, mit dem Bemerken in die Hand gedrückt hat, „daß ich mich an solche Gepflogenheiten gewöh­nen müsse, denn nichts bekäme man geschenkt, für alles sei -früher oder später - der entsprechende Preis zu zahlen." Und weiter flüsterte die Stimme noch: „Hüte Deine Gedanken wie Blumen in Deinen Händen, denn sie werden Deine Saat und Deine Handlungen sein und ihre Folgen haben, werden sein, was Du erntest." Gut, dachte ich mir, wenn es weiter nichts ist und ich das zuwegebringe, sollten mich doch Leid, Schmerzen, Enttäuschungen und selbst auch das Glück nicht völlig aus den Angeln werfen können, und sagte freudig: „Ja!" (Wie sehr ver­schätzte ich mich!). Und so wurde ich geboren. Es war in der Kleistgasse, im 3. Wiener Gemeindebezirk, einer zentralen, aber nicht gerade sehr romantischen Gegend, wie ich es mir als „Phantasiekind" gewünscht hätte. Es war eine Haus­geburt, damals etwas durchaus Übliches, aber in diesem Fall vielleicht doch ein Risiko.

Der Arzt war nicht gleich zur Stelle, und so waltete meine Groß­mutter mütterlicherseits ihres Amtes, mit einer Hebamme, die ihren nicht sehr vertrauenerweckenden Namen „Frau Böse" kei­neswegs zu Recht trug. Nach Aussage meiner Mutter war ich ein zwar zartes, aber durchaus lebensfähiges Kind, das nicht viel Umstände und Getue erforderte, und sich nur „moderato"-brüllend widerstandslos in Windel, Häubchen und unvermeidli­che Hüllen einmummen ließ. Vielleicht habe ich damals schon geahnt, daß Wehren am falschen Platz nur unnütz Energie ver­braucht, und man es daher besser unterläßt.

Wie mir meine Mutter schilderte, war mein Geburtstag, der 9. September, wettermäßig ein sehr freundlicher Tag. Ein paar Sonnenstrahlen zwängten sich durch das eintönige Grau der Häuser, drangen ins Zimmer hinein bis zu einem kleinen Maha­gonitischchen, auf das mein Vater schon am Morgen ein paar Rosen gestellt hatte. Er selbst konnte das ersehnte Kind erst spä­ter, gegen Abend, besichtigen. Meine Mutter sagte mir, daß er mich küßte und sehr glücklich war. Vielleicht winkte dazu der geheimnisvolle Stern mit seinem sprühenden Schweif herunter. Der Stern war mir gut gesinnt. Der Kreis war geschlossen.

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In der evangelischen Pfarrkirche in Wien I., in der Dorotheer-gasse, wurde ich im weiteren Verlauf auf die beiden Namen „Luise-Ida" getauft. Obwohl meine Eltern typische Österrei­cher sind und kein Wort Englisch sprachen, hatten Umwege der damaligen Familienverhältnisse meinem Vater die britische Staatsbürgerschaft beschert und ich wurde als „British subject by birfh" registriert. Ein sicher ehrenvolles Gewand, das „der kleinen Wienerin" aber überhaupt nicht paßte und doch längere Zeit getragen werden mußte. Komödie des Lebens? In diesem Falle sicherlich! Oder war es vielleicht eher ein Konzert? Ein Konzert, mit Programmen aus vielen Zeiten?

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Frage an die Gitarre

Über welche nebelhaften Fernen,

Lebensstufen, schillernde Gewänder,

bist du auf mich zugekommen?

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K I N D H E I T S E R I N N E R U N G E N Freundliche Visionen

Ein Ball fliegt über den Gartenzaun, rollt über den Rasen und landet auf dem sorgfältig ge­pflegten Kiesweg. Einen Moment hofft meine kindlich rege Fantasie, er wäre einfach aus dem Blau zu mir gekommen oder der Wind hätte ihn auf seinen Lie­dern hergetragen. Aber dann ruft eine Kinder stimme: „Wa-zi*, können wir mit­einander spielen?" „Nein",rufe ich, „es geht jetzt nicht, ich muß Unkraut jäten." Es ist doch nur Elli, die den Ball herüber­geworfen hat, ein Nachbarskind an der Alten Donau, und ich bin ein ganz klein wenig ent­täuscht. Während ich ihr den Ball zu­rückwerfe, setze ich

noch hinzu: „Komm doch morgen vorbei, da werde ich dann für dich Zeit haben". Aber Elli ist schon wieder an unserem Garten vorbei.

Ich selbst bin ein achtjähriges kleines Mädchen, zart, mit langen

Erste Kinderjahre

* K o s e n a m e

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Aus einer Kritik der"Münchener Zeitung" vom 1. November 1932"Bei dem Spiel der jugendlichen Wiener Gitarristin Luise Walker, die im Museum ein Konzert gab, hat man den bestimmen-den Einruck, daß sie einzig auf der Gitarre sich musikalisch auszuleben vermag. Sie wurde für dieses Instrument geboren. Von ihr gilt, was ihr großer spanischer Kollege Segovia einmal von sich sagte: "Die Gitarre suchte mich, und ich suchte sie".

Aus einer Kritik der„Münchener Zeitung" vom 1. November 1932

«Bei dem Spiel der jugendlichen Wiener

Gitarristin Luise Walker, die im Museum

Aus einer Kritik der"Münchener Zeitung" vom 1. November 1932"Bei dem Spiel der jugendlichen Wiener Gitarristin Luise Walker, die im Museum ein Konzert gab, hat man den bestimmen-den Einruck, daß sie einzig auf der Gitarre sich musikalisch auszuleben vermag. Sie wurde für dieses Instrument geboren. Von ihr gilt, was ihr großer spanischer Kollege Segovia einmal von sich sagte: "Die Gitarre suchte mich, und ich suchte sie".

Aus einer Kritik der"Münchener Zeitung" vom 1. November 1932"Bei dem Spiel der jugendlichen Wiener Gitarristin Luise Walker, die im Museum ein Konzert gab, hat man den bestimmen-den Einruck, daß sie einzig auf der Gitarre sich musikalisch auszuleben vermag. Sie wurde für dieses Instrument geboren. Von ihr gilt, was ihr großer spanischer Kollege Segovia einmal von sich sagte: "Die Gitarre suchte mich, und ich suchte sie".

ein Konzert gab, hat man den bestimmenden Eindruck, daß sie einzig auf der Gitarre sich musikalisch

auszuleben vermag. Sie wurde für dieses Instrument geboren. Von ihr gilt, was ihr großer spanischer Kollege

Segovia einmal von sich sagte:

„Die Gitarre suchte mich, und ich suchte sie".

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dunklen Haaren, die täglich in schmerzhafter Prozedur zu einem dicken Zopf geflochten werden; oben auf dem Kopf bekomme ich eine seidene Schleife gebunden, weiß, blau oder zartrosa, so wie es zu meinem Kleidchen paßt oder vielleicht auch nur, wie es meiner Mutter gerade in den Sinn kommt. Doch hier, in unse­rem Sommerhaus an der Alten Donau, wenn ich nicht zur Schu­le fahren muß, kann von Kleidchen sowieso keine Rede sein. Mit Bluse und kurzem Höschen angetan, schlendere ich durch „meinen" Garten, in dem es fast jeden Tag etwas Neues zu ent­decken gibt: einen seltenen Vogel auf einem Baum, frische Knos­pen am spanischen Flieder (den ich nicht mag, weil er nicht duftet), oder einen kleinen, aufgeworfenen Sandhügel inmitten des Grases, unter dem vielleicht ein verwunschener Prinz wohnt, der auf mich wartet. Die Welt der Märchen, in denen nichts unmöglich ist und jeder Wunsch erfüllt werden kann, wie z.B. der nach den schönen weißen Schuhen in der Auslage, die ich zu der Fronleichnamsprozession tragen könnte und die ich in Wirklichkeit nie bekommen werde! Das steht mir weit näher als die kühle Realität, die ich eher als unvermeidliches Beiwerk meines Lebens betrachte.

Heute ist Pfingstsamstag, sonnig und warm. Ich habe schulfrei und arbeite noch etwas im Garten herum, denn nachher muß ich meine Aufgaben für die kommende Woche machen. Zwischen den Bäumen kommt mein kleiner, schwarzer Hund gelaufen, den ich „Ami" - Freund - genannt habe. Mit lautem Gekläff, das in komischem Gegensatz zu seiner zierlichen Körpergröße steht, hascht er nach den Kohlweißlingen, die ihm vor der kleinen, ge­lackten Nase tanzen, oder stört eine Amsel von ihrem Sonnen­bad auf. Er hat immer etwas zu tun.

Ich stehe vor einem vollblättrigen, jungen Pfingstrosenstrauch, dessen frisch aufgeblühte, zart duftende weiße Rose in seltsa­mem Kontrast zu ihrer etwas verhutzelten Nachbarin steht, de­ren bräunlich verfärbte Blütenblätter schon zum Teil, zu kleinen Würmchen gerollt, im Gras liegen. „Sei nicht traurig, liebe Ro­se", sage ich (denn ich spreche oft mit den Blumen) „sei nur nicht traurig, Du kommst ja wieder, ganz bestimmt kommst Du wieder, ich weiß es!". Als hätte sie meinen Trost verstanden, fallen nun noch ihre letzten am Stengel zitternden Blütenblätter zu meinen Füßen ins Gras.

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Es ist schon spät am Mittag; ich sehe meinen Vater beim Gar­tentor hereinkommen, ein großes Etwas im Arm. Schon von weitem höre ich ihn rufen: „Wazi, Wazilein, schau, was ich Dir mitgebracht habe!". Und er kommt den Kiesweg entlang auf das Haus zu. Es ist sehr geheimnisvoll, denn ich hatte keine Ah­nung, daß ich heute ein Geschenk bekommen sollte. Ein Leder­sack kommt zum Vorschein und darin steckt ein lichtbraunes Etwas - wie mir mein Vater erklärte - eine Gitarre, eine licht­braune Gitarre. So etwas hatte ich noch nie gesehen! In ihrer dunklen Öffnung klebte ein Zettel, darauf stand „Pick" und dann eine Adresse. Sie hatte auch einen Gurt, ganz oben befe­stigt. „Damit Du sie Dir umhängen kannst", sagte mein Vater. Behutsam probierte ich, ihre Saiten zu berühren, es klang eher etwas herb aber auch wieder süß, so wie wenn ein plötzlicher Windhauch durch einen Strauch weht. „Ich danke Dir, Papa", sagte ich, „ich danke Dir sehr herzlich dafür" und dann küßte ich ihn. Ob ich mich mit der Gitarre anfreunden würde, überleg­te ich, und dann durchströmte mich ein wunderbares Glücksge­fühl, das sich vom Herzen auf meinen ganzen Körper übertrug. „Ich sehe nicht ein", sagte mein Vater, „daß alle Mädchen Kla­vier lernen müssen, so wie bei Dir in der Klasse", und diese Worte waren der Grundstein zu meinem Schicksal. Einem glücklichen!

Nachsatz

Es ist viele Jahre später. Im Garten steht noch immer der alte Pfingstrosenstrauch, der sich pünktlich zum Fest mit weißen Rosen geschmückt hat. Gedankenvoll betrachte ich ihn, den ich schon als Kind so sehr bewundert habe. Einen Herzschlag lang ist es mir, als ob mir eine seiner Rosen freundlich zulächelte und mich begrüßte, so wie man es bei einem alten Freund tut, den man lange nicht gesehen hat.

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Mit den Eltern im Alter v o n 10 Jahren

„Singvogerl"

In den schweren Jahren nach dem ersten Weltkrieg hatte mein Vater für die Familie ein kleines Haus mit Garten an der „Alten Donau" (einem stillgelegten Arm des Donaustromes) gepachtet, damit wir während der Sommermonate Luftveränderung hätten und - was wohl das Wichtigste war - durch Anschaffung einiger Haustiere und Anbau im Garten zusätzlich zu den knappen Le­bensmitteln etwas Milch, Eier und Gemüse. Es war die harte Zeit, in der die Stadtbewohner scharenweise, oft unter widrig­sten Umständen, mit Koffern und Rucksäcken zu den Bauern aufs Land pilgerten, um dringend nötige Lebensmittel zu ergat­tern beziehungsweise gegen andere Dinge im Tausch einzuhan­deln, die der ländlichen Bevölkerung begehrenswert erschienen. Standen solche Tauschobjekte nicht zur Verfügung, so wurden die Leute von den Bauern oft unfreundlich und schroff abge­wiesen.

Bei diesem Tauschhandel ergaben sich oft recht groteske Situa­tionen, wenn z.B. Kunstgegenstände, Silber oder elegante Klei­der und Pelze sich in Kartoffeln, Schmalz, ein Stück geräucher­tes Fleisch oder Eier verwandelten. Niemand rechnete. Es mag wohl sein, daß ich durch die Berichte unserer Bekannten eine leichte Abneigung gegenüber der Landbevölkerung lange Zeit nicht los werden konnte, obwohl ich durch die Vorsorge meiner Eltern nur indirekt von den Nachkriegswirkungen betroffen war. Damals dachte ich wohl nicht, daß ich als erwachsener Mensch Chaos und Schrecken eines zweiten Weltkrieges, des­sen brutale Übergriffe auch vor der Zivilbevölkerung keinen Halt machten, erleben werde. Das furchtbare Geschehen betraf auch meine Familie, namentlich meine Eltern, die bei einem der härtesten Bombenangriffe in Wien nur durch viel Glück ihr Le­ben retten konnten. Unser Besitz wurde damals zum größten Teil vernichtet.

Aber in der poesiearmen und in erster Linie gegen die Hungers­not ankämpfenden Zeit nach dem ersten Weltkrieg mag ein knapp lOjähriges kleines Mädchen, das spielte und zur Gitarre Lieder sang, eine besonders erfreuliche Erscheinung gewesen sein. Ich glaube, daß ich in dieser Eigenschaft überall, wo ich auftauchte, wirklich herzlich willkommen war. Der Name

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„Singvogerl", den man mir gab, mag Ausdruck der Sehnsucht nach dem Entrinnen aus einer Misere gewesen sein. Durch die lichte Gestalt eines musizierenden Kindes konnte man ihr we­nigstens gedanklich für kurze Zeit entfliehen.

Der zur Wasserseite hin mit hohen, alten Pappeln und naturbe­lassenen Wiesenstücken begrenzte Uferweg an der „Alten Do­nau", an dem sich sowohl private Anrainer als auch zahlreiche Ruder- und Segelclubs angesiedelt hatten, führte auch zu unse­rem Haus. Wenn ich Aufgaben und Übungspensum erledigt hat­te, unternahm ich von da aus, mit der Gitarre umherwandernd, Streifzüge zu „Gastspielen" bei den Vereinen. Um das „Man­agement" selbst richtig aufzuziehen, schlenderte ich vorerst so für mich hin, an den Clubs mit ihren meist weitgeöffneten Toren vorbei. Wo ich die meisten Leute erblickte (die mich ja zum Teil schon kannten), machte ich mich mit ein paar musikalischen Klängen bemerkbar. Zumeist dauerte es auch nicht lange, bis man mich entdeckte. Mit großem Hallo wurde ich hereingebe­ten; es hieß dann: „Kommt, kommt! das Singvogerl ist wieder da!".

Um mich bildete sich ein Kreis, oder die Clubmitglieder setzten sich gemütlich um einen großen Gartentisch. Nachdem ich - wie man dies bei Kindern leider zu tun pflegt - über die Schule, mei­ne letzten Noten und ähnliche unvermeidliche Dinge befragt worden war, konnte das Konzert, das ich selbst kaum erwarten konnte, beginnen. Meist spielte ich dann mein ganzes „Reper­toire" durch: Kinderlieder, Volkslieder und Einschlägiges, wo­bei ich auch den Text der Lieder mimisch unterstützte. So hatte ich es in meiner ersten Musikschule KAISER, wo außer den In­strumentallehrern auch eine Vortragsmeisterin engagiert war, gelernt und bereits bei den Vortragsabenden zum Besten gege­ben. Es war sicher gar nicht leicht, zu demonstrieren, wie z.B. der traurig umherschleichende HANS, mit trüben Augen und blassen Wangen von der stolzen LISL (scheinbar) ignoriert wird und diese lieber „gegen Himmel" schaut, statt ihn anzusehen. Na ja! Welche Talente wurden da in mir geweckt! Die Zuhörer waren jedenfalls begeistert und der herzliche Applaus, der mir zuteil wurde, spornte mich an, mein Programm zu erweitern, das mir mein Vater durch immer wieder neue Beschaffung des damals noch spärlichen Notenmaterials aussuchen half. Haupt-

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sächlich spielte ich bei den Ruderclubs „Donau", bei den „Frie­sen" und bei der „Donauwacht", wo ich eine spezielle Zuhörer­schaft von Studenten und deren Lehrern hatte.

Wenn das Sprichwort: „Früh übt sich, was ein Meister werden will" stimmt, so glaube ich, daß dieses Vorspielen, seit Kind­heitstagen trainiert, viel dazu beigetragen hat, mir die späteren, solistischen Anfänge meines Auftretens vor Publikum zu er­leichtern.

Gerade durch ihre beglückende Unbefangenheit lassen Kinder das in jedem Menschen schlummernde „Etwas" in sich wirken und vertrauen sich ihm an. Späterhin wird es leider oft durch äußere Einflüsse, fortschreitende intellektuelle Entwicklung oder auch durch überspitzte persönliche Verantwortung ver­schüttet. Es ist ein Auszug aus dem Garten Eden, wie immer man es betrachten mag, wenn der feste Glaube an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten vernichtet wird. „Vertrauensvoll wer­den wir ein Kind" - immer wieder versuche ich bei meinen Schülern dahingehend zu wirken. Aber es ist ein schwieriges Beginnen und greift zutiefst in die geistige Lebenshaltung jedes einzelnen.

Mit dem Anfang meiner solistischen Laufbahn war ich vielfach bewußten und unbewußten Demütigungen, die mich oft tief ge­troffen haben, ausgesetzt. Antwortete ich auf die Frage: „Wel­ches Instrument spielen Sie denn?" mit dem fast unbekannten Begriff „Gitarre", so erfolgte prompt die weitere Frage: „Was singen Sie denn?" Wenn ich dann erwiderte, daß ich keineswegs singe, sondern Gitarre konzertant spiele, erfolgte meist ein pein­liches Schweigen. Aus der Geringschätzigkeit der Mienen konn­te ich dann auch klar erkennen, daß ich als ernste Musikerin sozusagen abgeschrieben war, und wenn es gut ging, wechselte man das Thema. Durch die „Wandervogel-Bewegung" war die Gitarre damals ja lange Zeit zum primitivsten Begleitinstrument degradiert worden, das niemand ernst nahm. Es war bequem, ein Instrument zu haben, das man bei Sonnenschein und Regen durch den Wald schleppen konnte. Erst dann, wenn ich bei einer Veranstaltung Gelegenheit hatte, die Gitarre als Soloinstrument vorzuführen, veränderte die anwesende Menge schlagartig die Meinung und großes Erstaunen erfaßte die Runde. Die heutigen Gitarristen, überall anerkannt und geschätzt, werden nach ihrem

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Können beurteilt und nicht nach ihrem Instrument. Es ist kaum zu schildern, welche Kämpfe ich viele Jahre hindurch auszu-fechten hatte und welche Zweifel mich oft selbst plagten, ob ich das Richtige gewählt habe. Ich kämpfte dabei nicht allein um meine persönliche Anerkennung, vielmehr schmerzte es mich, mein so sehr geliebtes Instrument mit Vorurteilen belastet zu wissen und seine einzigartigen Vorzüge und Qualitäten nicht im vorhinein anerkannt zu finden. Es hat lange, sehr lange gedau­ert, bis ich mich getraute, erhobenen Hauptes zu sagen: Ich bin Gitarristin! Doch schließlich sind wir, meine Gitarre und ich, vom „Feind" nicht besiegt worden. Es war ein Kampf, der sich auf allen Linien gelohnt hat. Die Wunden meines Herzens sind geschlossen, die Narben schmerzen nicht mehr.

Die vielen schönen, seidenen Lautenbänder, bestickt oder be­malt, „Trophäen" und letzte Reste meiner „Singvogerl"-Ära, hatte ich lange Zeit aufgehoben. Im zweiten Weltkrieg habe ich sie zusammen mit anderen Andenken an die - trotz mancherlei Lebensnöten - unbeschwerte Kinderzeit verloren.

Vor ein paar Jahren fand ich durch Zufall ein Stückchen eines vergilbten Lautenbandes in einem alten Koffer. Ein paar buntge­malte Frühlingsblumen waren noch darauf zu erkennen, sowie der Anfangstext eines Liedes, das ich als Kind gesungen hatte: „Leise zieht durch mein Gemüt..." —

Rechnen unterm Marillenbaum

Ich war längere Zeit krank gewesen und daher mit einigen Schulfächern in Rückstand geraten. Namentlich mit dem Rech­nen und in der Geographie fand ich mich nicht mehr zurecht. Denn meine Vorliebe für die Natur und alle Tiere war außer meiner Gitarre das einzige, das mich wirklich zu fesseln ver­mochte. So erschien mir das Rechnen recht trocken und unnötig.

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Meine Nachhilfelehrerin hieß so ähnlich wie „Rühl" (jedenfalls will ich sie hier so nennen). Elisabeth Rühl war eine Dame in mittleren Jahren, etwas hager, mit einem schmalen Gesicht und fahrigen Bewegungen. Ihre etwas zu lange Nase, die sie immer wieder befühlte, als ob sie Angst hätte, sie zu verlieren, machte sie mir, neben der phantasielosen, wenig einfühlsamen Art ihres Umgangs mit mir, nicht sympathischer.

Wir saßen beim Unterricht zumeist an einem großen Gartentisch mit grüngestrichener Bank und ebensolchen Stühlen. Über uns breitete ein großer, alter Marillenbaum seine schon knorrigen Äste und trug wunderbare aromatische Früchte. Es war dort an­genehm schattig und sicher war es eines der gemütlichsten Plätzchen in unserem Garten.

„Dreimal sieben ist einundzwanzig", sagte Fräulein Rühl mit strafendem Blick, während sie mein Aufgabenheft verbesserte und ich eine Ameisenschar verfolgte, die sich neben meiner Bank mit ihrem emsigen Hin- und Hereilen im Sand eine Pro­menade gezogen hatte. Jedes der kleinen Tierchen schleppte ein winziges Kügelchen, das es irgendwo ablieferte, während im­mer neue Ameisen herankamen, die eine ebensolche Last tru­gen, und die mit ihr ebenso an einem unbekannten Ort ver­schwanden. „Wissen Sie eigentlich, Fräulein Rühl, daß sich Ameisen Blattläuse als richtige Kühe halten und melken?". „Ja, ja", sagte die Rühl, „das weiß ich, aber es interessiert mich nicht, und Du solltest auch mehr auf das Rechnen aufpassen als auf die Ameisen. Es ist zu befürchten, daß Du nicht in die näch­ste Klasse aufsteigen kannst, wenn Du so weitermachst!" -„Wieso ist dreimal sieben einundzwanzig?" fragte ich, das Re­chenthema wieder aufnehmend. „Weil dreimal sieben einund­zwanzig ist, das weiß jeder", antwortete die Rühl mit gequäl­tem Ausdruck, „und Du solltest weniger so dumme Fragen stel­len, wenn ich etwas sage". Wir rechneten einige Zeit weiter, als sich vom Marillenbaum eine überreife Frucht löste und herun­terklatschte, ausgerechnet auf den Rock meiner Lehrerin. Mit einem schrillen Schrei sprang sie auf und eilte Richtung Küche zu meiner Mutter, um den Schaden vorzuzeigen. Ich kann mir gut denken, daß sie dort ein Lamento über meine Unkonzen­triertheit angestellt und sich zugleich über meine kindischen Fragen beklagt hat. Der Schluß war dann immer: „Ich fürchte,

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daß sie nicht in die nächste Klasse aufsteigen wird". Diese Me­lodei kannte ich zur Genüge. Sozusagen als „Postludium" muß­te ich mir diese Befürchtungen auch dann noch von meinen Eltern anhören.

Mit ihrem nassen Rock wedelnd, kam Fräulein Rühl zurück und bemerkte, daß es eigentlich eine Zumutung wäre, unter einem solchen Baum zu sitzen, schließlich könnte ja auch ein Vogel ... Es war aber kein anderer Tisch vorhanden, und mir war sowieso jede Unterbrechung höchst willkommen. - Ich erinnere mich, daß dann bald darauf die graue Katze unseres Nachbarn durch den Garten angesaust kam und hinter ihr mit hohem, lautem Ge­kläff mein kleiner schwarzer Hund „Ami". „Ist der eigentlich reinrassig?" fragte Fräulein Rühl mit etwas geringschätziger Miene. „Natürlich ist er reinrassig, schauen Sie ihn doch näher an, gefällt er Ihnen nicht?". „Ich mache mir nichts aus kleinen Hunden", sagte die Lehrerin, während die Katze schließlich mit einem Satz auf den Baum sprang und auf meinen Hund herunter­fauchte. Er kläffte zu ihr hinauf; aber plötzlich nahmen die bei­den wieder eine andere Pose ein und starrten sich schweigend an. Sie mit einem Riesenbuckel und Ami mit nervös zuckendem Schweif, soweit man bei dieser Rasse überhaupt von einem Schweif reden konnte. Es war eigentlich nur ein kurzer Stum­mel, aber auch der zeigte deutliche Phasen der Erregung. Ich fragte mich, ob sich die beiden wirklich so sehr hassen, oder ob es nicht doch nur ein Mittel sei, um die Sache lustiger zu ge­stalten?

Mein Interesse für das Rechnen war an diesem Tage jedenfalls auf dem Nullpunkt angelangt. Fräulein Rühl berührte ihre Nase und klappte dann indigniert das Heft zu, in das sie mir eine safti­ge Aufgabe eingetragen hatte.

Von hinten aus dem Hühnerhof ertönte lautes Geschrei und Ge­gacker, was auf ein eben gelegtes Ei schließen ließ. Es war mir stets ein großes Vergnügen, über eine schmale Hühnertreppe zu kriechen, das Gelege aus dem Nest zu holen und meiner Mutter zu überbringen. Nach dem Krieg herrschte Lebensmittelnot und jedes Ei war für uns ein Gewinn.

„Heute ist mit Dir überhaupt nichts anzufangen und wir werden daher schon früher schließen", sagte Fräulein Rühl, „obwohl

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ich fürchte, daß Du nicht . . ." „Grüß Gott", rief ich, von der Bank aufspringend, und ehe Fräulein Rühl es gedacht und ihr Sprüchlein beenden konnte, war ich enteilt. In Richtung Hüh­nerhof.

Ich bin dann doch noch - allerdings auf zwei Krücken - in die nächste Klasse aufgestiegen.

Heimlichkeiten (Üben ist gut, Bücher sind noch besser)

War ich von der Schule mittags nach Hause gekommen, hieß es gleich: „Mittagessen!". Das war für mich - zum Unterschied von heute - meist eine ausgesprochene Qual, obwohl meine Mutter gut kochte. Essen war für mich eine grausame Tätigkeit und ich äußerte mehrfach den Wunsch, doch statt dessen Pillen einnehmen zu wollen. Ich scheine die Ära des Vitaminkonsums vorausgeahnt zu haben. Nach dem Essen hieß es dann Aufgaben machen und anschließend Gitarre üben, falls dazu nicht schon - etwa durch schulfreie Tage - am Vormittag Gelegenheit war.

Nun, ich spielte sehr gerne Gitarre und auch gegen diverse Übungen und Tonleitern sträubte ich mich nicht. Aber man kann von einem Kind nur soviel Konzentration verlangen, wie es sei­ner physischen und psychischen Verfassung entspricht. Meine Eltern dachten über solches kaum nach und bezüglich „psycho­logischer" Bedenken hätte mein Vater sich wahrscheinlich eher mokiert. Die Zeit war ja auch eine ganze andere; es gab keine Schulberatungen, keine Seelentröster und psychologischen Dienste, keinerlei besonderes Eingehen solcher Art. Ein Kind mußte eben funktionieren, um jeden Preis.

Was mich betrifft, so „funktionierte" ich zufriedenstellend. Auch in der Schule gab es nur in zwei Fächern Schwierigkeiten und so ist es auch lange Zeit geblieben. Ich mußte mir daher ge­gen gewisse Unzulänglichkeiten der Erwachsenen selbst helfen. Man kann eben nicht von einem Kind andauerndes, stundenlan­ges Üben erwarten. Ich schritt also zur Selbsthilfe und habe die­se bis zur Perfektion geübt, zumindest auf diesem Gebiet.

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Meine Mutter mußte gelegentlich weggehen, um Besorgungen zu machen und mein Vater war in der Fabrik. Die Situation war insofern günstig, als ich an einem großen Speisezimmertisch üb­te, neben dem ein vollgefüllter Bücherkasten stand, dessen un­terste Fächer für mein Notenmaterial freigemacht worden waren. So konnte ich immer „Noten suchen", in Wirklichkeit aber lesen. Wenn nun meine Mutter aus dem Haus ging, kündig­te sie das meistens mit den Worten an: „Ich gehe fort, liebes Kind, du bist jetzt allein". Sofort war ich beim Bücherka­sten und holte mir ein interessantes Buch zum Lesen. Meist wa­ren es Liebesromane, und wenn kein Happy end erfolgte, war ich von echtem Schmerz erfüllt, aber es gab mir Impulse. Auf diese Weise erwarb ich etwas Literaturkenntnis, da ich auch gerne Klassiker heraussuchte, die ich mit Begeisterung ver­schlang. Meine Marotte, schon in verhältnismäßig jugendli­chem Alter freiwillig die großen SCHILLERschen Balladen und Gedichte auswendig zu lernen, hat mir auch - wie ich glaube -sehr beim späteren Auswendiglernen meiner Repertoirestudien geholfen. Ich habe die Gedichte dann bei einem sehr musisch veranlagten Deutschlehrer in der Klasse vorgetragen und da­durch in diesem Fach immer besser abgeschnitten als meine Ka­meradinnen. Natürlich hörte ich mit meinen guten Ohren meine Mutter bei ihrer Rückkehr schon auf der Stiege, so daß ich ge­nügend Zeit fand, mein Buch wieder zurückzustellen. Das ging also ohne Probleme und mein Üben hat nicht allzusehr gelitten.

Wie gut haben es Kinder heute, wenn ihre Veranlagung und Lei­stungsfähigkeit sorgfältig abgeschätzt und in Rechnung gestellt wird!

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Das Schäfermädchen

Schäferinnen hat es zu allen Zeiten gegeben, ob im schlichten, der­ben Bauerngewand, im fließenden der An­tike, oder im zierli­chen Rokoko, mit Bändchen und Blumen geschmückt, mit schief aufgesetztem Hütchen und dem un­vermeidlichen Hirten­stab in der Hand. -Wenn mich bei schö­nem Wetter meine

Mit meiner L ieb l ingsz i ege „ M e c k " , Mutter mit unseren der grandiosen Läuferin Ziegen (mein Vater

hatte sie angeschafft, damit wir in der schlechten Kriegszeit et­was Milch für uns haben) auf die Weide schickte, wäre ich in meinem Aufzug sicher kein geeignetes Modell für WATTEAU oder BOUCHER gewesen. Ein 12jähriges Mädchen, bekleidet mit Leinenbluse und kurzem Höschen, die Gitarre umgehängt und mit beiden Händen die Ziegen an der Leine führend, hätte vielleicht eher zu PAUL FLORAS heiteren Graphiken gepaßt.

Mehrmals wöchentlich mußte ich dieses Schäferamt ausüben, und ich muß sagen, daß es mir Spaß gemacht hat, bis auf das eine Mal, von dem ich jetzt erzählen will. Ich werde dieses klei­ne Abenteuer, obwohl es an und für sich harmlos war, nie ver­gessen.

Ich führte meine Tiere - meist waren es zwei alte Ziegen und ein oder zwei Zicklein - zu einer sehr großen, vielleicht 30 m langen und 10 m breiten Erdaushebung, die zu irgendeinem Zweck ein­mal angelegt worden war (wir nannten sie „die Grube"), in der sich nach längerer Zeit allerhand junges Gebüsch, Pappeln und Weiden und anderes saftiges Grün angesiedelt hatte. Das waren für die bekannt genäschigen Ziegen ausgesprochene Leckerbis­sen und so waren sie auch immer sehr friedlich und zufrieden,

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ihre Gräser und Blätter besonders sorgsam auswählen zu kön­nen. Auch ich war zufrieden, denn ich konnte dann immer auf einer kleinen quadratischen Anhöhe vor der Grube hocken und mir vorstellen, sie wäre ein Podium und „die Grube" ein weiter Saal, vor dem ich mein neues „Repertoire", Kinder- und Volks­lieder, vortragen konnte. Daß das Publikum nur aus Ziegen be­stand, die für meine Kunst nicht das geringste Interesse zeigten, störte mich wenig. Großzügig tolerierte ich, daß sie dem Fres­sen den Vorzug gaben. Plötzlich wurde ich aus meinem Traum jäh herausgerissen, als ich wieder einmal einen Blick auf die Weide warf und sehen mußte, daß sich die Ziegen, die ich ver­trauensselig einmal nicht angehängt hatte, in Bewegung setzten, als hätten sie schon lange auf einen günstigen Moment zur Flucht gewartet. Ich war entsetzt. Vorne liefen die Alten, hin­terher die Jungen, wo, wo würde die Flucht enden? Noch dazu ging die wilde Jagd in entgegengesetzter Richtung, fort von zu­hause. Ich packte meine Gitarre und versuchte nachzukommen, aber obwohl ich auch gut laufen konnte, waren sie weit schneller als ich. Man sollte es nicht für möglich halten, welch hohes Tempo Ziegen erreichen können! Da sie ja auch früher aufge­brochen waren, war es für mich eine fragliche Angelegenheit, dieses Rennen zu gewinnen. Die Tiere rannten und rannten und niemand begegnete uns, der mir helfen und sie hätte aufhalten können. Über Äcker ging es, hinein in die Donauauen. Ich war bereits erschöpft, als sich in einem Teil der Au plötzlich ein kleiner Tümpel, umrahmt von sehr verästeltem Gesträuch, zeig­te. Hier stoppten die verängstigten Tiere endlich, da sie einer­seits nicht ins Wasser wollten und andererseits in dem wirren Gebüsch keinen Ausweg sahen. Nun konnte ich sie, die von dem langen Trip ebenso keuchten wie ich, endlich an die Leine nehmen.

Ziegen hüten und Gitarrespielen läßt sich eben doch nicht so leicht vereinen. Meine Mutter, die sich schon sehr um mich ge­sorgt hatte, als sie mich in der Grube abholen wollte und nicht vorfand, war glücklich, daß ich mit meinen weißen Ungetümen wieder daheim war. Fast eineinhalb Stunden hatte die Jagd ge­dauert!

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Ein stiller Zuhörer

Jeder Gitarrist kennt sicherlich die Romanze von JOHANN KAS­PAR MERTZ in e-Moll; sie ist ein kleines, ganz leichtes Stück für Anfänger. Als kleines Mädchen spielte auch ich dieses Stück mit Vorliebe. Aber manchmal spielte ich es auch für einen Gar­tenzwerg, der in einer Blumenrabatte des Nachbarn stand und in dessen faltiges, lustiges Gesichtchen ich von meinem gele­gentlichen Übungsplatz im Garten blicken konnte. Er war, wie die meisten seiner Kameraden, mit einem knallroten Röckchen, blauem Hütchen und himmelblauen Höschen bekleidet; das ein­zige, was ihn von anderen Zwergen vielleicht unterschieden ha­ben dürfte, war eine dekorative weiße Kokarde. Ich hatte das Gefühl, daß auch er die kleine Romanze liebte. Auf diese Weise wurden wir mit der Zeit dicke Freunde, ja, er schien mich gera­dezu zum Üben aufzumuntern und, wenn es einen falschen Ton gab, mir listig zuzublinzeln. Das ging so weit, daß ich manch­mal sogar von ihm träumte. Da trafen wir uns dann in einem höhlenartigen Gebilde, in dem es so funkelte und glänzte, daß ich vermeinte, sämtliche Sterne hätten sich an diesem Orte ver­sammelt. Auch wenn ich von der Schule heimkam, nickten wir uns durch die Ligusterhecke, in die ich extra noch ein Loch ge­schnitten hatte, freundlich zu. Mein kleiner Freund war einfach immer da; ich konnte mich auf ihn verlassen.

Eines Tages - ich erinnere mich noch heute an diesen Schreck meiner Kinderseele - wurde drüben, in Nachbars Garten, die Er­de aufgeworfen. Als ich in der Frühe aus dem Haus trat, war schon ein ansehnlicher Berg ausgehoben und mein Zwerg war verschwunden. Meine Mutter erzählte mir, daß die Nachbarn ein Wasserbecken ausbauen wollten (heute würde man es weit­aus vornehmer als „Swimmingpool" bezeichnen). „Aber wo ist der Zwerg?" fragte ich erschrocken und hielt Ausschau, ob ich ihn wenigstens an einer anderen Stelle entdecken könne. „So ein Gartenzwerg ist heute nicht mehr modern", sagte meine Mutter, „und daher haben sie ihn wahrscheinlich weggegeben". „Wir hätten ihn doch für unseren Garten nehmen können!", meinte ich hoffnungsvoll. „Dein Vater will Gartenzwerge nicht", sagte meine Mutter, „außerdem war er schon alt; das mußt Du verste­hen, mein Kind".

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Ich kann mich erinnern, daß ich lange Zeit nicht in den anderen Garten hinüberblickte und die Leute haßte, die ein Wasser­becken für meinen Freund eingetauscht hatten. - Ich mochte auch die kleine Romanze nicht mehr spielen, die mich an ihn er­innerte. Hie und da träumte ich noch von dem kleinen, lustigen Männlein, aber dann kam es auch im Traume nicht mehr zu mir. Nach der Katze, die überfahren worden war, hatte mich nun auch der Zwerg verlassen. Was für eine schreckliche Welt war das nur?

Rückwärts hinter unserm Hause, am Rande der Felder, war mit der Zeit eine kleine Schutthalde entstanden, auf der sich bereits rankendes Grün, Löwenzahn und ein paar kümmerliche Mohn­blumen angesiedelt hatten. Eigentlich war nun ein Sandhügel daraus geworden, der ganz nett aussah und von dem man sich Sand zum Spielen holen konnte. Eines Tages hieß es, der Hügel werde nun endlich beseitigt. Bald kam ein Mann, der das be­werkstelligen sollte. Neugierig wie ich war, schaute ich zu, wie das vor sich ging, und als der obere Sand schließlich abgetragen war, kam allerlei häßliches Geröll, Steine und Abfall zutage. Auf einmal sah ich es eigentümlich rot aufblitzen. Aber es wa­ren nicht die Mohnblumen, die bereits vernichtet waren. Die Tonstücke in roter Farbe erkannte ich sofort: sie stammten vom Röckchen des Zwerges. Ich nahm die Scherben auf und lief schreiend zu meiner Mutter. „Ich weiß nun, wo sie ihn begraben haben, Mama", sagte ich erschüttert, während mir die Tränen über die Wangen liefen. Meine Mutter konnte mich kaum trö­sten. „Ich sagte Dir doch schon, daß er sehr alt war, und alte Leute werden auch oft krank und gehen dann in den Himmel, das weißt Du doch schon lange". - Ich wickelte die roten Scher­ben sorgfältig in Papier, band ein Bändchen herum und legte sie in meine Lade, in der ich allerhand Kinderkram, an dem ich hing, aufbewahrt hatte. Dort lagen sie lange, und ich weiß ei­gentlich nicht, wann und wer sie dann einmal bei einer Säube­rung der Lade fortgeräumt hat, die letzten Reste meines Freun­des, des kleinen Wichtelmännchens.

Es mag kindisch anmuten, aber ich muß ehrlich sagen, daß mir noch heute, wenn ich irgendwo in einem Garten einen dieser bunten Zwerge stehen sehe, Tränen in die Augen treten und die winzige Narbe zu schmerzen beginnt, die durch die Zerstörung

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„meines" Tonzwerges in meinem Herzen zurückgeblieben ist.

Ich erwäge, ob ich wegen meines Kindheitserlebnisses und mei­ner besonderen Vorliebe für Märchen nicht doch einen Zwerg in meinem Garten aufstellen soll —

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BEGEGNUNGEN -

RUND UM DIE GITARRE -

KONZERTREISEN

für Heinrich Albert

Vom bayerischen Herr­scherhaus mit dem Ti­tel „Kammervirtuos" ausgezeichnet, war der Münchner HEINRICH ALBERT lange Jahre hindurch Präsentant deutscher und österrei­chischer Gitarristik. Daß er auf diesem Ge­biet sehr beachtliche Pionierarbeit geleistet hat, für die ihm ein Eh­renplatz gebührt, wird wohl keiner der „Gitar­revertrauten" bezwei­feln wollen.

Erst der nach 1920 gra­vierende Einbruch spa­nischer Gitarristen in Deutschland und Öster­reich, basierend auf den neuen Erkenntnis­

sen ihres Mentors, FRANCISCO TARREGAS, ließ Alberts Ruhm empfindlich verblassen, was ihn begreiflicherweise de­primierte und verbitterte. Es ist daher menschlich zu verstehen, daß er ab nun alles, was nach spanischer Herkunft roch, brüs­kierte oder verbal unfreundlich quittierte.

TV H e i n r i c h A l b e r t

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Auch die wirklich guten, sogenannten „Doppeldecken-Gitarren" des Erzeugers SCHMID, in Lizenz den französischen „Gelas-Gitarren" nachgebaut und von Albert gespielt und propagiert (auch ich habe bis heute ein solches Instrument, das eines mei­ner ersten Konzertgitarren war), wurden von den spanischen In­strumenten verdrängt. Eine beispiellose Vergötzung des Spa­nischen schmälerte Alberts konkrete Verdienste um die Solo-Gitarre und die Ausrichtung und Zielführung seiner Methode.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit in un­serer Zeit die Heinrich-Albert-Schule noch repräsentativ sein kann: Heute, nachdem der spanische Ansturm verebbt ist und in weiterer Fortschrittlichkeit bzw. sogar in diversen retrospekti­ven Eskalationen „zorniger junger Männer" (Gitarrehaltung, Anschlagshand!) neue Spaltungen der Gitarristik, die man end­lich auf positiver Linie geeint vermutete, aufbrechen!

Meine Meinung ist, daß dieses vierbändige Schulwerk in seiner Ganzheit, trotz der Flut interessanter und modern angelegter Gi­tarreschulen, durch Vielseitigkeit ein dankenswertes Kompendi­um der Gitarretechnik darstellt, insbesondere für den Laien-Gitarristen. Es führt ja schon von Anfang an zur Mehrstimmig­keit solistischer Ambitionen. Daher gebührt ihm nach wie vor ein entsprechender Stellenwert in dieser Sparte, wenn auch mei­ne persönlichen Ansprüche in gewisser Beziehung darüber hin­ausgehen. Auch Alberts Etüdenbände durch alle Tonarten sind nach wie vor ein gutes Studienmaterial.

Wie überall gibt es auch hier ein Für und Wider; alles ist relativ. Glücklich derjenige, der gerecht zu messen versteht, aus vielem das Beste herauszuholen vermag und dabei wächst!

Als Mensch war Heinrich Albert ein gut aussehender Mann mit stark autoritärer Ausstrahlung, in der Damenwelt verwöhnt und gerne gesehen. Das Auffallendste an ihm waren seine stahlblauen Augen, die zu seiner Gesichtsfarbe und dem weißmelierten Haar in interessantem Gegensatz standen. Da er verhältnsmäßig we­nig sprach und gerne einen Beobachtungsposten einnahm, konnte der Eindruck einer introvertierten Persönlichkeit entstehen, was das Gegenüber oft irritierte.

Albert war ein ausgezeichneter Lehrer, der es verstand, musika-

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Hommage

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lisches Stilgefühl, Disziplin und Gründlichkeit zu vermitteln. Dafür werde ich ihm immer dankbar sein.

Auf seinen zahlreichen Konzertreisen innerhalb Deutschlands kam Albert auch mehrmals nach Wien, wo ihm der „Gitarre-Klub" einige Abende vermittelte. Er spielte zumeist im Saal des Ingenieur- und Architektenvereins, zu dem mein Vater berufli­che Beziehungen hatte, so daß sich die Unkosten für diese Ver­anstaltungen in erträglichen Bahnen bewegten. Mit einem großen Publikum war ja damals noch nicht zu rechnen.

Das künstlerische Gitarre-Solospiel stand in seinen Anfängen. Einer kleinen Episode während eines dieser Abende erinnere ich mich noch ganz deutlich: Ich saß mit meinen Eltern in der ersten Reihe und beobachtete ihn, Albert, mit Argusaugen, auf daß mir nur ja nichts entgehen möge. Als er dann nach allgemeiner gro­ßer Begeisterung als Zugabe seine Arpeggienetüde „Am Spring­brunnen" spielte (wie ich heute erkennen muß, gar nicht so toll schnell, sondern eher „gemütlich"), faßte ich meinen Vater am Arm und flüsterte ganz niedergedrückt: „Papa, das werde ich nie, nie so spielen können!" Worauf mich mein Vater tröstend streichelte und meinte: „Wenn Du nur weiter so fleißig bist, wirst Du das bestimmt auch erreichen!" Nun - ich erreichte es.

Von der LLOB ET sehen Kunst beeindruckt, mußte ich später an­dere Wege gehen. Das hat mir Albert sehr übelgenommen und es führte auch zum Abbruch unserer früher so guten Beziehungen.

Erst nach etlichen Jahren besuchte ich ihn und seine Frau in sei­nem hübschen Heim in Gauting bei München, obwohl er tags zuvor nicht in mein dortiges Konzert gekommen war. Ich bin sehr froh, daß durch diesen Besuch eine Geste aufrichtiger Art gesetzt war, und alle Verstimmungen soweit wie möglich ausge­räumt wurden. Wir haben zusammen ein paar schöne interes­sante Stunden verlebt, und vielleicht ist ihm, dem deutschen Altmeister, das Herz dabei leichter geworden.

Jahre später besuchte ich dann gemeinsam mit seiner Frau sein Grab in Gauting, auf das ich nun, in imaginärer Weise, in Wert­schätzung und herzlicher Dankbarkeit eine Blume legen möchte.

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Das klingende Holz (Auch Bäume haben ihre „Sänger")

Wenn man eine Gitarre, Violine oder sonst ein Saiteninstrument in Händen hält, sollte man nicht vergessen, daß es etwas durch­aus Lebendiges ist, nämlich ein kleines Stück eines Baumes. Es ist auch eine Brise Wind, die den Baum umfächelte, ein Stück­chen Sonne, das ihn bestrahlte und wohl auch ein wenig Ster­nenschimmer, der ihn silbrig berührt hat; ein Vogellaut, der seine Seele aufhorchen ließ.

Trotz Verarbeitung in eine bestimmte Körperform handelt es sich, wie bei jedem Instrument, immer noch um ein beglücken­des Atmen, ein immerwährendes Aufnehmen und Abgeben von Feuchtigkeit, was allerdings bei Saiteninstrumenten zu Kompli­kationen führen kann. Bei zu großer Trockenheit innerhalb von Räumen z.B.: Verziehen des Halses, Heraustreten der Bund­stäbchen, Veränderung der Saitenlage etc. und - vice versa - bei zu großer Feuchtigkeit. Es gibt also immer wieder Fakten, die beweisen, daß man es hier eben nicht mit „toter" Materie zu tun hat. Je qualitätsvoller ein Instrument ist, umso empfindlicher reagiert es auf den Grad der Luftfeuchtigkeit. Es empfiehlt sich Luftfeuchtigkeit von etwa 50°-60° im Raum, mit dem Hygro­meter gemessen. Entstandene Schäden können nur durch einen guten Fachmann wieder zufriedenstellend in Ordnung gebracht werden. Man soll glücklich sein, daß die Anbetung des mitunter so „angenehmen", stabilen Plastikgötzen vor unseren edlen Sai­teninstrumenten Halt gemacht hat.

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Bäume sind die langlebigsten Geschöpfe auf unserer Erde. Sie können uralt werden, weit älter als Menschen und auch beträcht­lich älter als Tiere. Nur Schildkröten bilden dabei eine Ausnah­me: sie erreichen ein Alter von bis zu 200 Jahren.

Das erreichte Lebensalter eines Baumes kann man nach dem Fällen an der Schnittfläche des Stammes feststellen. Die Anzahl der sogenannten „Jahresringe" zeigt, wie alt der Baum wurde.

Manche Bäume können das sagenhafte Alter von 1500 - 2000 Jahren erreichen; bei der so giftigen Eibe spricht man sogar von 2500 Jahren. Der „Erzveteran" unter den Bäumen aber dürfte der in Kalifornien beheimatete Mammutbaum sein - ein Gigant: bis zu 125 m hoch (fast so hoch wie der Wiener Stephansdom!) und bis zu 4000 Jahre alt kann er werden. Unsere Eiche schafft es bis zu 1500 Jahre. Um die Vorstellung von einem solchen Zeitraum plausibel zu machen, sei bemerkt, daß eine heute noch lebende Eiche zum Beispiel die Völkerwanderung oder den Un­tergang des Römischen Reiches miterlebt haben könnte.

Beim Wacholderbaum läßt sich die mögliche Lebenszeit auf 2000 Jahre schätzen; er könnte also ungefähr zu Christi Geburt zu wachsen begonnen haben. Der Lindenbaum - in dem Lied „Am Brunnen vor dem Tore" von FRANZ SCHUBERT so schön besungen - kann ein Alter von 1000 Jahren haben. WALTHER VON DER VOGELWEIDE könnte diese Linde in seiner Minne besungen haben, und sie wäre zu dieser Zeit schon ein paar hundert Jahre alt gewesen.

Die ausländische Zeder (oder Ceder) mit ihrem dunklen, duften­den Holz (auch für Klangholz verwendet) ist mit der Zypresse verwandt und erreicht ebenfalls ein Methusalem-Alter. Man er­zählt sich, daß König SALOMON seinen berühmten Tempel deswegen aus ihrem Holz erbaute, weil es den Ruf der Unver­wüstlichkeit hatte. Die Alten verwendeten zur Aufbewahrung ih­rer wertvollen Schriften Cedernholzbehälter und präparierten ihre Schriftrollen mit Cedernöl, um sie dauerhaft zu machen. Por­tugiesen und Andalusier bezeichnen übrigens auch eine indische Zypresse als Ceder und auch die nordamerikanische Wacholder­art gehört dazu.

Tannen und Fichten werden jedoch „nur" zwischen 400 und 600 Jahre alt. Ihnen gilt unser besonderes Interesse, liefern sie uns

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doch prächtiges Klangholz, ohne das unsere besten Saiteninstru­mente wohl nicht existieren würden. Unter einer circa 400 Jahre alten Fichte könnten wir stehen, die ihre Zweige schon gebreitet haben könnte, als der Schuhmachermeister HANS SACHS un­ter dem „lieblich duftenden Flieder" (nach RICHARD WAG­NER) seine Reime dichtete. Als JAMES WATT die Dampfma­schine erfand, könnte sie schon 200 Jahre alt gewesen sein. Es gab noch kein Auto, kein Flugzeug und keine Straßenbahn, kein Kino und keine Schallplatten - als unsere Fichte schon lebte. Nicht einmal die Glühbirne war erfunden und mancherlei tech­nische Dinge, die heute für uns selbstverständlich sind.

Mit der Auswahl eines wirklich guten Klangholzes hat es der In­strumentenbauer immer schwer. Man erzählt, daß z.B. der be­rühmte Tiroler Geigenbauer JAKOB STAINER, wenn er gutes Holz kaufen wollte, die Zeit abwartete, „wo die im Winter ge­fällten Baumriesen, von großer Höhe herab, über den eisgefro­renen Boden zu Tal befördert wurden". Tagelang soll Stainer dann auf das Klingen und Schwirren der niedersausenden Baum­stämme, auf die besten „Sänger" gelauscht haben, die schon von weitem durch einen besonders lang anhaltenden hohen, sin­genden Ton ihr Kommen angezeigt haben. Vielleicht haben sie aber nur geweint? - Wer kann es sagen? Eine ähnlich geartete Klangprobe sollen angeblich auch alte italienische Instrumenten­baumeister angestellt haben, wobei sie weniger Wert auf eine schöne gleichmäßige Maserung des Holzes als auf die Tonquali­tät legten. Allerdings weist ein gutes Klangholz meist auch schö­ne Feinfaserigkeit auf. Für die tatsächliche Tonqualität ist sie sicherlich, wie sich oft zeigt, kein absolut zuverlässiger Wert­messer.

Man hat, um die Tonqualität bei den Klanghölzern noch zu ver­bessern, im Laufe der Zeit viele Experimente unternommen. So war z.B. bei lebenden Bäumen das „Ringeln" üblich. Es soll auch schon im Altertum angewendet worden sein. Ein Verfah­ren, bei dem durch Abschälen der Rindenringe auf etwa Hand­breite (mit allen leicht ablösbaren Bastgeweben) in einer Höhe von circa 30 cm über dem Boden der Baum so manipuliert wur­de, daß sich Eiweiß und Wassergehalt des Holzes verringerten. Wahrscheinlich war der Baum dadurch zu einem früheren Ab­sterben verurteilt.

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Wie man sieht, waren die Menschen seit eh und je bereit, die Natur um der eigenen Vorteile willen zu überlisten. Jakob Stai-ner soll übrigens auch gerne nach jenen Bäumen Ausschau ge­halten haben, deren Wipfel von Natur aus schon eine gewisse Trockenheit, bei ansonsten gesundem Holz, anzeigten. In Rich­tung „Austrocknen" wurden auch im Labor Versuche unter­nommen.

Das Holz wurde vor seiner Verarbeitung gekocht, gedämpft, ausgelaugt, um es tonlich zu verbessern. Schon im 18. Jahrhun­dert soll man ähnliche Experimente unternommen haben. Sie haben sich letztlich alle nicht bewährt. Das Holz will anschei­nend „leben" und sein Geheimnis nicht preisgeben.

Um die Gewähr eines möglichst trockenen Holzes zu haben und auch beim Bau nicht von klimatischen Überraschungen gestört zu werden, hat der berühmte Gitarrebauer Spaniens, SANTOS HERNANDEZ, seine Instrumente prinzipiell nur in der heiße­sten Jahreszeit, also im Sommer, gebaut. Gutes Klangholz soll ein möglichst leichtes Gewicht haben und arm an Harzen und ätherischen Ölen sein.

Als Kuriosität sei erwähnt, daß es einmal in Wien einen Gitarre­bauer gab, dessen Instrumente sich durch besonders großes Ge­wicht auszeichneten. Wenn mir eine solche „solide" Gitarre in die Hände kam, fragte ich mich, wieviel Kilo sie wohl gekostet hatte?

Namentlich beim Geigenbau hat sich um das Klangproblem ein bunter Kranz von Legenden gebildet. So zentralisierte man ger­ne das Mirakel des hervorragenden berühmten italienischen Klanges auf die Zusammensetzung des Lacks. Auch der be­rühmte spanische Gitarrebauer JOSE RAMIREZ will - angeb­lich - in den von ihm selbst entwickelten Speziallack das Rätsel der Tonqualität seiner Instrumente verlagert sehen.

Die alten spanischen Gitarrebaumeister, voran ANTONIO DE TORRES, der Erbauer der bekannten Llobetschen Gitarre mit dem im Corpus angebrachten Metalltrichter, und Santos Her-nandez fanden in HERMANN HAUSER I. einen kongenialen Nachfolger. Sowohl die Llobetsche wie auch meine Santos Hernandez-Gitarre wurden unzählige Male von Gitarrebauern vieler Länder bis ins kleinste Detail kopiert. Die Hernandez und

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die Hauser I.-Gitarre, die ich besitze, haben ganz besonders dünne Decken und sind federleicht im Gewicht. Wahrscheinlich als Folge der schwachen Decke ermüden sie jedoch leicht und sind z.B. nach einem Konzert „erschöpft". Sie benötigen zu­mindest eine Nacht, um sich wieder zu regenerieren. Für einen Außenstehenden mag das wie ein Scherz klingen, es entspricht aber der Wahrheit. Der Ton dieser beiden von mir erwähnten Instrumente ist nicht übermäßig laut oder aufdringlich, trägt aber sehr gut und ist von einer besonders edlen warmen Klang­schönheit. Man kann auf ihnen „singen".

Die Moderichtung der letzten Jahre zeigte einen Trend zu Gitar­ren mit einem starken, etwas aggressiven Ton (vielleicht, weil die Menschen selbst auch aggressiver geworden sind?), mit de­nen der Gitarrist in großen Sälen oder mit dem Orchester etwas weniger Kämpfe zu bestehen hat. Diese Instrumente (z.B. von Jose Ramirez) haben eine etwas größere Mensur und vielfach statt einer Fichten- eine Cedernholzdecke, die mir auf jeden Fall ein gewisser Garant für einen stärkeren Ton zu sein scheint. Auch der japanische Gitarrebauer MASARU KONO baut teil­weise mit Cederndecke und ich kenne ein großartiges Instru­ment aus seiner Werkstatt. Ich persönlich spiele neben einer Ramirez-Gitarre mit Cederndecke, die für mich eine der besten aus dieser Werkstatt ist, eine Fichtendecken-Gitarre von Masaru Kono. Um es nach meiner Erfahrung zu erläutern: Eine neue Gitarre mit Fichtendecke benötigt zumindest einige Jahre, um ihre volle Klangschönheit zu erreichen. Eine Gitarre mit Ce­derndecke ist bereits nach Fertigstellung am Höhepunkt ihrer Entwicklungsmöglichkeit und verändert sich höchstens gering­fügig. Ich persönlich gebe einer Gitarre mit Fichtendecke den Vorzug und erlebe gerne das Aufblühen ihrer Vorzüge. Im übri­gen ist die Wahl einer Gitarre eine persönliche Geschmacks­sache. Manche Spieler bevorzugen einen etwas dunkleren war­men Ton, andere dagegen ziehen eine hellere Klangfarbe vor. Es ist dies ähnlich wie beim Timbre einer menschlichen Stim­me. Und es war auch die menschliche Stimme, die den berühm­ten italienischen Instrumentenbauern stets als Klangideal vorschwebte.

Natürlich besteht die Gitarre nicht nur aus der Decke, obwohl diese ihr wichtigster Bestandteil ist. Wenn für die Decken Fich-

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tenholz unter anderem aus Sibirien, Kanada oder etwa dem Böh­merwald verwendet wird, so wird für ihren Boden und die Zar­gen meist das edle Palisanderholz aus Indien oder Südamerika genommen. Für den Hals und das auf ihm befindliche Griffbrett wählt man Cedern- und Ebenholz etwa aus Afrika, Ceylon oder dem Libanon. Auch das Holz des Ahornbaumes ist gebräuchlich für Boden und Zargen der Gitarre. Eine Ahorngitarre wird meist eine helle Klangfarbe haben. Bei aller Tonschönheit kann sie niemals den vollen weichen Klang einer Palisandergitarre er­reichen.

Neben der Holzqualität kommt es beim Instrumentenbau auch auf Proportionen, auf Abstimmung der Eigentöne zwischen Decke und Boden und auf die innere Konstruktion an.

In einer Broschüre aus dem Jahre 1935 (!) lese ich unter anderem: „Unsere herrliche Alpenwelt war einst ein bevorzugtes Wuchs­gebiet für erstklassiges Klangholz, das heute nur mehr verein­zelt an entlegenen, schwer zugänglichen Stellen anzutreffen ist, wenn man sich nicht rechtzeitig besinnt und nachzudenken be­ginnt, auf welche Weise hier eingegriffen werden könnte" —

Aus dem Blättergeraune und wiegenden Rauschen des Eichen­waldes oder dem Vogelflug über seinen Wipfeln zogen die alten Griechen ihre wahrsagerischen Schlüsse, und in Quellen und Hainen wollen die Germanen die göttliche Stimme vernommen haben. Dieses beseligende Wispern und Flüstern der Wälder in­spirierte Richard Wagner zu seinem „Waldweben". In schlesi-schen Sagen kann man von Eichengebraus lesen und mancher Wanderer mag in unseren heimischen „singenden Wäldern" ih­re Melodie in seine Seele aufgenommen haben. Weniger Ro­mantische erklären diese Phänomene durch elektrische Entla­dung der Nadelbäume oder in ähnlich desillusionierender Weise.

Wie dem auch sei - wie so manche andere Menschen stelle auch ich mir die Frage, wie lange es noch möglich sein wird, unsere „Heiligen Haine" vor der immer mehr fortschreitenden Um­weltverschmutzung, vor Vergiftung und skrupelloser wirt­schaftlicher Gier zu schützen.

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An eine Gitarre

Berühmten Meisters Hand hat Leben dir gegeben und deinen Leib geformt nach kundigem Sinn. Nun bist du worden! Gestalt aus seines Geistes Kraft und seiner Hände regem Schaffen. Du singst und klingst! Doch spricht aus dir nicht nur des Meisters Wille, nicht nur der sechs gespannten Saiten Stimme als Mittler deines süßen Klangs. Ich höre deine eigne Seele singen, dir nicht gegeben von des Meisters Hand!

Einst warst du, nicht geformt zum Klingen, ein Teil von einem hohen Baum, in Südens heißer Sonne Kräfte saugend für ein langes Sein -oder im schattigen Grund die Äste breitend, im milden Licht der Sterne. Wie auch die Bilder deines Ursprungs seien, ich weiß, dein Wesen ist dem A l l verwoben und edel stehst du unter deinen Schwestern.

Ein Stück geformtes Holz scheinst du dem bloßen Blick, der nur den Körper schaut und nicht erahnt die Seele, die als des Höchsten Atem in dir weht. Schimmerndes Licht und buntes Farbgewirr, das ich so gern mit sichrer Hand zu Harmonien binde! Und wenn einst - über meines Daseins Grenze -die Hände andrer mühend dich zum Klingen bringen, wahrst du die Treue mir und läßt in deinen Tönen jubelnd schwingen was uns verbunden hält in Ewigkeit!

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Der Drang nach Vervollkommnung und die subtile Kunst des Übens

Der Drang nach Vervollkommnung ist in jedem kreativ bemüh­ten Menschen als ein sinnvoller Aspekt seiner Persönlichkeit eingeboren; er lebt in ihm während jeder Stufe seiner Arbeit und stellt einen andauernden positiven Impuls zur Erreichung seines Zieles dar.

Richtiges Üben erfordert entspannte Körperhaltung, auch wenn man nur mit den Fingern spielt.

Auf welche Weise kann es nun gelingen, sich möglichst zu ver­vollkommnen? Natürlich durch das Üben, und zwar durch ein sehr fleißiges, sinnvolles Üben, wobei planmäßig vorgegangen und nicht unnötig Zeit vergeudet wird.

Das Folgende möge man als Anregung auffassen, basierend auf Erfahrungswerten, die ich mir als konzertierende Gitarristin und Lehrerin im Laufe langer Jahre erworben habe. Es liegt mir nicht daran, in Ferndiagnose bindende Rezepte zu verkünden, die nicht unbedingt für jeden Spieler das Heil sein können, denn die individuellen Wege werden stets unterschiedlich sein müs­sen. Aber das ökonomische Üben, das disziplinierte und geistig überlegte, ist jedenfalls ein fester und sicherer Pfeiler, auf den sich der Musiker ein Leben lang stützen kann.

Allem voran steht (und das ganz groß geschrieben!) die Regel­mäßigkeit des Übens. Allerhand physische Schmerzen und Komplikationen könnten vermieden werden, würde man sich an diese Regel halten. Möglichst zu gleicher, festgelegter Stunde sollte man sich täglich zu seiner Gitarre setzen und mit ihr ein Übungsprogramm beginnen, das technische Übungen, Etüden, Vortragsstücke u.a. beinhalten sollte. Es ist ganz falsch, wenn der Studierende meint, zum Üben immer erst eine entsprechend gute Laune abwarten zu müssen. Diese Bequemlichkeit wäre ein Luxus, den man sich - vornehmlich der Berufsgitarrist - gar nicht leisten kann. Als solcher muß er immer und in jeder Situa­tion spielen können, und letztlich hat auch der Amateurmusiker ein ähnliches Ziel.

Während des Übens ist vor allem eine sorgfältige Erinnerung an all das, was der Lehrer gesagt und verbessert hat, von Wich-

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tigkeit. Derbeste Lehrer kann nicht helfen, wenn man sich beim Üben nicht genau seiner Worte besinnt. Aus diesem Grunde ist es nötig, in den Noten schon während des Unterrichts entspre­chende Anzeichnungen und Bemerkungen schriftlich niederzu­legen, falls dies der Lehrer nicht selber tut. Ich glaube übrigens, daß die Gitarre mit ihrer so komplizierten Technik kein Instru­ment ist, das man im Selbstunterricht erlernen kann. Zumindest in gewissen regelmäßigen Abständen sollte man sich überprüfen und beraten lassen.

Je früher man es zuwege bringt, von der eigenen Technik Ab­stand zu gewinnen, je früher man sich selbst zuhören kann, um das Spiel kritisch zu betrachten, umso günstiger ist das für den Fortschritt. Jede Übung hat ihren bestimmten Sinn, der erfaßt werden muß; der Studierende muß also wissen, worauf es dabei ankommt. Die mentale Vorstellung einer Übung, gepaart mit dem Vorsatz, das spezifische Ziel auch zu erreichen, hilft zu­sätzlich. Der Lehrer aber sollte nie Muster einüben lassen, die zu dem Schüler nicht passen und ihn unnötig belasten.

Jede technische Übung, von der einfachsten bis zur schwierig­sten, ist - wenn man sie zum ersten Mal versucht - vorerst ein­mal eine absolut bewußte Handlung und kann erst nach ihrer Beherrschung zu einer unbewußten, d.h. rein mechanischen werden. Die Anfangsarbeit muß daher äußerst wachsam und mit höchster Akribie erfolgen. Je genauer sie gelingt, umso erfreuli­cher wird das Resultat sein. Jede neue, ungewohnte Bewegung der Hände erfordert zuerst einen weit größeren Kraftauf­wand und Willenseinsatz als später, wenn man sie mechanisch beherrscht. Wenn Verkrampfungen eintreten, sollte man unter­brechen und sich zwischendurch immer wieder zu entspannen versuchen.

Im Laufe eines Studiums begegnet man Phasen, die als „Rück­schläge" erscheinen, die aber de facto keine sind, sondern eher einem Wachstumsprozeß gleichkommen, so paradox dies klin­gen mag. Nach gewisser Zeit ändert sich das Bild, und es ist ei­ne Reifung festzustellen, die auf der Basis eines vorhergegan­genen Dilemmas fast wie ein Wunder erscheint.

Auch Phasen der Unlust oder gar eine Stagnation können über­brückt werden, sofern der Wille hierfür vorhanden ist. Neue

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Impulse - etwa das Hören eines Musikers, den man bewundert, die Bekanntschaft eines interessanten Menschen, ein kleines Er­folgserlebnis, möglicherweise auf ganz anderem Gebiet - kön­nen den Karren wieder flott machen.

Es ist selbstverständlich, daß Schwierigkeiten der einen Hand sich auch auf die andere übertragen können, sie irritieren, sodaß diese sich dann auch plötzlich unsicher fühlt. Es gilt dann, jede Hand - separat - in ihrem Bewegungsablauf zu festigen, um dann später beide Hände vertrauensvoll in ihren unterschiedli­chen Funktionen miteinander koordinieren zu können. Viel­leicht wird man denken, daß so etwas doch ganz selbstverständ­lich sei. Man könnte es meinen, aber das ist es leider nicht! Sonst würde in ähnlich gelagerten Fällen nicht so oft völlige Hilf­losigkeit herrschen und kostbare Übungszeit vergeudet werden.

„Geläufigkeit" sollte man nicht im Hinblick auf „Schnellspielen wollen" erreichen, sondern beim Studieren eher an das Vermei­den überflüssiger Bewegung denken. Im Grunde ist das wohl im Resultat dasselbe, doch die geistige Einstellung ist eine andere.

Sollte Ihr Tremolo „galoppieren" (was häufig vorkommt und verschiedene Ursachen haben kann), versuchen Sie einmal dabei etwas mehr an den Mittelfinger („m") zu denken. Oft ist dieser zu schwach oder er fällt ganz aus.

Phasen des Übungsprozesses:

Den Übungsablauf kann man in mehrere Teile gliedern. Zu­nächst sollte man auf der Basis von technischen Übungen (auch die verhaßten Tonleitern sind gesund!) Etüden oder auch schwierige Passagen aus Stücken in einzelnen Details erarbeiten bzw. durch häufiges Wiederholen überwinden. Anschließend wäre es zweckmäßig, sich selbst einmal ohne jede Unterbre­chung (ungeachtet der Fehler die dabei passieren) etwas „vorzu­spielen". Natürlich muß man sich die dabei entstandenen Fehler merken. Ein solches „Vorspiel" vom Anfang bis zum Ende ei­nes Stückes, ohne dabei etwas zu wiederholen, gibt dem Spieler eine Portion Mut und Selbstvertrauen und baut Hemmungen ab. Fehler irritieren in der Folge nicht mehr so sehr; man lernt sie zu „überspielen" (in der Ubungsphase auf keinen Fall gestat­tet!), ohne gänzlich den Kopf zu verlieren. Kurzum, der Glaube an physisches und psychisches Durchhaltevermögen wird ge-

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stärkt, Selbstvertrauen wird aufgebaut.

Im Vorhergegangenen handelt es sich um rein technische Belan­ge. Auf eine andere, spezielle Art der Technik möchte ich noch eingehen, die ich hier als „Technik der Empfindung" oder kurz „Empfindungstechnik" bezeichnen möchte, obwohl dieser Na­me vielleicht auch andernorts schon geprägt wurde. Es erscheint zwar paradox, die beiden Begriffe Empfindung und Technik zu koppeln, aber diese Empfindungstechnik bedarf doch speziell eines Trainings. Ohne sie kann man vielleicht zum Saitenstür­mer oder Saitentänzer aber niemals zum Musiker werden. So kann man - um ein kleines Beispiel zu nennen - nicht plötzlich auf Befehl lautstark spielen, wenn man vorher die Saiten immer nur gekitzelt hat, oder etwa ein Piano zaubern, wenn man dieses tonliche Zurücknehmen nicht ausdrücklich geübt hat. Wenn man also seine Empfindung nicht ganz konkret auf seine Finger zu übertragen geübt hat und zwar so, daß die Saiten in ge­wünschter Weise auch tatsächlich ansprechen. Ohne Verkramp­fung Kraft zu produzieren muß ebenfalls geübt werden. Die Anhebung eines Crescendo kann unter Umständen zu einem kleinen Kunstwerk werden. Das muß alles aus dem tiefsten In­nern kommen, kann sich aber nur aufgrund eines diesbezügli­chen Trainings auch realisieren, und zwar so weit, daß dieser Prozeß sich nicht nur im Innern des Spielers abspielt, sondern auch für den Zuhörer ein Erlebnis bedeutet. Der Gitarrist muß auch „malen" können. Farben hat er genügend zur Verfügung! Man sollte zu diesem Zweck mit der rechten Hand auch nicht immer an der gleichen Stelle anschlagen.

Kultivierte Geläufigkeit oder, wie man es nennt, „Virtuosität", also Beherrschung der technischen Belange, sollte die Grundla­ge jedes Spielers sein, und wenn er sie in erhöhtem Maße sein Eigen nennt, soll man sie ruhig bewundern und beklatschen. Problematisch wird es erst dann, wenn sich allein diese Spiel­weise durchsetzt und nur Mittel zu dem Zweck wird, auf sich aufmerksam zu machen. Wenn es einmal soweit kommt, daß die Seele hinter den hurtigen Fingern verkümmert, ist es an der Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen, auf dem sie mitleben kann. Oder muß man sie gar erst aus einem Dornröschenschlaf erwecken?

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Eine sicherlich interessante Methode des Studierens ist das „mentale", das geistige Üben. Es handelt sich dabei um ein zeit­weises Üben ohne Instrument und ohne Noten. Praktisch geht das folgendermaßen vor sich: Man lernt erst einmal ein paar Takte (oder mehr) im Kopf auswendig, prägt sich dabei genau Noten und Fingersätze ein (das ist besonders wichtig!). In der Folge spielt man dann das Gelernte ohne Instrument rein geistig ab. Man übt das immer und immer wieder, so wie auch die Sportler ihre Sprünge und dergleichen unzählige Male im Geist vollziehen, bevor sie das in der Realität tun. Wenn dies gelingt und man keine Fehler mehr macht, dann „sitzt" die Sache und ist ein bedeutender Sicherheitsfaktor beim Auswendigspielen. Denken Sie also, Sie sind ein Spitzensportler, etwa ein Skisprin­ger, und wollen einen schönen Sprung vorbereiten. Ihr „Lauf" wird dann - zum Schluß natürlich ganz mechanisch ausgeführt - ebensogut ankommen wie der Sprung des Skiläufers, der es versteht, sein Ziel erst geistig anzuvisieren. In diesem Zusam­menhang verweise ich auf das Buch „Das mentale Training" von Dr. ALFRED BIERACH (Econ-Verlag). Ich habe auch mit dem Autor über dieses Thema diskutiert. Auch sehr bekannte Pianisten propagierten die geistige Methode des Übens, das mentale Training.

Die immer wieder an mich gerichtete Frage, wie lange man täg­lich üben soll, läßt sich generell nicht beantworten. Die nötige Zeit wird von Fall zu Fall verschieden sein. Ein erwachsener und seiner Verantwortung bewußter Mensch müßte bald selbst herausbekommen, wieviel Zeit er für ein bestimmtes Aufgaben­pensum benötigt. Doch erscheint es mir wichtig zu erwähnen, daß man seiner Konzentrationsfähigkeit nicht zuviel zumuten sollte; sie ist meist weit geringer als man annimmt. Aber ohne Konzentration zu üben, hat keinen Zweck. Es sollten unbedingt immer wieder Ruhepausen eingeschaltet werden zwischen den Übungsphasen. Etwa nach 45 Minuten intensiven Lernens sollte man 15-20 Minuten pausieren und dabei gänzlich „abzuschal­ten" versuchen, sich einfach fallen lassen, die Augen schließen und „es" lassen... Oder man macht ein paar kreisende Armbe­wegungen, einbezogen die Schulterpartie. Das tut sicher auch gut, ebenso wie ein sanftes Rotieren des Kopfes eine Wohltat bedeutet.

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Wenn die Haltung der Gitarre ermüdet, kann man zwischen­durch ruhig einmal das rechte Bein auf den Schemel stellen. Aber beim sogenannten „Vorspiel", wie auch die meiste Zeit über, sollte man schon eine korrekte Haltung einnehmen. Die Stütze des Beines, also der Schemel, sollte immer die gleiche Höhe aufweisen. Der Notenständer muß so aufgestellt sein, daß beim Notenlesen die Augen nicht überfordert werden. Es würde sonst eine zusätzliche Belastung bedeuten. Wenn nicht gerade vor den Körper, sollte der Ständer doch etwas mehr zur linken Seite gestellt werden.

Für einen bestimmten Zweck (Prüfungen, öffentliches Spielen usw.) sollte der Übungsvorgang zeitgerecht sowohl praktisch als auch geistig rechtzeitig vor dem entsprechenden Termin fertig abgeschlossen sein. Anderenfalls fehlt das nötige Gefühl der Si­cherheit. Lieber früher mit dem Üben beginnen als zu spät. Das Resultat wird dann besser sein.

Im allgemeinen aber - und das verstehen Außenstehende oft nicht - kann des Übens nie ein Ende sein! Wenn man etwas noch so gut kann, nach einiger Zeit ist es ratsam, es wieder neu zu erarbeiten, was geradezu einer aufregenden Entdeckung eines Schatzes gleichkommen kann. Das Üben ist eine schwierige Sa­che, eine Kunst für sich, und sie bedarf des Einsatzes des ganzen Menschen. Daß man sie in der Stille und in absoluter Eigenver­antwortung ausüben und sich dabei selbst kennenlernen kann, bedeutet für mich immer eine beglückende Faszination. Ein Lehrer sollte den richtigen Zeitpunkt erkennen, zu dem er sich zurückziehen kann, um die Selbständigkeit des Schülers zu fördern.

Die Wege zum Musikantentum sind vielfältige. Steigen Zweifel an dem Ausmaß einer künstlerischen Begabung auf, sollte man sich von einem tüchtigen Lehrer vertrauensvoll testen lassen. Zwar können auch Lehrer irren, aber zumeist hat ein erfahrener Gitarrist genügenden Weitblick, um das Talent und die Bil­dungsfähigkeit eines Schülers erahnen zu können. Selbst auch dann, wenn sich derselbe in einer vorübergehenden unguten Phase befindet. Fällt das Gutachten dann positiv aus, wird der persönliche Wille und die Lernbereitschaft des Schülers für sei­nen Fortschritt ausschlaggebend sein. Begabung ist eine göttli­che Gnade - ein Wunder!

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Das „sinnvolle" Üben jedoch muß die Basis jeglichen Begin­nens sein, denn die Kunst baut auf dem Handwerklichen auf. Trotzdem und immer wieder: „Der Geist soll mehr üben als die Finger, das ist die Hauptsache!" Das sagte der berühmte Pianist IGNAZ MOSCHELES und ich darf es aus eigener Erfahrung und Überzeugung unterstreichen.

Zum Schluß möchte ich noch als Unterstützung des Gesagten ei­nige „Selbsthilfeformeln" bringen, die zwar an sich kein No-vum darstellen, sich meiner Erfahrung nach aber schon oftmals bewährt haben. Speziell den komplex differenzierten Konfronta­tionen mit technischen Abläufen gegenüber, denen der Gitarrist ausgesetzt ist, können sie ihre Wirksamkeit entfalten.

Mehrmals täglich kann man sich vorsagen:

1. Ab sofort ist meine Aufnahmebereitschaft und Gedächtnis­kraft beim Lernen enorm gesteigert. Ich bin konzentriert, diszipliniert und lasse mich durch niemanden stören oder ab­lenken.

2. Ich spiele leicht, gelöst und völlig unverkrampft. 3. Die Mechanismen meiner trainierten Finger funktionieren

absolut verläßlich, weil ich sie durch falsche Gedanken nicht behindere und ihnen mein volles Vertrauen schenke. Wieder­holungen prekärer technischer Stellen werden höchstens noch eine Verbesserung der Ausführung erfahren und kön­nen jedesmal mit Ruhe und Sicherheit angegangen werden.

4. Ich weiß, daß Engramme lebenslänglich sind und daß jedes Detail, das ich einmal erarbeitet habe, unauslöschlich in mein Gedächtnis geprägt und eingespeichert ist; es wird da­her auch in dem Moment, in dem ich es benötige, sofort wie­der in Erinnerung treten.

5. Mein Gedächtnis ist ein hervorragendes Instrument und ar­beitet mit solcher Selbstverständlichkeit wie eine Blume blü­hen und ein Baum Früchte tragen muß.

6. Meine Sicherheit und mein Selbstvertrauen wachsen und fe­stigen sich merkbar von Tag zu Tag; ich fühle mich glücklich und strahle diese Zuversicht und Freude auch nach außen.

7. Ich bin mit mir selbst und meiner Umgebung in Harmonie und Frieden und bin erfüllt mit Kraft, Mut und absolutem Selbstvertrauen. Meine Arbeit wird mir gelingen!

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„Faszination"

Eine längere Korre­spondenz zwischen meinem Vater und MIGUEL LLOBET bezüglich seiner Kon­zerte in Wien führte im Jahre 1922 endlich zu einem befriedigen­den Vertragsabschluß mit einer Wiener Kon­zertdirektion. Die Freunde der Gitarre waren sehr glücklich, den berühmten spani­schen Meister hier hö­ren und begrüßen zu dürfen, denn er war es, der die neue TAR-REGAsche Technik hier bekannt machen, einen völligen Um­schwung in der Ent­wicklung des Solo­spiels herbeiführen und eine neue Spiel­technik kreieren konn­te.

Kurz vor dem Eintreffen Llobets in Wien klappte es nicht mit dem schon längere Zeit vorher reservierten Hotelzimmer, und da zur selben Zeit hier ein Kongreß stattfand, war auch kein anderes entsprechendes, halbwegs zentral gelegenes Quartier aufzutreiben. Nähere Details sind mir nicht mehr erinnerlich. Ich weiß nur noch, daß deshalb unter den Gitarristen einige Auf­regung herrschte. Auch der einberufene Ausschuß des neu ge­gründeten „Wiener Gitarre-Clubs" unter dem Vorsitz meines Vaters zeigte sich ratlos; denn auch meine Eltern konnten, so sehr sie dies gewünscht hätten, Llobet nicht beherbergen, da wir

Prof. Jakob Ortner

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Verwandtenbesuch hatten. Die Blamage war perfekt. Endlich sprach mein damaliger Lehrer, Prof. JAKOB ORTNER, das er­lösende Wort: „Leutl'n", sagte er, „der Llobet soll halt bei mir wohnen!". Ortner, der Ur-Tiroler, mit dem interessanten schwarz­gelockten Künstlerkopf, ein Bohemien wie er im Buche steht, be­wohnte mit seiner Frau, ebenfalls aus Tirol und Liedsängerin zur Laute, ein großes Atelier in der Böcklinstraße. Es lag am Rande des Wiener Praters, also dort, wo - nicht nur wie bei ROBERT STOLZ - im Frühling die Bäume blüh'n; Kastanienbäume, mit hohen, weißen Kerzen, und damals war es auch gerade Frühling - Frühling in Wien!

Am Tage nach der Ankunft des spanischen Meisters sagte Prof. Ortner während einer Gitarre-Stunde (ich befand mich damals in einer Art „Vorbereitungsklasse" an der Staatsakademie für Mu­sik): „Luiserl, morgen kannst Du mit dem Papa zu mir kommen, den Llobet begrüßen, am besten gleich nach dem Mittagessen!". Etwas Schöneres hätte er mir nicht sagen können; es machte mich so verwirrt, daß ich kaum weiterspielen konnte und mich erst beruhigen mußte. Endlich war er da, der Ersehnte, und ich - die kleine Schülerin - durfte ihn in der Nähe sehen und mit ihm vielleicht auch sprechen. Ich konnte kaum einschlafen und hatte eine unruhige Nacht.

Wie vereinbart, wanderte ich am nächsten Tag mit meinem Va­ter, der sich für diesen feierlichen Anlaß extra freigenommen hat­te, zu Ortner in die Böcklinstraße. Bevor wir noch das Atelier, also den eigentlichen Wohnraum betreten hatten, bemerkte ich schon vom Vorraum aus, drinnen in einer Ecke, ein schwarzes monströses Etwas. Bevor Prof. Ortner oder mein Vater mich zu­rückhalten konnten, war ich schon an ihnen vorbeigeschlichen, hinein zu dem mich geradezu magisch anziehenden Monster. Nä­her gekommen, erkannte ich einen schwarzen Herren-Regen­schirm von beachtlicher Größe, der da aufgespannt lehnte und hinter dem ich - auf einem Sofa liegend - Meister Llobet erblick­te, der mich aus verschlafenen Augen anblinzelte. Ich war hinge­rissen! So rasant in die Intimsphäre des Verehrten zu gelangen, hätte ich nicht erwartet. Ich knickste ehrerbietig, und auf mich prasselte ein Schwall französischer Worte, die ich nicht verstand. Wie es dann weiterging, kann ich mich heute nicht mehr erin­nern. Jedenfalls war mein Vater über diese skurrile Unterkunft

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1\ alles andere denn erfreut. Wie er es dann doch noch zuwege brachte, ein komfortables Logis aufzutreiben, weiß ich nicht. Er muß gezaubert haben!

Mir, dem Kind, hat der große Regenschirm jedenfalls mächtig imponiert, denn so ein Ungetüm, aufgespannt vor einem Sofa,

I hatte ich noch nie gesehen. Die Erinnerung an den köstlichen 1 Anblick des verschlafenen Meisters hinter dem Regenschirm I entlockt mir noch heute ein Lächeln.

Miguel Llobet

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Miguel Llobet

Es hieße wohl Eulen nach Athen tragen, wollte man einem Ken­ner der „Gitarrewelt" die Bedeutung des spanischen Meisters, des stolz heimatbewußten Katalanen MIGUEL LLOBET, vor Augen führen, der heute schon fast legendär gewordenen Zen­tralgestalt der Gitarristik. In Vergleich zu Segovia gesetzt, hat er durch seine Konzertreisen in fast allen Ländern der Erde und als Lehrer prominenter Gitarristen (unter anderen auch der Ar­gentinierin MARIA LUISA ANIDO) wohl keinen kleineren An­teil an der Verbreitung der Gitarre. Leider ist er viel zu früh gestorben, so daß von ihm nur wenige Platten und diese in veral­teten Aufnahmen vorhanden sind, während ANDRES SEGO­VIA das Glück hatte, im hohen Alter immer noch spielen zu können. Jeder mit der Materie Vertraute weiß, daß Llobet der Lieblingsschüler FRANCISCO TARREGAS war und der rein­ste Vertreter von dessen neuer spanischer Spieltechnik; einer Spieltechnik, die um die Jahrhundertwende in unseren deutsch­sprachigen Landen alle bisher gepflegten Spielmethoden schlag­artig über den Haufen warf, beziehungsweise reformierte.

Aus diesem Grunde möchte ich diesem großen Gitarristen, der auch mein Lehrer war, hier keine Elogen setzen, sondern eher den Menschen Llobet beleuchten, mit dem ich so gerne auch meine Kindheits- und Jugenderinnerungen verbinde. Später bin ich ihm auch oft im Ausland begegnet. Dabei ergaben sich recht humorvolle Details, die keineswegs dazu dienen sollen, sein Bild nur im geringsten zu trüben, sondern - im Gegenteil - es durch die köstlichen, echt menschlichen Attribute seines We­sens uns näher zu bringen.

Miguel Llobet, der im Jahre 1888 in Barcelona geborene und während der Wirren des spanischen Bürgerkrieges verstorbene geniale Meister der Gitarre, war des öfteren Gast im Hause mei­ner Eltern. Mein Vater war es auch, der seine Konzerte hier in Wien durch finanzielle Hilfe ermöglichte. Wie interessant war das für mich, das kleine, etwa 11jährige Mädchen, das sich mit der geliebten Gitarre so sehr verbunden fühlte! Welch lustiges Kommen und Gehen in dem ansonsten eher stillen Hause. Es waren viele Menschen, spanische Freunde unseres Gastes, Gi­tarristen und Musiker aller Art, die bei Llobet vorsprachen.

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Da wurde über gitarristische Aufgaben debattiert, über Proble­me der modernen Kunst (Llobet war auch ein guter Zeichner und Maler), und insbesondere über moderne Musik! Llobet war unter anderem ein großer Verehrer MAHLERS, WEBERNS und SCHÖNBERGS. Als dessen Drama mit Musik „Die glück­liche Hand" während eines seiner Wiener Aufenthalte im Burg­theater auf dem Programm stand, bat er meinen Vater inständig, ihm Karten zu verschaffen.

Wenn Miguel Llobet über die moderne Kunst im allgemeinen sprach, wurden seine großen, dunklen Augen - die ansonsten eher etwas schläfrig wirkten - lebhaft, und sein alabasterfarbe-nes, interessantes Aristokratengesicht, ja sein ganzes Wesen schien von einer inneren Glut durchleuchtet. Die Zusammenkünfte mit Freunden in unserer Wohnung dehn­ten sich manchmal bis in die Nacht hinein aus und es war mir mehr als unangenehm, daß ich früher zu Bett geschickt wurde und meinen stillen Beobachtungsposten von einer Zimmerecke aus aufgeben mußte. Aber solange ich anwesend sein durfte, entging mir nichts, gar nichts.

Ich bin schon oft gefragt worden, ob Llobet viel geübt hat. Wäh­rend seiner Wiener Aufenthalte übte er eigentlich wenig, auch wenn er wichtige Konzerte vor sich hatte. Er meinte (zumindest hier sagte er das) er brauche das Vabanquespiel, diesen eigen­tümlichen „Nervenkitzel", ob etwas gelingt oder nicht. Es hat immer geklappt. Ich muß aber ehrlich sagen, daß ich, als begei­sterte Llobet-Schülerin in dieser Richtung meinem Lehrer nicht nachfolge. Ich brauche keinen „Nervenkitzel", mir persönlich ist Sicherheit durch gut vorbereitete Arbeit weit lieber. Llobet übte also in Wien nur sporadisch; zumeist holte er seine schöne TORRES-Gitarre (die mit dem Metalltrichter im Körper), nur um sie zu stimmen, und legte sie dann nach ein paar Minuten wieder zurück in das Etui, das er sehr sorgfältig versperrte. Ob er damals wohl ahnte, daß ich geplant hatte, bei günstiger Gele­genheit mich heimlich einzuschleichen, um mich an der kostba­ren Spanierin, die da in Samt gebettet lag, zu ergötzen? Wohl hatte ich schon zwei Gitarren, aber noch kein spanisches Instru­ment, dem mein ganzes Sehnen galt.

Meine Unterrichtsstunden bei Llobet waren sehr interessant und fruchtbar, aber man mußte gut aufpassen, um zu verstehen, was

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er meinte. Wenn er etwas vorspielte (er tat es in kurzen Passa­gen oft), summte und brummte er irgendwelche Töne dazu. Was es wirklich war, ließ sich nicht feststellen. PROF. ORTNER, der manchmal auch dabei war, sagte dann immer: „Hörst Du, Luiserl, er singt die zweite Stimme!". Ich glaube aber eher, daß es nur ein gelegentliches Gebrumme infolge einer gewissen An­strengung war, z.B. wenn er mir viele Minuten lang eine seiner beliebten Barreeübungen vormachte.

Den kulinarischen Genüssen war Llobet sehr zugetan und er war, was das Essen anbelangt, sehr anspruchsvoll und ver­wöhnt. Wenn Entenbraten auf den Tisch kam, sagte er: „Ah! Kleine Gans!", und seine Miene war sehr vergnügt. Das deut­sche Wort für Ente hat er, solange ich ihn kannte, nie gelernt.

Außer seiner Muttersprache beherrschte er französisch und ita­lienisch. Die Küche meiner Mutter lobte er sehr; er meinte, bei uns und in München bei seinem Freund FRITZ BUEK und des­sen russischer Köchin speise er am besten.

Ansonsten erwartete er viel Zuwendung seitens seiner Gastge­ber. Seine Bettdecke mußte nach französischer Manier in ganz bestimmter Weise zusammengefaltet werden, damit man wie in einen Sack hineinschlüpfen konnte. Llobet zeigte meiner Mutter ganz genau, wie er das wünschte, es war ein regelrechter Unter­richt, und wir lachten sehr über diese Marotte, die ihn - im Zu­sammenhang mit noch anderen „Sonderwünschen" - zu einem kleinen Tyrannen machte, dem wir uns aber gerne fügten.

Llobet ging meist mit einem riesigen schwarzen Schirm aus, nahm es mit der Zeit nicht sehr genau und kam oft zu spät. Es existiert eine lustige Karikatur, auf der man ein bereits ausgelau­fenes Schiff sieht, auf das, sich verzweifelt anklammernd, der Maestro hinaufzuklettern versucht. Auf dem Rücken hat er seine Gitarre angegurtet und in einer Hand hält er den unvermeidli­chen Regenschirm.

Das wären nun einige heitere Episoden um den spanischen Mei­ster. Nun möchte ich noch kurz auf sein Spiel eingehen, das „live" leider nur die ältere Generation kennt. Llobet war trotz seiner Vorliebe für die Moderne ein ausgesprochener Romanti­ker: glühend, mitreißend, dann wieder kühl, ja fast gleichgültig,

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um im nächsten Moment wieder ganz in seinen Bann zu ziehen. Trotz dieser, bei ihm besonders ausgeprägten Labilität, spielte er stets stilvoll, beherrscht und verzerrte keine Tempi. Er war ein sympathischer Vertreter glanzvollen Virtuosentums. Seine starke Persönlichkeit konnte auf Pose und Mätzchen aller Art verzichten. Seine Anschlagkultur hatte klassischen Stil und sein Ton war überaus modulationsfähig, wenn auch nicht sehr stark. Aber die künstlerische Geschmacksrichtung ging damals nicht darauf aus, zumal die edlen spanischen Instrumente mit den ver­hältnismäßig dünnen Decken auch nicht für besondere Klang-stürmerei vorgesehen sind. Sie zeigen ihre einmalige Schönheit eher in einer vornehmen, verhalteneren Tongebung.

Die bekannte „Yota arragonesa" und die COSTE-Etüde op. 38, Nr. 23, mit den obligat gedämpften Bässen, spielte er in rasen­dem Tempo und mit fast durchwegs „angelegtem" Anschlag. Auch ich mußte das auf diese Art trainieren. Dadurch ist eigent­lich auch der besondere Effekt bei dieser Etüde gegeben. Im krassen Gegensatz dazu standen das gefühlsbetonte „Nocturno Es-Dur" von CHOPIN und die „Berceuse" von SCHUMANN, mit denen er das Publikum bezauberte. Heute kann man Trans­kriptionen dieser Art kaum mehr spielen; doch zu seiner Zeit waren sie beliebt und er hatte gerade bei diesen aus seiner Feder stammenden Bearbeitungen die größten Erfolge. Diese Trans­kriptionen sind aber auch hervorragend: maximal originalgetreu und doch dem Wesen der Gitarre klangvoll angepaßt. Wenn ge­sprächsweise speziell auf diese Problematik die Rede kam, er­zählte Llobet mit besonderem Vergnügen, daß z.B. Tarregas Freund, ISAAC ALBENIZ, oftmals geäußert hat, daß bei des­sen Transkriptionen die sinnlich-folkloristischen Komponenten seiner Klavierstücke besser zum Tragen kommen als bei den Originalen.

Nun, bei den Kompositionen spanischer Herkunft bin auch ich überzeugt, daß der Klang der Gitarre die eigenartige Poesie des Landes einfühlender wiedergibt als es das Klavier vermag: Die Schönheit eines Sonnenuntergangs über andalusischen Flußtä­lern, die Grazie eines Glockenturms in Granada, oder auch nur die Impressionen eines silbrig zitternden Mondstrahls in einem alten maurischen Hof

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Bemerkenswerte Marksteine im Leben Miguel Llobets waren seine Reisen nach Brasilien im Jahre 1910 und die folgende gro­ße Südamerikatournee im Jahre 1912, wo er vor allem in Argen­tinien wahre Triumphe feierte. Er erzählte, daß in diesem Lande damals für Gitarre so reges Interesse bestand, daß man eine gro­ße Arena mehrmals mit Publikum hätte füllen können, wenn es die akustischen Verhältnisse erlaubt hätten. In Buenos-Aires konnte man in allen Zeitungen und Musikzeitschriften von den glänzenden Erfolgen Llobets lesen; eine spezielle Gitarre-Akademie wurde gegründet. Argentinien wurde um diese Zeit zu einem gitarristischen Eldorado, wie es heute ein Gitarrist -und wäre er noch so berühmt - leider nur in seinen Träumen er­leben kann. Zahlreiche Konzertreisen, darunter auch in die USA, folgten und brachten weitere glanzvolle Erfolge. Reisen und immer wieder Reisen! Dabei reiste Llobet höchst ungern. Er fühlte sich dabei als ein Unfreier, Gejagter. So erzählte seine Tochter NICOLINA, daß ihr Vater eigentlich viel lieber zu Hause in seinem Atelier gesessen und sich still und friedlich sei­nem Hobby, der Malerei, hingegeben hätte, denn er war ein ausgezeichneter Maler. Seine Bilder befinden sich übrigens in diversen Privatsammlungen und werden wertvoll eingeschätzt. Doch Llobet mußte Geld verdienen und er verdiente auf seinen Konzertreisen gut. Das war auch letztlich der Anlaß, daß er ein Angebot des damaligen Direktors des Konservatoriums der Stadt Barcelona, GEORGE BADILLA, an diesem Institut zu unterrichten, ablehnen mußte, da ihm die Tourneen weit bessere Verdienstmöglichkeiten boten.

Nach dem ersten Weltkrieg kam Llobet im Jahre 1920 nach Deutschland, wo ihm Fritz Buek, als Vorsitzender der Münche­ner gitarristischen Vereinigung und Herausgeber der Zeitschrift „Der Gitarrefreund" die Wege bereitete. 1921 folgte dann das erste Konzert in Österreich (Wien), das durch die Fehlspekula­tion einer Konzertdirektion im „Großen Musikvereinssaal" stattfand, dem heute durch die Fernsehübertragungen der „Wie­ner Neujahrskonzerte" weltweit bekannt gewordenen „golde­nen" Saal, mit Fassungsraum für 1800 Personen. Da die Gitarre als Konzertinstrument in Wien noch wenig bekannt war, wurde dieses Konzert zu einer finanziellen Pleite, brachte Llobet aber einen ganz großen künstlerischen Erfolg und prächtige Kritiken.

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In anderen Städten Österreichs folgten dann weitere Konzerte. Vor allem in Innsbruck fand er - gestützt auf die Industriellenfa­milie MAHRHOLD, deren Söhne begeisterte Gitarristen waren -einen ansehnlichen Kenner- und Interessentenkreis.

Es ist entschieden zum Großteil das Verdienst Miguel Llobets, daß - sowohl hier wie in Deutschland - durch sein Erscheinen Technik und vor allem auch musikalisches Niveau der Gitarri­stik immense Fortschritte machten. In aller Welt war sein Name mit einer Glorie umgeben.

Llobet war ein überzeugter Liebhaber des Gitarreklassikers FERNANDO SOR und ein ausgezeichneter Interpret seiner Werke.

Es kann mir heutzutage nicht verborgen bleiben, daß es Gitarri­sten gibt, die zu Sor - aus welchem Grunde immer - ein gestörtes Verhältnis haben, was ich persönlich ungemein bedaure. Seine große Bedeutung für die ganze Gitarristik wird man ihm trotz­dem nicht absprechen können. In einem solchen Falle ist es dann wohl besser, auf Stücke von Sor zu verzichten als sie schlecht und lieblos zu spielen.

Llobet erfaßte die Kraft des Sorschen Gesamtwerkes in vollem Ausmaße. Er selbst hatte neben einer Gruppe Etüden von Sor vor allem sein anmutiges „Andante Largo" op. 5, die beiden So­naten op. 15 und op. 22, „Les Folies d'Espagne" (in einer von ihm sehr virtuosen Version) und die bekannten „Variationen über ein Thema von MOZART (Zauberflöte)" op. 9 des öfteren auf seinen Programmen. Bezüglich des letzteren Werkes sprach er mit mir übrigens auch über die Möglichkeit, dem Sorschen Thema das Originalthema voranzusetzen. Ein Versuch, den ich später in einer Bearbeitung unternommen habe. Das harmoni­sche Schema ist zwar das gleiche, aber Sor bringt das Thema im Gegensatz zu den starren Achteln im Glöckchenspiel des PAPA-GENO („O dolce harmonia") in kleineren Werten, so daß sein „Thema" in op. 9 nicht nur erhöhte agogische Beweglichkeit aufweist, sondern auch bereits Variationscharakter.

Llobet interpretierte Fernando Sor etwa im Stil des späteren HAYDN: nicht mehr Klassizismus und noch keine Romantik, sozusagen im Heraustreten aus den Formen der Rokoko-Scene-rie hin zur legereren Romantik. „Gut Sor spielen zu können,"

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sagte er mir mehrmals, „ist schwierig, mein Kind, laß Dich nicht täuschen, wenn manches so einfach aussieht. Ein Kompo­nist ist wie ein Baumeister, und es ist daher wichtig, daß man sich in seinen Räumlichkeiten - welchen Stiles immer - gut zu­rechtfindet, selbst dann, wenn es sich dabei nur um ein kleines Kämmerchen handeln sollte. Auch dieses muß man verstehen zu beleben, um sich in seinen Wänden kultiviert und mit Vergnü­gen bewegen zu können".

Wenn mir Llobet Unterricht erteilte, erzählte er mir manchmal auch von MARIA LUISA ANIDO, seiner großartigen Schülerin in Buenos Aires (vorher studierte sie mit DOMINGO PRAT), mit der er auch gemeinsam in Konzerten spielte. So kann ich mich erinnern, daß er mich einmal animieren wollte, Tarregas „La Mariposa" zu lernen (ein Estudio, das ich überhaupt nicht leiden konnte), indem er mir vorschwärmte, w i e virtuos Anido dieses Estudio zu spielen vermag. Ich darf verraten, daß trotz meines Ehrgeizes dieser „Pfeil" nicht getroffen hat, und ich mich auch späterhin nie entschließen konnte, diese sicher nützli­che Etüde zu studieren.

Als ich ein Stück einmal zu schleppend spielte, klopfte mir Llo­bet leicht auf die Schulter und sagte kopfschüttelnd: „Aber Lui-sa, warum spielst Du das denn so traurig, das ist doch gar nicht so gemeint! Denke, noch bevor Du dieses Stück beginnst, an et­was, das Dir Freude macht, dann wirst Du gleich lebhafter spie­len können! Es ist ja deshalb auch in einer Dur- und nicht in einer Molltonart geschrieben". Ich folgte ihm, spielte vitaler und er war mit mir zufrieden.

Vielleicht wird es auch interessieren zu hören, daß Llobet - ähn­lich wie der im vorigen Kapitel erwähnte Jakob Ortner - ein ganz erstaunliches Talent im Improvisieren auf der Gitarre war. Beide waren Opernfreunde und ausgezeichnete Opernkenner, was in geselligem Kreis gelegentlich Anlaß zu heiteren Experi­menten gab. Wenn z.B. die Rede auf bekannte Opernstellen kam, die einen potentiellen Wert als musikalisches Element ha­ben oder Leitmotive darstellen, griff Ortner - insbesondere in bereits etwas „aufgetanktem" Zustand - gerne zur Gitarre, um die Motive zu improvisieren und erwies sich dabei - in allen La­gen herumwirbelnd - als Meister der Modulation. Allerdings legte er dabei keinerlei Wert auf Sauberkeit, und am Ende seiner

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Vorführung kam jedesmal - sozusagen als Krönung - eine Per­kussion (Schlageffekt mit der rechten Hand), daß man für die Gitarre bangen mußte. Llobet hingegen blieb auch in solcher Sparte - wenn er gerade sehr gut aufgelegt war - mit seiner ver­blüffenden Improvisationskunst ein „spanischer Grande", der er auch als Mensch war. Er spielte dabei kultiviert, durchaus har­moniegerecht und - man staune! - sogar in der richtigen Origi­naltonart. Es war kolossal!

Nun möchte ich noch eine kleine Anekdote erzählen, deren Wahrheitsgehalt jedoch kaum zu überprüfen ist, die aber Llobet - Jahre später - in Berlin zum besten gab. „Es ist ja bekannt", begann er, „daß ich für zeitgenössische Kompositionen prinzi­piell viel übrig habe. Wenn aber bei einem Ensemble-Werk der Gitarrepart derart miserabel geschrieben ist, daß man trotz aller Bemühung von dem Gitarristen überhaupt nichts hören kann, hat der Spaß für mich ein Ende. In Paris machte ich in so einem Fall bereits Proben mit, bei denen ich mich jedesmal ärgerte, weil ich mit meiner Gitarre dabei völlig überflüssig war und meine Zeit nur vergeudet schien. Zur Aufführung wollte ich da­her dem Komponisten einen Streich spielen und entsandte kur­zerhand einen Gitarristen, der, wie ich wußte, die Gitarre wohl richtig halten, aber darüber hinaus nicht viel mehr konnte. ,Ich bin krank', sagte ich zu ihm, ,Du kannst mich morgen vertreten und wirst dabei ein gutes Geschäft machen. Keine Angst', beru­higte ich den sichtlich Erschrockenen, ,es kann Dir dabei über­haupt nichts passieren! Du mußt nur zeitgerecht oben sitzen, ein ernstes Gesicht machen und wenn der Mann mit dem Taktstock auf Dich zeigt, so tun, als würdest Du einsetzen und mit Inter­esse spielen. Bleibe ganz ruhig - die anderen sind so laut, daß man von der Gitarre nicht den leisesten Ton vernehmen kann.' Und so geschah es dann auch. Die Freunde des Komponisten im Saal klatschten sich die Hände wund, der Erfolg war ein großer. Alle waren zufrieden. Nun, meine lieben Freunde", schloß Llo­bet, „kann man schließlich mehr verlangen?".

Das alles - im Ernst und im Heiteren - und noch viel mehr, war Miguel Llobet!

Um seinen Tod während des spanischen Bürgerkrieges, der sei­ne Karriere jäh beendete, und um sein Sterben kursierten ver-

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schiedenste Gerüchte, vom mysteriösen Geschehen bis zur Fein­deskugel, die ihn getroffen haben sollte. In Wahrheit beendete eine tückische Krankheit noch während der Kriegswirren im Jahre 1937 sein Leben.

Zum Schluß möchte ich noch die Worte seines spanischen Kol­legen EMILIO PUJOL zitieren: „Hört man Llobet spielen, so glaubt man jene großartigen Effekte eines vollen Orchesters, auf die den Tonverhältnissen entsprechend intime Klangwirkung re­duziert, zu vernehmen. Gerade wegen des Umstandes, daß Llo­bet der Gitarre ihre Sonderstellung als polyphones Instrument errungen hat, verdient er, daß man ihn als da s gitarristische Genie des Jahrhunderts bezeichnet".

Für die jetzige Gitarristengeneration, die Llobet nie hören konn­te, sind leider die wenigen elektronisch nicht immer glücklich manipulierten Schallplatten, die vereinzelt noch von ihm existie­ren, bei weitem nicht ausreichend, um sich von seinem kulti­vierten facettenreichen Spiel, gepaart mit der außergewöhnli­chen, charismatischen Ausstrahlung seiner komplexen Künstler­persönlichkeit, die richtige Vorstellung zu machen.

Miguel Llobet / Andres Segov ia

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Theaterdebüt in München

Nicht wenig war ich erstaunt, als mich vor Jahren in Wien der Intendant eines bekannten Münchener Theaters aufsuchte, um mich für eine Mitwirkung in Form einer musikalischen Einlage in einem seiner neuen Stücke zu gewinnen. Das Stück war von MAX DREYER und hieß: „Tal des Lebens". Es war, en suite gespielt, für etwa einen Monat gedacht. Da mich schon seit der Kindheit die Theaterluft anlockte, sagte ich schon nach kurzer Überlegung zu. Neben meinem Auftritt mit der Gitarre hatte ich auch noch eine Sprechrolle zu „bewältigen". Zwar mußte ich nicht die geflügelten Worte: „Die Pferde sind gesattelt" spre­chen, aber viel größer war die Rolle auch nicht. Die weiblichen Hauptrollen in dem Stück spielten die damals bekannte FEE VON REICHLIN (sie mimte eine wunderschöne, junge Gräfin) und die ebenso bekannte Schauspielerin VIKTORIA VON BA-LASKO (in der Rolle eines Bauernmädchens, der Zofe obenge­nannter Gräfin). Die Namen der männlichen Darsteller sind mir leider entfallen. Es sind schon zu viele Jahre verflossen.

Das Stück spielte in einem stillen, sehr kinderreichen Tal, das vornehmlich von Ammen besiedelt war, in einer - wie man er­kennt - sehr „fruchtbaren" Gegend, in der die junge Gräfin mit ihrem ältlichen, schon etwas senilen Gemahl ohne den so sehr erwünschten Kindersegen lebt und aus diesem Grunde in De­pressionen verfallen ist. Selbst ein Possenreißer und ein be­rühmter Dichter, den man in das Schloß bestellt hat, um die Gräfin entsprechend aufzuheitern, versagen jämmerlich. Hier sollte nun ich, die Gitarristin, meinen ganzen „gitarristischen Charme" versprühen, um in der heiklen Situation Abhilfe zu schaffen. Ich muß sagen, daß mir dies auch erfolgreich gelungen ist, zumindest beim Publikum erntete ich mit meiner „Yota" und ihren virtuosen Variationen und Klangeffekten immer stür­mischen Applaus. Die Kritiker hoben meine Darbietung in den Mittelpunkt und schrieben, man möge sich dieses Stück wegen der gitarristischen Einlage unbedingt ansehen. Ich kann mir gut vorstellen, daß weder die Frau Gräfin noch ihre Zofe oder der Herr Graf damals viel Freude über die Hervorhebung meiner Person gehabt haben.

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Mein „gitarristischer Charme" mußte sich in diesem „Tal des Lebens" auf die bereits erwähnte Situation beschränken - leider! Ich war in dem Stück sozusagen eine Schloßkastellanin, beklei­det mit einem unansehnlichen dunkelbraunen Rock, dazu pas­sendem Leibchen und einer weißen Bluse sowie einer Schürze, die das Ganze noch unattraktiver machte. Auf dem Kopf hatte ich überdies noch ein weißes Häubchen über meinen aufgesteck­ten dunklen Haarlocken, dessen Spitzenrüschen beim Spielen andauernd hin und her wippten, als ob sie bestätigen wollten, daß ich eigentlich in diesem Aufzug ein bedauernswertes Wesen sei.

Zweimal mußte ich auf der Bühne auftreten, das erste Mal mit zwei Kindern an der Hand, einem Mädchen und einem Knaben, die mir jedesmal hinter der Kulisse „eingehändigt" wurden. Diese beiden Kinder mußte ich veranlassen, sich „anständig" vor der Frau Gräfin zu benehmen, und durfte dann gleich wie­der abziehen. Das zweite Mal kam dann der große Auftritt. Die Frau Gräfin, die schon am Verzweifeln war, rief nach mir, in der letzten Hoffnung, durch mich eine Aufheiterung ihres Ge­müts zu erfahren. Ich kam mit meiner herrlichen spanischen HERNANDEZ-Gitarre aus den Kulissen hervor, verbeugte mich ehrerbietig vor der Gräfin und mußte - in etwa - die Worte sagen: „Wie gnädige Frau Gräfin befehlen". Dann begann mein Gitarrespiel, und es war jedesmal ein Riesenerfolg für mich und für mein Instrument, die damals noch gar nicht so bekannte und noch wenig populäre Solo-Gitarre. Aber vielleicht wollte ich mich durch besonders gutes Spiel auch für meine karge Adju­stierung „rächen", denn ich war damals eine recht eitle Person, und wäre lieber so wunderhübsch angezogen gewesen wie die junge Gräfin.

Ich weiß heute nicht mehr, wie weit, im Sinn des Stückes, die melancholische schöne Dame durch mich geheilt worden ist. Ich weiß nur, daß am Schluß des Stückes ihre Depressionen ver­schwunden waren und den Untertanen die frohe Botschaft einer Nachkommenschaft verkündet werden konnte, wobei eine der Hauptrollen, ein junger, fescher Bauernbursch, einen wesentli­chen Anteil gehabt haben dürfte. Genaues weiß ich jedoch nicht. Jedenfalls kam er mit klingender Münze davon, und ich nehme an, daß er sich einen eigenen Hausstand mit der in ihn verlieb-

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ten Zofe gegründet haben dürfte. Auch ohne meine mitreißende „Yota". Ole!

Nach diesem Erfolg wurde ich dann später vom selben Theater wiederum zu einem Gastspiel aufgefordert; es war aber ein Plan, der dann nicht realisiert werden konnte, da für mich in der dafür vorgesehenen Zeit eine Konzerttournee arrangiert worden war. Schade! Vielleicht wäre sonst mein Theatertalent entdeckt worden. Wer weiß, was der Welt nun entgangen ist.

„Die Ballade von der verliebten Jungfer in D" Nur für Eingeweihte!

Es war einmal ein D-Baß, worunter man wohl einen „er", also ein männliches Wesen, versteht, aber das ist in diesem Falle eine Travestie, und das nur, weil sich heutzutage Frauen gerne männlich geben. In Wirklichkeit aber war unsere D-Saite weib­lichen Geschlechts, eine Jungfer, und noch dazu eine leicht ver­liebte und vor allem sehr eitle. Zur Zeit befand sie sich auf einer Gitarre, die sich, auf einem Gartentisch liegend, langweilte und vor sich hin döste. Natürlich ist das kein richtiger Platz für eine Gitarre, und sie hätte ja auch viel lieber in einem Zimmer geruht als im Freien, wo durch das Laub funkelnde Sonnenstrahlen sie belästigten.

Aber es handelt sich hier ja gar nicht um die Gitarre selbst, son­dern um ihre D-Saite, die gefallsüchtige, stimmungsschwanken­de, silberne, in die sich eine Elster, die oberhalb des Tisches auf einem alten Birnbaum saß, verliebt hatte. Natürlich war es ein Elsternmann, ein ansehnlicher - das muß man schon sagen - der die silberne, glänzende Saite bereits die längste Zeit mit begehr­lichen Blicken betrachtet hatte. „Wie schön du bist!" krächzte der Vogel, „ich bin verliebt in dich, und möchte für alle Zeit dein Freund sein, dich verehren und verwöhnen wie kein ande­rer! Ich kann dich in ein Land entführen, wo die Wasser singen, der Eukalyptus duftet, und der Mond des Nachts im roten Hibis-kusstrauch ,Sirtaki' tanzt". „Das ist aber nicht mein Stil", raunzte die D-Saite enttäuscht. „Nun, dann eben woanders hin", krächzt der Rabe, und zuckt nervös mit seiner Schwanzfeder.

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„Ich möchte", sagt die Saite, „ich möchte am liebsten in das Tal des Echos fliehen, denn von LEO BROUWER habe ich einmal vernommen, daß es dort wunderschön sein soll!" - „Wohin du nur willst, du meine silberne Angebetete!" antwortet der Vogel.

„Alles Quatsch!" sagt die Gitarre und blickt die D-Saite vor­wurfsvoll an. „Du wirst doch nicht so dumm sein, meine Liebe, und glauben, was dir der Dampfplauderer da erzählt. Wenn du einmal dunkler geworden bist und nicht mehr so schön glänzt, wird es mit seiner Liebe bald vorbei sein, ich kenne diese Sorte der Männer!" „Ach", sagt die D-Saite, „du bist ja doch nur nei­disch, weil du selbst immer nur Solo spielst", und ihre Stimme klirrte dabei leise vor Erregung, was die Gitarre abscheulich fand. „Niemand mag das, wenn du so mit der Stimme schep­perst, und auch deinem Galan wird das nicht gefallen". Und dann überkam sie wieder die große Sommermüdigkeit und der Schlaf, so daß sie auf weitere Debatten verzichtete, obwohl sie noch allerhand zu diesem Thema hätte sagen können.

Die D-Saite dachte nun, sie müsse sich zusammennehmen, denn so einen attraktiven Freund bekäme sie so bald nicht wieder und warf dem Vogel schmachtende Blicke zu. So sanft wie nur mög­lich, damit man ihr flirrendes Timbre nicht hören sollte, sprach sie nun auch von ihrer Liebe. Dabei drückte sie ihre Besorgnis aus, daß sie nicht wüßte, auf welche Weise sie von der Gitarre loskommen könnte. Unglücklicherweise sei sie ja an ihr, an ih­rem Steg festgeknüpft. Der Rabe, der bereits auf einem tieferen Ast hockte und seine Federn aufgepludert hatte, damit er noch imposanter wirke, besah sich nun näher trippelnd den Knüpfsteg und flüsterte dann, geringschätzig auf die Gitarre blickend: „Diesen alten Drachen werde ich schon besiegen, das ist für mich überhaupt kein Problem. Wie ein Ritter um seine Kunigun­de werde ich um dich, meine Schöne, kämpfen. Deine Sorge ist lächerlich. Ich werde dich einfach mit meinem scharfen Schna­bel abbeißen, mein Schatz". — „Wie stark du doch bist", vi­brierte die D-Saite heiser vor Rührung und in der Hoffnung, ihrem Ziele nun schon ganz nahe zu sein. „Sage mir, wann wirst du kommen, mich abzuholen, wann wird das sein? Bald?". „Bald?" echote der Birnenbaum, der sich bis jetzt aus der Sache herausgehalten hatte, und er schüttelte sich so vor Lachen, daß eine seiner grünen, noch harten Früchte direkt neben dem Kopf

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der Gitarre herunterplumpste und diese vor Schreck zusammen­zuckte. Im Halbschlaf hörte man sie murmeln, was sich so ähn­lich anhörte wie: „Frechheit!... Dieser Alte, was er sich nur erlaubt...hat auch keine Manieren mehr.. .". Die Elster aber, die die Frage der D-Saite wohl verstanden hat­te, dachte sich: Eile mit Weile! - oder: Man soll nur nichts über­stürzen! (was auf dasselbe herauskommt), und zur D-Saite sagte der Vogel mit wichtigtuerischer Miene: „Am liebsten würde ich dich gleich mitnehmen, du meine Schöne, aber jetzt ist Som­merszeit, und da habe ich leider noch wichtige Geschäfte zu er­ledigen; aber im Herbst komme ich dich holen, du kannst dich auf mich verlassen!" - „Wirst du mir bis dahin auch treu sein?" fragte die D-Saite, nicht ohne Koketterie, indem sie aggressiv schepperte. „Aber sicherlich", antwortete der Vogel und kratzte sich, so daß einige Federn von ihm wegflogen. „Schäbig wird er auch schon", bemerkte die Gitarre, die zumindest ein Auge wieder geöffnet hatte, und auf den Elsterich deutend sagte sie: „Meine Liebe, schau ihn dir doch genau an, wie er da so schwarz und arrogant auf dem Ast sitzt und dich angafft! Ein ganz ordinärer Galgenvogel!" - „Das verstehst du nicht", sagte die Saite, „er hat doch auch sehr schöne weiße Federn, siehst du sie denn nicht?". „Natürlich sehe ich sie", sagte die Gitarre, „aber die Gattung der Elstern gehört nun einmal zu den Raben­vögeln".

Der Rabe hielt nun die Zeit für den Abschied gekommen und krächzte zu der Saite hinunter: „Nun muß ich aber wirklich zie­hen! Lebewohl, meine silberne Prinzessin, im Herbst komme ich wieder!" und er klatschte dazu mit seinen Flügeln, weil er einmal gehört hatte, daß sich das für einen Gentleman so zieme. „Addio, addio!" schluchzte die D-Saite, wie sie es nur bei ihren gefühlvollsten Solostellen zu tun pflegte, und sie schaute ihm nach, bis er ihrem Blick entschwunden war. Es dauerte lange, viel zu lange für die D-Saite, bis der Herbst ins Land gezogen kam. Auf dem Birnbaum hingen nun schon die gelben, saftigen Früchte, und mancherlei Vögel kamen da­her und naschten von ihnen. - Aber eines Tages dann - oh welche Freude, welch Entzücken! - saß auch der Rabenvogel wieder auf einem der Äste und hielt Ausschau nach seiner silbernen Schö­nen. Wie der Zufall oft spielt, lag just an diesem Tage auch wie-

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der die Gitarre auf dem Gartentisch und gönnte sich ein wenig Ruhe. Aber sie war nun viel zufriedener mit diesem Platz, denn die Sonnenstrahlen versteckten sich meist hinter den Wolken. Das war für sie viel angenehmer, denn ihr Teint war ohnedies genügend gebräunt. Als die D-Saite den Vogel bemerkte, stieß sie einen Jubelschrei aus und winkte ihrem Liebsten zu. Aber was war das? Der Rabe glaubte seinen Augen nicht zu trauen -war das wirklich seine silberne Prinzessin, für die er allen ande­ren glänzenden Dingen untreu werden wollte? Grau und verfal­len sah sie aus und sagte, ihre klirrende Stimme beherrschend: „Ach! Mein Liebster! Endlich bist du gekommen, nun werden wir gemeinsam fortziehen und für immer vereint sein!". „Hm, Hm", krächzte der Elsterich nach einiger Überlegung, „sei ge­grüßt! Ich kann es kaum erwarten, aber... denke dir nur, eben fällt mir ein, daß ich vergessen habe, meinen Schnabel zu schär­fen, um dich befreien zu können. Warte nur noch ein Weilchen, ich bin bald wieder zurück, meine Schöne!". Und weg war er. „Elendes Rabenvieh!" schreit ihm die Gitarre nach, die durch das Klagen der D-Saite erwacht war. „Ich habe dich vor diesem Burschen gewarnt, der kommt nicht wieder", sagte sie zur D-Saite, die untröstlich schien. - Trotzdem wartete sie weiter, aber - so wie es die Gitarre vorhergesehen hatte - natürlich ganz ver­gebens. Der Rabe ließ sich nicht mehr blicken. - Mit der Zeit hielten das die Nerven der Saite aber nicht mehr aus, zumal sie auch stellenweise schon gebrechlich geworden war, und das weiße Nylon vorwitzig hervorlugte.

Eines Tages gab es einen schrecklichen Knall, so daß es der Gi­tarre kalt über den Rücken lief. Die Saite war gerissen! Was hät­te sie in ihrer Situation auch anders machen können als zu reißen, die arme D-Saite?

„Heutzutage ist auf das Personal kein Verlaß mehr", sagte die Gitarre und betrachtete mit Mitleid (denn sie hatte ein gutes Herz!) die beiden dunklen, zerfransten Drahtteile, die auf bei­den Seiten traurig von ihr herunterhingen. „Sie war einmal eine Schönheit", sagte sie wehmütig, „in letzter Zeit hat sie zwar nur noch wenig getaugt, aber ich hatte mich an ihre Eskapaden ge­wöhnt. Hoffentlich wird ,die Neue' besser sein! Es ist wirklich ein Jammer, was einem auf dieser Welt alles passiert".

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Auf der Gitarre singen

Die Gitarre ist ein magisches Instrument!

Man muß sie dessen eingedenk spielen und sich ihrer Kraft be­wußt sein. Die natürlichste und einfachste Art, mit anderen Menschen musikalisch zu kommunizieren ist das Singen! Im Gesang wird auf verschiedene Weise ein wesentlicher Aspekt der Seele direkt angesprochen: Das Gemüt. Die Mutter singt ih­rem Kinde ein Schlummerlied und will ihm so ihren Schutz und ihre Liebe zum Ausdruck bringen. Man spricht vom ergreifen­den, aber auch vom verhängnisvollen Gesang der Sirenen. Ein Mann verliebt sich in die Stimme eines Mädchens, das er noch nie gesehen hat.

In den heiligen Schriften (Buch JESUS SHIRACH) kann man folgende Worte lesen: „Verkehr nicht mit einer Saitenspielerin, damit sie dich nicht durch ihre Töne gefangennimmt". - Sicher­lich besteht bei einem harten, spröden Ton keine Gefahr.

Immer wieder liegt in dem „singenden" Element, im Guten wie im Bösen, ein ergreifendes, blühendes und stark wirksames Et­was, eine der vielfachen Entsprechungen der menschlichen See­le. Es sollte nur in seinen natürlichen Bezug zu moralischer Verantwortung gebracht werden.

Wenn auch nach einem alten Märchen die singende Lorelei dem Fischer zum Verhängnis wird, so liegt es sicher nicht in der Ab­sicht eines Instrumentalisten, noch weniger des Gitarristen, mit seinem Spiel „Verhängnis" zu stiften. Die Gitarre soll erfreu­en,ihr schöner Ton wird nach wie vor geschätzt, geliebt, ge­wünscht.

Die Geige ist jenes Instrument, das der menschlichen Stimme am nächsten kommt. Ihr durch das „ Vibrato" des Spielers inten­sivierter und durch den Bogenstrich beliebig lang angehaltener Ton kann jubeln, klagen, rühren, berühren. Das Klavier hat zur Verlängerung des Tones das Pedal zur Verfügung, obwohl es sich dabei eigentlich nur um eine PseudoVerlängerung handelt. Der Ton der Gitarre ist weit ehrlicher und erwartet eine For­mung unmittelbar durch die Hand des Spielers. Von Natur aus kurzlebig und von etwas herbem Charakter, fordert er den Hö­rer nicht unbedingt zum Mitempfinden auf. Darauf beruht wohl

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auch die Tatsache, daß ein Mensch, der sich nicht direkt mit der Gitarre beschäftigt und keinerlei Beziehung zu ihr hat, von ihrer Klangstruktur oft nicht oder nur wenig berührt wird. Aber auch ein Teil ihrer Literatur, zumindest der alten und sogenannten ab­soluten Musik, erwartet stilistisch keine „blühende" Tonge-bung. Umso mehr aber tut das die „Moderne" in ihrer For­derung nach Farbigkeit und dramatischem Erleben.

Der Gitarreton ist „introvertiert", man muß in ihn sorgsam und sogar „mit einer gewissen Lebenseinstellung" hineinhorchen, und introvertiert sind zumeist jene Menschen, die die Gitarre lieben und sie spielen. Auf dieser Meinung beruht auch meine in einem Interview geäußerte Bemerkung, daß ich trotz der er­freulichen Zunahme der Beliebtheit des klassischen Gitarre­spiels (wenn man vom Popideal und ähnlichem absieht, das aus anderen Gründen die Massen anzieht), eine immense Verbrei­tung der Gitarre, so wie sie jeder Gitarrist erträumt, nicht er­warte, so sehr ich dies natürlich wünschen würde.

Man sollte sich jedoch hüten, den kleinen „Nachteil" der Gitar­re, nämlich die Kurzlebigkeit ihres Tones, aus purer Bequem­lichkeit zu einer Tugend zu machen. Jeder Streicher, der es doch gar nicht nötig hätte, da er den Ton beliebig verlängern kann, erzeugt beim Spiel andauerndes „Vibrato". Er erreicht damit zu seiner Bogenkantilene außerdem noch eine schwingen­de, belebende und verlängernde Wirkung der einzelnen Töne. Das ist es eigentlich, was den Zauber der Geige ausmacht. Der singende Mensch bleibt ihr Vorbild und letztlich muß er auch das Vorbild der Gitarre sein. Der berühmte Geiger und Kompo­nist TARTINI sagt: „Um gut zu spielen, muß man wissen, wie man gut singt". Der große Geiger JOSEPH JOACHIM meint, daß man seine Schüler nicht eindringlich genug auf das Vorbild des Gesanges verweisen kann, weil es das Gefühl für richtige Phrasierung weckt. Der Gitarrist, dessen Ton von Natur aus eher kurz, bei schlechter Behandlung „spröde" erscheint, glaubt, ein Vibrato nicht nötig zu haben. Er macht es nur dann und wann, wenn es ihm gerade in den Sinn kommt oder wenn es nicht zu viele Mühe verursacht. Auf diese Weise bringt er sein geliebtes Instrument mit dürren Klängen in Mißkredit, an­statt den der Gitarre eigenen Zauber zu präsentieren.

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Immer wieder muß ich in diesem Zusammenhang mein Zusam­mentreffen mit dem großen Dirigenten und Musiker WIL­HELM FURTWÄNGLER erwähnen, der anläßlich meines Vorspiels keineswegs meine Technik und Fingerfertigkeit her­vorhob. Als Voraussetzung eines Instrumentalisten erwähnte er sie nicht einmal. Vielmehr rief er sehr überrascht und erfreut aus: „Sie singen ja auf der Gitarre, das finde ich sehr schön." Dieser Ausspruch eines Großen gab mir damals viel Ansporn und die Gewißheit, auf dem richtigen Weg zu sein, ob das nun ein paar verstaubten Gitarristen gefallen mag oder nicht.

Übrigens: der Opernkomponist und Musikkritiker JULIUS BITTNER („Höllisch Gold") sagte einmal zu mir: „Seien Sie glücklich, daß Sie Gitarre spielen, sie ist ein vielseitiges Instru­ment. Der wirkliche Musiker ,singt' auf ihr".

Kritik aus „Münchner neueste Nachrichten" vom 5. November 1934:

—t. äCnn?ert einer (Sttarre! &amt ist es üblich, j u t (Sitarre ?u singen; ötesmal aber B a n g nie (Sttarre selbst! kit jubilierte in alten spanischen Metsen, im tän?elnnen JWemtett wie im märchenhaften Unlfeslteb unö im Zauber bes Maliers. Sine außeroröentlich schmierige Aufgabe, einen ganzen IKon?ertabenö nur mit dttarresptel auszufüllen! ffitrise H a l b e r mürbe bteser hohen Anforberung im uollsten JHaße gerecht.

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Brief an einen Schüler

Du schreibst, daß Du unlängst einen Gitarristen hörtest, der durch sein technisches und musikalisches Können unerwartetes Aufsehen erregte. Du möchtest ihm nachstreben sozusagen als Deinem Ideal, auch wenn Du es vielleicht nicht ganz erreichen würdest.

Ja, das ist gut! Bewahre Dir nur Deine Ideale, sie sind auf ver­schiedenen Ebenen Deines Lebens wichtig. Wenn Du keine Ideale mehr hast, bist Du alt, auch wenn Du noch so jung an Jahren bist.

Du hast in letzter Zeit allerhand Interessantes über das Gitarre­spiel gelesen; wie man es machen, und wie man es nicht machen soll, über die Haltung der Gitarre, den Anschlag und so weiter. Die Vielfalt der Ansichten hat Dich einigermaßen verwirrt. Du weißt einfach nicht mehr, was Du tun sollst?

Mein lieber, junger Freund, laß Dich nicht ins Bockshorn jagen. Es wird nichts neu „erschaffen", alles ist schon einmal dagewe­sen! Es handelt sich doch immer nur um Umformung, Verfor­mung oder Umwandlung alter Prinzipien. Warum sollte Dich das stören oder etwa gar zerstören? Oft stammen solche „fort­schrittlichen" Mitteilungen auch nur von flachen Neunmalklu­gen, oder von noch recht jungen Menschen, die mit wenig persönlichen Erfahrungen auf sich aufmerksam machen wollen. Laß ihnen doch das Vergnügen! Sie vermeinen die Weisheit ge­pachtet zu haben, man kann aber nichts pachten, wenn andere schon im Häuschen sitzen! Ich habe mich über diese „reformie­renden" Mitteilungen gut unterhalten: Steile Gitarrehaltung? Flache Gitarrehaltung? Der Spieler beugt sich über sein Instru­ment, als wollte er es erdrücken, oder er dreht seine Wirbelsäule um 90° (kann man denn das?). Vielleicht soll man überhaupt die ganze, lang erprobte Handhaltung verändern? Etwa gar den kleinen Finger auf die Decke stützen in der Manier der Laute­nisten?

Was kommt da nun alles zum Tragen! Glaubst Du, daß man mit derlei Scherzen ein hervorragender Spieler wird?

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Probiere alles, wenn es Dir Spaß macht, aber vermeide Fanatis­mus und vergeude nicht allzuviel Zeit. Wenn Du einmal an­fängst „herumzukränkeln", grübelst und Deine Finger zer­pflücken möchtest, ist es Zeit für Dich, Alarm zu schlagen! Sol­ches neurotisches Getue führt zu nichts, zumindest kommt nichts Positives dabei heraus. Ich kenne eine ganze Reihe sol­cher Tüftler und „Sucher". Sie zermartern sich ihr Hirn und ge­hen doch nur im Kreise um den Brunnen herum. Bleibe mit den Bewegungen Deiner Finger natürlich und ohne Verrenkungen! Sitze vor allem locker, ruhig und unverkrampft. Bei vielen ver­meintlich großartigen „neuen Erkenntnissen" (namentlich bei der Gitarrehaltung, die auch wiederum die Tongebung bedingt) muß man die Zeit und ihre jeweiligen Anforderungen berück­sichtigen. Heute wird z.B. vom Berufsgitarristen ein absolut großer, tragfähiger Ton gefordert. Ohne ihn ginge seine berufli­che Existenz in die Binsen. Deshalb wird er gut daran tun, dies durch eine ausgewogene und heute von allen namhaften Gitarri­sten gepflogene Gitarrehaltung zu erreichen. Es wäre falsch, sich am 19. Jahrhundert zu orientieren, in dem man sich mit ei­nem durchaus kleinen Ton begnügte. Also was soll's? Du lebst heute! Wenn Du aber das Kunststück einmal zustande bringen würdest, die Gitarre zur Abwechslung einmal wie ein Gewehr im An­schlag zu halten und dabei tonlich schön zu spielen (vielleicht auch im Kampfgetümmel mit Orchester) würde ich mich sicher­lich wundern, aber trotzdem zu Dir sagen: „Ich freue mich! Du hast viel erreicht, mach nur so weiter, mein lieber Freund!".

Prüfe selber, und wenn Du wieder einmal von einer ganz bedeu­tenden „Reform" hörst, von etwas „noch nie Dagewesenem", beherrsche Deinen Zorn und lächle! Lächeln ist die Reaktion des Weisen, auch wenn es um Unsinn geht. Du wirst damit nie­manden beleidigen und auch keinem einen Stein aus seiner ver­meintlichen Krone brechen.

All Dein Üben führe mit Konzentration und äußerster Akribie aus. Wenn Du Dir angewöhnst, schlampig zu sein, wird es Dich eines Tages wie eine Lawine überrollen. Dann wird es schwie­rig, Dich herauszuholen. Baue keine Probleme auf, die in Wahrheit gar nicht existieren, bleibe unverkrampft, locker und gelöst! Prüfe, ob Du für dieses

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schwierige und komplexe Instrument - die Gitarre - wirklich be­gabt und berufen bist. Wenn ja, vertraue fest darauf, daß es Dir mit Hilfe eines in der Praxis erfahrenen Lehrers gelingen wird. Dein Ziel zu erreichen, ohne Dich zu einem kribbligen Nerven­bündel gemacht zu haben. Verliere nie Dein Ziel aus den Augen.

Hüte Dich, gewachsene Tradition in ihren klugen Bemühungen und bereits vielfach erprobten Erfolgen gering einzuschätzen oder gar zu verleumden. Sie ist letztlich der Schlüssel zu Deiner Zukunft, der Dir das Tor zu Deiner Künstlerschaft öffnen kann. Laß das gelten, was sich der Zeit entsprechend, in der Du wirkst, als positiv erweist. Sei selbstsicher, aber bleibe andern gegenüber tolerant. Prüfe alles und entwickle Deine überzeu­gende Eigenart.

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Auf den Spuren Napoleons

Oft schon habe ich meine Gitarre in ein anderes Land getragen. Diesmal sollte es ein besonderes, recht sonniges sein. Aus ei­nem verregneten Frühling meiner Heimat zog ich über das Mit­telmeer zu den Palmen Korsikas, nach Ajaccio, der Hauptstadt dieses Landes. Österreichisches Musikantentum sollte sich dort für einige Abende zuhause fühlen. Mein Solo-Konzert in Ajac­cio wurde ein großer Erfolg.

Der erste Eindruck von dem Land war eine Überraschung für mich: Korsika macht den Eindruck eines Napoleonmuseums. Fleißige, fast „modern" anmutende Leute zeigen den Fremden mit echtem Stolz gleich am ersten Tage alles, was es an Napole­onreliquien gibt, bevor man noch in ein anderes Gespräch kom­men kann. Und dann sprechen sie sogleich davon, daß sie die Alten geblieben sind, von ihren Festen angefangen bis zur Blut­rache!

Wilde, zerklüftete Gebirgsmassive, bis zu 2700 m hoch, ma­chen das glaubhaft, was sie in ihrer verhaltenen Leidenschaft zu berichten wissen. Palmen und reiche Parkanlagen weisen auf ih­ren Sinn für Kunst und Schönheit. Jedes Stück, das jemals ein korsischer Künstler geschaffen hat, wird sorgfältig erhalten. Auch meine Musik wurde mit viel Bereitschaft und Verständnis aufgenommen. Die Gitarre ist auch dort im Volke heimisch; man glaubt, in Spanien zu sein.

Die Stadt Ajaccio hat eine eigene Hymne, die „Ajacienne" ge­nannt; sie ist eigentlich ein Napoleonlied. Wenn diese Hymne gesungen wird, erhebt sich alles von den Sitzen.

Es gibt in Ajaccio drei Napoleondenkmäler, eine Napoleongrot­te mit reizvollen Wasserspielen, kleinere Napoleon-Gedenk­stätten. Wenn man sich ein Taschentuch kauft, ist bestimmt an einer diskreten Ecke ein Napoleonkopf zu finden.

Am Tage nach meiner Ankunft in Ajaccio begleitete man mich zu einem Empfang ins Rathaus. Im festlichen Empfangssaal be­grüßte mich außer dem Herrn Bürgermeister und wichtigen Per­sönlichkeiten der kühle, faszinierende Blick aus NAPOLEONS Augen von einem riesigen Gemälde an der Wand.

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Die Familie Napoleons, in der fast jeder ihrer Mitglieder einmal im Leben ein gekröntes Haupt oder zumindest ein Staatsmann war - weist nur eine einzige Ausnahme dieser Regel auf: einen schlichten Poeten, der auf einem ebenfalls schlichten Bild zu se­hen ist; einer von Napoleons Brüdern.

Es wird vielleicht auch interessieren, daß sich in diesem Saal ei­ne der schönsten Statuetten des HERZOG VON REICHS­STADT, des Sohnes Napoleons aus seiner zweiten Ehe mit der Österreicherin MARIE LUISE, befindet. Es ist im Wert etwa einem Gemälde des LEONARDO DA VINCI gleich. Tief be­rührte mich, als man mir mit besonderer Liebe diesen kleinen Kinderkopf zeigte und dabei in sehr charmanter Weise bemerk­te, daß unsere Länder durch den L'Aiglon eigentlich verwandt seien.

Obwohl der gebildete Korse französisch spricht, ist die Volks­sprache dort eine Art italienisch. Man singt gerne und viel, in der Hauptsache Volkslieder. Sie erzählen von Liebe, Eifersucht und - Rache, korsikanisch „Vendetta". Ein ungeschriebenes Ge­setz betrachtet die Rache an dem Schuldigen und dessen Ver­wandtschaft als eine Ehrenpflicht. Ich glaube aber, daß es der heutige Korse mit der Rache kaum mehr so ernst nimmt wie in alten Zeiten. Auf den Straßen spielt man mit Begeisterung „Boule". Alle nehmen interessiert an dem Verlauf des Spiels Anteil. Freundschaft und vor allem Gastfreundlichkeit sind - wie eh und je - eine liebenswerte Charaktereigenschaft der Korsen.

Bereichert durch diesen interessanten Aufenthalt habe ich dann wieder das Schiff bestiegen, das mich zurück nach Marseille bringen sollte, und bin - welch ein Wunder! - ausnahmsweise einmal nicht seekrank geworden.

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Das Vibrato auf der Gitarre

Um es vorwegzunehmen: Vibrato ist - geschmackvoll angewen­det - keine nostalgisch orientierte Angelegenheit und kann jeder zeitgemäßen Interpretation zum Vorteil dienen.

Ich möchte in diesem Buch keinen Unterricht erteilen, aber mei­ner Erfahrung gemäß ist das Vibrato ein so gravierender Be­standteil der Gitarretechnik, daß ich dieses Thema doch in aller Kürze behandeln möchte.

Vor allem muß gesagt werden, daß das Vibrato auf der Gitarre von dem der Violine oder einem anderen Streichinstrument in der Ausführung abweicht. Ich kann das konkret sagen, da ich selber Violine spielte. Der Zweck des Vibrato ist jedoch stets der gleiche: die schwebende Verlängerung des Tones, seine Veredelung, seine Lebendigkeit, seine Tragfähigkeit.

Das Vibrato sollte nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell ausgeführt werden und muß sich andauernd verändern können. Es darf nicht „jaulen" (zu langsames Vibrato) und nicht nervös wimmern (dann meist „Bauchweh-Vibrato" genannt). Vielleicht bietet der warme, schwingende Ton eines Cellos dem Gitarri­sten ein gutes Beispiel.

Bei den Streichern wird das Vibrato „legerer" ausgeführt als auf der Gitarre. Einer schnellen, drückenden Bewegung der Finger­kuppe der linken Hand aufwärts folgt sofort eine Abwärtsbewe­gung ohne Druck. Letzteres ist eine fast reflektierende Bewe­gung, die mit oder auch ohne Beteiligung von Handgelenk und Unterarm stattfinden kann. Das Vibrato auf der Gitarre erfor­dert ein direktes „Massieren" der Saite mit der Fingerkuppe nach beiden Richtungen in Aufwärts- und Abwärtsbewegung. Das Handgelenk muß dabei ganz locker mitschwingen, der Un­terarm völlig entspannt mitgehen. Jegliche Anspannung und Verkrampfung in Handgelenk oder Unterarm wirkt sich ungün­stig aus. Statt den Ton zum Fließen zu bringen, wird er zurück­gehalten, gestoppt. Die druckverteilende Bewegung der Finger­kuppen erfolgt ellipsenartig, gedanklich aber vielleicht am be­sten in der Parallelrichtung der Saite. Eine rotierende Bewegung dabei ist schlecht. Der Daumen, rückwärts am Hals, muß ganz locker und unverkrampft aufliegen.

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Die Art des Vibrato (schneller oder langsamer, leichter oder kräftiger) richtet sich nach dem Stil der zu spielenden Musik. Bei alter Musik wird man es nur minimal einsetzen oder ganz vermeiden. Die moderne Musik dagegen verlangt viel Farbe und deshalb eine besonders kultivierte und differenzierte An­wendung dieser Technik.

Es ist nicht nur mit der richtigen Vibratobewegung der linken Greifhand getan. Ganz besonders wichtig ist, die Stärke des An­schlags mit dem Vibrato der Greifhand richtig aufeinander ab­zustimmen. Die beste Relation zwischen den beiden Händen muß gefunden werden. Wenn es sich dabei z.B. um ein „nob­les" Cantabile handelt, ist die richtige Relation zwischen links und rechts durchaus ausschlaggebend für eine harmonische Klangwirkung. Man wird in diesem Fall links die Stärke des Vi­brato forcieren, dagegen rechts beim Anschlag etwas nachgeben und vorsichtiger sein müssen. Je kraftvoller der Einsatz der rechten Anschlaghand ist, umso mehr muß links „gearbeitet" werden, wenn es sich nicht um ein hartes, rauhes „Forte" han­deln soll.

Beim Vibrato muß man genau erfühlen, ob und wie stark die Saite überhaupt mittut und zum Schwingen kommt. Meist wird man links „mehr tun müssen" als rechts beim Anschlag.

Wie soll man nun üben? Am besten wird es sein, einmal das zu tun, was man „Tonspinnen" nennt. Das heißt, man muß lernen, die Tonqualität einmal einzustellen. Mit Ruhe und Geduld sollte man zunächst einmal chromatische kleine Passagen auf dem D-Baß in einer höheren (etwa der VII.) Lage abspielen und dann erst auf die höheren Saiten übergehen.

Es ist ungemein schwierig, diesen so subtilen Bewegungsablauf des Vibratospiels mit seinen winzigen, unterschiedlichen Facet­ten verbal zu erklären. Man kann es eigentlich nur anschaulich vorzeigen. Dennoch glaube ich, mit den gegebenen Tips auf we­sentliche Faktoren aufmerksam gemacht zu haben. Denn: Gitarre­spiel ohne Vibrato ist für mich wie eine Wiese ohne Blumen.

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Sechs Saiten

sind mir übers Herz gespannt.

Ich fürchte, daß meine leichten Fingi

seine Geheimnisse verraten.

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Konzertdirektor G e o r g Kugel

Aus „Der Morgen" vom 28. November 1932 (Wien)

ffiUesengage für eine ffliiener Künstlerin

"Bar wenigen (Sagen uiuröe in Dien ein interessanter ÜKon?ertuertrag abgeschlossen, l i e bebannte (Sitarre-uirtuosin Simse Halber, ein üläöcben uon 20 Hlabren, uiuröe nacb Ameriba engagiert unö öie JWanager, öie sie für örei 3labre uerpflicbteten, baben ibr eine iSie-sengage zugesagt.

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Konzertreise nach den USA

Kurz nach Weihnachten 1932 meldete sich telefonisch die Wie­ner Konzertdirektion GEORG KUGEL: „Bitte, kommen Sie bald zu uns, ein Manager aus Amerika ist hier und interessiert sich für Sie!" Das war für mich einschneidend. Ich eilte!

Da Direktor Kugel gerade in einer Besprechung war, bat man mich, etwas zu warten. In einem der Clubfauteuils saß bereits ein schmales, blasses Bürschlein und baumelte mit den Beinen. Es war der kindliche Pianist FRIEDRICH GULDA, für den ebenfalls Konzerte arrangiert werden sollten.

Bald darauf wurde mir der amerikanische Manager, ein gebürti­ger Russe, der gut Deutsch sprach, vorgestellt. Er hatte eben ei­nen Vertrag mit der berühmten Tanzgruppe der Schwestern WIESENTHAL abgeschlossen. Nun sollte auch ich die Mög­lichkeit haben, über das große Wasser zu reisen, so quasi in eine andere Welt, in einen anderen Kontinent, der mir fremd war.

Da ich von zu Hause aus zu den „wohlbehüteten" Töchtern zählte, hatten meine Eltern vorerst Bedenken. Jedenfalls litten sie unter der Vorstellung, ich könnte irgendwelchen Räubern oder Gangstern in die Hände fallen, eine Furcht, die zu damali­ger Zeit wohl weit weniger begründet war als heute. Ihre wilden Phantasien konnte ich aber doch mit einiger Diplomatie zer­streuen, und ich entschloß mich, das sehr lukrative Angebot an­zunehmen.

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Von diesem Zeitpunkt an waren die Wiener Tageszeitungen überschüttet mit Berichten über diese „Sensation". So hieß es unter anderem: „Junge Wienerin macht ihr Glück", oder „Wie­ner Künstlerin mit Riesengage nach USA engagiert". Die Re­porter überboten sich. Noch eifriger waren die Illustrierten­blätter, in denen meine Fotos in allen möglichen Lebenssituatio­nen zu sehen waren: schmusend mit meiner Katze „Schnurri", in einem Kochtopf herumrührend und - gemeinsam mit meinen Eltern - glücklich in die Kamera lächelnd. Ich fühlte mich auch wirklich glücklich! Welcher junge Mensch wäre da nicht begei­stert gewesen?

Zu jener Zeit stand der Passagier-Flugverkehr von Europa nach den USA noch am Beginn. Zumeist buchten Amerikareisende einen Platz auf einem Ozeandampfer. Der damals schnellste und komfortabelste war die „Bremen" vom Norddeutschen Lloyd, die zur Überfahrt etwa vier Tage benötigte. Ich fuhr an Bord des deutschen Ozeandampfers „Berlin", einem Vergnügungsdamp­fer, der etwas kleiner war und etwa zehn Tage brauchte, dafür aber ruhiger fuhr und weniger schlingerte. An Bord gab es außer dem üblichen Komfort eine Apotheke, ein Spital, einen Opera­tionssaal und die Möglichkeit, sich auf besonderen Wunsch auch ganz erstklassig einbalsamieren zu lassen. Etwas makaber, aber für leidende Seekranke, zu denen ich mich leider schon in den ersten Tagen zählen mußte, eine tröstliche Verheißung. Glücklicherweise änderte sich das stürmische Wetter bald - Po­seidon schien mir gnädig zu sein. Der Aufenthalt an Bord war durchaus angenehm. Platz gab es ausreichend, denn anstatt der vorgesehenen 250 Passagiere befanden sich nur 38 an Bord. Am sogenannten „Kapitänstisch" lernte ich neben dem Kapitän, einem äußerst kultivierten und kunstbegeisterten Deutschen, auch die Gattin des deutschen Uhrenfabrikanten JUNGHANS kennen; es entstand eine herzliche Freundschaft und sie lud mich später zu einem Konzert nach Deutschland ein. Der Kapi­tän war in New York ein eifriger Konzertbesucher und mit den Usancen der mir fremden Welt vertraut; er gab mir auch man­chen interessanten Tip bezüglich des dortigen Publikums, der sich für mich späterhin bewährte.

Um mich für etliche mir erwiesene Annehmlichkeiten zu revan­chieren, erklärte ich mich bereit, an Bord ein kleines Privatkon-

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zert zu geben, was ich aber nie mehr tun würde. Das ist nämlich eine höchst unangenehme Sache, selbst bei verhältnismäßig ru­higem Wetter! Vom Stuhl und Fußschemel angefangen bis zur Gitarre, die ich andauernd zurechtrücken mußte, da sie mir zu entgleiten drohte, bis zu den zittrig erscheinenden Bünden, schaukelte und schwankte alles in sanftem Rhythmus, als hätte ich einen Schwips. Wahrscheinlich aber ist das Musizieren auf einem Schiff auch nur Gewohnheitssache, auf die man sich ein­stellen muß. Für mich war es ein neues Erlebnis. Jeden zweiten Tag stand in meiner Kabine ein roter Rosenstrauß; von wem er wohl bestellt wurde? Ich weiß es bis heute nicht. Überraschen­des Geschenk eines „Daheimgebliebenen"? Das Meer beruhigte sich wieder und strahlte blau; die liebe Gesellschaft von Men­schen, die etwas zu sagen hatten, war sehr nett - was konnte man sich mehr wünschen? War es nicht ein schöner und hoffnungs­voller Auftakt meiner Konzertreise?

Nach Anlegen an der Mole in New York und nach Abschluß der behördlichen Formalitäten mußte ich mich noch - auf Wunsch meines Managers - in voller Adjustierung, also mit Winterman­tel, Hut und auf dem Schoß die Gitarre im Etui, auf der Reling sitzend fotografieren lassen. Abgesehen davon, daß die Taue auf der Sitzfläche nicht wohltuend waren, wunderte es mich, daß ich unter diesen Umständen nicht ins Wasser gestürzt bin. Ei! wäre das erst ein toller Reklametrick gewesen, ganz im Sinne meines Impresarios!

Der Fotograf forderte mich auf, zu lächeln. Das Lächeln sollte dokumentieren, daß ich erstens gut angekommen und zweitens strahlender Laune bin, obwohl ich es in Wirklichkeit gar nicht war; in der letzten Nacht hatte wieder ein Sturm getobt und ich fühlte mich noch ausgesprochen mies.

In meinem Hotel am Times Square fand ich eine Einladung zum Empfang beim New Yorker Bürgermeister vor. Erst nachträg­lich hatte ich erfahren, daß mich mein schlauer Manager bei den Zeitungen als Nichte des Bürgermeisters bezeichnete, der auch „Walker" hieß. Ich konnte mir gut vorstellen, daß Bürgermei­ster WALKER nicht gerade erfreut war über dieses Manöver. Vor allem schien es ihn zu interessieren, seine angebliche Nich­te kennenzulernen. Für diesen Empfang hatte man mir drei

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Sätze eingepaukt, da meine Englischkentnisse höchst dürftig waren. Im bezeichneten Augenblick brachte ich sie aber nur auf Raten über die Lippen, was den Bürgermeister sichtlich erhei­terte. Er meinte dann noch, daß er sich eine so „reizende Nich­te", auch wenn es nicht ganz stimmte, gerne gefallen lasse. Wenige Stunden später stand dieses Intermezzo schon in den Zeitungen.

Indessen verbreitete man heftig weitere Propagandamärchen. Weil über mich persönlich kaum mehr zu sagen war, wurde nun mein Vater herangezogen und als „gebürtiger Chikagoer" aus­gewiesen.

Hier war eben alles anders - im Gegensatz zu Europa: unbere­chenbarer und härter. Mir wurde bald klar, daß ich eine andere Welt betreten hatte, an deren andere Lebensanschauung und ge­sellschaftliche Verhältnisse es sich anzupassen galt.

Auch das Publikum, erzählte man mir schon auf dem Schiff, un­terscheidet sich von dem in den europäischen Städten; es ist nie zu berechnen, gebärde sich zum einen Teil enthusiastisch und zum anderen Teil müde und blasiert. So sind die berühmten, bei uns gefeierten Sänger RICHARD TAUBER und ELISABETH SCHUMANN beim New Yorker Publikum nicht besonders „angekommen", während die Sopranistin VERA SCHWARZ ganz besonders akklamiert wurde. Auch über die Instrumenta-listen kursierten alle möglichen Gerüchte, so daß mir langsam die Angst über den Rücken kroch. Wie würde es mir unter die­sen Umständen ergehen? Mein künstlerisches Geschick erschien mir als großes Fragezeichen; mein Schlaf wurde unruhig. Nach Hause schrieb ich nichts von meinem Bangen, um meine Eltern nicht zu ängstigen. Sie wollten nur wissen, daß ich gesund bin und mir kein Unheil widerfahren ist.

Zu meiner übergroßen Freude waren meine ersten Konzerte in der Town-Hall (1500 Personen Fassungsraum) und eine Mati­nee im Baltimore-Theater ein großer Publikumserfolg. Man versicherte mir, es ist ganz selten, daß das Publikum auch nach den Zugaben zögernd den Saal verläßt. Nach den Kassandra­rufen, die mich verunsichert hatten, war das nun für mich eine große Erleichterung, die ich genoß. Gleich nach dem ersten Konzert erhielt ich in der New Yorker Presse acht Kritiken, von

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denen sechs äußerst begeisternd und wohlwollend waren. Bei den beiden anderen schnaubte mein Manager (er war Russe und bezeichnete die Amerikaner gerne als „Indianer"); sein ganzer Grimm entlud sich in unmißverständlichen Worten und abfälli­gen Gebärden. „Diese Indianer sind Schweine!" rief er aus, „die beiden Reporter sind nämlich von der Konkurrenz bestellt und wollen mich nur zugrunde richten!". Er setzte es dann auch durch, daß von den beiden ominösen Zeitungen zukünftig ande­re und nicht „geschäftsschädigende" Rezensenten entsandt wur­den. Da sich diese Affäre nicht gegen meine Kunst, sondern seiner Meinung nach vielmehr gegen sein neues Geschäft richte­te, konnte dieses Intermezzo meine glückliche Stimmung nicht trüben.

Bei meinen ersten New Yorker Konzerten waren außer meinem „Onkel", Bürgermeister Walker, auch einige bekannte Persön­lichkeiten des Kunstlebens im Publikum, die sich im Künstler­zimmer vorstellten. Darunter der schon lange in New York ansässige österreichische Pianist und Musikpädagoge ADLER, der mir anläßlich einer Musikparty in seinem Hause, bei der auch ich spielte, ein sehr altes, hochinteressantes Buch verehrte. Eine Sammlung der berühmten und gefürchteten Hanslikschen Konzertkritiken, die jede für sich ein literarisches Kunstwerk darstellen. Das Buch stammt aus dem Besitz des RAPHAEL JO-SEFFY, einem der letzten LISZT-Schüler und Lehrer MORITZ ROSENTHALS.

BARON POPPER, der Gatte der Kammersängerin MARIA JE-RITZA, lud mich zu einer Party bei seiner Frau ein; die Altistin MARIA OLSZEWSKA, ein Star der Wiener Staatsoper, war ebenfalls anwesend und schmeichelte mir mit liebenswürdigen Worten. Ihr Anblick entlockte mir unvermeidlich ein Lächeln. Beide Primadonnen (Jeritza und Olszewska) hatten sich kurze Zeit vorher an der Wiener Staatsoper ein feuchtes „Spuckduell" geliefert, das in der Kunstwelt Aufsehen erregte und von allen Zeitungen glossiert wurde. Auch Kammersänger ALFRED JERGER, mein späterer Trauzeuge, hatte mir persönlich dar­über berichtet, so daß ich über die Hintergründe dieser Affäre hinlänglich informiert war. Trotzdem konnte ich es nicht fassen, daß diese beiden wunderbaren Künstlerinnen sich derart als kämpf freudige Walküren gebärden konnten. Ich besuchte auch

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ein sehr schönes Konzert der Olszewska und einen Opernabend, an dem sie in der Metropolitan Opera sang.

Ich glaube, es war der Pianist FRIEDRICH WÜHRER, der die subtilen Differenzierungsmöglichkeiten auf der Gitarre bewun­derte. Ein Geiger der Metropolitan Opera beneidete mich um die perlenden Arpeggien, die er zum Beispiel bei der Bach-Chaconne nur mühevoll und keineswegs so klangschön ausfüh­ren könne wie der Gitarrist. So etwas zu hören, ist jedenfalls Balsam für ein Gitarristenherz!

Neben den Bemühungen meines Impresarios hatte ich auch per­sönlich Gelegenheit, gesellschaftliche Verbindungen zu knüp­fen. Er nahm es höchst mißbilligend zur Kenntnis und fürchtete, durch meine eigenwilligen Touren könnte ihm Geld durch die Lappen gehen. Ich hatte nicht die Absicht, ihm solches anzutun. Jedenfalls wurde ich gesellschaftlich viel „herumgereicht". In diesem bunten Treiben konnte es nicht ausbleiben, daß auch für mich die blaue Blume der Romantik, in Form einer kleinen Ro­manze, ihre Wurzeln schlug.

In meiner guten Laune hatte ich mir in einem der besten Ge­schäfte einen himbeerroten Hut und eine dazu passende Hand­tasche gekauft. Meine Verwandte PEGGY, österreichischer Herkunft und mit ihren Eltern vor Jahren nach den USA ausge­wandert , begleitete mich sehr oft. „Für JOHN?", fragte sie ein bißchen indiskret, da sie von meiner Romanze erfahren hatte. ..Ja", sagte ich, „wenn Du willst, für John!" - „Rot steht nicht jedem", meinte sie, „aber Dich kleidet die Farbe gut!" - „Dan­ke", erwiderte ich, „aber glaube mir, ich bin ein so eigenwilli­ges Geschöpf, daß ich den Hut auch nicht herunternehmen würde, wenn er anderen nicht gefällt". - „Komm", sagte ich, um das Thema zu beenden, und zog Peggy in die Nähe des Re­staurants, in dem ich zum Dinner verabredet war. Mit John. Die Gute wollte nicht stören und verabschiedete sich, nicht ohne mir den Hut etwas mehr in die Stirn gezogen zu haben. „Er wird ihm gefallen", meinte sie. Sie hatte recht.

Da in Amerika die Zeit der „Prohibition" herrschte und es streng verboten war, Alkohol zu trinken, konnte ich auf diesem Gebiet heitere Episoden aus nächster Nähe miterleben. So war es überaus komisch, wenn in einer vornehmen Gesellschaftsrunde

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unter einem noblen Sakko plötzlich eine Whiskyflasche zum Vorschein kam, an der sich alle im Kreise delektierten; die Da­men zogen sich zu diesem Zweck in die Toilette zurück. Bei ei­nem privaten Kammermusikabend entdeckte ich zu meinem Erstaunen in einem Cellokasten ein für diesen Zweck konstru­iertes Fach (Zur Nachahmung empfohlen?).

Einmal konzertierte ich auch im „Dutch-Trading-Club", dessen Mitglieder - nur Herren - sich vornehmlich aus Geschäftsleuten, Ärzten, Malern und anderen Künstlern rekrutierten. Zu meinem Konzert waren zirka 250 Herren eingetroffen, eine Situation, die ich bisher noch nie erlebt hatte. Die Stimmung war gut, die Zuhörerschaft sehr aufgeschlossen und aufmerksam. Nach dem Konzert fragte mich einer der Herren etwas provokant: „Nun, Miss Walker, hatten Sie eigentlich vor soviel Vertretern des starken Geschlechts keine Angst?" - „Oh nein! Ganz und gar nicht", erwiderte ich. „Erstens weiß ich nicht genau, ob es sich um das „starke" Geschlecht handelt, und im übrigen - je mehr Männer, desto ungefährlicher empfinde ich sie! Für mich stellen sie dann eher so etwas wie ein Neutrum dar". Ich glaube mich erinnern zu können, daß der Fragesteller dann nur etwas mur­melte und bald darauf aus meiner Sicht verschwand. Vom Präsi­denten dieses Clubs wurde mir dann im Laufe eines festlichen Dinners, bei dem auch nicht nur Limonade getrunken wurde, ein „Orden" verliehen. Vielleicht für Tapferkeit vor dem Feind?

Es gibt eine Anekdote, die in diesem Zusammenhang - aller­dings mit umgekehrten Vorzeichen - zu diesem oben erwähnten Erlebnis im Dutch-Trading-Club paßt: Der bekannte deutsche Maler ADOLF MENZEL (er malte übrigens in Berlin meinen Vater als Knaben), konnte Weiberröcke nicht leiden und wurde deshalb in einer vornehmen Damengesellschaft von einem der wenigen anwesenden Herren gerügt. Menzel, auch „die kleine Exzellenz" genannt, sagte daraufhin ganz erstaunt: „Ich verste­he Sie nicht und weiß eigentlich wirklich nicht, was Sie wollen; schauen Sie denn ein weibliches Krokodil anders an als ein männliches?".

Ich hatte für Amerika drei verschiedene Programme vorbereitet; sie enthielten neben der alten Gitarreliteratur (Renaissance und Barock) auch die damalige Moderne. Vorherrschend spielte ich aber typische Virtuosenstücke, wie unter anderem die „Yota

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arragonesa" und die „Carneval-Variationen" in einer eigenen Version. Mit einigen Transkriptionen hatte ich meistens sehr großen Erfolg; heute würde ich sie nicht mehr spielen. Der Zeit­geschmack hat sich wesentlich geändert, obwohl es heute sogar eine Renaissance einiger spezieller Gitarrekomponisten gibt. Sie geht von den USA aus und ist mir trotz meiner Liebe zur Ro­mantik nicht verständlich. Meine besonderen Erfolgsstücke, so­weit es die Bearbeitungen betrifft, waren wie bei LLOBET das „Nocturne" Es-Dur von CHOPIN und die entzückende „Ber-ceuse" von SCHUMANN. Diese beiden Stücke existieren auch auf einer meiner alten Schallplatten, die aber schon lange nicht mehr erhältlich ist. Über die Problematik von Transkriptionen ließe sich lange diskutieren. Sicherlich aber erfordern sie vom Zuhörer die Bereitschaft, sich von eingesessenen Klangidealen und -Vorstellungen zu lösen. In einigen Fällen erscheint es viel­leicht unbotmäßig, solche Bearbeitungen für ein anderes Instru­ment vorzunehmen; oft aber waren es die Komponisten selbst, die ihre Werke mit Vorliebe auch für andere Instrumente ein­richteten. Wahrscheinlich gibt es nicht nur auf diesem Gebiet „Modetrends".

Einmal gab ich ein Konzert in einer kleineren Stadt in der Nähe von New York. Es wurde von einer Vereinigung veranstaltet, die einen vielfachen Dollarmillionär als Präsident hatte. Er war ein recht liebenswürdiger, schon älterer Mann, der in sehr auf­fälliger Weise um mich herumtänzelte. „Sehen Sie nicht", flü­sterte mein Impresario, „daß der alte Indianer ganz verrückt nach Ihnen ist? Wenn Sie geschickt sind, können Sie ihm eine Million Dollar abknöpfen!" - „Hören Sie auf damit", erwiderte ich, „Sie denken doch immer gleich an Ihre Prozente. Ich will nichts mehr davon hören!". De facto hatte mir der „alte India­ner" zum Konzert nicht einmal einen Blumenstrauß spendiert.

An den weiteren Plätzen meines konzertanten Wirkens, das sich nicht nur auf die Großstädte beschränkte (außer Philadelphia und Chicago), hatte ich erfreulicherweise künstlerisch immer positive Erfolge. Nach meiner Ankunft in New York sollte ich ein Konzert in New Jersey geben. Es ist leider dazu nicht mehr gekommen. Die Wolkenkratzer des Broadway, wo sich gerade neben anderen „Sensationen" die Uraufführung des Monster-Films „King-Kong" auf Riesenplakaten ins Blickfeld drängte,

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waren zwar nicht eingestürzt, aber ihre Finanz- und Wirtschafts­imperien wackelten empfindlich. Der King-Kong-Affe lächelte ungerührt dazu. Der große New Yorker Börsenkrach weitete sich zu einem weltweiten Desaster, das mancherlei Spekulatio­nen und Pläne abrupt beendete - auch meine Tournee. Mein Ma­nager hatte schon durch die Tanzgruppe Wiesenthal, deren Stil in Amerika kein Interesse erregte, bereits viel Geld verloren und erklärte sich durch dieses neue Trauma finanziell ruiniert. Über einen Rechtsanwalt und mit Hilfe des österreichischen Konsu­lats konnte ich dann meine Rechte in Form eines Vergleiches re­geln; meine finanziellen Einbußen hielten sich in Grenzen.

Im Anschluß an die Stornierung meines Vertrages wollte mich „ROXY", der damalige König der Filmwelt und Show-Branche (in dessen Imperium konnte man nur durch einflußreiche Freun­de gelangen), zusammen mit einem Mitglied der Familie ROCKEFELLER im Rahmen einer seiner großen Shows prä­sentieren. Er war von mir sehr begeistert und machte mir ein lu­kratives Angebot. Um bei ROXY auftreten zu können, mußte man wirklich etwas können und noch dazu gut aussehen. Dieses Angebot brachte mich in ein persönliches Dilemma. Wäre das Ganze in der heutigen Zeit gewesen, in der berühmte Sänger, Schauspieler und Staatsmänner ohne Skrupel in nicht immer be­sonders qualifizierten Shows und im Fernsehen auftreten, so hätte ich dieses außerordentlich gute Angebot bestimmt ange­nommen und viel Geld verdient. Damals fürchtete ich aber, durch dieses Engagement zu sehr in die Sparte der Artistik abge­drängt zu werden und damit meine Konzertkarriere zu schädi­gen. Ich erteilte dem „Show-Fürsten" mit einem weinenden Auge kurzerhand eine Absage. Heutzutage haben sich die Li­nien ganz beträchtlich verwischt. Aber damals brachte mich mein Prestige-Denken - vielleicht künstlerisch begründet und gegenwärtig in der Welt der Gitarristik eher überholt - früher als gedacht wieder an Bord eines Ozeandampfers in Richtung Bre­men. Nach einem kurzen Abstecher für ein Sondergastspiel beim Deutschen Rundfunk kehrte ich dann wieder in meine Hei­mat zurück.

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Nachsatz

John, der wunderbare Künstler, der mich so gerne heiraten wollte, ist zurückgeblieben, obwohl der Abschied für uns beide schmerzlich war. Aber ich dachte auch an FEUERBACHS Aus­spruch: „Die gefährlichste Klippe im Leben eines Künstlers ist die Heirat... Zu einer Künstlerehe gehört viel Liebe, viel Ver­stand, viel Geduld und viel Geld...". Ich glaube, ich hatte von all dem damals nichts in ausreichendem Maße...

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Ein Gespräch mit Heitor Villa-Lobos

Sein 100. Geburtstag wurde 1987 überall in der Musikwelt ge­feiert. Doch Biographisches über diesen vielseitigen Musiker, Komponisten, Dirigenten und Mentor Südamerikas zu bringen, der, wie MANUEL PONCE in Mexico, die Musikkultur seines Landes Brasilien in hohem Maße beeinflußte, überlasse ich den dazu Berufenen.

Ich möchte mich hier nur an eine Begegnung mit HEITOR VILLA-LOBOS in Wien erinnern, die sich für mich interessant und aufschlußreich gestaltete.

Der Meister war mit seiner weitaus jüngeren Frau im Hotel Im­perial, einem der vornehmsten Häuser dieser Stadt, abgestie­gen. Er empfing mich in seinem Appartement äußerst freund­lich, wenn auch - wie mir schien - in etwas reservierter Haltung. Vielleicht wollte er sich erst einmal überzeugen, ob ich auch wirklich Gitarre spielen kann.

Das Anliegen meines Besuches ging auch dahin, den Meister zu motivieren, für mich ein Stück zu schreiben, ein schönes Stück, so wie mir Kompositionen von anderen gewidmet worden sind, wie zum Beispiel von dem spanischen Komponisten des „Con-cierto de Aranjuez", JOAQUIN RODRIGO, von GUIDO SAN-TORSOLA und MANUEL PONCE („Por Tierras de Jerez", „Prelude", „Postludio"). Außerdem wollte ich ihm einige Ideen für kleine Veränderungen von speziellen Taktstellen auf der Gi­tarre vortragen, die meiner Meinung nach eine geschmeidigere und somit klanglich bessere Ausführbarkeit ermöglichen. Ein Beispiel hierfür ist eine Stelle in dem „Prelude Nr. 1" oder in der „Etüde Nr. 11" , bei der im Arpeggienteil (Poco meno) die melodische Vorstellung (d/d/d/e - Takt 3/4 sowie Takt 8/9) von den Arpeggien völlig übertönt wird und trotz des leeren D-Bas­ses nicht wunschgemäß zum Tragen kommt.

Ich weiß nicht, ob Villa-Lobos von meinen Veränderungen, die ich ihm vorspielte, besonders begeistert war. Jedenfalls meinte er, wenn ich fände, daß die genannten Stellen mit den Verände­rungen schöner klingen, könnte ich es ruhig so ausführen. Letzt­lich war für ihn der Klang wichtig, den er meisterhaft mit den raffiniertesten Mitteln bei fast allen Stücken erzielte.

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Leider stellt das Gitarrewerk von Heitor Villa-Lobos nur einen sehr kleinen Teil seines Gesamtschaffens dar. Ich glaube sogar, daß sein Konzert für Gitarre und Orchester damals erst in Fer­tigstellung war. Es ist ein sehr schönes Werk, obwohl es für die Gitarre dabei besonders schwierig ist, ihre konzertante Führung gegenüber dem Orchester zu behaupten. Leider ist es zu den Kompositionen, die er mir damals in Aussicht stellte, nie ge­kommen.

Auf die Interpretation der Werke Villa-Lobos möchte ich noch kurz eingehen: Man sollte sie mit einer gewissen Beschwingt­heit, Geschmeidigkeit und vor allem mit Esprit spielen. Mit viel Rubato am richtigen Platz! Eine trockene Wiedergabe wäre ein ähnliches Vergehen, als würde man Musik von JOHANN STRAUSS so spielen, wie ein Holzknecht seine Arbeit ver­richtet.

Auch darf man manche der Etüden nicht zu schnell spielen, weil sonst der Hörer die musikalische Linie nicht mehr verfolgen kann; es handelt sich bei einer Etüde doch wohl auch um Musik - nicht wahr? Stets nur bestrebt sein Tempo zu steigern führt sel­ten zum Heil. Ich verbeuge mich aber vor soviel Virtuosität, so­lange die Sauberkeit keinen Schaden leidet. Aber - was soll's? Die Musik von Villa-Lobos ist zauberhaft und voller Stimmung; sie sollte daher nicht leichtfertig verhunzt werden.

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Was machen Sie in Ihrer Freizeit, verehrter Herr Professor?

Das hätte ihn keiner seiner zahlreichen Studenten in Berlin oder Aachen und auch niemand aus seinen Fach- und Kollegenkreisen ge­fragt. Es ist be­kannt, daß Prof.

F- — , -, Dr. Ing. KURT

J§ J |P l HIRSCHFELD, der i ^t^r^'i emeritierte Ordina-

if rius für Baustatik und Massivbau an der Technischen Universität in Aa­chen, von seinen Studenten geliebt, aber auch gefürch­tet, in seiner Frei­zeit einem gar lieblichen, poesie­vollen Ideal huldigt.

Einem Ideal, das wohl in krassem Gegensatz zu seinen wissen­schaftlich-mathematischen Abhandlungen und kühnen Baukon­struktionen (Großbrücken, Kuppeln, Talsperren etc.) steht. Sollten Sie es nicht wissen, meine lieben Leser, so verrate ich Ihnen, was der Professor in seiner Freizeit auch heute noch tut. Nun: Er spricht über die Gitarre, er spielt Gitarre, und er träumt von der Gitarre! Liebevoll und unermüdlich ihrer geheimnisvollen Schönheit zu­gewandt, ist Prof. Hirschfeld natürlich auch überall dabei, wo die Gitarre von guten Händen präsentiert wird. Gerne erinnere ich mich an die alljährlich im Oktober stattfindende Gitarre-Festwoche in Berlin, bei der die international bekanntesten

Prof .Dr . Kurt Hirschfeld (1962)

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Gitarristen konzertierten, zum Beispiel MIGUEL LLOBET, MARIA LUISA ANIDO, EMILIO PUJOL, der früh verstorbe­ne FRANCISCO ALFONSO, ROSITA RODES. Auch ich spielte regelmäßig bei diesen Veranstaltungen, deren Initiator der Berliner Gitarrepädagoge ERWIN SCHWARZ-REIFLINGEN war; obwohl nicht immer beliebt, vornehmlich wegen seines Handels mit „Simplicio"-Gitarren, hat er zweifel­los sehr Beachtliches zur Entwicklung des Gitarrespiels in Deutschland beigetragen. Auch als Herausgeber der überregio­nal bekannten Zeitschrift „Die Gitarre" machte er auf sich auf­merksam.

Prof. Hirschfeld (damals noch Assistent) war selbstverständlich bei allen Konzerten anwesend, und die Begeisterung leuchtete ihm aus den Augen.

Während meiner Berliner Aufenthalte war ich auch öfters Gast in seinem damaligen Heim in Berlin-Lankwitz. Dort lernte ich seine Frau ELISABETH kennen, die das Hobby ihres Gatten in intensiver Weise unterstützte. Sie beherrschte die spanische Sprache gut und übersetzte unter anderem die Pujol-Schule! Der Sammler Hirschfeld war schon damals am Werke. Heute findet man in dem weiträumigen Arbeitszimmer seines jetzigen Aache­ner Hauses, abseits des Zentrums gelegen und von einem schö­nen Garten umgeben, eine umfassende Notensammlung der gesamten Gitarreliteratur. Ein Schallplattenarchiv der Kunstmu­sik, der Folklore und des Flamenco, alles sorgfältigst katalogi­siert, läßt das Herz höher schlagen. Weiterhin kann man Tonbänder aller Art entdecken, oft mit gitarristischen Kostbar­keiten bespielt, die sonst kaum zu hören sind. Last not least ste­hen in einem eigens hierfür gezimmerten Kasten Hirschfelds Lieblinge: die interessantesten Gitarren, die man sich denken kann. Da gibt es beispielsweise eine FLETA, eine RAMIREZ, eine HAUSER, eine MÖNCH- oder BOUCHET-Gitarre; nicht zuletzt erwähnenswert die kostbare ANTONIO TORRES-Gi-tarre mit dem eingebauten Trichter, so wie auch Llobet sie ge­spielt hat.

In diesem mit künstlerischem Fluid getränkten Raum sitzt nun der Gitarreliebhaber Hirschfeld und probiert verklärt seine Gi­tarren aus. Eine nach der anderen, keine soll sich beleidigt füh-

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len; denn sie sind wie Frauen empfindsam und auch eifersüch­tig. Glauben Sie es nicht, liebe Leser?

Daß aber der „Gitarrist Hirschfeld" beim Vorspiel im Freundes­kreis von heftigem Lampenfieber befallen gelegentlich mit der Tücke des Objekts zu kämpfen hat, ist im Hinblick auf den rigo­rosen Professor ein pikantes Detail am Rand, das ihn aber menschlich so liebenswert macht.

Seit dem Tod seiner Frau Elisabeth sorgt eine Freundin der Fa­milie in rührender Weise für sein leibliches Wohl und seinen Haushalt; mehr denn je widmet er sich nun seinen geliebten In­strumenten. Gelegentlich besuchen ihn Gitarristen: der an der Aachener Musikhochschule lehrende Prof. TADASHI SASA-KI, einige seiner hervorragenden Schüler oder durchreisende, konzertierende Gitarristen. Manchmal findet dann in den Räu­men seines Hauses ein kleines, zwangloses Konzert statt.

Es gibt gewiß nicht viele solcher vielseitigen und musischen Persönlichkeiten wie Prof. Dr. Ing. Hirschfeld. Es ist mir daher ein Bedürfnis, diesen bedeutenden Mann, der sich mir gegen­über in langen Jahren als wirklich treuer Freund erwiesen hat, und seine unermüdlichen Bemühungen rund um die Gitarre im Rahmen meiner Aufzeichnungen hervorzuheben.

Sein 85. Geburtstag im Oktober 1987 war unter anderem Anlaß für eine gitarristische Feierstunde im Rahmen der Technischen Universität und einem anschließenden stimmungsvollen Fackel­zug ehemaliger Kollegen und Studenten.

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"A Walk With Love and Death"

Diesen Titel trug der Film, dessen Innenaufnahmen der berühm­te amerikanische Regisseur JOHN HUSTON 1969 auf der idyl­lisch gelegenen und nur teilweise adaptierten Burgruine Lichtenstein in der Nähe Wiens gedreht hatte. Der Film spielte im Dreißigjährigen Krieg und man engagierte mich für die Synchronisation von einigen alten Lautenliedern und von zwei kleinen Solostücken. Die beiden Hauptdarsteller waren die Filmdebütantin und Tochter des Regisseurs ANJELICA HU­STON und ASSAF DAYAN, der Sohn des damaligen israeli­schen Staatsmannes, jenes Mannes mit der unvermeidlichen schwarzen Augenbinde. Eine weitere größere Rolle besetzte der britische Schauspieler ANTHONY CORLAN, der in manchen Szenen eine doppelchörige Laute spielen und dabei andauernd im Bild erscheinen mußte. Aus diesem Grunde wurde ich neben meiner Synchronisationsarbeit verpflichtet, Corlan auch in der richtigen Handhabung der Laute und den jeweils passenden Spielbewegungen beider Hände zu unterweisen; eine ungemein amüsante Tätigkeit. Es freute mich, daß Regisseur John Hü­sten, den ich sehr nett fand, die Ansicht vertrat, ein Schauspie­ler, der einen Lautenisten zu mimen hat, dürfe sich dabei nicht wie ein Hanswurst benehmen. Die Musik zu diesem Film schrieb ein französischer Komponist, dessen Name mir leider entfallen ist. Sie hatte Charme und gefiel mir. Weit weniger er­freut war ich über die mir völlig fremde Erfahrung langer War­tezeiten, die beim Film so üblich zu sein scheinen. Es dauerte mindestens zwei Tage, bis die bewußten Szenen mit der Laute im Innern der Burg gedreht werden konnten. So war ich dazu verurteilt, wie eine rastlose Ahnfrau auf den hohen abbröckeln­den Steinstufen mit der Laute in der Hand, die ich mir nirgends abzulegen getraute, auf- und abzuklettern, um in den feuchten Räumen, in denen nicht gefilmt wurde, die Zeit totzuschlagen. Die herrliche Aussicht genoß ich immer wieder von neuem und ließ mich dabei vom Wind, der überall durch die desolaten Ke­menaten und Wohnräume der Ruine wehte, anblasen. Nicht nur einmal stellte ich mir die Frage, weshalb ich eigentlich so naiv sein konnte, mich in ein solches Unternehmen einzulassen. Mei­ne schöne HAUSER-Renaissancelaute rächte sich auf ihre Wei­se, indem sie sich andauernd verstimmte.

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Nach Tagen konnten die betreffenden Szenen endlich gedreht werden und alles verlief eigentlich wider Erwarten gut. Mein „Schüler" mimte sein Lautenspiel nahezu perfekt, worüber wir beide noch herzlich lachten. Eine weitere, weniger kostbare Laute, die ich mit hoher Versicherung der Filmgesellschaft ge­liehen hatte, erhielt ich heil und ohne jegliche Verletzung zurück. So kam dieser unbequeme „Spaziergang mit Liebe und Tod" letztlich doch zu einem guten Ende. Ich weiß aber jetzt, daß mich ein ähnliches Engagement nicht mehr locken würde, ob­wohl mich „Ungewöhnliches" noch immer anzieht.

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Gitarre und ein Gläschen Wein

Ach ja! Zu einem guten Essen liebe ich - so ab und zu - ein Gläs­chen Wein! Weshalb auch nicht.

Ansonsten aber ist der Alkohol für mich eher tabu. Ich bin keine strikte Antialkoholikerin und keine diesbezügliche Fanatikerin. Im großen und ganzen aber bin ich davon überzeugt, daß sich Alkohol mit einem Musikerberuf nicht verträgt - insbesondere mit dem eines Gitarristen, der speziell subtilste Bewegungs­abläufe zu bewältigen hat. Ein Gitarrist, der sowohl gut als auch lange Jahre spielen will, kann sich Alkohol in größeren Mengen nicht leisten. Aber hier fängt bereits das Dilemma an; was sind also „größere" Mengen und wann zählt man zu den Alkoholikern?

Die Beantwortung dieser Fragen übersteigt bei weitem meine Kompetenz. Ich glaube, sogar ein Arzt kann sie nicht ganz kon­kret beantworten. Ich will daher nur aus einem „innersten" Wis­sen davor warnen, sich dem Alkohol zu ergeben, Gitarre und Alkohol lieben sich nicht! Man erreicht dadurch kein Verges­sen, keine Glückseligkeit und keine Bewußtseinserweiterung -höchstens falsche Noten.

Die Gitarre ist ein eigenwilliges Instrument. Abgesehen davon, daß sie Zuwendung erwartet, sollte man ihre vielen Geheimnis­se und ihre tief verschlossene geistige Potenz möglichst ohne Zuhilfenahme äußerer Stimulanzen zum Tragen bringen. Alko­hol stört, verhindert die geistige Kommunikation und vernebelt die Funktion des Gehirns.

Ich kenne einen Kollegen, der sich beträchtlich „auftankte", be­vor er aufs Podium stieg. Er spielte mit zitternden Händen. Ein Häufchen Elend saß da oben vor dem Publikum. Es war sicher die künstlerisch schlechteste Phase seiner Laufbahn. Vom Alko­hol losgekommen, spielt er heute wieder schöner denn je. Aber wie vielen gelingt das schon? Einer von meinen Schülern hat es nicht geschafft; er ging daran zugrunde.

Es gibt natürlich mancherlei Süchte. Das Rauchen, die Einnah­me von Medikamenten, ohne die man das Leben nicht durchste­hen zu können glaubt, und andere: Als verbreitetste Sucht, wohl auch dazugehörig, die Abhängigkeit vom Fernsehapparat.

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Ich selbst bin auch süchtig: ich liebe den Tee; einen guten chine­sischen Tee, der irgendwie zu meinem Lebensstil gehört und von meiner Gitarre „genehmigt" wird. Wenn ich dazu Zeit ha­be, bereite ich ihn kunstvoll zu - mit Liebe.

Eine Teezeremonie in einem Tempel von Kyoto zählt zu meinen schönsten Erlebnissen, obwohl mir - wenn es dabei nur um den Geschmack ginge - die Herbheit des grünen japanischen Tees nicht mundet.

Das alles sage ich nur, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß ich mich von den Verlockungen gebotener Genüsse unabhängig fühle. Aber bitte, keine Nachbarschaft von Gitarre und Alkohol! Sie vertragen sich nicht. Ein Gitarrist möchte doch auch im Al­ter seine Saiten auseinanderhalten und seine Bünde treffen können.

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Konzert in Bonn: „Concierto de Aranjuez" von Joaquin Rodr igo

Auf dem Podium (Aus einem Brief an einen jungen Gitarristen)

„Einsam bin ich, nicht alleine". Diese Worte aus einer Arie von CARL MARIA VON WEBER umreißen ungefähr die paradoxe Situation des Sich-verlassen-Fühlens trotz vieler anwesender Menschen.

Es gibt Künstler, darunter auch bekannte, die ihr solistisches Auftreten zu Beginn eines Abends wie das Ausgesetzt-werden auf einer einsamen Insel betrachten oder wie den Einzug in eine Arena, in der es auf Leben oder Tod geht. Ein Musiker sagte mir einmal, daß das Publikum im Saal wie ein Ungeheuer sei; es wartet nur auf einen günstigen Augenblick, um ihn anzufal­len. Auf welchen bitte?

Nichts von alldem, mein junger Freund; verkenne Deine Lage nicht! Vor allem mußt Du Dir Deiner absolut einmaligen und nicht verwechselbaren Individualität bewußt werden, ebenso Deines in jahrelanger harter Arbeit erreichten Könnens. Du mußt von dem daraus resultierenden guten Gelingen absolut überzeugt sein und Deine Sicherheit ausstrahlen!

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Es ist nicht ausschlaggebend, ob Du nun von Deinem Können überzeugt bist aufgrund glücklicher Veranlagung, religiösen Glaubens oder einer philosophischen Einstellung, die Dich so­zusagen über den Dingen stehen läßt. Ferner erscheint es mir unerheblich, ob Du Deine Sicherheit mittels des autogenen Trai­nings, moderner Subliminal-Cassetten oder anderer Praktiken errungen hast. Niemals werden Dir aber rauschgifthaltige Dro­gen auf Dauer helfen können. Man sollte auch geistige Hilfen in Anspruch nehmen! Das Ziel zählt allein; Du hast es dann be­reits einigermaßen erklommen, wenn in Dir während des Spiels das Gefühl aufsteigt, Du selbst bist es nicht, sondern „Es" spielt aus Dir. Dieses geradezu köstliche Gefühl bedeutet in Deiner Empfindung eine Sternstunde; Zweifel oder Angst existieren dann nicht mehr. Dein Bestreben liegt jetzt darin, sich ganz zu verschenken; Du bist zum Sender geworden und Deine Zuhö­rerschaft zum Empfänger. Eine echte Partnerschaft - mit jedem Einzelnen im Saal - ist zustande gekommen und hat eine be­glückende Wechselwirkung ausgelöst. Die Stille, von der man oft sagt, „man hätte eine Nadel fallen hören" und in der Du das Lauschen Deiner Zuhörer spüren kannst, verhilft Dir selbst zu einer Oase des inneren Friedens. Du stehst dann ganz im Dienst der Musik und Deines Publikums, das Dein Gitarrespiel hören möchte und nicht, wie Du vermutet hast, aus Neugierde gekom­men ist, wie Du auf dem Podium aussiehst. Es ist für Dich äu­ßerst wichtig, sich bereits längere Zeit vor dem Auftritt ein imaginäres Bild von dieser Szene zu machen und immer wieder erneut vor Augen zu führen. Stelle Dir alles genau vor, jede Einzelheit. Beachte, wie Du das Podium betrittst, den Applaus wahrnimmst. Dein Instrument leise überprüfst und dann zu spie­len beginnst. Je klarer diese Bilder vor Deinen Augen erschei­nen, umso sicherer fühlst Du Dich bei Deinem tatsächlichen Auftritt. Möglicherweise wirst Du unter den Zuhörern auch Leute entdecken, die Dir nicht immer wohlgesonnen sind. Be­achte sie nicht mehr als notwendig: sie sind sicherlich nur in der Minderheit. Auch auf dem lieblichsten Gänseblümchenrasen gibt es ein Büschelchen, das nicht dazugehört. Sei Dir darüber im klaren, daß niemand - auch Du nicht - alle Menschen begei­stern kann. Sollte Dir ein kleines Mißgeschick passieren, laß Dich dadurch nicht irritieren. Neben einer musikalisch starken Aussage ist eine kleine Panne unwesentlich.

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Du freust Dich, wenn Dein Konzert möglichst viele Leute besu­chen; es ist daher unvermeidlich, daß sie Dich ansehen. Laß' Dich durch diese vielen Blicke, die alle auf einen Punkt gerich­tet sind, nämlich auf Dich, nicht stören; das gilt auch für unver­mutete Geräusche, wie ächzende Stühle, Räuspern oder Nase­putzen.

Es ist nicht klug, das Publikum mit langen Programmen zu überfordern. In einer gerechten Kürze liegt die Würze!

Deine zukünftigen Programme solltest Du nach Möglichkeit ab­wechslungsreich gestalten. Das von den Medien verwöhnte und teilweise auch verdorbene Publikum giert nach Abwechslung, die die heutige Gitarreliteratur erfüllen kann. Vielleicht könntest Du Dein Programm in drei Abschnitte gliedern? Auf diese Wei­se würde eine kleine und eine größere Hauptpause entstehen, vor der zum Beispiel ein mehrsätziges, zeitgenössisches Werk stehen kann. In der großen Pause hat das Publikum die Möglich­keit, sich gründlich auszuhusten und seine Sandwiches zu ver­zehren, was durchaus legitim ist, denn ein leerer Magen erschwert das Zuhören.

Du fragtest mich, mein lieber Freund, ob Du bei Deinem Abend in A.. . . die „Ponce-Variationen" spielen kannst. Verzeih, wenn ich in Beantwortung dieser Frage - frei nach MORITZ VON SCHWIND - erst einmal einen Scherz einfüge: Du kannst zwei­fellos dort alles spielen unter der Voraussetzung, daß Du nur willst was Du kannst! Wichtig ist, daß Du Deine Programme stets im Hinblick auf ihren Verwendungszweck planst. Es hat wenig Sinn, einem musikunkundigen Publikum hypermoderne oder atonale Musik aufzuzwingen, die es nicht versteht. An ei­nem einzigen Abend kann man sicherlich nicht die Tür des Ver­ständnisses öffnen; derartige Versuche müssen mißlingen. Für Experimente dieser Art bedarf es eines Interessentenkreises, der schon vorgebildet und bereit ist, Neues aufzunehmen und geistig zu verarbeiten. Mit Kanonen auf Spatzen schießen zu wollen ist Nonsens! Sie fliegen weg und kommen nie mehr wieder. Also vergräme Dein Publikum nicht, Du brauchst es!

MIGUEL LLOBET war bekanntlich ein SCHÖNBERG-Verehrer. Atonale Musik für Gitarre existierte damals noch nicht. Deshalb ist es schwer zu beurteilen, ob er sie in seinen

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eigenen Programmen aufgenommen hätte. Ich bin mir auch nicht klar darüber, ob die Gitarre für diese Art Musik geeignet ist. Ein zeitgenössisches Werk solltest Du jedoch in Deinen Konzer­ten bringen. Neulich war ich in Wien bei einem guten Gitarre-Abend; aber das laute Stimmen der Saiten zu Beginn und unvermittelt nach Schluß des Stückes hat mich gestört. Man kann seine Saiten doch auch sorgfältig leise stimmen! Außerdem war das Noten­pult zu hoch gestellt und verdeckte den Künstler. Die interessan­ten Bewegungsabläufe beider Hände des Gitarristen werden vom Publikum doch gerne beobachtet! Der Applaus ist eigentlich eine „brutale" Dankesäußerung sei­tens des Publikums; aber das gehört nun einmal dazu, was könn­te man anderes tun? Der Künstler braucht den Applaus, er lechzt nach ihm und - er lebt von ihm. Nichts ist peinlicher, wenn er sekundenlang ausbleibt, weil das Publikum nicht weiß, wann Schluß ist und dann erst zögernd einsetzt. Ebenso unangenehm ist es, wenn an der falschen Stelle in die Sätze hineingeklatscht wird. Das geschieht aber nur, wenn Du selbst nicht genügend Spannung aufrechterhältst und unkonzentriert bist. Man kann viele Menschen in seinen Bann ziehen! Aber der Künstler - kei­ner ist da ausgenommen - wartet auf den Applaus und registriert auch seine Stärke als Gradmesser seines Erfolges. Doch nicht immer ist der Geschmack des Publikums kennzeichend für den künstlerischen Wert des Gebotenen.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine längere Tournee, die ich gemeinsam mit einem Pianisten, einem Celli­sten und einem Sänger unternommen hatte. Wir spielten sowohl Sololiteratur als auch Kammermusik, auch in vielen kleineren Städten. Bei einem Konzert kam der Cellist, der zu Beginn BACH gespielt hatte, deprimiert ins Künstlerzimmer und rief verzweifelt zu uns, die auf ihren Auftritt warteten: „Kinder! Kinder! Sind das heut' wieder schöne Leut'! Die klatschen ja gar nicht, die sitz'n ja alle auf ihre Händ' ... die hocken da wie die chinesischen Götz'n! Ihr werd's schon sehen, was Euch da er­wartet mit die dummen G'sichter!" Nun, das war damals eine der wenigen Ausnahmen; zumeist bessert sich eine solche Stim­mung dann auch im Laufe eines Abends.

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Sitz', mein Lieber, immer locker und entspannt auf dem Podi­um, nicht so wie Dein Freund M., bei dem man den Eindruck verspürt, ein Stock wäre in seinem Rücken eingebaut. Das er­weckt den Eindruck von Anteilnahmslosigkeit, auch wenn es in Wirklichkeit vielleicht nicht stimmt. Es ist aber auch nicht gut, wenn sich ein Spieler so tief über die Gitarre beugt, daß man an­statt des Schallochs nur noch seinen Haarschopf sieht. Dann wiederum hat man das Gefühl, der Spieler glaube, seine Gitarre vor dem Feind schützen zu müssen. Freilich ist diese Haltung zuweilen nötig, sie sollte aber nur kurzfristig sein.

Man sollte es weiters vermeiden, eine Art Show abzuziehen und durch manierierte Gestikulation, gepaart mit verklärtem Mie­nenspiel, ein inneres Miterleben zu simulieren, das in Wirklich­keit bei einem solchen Getue überhaupt nicht stattfinden kann. Diese Zurschaustellung ist nicht nur unnatürlich, sondern be­wirkt auch eine lächerliche Komik.

SchlolSkonzert bei Kerzenlicht in Ansbach

Gelegentlich entstehen durch das Vergessen eines notwendigen Utensils, das man auf dem Podium nicht vorfindet, kleine Pan­nen; oft sind sie nicht zu vermeiden. Mir persönlich ist das im­mer unangenehm, obwohl ich dadurch schon einige Male außer-

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ordentlichen Erfolg hatte. So wurde zum Beispiel öfters mein Schemel, den man vergessen hatte auf dem Podium aufzustel­len, mit stürmischem Applaus begrüßt, als wäre er der eigentli­che Künstler. Ich wunderte mich dann, wie anspruchslos die Menschen manchmal in Bezug auf ihre vergnüglichen Ansprü­che sind.

Aber diese kleinen Begebenheiten sind letztlich nur eine Kulis­senwand, vor der sich das frei pulsierende Leben des interpre­tierenden Musikers abzuspielen hat: Die Wechselwirkung des Gebens und Nehmens nach dem Gesetz des Ausgleichens.

Französischunterricht erhielt ich als Teenager von einer betag­ten Lehrerin. Sie hieß Madame ISABELLE TIETARD und war eine Jugendfreundin des berühmten belgischen Geigers EUGEN YSAYE. Nachdem sie gehört hatte, daß ich mein Leben der Musik widmen wollte, liebte sie mich um so mehr und tat mir viel Gutes. Eugen Ysaye, den ich leider nur auf Schallplatten hören konnte, wurde übrigens zu meinem Geiger-Idol. Madame Tietard erzählte mir, daß er zu seinen Schülern zu sagen pflegte: „Solange Du nicht fähig und vor allem nicht willens bist, durch Deine Kunst auf dem Podium Liebe auszustrahlen, ist es besser, Du steigst erst gar nicht hinauf!"

Ich möchte mich diesem Ausspruch aus Uberzeugung anschlie­ßen, aber etwas entschärfend sagen: „In dem Augenblick, wo Du das Podium betrittst, sollst Du Dein Herz öffnen und seinen Reichtum verschenken!"

Übrigens: wenn Du Deine Gitarre vor einem Auftritt besonders „lebendig" machen willst, schlage sie ein paar Sekunden lang so stark wie möglich an. Vielleicht wirst Du es nicht glauben, aber es ist nun einmal so: sie wird dann um so schöner klingen!

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Begegnungen mit Emilio Pujol

„Una vida consagrada al ennoblecimiento de la guitarra a traves del estudio, el concierto, la esenanza, la investigacion historia y la composicion".*

Diese Worte stehen für das Motto des Buches „EMILIO PU­JOL" von JUAN RIERA, herausgegeben vom „Institute de estudios Ilerdenses de la Exoma. Disputacion Provincial de Le-rida". Das Vorwort schrieb JOAQUIN RODRIGO.

Es war in der Tat ein völlig der Gitarre gewidmetes Leben, das Emilio Pujol auszeichnete. Durch seine Konzerte, sein profun­des Wissen um die Gitarre und die Vihuela (spanische Gitarre des 16. Jahrhunderts) und nicht zuletzt durch seine zahlreichen Ausgaben und Kompositionen hatte er die Gitarristik bereichert.

Obwohl ich mich biographisch nicht ausweiten möchte, ist es mir doch ein Bedürfnis, einige Daten anzuführen bzw. diesem bedeutenden Gitarristen einige ehrende Worte zu widmen.

Emilio Pujol bildete mit seinen beiden Kollegen, MIGUEL LLOBET und ANDRES SEGOVIA, sozusagen ein spanisches Dreigestirn, das am Anfang unseres Jahrhunderts zu leuchten begann und durch Recitals in den kulturellen Zentren Europas und in südamerikanischen Städten für die klassische Gitarre wirkte. Er wurde am 7. April 1886 in Granadella geboren und war, ebenso wie sein Kollege Llobet, Katalane, währenddessen Segovia in Andalusien beheimatet ist. Pujol studierte bei FRAN­CISCO TARREGA in einer Periode, in der sich Tarrega dem Kuppenspiel zugewandt hatte. Es ist daher nicht verwunderlich, daß auch Pujol, der seinen Meister hoch verehrte, sich Zeit sei­nes Lebens dieser Anschlagsart verschrieben hatte. Vielleicht war aber gerade das der Grund, weshalb seinem sehr schönen und besonders kultivierten Spiel nicht jene Brillanz gegeben schien, die seine beiden Kollegen Llobet und Segovia auszeich­nete. Um 1910 begann Emilio Pujol in ganz Spanien zu konzer­tieren; es folgten Auslandstourneen in die kulturellen Zentren Europas und nach Südamerika. Doch widmete er sich in der zweiten Hälfte seines langen Lebens in erster Linie der Pädago-

*Ein Leben , g e w i d m e t der Verede lung der Gitarre durch Studium, Konzert , Unterricht, historische Forschung und Kompos i t ion .

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gik und musikwissenschaftlichen Forschungsarbeiten. So ist auch die Renaissance der Vihuela, die er selbst gerne spielte, auf seine persönlichen Bemühungen zurückzuführen. 1936 konnte man in Spanien Pujols erstes Konzert auf der Vi­huela hören; es war gleichzeitig das erste Konzert in unserem Jahrhundert nach der Wiederbelebung dieses historischen In­struments.

Im Auftrag des „Instituto Espaftol de Musicologia" gab Pujol Noten für VIHUELA von LUYS NARVAEZ (1538), ALONSO MUDARRA (1546) und ENRIQUEZ DE VALDERRABANO (1547) heraus. Die Ausgabe des Werkes von MIGUEL DE FUENLLANA (1554) konnte er leider nicht mehr vollenden. Wir erhielten aus seiner Feder Ausgaben von über 250 Werken, angefangen von der Musik des 16. Jahrhunderts bis in unsere Zeit; darunter auch eigene, sehr reizvolle Kompositionen. Zweifellos aber ist sein umfangreiches vierbändiges Schulwerk „Escuela Razoneda de la Guitarra" ein Kompendium gitarristi­scher Technik; zusammen mit theoretischen und musikalischen Erkenntnissen bietet es für jeden Jünger der Gitarre unschätzba­re Werte. Auch ich habe im Laufe meiner instrumentalen Ent­wicklung durch Pujol Impulse empfangen, die mich sehr motivierten.

Seine zahlreichen Kurse und Seminare fanden unter anderem in Portugal und in Italien statt. Sie erfreuten sich regen Zuspruchs und waren ein Positivum für jeden Teilnehmer. Ich persönlich begegnete dem „Emilio" zweimal in Berlin bei den Gitarrefesten und in München bei dem Herausgeber der Zeitschrift „Der Gitarrefreund" FRITZ BUEK. Ich hörte ihn auch einige Male zusammen mit seiner ersten Gattin MATHIL­DA CUERVAS spielen, einer schönen Spanierin, die es liebte, in einem spanischen Kostüm und der Mantilla aufzutreten. Wir trafen uns nach einem Berliner Konzert gemeinsam mit ERWIN SCHWARZ-REIFLINGEN, der es veranstaltet hatte; ich erin­nere mich gerne daran, daß ich dort einmal - im zwanglosen Kreis - mit Pujol ein „Duo" prima vista spielte. Ich glaube, es war der „Tango" von ISAAK ALBENIZ, den Pujol für zwei Gi­tarren arrangiert hatte. Wir fühlten gegenseitig eine herzliche Sympathie füreinander und es tut mir leid, daß ich den Emilio später nie mehr getroffen habe.

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Als Mensch war Pujol ungemein bescheiden und anspruchslos. Er vermied es, sich in den Vordergrund zu drängen, obwohl er mit bedeutendem Wissen aufwarten konnte. Daß er von den „drei spanischen Meistern" eigentlich der unpopulärste und am wenigsten bekannt war, liegt hauptsächlich an dem Umstand, daß er sich im zweiten Teil seines Lebens vornehmlich der be­reits erwähnten Pädagogik und der musikwissenschaftlichen Forschung zuwandte. Deshalb stand er nicht mehr im Schein­werferlicht des konzertierenden Künstlers.

Pujol beeindruckte mich in menschlicher Hinsicht sehr, wäh­rend ich bei den Begegnungen mit Segovia seit meiner Kindheit die menschliche Wärme vermißte.

Emilio Pujol starb nach längerer Krankheit am 15. November 1980 im hohen Alter von 94 Jahren in Barcelona, betreut von seiner zweiten Gattin, der Portugiesin MARIA ADELAIDE; sie war Sängerin, mit der er gelegentlich auch konzertierte.

Ich möchte noch einmal betonen, daß die Persönlichkeit und das Werk dieses spanischen Meisters, der mit bedeutenden Musi­kern seiner Zeit befreundet war (unter anderem auch mit den beiden berühmten Cellisten PABLO CAS ALS und GASPAR C ASS ADO und dem Brasilianer VILLA-LOBOS), für die Gi-tarristik von immenser Bedeutung ist und bleiben wird.

Aus einer Kritik öer „üünebener Post" unm 24. Oktober 1952:

„Was Huise Walker (Wen) auf öer (Sitarre leistet, öas reicht an üilobet unö £>egouia beran... g>n konnte öas uoruiiegenö spanische Pro­gramm, aus öem öie aus öem 3nstrument beraus empfunöenen originellen Micke uon $ÖM(ÜiE unö $131QMC herunrirubeben sinö, bis ?um iEnöe fesseln".

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Betrachtungen zur Interpretation

Über musikalischen Stil, Rhythmus, Dynamik, Phrasierung, musikästhetische Komponenten usw. ist schon viel gesagt und vielleicht noch mehr geschrieben worden. Trotzdem möchte ich hier - speziell für den Gitarristen - aus meinen eigenen prakti­schen Erfahrungen Anregungen geben, damit er sich im „Dschungel" der allgemein gehaltenen Ratschläge leichter zu­rechtfinden kann.

Ich selbst habe über musikalische Belange zahlreiche Bücher ge­lesen und versucht, sie zu verarbeiten. Durch meine persönliche Praxis bin ich zu Überzeugungen gekommen, die ich gerne wei­tergeben möchte.

Natürlich kann es sich hier nur um einige Details handeln, denn „Interpretation" ist ein schier unerschöpfliches Thema, über das nachzusinnen sich immer wieder lohnt. In ihrem Urgrund ist Musik absolut Transzendentales, das uns an sonst Unbewältigtes heranführt.

Jedenfalls bietet musiktheoretisches Wissen und fundiertes prak­tisches Können, gepaart mit der Gabe der Intuition, einen fruchtbaren Ausgangspunkt für eine befriedigende Interpreta­tion von Werken verschiedensten Stils, wobei freilich die Mei­nungen oft stark auseinandergehen, manchmal sogar ganz emp­findlich divergieren. Aber vielleicht ist das gerade das Interes­sante daran; man wird aufgefordert, sich mit einer Sache ausein­anderzusetzen, über sie gründlich nazudenken.

Vorausgesetzt, der Musiker hat sich vorerst einmal mit dem gei­stigen Inhalt eines Werkes beschäftigt, über Tempo und wesent­liche Aspekte nachgedacht und sodann das Ganze technisch erarbeitet, stehen ihm - um ein Werk ausdrucksvoll und leben­dig zu gestalten - auch noch gewisse „Freiräume" innerhalb von Toleranzgrenzen zur Verfügung. Überlegte Einbringung von Dynamik, rhythmischer Akzente, Klangfarben usw. kann dann - unter Berücksichtigung der „Werktreue" - eine durchaus inter­essante und absolut eigenständige Interpretation ergeben. Die oberste Steuerung wird dabei allerdings einem zuverläßlichen Stilgefühl und der Intuition vorbehalten bleiben.

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Mißverstandene „Werktreue" führt dagegen oft zu einem lang­weiligen Spiel, das man leider auch gern mit dem klingenden Namen „akademisch" bezeichnet; die Kühle, die einen dabei an­weht, hüllt man in ein belobtes intellektuelles Mäntelchen. Aber darin sehe ich nicht die Aufgabe der Musik!

Das Ausbrechen aus dem Panzer der Taktstriche und Zwänge, also das, was ich hier unter „Freiräume" verstehe - letztlich ma­chen sie die Musik erst zu einem Erlebnis -, darf natürlich nicht in eine unkontrollierte Selbstdarstellung münden bzw. sich nicht unbekümmert über alle Ordnungsprinzipien hinwegsetzen. Auch Freiräume erfordern Disziplin. Hier das richtige Maß zu finden, wird erst zum Ausdruck echter Kreativität.

Die Ausführungen der Tempi hängen nicht nur von ihrer Be­zeichnung ab, sondern in gewissem Sinn auch von der Räum­lichkeit, in der man spielt und der es sich anzupassen gilt. Dieser Hinweis erscheint vielleicht absurd. Aber jahrelange Konzerttätigkeit in vielen Konzertsälen mit unterschiedlichen akustischen Eigenschaften, die mir mitunter sehr zu schaffen machten und meine Gitarre vergrämten, brachte mir diese Er­kenntnis. Sie wurde mir übrigens später auch von anderen im öf­fentlichen Spiel versierten Spielern bestätigt. Besonders die Gitarre benötigt einen „überakustischen" Raum, um ihren Klang voll entfalten zu können. Damit ist eine Räumlichkeit ge­meint, die einen entsprechenden Nachhall hat; für den Gitarri­sten ein nicht immer erfüllter Wunschtraum. Bei zu großem Nachhall, etwa in Kirchen, besteht aber wiederum die Gefahr, daß bei einem sehr schnellen Tempo Töne und Harmonien in­einanderfließen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben sollen. Hier empfiehlt es sich, das Tempo eher zu reduzieren, damit das Spiel nicht an Klarheit verliert und der Eindruck von Unsauberkeit entsteht. Im anderen Fall, also in sehr „trocken" klingenden Räumen und Sälen ohne jeglichen Nachhall (Horror jedes Gitarristen!), sollte man vor allem langsame Sätze, länger ruhende Notenwerte oder melodische Linien, der die stützenden Bässe fehlen, etwas beschleunigen und auf keinen Fall „schlep­pend" vortragen. Für den Zuhörer sind vor allem unpassende Lücken ermüdend und langweilig, die sich durch die Toncha­rakteristik der Gitarre unter Umständen leicht ergeben können.

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Innerhalb eines Musikstückes dürfen Tempobeschleunigungen oder Verlangsamungen nicht abrupt erfolgen. Ausnahmen sind nur dann erlaubt, wenn der Komponist die „Agogik" ausdrück­lich vorschreibt. Für den Zuhörer muß das dann fast unmerklich und geschmackvoll vorbereitet werden. Alles muß sich orga­nisch entwickeln.

Es gibt namhafte Gitarristen, die daran Freude finden, einen Ton ganz plötzlich anzuhalten, um ihn genüßlich auszukosten. Solches manieristisches Getue nenne ich unkultiviert und lehne es - vor allem bei der alten Musik - strikt ab. Dagegen kann zum Beispiel bei der Interpretation spanischer Musik ein gelegentli­ches Tenuto, ein Anhalten eines oder mehrerer Töne, reizvoll und stilistisch durchaus vertretbar sein.

Die Wirkung eines Notentextes auf den Zuhörer hängt natürlich von vielfachen Faktoren ab. Bei der Gitarre ist es wichtig, ihre Klangstruktur, die in einer Art „Mikrokosmos" komprimiert er­scheint, entsprechend zum Tragen zu bringen. Wenn HECTOR BERLIOZ die Gitarre „ein kleines Orchester" nennt, so gilt es für den Gitarristen, dieses Miniaturorchester auch nach Mög­lichkeit erklingen zu lassen. Das wäre eigentlich seine Aufgabe, wenn auch eine sehr schwierige. Die Möglichkeiten, um das Ziel zu erreichen, sind ein fein differenzierter Anschlag, Klang­effekte beider Hände und unter anderem auch der Platzwechsel des auf der Zarge ruhenden rechten Armes, entweder in Rich­tung Steg bzw. umgekehrt oder zu einer Stelle oberhalb des Schalloches, wo der Ton bekanntlich weicher und wärmer wird.

Die „Phrasierung", das ist die sinnvolle Gliederung jeweili­ger musikalischer Abläufe (der Terminus wurde angeblich von dem französischen Komponisten und Hofcembalisten LUD­WIGS XIV., FRANCOIS COUPERIN - 1663-1783 -, erst­mals geprägt), trägt wesentlich dazu bei, die Struktur eines Wer­kes mittels fallweiser „Zäsur" verständlich und plastisch zu ma­chen. Eine Zäsur (sie wird auch manchmal als „Atempause" bezeichnet) wirkt beruhigend, oder besser gesagt „entspan­nend", und ist quasi mit den Interpunktionszeichen der Sprache zu vergleichen.

Eine behutsame bzw. eine mehr oder weniger scharfe Verdeutli­chung von Akzenten, punktierten Notenwerten usw. kann in die

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musikalische Aussage interessante Nuancen bringen. Eine le­bendige Dynamik sollte generell oberstes Gebot sein.

Bei der Interpretation alter Musik, vor allem der Barockmusik, ist es die verzierte Ausschmückung einzelner Töne oder Akkor­de mit phantasievollen Ornamentikmustern (dazu zählen vor al­lem der Mordent, der Vorhalt, die verschiedenen Arten von Vorschlägen und Trillern), die in sehr reizvoller und oft überra­schender Weise für die Aufführungspraxis dieser Epoche mit ih­rem galanten Stil von Bedeutung ist.

Wenn der „Klassik" eine eher ausgewogene, der musikalischen Form entsprechende, souverän geschlossene Interpretation ent­spricht, die romantische Periode wieder eine subtil gefühlsbe­tonte Wiedergabe erwartet, entwickelt sich die zeitgenössische moderne Gitarreliteratur mitunter zum Tummelplatz turbulenten Geschehens, wobei in Bezug auf die Klangfarbenproduktion - angefangen vom prägnanten, bizarren Anschlag bis zur varia­blen Perkussion (Schlag) auf Decke, Boden oder Zargen - eine ungeahnte farbige und rhythmische Palette in Erscheinung tre­ten kann.

Soll - abgesehen vom rein künstlerischen Belangen - eine befrie­digende Interpretation reibungslos erfolgen, ist es klar, daß da­bei auch Äußerlichkeiten notwendig sind: eine passende Räum­lichkeit, ein wohlklingendes Instrument, intakte Fingernägel, ein geeigneter, schon rechtzeitig ausprobierter Stuhl (kein Kla­vierstuhl!) und der unvermeidliche Fußschemel.

Nur durch die glückliche Kombination dieser vielfachen Fakto­ren kann dann der Künstler seine Interpretation erfolgreich ge­stalten und sich seiner musikalischen Aufgabe ganz hingeben. Nur so wird er auf der Gitarre „malen" können.

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Soll der Gitarrist Klavier spielen?

Ja, er soll! Selbst dann, wenn er wegen der längeren Fingernä­gel seinen Klavierlehrer nicht gerade erfreut.

Für das Verständnis des ganzen musiktheoretischen Komplexes ist es sogar äußerst wichtig, daß sich auch der Gitarrist zumin­dest bescheidene Kenntnisse auf dem Klavier aneignet, auch wenn er zu diesem Instrument ansonsten vielleicht keinerlei Bin­dung fühlt. Die Harmonielehre und ihre theoretischen Aufgaben - im Rahmen eines ernsten Musikstudiums unerläßlich - wird er mit Hilfe des Klaviers leichter und müheloser verstehen und er­lernen als mit der Gitarre; die übersichtlichen Tasten mit ihren Ganz- und Halbtönen bieten für den Anfänger ein sehr anschau­liches Bild.

Ich persönlich denke allerdings nicht gerne an meinen Klavier­unterricht zurück, obwohl es sich nur um einen „Nebenfach"-Unterricht gehandelt hat. Mein damaliger Lehrer hatte für mich, eine der jüngsten an der Musikakademie, wenig Verständnis. Das Geklapper meiner Nägel machte ihn nervös. Er war ein be­sonderer Liebhaber von CHOPIN, dessen Walzer ich, zugege­benermaßen, eher schlecht als recht spielte. Jedesmal erzählte mir der Herr Professor das gleiche Sprüchlein, nämlich daß ich mir die Nägel abschneiden müsse, weil man auf diese Weise nicht Klavier spielen könne. Ich erinnere mich, daß ich fast im­mer beschämt aus der Klasse schlich und - humanerweise - nicht meinen Lehrer, sondern das Klavier verwünschte, obwohl das große, schwarze Tier gar nichts dafür konnte.

Um den andauernden Quengeleien wegen der Fingernägel vor­zubeugen, wurde vor Jahren bei uns an der Hochschule das Kla­vier als obligates Nebenfach für die Gitarristen abgeschafft. Diese Regelung hat sich aber - vornehmlich wegen der prakti­schen Demonstrationen auf diesem Instrument - nicht als glück­liche Lösung erwiesen, so daß die Gitarrestudenten nun wieder die „harte Pflicht" des Klavierübens auf sich nehmen müssen. Das ist aber gut so, denn der alte Status brachte Vorteile.

Mittlerweile gibt es an unserer Anstalt schon eine ganze Reihe von Lehrern für das Pflichtfach Klavier, die den Unterricht zweckentsprechend und tolerant gestalten; dieser Umstand ist

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auch für die Streicher von Bedeutung, die meistens auch keine begabten Pianisten sind.

Bei den Gitarristen kam außerdem das Bangen hinzu, daß durch das Klavierspielen ein Nagel oder gar mehrere brechen könnten. Heutzutage ist so etwas keine Katastrophe, selbst dann nicht, wenn kurzfristig irgendeine Vorspielverpflichtung vorliegt. Es existieren bereits eine Menge sogenannter „Nagelstudios", in denen ein Schaden mühelos repariert werden kann. Entweder durch Kleben eines entstandenen Sprunges oder - noch besser -durch das Aufkleben eines künstlichen Nagels („Tip"), der mit einem entsprechenden Acryl-Überzug versehen wird. Ein derart künstlicher Nagel hält ca. eineinhalb bis zwei Monate und ist ab­solut verläßlich! Es gibt in dieser Beziehung schon mehrfache Methoden, die aber praktisch voneinander nicht sehr verschie­den sind und ein völlig unbelastetes Spiel ermöglichen. Man braucht sich nicht einmal erst lange daran zu gewöhnen; der Un­terschied zu den eigenen Nägeln ist kaum bemerkbar. Warnen möchte ich jedoch vor den fertigen künstlichen Fingernägeln, die man in den einschlägigen Parfümerien erhält. Sie sind zwar kosmetisch hübsch anzusehen, aber zum Gitarrespielen un­brauchbar.

Also bitte: Ausreden bezüglich des Klavierspiels sind nicht mehr gerechtfertigt. Ein wenig Klappern werden die Klavierleh­rer hinnehmen müssen. Für die Ausbildung jedes Musikers, also auch des Gitarristen, ist Vertrautsein mit dem Klavier ein unbe­strittener Vorteil.

Nachsatz

Ich möchte empfehlen, beim Gebrauch der oben angeführten künstlichen Nägel diese nach einiger Zeit mit Aceton (ohne 01-zusatz) wieder zu entfernen (Lösungsdauer ca. 25 Minuten), da­mit der natürliche Nagel nicht degeneriert.

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Konzerttournee in der UdSSR im Jahre 1935

Nachdem ich den Vertrag für eine Tournee nach Rußland unter­schrieben hatte, kamen mir Bedenken, ob ich überhaupt diese beschwerliche Reise unter den damals herrschenden Verhältnis­sen alleine schaffen würde. Es fand sich aber auch nach mehrfa­chen Bemühungen keine hierfür geeignete Begleitperson. Schließ­lich erklärte sich meine Mutter bereit, mich bei diesem „Aben­teuer", wie sie es nannte, zu begleiten. Sie bekam schon bei ei­nem Aufenthalt außerhalb Wiens nach geraumer Zeit Heimweh und es war erstaunlich, welchen „heroischen" Entschluß sie da­mals, einzig aus Liebe zu mir, gefaßt hatte. Ich werde ihr das auch nie vergessen. Glücklicherweise ahnten weder sie noch ich selbst, wie groß die Strapazen tatsächlich sein würden.

Wir begannen uns nun für die sibirische Kälte auszurüsten; mein Vater hatte den Eindruck, wir würden uns auf eine Nordpolex­pedition begeben.

Bei uns in Wien ging der Winter vorüber, ohne daß es für meine Mutter und mich Frühling werden sollte. Als wir uns in den Zug nach Warschau begaben, um dann von dort aus weiter nach Le­ningrad zu reisen, fuhren wir dem Eis und dem Schnee entge­gen. Flugverbindungen nach Rußland waren damals nicht ak­tuell. Auch eine Gruppe von Pelzhändlern, die mit uns in War­schau in den Zug gestiegen war - unter ihnen der Schwiegerva­ter des bekannten französisch-russischen Pianisten ALEXAN­DER BRAILOWSKY -, mußte die Bahnreise auf sich nehmen. Es gab keine andere Möglichkeit. Diese Herren hatten wegen ihrer genauen Kenntnis der Lage eine Menge Lebensmittel als Reiseproviant mitgenommen; wir hingegen glaubten, es gäbe ei­nen Speisewagen. Außer heißem Tee, der in allen russischen Zügen angeboten wird, hätten wir nichts in den Magen bekom­men. Aber unsere liebenswürdigen Reisegenossen versorgten uns, so gut es ging.

Von Warschau bis nach Leningrad fuhren wir zwei Tage und ei­ne Nacht; es war meine erste Konzertstation. An der polnisch­russischen Grenze begrüßten uns große Transparente mit der Aufschrift: „Proletarier der Welt, vereinigt Euch!". Für eine solche Vereinigung hatte ich kein Verständnis. Weitaus wichti­ger erschien es mir, möglichst viele Menschen durch den Klang

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meiner Gitarre zu vereinigen, wenn auch nur jeweils für ein paar Stunden. Ich hoffte, daß mir diese Absicht gelingen würde. Die Grenzkontrolle war übrigens sehr streng.

In Leningrad empfing uns eisige Kälte; es war so, als ob wir uns in eine Gefriertruhe begeben hätten. Aber zumindest war es eine trockene Kälte. Mit gutem Willen und warmer Kleidung hofften wir, uns daran zu gewöhnen.

Wir wohnten in einem erstklassigen Hotel, direkt vis-ä-vis der „Philharmonie", dem Konzerthaus, wo das Konzert stattfinden sollte. Man erklärte uns, wir seien in den „Fürstenzimmern" un­tergebracht. Sie waren wirklich „fürstlich" eingerichtet. Das Appartement bestand aus einem Salon, einem Schlafzimmer und etlichen Nebenräumen. Es war so weiträumig, daß wir uns an­fänglich ganz verloren vorkamen. In einem Raum stand ein rie­sengroßer Diplomaten-Schreibtisch, an dem meine Mutter später ihre langen, heimweherfüllten Briefe geschrieben hat. Vermutlich diente dieses Möbelstück früher eher heiklen Staats­geschäften.

In der freudigen Erwartung, endlich wieder eine warme Mahl­zeit zu bekommen, begaben wir uns in den Speisesaal des Hotels zum Abendessen. Der Saal war groß und elegant, an einer Seite befand sich ein breites Podium, auf dem eine sogenannte Salon­kapelle spielte. Rundherum standen Palmen und allerlei Grün-pflanzen. Kellner mit weißen Handschuhen eilten geschäftig zwischen den Tischen hin und her. Man hatte uns einen beson­ders schönen Platz zugewiesen. Meine Mutter war glücklich, die lange Reise so gut hinter sich gebracht zu haben und machte ein frohes Gesicht. Alles ging gut, wir waren zufrieden. Der Kellner sprach sogar etwas Deutsch. Wir bestellten zuerst eine warme Suppe. Da der Service prompt war, kam sie auch bald und mit ihr das Malheur. Meine Mutter legte schon bald den Löffel beiseite und lehnte sich zurück. „Was hast Du, Mama, ist Dir nicht gut?", fragte ich besorgt. „Diese Suppe kann ich nicht essen, sie schmeckt nach Petroleum", flüsterte sie zurück. „Mir wird übel, hilf mir!" - „Aber Mama, ich bitte Dich", erwi­derte ich etwas unsicher. Auch ich hatte den eigenartigen Ge­schmack bemerkt, der mir gar nicht behagte; aber ich war nicht so magenempfindlich, daß er mich umgeworfen hätte. „Die Suppe ist nicht schlecht und außerdem bildest Du Dir das nur

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ein, Mama", wagte ich zu erwidern. Plötzlich erschrak ich; was wäre, wenn meine Mutter die fremde Kost nicht vertragen wür­de? Unweigerlich müßten wir nach Wien zurückreisen und mei­ne schöne Tournee wäre geplatzt - abgesehen von anderen Unannehmlichkeiten. Das alles irritierte mich; es war ein uner­träglicher Gedanke, denn ich hatte noch niemals eine Konzert­verpflichtung verschoben, geschweige denn abgesagt. Jetzt näherte sich auch noch der Kellner unserem Tisch und blickte verwundert auf die vollen Tassen. „Nix gut?", fragte er treuher­zig. Meine Mutter wollte ihm zu verstehen geben, daß ihr nicht gut sei und deutete auf ihren Magen. Da ich aber in der Fremde jedes Aufsehen vermeiden wollte, brach plötzlich das einzige russische Wort, das ich kannte, aus mir heraus und paßte unver­mutet in die Situation: „Karascho, karascho", — „gut, gut!". Ich hoffte, der Kellner würde ohne weitere Debatten abziehen. Er tat es auch, leise murmelnd und den Kopf schüttelnd. Ich ha­be diese Szene noch so klar vor Augen, als ob sie sich gestern abgespielt hätte. „Mach Dir nur meinetwegen keine Sorgen, mein Kind, es wird schon gehen", tröstete mich danach meine Mutter.

Man teilte uns mit, daß die Kapelle für uns zu Ehren den Donau­walzer spielen wird. „Das ist doch eine außerordentlich nette Geste", bemerkte ich zu meiner Mutter, die immer noch drein­schaute wie ein Opferlamm, das man zur Schlachtbank führt. Die dann folgenden Speisen waren - trotz skeptischer Prüfung durch meine Mutter - ganz ausgezeichnet. Die Lage entspannte sich zusehends und ich konnte wieder aufatmen.

Heute, nach so vielen Jahren, muß ich über meine Aufregung hellauflachen; aber damals, nach der langen Reise, waren wir übermüdet, ausgefroren und durch die vielen neuen Eindrücke noch etwas verunsichert. Ein Mirakel wird sie jedenfalls blei­ben, diese erste Suppe auf russischem Boden. Ich nehme an, daß es vielleicht ein Beigeschmack des Wassers war, den wir spür­ten; vielleicht lag es auch an einem fremdartigen Gewürz, das uns - besonders aber meine empfindliche Mutter - irritierte. Wir haben aber sowohl während des weiteren Aufenthalts in Lenin­grad als auch auf der weiteren Reise, soweit es die Restaurants in den Hotels betraf, nie mehr die geringsten Schwierigkeiten mit der Kost gehabt.

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Aus meinen Aufzeichnungen vom März 1935: „Besuch des Konzerthauses 'Philharmonie', wo ich meine Konzerte spielen werde. In einem Riesensaal, mit einem Fassungsvermögen von 2.500 Personen, fand gerade ein Wettbewerb für Harfe, Violine, Oboe und Klavier statt. Man führte mich da hinein und eine Weile hörte ich inter­essiert dem Spiel der Kandidaten zu. Eigentlich wollte ich aber denjenigen Saal ansehen, in dem in den nächsten Ta­gen mein erstes Konzert stattfinden sollte, und ich bat um Einlaß. „Aber DAS ist doch der Saal, in dem Sie spielen werden!", antwortete man mir. Ich war sprachlos, denn er war weitaus größer als der größte unserer Wiener Kon­zertsäle, der „Große Musikvereinssaal", der prächtige Saal mit einem Fassungsvermögen von 1.800 Personen. Hier also sollte meine HERNANDEZ-Gitarre mit ihren dynamischen Möglichkeiten erklingen. Die Akustik sei wunderbar, versicherte man mir. Nun, wenigstens dieser Gedanke tröstete mich".

Es blieb mir auch nichts anderes übrig, als gemeinsam mit mei­nem Instrument in diese Dimension hineinzuwachsen, das heißt, es entsprechend zu handhaben und meine seelischen Kräfte wirksam zu machen, um trotz meines Unbehagens ein künstleri­sches Erlebnis zu erzielen.

Aus einem Brief meiner Mutter an meinen Vater nach Wien: „... LUISES erstes Konzert in Leningrad ist nun vorüber. Es wurde für sie zu einem grandiosen Erfolg, trotz ihrer Befürchtungen wegen der Größe des Saales. Ich habe es ausprobiert, die Gitarre hat bis hinten gut getragen, auch die leisesten Töne hat man gehört. Schade, daß Du das nicht miterleben konntest. Das zweite Konzert wird auch im Radio übertragen, vielleicht kannst Du die Sendung in Wien empfangen. Bitte, schreibe uns darüber, aber vielleicht besser schon nach Moskau, Hotel National. Der Gitarre-Boß von Leningrad - ich glaube, er heißt ISAKOFF - war schon zweimal mit einigen seiner Schüler bei uns im Hotel und führte über einen Dolmetscher mit Luise Fachgesprä­che. Sie hat mit allen diesen Beratungen und Anhören von jungen Studenten vollauf zutun. Immer ist bei uns etwas

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los, die Zeit zum Üben, wie sie meint, zu knapp. Wir muß­ten auch schon Absagen erteilen, da wir uns doch auch etwas ansehen möchten..".

Aus meinen Aufzeichnungen: „Man hatte uns in die Oper eingeladen, zu einem Ballett des russischen Komponisten ASSAFJEW. Das Ballett hieß 'Der Springbrunnen von Bachtschissaraisk'. Dieses span­nungsreiche Werk und die wunderbare Tanzkunst der Dar­steller, wie es sie auf dieser Höhe wohl nur in Rußland gibt, war für uns ein unvergeßliches Erlebnis. Die feen­hafte Grazie der wie schwerelos dahinschwebenden Prima­ballerina ULANOWA (in Fachkreisen der berühmten Tän­zerin PAWLOWA und ihrem legendären 'sterbenden Schwan' gleichgesetzt) und die leichten hohen Sprünge der Tänzer wirkten auf mich wie energiegebündelte, dionysi­sche Naturverbundenheit. Die Ausstattung des Balletts war nicht nur prunkvoll, sondern auch in ihrer Ästhetik beein­druckend. Einen deprimierenden Kontrast bildeten die da­mals meist schlecht gekleideten Menschen im Opernraum auf den mit lichtblauem Samt überzogenen Goldstühlen: die Männer in derben Hosen und Stiefeln, die Frauen in Ar­beitskleidung - eben so, wie sie aus den Betrieben ka­men.. .".

Der zuvor genannte Komponist Boris Wladimirowitsch Assaf-jew hat übrigens später auch ein Konzert für Gitarre und Orche­ster geschrieben, was wenig bekannt sein dürfte. Es ist ein dreisätziges, in seinen tänzerischen Themen wenig kontrastie­rendes Werk; der zweite Satz nur für Gitarre. Ein Solostück, was unter Umständen sehr reizvoll wäre. Aber der dritte Satz ist so überraschend kurz, daß man annehmen könnte, der Kompo­nist hätte sein Werk aus Lustlosigkeit abgebrochen. Von dem russischen Gitarristen LEO AMDRONOV existiert eine Schall-platteneinspielung.

Aus meinen Aufzeichnungen: „Heute besuchten wir die 'Eremitage'; diese berühmte Gemäldegalerie und Schatzkammer steht im Zusammenhang

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mit dem ehemaligen Zaren-Palais. Wir waren von den Ein­drücken überwältigt. Auf dem weiten Platz vor dem Winterpalais steht eine hohe Säule aus einem einzigen rotbraunen Achat. Sie läßt bereits jene bezaubernde Schönheit und Großzügigkeit ah­nen, die man in den Räumen als Manifestation berühmter Malkunst und prunkvoller Glorifizierung von Macht und Rang einzelner Herrscherhäuser zu sehen bekommt. Meine Mutter möchte Zarskoje Selo, den 30 km von Lenin­grad entfernten Landsitz des Zaren sehen; wir werden in den nächsten Tagen hinfahren. Heute möchten wir noch die Stadt besichtigen, diese wunderschöne Stadt, auf die ich mich schon so gefreut habe. Auf den breiten Straßen Leningrads, die hier 'Prospekte' genannt werden, spazierten wir an der Newa entlang, vorbei an Palästen, großen Parkanlagen und attraktiven Bauten, da wir hörten, daß an der linken Seite des Flusses der inter­essanteste Teil Leningrads liegt. Wir kamen vorbei an Kathedralen und Kirchen, die aber alle gesperrt waren. Nur ein paar alte Weiblein saßen auf den Stufen und dösten vor sich hin. Auf den Straßen herrschte reger Verkehr. Geschäfte in un­serem Sinn, wo man gerne gekauft hätte, sahen wir eigent­lich nicht. Als Ausländer konnten wir in den sogenannten 'Kommissionsgeschäften' einkaufen; deren Waren wiesen aber keine Qualität auf, so daß wir nicht mehr nach ihnen Ausschau hielten. Es war eine völlig andere Welt, die uns hier begegnete, eine in unverständlicher Art gegrenzte Welt".

Depesche meiner Mutter nach Wien, März 1935: „Zweites Konzert Leningrad wieder ausverkauft, riesiger Erfolg, hoffen sehr, daß Du hören konntest, Grüße von uns beiden...".

Ja, es gelang mir wirklich gut, auch dieses zweite Konzert in dem Riesensaal, der eine so fabelhafte Akustik hat. Das Podium ist weit ausladend und hoch, der Ton strömte angenehm in die Weite des Raumes und es war unnötig, tonlich zu forcieren. Dort ereignete sich eine lustige Begebenheit, sehr ähnlich wie

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einmal in Italien: Während ich gerade eine schwierige Variation spielte, sauste irgend etwas quer über das Podium, ich selbst konnte aber gar nicht genau wahrnehmen, was es eigentlich war. Meine Mutter meinte, es wäre so etwas wie ein Marder ge­wesen; vielleicht war es aber auch nur eine Ratte, die für Gitar­remusik nichts übrig hatte und die Flucht ergriff. Nach dem Konzert belagerte man mich im Künstlerzimmer; ich war zwar sehr müde, aber auch glücklich, denn dieses Konzert war einer meiner größten Erfolge. Das Publikum war phantastisch und lauschte voller Begeisterung und Aufmerksamkeit.

Ein bekannter Maler aus Leningrad, dessen Namen ich leider ver­gessen habe, wollte mich malen; aber für solche „Sitzungen" war die Zeit viel zu kurz. Daher entstand nur eine kleine Skizze, die einer seiner Schüler während eines Konzertes gezeichnet hatte.

Es hieß nun bald Abschied nehmen von dieser Stadt, die mir in baulicher Hinsicht so sehr gefiel und die soviel an Schönheit aufzuweisen hatte.

Mit dem „Roten Teufel", wie der Zug hieß, ging es dann weiter nach Moskau, wo wir im Hotel „National" wohnten. Wir hatten auch dort ein elegantes Appartement mit jedem Komfort zur Verfügung. Als eine meiner ersten Aufgaben betrachte ich es stets, mir den Konzertsaal, in dem ich spielen soll, einmal am Tag anzusehen. Er sieht dann meist weniger schön aus als am Abend bei Licht; aber man kann sich dann schon vorher seelisch mit ihm „befreunden". Das tat ich auch gleich am Tag nach meiner Ankunft in Moskau. Wiederum war es ein riesenhafter Saal mit einem Fassungsvermögen von 2.000 Personen - nun, wenigstens 500 weniger als in Leningrad!

Am Nachmittag hatte man hier ein kleines Schülerkonzert des bekannten Moskauer Gitarristen und Gitarrelehrers AGAFO-SCHIN angesetzt, dem ich beiwohnen sollte. Die jungen Leute spielten zum Teil recht gut, aber ich kann mich nicht erinnern, daß ein besonderes Talent dabei gewesen wäre, obwohl es heute in Moskau schon eine stattliche Anzahl guter Gitarristen gibt. Herr Agafoschin, der auch ein Schulwerk veröffentlicht hat, wollte mich am nächsten Tag mit einigen Schülern im Hotel be­suchen, um sich beraten zu lassen. Dazu möchte ich sagen, daß die Gitarristen immer nur in Gruppen erschienen, denn es war

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damals unerwünscht, wenn einzelne Personen mit Ausländern Kontakt aufnahmen. Das war auch wahrscheinlich der Grund, warum es nicht zur Fühlungnahme mit russischen Künstlerper­sönlichkeiten kam und private Gespräche mit mir kaum geführt werden konnten. Die Gitarristen kamen stets in Begleitung eines höheren Diplomaten einer ausländischen Gesandtschaft; er war Enkel eines Mannes aus höchsten schwedischen Kreisen und schien ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich erwähne ihn deshalb, weil er ein begeisterter Freund der Gitarre war und in Moskau einiges für dieses Instrument getan hatte. Über die Ge­sandtschaft konnte er vor allem Saiten und Noten besorgen, die es in Rußland nicht gab. Ein Besuch in der Oper mit der Ballett­aufführung „Der rote Mohn" war für mich zwar ein schönes Er­lebnis, aber - verwöhnt durch Leningrad - kein gravierendes, künstlerisches Ereignis. Das Sprechtheater gestaltet sich ganz anders; man kann begeistert sein, auch ohne den Text zu verste­hen, wenn die Darstellung der Schauspieler so grandios ist. Wir im Künstlertheater sahen TOLSTOJS „Auferstehung" und „Der Revisor" von GOGOL.

Aus einem Brief meiner Mutter an meinen Vater nach Wien: „...ihr erstes Konzert hat Luise großartig gespielt, sie war in bester Verfassung, obwohl ihr vorher etwas bange war. Das Publikum war voller Begeisterung und bestürmte sie nachher im Künstlerzimmer so, daß ich Not hatte, mich durch die Menge zu ihr vorzudrängen. Auch ich bin glück­lich, daß alles so gut ausgefallen ist und bin froh, mitge­fahren zu sein, um Luise helfen zu können. Draußen ist es heute wieder bitter kalt. Wir haben neulich den Kreml besichtigt, soweit das möglich war. Er liegt auf einem Hügel über dem Fluß Moskwa und ist von einer Mauer mit vielen Türmen umgeben. Ich wußte nicht, daß er früher der Palast des Zaren war, jetzt ist er jedenfalls Sitz der obersten Behörden der Sowjetunion. Die Philhar­monie möchte, daß Luise nach ihrer Rückkehr aus Georgien außer dem vorgesehenen Konzert noch eines in einem gro­ßen Stahlwerk mit 50.000 Arbeitern gibt. Ich glaube aber, daß sie dann, nach der langen Reise, schon zu übermüdet sein wird. Wie geht es dem 'Auri '?. . ." .*

* mein kleiner Hund

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Die Kälte war so groß, daß man sich auf der Straße nicht sehr lange aufhalten konnte. Obwohl ich dicke Handschuhe trug, ta­ten mir die Finger weh. Wir gingen deshalb zurück in die war­men Räume des Hotels.

Wir saßen nur kurze Zeit beim Mittagstisch, als ein jüngerer, gut aussehender Herr zu uns trat, sich vorstellte und erklärte, daß er unseren Aufenthalt in Moskau betreuen würde und in al­len Belangen zur Verfügung stünde. Er hieß ANDREJ M.. . „Ein sehr komplizierter Name", meinte meine Mutter. „Wir werden ihn uns kaum merken können". „Aber nein, gnädige Frau", sagte der Russe in einem ausgezeichneten Deutsch, „das ist auch gar nicht nötig, sagen Sie einfach Andrej zu mir". „Al­so gut, wenn Sie es gestatten, werden wir es gerne tun, Andrej", bemerkte ich gutgelaunt. „Vor allem aber: Wie hat Ihnen mein gestriges Konzert gefallen?" - „Ich bin hellauf begeistert", sagte der junge Mann. Er erklärte meiner Mutter, daß es ihm bei mei­nem Auftritt so vorkam, als wäre der Frühling auf das Podium gestiegen! „Dann hat er sich aber sehr schnell wieder zurückge­zogen", meinte meine Mutter, „ denn wir sind heute draußen fast erfroren". Andrej blieb noch bei uns sitzen. Von dieser Stunde an war er immer für mich da, wenn ich ihn brauchte und strahlte mich mit seinen blauen Augen an. Er verhalf uns zu zahlreichen Annehmlichkeiten und las mir meine Wünsche von den Augen ab. Wahrscheinlich tat er weit mehr, als er zu tun hatte, ich konnte mit ihm jederzeit rechnen und vertraute ihm. „Dieser Andrej hat sich aber in Dich verliebt", sagte meine Mutter. Sie hörte oft „das Gras wachsen" und ich konnte ihr dieses Mal nicht widersprechen.

Wir bekamen eine Einladung in die Oper „Pique Dame" von Pe­ter TSCHAIKOWSKY, eine Oper, die ich gerne mag und die einen meiner freien Abende vergnüglich ausfüllte; es war eine ausgesprochen gute Aufführung.

Mir zu Ehren wurde wiederum ein kleines Gitarrekonzert mit einer anderen Schülergruppe Herrn Agafoschins veranstaltet. Es endete, wie ich das so gewohnt war, als eine Art „Seminar". Ich nahm es diesen lernbegierigen Menschen aber keineswegs übel, daß sie mich derart in Anspruch nahmen. „Betrachten Sie mich als Ihren Sekretär", hatte Andrej gesagt. Er versuchte zwar,

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mich einigermaßen zu entlasten, aber gegen die Gitarreenthu­siasten war er machtlos.

Mein zweites Konzert in Moskau fiel ebenso erfolgreich aus wie das erste; es machte mich sehr glücklich. Ein Brief meines Va­ters nach Moskau verkündete mir, daß er mein Leningrader Konzert im Radio gehört hatte.

Auf meiner ganzen Rußlandreise erhielt ich nirgendwo eine Blu­me. Auch in den Geschäften sah ich keine Blumen, mit Ausnah­me von Papierblumen, die man mir wahrscheinlich nicht überreichen wollte. Gab es damals in Rußland keine Glashäuser, keine Blumen? Wo sind sie geblieben? Da ich eine große Blu­menfreundin bin und mich gerne mit Blumen umgebe, vermißte ich sie damals wirklich.

Das Ende meines ersten Moskauer Aufenthaltes war herange­kommen. Als nächster Programmpunkt sollten zwei Konzerte in der alten Stadt Odessa, dem Schwarzmeer-Hafen, stattfinden. Es erwartete mich Neues, Unbekanntes und ich freute mich dar­auf. Unser „Schutzengel" Andrej, der uns zur Bahn begleitete, schien einigermaßen bedrückt zu sein, daß er nicht mitfahren konnte. Er sprach davon, daß wir nun in den Frühling fahren, wo es schon warm ist und die Rosen bereits blühen. Frühling in der Krim! Er mußte schön sein! Außerhalb des europäischen Teils von Rußlands bekamen wir eine weibliche Begleitperson und Dolmetscherin, eine ehemalige Schauspielerin, die ein er­staunlich gutes Deutsch sprach. Sie sollte uns bis Georgien und dann wieder zurück nach Moskau bringen. Die Reise von Mos­kau nach Odessa dauerte zwei Tage.

Noch am gleichen Tag der Ankunft in Odessa mußte ich spielen. Mein zweites Konzert war bereits am nächsten Tag, so daß ich von dieser Stadt nichts sehen konnte. So habe ich an sie keine weiteren Erinnerungen, mit Ausnahme der erfolgreichen Kon­zerte, die natürlich, wie in Rußland gewohnt, bei vollen Sälen stattfanden. Man wollte noch gerne ein drittes Konzert anschlie­ßen, aber terminmäßig war das nicht zu bewerkstelligen.

Das so überaus große Interesse für die sechssaitige spanische Gitarre wunderte mich eigentlich, denn die siebensaitige Gitarre hatte damals einen weitaus höheren Bekanntheits- und Beliebt­heitsgrad.

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Gleich nach dem Konzert in Odessa schifften wir uns für eine viertägige Seefahrt auf dem Schwarzen Meer ein, nach Batum als vorläufiges Reiseziel. Von dort sollte es dann nach Tiflis mit dem Zug weitergehen.

Das Meer war sehr unruhig und es dauerte daher auch nicht lan­ge, bis meiner Mutter und mir übel wurde. Der Boden stieg und fiel, die Wände schwankten. Eigentlich hatte ich vor, noch zu Abend zu essen, da ich vor einem Konzert nie etwas esse und nachher immer hungrig bin. Aber schon auf dem Weg in den Speisesaal gaben wir es auf. Ich hatte nur noch einen Wunsch: Zurück in die Kabine! Meine Mutter wankte hinter mir her. Bei­de warfen wir uns auf die Betten, nichts war mehr wichtig. Wa­rum fuhr ich überhaupt auf dem Meer, das war doch verrückt! — Wozu das alles? Der Arzt kam und gab uns Pillen. Alles war mir gleichgültig. Meine Mutter stöhnte leise. Ich wollte mich für die Hilfe bedanken, aber es war zu mühevoll - nur von nichts mehr wissen - schlafen können ... Zwei Tage ging das so, wie ich mich erinnern kann, dann wurde es wieder besser, meine Lebensgeister kamen zurück, ich dachte auch wieder an meine Konzerte, die ich noch vor kurzem verwünscht hatte. Der toben­de Sturm legte sich, das Meer bekam die herrliche Farbe eines Saphirs, und man konnte auch schon wieder auf dem Deck her­umspazieren. Nicht lange würde es dauern, bis unser Schiff im Schwarzmeer-Hafen Jalta anlegen und sich dort für kurze Zeit aufhalten würde. Wir freuten uns alle drei, das Schiff verlassen und etwas spazieren gehen zu können, obwohl die Temperatur alles andere als angenehm war. Vom Frühling, dem prophezei­ten, keine Spur!

Jalta! Was für ein geschichtsträchtiger, gravierender Name, seit dem zweiten Weltkrieg! Zur Zeit meiner Rußlandreise war es allerdings nur eine Hafenstadt am Schwarzen Meer, ein bekann­ter Badeort an der Krim, mit dem ehemaligen Zarenschloß Li-wadia als eine der Sehenswürdigkeiten.

Unser Schiff legte im Hafen an und laut Order des Kapitäns soll­te es hier eineinhalb Stunden bleiben. „Wir", meine Mutter und ich sowie die uns zugeteilte Dolmetscherin, waren froh, an Land gehen zu können und wieder einmal festen Boden unter den Fü­ßen zu spüren.

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Ich wußte, daß meine Mutter im Hinblick auf strikt einzuhalten­de Abfahrtszeiten immer etwas Angst hatte und schlug daher vor, nur am Ufer in der Nähe des Hafens zu promenieren, wo man das Schiff im Auge behalten konnte. Für einen sprachunkundi­gen Ausländer war es zu dieser Zeit schwierig, allein außerhalb Zentralrußlands zu reisen. Wir waren froh, durch unsere Beglei­terin, die auch mein Geld verwaltete, etwaiger Schwierigkeiten enthoben zu sein. Wir gingen also alle zusammen an Land, aber während meine Mutter und ich sich nicht weit entfernten und uns nicht getrauten, in der verhältnismäßig kurzen Zeit in die Stadt zu gehen, verabschiedete sich unsere Begleiterin mit der Bemerkung, sie wolle sich etwas ansehen und käme pünktlich zurück. Obwohl wir Verständnis zeigten, war doch ihr eigen­williges Verhalten gegen ihren Auftrag gerichtet, denn die staat­liche Philharmonie engagierte sie für unsere engste Betreuung.

Nach einiger Zeit des Herumbummelns am Ufer wollte meine Mutter, die andauernd auf ihre Uhr blickte, wieder auf das Schiff zurückkehren, und ich muß gestehen, daß ich darüber et­was verärgert war. Aber um ihr diesen Gefallen zu erweisen, spazierten wir doch zurück, während sie mir erklärte, daß es hier, im wilden Kaukasus, kein Vergnügen sein müsse, verlas­sen zurückzubleiben. Und da ich für Felsmassive überhaupt nichts übrig habe, fügte ich mich doch ganz gerne ihrem Rat und ging mit ihr an Bord des Schiffes. An die Reling gelehnt, ließen wir uns von den spärlichen Sonnenstrahlen, die dem als wunder­schön gepriesenen Krim-Frühling wenig Ehre machten, etwas erwärmen. Im Schatten war es noch bitter kalt.

Wir genossen das nicht lange, denn es kam uns vor, als würde sich das Schiff ganz langsam in Bewegung setzen. So sachte und langsam, als wollte es sich erst überlegen, ob es die Wogen hin­auf und dann wieder hinunterklettern solle. Bald aber bemerkten wir, daß es keine Einbildung, sondern Wirklichkeit war. Ob­wohl wir sofort überall herumsuchten, war unsere Begleiterin nirgends zu sehen. Sie war auch tatsächlich nicht an Bord ge­kommen, denn vom Kai her hörten wir gellende Schreie und Ru­fe und erkannten unsere Russin, die wie eine verzweifelte Gluckhenne herumlief und mit den Armen fuchtelte. Wild gesti­kulierend wollte sie unserem Kapitän klarmachen, daß an Bord Ausländer seien, die ohne ihre Begleitung nicht reisen könnten.

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Aber das Schiff ignorierte das völlig; wie ein stolzer Schwan setzte es unbeirrbar seine Fahrt aus dem Hafen fort. Schon bald war die Gestalt unserer Russin, die immer noch winkte und auf ein Wunder wartete, nur noch als kleiner, herumflitzender Punkt zu erkennen.

Wir waren also alleine, alleine im tiefen Rußland; momentan zwar irgendwie geborgen auf dem Schiff, aber was sollte weiter mit uns werden? Wir konnten weder Russisch noch hatten wir, bis auf eine unbedeutende Summe, Geld bei uns. Meiner Mutter hatte es die Sprache verschlagen und ich, mit meiner lebhaften Phantasie, sah mich schon in einer russischen Schenke den „Ro­ten Sarafan" aufspielen (das einzige Volkslied, das ich kannte) und dann bei dem Völkergemisch der Georgier, Tscherkessen, Tsetschenen und wie sie noch heißen mögen, mit meiner Pelz­mütze Geld kassieren.

Aber das Geschick hatte doch noch Besseres vor. Durch einen jungen Matrosen, einen blonden Deutschen, ließ uns der Kapi­tän sein Bedauern übermitteln, daß er unbedingt früher aus dem Hafen auslaufen mußte, denn ein aufböender Sturm hätte ihn da­zu gezwungen. Nun, ich bin kein Seemann und kann das nicht beurteilen; bisher war mir nur bekannt, daß Fahrpläne eingehal­ten werden müssen, aber, wie gesagt - es mag auch Notsituatio­nen geben. Wie sehr war ich meiner Mutter dankbar! Es wurde uns dann noch versichert, daß wir an unserem nächsten Transit­ziel, Batum, Hilfe bekämen, so daß wir auch ohne Geldmittel ein Hotel zwecks Übernachtung beziehen und dann am nächsten Morgen die Reise nach Tiflis per Bahn weiter fortsetzen könn­ten. Glück im Unglück! Jedenfalls waren wir nun einigermaßen beruhigt und meine arme Mutter bekam wieder Farbe in ihr Ge­sicht. Dann kam programmäßig der prophezeite Sturm und mit ihm wieder die verflixte Seekrankheit, das Gefühl, nicht leben und nicht sterben zu können. Am nächsten Morgen waren die Wogen wieder geglättet und ein sonnenbeschienenes Meer ließ uns das Dasein durchaus lebenswert erscheinen. In dieser beru­higten Stimmung erreichten wir Batum. Da es bei unserer An­kunft erst Nachmittag war, spazierte ich mit meiner Mutter vom Hotel aus noch zu dem nahegelegenen Strand, zu diesem herrli­chen Strand von Batum, den ich wohl nie vergessen werde. Lang und weit, sich schier bis in die Unendlichkeit erstreckend,

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war er durchweg mit eigentümlich runden Steinen bedeckt, die in ihrem strahlenden Weiß mit den über unseren Köpfen herum­segelnden Möwen zu wetteifern schienen. Die Menschenleere, die friedvolle Atmosphäre und das vor uns rollende blauschwar­ze Meer, das in gleichmäßigem Rhythmus mit schaumig kräu­selnden Wellen den Strand säumte, bot nicht nur einen erhebenden Anblick, sondern ein Labsal für unsere strapazier­ten Nerven.

Nachher im Hotel mußte ich wieder üben; mit einem Handtuch unter den Saiten, als Sordine, um in meiner prekären Situation nur nicht aufzufallen.

Am nächsten Morgen kamen erneut zwei Leute, der junge Ma­trose in Begleitung eines Soldaten mit Puschka, die alles für uns im Hotel erledigten und uns recht fürsorglich in den richtigen Zug setzten, mit dem wir in die Hauptstadt der Sowjet-Bundesrepublik Georgien, den kulturellen Mittelpunkt Trans-kaukasiens, fahren sollten.

Durch die Steppe nach Tiflis! Die anstrengende Reise dauerte zwei Tage und zwei Nächte. Natürlich hatten wir Schlafwagen, aber trotzdem war es ener­vierend und man spürte sämtliche Knochen. Der Zug hatte auch einen Speisewagen, der aber sehr dürftig eingerichtet war und einen schmutzigen Eindruck machte. Wir beschlossen, nachdem wir den schmuddeligen Koch erblickten, nichts anderes zu ge­nießen als den gewohnten heißen Tee und Kompott aus einer Dose. Zwei Tage konnte man ganz gut davon leben. Auf den Stationen durch die Steppe kamen meist auch Bauersfrauen mit großen Körben zum Zug, in denen sie gebratene Hühner und Milch in großen Tonkrügen trugen. Da wir nach dem Aussehen vermuten mußten, daß sie die Hühner schon mehrmals zur Bahn geschleppt hatten, verging uns der Appetit und wir hielten uns doch lieber an das Kompott. Die Milch, die ich versuchte, schmeckte so scheußlich, daß ich sie ausspuckte und meiner Mutter erst gar nicht anbot. Entweder handelte es sich um Schafmilch, die wir nicht gewohnt sind, oder sie war auf Feuer­stellen in den Tonkrügen gekocht. Für uns jedenfalls ungenieß­bar. Wenn ich an einer Station ausgestiegen war, um mich umzusehen, mußte man nicht ängstlich sein, wieder rechtzeitig

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den Waggon besteigen zu können. Die Züge fahren derart lang­sam an, daß die Möglichkeit besteht, noch eine ganze Weile ne­ben ihnen herzugehen. Speziell meine Mutter registrierte das mit großem Wohlgefallen und so konnte auf dieser langen Fahrt eigentlich nichts Unangenehmes mehr geschehen.

Endlich, endlich waren wir in Tiflis, unserem Bestimmungsort, wo meine ersten Konzerte in Georgien stattfinden sollten, ange­kommen.

Tiflis! Vom Bahnhof wurden wir von einer rumpeligen Kutsche mit Pferd abgeholt, die sich durch den total aufgeweichten leh­migen Boden kämpfte und einige Male steckenzubleiben drohte. Das alte Kur-Heilbad mit den heißen Schwefelquellen ist die Hauptstadt Georgiens und der kulturelle Mittelpunkt Transkau-kasiens. Es ist eine an Berghängen terrassenartig angelegte Stadt, geteilt in einen europäischen und einen asiatischen Teil. Kaum woanders habe ich so viele verschiedene Menschentypen in orientalischer Kleidung und turbanartigen Kopfbedeckungen an einem Ort gesehen. Da waren Armenier, Tataren, Türken, Kurden, Perser und noch viele andere; ein buntes Gemisch ver­schiedener europäischer und asiatischer Völkerschaften wander­te da geschäftig durch die Straßen dieser sympathischen Stadt. Feudalbauten aus früherer Zeit ließen erkennen, daß hier einmal Wohlstand vorherrschte und Erholungsbedürfnis gerne ein Stell­dichein gaben. Alles in allem ein malerisches Bild, das sich dem Fremden hier präsentiert.

Unsere in Verlust geratene Dolmetscherin war immer noch nicht eingetroffen. Man sagte uns, daß sie von Jalta aus das un­wirtliche kaukasische Gebirge nur mit einer Kutsche durchque­ren könne. Ich sandte ein Dankgebet zum Himmel, daß uns dieser Jammer erspart geblieben war.

Ein Herr der veranstaltenden „Philharmonie" bot sich an, uns an meinen freien Tagen etwas herumzuführen. So sahen wir z.B. die Zionskathedrale aus dem 7. Jahrhundert mit dem Kreuz der Hl. Nina, einige Moscheen, die Ruinen einer alten Perser­burg sowie das sehr interessante kaukasische Museum.

Erst nach zwei Tagen konnten wir unsere Begleiterin in ziemlich ramponiertem Zustand wieder bei uns begrüßen. Nach ihrer

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Schilderung zu schließen, hatte sie während ihrer Kutschenfahrt keine besonders gemütliche Zeit erlebt.

Vor meinem ersten Konzert hatten wir noch die Möglichkeit, ei­ne Opernvorstellung zu besuchen. Man spielte „Margarete" von GOUNOD. Den jungen Tenor verfolgte das Pech, denn er kick­ste einmal mit der Stimme. Ein beachtliches Pfeifkonzert erhob sich, das jedem Sänger bei uns die Stimme verschlagen hätte; aber unser Tifliser Held zeigte Durchhaltevermögen und sang die Partie ungerührt weiter, als ob nichts gewesen wäre - sogar wirklich schön. Er spielte den FAUST, und wer hätte schließ­lich dann die MARGARETE verführen sollen, wenn er so früh k.o. gegangen wäre? Zu meiner Mutter sagte ich an diesem Abend: „Das Publikum ist hier anspruchsvoll, da muß ich aber aufpassen, daß mir beim Konzert nichts passiert, denn schließ­lich bin ich nicht so weit hergereist, um mich auspfeifen zu las­sen". Doch die Zeitungsberichte, die man mir nach meinem Konzert überreichte und die ich freilich nicht lesen konnte, mußten, den Gesten der Leute nach zu urteilen, sehr positiv ge­wesen sein. Alle Konzerte waren übrigens, wie ich das in Ruß­land schon nicht mehr anders kannte, ausverkauft. Die Fahrt von Tiflis zurück nach Moskau verlief ohne Schwie­rigkeiten. In Georgien war es ein wenig wärmer gewesen, aber jetzt ratterten wir wieder dem Schnee und der Kälte entgegen. Nächte, weiße Steppen, und als Trost der heiße Tee aus dem Sa­mowar im Zug.

In Moskau erwartete uns am Bahnhof der gute Andrej, dem die Zeit meiner Abwesenheit, wie er mir versicherte, schon recht lange vorgekommen war.

Mein drittes und letztes Konzert in Moskau, mit einem neuen Programm, fand wiederum in demselben großen Saal statt wie die ersten beiden. Die üblichen Ovationen, tumultartiger Ap­plaus und die Bitte, daß ich wiederkommen solle! Alle Gitarristen wollten einen Beitrag leisten, daß eine zweite Tournee zustande kommt, obwohl das gar nicht in ihrer Entscheidungsgewalt lag. Wahrscheinlich wäre es auch möglich gewesen, wenn sich die Zeiten nicht zusehends kritischer entwickelt hätten - der Welt­krieg brach schließlich aus. So habe ich auch den liebenswürdi­gen Andrej, der uns so hilfreich und fürsorglich zur Seite stand, nie mehr wiedergesehen.

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April 1935 - Nach meinem letzten Konzert in Leningrad schrieb meine Mutter an meinen Vater nach Wien:

„...Das Künstlerzimmer der Philharmonie war überfüllt. Luise konnte sich kaum der Leute erwehren, alle wollten sie nochmals sehen, mit ihr sprechen, wenn auch nur in dürftigster Weise, und Autogramme erhalten. Wir mußten durch einen Hinterausgang fliehen, weil man sie beim Hauptausgang wiederum belagert hätte. Es ist nun schon langsam an der Zeit, daß die Tournee zu Ende ist, ich glaube nicht, daß Luise noch ein zusätzliches Engagement annehmen wird - sie ist übermüdet, aber froh, daß sie das alles geschafft hat. Wir hoffen, daß Du das Leningrader Konzert im Radio hören konntest und auch das von Mos­kau, obwohl Luise derlei Übertragungen, wie Du weißt, nicht gerne hat. Wenn wir wissen, an welchem Tag wir ab­reisen können, depeschiere ich..."

„Abschiedskonzert"! Man weiß wohl, daß man die Menschen, die hier sitzen, vielleicht nie mehr wiedersieht, doch hatte dieses Wort für mich etwas ungeheuer Hartes, Unwandelbares, End­gültiges an sich, wie ein dunkler Schatten war es, vor dem man erzittert.

Analog spielten sich nach meinem letzten Konzert in Leningrad die ähnlichen Szenen ab wie in Moskau nach meinem dortigen Abschiedskonzert. Die Menschen drängten sich um mich her­um, wie eine Brandung stürmten sie auf mich ein. Sie schüttel­ten mir die Hände, manche weinten. „Russische Tränen wie österreichische Tränen", sagte einer. „Kommt von Seele - russi­sche Seele tief...". Auch ich war sehr gerührt. Was war das nur? Kann die Gitarre wirklich eine so intensive Kommunikation er­wirken, sind es die Schwingungen ihrer sechs Saiten, die derart ergreifen können, oder bin ich es selbst, die solches hervorrufen kann? Sprudelt hier die gleiche Quelle, aus der nur ein paar Jah­re später in einem Krieg erbitterte Feindschaft, Schrecken und Unheil flössen? Es ist kaum faßbar, kaum zu verstehen.

Wenn ich also bei meiner Tournee in der UdSSR viele Erfolge hatte, vielleicht die größten in meiner künstlerischen Laufbahn, so war es dort nicht allein das, was man gewöhnlich unter „Er­folg" versteht. Es war noch etwas anderes dabei, ein undefinier-

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bares Faktum - was es war, weiß ich nicht. .Vielleicht ein über alle Grenzen und Ideologien Verbindendes, Aufbauendes.

Jedenfalls ist in meinem Herzen die Begegnung mit russischen Menschen und ihrer kolossalen musischen Bereitschaft und Auf­geschlossenheit zu einer kostbaren Erinnerung meines Lebens geworden.

Einige Tips für die Pflege der Gitarre

Eine Gitarre oder Laute gehört in einem Etui gelagert; eine Samt- oder Seidendecke (etwa in ihrer Form zugeschnitten und mit Borte gesäumt) kann sie zusätzlich schützen.

Sollte es sich um Dekorationsstücke handeln, also Instrumente, die nicht eigentlich spielfähig sind und die Wand verzieren sol­len, ist es ratsam, sie auf einen Teppich zu hängen. Zumindest sollte man aber unter den Hals eine kleine Abstützung anbrin­gen, damit das Instrument nicht direkt auf der Mauer liegt.

Um keine zu trockene Luft zu haben (was besonders während der Heizperiode meistens der Fall ist), ist die Anschaffung eines entsprechenden Luftbefeuchters unerläßlich. Ansonsten können an den Instrumenten Schäden entstehen. Dabei möchte ich vor zu einfachen Geräten warnen, bei denen sich Kalk absondert und als weißer Belag auf den Möbeln liegen bleibt.

Die Gitarre soll man nach jedem Gebrauch mit einem weichen Lappen polieren. In einschlägigen Instrumentengeschäften gibt es auch Reinigungsmittel, die den Lack nicht angreifen und mit denen man nötigenfalls Schmutzflecken beseitigen kann.

Beim Saitenwechsel ist zu beachten, daß niemals die ganze Be­saitung heruntergenommen wird. Die nacheinander gewechsel­ten Saiten sollte man sofort durch neue ersetzen.

Eine neue Saite erreicht nach der Aufspannung nicht unmittelbar ihre maximale Klangqualität; es ist sinnvoll, sich zu gedulden und abzuwarten; man soll nicht sofort auf ihr spielen, sondern - wenn möglich - erst, wenn sie bereits ausreichend gedehnt ist und nicht mehr stark nachläßt.

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Neue Saiten kurz vor einem Konzert aufzuziehen, scheint mir unerträglich. Wenn man vor einem Mikrophon zu spielen hat, ist es durchaus ratsam, zumindest die vierte und fünfte Saite, al­so D- und A-Baß, „in Silber/geschliffen" zu verwenden. We­nigstens aber den D-Baß. Im Konzertsaal wirkt es etwas weniger auffällig, aber vor einem Mikrophon ist die Quietscherei einer neuen Baß-Saite künstlerisch unerträglich, unschön, und bringt auch die Aufnahmetechniker zur Verzweiflung. Oder man ver­wendet entsprechend „abgespielte" Saiten, die keine unliebsa­men Geräusche mehr von sich geben. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, daß sich das „Quietschen" einer neuen Saite auch durch eine gewisse Technik beim Greifen nicht vermeiden läßt; sie behindert - in auffälliger Art - eine modula­tionsfähige Spielweise, die vom Spieler selbst wahrscheinlich gar nicht so deutlich empfunden wird, dem Spiel aber zweifels­ohne schadet. Mit einer Vermeidung des „Glissando" hat das nichts zu tun.

Da kein einziges Gitarreetui, das ich gesehen habe, vollkommen wasserdicht ist, wäre ein Uberzug aus einem wasserdichten Ma­terial (womöglich mit einem Reißverschluß) sehr anzuraten.

Zur entsprechenden Einstimmung kann man eine Stimmgabel oder eine Stimmpfeife verwenden, die das „Normal-A" angibt. Stimmpfeifen, die alle sechs Saiten anzeigen, halte ich für aus­gesprochen ungünstig. Ebenso stehe ich den elektronischen Stimmgeräten mit Distanz gegenüber. Warum will man seine Ohren nicht trainieren?

Die Praxis zeigt, daß der Berufsgitarrist mindestens zwei Instru­mente besitzt, wobei eines davon mehr dem Übungsgebrauch dienen sollte und unter Umständen von geringerer Qualität sein kann. Allerdings darf die Spielbarkeit des Übungsinstrumentes nicht leichter sein; eher wäre der umgekehrte Fall wün­schenswert.

Wenn Baßsaiten zu „scheppern" beginnen, besonders wenn man sie auf bestimmten Bünden greift, muß meistens die Saitenlage verändert werden, d.h. eine Korrektur am Steg (etwa durch eine geringfügige Erhöhung des dort befindlichen, losen Elfenbein­stäbchens) ist vorzunehmen. Wenn man Erfahrung hat, kann das ohne weiteres selbst bewerkstelligt werden, andernfalls ist dafür

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der Instrumentenbauer zuständig. Manchmal muß auch am Sat­tel eine neue Kerbung erfolgen. Letztlich kann der Schaden aber auch nur an einer schlechten Saite liegen, was man eben auspro­bieren muß.

Gelegentlich auftretende Sprünge auf der Decke, die meistens mit einem zu trockenen Klima in Zusammenhang stehen, ma­chen keine Freude und erzeugen sogar Panik. Ihr Schaden wird aber in der Regel bei „Gitarreneulingen", die glauben, ein schlechtes Instrument gekauft zu haben, oft überbewertet. Er beeinträchtigt die Qualität des Instrumentes nicht, vorausge­setzt, eine fachgemäße Reparatur erfolgt. Die Luftfeuchtigkeit sollte etwa 50 bis 60 Prozent betragen. In Japan zum Beispiel ist sie sehr oft zu hoch; bei uns, besonders während der Heiz­periode, zu gering.

Es sollte niemals vergessen werden, daß man mit einem Musik­instrument etwas Lebendiges in den Händen hält, dessen struk­turelle Beschaffenheit Veränderungen unterliegt. Gitarren ha­ben ihre Launen und Stimmungen; außerdem sind sie auch in erheblichem Maße von der Witterung abhängig. Bei schönem Wetter ist ihr Klang besser, Regenwetter verändert ihn. Viel­leicht wollen sie sich auch nicht immer „traktieren" lassen und brauchen eine Ruhephase? Wenn man von ihrer Qualität über­zeugt ist, sollte eine Aburteilung bei einem momentan fehlenden Anspruch nicht stattfinden. Gitarren sind ganz merkwürdige, sensible Wesen, damit muß sich jeder abfinden.

Ich schließe mich nicht der vielfachen Meinung an, daß Instru­mente, auch wenn sie älter sind, andauernd gespielt werden sol­len. Namentlich gilt dies für die älteren und alten spanischen Gitarren mit ihren besonders dünnen Schalldecken. Sie sind be­reits eingeschwungene, vollendete Klangkörper, die nicht mehr „üben" müssen und ihren edlen Goldton nur seltener verströmen wollen.

Wenn man ein Saiteninstrument wie eine Gitarre verborgt, be­kommt man es energiegeladen zurück. Das mag vielleicht spe­kulativ erscheinen, entspricht aber meinen mehrfachen Beob­achtungen. Man sollte also genau überlegen, wem man seine Gi­tarre borgen will. Es ist bedeutungsvoll.

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Nachsatz

Wenn man eine Gitarre längere Zeit nicht spielt, soll man nicht alle Saiten entspannen, um das Instrument dadurch vermeintlich zu schonen. Man tut der Gitarre damit nichts Gutes. Ein „gesun­des" Instrument hält die Spannungen ohne weiteres aus und be­nötigt sie sogar, um sich tonlich nicht vorübergehend negativ zu verändern.

Armin Kaufmann

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BESUCH VOR SONNENUNTERGANG

Dem österreichischen Komponisten ARMIN KAUFMANN in memoriam

Es ist ein ruhiger, heller Tag. Einer von jenen Tagen, an denen man sich so richtig wohlfühlt. Mein Telefon läutet: „Hier AR­MIN KAUFMANN", ertönt eine Stimme. „Da freue ich mich aber", sage ich, „schon lange habe ich auf Ihren Anruf gewartet - was macht mein 'erster Satz"?" - „Ich habe schon damit begon­nen", lautet die Antwort, „aber Luiserl, Sie müssen kommen, Sie müssen unbedingt herkommen und mich inspirieren!" -„Nun gut", sage ich, „ich komme gleich!". Es liegt mir viel daran, daß dieser Satz bald fertig wird.

Ich nehme meinen Mantel und schon kurze Zeit später steige ich die hohen Stockwerke des Hauses Strohgasse 9 im dritten Wie­ner Gemeindebezirk hinauf. Der Maestro öffnet selber; er er­scheint etwas müde, noch geprägt von längerer, beschwerlicher Krankheit. Aber ich bemerke - wie früher - im Blick seiner Au­gen den kindlich erstaunten Ausdruck, hinter dem sich ein eiser­ner Wille, manchmal auch eine Portion ungezügelten Temperaments verbirgt. Ich erinnere mich, wie er manchmal mit uriger Gestik und fast erdrückender Vitalität Proben leitete; auch entsinne ich mich seiner sicher ehrlich gemeinten, aber doch überschwenglichen Elogen, wenn ihm etwas besonders gut gefallen hatte, wie z.B. einmal eine Gitarrestelle in seinem Trio für Violine, Gitarre und Kontrabaß oder eine andere Stelle in seinen Gitarrewerken. Professor Armin Kaufmann begrüßt mich mit den Worten: „Was sagen Sie, der 'Quie-Quie' hat mich noch einmal laufen lassen!" - Ich verstehe nicht gleich, was er meint, kann mir's aber dann vorstellen; doch finde ich diese Bezeichnung komisch.

Ich werde nun auf einen Fauteuil gedrückt - im Zimmer ist alles mit Noten vollgeräumt - und Kaufmannn selbst nimmt auf einem Sofa Platz, das mir einen schon recht „ehrwürdigen" Eindruck macht. „Ach, Luiserl", sagt er mit einem Seufzer, "ich weiß immer noch nicht, was in Ihnen vorgeht, was für ein Mensch Sie sind? Bei Ihnen kennt man sich nicht aus!". Ich bemerke darauf

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- und wahrscheinlich klingt es nicht gerade höflich - daß das im Augenblick doch gar nicht so interessant sei, viel wichtiger er­scheine mir der Fortschritt des ersten Satzes. Das Wortgefecht dauert länger. Partout möchte der liebe Armin Kaufmann, der mich schon seit vielen Jahren, aber doch nur von sporadischen Begegnungen, kennt, mein Seelenleben ergründen. Man kann nicht sagen, daß der Versuch geglückt ist, denn endlich habe ich ihn dann soweit, daß er lieber zum Klavier geht, als bei mir den Psychiater zu spielen.

Auf dem Notenpult liegt tatsächlich der Beginn des ersten Satzes und ich hoffe, nun für den weiteren Fortlauf die rechte Muse zu sein.

Armin Kaufmann spielt mir Bruchstücke vor, die mir gefallen. Er drückt mir eine alte, fast unspielbare Gitarre in die Hand, auf der ich aber dann doch einzelne Passagen und Griffe auf ihre Spielbarkeit hin probieren kann. Was sich wirklich als unspiel-bar erweist (für Gitarre ist es bekanntlich schwierig zu kompo­nieren), verändert er bereitwillig. Der Satz scheint also zu gedeihen.

Zwischendurch ein „Notruf" zu seiner Frau Maria, denn der Professor möchte mir eine Schallplatte vorspielen. Nachdem sie gefunden ist, geschieht das auch auf einem schier vorsintflutli­chen Gerät.

Dann geht Armin Kaufmann wieder zurück zum Klavier, zeigt mir unter anderem ein paar aparte Modulationen, die ihm aber, wie er humorvoll vermerkt, „von anderen bereits gestohlen worden sind". Was sind die Musiker und ganz besonders die Komponisten doch für schlechte Menschen!

Ich höre weiterhin Teile aus Orchesterwerken, Melodien und Rhythmen seiner rumänischen Heimat, die er in seinem umfang­reichen Schaffen nie verleugnet hat. Das begrenzte Zimmer wird von Weite, Duft und Poesie erfüllt. Plötzlich aber steht das Komponieren nicht mehr im Mittelpunkt. Wir plaudern über dieses und jenes; aktuelles Musikgeschehen kommt zur Spra­che. Fachliche Diskussionen und auch gelegentliche Witze sor­gen für Unterhaltung. Wir lachen viel. Ich sehe zahlreiche geistes­wissenschaftliche Bücher, vor allem aber auch esoterische Lite-

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ratur herumliegen, und da haben wir ein neues Thema gefunden. Die Zeit vergeht im Fluge.

Von draußen dringen Bahngeräusche herein. Ab und zu vergol­den helle Strahlen den mit Notenköpfen gefüllten Raum, als wollten sie mit ihrem Licht all das zum Erklingen bringen, was da schicksalhafte Berufung und ungeheurer Fleiß auf das Papier gebannt haben.

Spontan empfinde ich, daß mir ein Mensch gegenüber sitzt, der - trotz mitunter greller Farben und Vielschichtigkeiten seiner Musikantenseele - im Zentralpunkt seines Seins von fast rührend sanfter und tiefgläubiger Demut ist. Ein Mensch, der über das Mysterium des Lebens oft nachsinnt und seine übervollen Gefä­ße zu leeren beginnt, um sie mit neuem, besserem Wein füllen zu können.

Wir haben uns dann noch für weitere Tage verabredet, Es ist nicht mehr dazu gekommen. Ich erfuhr, daß Armin Kaufmann wieder ins Spital mußte.

Der „Quie-Quie" hat ihn nun doch geholt, aber - liebe Freunde! -ich irre wohl nicht, wenn ich glaube, daß Armin Kaufmann ihn gelassen aufgenommen hat. Der „erste Satz" ist nicht fertig ge­worden.

Oft wird der Musiker als „Virtuose" bezeichnet

Der landläufige Begriff eines „Virtuosen" entspricht doch si­cherlich nicht dem Flair eines Tugendboldes (ich bin ihm in die­ser Form auch noch nie begegnet!), obwohl das aus dem Latei­nischen stammende Wort (virtus - Tugend) auf solche Attribute hinweist. Zur Tugendhaftigkeit gehört aber auch der Mut und vielleicht ist es besonders diese Eigenschaft, die das Wort, sei­nem Stamm gemäß, damit ausdrücken will. Tatsächlich braucht der Virtuose zur Ausübung seiner Tätigkeit auch eine Portion Mut, obwohl in diesem Zusammenhang leider meistens an einen Menschen gedacht wird, der seine großen technischen Fähig­keiten gemäß eines Akrobaten in den Vordergrund stellt, dessen

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Muskeln und Sehnen in harter Arbeit trainiert sind und dessen Finger ihm absolut gehorchen und keinerlei Fallstricke mehr stellen. Ein Wesen mit „Teufelsfingern", ein Saitenstürmer, ei­ne Art PAGANINI! Paganini war aber immerhin auch genial und man bezichtigte ihn, er hätte wegen seiner kolossalen Fer­tigkeiten sogar einen Bund mit dem Teufel geschlossen. Es ist mir allerdings nicht klar, wieso man im Hinblick auf eine sicher­lich in härtester Arbeit errungene technische Fertigkeit unbe­dingt den Teufel bemühen muß, der doch ohnehin vollauf zu tun hat, um auf dem „laufenden" zu bleiben.

Ich möchte hier aber überhaupt nur von dem sehr positiven Er­scheinungsbild des „Virtuosen" sprechen, der wohl die Technik beherrscht - und zwar perfekt -, obendrein aber noch ein hervor­ragender Musicus ist. Ein wahrer Künstler!

Heute wie früher muß sich der Virtuose, den ich nicht nur als technisches Ungeheuer, sondern auch als Vollblutmusiker be­trachten will, sein Publikum, das dann seinen Namen tragen und verbreiten soll, erst selber schaffen. Es kommt gewiß nicht aus dem Blauen dahergeflogen, und es ist nicht leicht, in vielen Län­dern Erfolg zu haben und „einen Namen zu bekommen". Ge­lingt dies, so spricht man von einer „glänzenden Karriere". Der Virtuose ist aber dann gezwungen, die einmal gezündete Flam­me der Begeisterung seitens des Publikums stets am Brennen zu erhalten, sie sorgsam zu hüten und zu pflegen; mit anderen Worten: Er muß andauernd Kohlen tragen, damit das Feuer kontinuierlich erhalten bleibt. Vielleicht ist das sogar die schwierigste und problematischste Phase, die er im Rahmen sei­ner künstlerischen Aufgabe zu bewältigen hat. Das bedeutet er­neuter Kampf, erneutes Ringen, um das einmal Erreichte zu erhalten, um es vielleicht sogar noch zu erweitern. Für den Vir­tuosen gibt es kein Ende seiner Arbeit! Er muß, im Gegensatz etwa zu einem anderen Künstler, seine Leistung im Augenblick erbringen und kann nachträglich nichts korrigieren.

Das Publikum, begeisterungsfähig, aber bekanntlich flatterhaft, unberechenbar und immer geneigt, einen auch noch so angehim­melten Liebling fallenzulassen, wenn es einmal enttäuscht wur­de, ahnt nicht das mindeste von seinem persönlichen Drama. Es sieht alles so leicht und mühelos aus, was er da spielt, und - er hat es doch nun schon einmal erlernt, was gäbe es da über-

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haupt noch zu tun? Der Musiker kann mit Recht erschüttert sein wegen dieser naiven Annahme und dieses so unbekümmerten Kinderglaubens der Außenstehenden. So bleibt ihm schließlich nichts anderes übrig, als weiterhin seinen Schweiß zu trocknen und sein banges Herz unter der Maske eines Erfolgsverwöhnten und Unverletzbaren zu verstecken, denn sein Publikum sieht ihn nicht gerne schwach und würde das sogar mißverstehen. Er muß also nur getreu weiterarbeiten und die zahlreichen Stunden, die er - oft schon von Jugend an - unter großen Entsagungen allein mit seinem Instrument verbracht hat, nicht als Belastung emp­finden; sonst würde die Relation überhaupt nicht mehr stimmen, die Waage völlig ungleich auspendeln. Das Publikum des Musik-Virtuosen ist vom Theaterpublikum sehr verschieden. Dort läßt es sich etwa von einer amüsanten, leichten Komödie berieseln, es kann zuweilen sich selbst mit den agierenden Per­sonen identifizieren oder es läßt sich von Leidenschaften er­schüttern, die es glücklicherweise nicht selbst zu erleben braucht. Die literarisch Interessierten sind sowieso in der Min­derheit. Das Konzertpublikum ist weitaus anspruchsvoller und elitärer. Im Gegensatz zum visuellen Erlebnis, das fast ganz wegfällt, überwiegt der Höreindruck, der eine intensive Mitar­beit erfordert. Unter diesen verschärften Bedingungen muß der Virtuose sein Image bewahren, seine Anziehungskraft ausbau­en, sich die Liebe seines Publikums warm halten.

Der Virtuose benötigt in seinem Publikum Menschen, die musi­kalisch gebildet sind oder selbst das Instrument spielen, das er ihnen vorexerziert. Das Publikum vergleicht auch gern die Künstler der gleichen Musiksparte untereinander. Diese Beur­teilungen fallen - speziell bei Gitarrekonzerten - oft recht unter­schiedlich, ungerecht und überheblich aus. Die Interpretation des Künstlers, seine Technik, oft auch seine Persönlichkeit, werden einer Kritik unterzogen. Nicht selten wollen die Zuhörer das Dargebotene mit ihrer persönlich, als Amateure erworbenen Erfahrung identifizieren und ihre eigenen Neigungen und Auf­fassungen wiedererkennen. Speziell der Gitarreamateur schlüpft bevorzugt in die Rolle des Künstlers auf dem Podium; es liegt in der Natur der Sache, daß demzufolge nicht alle Zuhörer der gleichen Meinung sein können. Einerseits findet der musikali­sche Laie im Programm zuviele moderne Komponisten, anderer-

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seits sieht der Musikkenner möglicherweise diese Sparte unter­repräsentiert. Daraus ergibt sich aber auch, daß eine Programm-wahl seitens des Gitarristen ein sorgfältiges Überdenken erforderlich macht; andere Instrumentalisten haben es aus Lite­raturgründen wesentlich leichter.

Ein Virtuose hat auch Gelegenheit, entweder Schallplattenauf­nahmen zu machen oder sich für andere technische Wiedergabe­möglichkeiten zu verwenden. Speziell der Gitarrist wird dabei nicht so „lebendig" spielen können, so durchaus menschlich be­wegt, da man bei der Gitarre bei solchen Anlässen die winzig­sten Nebengeräusche hört; diese erweisen sich dann bei der Wiedergabe als höchst störend. Er wird vorsichtiger und etwas „schaumgebremst" spielen - nicht ganz so frei und ungehemmt wie im Konzertsaal. Ferner kann so eine Aufnahme seine groß­artige Technik noch „perfekter" darstellen, im Gegensatz zur Wirklichkeit. Denn - wenn etwas nicht so gelingt, wie der Spie­ler es gerne haben möchte, besteht die Möglichkeit des Schnei­dens. Man kann daher speziell die Qualität eines Gitarristen nicht absolut nach seiner Schallplatte beurteilen. Diese Perfek­tionsmöglichkeit, gepaart mit diversen dynamischen Ver­schönerungsmöglichkeiten, ist gewissermaßen ein Hinweis für die gegebene Unvollkommenheit des Menschen und den Ver­such, sie durch die Technik aufzuheben. So hat die Musikkon­serve fast etwas Unheimliches, Verfälschendes an sich und schadet den im Konzertsaal konzertierenden Virtuosen, die Hil­fen solcher Art entbehren müssen. Denn Herr A., den sie im Konzert gehört haben, spielt nicht so gut wie Herr B., dessen Schallplatte sie besitzen, sagen die Leute, obwohl es gerade um­gekehrt der Fall sein kann.

Doch die Popularität des Musik-Virtuosen, der das Bild des Vir­tuosen schlechthin verkörpert, wird durch die Schallplatte außer­ordentlich gefördert; sie ist das sicherlich erfolgreichste Mittel, sich in aller Welt einen Namen zu machen und Ruhm zu erlan­gen; denn jeder Künstler ist auf internationale Anerkennung an­gewiesen, der Karriere wegen. In seiner positiven Ganzheit gesehen ist der Solist, der Virtuose, in puncto Arbeit dem größ­ten Verschleiß ausgesetzt. Für den Außenstehenden scheint er als Künstlertypus der begehrenswerteste; er ist immer von Fest­lichkeit umgeben. Seine Schwerarbeit sieht man nicht.

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Die Glanzzeit des sogenannten „Virtuosentums" - etwa bis zur Wende unseres Jahrhunderts enthusiastisch gefeiert - ist vorbei. Der Tänzer auf dem Hochseil hat in der Musik heute kaum mehr eine Chance. Der „Virtuose" dieser Art ist tot. Es lebe der Virtuose!

Übrigens: keine Angst! Für „Gitarrevirtuosen" im besten Sinn des Wortes gibt es noch genügenden Freiraum. Der berühmte Japaner OKAKURA meint, daß nach taoistischer Lehre „stets das Ganze als solches zu bewahren ist. Es gilt, das Verhältnis der Dinge zueinander einzuhalten und auch anderen Platz zu machen, ohne die eigene Stellung einzubüßen. Dies sei im irdischen Drama das Geheim­nis des Erfolges".

Als ich zurücksah, war die Welt ertrunken in Kirschblüten.

Chora 1729-1781

Japan mal vier

Vorweg sei gesagt, daß ich vier berufliche Reisen nach Japan unternommen habe und daß meine diesbezüglichen Schilderun­gen sozusagen eine geraffte Zusammenstellung dieser vier Kon­zertreisen darstellen.

Ich spielte Konzerte (Recitals) in Tokyo, Yokohama und Osaka und produzierte drei Kurse auf Schallplatten, darunter auch ei­nen in englischer Sprache. Ich hielt ferner Seminare ab und spielte zusätzlich auch eine Gruppe von Stücken, die - aus popu­lärer Sicht - von mir verlangt wurden; darunter auch einige Transkriptionen. Bei meinem letzten Aufenthalt in Tokyo mach­te ich - innerhalb von 16 Tagen - Aufnahmen von zehn Konzert­werken für Gitarre und Orchester (symphonisch und kammer­musikalisch besetztes Orchester). Es war eine zu bewältigende Aufgabe, die mir wohl in Unkenntnis der dabei ins Kalkül zu ziehenden Faktoren gestellt wurde; obwohl ich meiner Energie im allgemeinen viel zutraue, bin ich an diese Sache während der

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kurzen Zeitspanne nur mit großer Skepsis herangegangen. Aber so eine große Anzahl von Werken verschiedener Stilrichtungen sind in der vorgegebenen Frist wohl noch von keinem Gitarri­sten erwartet worden. Einfach eine Monsterarbeit! Wenn man bedenkt, wieviel an Akkuratesse und Konzentration - ganz zu schweigen von der Fordernis im Hinblick auf die musikalische Interpretation - nötig ist, um nur ein einziges Werk vor dem Mi­krophon (diesem kleinen, boshaften Ungeheuer!) wirklich gut zu gestalten; so bin ich überzeugt, daß mir damals - aus unbe­kannten Quellen - ganz besonders geistige Hilfe zuteil geworden ist; ansonsten hätte ich es nicht vermocht, diesen außerordentli­chen Anforderungen gerecht zu werden.

In der letzten Etappe meiner Japanreise spielte ich von meinem alten Freunde JOAQUIN RODRIGO, den ich vor Jahren mit seiner Gattin, einer Wienerin, kennengelernt hatte: „Concerto de Aranjuez" und die „Fantasia para un Gentil hombre", das GIULIANI-Konzert in A-Dur, BOCCHERINI: Konzert in E-Dur (Cassado), KREBS: Konzert G-Dur, OTTO: „Suite Isabel­la", BACARISSE: Romanze, CASTELNUOVO-TEDESCO: Konzert D-Dur sowie zwei Bearbeitungen der SORschen „Folia-Variationen"* (Altspanisches Lied) und PAGANINIS ROMANZE* aus der Gitarre-Solo-Sonate für Gitarre und Or­chester.

Es war eine Art „Ritus", daß ich jedesmal nach Beendigung meiner Arbeit von meinem lieben japanischen Freund, MASU-KO, zu einer Reise innerhalb des Landes eingeladen wurde. Wenn es mir hier nun gelingt, einige Erlebnisse und Episoden aus meiner subjektiven Sicht wiederzugeben, so betrifft dies mehr oder weniger meine wunderschönen „Urlaubstage", die für mich immer eine kostbare Erinnerung sein werden. Bekannt­lich bieten ja künstlerische Verpflichtungen stets nur wenig Frei­heit und geringe Möglichkeiten für den Genuß kulturellen oder erholsamen Erlebens. Ein Umstand, der allen reisenden Künst­lern nur allzugut bekannt ist. Aber gerade dieses Land verlassen zu müssen, das Land meiner Phantasie, ohne etwas von ihm auf­genommen zu haben, wäre eine Flüchtigkeit gewesen, die ich mir nie verziehen hätte.

* in der Bearbeitung für Gitarre von Fried W A L T E R

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Es heißt, daß das Essen Leib und Seele zusammenhält. Weil ich das nun in Japan ganz besonders nötig hatte, möchte ich doch auch hierzu etwas sagen. Die japanische Küche hatte ich schon einmal in Wien probiert, sie schmeckte mir aber nicht. Schon beim Hinflug nach Tokyo mit der „Japan Airlines" erfaßte mich beim Anblick der kalten grünen Nudeln und der Roh-Fische eine gewisse Skepsis. Ich beschloß, mich in diesem Land neben un­serer gewohnten westlichen Kost an die überaus schmackhafte chinesische Küche zu halten; was dort durchaus üblich ist, da sich die verfeinerte chinesische Kultur im ganzen ostasiatischen Raum verbreitet hat. Das Essen mit Stäbchen ist gar nicht so schwierig wie es aussieht, aber für Europäer doch unbequem; man muß es jedenfalls üben. Da mir aber jegliches Üben, abge­sehen von der Gitarre, zuwider ist, habe ich mich auch in Japan niemals geniert, unsere bewährten Eßbestecke zu benutzen. Wenn dies auch vielleicht in den Augen eines traditionsbewuß­ten Ostasiaten als eine Roheit oder Nichtachtung der Nahrung aufgefaßt wurde! Heutzutage aber ist man in dieser Hinsicht be­reits auf „westlichem Kurs".

Als ich 1969 den Antrag erhielt, meine erste Konzertreise nach Japan zu unternehmen (schon Jahre vorher mußte ich ein diesbe­zügliches Angebot leider ablehnen), wurde meine Seele sogleich von poetischer Schwärmerei erfaßt und von imaginären Bildern erfüllt. Ich sah vor mir weiße Chrysanthemen und exotische Gärten mit zierlichen Brücken und dunkelgrünen Weihern, auf denen der Lotus blüht. Niedrige Häuser mit Bambusmatten und bemalten Papierwänden, hinter denen zarte Frauen mit Grazie und Anmut Tee bereiten. Im Geist erblickte ich das schneebe­deckte Haupt des Fujiyama, des heiligen Berges, wie ich es schon viele Male auf Bildern mit Entzücken betrachtet hatte, sah Wildgänse im Flug durch gelbes Abendlicht gleiten und kleine Fischerdschunken im Regen zu einer Insel mit schwarzen Kie­fern steuern. Wie die Legende von der Ranke der blauen Winde, die sich am Berg Osaka dem Wanderer an die Füße heftet, be­zauberte mich der Gedanke, dieses fernöstliche Land nun mit ei­genen Augen sehen und erleben zu können; diesen Wunsch hatte ich schon lange mit mir herumgetragen.

In den letzten Jahren sind bereits zahlreiche österreichische Künstler nach Japan geflogen, zumeist in Gruppen, als Abge-

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sandte einer Institution, wie zum Beispiel das Ensemble der Wiener Staatsoper, die Wiener Philharmoniker oder andere Künstlerformationen. Als ich im Frühjahr 1969 nach Tokyo flog, war ich jedoch einer der ersten Künstler meiner Heimat, die von Interessentenkreisen nach Japan eingeladen wurden.

Der Flug über den Nordpol dauerte etwa 18 Stunden, mit einer kurzen Unterbrechung in Ankorage auf Alaska. Diese Reiserou­te ist etwas länger als jene über Moskau, die ich beim zweiten Mal flog, aber dafür etwas bequemer, wie es mir schien. Infolge der mehrmaligen Zeitverschiebungen waren aber alle Flüge enervierend. Der gewohnte Lebensrhythmus, die innere Uhr, gerät völlig aus dem Häuschen. Nach der Ankunft in Tokyo be­darf es mindestens zweier Tage, bis man wieder zu sich selbst, als geordnetem Organismus, findet. Die große Hitze und Feuch­tigkeit tut das übrige dazu.

Ich hatte die Möglichkeit, in einem der ersten Hotels Tokyos, einem weitläufigen Hotelpalast, absteigen zu können. Die gro­ßen Wasserbecken in der Halle waren mit Seerosen und Lotos geschmückt; ihnen entströmte ein hauchzarter Duft. Sie reprä­sentieren zusammen mit der typisch japanischen Musik, die ei­nem in dezenter Weise aus allen Räumen her ins Ohr tönte, eine fernöstliche Atmosphäre. Sollten sich meine Illusionen doch er­füllen?

146 V o r d e m Kaiserpalast in T o k y o

Nun, in der Stadt Tokyo bestimmt nicht. Tokyo ist eine völlig amerikanisierte, ultramoderne, entzauberte Stadt; zwar unerhört fleißig, aber auch hart und unbarmherzig, in der es gilt: funktio­nieren oder untergehen. Der Kern dieser, durch zahlreiche Vor­orte mit niedrigen, einstöckigen Holzhäusern enorm ausgedehn­ten Stadt ist der von Mauern und Gräben umschlossene Kaiser­palast mit seinen prachtvollen Parkanlagen, die einmal im Jahr (und auch das nur teilweise) für das Volk geöffnet werden. Von der Straße aus ist nur eine Art Pförtnerhaus sichtbar, der Palast selbst liegt irgendwo im Innern dieser Gärten; geheimnisvoll, fernab jeglicher Kommunikationsmöglichkeit, vielleicht getra­gen vom Atem der Unvergänglichkeit? Um dieses Zentrum gruppieren sich alle öffentlichen Gebäude, Ministerien, Ge­sandtschaften, Museen usw. Sie sind alle in modernem Stil ge­baut, da Tokyo 1923 durch ein Erdbeben fast völlig zerstört worden war.

Auf den Straßen herrscht turbulenter, hektischer Verkehr; un­entwegt drängeln sich Menschenmassen auf den breiten Gehstei­gen. Die Hauptstraße Tokyos ist die „Ginza".* Sie ist die Straße, wo man ehemals Silbermünzen prägte und mit Silber al­ler Art handelte. Sie ist großzügig angelegt und gesäumt von eleganten Geschäften, deren Waren sehr teuer sind. Wer hier kauft, muß eine volle Brieftasche haben. Weniger elegant, aber wahrscheinlich unvermeidbar, empfand ich es, daß mir öfter der penetrante Geruch von Fisch, vermischt mit anderem undefi­nierbarem Odeur, in dem feuchtheißen Klima um die Nase wehte.

Die zierlich trippelnde Japanerin im Kimono ist vom Straßen­bild verschwunden. Man trägt ihn vielleicht zuhause, aber öf­fentlich nur noch bei festlichen Anlässen. Die Jugend kleidet sich in Jeans und benimmt sich im allgemeinen in der Öffent­lichkeit recht ungezwungen. Von der alten „Schüchternheit" ist kaum mehr etwas zu bemerken.

Englisch ist die Sprache der Geschäftswelt und des gebildeten Japaners; man muß schon Glück haben, um einem solchen gera­de in der Not zu begegnen. In dieser Stadt ist es leicht möglich,

* Gin = Silber: die Silbe „za" bedeutet so etwas wie Zusammenschluß, Ver­einigung.

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sich zu verirren, denn die Straßenbezeichnungen sind für den Europäer unlesbar. Was macht man in dieser Situation: ein Taxi nehmen! Doch schon der geringste falsche Akzent bei der Aus­sprache eines Straßennamens kann den Taxifahrer derart irritie­ren, daß er fassungslos scheint. Vielleicht aber will er sich auch gar nicht seinen Kopf anstrengen und empfindet das als einen „Luxus", den er sich nicht leisten möchte, denn die Taxitarife sind verhältnismäßig billig.

Im T c m p d - G a r l e n

Wenn man seine Illusionen in Richtung alter japanischer Kultur und Tradition warnehmen und einem Stück ostasiatischen Zau­bers begegnen will, muß man aus Tokyo hinausfahren und klei­nere Orte oder Städte besuchen; zum Beispiel mit dem Shikan-sen-Expreß, der mit über 200 Kilometern pro Stunde dahinrast und dem Fahrgast, vom Zugtelefon angefangen, alle nur mögli­chen Bequemlichkeiten bietet. Mit meinem Gastgeber ging es zuerst zur alten Kaiser- und Krönungsstadt Kyoto, wo sich heute unter anderem der Hauptsitz des japanischen Kunstgewerbes be­findet; dort stehen auch die imposanten Filmstudios, in denen meistens Samuraithemen verfilmt werden, die die Japaner gerne mögen. Leider reichte die Zeit nicht, um das berühmte „Muro Macki"-Viertel der Paläste zu besichtigen; ich kam daher nur

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durch die Straßenzüge der übrigen Stadt mit ihren alten, wegen der Erdbebengefahr einstöckigen, hermetisch verschlossenen und irgendwie geheimnisvoll erscheinenden Häuser, in denen nirgendwo Menschen zu entdecken waren. Die Häuser machen durchweg einen schlichten Eindruck; man sagte mir, der Japa­ner liebt es nicht, seinen Reichtum nach außen hin zu zeigen und seinen Besitz zur Schau zu stellen. Nichtsdestoweniger gibt es - besonders aus der Zeit der Feudalherrschaft des 16. und 17. Jahrhunderts - prunkvolle Schlösser und Burgen. Zu den schön­sten unter ihnen gehört „der weiße Reiher", bei dem außer den Baumaterialien Holz und Eisen auch noch schneeweißes Papier verwendet wurde, wodurch dieses Bauwerk einen geradezu märchenhaften Anblick bietet.

Mein liebenswürdiger japanischer Freund wollte mir in Kyoto noch andere Sehenswürdigkeiten zeigen, aber ich wollte gerne zu den berühmten Tempeln in der Umgebung dieser Stadt. Es sind über 900 an der Zahl und einige davon wollte ich unbedingt gesehen haben.

Als ausgesprochener businessman, eher materialistisch einge­stellt, dürfte mein Begleiter unter meinem Tempelenthusiasmus vermutlich „gelitten" haben, doch seine anerzogene Höflichkeit verbot ihm, es mir zu zeigen.

Wie man mir erzählte, liegt der berühmte und von Störungen ab­geschirmte „Eiheiji-Tempel" in einem prachtvollen, dichten Ze­dernwald; er dient vornehmlich dem Studium und der Medita­tion der Zen-Priester. Die anderen Tempel und Pagoden, die ich besichtigen konnte, sind von Gärten umgeben. Blühende Kame­lien, Orchideen oder Chrysanthemen gibt es in diesen Gärten al­lerdings nicht. Sie bevorzugen grüne Moose in allerlei Züchtungen, üppiges Grün zarter Bäume und Sträucher und im­mer wieder Teiche mit Schilfgruppen, verschiedenen Wasser­pflanzen und rauhen Felsblöcken. Gelegentlich begegnen einem in den Gärten sogenannte „Steinlaternen", die an unsere ländli­chen Bildstöcke erinnern. Die Wege sind immer sehr gepflegt und mit Steinplatten in phantasievoller Unregelmäßigkeit be­legt. Es riecht überall nach viel Feuchtigkeit und herbem Grün.

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Die Tempelbauten und Pagoden sind manchmal auffallend nie­drig, dann wieder in aparten Schwüngen in die Höhe ragend, immer aus dunkelbraunem, duftendem Zedernholz, die auch in den inneren Räumen derb und gewichtig erscheinen. Aber ein eigenartiges Fluid webt in ihnen: ein Hauch buddhistischen Ge­dankengutes, ein Ahnen vom Mysterium der verhüllten Seite unseres Seins. „Loslassen!" scheint es überall zu flüstern, „klammere dich an nichts und gehe weiter"... Keinerlei Zierat; außer dem Altar höchstens vereinzelte Tuschezeichnungen von kämpfenden Tempelhütern oder große attraktive Gobelins mit Samuraiszenen.

In einem Teepavillon wurden wir von einer „Tee-Meisterin" zu einer Teezeremonie eingeladen. Im Teeraum, dem man sich nur „in einer gewissen inneren Ausgeglichenheit" nähern sollte - auch der Samurai mußte sich den Geboten unterordnen und sein Schwert vorher ablegen -, herrschte gedämpftes Licht und das Inventar machte auf mich einen ausgesprochen „abgenütz­ten" Eindruck. Man erklärte mir aber, daß hier, trotz der Sicht­barkeit des Alters, peinlichste Sauberkeit und Ordnung oberstes Gebot sei. Doch - wie schaut es denn zum Beispiel bei restlichen Wassertropfen auf einem Gefäß, am Rande eines Glases oder anderswo aus? Sollte man die fortwischen? Nein, gewiß nicht! Erinnern sie doch an die Natur: Perlen erquickenden, kühlen Taus!

Mein Eindruck von „Abgenütztheit" des Inventars hingegen war falsch, oder besser gesagt, sie gehört geradezu zum Stil ei­nes Teeraumes; es entspricht der „Ausgeglichenheit des Al­ters", die hier gefordert wird. Alles Neue ist an diesem Ort verbannt und unerwünscht. Auffallend kraß offenbart sich hier der Gegensatz zur europäischen Einstellung, in der bei aller Ausschmückung und bei geselligen Verhaltensweisen stets das Neue im Vordergrund steht; man ist immer bestrebt, gerade in Mode Gekommenes zu präsentieren und Älteres meistens zu be­lächeln.

Symmetrie bei aufzustellenden Gegenständen ist unerwünscht. Sie würde Vollkommenheit simulieren. So darf zum Beispiel ein Raum nie in zwei gleiche Hälften geteilt werden, eine Vase nicht in die Mitte gestellt werden. Alles soll asymmetrisch sein.

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Diese besondere Vorliebe für Asymmetrie ist durch die Zen-Religion begründet und wird wohl kaum einem westlichen Geschmack entsprechen.

Das Teetrinken wird hier zu einer ästhetisch spirituellen Kult­handlung und gleicherweise auch zu einer liebenswürdigen Kunst der Höflichkeitserweisung. Doch kann die subtile Gestik in ihrer tiefen Bedeutung von einem Fremden kaum erkannt, ge­schweige denn in Kürze erklärt werden. Zum Beispiel wollen „die Gesetze des Tees" oder der „heilige" Tee keineswegs nur als ein poesievolles gesellschaftliches Beisammensein verstan­den sein, sondern als ein Weg - ein Weg zu Harmonie und Selbstbesinnung. Sind nicht auch ein paar Töne dieser Melodie der Weisheit zu uns nach dem Westen gedrungen? Heißt es nicht auch bei uns, wenn sich Problemstellungen ergeben: „Abwarten und Tee trinken"?

Kleine Kuchen aus Reismehl in Blüten- oder Blätterform werden gereicht, die man vor dem Teetrinken verzehren soll. Sie sind ohne Geschmack und für den Europäer keine besondere Gau­menfreude. Wahrscheinlich liegt ihre Bedeutung in einer ande­ren Richtung, die ich aber nicht ergründen konnte. Alles in allem eine uns fremd anmutende Philosophie, die fühlen läßt, daß hinter allem sinnlich Wahrnehmbaren ein transzendentales, exotisches Rätsel steht. Luh-yü, der chinesische Dichter, schrieb: „Die heilige Schrift vom Tee. - Das Gesetz des Tees als ein Weg zur Besinnung".

Ein besonderes Erlebnis - vielleicht etwas beklemmender Art -waren für mich die in unserem Sinne völlig schmucklosen „Steingärten", die der mönchischen Meditation dienen. Hier gibt es nur weite, mit grobem Kies bedeckte Flächen, streifen-oder karoartig in Ornamenten geharkt, also lediglich ein bloßer Kiesgrund, auf dem in künstlerisch freier Gestaltung an einigen Stellen düstere, unheimliche Felsbrocken einzeln oder in klei­nen Gruppen lagern. Sie machten auf mich den Eindruck, als wären sie von einer reglosen See umspülte Felsklippen. Diese kahlen Steingärten wirkten bedrückend, so daß ich auf diesen Plätzen nicht lange verweilen wollte. Schließlich bin ich kein buddhistischer Mönch, der es vermag, in innerer Geschlossen­heit zum universellen Ganzen zu finden.

Eine weit gelockerte, fast spielerische Atmosphäre verbreiten die sogenannten „Sand-Gärten". Der mit Mutter Natur zutiefst verbundene Japaner ahmt hier sie, die er liebt und verehrt, in höchst phantasievoller Weise nach.

Wie man mir erzählte, gestalteten früher auch die Adeligen um ihren Besitz herum solche Gärten, die sie als eine Art „Heiliger Haine" betrachteten. So wird zum Beispiel zu diesem Zweck der Boden mit unterschiedlichem Moos bedeckt, so daß er den Eindruck eines Samtteppichs hervorruft. Zen-Meister legten dann zierliche Pavillons und kleine Brücken an, die sie über ei­nen Sandbach spannten; oder es wurden riesige, kuppeiförmige Azaleenbüsche gepflanzt, gleichbedeutend mit einem „bergi­gen" Ufersaum eines großflächigen Meeres aus Sand. Alles ist symbolhaft und bewußt kultiviert.

Nicht zuletzt möchte ich noch zwei berühmte Tempelbauten er­wähnen, die ich sehen konnte: den „Goldenen" und den „Silber­nen" Tempel. Der goldene, der „Konkakuji-Tempel", wurde im 14. Jahrhundert erbaut, brannte, wie auch andere der weniger berühmten und schlichteren, im Jahr 1950 ab; man baute ihn aber wieder 1955 in seiner Originalform auf. Der silberne Tem­pel, der „Ginkakuji-Tempel", entstand 1842; er war jedoch, wie man mir vertraulich sagte, nie mit echtem Silber bedeckt, obwohl er mit diesem poetischen Namen geprägt in die Kunst­geschichte Japans eingegangen ist. Seine Ästhetik wird dadurch nicht geschmälert. Der Silberne Tempel soll übrigens ehemals der Landsitz eines Shogun (Titel eines Heerführers) gewesen und erst nach dessen Tod in einen Zen-Tempel umgewandelt worden sein. Mitten in seinem Garten gibt es vor einem dunkel belaubten Hintergrund einen schneeweißen, oben abgeflachten Kegel aus Sand. Manchmal sieht es so aus, als würde es sich um eine der so beliebten Tuschezeichnungen handeln. Besonders dann - erzählt man sich -, wenn der Strahl des Mondes drauf-fällt. Leider konnte ich dieses „Bild" nur bei Tageslicht sehen. Oft hat man bei diesen Gärten den Eindruck völlig unberührter Natur, aber in Wirklichkeit ist jeder einzelne Baum, jede Blatt­gruppe nach künstlerischen Gesichtspunkten angepflanzt.

Beide der genannten Tempel, der silberne und der goldene, lie­gen direkt an stillen, verträumt anmutenden Teichen, in deren

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Wassern sich die auf kleinen Schilfinselchen gepflanzten dunk­len Kiefern widerspiegeln. An manchen Stellen ragt, vereinzelt oder in Gruppen, schwarzes Felsgestein aus dem Gewässer, an das sich blühende Gräser und ein paar Wasserlilien schmiegen, als hätten sie Furcht vor dieser Stille und bedrückenden Ein­samkeit.

Sehr gegensätzlich und voller Widersprüche ist dieses schöne, auf ein paar vulkanischen Inseln aufgebaute Land. Ein Land tiefgründiger Religion, Weisheit und Besinnlichkeit, aber auch ein Land der Grausamkeiten, Gewalten und furchtbarsten Na­turkatastrophen. Ein Land feinsinnigster Poesie und zärtlicher Blumenliebe und andererseits ein Land, das heute im Materiel­len seinen Propheten sieht und mit Technik die ganze Welt über­rannt hat. Größere Gegensätze lassen sich kaum denken. Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, daß einst der japanische Hofadel für seine schönsten Gartenblumen eigene Diener bestellte, Kna­ben oder Mädchen, die jede einzelne von ihnen sorgsam betreu­en mußten und auf Blütenzweige goldene Glöckchen hängten, damit die Vögel den Blumen kein Leid antun, will es mir doch scheinen, daß da im Wandel der Zeiten ein mächtiger Zauberer ganz spezieller Qualität am Werke war. Nur die Papierwände und die Bambusmatten trotzten seinem Zauberstab. Sie sind in der bekannten Form und Art seit Jahrhunderten in Verwendung und es wird sie wohl solange geben wie Japan besteht, ebenso wie die duftenden Kirschblütenzweige diesem Land immer Lie­be und Schönheit bedeuten werden.

Ein weiteres Ausflugsziel führte mich zu den berühmten heißen Schwefelquellen, die die Landschaft im ganzen Gesichtskreis beherrschen und sich in weißen, nebelhaften Schleiern hoch in die Luft versprühen. Der Geruch haftet an den Kleidern, aber es ist ein imposantes Erlebnis gewesen.

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Bisher hatte ich immer noch nicht meinen „Traumberg", den geheimnisvollen Fujiyama gesehen, obwohl ich auf den Auto­fahrten im Land öfter nach ihm Ausschau hielt. „Dort, in dieser Richtung liegt er", versicherte man mir einige Male und deutete nach einer bestimmten Richtung. Aber man kann ihn nicht im­mer sehen, nur zu einer bestimmten Jahreszeit, ansonsten ver­hüllt er sich in Nebel". Eines Tages besuchten wir Hakone. „Hakone muß man gesehen haben", sagte mein Freund Masuko,

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„und dann werden wir auch zum Fuji fahren!" - „Wie schön!", sagte ich und fühlte mich glücklich.

Hakone sei eine noble Gegend, meinte er, die sich als Aufent­halt nicht alle Japaner leisten können. Das Panorama war auch wirklich sehr schön; ein See lag da, blaugrün und sonnenbe­schienen; es hätte auch ohne weiteres eine österreichische Land­schaft sein können, die ich da erblickte; einer der vertrauten Kärntner Seen zum Beispiel, wenn nicht die mannigfaltigen, vertikal hängenden Transparente an den niedrigen Gebäuden längs des Ufers typisch japanischen Charakter gezeigt hätten. Obwohl für mich - ich bin sozusagen am Wasser aufgewachsen -, eine Fahrt auf einem See nicht gerade ein besonderes Ereignis bedeutet, konnte ich in Hakone nicht umhin, meinen Begleiter zu motivieren, doch ein Stündlein auf diesem herrlich blauen Gewässer herumzurudern. Das Wetter war einfach himmlisch; es war Ende Mai und schon im Juni würde in diesem Land der Regen einsetzen, intensiv, unaufhörlich.

Und dann sah ich ihn endlich, das Symbol Japans, den Fujiyama bzw. seinen Gipfel mit dem weißen Schneehäubchen, klar und deutlich in der Ferne am Horizont. Wir wollten zu ihm hinfah­ren. Das schöne MARXsche „Regenlied", das meine Mutter sehr liebte, fiel mir sogleich ein: „... wo ich ferne des Mikane hohen Gipfel ragen seh', fällt der Regen ewig nieder, ewig nie­der fällt der Schnee...". Ungefähr bis zu zwei Drittel seiner Hö­he kann man den Fujiyama auch mit dem Auto befahren. Er ist zwar grammatikalisch gesehen männlichen Geschlechts, der „Herr Fuji", wie ihn die Japaner verehrungsvoll nennen, und daher sicher nicht so eitel wie eine Frau, so daß man ruhig ver­raten darf, daß er aus der Nähe gesehen gar nicht so bezaubernd wirkt wie aus der Entfernung. Sein schneebedeckter, maleri­scher Gipfel hatte sich vom Autoweg aus betrachtet auch völlig zurückgezogen, so, als ob er mit allem, was motorisiert ist, nichts zu tun haben wollte. Rotbraunes Lavagestein mit weni­gem, recht kümmerlichem, niedrigem Pflanzenwuchs gibt es da; auf dem Weg zur Höhe, längs der Serpentinen, liegen in Massen, chaotisch kreuz und quer gelagert, tote, abgestorbene Bäume. Ein deprimierender Anblick! Opfer chemischer Sub­stanzen, die man über sie gesprüht hat. Umweltverschmutzung, nicht allein auf Europa beschränkt!

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Und trotzdem war ich glücklich, diesen berühmten, traumhaften Berg mit eigenen Augen gesehen und seine Ausstrahlung erlebt zu haben. Heute, nachdem einige Jahre inzwischen vergangen sind, übt er, wenn ich sein Bild sehe, sogar wieder seinen alten Zauber in unverminderter Weise auf mich aus. „Kabuki", das weithin berühmte japanische Theater (am besten vielleicht mit einer melodramatischen Kunstform zu verglei­chen), erzielte bei mir persönlich nur beklemmende Gefühle. Die meist kalkweiß, angsterregend starr geschminkten Masken der Schauspieler, ihre brutalen Samuraigeschichten und als Un­termalung die stundenlang andauernde monotone Musik brach­ten mich an den Rand eines regelrechten Schocks. Nach mehr als zwei Stunden Ausdauer hatte ich - trotz der legeren Verhal­tensweise des Familienpublikums, dessen Besuch auch dem Zwecke der „Verbandelung" einzelner Töchter und Söhne dient (was die Atmosphäre etwas lockert und entspannt) - nur einen einzigen Wunsch: hinaus, möglichst rasch hinaus aus dem vol­len, stickigen Saal; hinaus an die frische Luft und längere Zeit nichts mehr von Samuraischen Balladen sehen und hören.

Die Vermählung zweier Felsen? Ja, das gibt es! Wir fuhren ein­mal zur Bucht von ISE*, der schmalen, sturmumtobten Küste am Pazifischen Ozean. Dort gibt es alljährlich in den ersten Ja­nuartagen einen eigenartigen Brauch: Zwei vor der Küste im Meer gelagerte, einige Meter voneinander entfernte Felsen, ein größerer und ein kleinerer, werden durch ein dickes, aus ge­flochtenem Stroh gefertigtes Seil miteinander verbunden - „ver­mählt", wie die Leute hier sagen. Dies geschieht in einer feierlichen Zeremonie. Exakt nach Ablauf eines Jahres wird das Seil dann überprüft. Ist es heil geblieben, wird das Jahr gut wer­den, wenn nicht, ist eine schlechte Zeit zu befürchten. Ein Meeres-Orakel!

Ich stand dort auf dem kleinen, durch Holzplanken abgesicher­ten Plateau und blickte zu den Felsen hinüber. An diesem Tag gab es keine Sturmfluten, das Meer lag ruhig und sonnenbe­schienen. So sah ich genau das lose gehaltene verbindende Seil und konnte beruhigt sein, daß diese „Ehe" - zumindest noch bis

* „Ise" ist der N a m e der Sonnengöttin und auch in gewi s sem Sinn das Symbol des Kaisers, des Mikado und „himmlischen Herrschers".

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zu diesem Tag im Monat Mai - vollkommen intakt war. Aber -bis zum Januar des neuen Jahres dauert es leider noch lange! Ist es nicht doch ein bißchen zu ungemütlich und aufregend, wenn das Glück nur an einem Seil hängt? Ich wandte meine Blicke hinüber zu den beiden glücklich Vereinten mit dem innigen Wunsch, daß das Seil genügend stark und fest sei, um auch den stärksten Naturgewalten standhalten zu können. Möge es Japan weiterhin gutgehen, und mögen ihm seine alten und neuen Göt­ter gnädig sein!

Natürlich hatte ich bei meinen Aufenthalten in Japan auch weni­ger „romantische" Erlebnisse. Gleich beim ersten Mal begann mein Bett, kurz nachdem ich mich zum Schlafen niedergelegt hatte, eigentümlich zu schwanken. Sollten mich Japans Götter in solch fürsorglicher Weise einwiegen? Aber sogleich schreckte ich auf mit dem blitzartigen Gedanken: Erdbeben! Hatte ich das notwendig gehabt? Wie schön und ruhig könnte es doch jetzt in Wien sein. Entsetzt sprang ich auf, nahm einen Umhang und stürzte in der Annahme aus dem Zimmer, draußen im Hotelgang würden sich bereits eine Menge Hotelgäste in Panik zusammen­gerottet haben. Aber tiefe Stille, nichts, nichts rührte sich; nie­mand war weit und breit auf den Gängen zu sehen; nur ich alleine fahndete im 9. Stock von Angst getrieben nach dem Not­ausgang - für alle Fälle! Mein Herz klopfte bis zum Hals; als ich wieder ins Bett kroch, erfolgte ein zweiter, kleinerer, kaum spürbarer Erdstoß. Nun blieb ich aber liegen und vertraute ei­nem gütigen Schicksal.

Bei einem anderen Aufenthalt spürte ich es wieder, dieses eigen­tümliche wellenförmige „Schaukeln"; als ich durch mein her­metisch abgeschlossenes Fenster blickte, sah ich das vis-ä-vis in einiger Entfernung liegende Hotel mit 43 Stockwerken ganz deutlich hin- und herschwanken. Man sagte mir dann beruhi­gend, das gehöre zur Stabilität. Nun ja, ich muß es glauben. So ein ähnliches Erlebnis hatte ich auch einmal während einer Ton-Aufnahme, wo ich wegen eines Bebens mit meiner Gitarre auf und davon wollte. „Nur keine Panik, Madame", hörte ich es sagen, während man mich an der Schulter berührte und zum Nie­dersetzen aufforderte. „Nur keine Panik!" Ich höre diese Worte heute noch, und ich nahm sie mir auch zu Herzen, als ich im Au­to zu meinem ersten Konzert in Tokyo fuhr und fast zu spät

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gekommen wäre. Wir gerieten nämlich in einen riesigen Stau, ausgelöst durch beachtliche Demonstrationen seitens der Stu­denten wegen des „Sicherheitsvertrages mit Amerika" (man möge mir verzeihen, wenn ich mich da vielleicht nicht ganz kor­rekt ausgedrückt habe!). Jedenfalls wurden wir gestoppt durch brüllende Menschenmengen; links und rechts, in Reih und Glied wie eine Mauer, stand die japanische Polizei mit ihren Riesen­schildern und beängstigenden Schlagstöcken. Nun hat man vor einem Konzert ohnedies angespannte Nerven; solche Tumulte um einen herum sind keineswegs geeignet, sie zu beruhigen. Noch dazu war es überhaupt mein erstes Auftreten in diesem Land, bei dem ich nun fürchten mußte, zu spät zu kommen. Aber auch dieses Mißgeschick ging glücklich vorüber, obwohl ich aufgeregt und erst 10 Minuten vor Beginn den Konzertsaal erreichte. Ich wurde vom Publikum außerordentlich herzlich ak-klamiert, der große Saal war gefüllt und mein künstlerischer Er­folg sehr bewegend und beglückend; so konnte dann alles weitere einen verhältnismäßig ruhigen Verlauf nehmen.

Das Niveau der japanischen Gitarristen hat sich innerhalb der letzten fünfzehn Jahre wesentlich verbessert; sie scheinen für die Gitarre geradezu prädestiniert zu sein. Die kolossale Selbst­disziplin und ausdauernde Konzentration, wie ich sie in Wien bei meinen japanischen Studenten kennenlernte und die sie vor allen anderen Nationen auszeichnet, ist eine äußerst positive Voraussetzung, besonders für das komplexe Gitarrestudium.

Ich möchte nicht meinen, daß die Japaner im allgemeinen „bes­sere" Menschen sind als die Europäer, aber zahlreiche ihrer ethischen Wertungen unterscheiden sich eben von unseren; sie sind von anderen Voraussetzungen, von anderen Lebensbedin­gungen getragen.

So empfindet man als Ausländer zum Beispiel den - ausnahmslo­sen - Wegfall des „Trinkgeldzwanges" als ausgesprochen ange­nehm und vereinfacht den Aufenthalt in diesem Land. Bei allen Dienstleistungen wird Trinkgeld eher als eine Beleidigung emp­funden und höflich, aber strikt zurückgewiesen. Da man mir aber schon bei meiner ersten Reise nach Japan, im Flugzeug, von diesem Kuriosum berichtete, habe ich mir erspart, gegen dieses Gebot zu verstoßen.

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Läßt man aus Vergeßlichkeit irgendeinen Gegenstand im Hotel, in öffentlichen Lokalen oder irgendwo anders liegen (worin ich eine wahre Meisterschaft entwickelt habe), bekommt man ihn garantiert wieder zurück. Gestohlen wird nichts. Das ist gerade­zu märchenhaft!

Falls sich ein Leser einmal auf eine Japan-Reise begeben sollte, möchte ich nicht versäumen, eine Warnung auszusprechen: Es­sen Sie niemals einen „Fugu", wenn Sie Wert darauflegen, wie­der in die Heimat zurückzukehren. Der „Fugu" ist ein äußerst schmackhafter Fisch, den man - wie viele andere Fische - in ro­hem Zustand und in feinen Schnitten gereicht verspeist - even­tuell auch gekocht, auf Reis. Er zählt zu den Delikatessen und man erhält ihn nur in speziellen Restaurants, die dafür eine Li­zenz haben, denn seine Leber ist ausgesprochen tödlich. Wird er unfachgemäß zubereitet, kann man binnen einer halben Stun­de im Jenseits sein oder, wie der Buddhist meint, auf der großen Reise. Ich habe es vorgezogen, den „Fugu" gar nicht erst zu probieren. Ich glaube jedenfalls, daß sein Genuß in keiner ent­sprechenden Relation zur Gefahr steht. Scherzhaft sagt man in Tokyo, man möge in ein „Fugugen-Restaurant" nur in Beglei­tung eines Kundigen gehen, damit man - notfalls - sein letztes Stündlein in angenehmer Gesellschaft verbringen kann. Viel­leicht fürs Überleben ein Fisch-Orakel? Entgegen vielfachen Behauptungen, daß der Japaner überhaupt nicht religiös, dagegen aber enorm abergläubisch sei, möchte ich - aus meiner allerdings nicht kompetenten Sicht - meinen, daß er durchaus „religiös" ist, allerdings in ganz anderer Weise, als wir es zu sein glauben. Seine beiden Hauptreligionen sind der Shinto-Glaube mit rund 92 Millionen Anhängern (Kultstät­ten sind die „Schreine", große Bauwerke, oft grellrot gehalten und meistens in unschönem Baustil) und der Buddhismus mit ungefähr 82 Millionen Gläubigen, die in den „Tempeln" beten. Beide Religionen sind stark magisch geprägte Naturreligionen und von Dogmen, Glaubenssätzen und diversen religiösen Pro­blemen christlicher Lehre unbeeinflußt.

36 Vulkane, die - wann immer auch - zum Ausbruch bereit sind, umgeben die Bewohner des Inselreiches. Taifune, die ganze Landstriche verwüsten, Sturmfluten, Schnee, enorme Regen­güsse und vielfache Erdbeben (es werden etwa tausend im Laufe

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eines Jahres gezählt) stellen in Verbindung mit Feuerbränden, die durch das Schwanken und Umstürzen von Ofen, Kochstellen usw. verursacht werden, die stärkste Gefahrenquelle dar. Mit diesen Katastrophen als Horrorvision muß dieses Volk andau­ernd leben. Es dürfte wohl kein Wunder sein, daß diese Men­schen die Zyklen der Natur und die Omen guter und schlechter Zeiten nach der Tradition ihrer schicksalvertrauten Väter beach­ten und durch viele Mittel und magische Rituale, die für den Eu­ropäer fremd - mitunter sogar lächerlich - erscheinen, die Huld ihrer Götter erringen und erhalten wollen.

Ich besuchte in Tokyo einen der imposantesten Schreine der Shintoisten. Auf seinem weit angelegten Vorplatz bummelte ei­ne stattliche Menge schwatzender Menschen entlang an den vie­len Verkaufsbuden. Andenken, Amulette, Gebete, Bildchen und Gegenstände religiösen Charakters werden dort angeboten und gekauft, bevor man den Schrein betritt, dessen Torbogen die Grenze vom Irdischen zum Göttlichen darstellt. Gebete und Wunschzettel werden den Schutzsymbolen vertrauensvoll zuge­steckt; manchmal mag auch unter den Bittstellern ein „cooler" Wirtschaftsboß sein. Das Bild, das sich mir hier bot, war eigent­lich gar nicht so sehr fremd, denn in ähnlicher Form fand ich es auf den zu Schau- und Rummelplätzen entarteten Szenerien rund um unsere heimatlichen Wallfahrtskirchen.

Trotz herzlicher Freundschaftsbezeugung erscheint mir der ja­panische Mensch undurchsichtig. Vielleicht ist das bei ihm eine Art Selbstschutz gegen alles Fremde - oder die etwas erstarrt höfliche Miene wirkt wie eine Maske - ich weiß es nicht.

Japans Symbole sind die gezackten Ahornblätter, die einem be­reits im Flugzeug auf den Tapeten und später auf allen mögli­chen Gegenständen begegnen. Sie wirbeln auch auf einem von meinen Seidentüchern, mit dem ich manchmal eine bestimmte Gitarre, die schöne Japanerin, einhülle.

Ich werde jedenfalls Japan und seinen „duftenden Kirschblüten im Frühlingswind" stets herzlich verbunden bleiben, ohne dabei seinen Rätseln näherzukommen.

Auch in einem aus dem 13. Jahrhundert stammenden Gedicht des NO-IN-HOSHI wird dem Ahorn, besonders dem herbstli­chen Blatt, als Symbol zärtliche Aufmerksamkeit gewidmet:

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„Die Ahornblätter,

die der Sturm

über die Berge treibt,

schmücken den Fluß

mit rotem Brokat".

Alles Gedanken lieblichster und zartester Poesie; und schon naht er sich, der Samurai, und schlägt mit seinem messerschar­fen Schwert jemandem den Kopf ab.

Land der Widersprüchlichkeiten, der Reisfelder und des un­beugsamen Bambus! Inselreich der Naturgewalten! Unergründ­liches, geheimnisvolles Japan!

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Dank an die Gitarre

Ich danke dir, daß du so bist, Gitarre! Der Duft von fernen Ländern ist's, der mich entzückt. Wie Quellen über Stein und Moose perlen deine Arpeggien, garbengleich gebündelt. Der Kantilene borgst du gern den Schimmer des Mondes auf Jasmin. Wenn sanft der Flügel des Engels dich berührt, führst du mich hin,

wo längst Verlornes sich im Licht mir neigt. Aus meinen Nächten baust du schmale Stege ins Glockenblumenblau der Phantasie. Du zeigst mir unter düsteren Zypressen die Rose, die für mich ins Morgen blüht. Ich danke dir, daß du so bist, Gitarre!

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Ostermatinee auf Burg Klamm in Tirol

Ein Frühlingstag in einer der schönsten Gegenden Tirols, aber das Wetter ist trüb und kühl, obwohl alles in schönster Blüte steht. Immer wieder blickt man besorgt zum Himmel, der übler Laune scheint, denn ununterbrochen sendet er Regengüsse auf die schon überaus feuchte Erde.

Doch plötzlich geschieht das Wunder, der Regen läßt nach; man glaubt es kaum, die Wolken teilen sich, als hätten sie Befehl er­halten, dieses bezaubernde Erdenplätzchen im schönsten Licht zu zeigen. Ein Stückchen zartes Blau wird sichtbar. Die Sonne bricht durch und umschmeichelt mit zärtlich warmen Frühlings­strahlen die alte Burg in Tirol, die sich festlich geschmückt hat. Eine schmale Steintreppe führt in ihr Inneres. Durch die schö­nen bunten Fenster des geräumigen Saales bricht sich das Son­nenlicht in warmen Farben. Aus den kleinen, entzückenden Erkern schweift der Blick frei in die Weite der mit frischem Grün geschmückten Wälder; man kann sich nicht sattsehen an der romantischen Landschaft, die umrahmt ist von den mächti­gen, schneebedeckten Tiroler Bergen.

Es ist Ostersonntag! Im Saal der Burg herrscht reges Treiben. Der Burgherr, ein deutscher Industrieller, und seine liebenswür­dige Gemahlin haben Gäste von nah und fern, unter anderem aus Deutschland, USA, Südamerika, Frankreich, Marokko und England, zu einem Schloßkonzert eingeladen. Die Räume der Burg sind kostbar ausgestattet; wohin der Blick sich wendet, sieht man etwas Schönes, sei es eine Renaissance-Statue, ein an­tiker Krug, eine prachtvoll gechnitzte Truhe aus altem österrei­chischem Adelsbesitz oder etwas anderes Wertvolles; jeder Gegenstand hat seine Geschichte. Bewundernd geht man umher, landet schließlich auch im alten Burgverlies, das aber heute sei­nen Schrecken verloren hat, weil es vom jetzigen Burgherrn als gemütlicher Weinkeller eingerichtet ist. Gern würde heute so mancher Gast in diesem feuchtfröhlichen Gefängnis „sitzen"!

Nun ist alles besichtigt und alle geladenen Gäste sind bereits ein­getroffen. Eben huschen noch die letzten, ein amerikanisches Ehepaar, herein. „O, lovely!", rufen sie entzückt. Dem ABT VON WILTEN, der im prunkvollen Bischofsornat erschienen ist, rückt man noch schnell einen bequemen Lehnstuhl zurecht.

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Der Burgherr begrüßt seine Gäste und zitiert dabei in sinniger Weise aus GOETHES „Osterspaziergang":

„Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick".

Dann erzählt er von besonderen Ereignissen aus der Geschichte der Burg in den Jahren 1267 und 1367. Im Jahre 1267 weilte hier KONRADIN, der letzte Hohenstaufe, auf seinem Kriegs­zug nach Italien; 100 Jahre später, in der Zeit des Raubritter­tums, wurde der damalige Abt von Wilten vom Raubritter-Burg­herrn gefangengenommen und viele Jahre im Verlies der Burg festgehalten. Laut Inschrift auf dem alten Gemäuer beim Verlies soll es ihm dabei aber „nit schlecht" ergangen sein!

Die Zahl 67 zur Tradition erhebend wünscht der Burgherr, daß nun auch das Jahr 1967 etwas Bemerkenswertes in der Historie der Burg werde!* Er lädt mit launigen Worten alle anwesenden Gäste (es sind etwa 100 an der Zahl) zum Osterfest des Jahres 1967 wieder zu sich ein. Führwahr, ein sehr liebenswürdiger Einfall! Sollte ihn der liebe Gott ebenso charmant finden, wer­den sich tatsächlich alle Anwesenden in sechs Jahren wieder zu besinnlicher Feierstunde in der alten Burg versammeln können. Wir wollen es hoffen!

Ist ein Burg- oder Schloßkonzert denn so etwas Besonderes? Nein, im allgemeinen bestimmt nicht. Es gibt viele Burgen und Schlösser und in manchen wird oft und gerne musiziert. Aber in diesem Burgkonzert dominierte die Gitarre; das ist es, was das Konzert in der alten Tiroler Burg (ihr früherer Name laute­te: „Veste Klumm") von den anderen in erfreulicher Weise un­terschied, vermählt sich doch der bizarre, edle Klang der Gitarre mit dieser historischen Umgebung weit inniger und stil­voller, als zum Beispiel der Klang eines modernen Flügels.

Zu Beginn des Konzertes spiele ich eine „Suite" von CAM­PION und alte Lautenmusik aus dem 16. Jahrhundert. Ein Gast, ein bekannter deutscher Brückenbauer, Freund des Burgherrn und begeisterter Gitarrist, bringt einige Stücke von FERDI­NAND SOR zu Gehör. Ein Generalmusikdirektor, ebenfalls aus Deutschland stammend, musiziert in nobler Weise eine MOZART-Sonate auf dem Klavier.

* Das kam 1967 leider nicht zustande.

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In der Pause präsentiert der Burgherr persönlich einen Korb mit bunten österlichen Geschenken. Es wird Sekt serviert.

Nach der Pause spiele ich das „Concerto de Aranjuez" für Gi­tarre von RODRIGO, das an ein höfisches Fest bei KARL IV., der in Aranjuez seine Lieblingsresidenz hatte, erinnern soll, sehr einfühlsam begleitet von dem deutschen Generalmusikdi­rektor. Ein rauschendes Hoffest in Spaniens Aranjuez und ein besinnliches Ostermorgen-Konzert in einer alten Tiroler Burg! Einen größeren Gegensatz kann man sich kaum denken. Doch klingt, wider Erwarten, diese sprühende, stark rhythmisierende Musik mit ihrem teilweise auch sanft melancholischem Charak­ter reizvoll in dieser Atmosphäre. Abschließend spiele ich noch Soli von GRAN ADOS und zeitgenössische Kompositionen.

Erst am späten Mittag endet dieses Burgkonzert im festlichen Gewand österlicher Weihestimmung. Der Burgherr und seine Gemahlin laden in liebenswürdiger Weise zum Dinner in einem nahen Gasthof ersten Ranges. Über eine alte Zugbrücke gelangt man von dem mit zartem Grün, Forsythia und Frühlingsblumen geschmückten Burghof wieder zur „Außenwelt". Das kleine Pa­radies liegt hinter uns!

Auf dem Parkplatz beim Wirtschaftsgebäude warten schon die Wagen, aber man fährt nicht gern von hier fort, nicht von der Burg und noch weniger von ihren charmanten Besitzern. Noch einmal winkt zwischen den Baumstämmen hindurch vom wuch­tigen Burgturm die rot-weiß-rote Fahne einen Abschiedsgruß, dann sieht man nur noch den jungen, neubelebten, zauberhaft grünen Wald.

Aus meiner Sicht, 1987

Wie sieht es nun heute auf dem Gebiet der Gitarristik aus? Was hat sich während der langen Zeitspanne, in der ich aktiv, aber auch sorgsam beobachtend um die Entwicklung des künst­lerischen Gitarrespiels bemüht war und bin, verändert? Nun: Vieles hat sich verändert; zum Positiven gewandelt - obwohl mancherlei aggressive Aufladungen diese so erfreuliche Ent­wicklung immer wieder zu beeinträchtigen drohen.

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Vor allem gibt es heute, zum Unterschied von früher, bereits ei­ne beachtliche Anzahl guter, ausgezeichneter Lehrer für die Gi­tarre, ungeachtet derer, die sich einbilden, es zu sein, in Wirklichkeit aber es nicht sind.

Die soziale Stellung der Gitarre im Hinblick auf das allgemeine Musikleben hat sich ebenfalls entschieden verändert. Die Gitar­re hat sich heute in fast allen Sparten der Musikausübung inte­griert; zumindest ist ein Anfang in dieser Richtung gemacht.

Heutzutage besteht in vielen Ländern Europas und besonders auch in den USA die Möglichkeit guter instrumentaler Unter­weisung. In Österreich haben wir Gitarreklassen an den Musik­hochschulen in Wien, Graz und Salzburg. In der Bundesrepu­blik Deutschland wird die Gitarre ebenfalls an diversen Hoch­schulen als Konzertfach und in instrumental-pädagogischen Dis­ziplinen gelehrt.

Diesem Umstand zufolge hat auch die Anzahl guter Nachwuchs­gitarristen beachtlich zugenommen, was wieder bewirkt, daß auch das Interesse der zeitgenössischen Komponisten an der Gi­tarre gewachsen ist. Ich muß leider immer wieder bemerken, daß das Komponieren für die Gitarre auch sehr angesehenen Komponisten einigen Kummer bereitet, was auf die Eigentüm­lichkeiten dieses Instruments zurückzuführen ist. Nach HEC-TOR BERLIOZ ist sie „ein kleines Orchester", mit bunter Klangpalette ausgestattet. Doch scheint sie unter ihren klingen­den Schwestern und Brüdern ein weißer und manchmal recht aufmüpfiger Rabe zu sein und besonderen, geheimnisvollen Ge­setzen zu unterstehen. Man muß also entweder selbst Gitarre spielen, um ihr ureigenes Wesen zu erkennen, oder sich zumin­dest - selbst als arrivierter Komponist - von einem Gitarristen beraten lassen. So sind auch die wirklich guten neuzeitlichen Kompositionen ausnahmslos in enger Zusammenarbeit von Komponisten und Gitarristen zustandegekommen.

„Zum Wohl der Gitarre" gruppiert sich der Gitarrist heute wie damals in Vereinen, Gesellschaften, Bünden oder sonstigen Or­ganisationen und betreibt von diesem Standort aus gern ein biß­chen Kabale - nicht immer, aber so ab und zu, sozusagen zum Drüberstreuen. Als Medium dienen ihm dabei oft die sonst so verdienstvollen Gitarrezeitschriften, die vom großen Idealismus

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ihrer Herausgeber getragen werden. Hier werden manchmal un­nötige Auseinandersetzungen ausgetragen - warum wohl? Zur Unterhaltung? Als eine Art sportlicher Betätigung oder nur aus rechthaberischem Eigendünkel? Solches geschieht auch manch­mal auf anderen Gebieten in ähnlicher Form, nur wirkt es sich bei dem verhältnismäßig kleinen Häuflein der klassischen Gitar­risten und im Hinblick auf ihre „so große Liebe" zur Gitarre schädigend aus. Es bringt letztlich nichts. Vielleicht geschieht es sozusagen in Abwandlung eines alten, volkstümlichen Spru­ches: „Herr A. und Herr Z. sind Feinde. Weil beide aber einen Gerechten, nämlich Herrn M., verderben wollen, werden sie Freunde. Der Heilige Geist möge uns schützen, wenn sie Gevat­tern würden...".

Manchmal fürchte ich, daß der wundervolle Aufschwung der „klassischen Gitarre" aus einem neuen Kunstgefühl oder irgend einer Zeiterscheinung heraus wieder empfindlich abflauen könnte. Im Lauf der Zeit erlebte die Gitarre dies bereits öfter.

Wenn auch das Auf und Ab einer derartigen Entwicklung viel­leicht einem metaphysischen Gesetz entsprechen sollte, so bin ich doch der Meinung, daß gegen einen eklatanten Verfall der Gitarre angesteuert werden könnte; man sollte es begrüßen und fördern, wenn sich die Gitarre in möglichst vielfältigen Gestal­ten und Varianten der Musikausübung etabliert, wodurch einzig und allein zu verhindern wäre, daß sie wieder einmal völlig in der Versenkung verschwindet.

Die Arten und die Formen der Gitarre haben sich immer wieder verändert, weshalb sollte man daher verwundert sein, wenn sie sich heutzutage auch elektrisch enorm verstärkt und in dieser Verfassung sehr selbstbewußt in einem geradezu magisch ge­prägten Kollektiv präsentiert.

Wohl kann es dem Kenner und Liebhaber der klassischen Gitar­re gewiß keine Freude bereiten, in Pop- oder Jazzgruppen sich windende und verrenkende Gitarristen zu sehen, zumeist auch ohne akustische Gitarre (also mit einer Gitarre ohne Klangkör­per!). Doch hat diese vielfach auch unter Amateuren zu finden­de, zwiespältige Erscheinung der Verbreitung der klassischen Gitarre keineswegs geschadet.

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Im Gegenteil! Schließlich wenden sich nicht wenige der vorerst begeisterten „Elektrogitarristen" später der klassischen Gitarre zu. Der klassische Gitarrist sollte nicht erzürnt darüber sein, daß er mit seinem in langer Mühe und nur mit großer Begabung er­reichtem Können keine Monsterhallen füllen kann. Wie ich schon mit Kapitel „Auf der Gitarre singen" bemerkt habe, ist und bleibt die klassische „Spanische Gitarre" mit ihrer uralten Kultur, die bis in die Anfänge der Menschheit reicht, ein „intro­vertiertes" Instrument. Es gehören zu ihr ganz bestimmte See­len, die für sie geschaffen, in ähnlicher Richtung mit ihr gelagert sind und deren geistige Ansprüche, in einem gewissen Maß abgehoben, nach Erfüllung streben. Aber diese Leute sind leider nicht in der Mehrzahl und sie besuchen auch nicht gerne Massenveranstaltungen.

Der Spieler der klassischen Konzertgitarre fühlt sich aber auch dem „Flamenco-Gitarristen" innerlich nicht besonders verbun­den, obwohl er ihn wegen seiner teilweise grandiosen Technik der rechten Hand bewundert; seine herkömmlichen andalusi-schen Rhythmen, seine Malaguenas, Soleares, Seguidillas usw. bieten Klangrausch und Ekstatik, wollen das Vorhandensein verdrängter Gedanken und Gefühle ausleben lassen und stellen daher für viele Menschen ein durchaus zeitgemäßes, erwünsch­tes Erlebnis dar, das - ähnlich wie die Popmusik - Massenwir­kung hat.

Es existiert mittlerweile schon eine stattliche Anzahl von Gitar­rekonzerten mit Orchester, und sie werden oft gespielt. Es liegt im Interesse solcher Veranstaltungen, in denen auch andere Or­chesterwerke zu Gehör gebracht werden, nur größere bis sehr große Säle dafür auszuwählen. Bei Gitarrekonzerten mit Orche­ster stehen sich völlig ungleiche Kräfte gegenüber; außerdem tut die Räumlichkeit das Übrige dazu. Auch ich habe schon viele dieser „Konzerte mit Orchester" öffentlich gespielt; im Rund­funk ist das immer herrlich - eine ganz unproblematische Sache! Ich kann daher ganz konkret aus meiner eigenen Erfahrung dar­über sprechen.

Ich halte es bei derlei öffentlichen Veranstaltungen zum Heil des Gitarristen für zweckmäßig, mit einer sanften, noblen - also kei­nesfalls aggressiven - Mikrophonverstärkung zu spielen. Trotz

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des großen Tones und trotz der besten und tragfähigsten Gitarre bleibt es immer ein Problem, den „Kampf" mit einem Orchester aufnehmen zu wollen. Bei Gitarrekonzerten mit einem kammer­musikalischen Streichorchester liegt die Sache etwas günstiger.

Der kleine DAVID zog sich bei seinem Kampf mit dem Riesen GOLIATH durch einen Trick aus der Affäre und siegte. Der einzige mögliche „Trick" des Gitarristen scheint mir das Mikro­phon zu sein. Das Orchester kann dann frei und ungehemmt spielen, ohne sich besonders zurückhalten zu müssen, was ohne­hin schwer gelingt. Der Gitarrist wiederum hat die Möglichkeit, gelöst und locker seine Passagen und Läufe „virtuos" zu spie­len, ohne sich wegen der Lautstärke verkrampfen zu müssen, was sich für die musikalische Interpretation sehr ungünstig aus­wirkt. Das Publikum hat somit auch ein Gitarrekonzert mit Be­gleitung eines Orchesters gehört und nicht ein Orchesterstück, bei dem man nur manchmal ein paar schöne Gitarretöne ver­nimmt. Ich habe dieses Problem sehr gründlich bedacht und konnte sogar einige Male „konservative" Dirigenten von der Zweckmäßigkeit meines Vorschlags überzeugen. Man sollte doch wirklich nicht - entweder märchengläubig oder überheb­lich - einer Illusion nachhängen, die zerrinnen muß. Selbstver­ständlich wird es immer wieder tapfere Naivlinge oder harte Kämpfer geben, die glauben, sie könnten es mit einem sympho­nischen Orchester aufnehmen. Es geht aber daneben! Zumindest leidet das Werk empfindlich unter dieser Annahme, was sehr schade ist, denn ich glaube, alle Gitarristen sind sehr glücklich, solche schönen Werke zu besitzen. Ich empfinde es weitaus we­niger „peinlich" (wenn man es überhaupt von dieser Warte aus betrachten will), in solchen Fällen mit einer sanft verstärkten Gitarre zu spielen, anstatt daß das Publikum von der Gitarre zu wenig zu hören bekommt. Wer zum Beispiel einmal den wun­derschönen 2. Satz des RODRIGO-Konzerts (Concerto de Aranjuez) erst ohne, dann mit Verstärkung gespielt hat, wird akustisch und vor allem rein spieltechnisch den großen Unter­schied in der Wiedergabe erkennen.

Was nun die Gestaltung der Soloprogramme eines Konzertgitar­risten in eigenen Abenden betrifft, so hat er meiner Meinung heutzutage fast eine moralische Verpflichtung, auch moderne Musik der Gegenwart - in entsprechender Relation zu anderen

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Werken - einzubeziehen; nur muß er wissen, wo und in wel­chem Zuhörerrahmen er dies tun darf. Und noch etwas: Nicht alles mit dem Attribut „modern" Versehene ist gut! Die soge­nannte „atonale Musik" (also jene Musik, die auf einer Zwölf­tonreihe basiert), die sich weder harmonisch noch melodisch auf die Funktionsbeziehungen der Tonalität stützt - auch nicht auf einen Zentralton -, halte ich als Ausdrucksform der Gitarre ih­rem Wesen nach für ungeeignet. Ihre Tonsprache wird zweifel­los der kosmischen Zusammenhänge entbunden und reißt somit das statische Gerüst tonaler Beziehungen in chaotische Verwir­rungen. Mit anderen Worten: Bei einer Musik, die keinen Grundton hat, wird dem Zuhörer der Boden unter den Füßen rücksichtslos weggezogen. Kann er sich unter solchen Umstän­den noch wohl fühlen?

Hat man sich heutzutage als Gitarrist qualifiziert, seinen Namen entsprechend bekannt gemacht und ist man entschlossen, diesen Musikerberuf ein Leben lang auszuüben, so muß man gewiß nicht, wie manchmal in früheren Zeiten, Not leiden. Es gibt heute genügend Möglichkeiten, vorausgesetzt, die nötige Akti­vität und menschliche Kommunikationsfähigkeit ist vorhanden (ein bißchen muß die Fee des Glücks auch dabeistehen), das Gi­tarrespiel als Beruf auszuüben: Rundfunk, Fernsehen, Film, Gitarre-Abende im größeren oder kleineren Rahmen (wobei sich hier in Österreich auch Arrangements auf Spendenbasis ohne Prestigeverlust eingebürgert haben), ferner Mitwirkungen bei Lesungen und Vernissagen, Kammermusikveranstaltungen so­wie die obligaten Gitarreparts in Oper, Operette, Theater und anderes mehr. Doch gelingt dies nur besonders qualifizierten Gitarristen. Aus reicher Erfahrung mit vielen Schülern möchte ich aber dennoch den Hinweis geben, zusätzlich eine Lehrtätig­keit anzustreben. Eine geschickte Menschenführung ist schon allein eine ganz wunderbare Berufung, wenn man sie nur in ih­rem Ausmaß richtig erkennt!

Vielleicht rate ich auch dazu, weil ich ein pragmatischer Mensch bin, der stets reale Ziele vor Augen hatte und nicht gern Hirngespinsten nachjagte. Ich weiß, daß der jüngere Gitarrist in einer bestimmten Entwicklungsphase von einer Unterrichtstätig­keit oft nichts wissen will und dafür sicherlich auch stichhaltige Argumente anzuführen weiß, dann nicht mehr genügend Zeit

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aufbringen zu können. Es ist aber doch alles nur eine Sache der Selbstdisziplin und Einteilung; wenn man einmal erfahren hat, wie sehr das Lehren auch die eigene Persönlichkeit künstlerisch und menschlich reifen läßt, wird man durch die Koppelung künstlerischer, kreativer Tätigkeit mit dem Lehrberuf vielleicht eine andere Einstellung gewinnen.

„Nimm Rat von allen, aber spare dein Urteil!" - Von diesem SHAKESPEARE'schen Spruch sollten sich die vielen jungen und oft hochbegabten Gitarristen stets leiten lassen. Ich sehe im Gegensatz zu anderen Lebensbelangen auf dem Gebiete der Mu­sik - und ich möchte hier natürlich speziell auf die Umwelt der Gitarre verweisen - keinerlei „Generationsprobleme" oder ähn­liche Schwierigkeiten. Im Gegenteil! Ich bemerke immer wie­der, daß sich jüngere Gitarristen nur zu gerne führen und beraten lassen und mit großer Aufnahmebereitschaft die Er­kenntnisse und Erfahrungen der Älteren aufnehmen, sie geistig verarbeiten und sie eigenständig verwerten. Ein gesunder, un-verbogener Instinkt scheint hier wirksam zu sein und eine sich fortsetzende, glückliche Entwicklung in Aussicht zu stellen.

Es gibt keine Violinwelt, keine Klavierwelt, keine Flötenwelt. Alle diese Instrumente, aber auch noch andere, haben sich in ei­nem „Musikuniversum" vereinigt. Ungeachtet dessen gibt es zweifellos eine „Gitarreweit"! Ist die Gitarre gerne eine Außen­seiterin in dem großen Gefüge? Ja, das ist nun einmal nicht zu leugnen; sie ist von einer Welle von Zärtlichkeit getragen und in fast mimosenhaft empfindliche Hüllen gewickelt. Dagegen wäre nichts einzuwenden, darüber könnte man sich im allgemei­nen freuen, manchmal darüber lächeln, wenn nicht auch heute noch die Mehrzahl der Gitarristen ihr völliges Genügen in dieser Welt finden würden; sie vermeiden es, sich rein ideell anderen Musik- und Kunstsparten zu nähern, Gefallen an ihnen zu fin­den, sich mit ihnen vertraut zu machen. Diese Einseitigkeit ist es aber, die ihrem „Liebling" indirekt Schaden zufügt und sie zu einer Außenseiterin stempelt; das möchte sie gar nicht sein. Ist sie doch durch ihre Tugenden ein kleiner Mikrokosmos, der sich in den Händen von Banausen nicht zu entfalten vermag. Es wäre jetzt an der Zeit, daß bei den Betroffenen eine Bewußtseins- und Bildungserweiterung erfolgt und die Gitarri­sten das Tor auch zu anderen Quellen der Kunst öffnen. Denn

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je gebildeter und umfassender an Wissen und Erfahrung der Gi­tarrist der Zukunft engegen tritt, um so sicherer nähert sich sei­ne musikalische Aussage der Wahrheit. Nur in der Befreiung von diversen einengenden und beschränkenden Komponenten wird seine Künstlerschaft Echtheit widerspiegeln und zuverläs­sig sein.

Sind die heute in den verschiedenen Städten stattfindenden inter­nationalen Wettbewerbe für den Gitarristen attraktiv? Diese oft gestellte Frage läßt sich generell kaum befriedigend beantwor­ten. Es kann sicher verlockend sein, an solchen Wettbewerben teilzunehmen, ihre prägnanteste Bedeutung sehe ich jedoch in der anspornenden Begegnung zwischen Gleichgesinnten.

Ein Gitarrist, der an einem solchen Wettbewerb teilnimmt, muß in seiner künstlerischen Leistung das Mittelmaß überragen und fähig sein, das geforderte Programm auch unter oft außerge­wöhnlichen Bedingungen und räumlichen Umständen möglichst perfekt zu beherrschen. Risiken ergeben sich für alle Kandida­ten in mannigfaltiger Art. Nicht immer ist auch eine prominente Jury in der Lage, die tatsächliche Qualität eines Spielers in ihren vielfachen Facetten voll zu erkennen beziehungsweise gerecht einzuschätzen und zu beurteilen. Schließlich gibt es ebenso spä­ter Ungerechtigkeiten im Berufsleben, die man lernen muß hin­zunehmen. Wer unter Umständen die Rolle eines Verlierers psychisch nicht vekraften kann, sollte es vermeiden, bei solchen Anlässen mitzumachen. Den Preisträgern winken neben Geld­oder Sachspenden meist Rundfunkaufnahmen; vielleicht ein oder das andere zusätzliche Engagement sowie die Ehre, sich als Preisträger auf Prospekten oder Programmzetteln präsentieren zu können.

Aber - Lorbeer oder nicht - das Leben geht weiter; später wird dann die Gunst des Publikums darüber entscheiden, inwieweit sich das Streben und die Mühen eines Gitarristen gelohnt haben. Durch die systematische Heranbildung von intelligenten, guten Spielern, die in den verschiedenen Sparten der Musik (ohne ein beschämendes Debakel heraufzubeschwören) einsetzbar sind, wäre garantiert, daß die Gitarre erfolgreich vertreten wird. Man hätte wohl damit die besten Voraussetzungen für den allgemei­nen Zuspruch des künstlerischen Wertes der Gitarre geschaffen, der ihren reichen Facetten und Möglichkeiten entspricht; denn

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sie hat bereits begonnen, willkürliche Grenzen zu sprengen. Eingependelt in ein entsprechendes Gleichgewicht innerhalb der großen Instrumentenfamilie wird sie dann auch in Zukunft ihre Aufgaben multidimensional erfüllen können.

Spanien: Die größte Gitarre der Weit

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Gitarre als Kuriosität

Vor Jahren kam einmal ein jüngerer Mann zu mir und zog aus einem großen Sack ein Etwas hervor, das er mir als eine selbst­gebaute Gitarre präsentierte und für die er von mir als Expertin ein Gutachten einholen wollte. Nun, das war gewiß nicht das er­ste Mal, daß man ein solches Anliegen an mich herantrug. Aber dieser Fall lag entschieden anders, denn die Gitarre bestand nämlich nur aus Zündhölzern; aus Tausenden aneinandergereih­ten kleinen Zündhölzern, an deren Ende jeweils noch der braune Rest des Köpfchens zu sehen war. Sie machten alle ein trauriges Gesichtchen, daß es mich fast zu Tränen rührte. Anscheinend waren sie sehr schockiert, daß sie nunmehr nicht Feuer geben, sondern Klang erzeugen sollten. Diese Gitarre klang, mit den üblichen Saiten bespannt, begreiflicherweise nicht nur schlecht, sondern überhaupt nicht. Es war ein großer Jammer; aber den jungen Mann störte es kaum, denn er hatte vorher schon eine ganze Reihe von Honoratioren und Stadtvätern aufgesucht und ihre volle Anerkennung gefunden. Die Arbeit muß immens ge­wesen sein; ich frage mich nur, ob der junge Mann seinen Fleiß anderswo vielleicht besser angewendet hätte.

Was mit dieser Gitarre weiterhin geschehen ist, weiß ich nicht und will es auch nicht wissen, denn es ist sicherlich zum Weinen.

Für eine ELVIS PRESLEY-Filmproduktion soll 1977 (nach ei­ner Aussage des Journalisten und Autors FRED SEEGER zufol­ge) - angeblich in Vancouver - eine spielbare Riesengitarre gebaut worden sein! Länge ca. 3 Meter und ein Schlachtgewicht von 172 Kilogramm! Abgesehen davon, daß sie eigentlich nicht dem Typus einer Konzertgitarre entspricht, sondern eher einer Jazz-Gitarre gleichen soll, hätten mich die 172 Kilogramm -trotz meiner Neugier - doch etwas abgeschreckt, sie auszupro­bieren.

Spanien, sozusagen das Mutterland der Gitarre, war jahrelang ein Mekka für alles, was mit Gitarre in Zusammenhang steht; das betrifft sowohl die exzellenten Spieler als auch den Gitarre­bau. Es erscheint mir schicksalhaft, daß es solche Perioden vor­übergehender kultureller Ablösung gibt, in denen andere Länder die gleiche Höhe erreichen. Spanien hat derzeit seine Vorherr-

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schaft anderen Ländern gegenüber abgetreten. Zwei stolze Ka-talanier, die das nicht verkraften konnten, bauten aus diesem Grund 1987 die größte Gitarre der Welt; denn in der Größe liegt sie - die Macht! Jawohl! Die Gitarre ist 3,20 m hoch und 1,50 m breit. Es wurde somit ein Produkt für das Buch der Rekorde ge­schaffen. Ich überlege mir, ob ich aber nicht doch meine beiden Spanierinnen von HERNANDEZ und RAMIREZ diesem Mon­ster vorziehen soll. Was meinen Sie? Übrigens: Spanien wird wiederkommen!

Ich besitze eine kleine, ca. 2 cm „große" goldene Gitarre auf ei­nem zierlichen, ebenfalls goldenen Stühlchen. Sie ist zwar nicht spielbar, aber sie kann zumindest Spaniens Goldschmiedekunst verkünden. Der Weg zurück zur Alhambra erscheint mir mit ihr leichter zu gehen als mit der Goliathin. Aber vielleicht bin ich zu nostalgisch - ich kann mich irren.

45 Jahre Lehrtätigkeit an der Musikhochschule Wien

Ich kann mich als eine der langjährigsten Lehrkräfte der Wiener Musikhochschule vorstellen, ohne die Absicht, mich durch die­ses Faktum beweihräuchern zu wollen. Doch bin ich der Mei­nung, gerade an diesem Ort für die Weiterentwicklung der Gitarre Vielfältiges geleistet zu haben.

Instrumental betrachtet war es gewiß nicht eine blinde odar gar schablonenhafte Weitergabe des TARREGAschen spanischen Erbes, sondern vielmehr eine durch meine persönlichen Erfah­rungen und Erkenntnisse initiierte Methode, in dynamischer Anpassung an die gereifte Musikästhetik meines Lebensraumes: Also ein durchaus eigenständiger Stil, sozusagen eine „spani­sche Schule", gepaart mit österreichischer Musiktradition.

Ich lehrte meinen Schülern - und dies war und ist immer mein besonderes Anliegen -, nicht nur ihr eigenes Erleben im Innern zu fühlen, sondern zu lernen, es auch unmittelbar auf die Finger zu übertragen, um auf diese Weise einen direkten Zugang zum

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Partner Publikum zu finden und den „Mikrokosmos" der Gitar­re mit seinen vielfältigen Aspekten möglichst aufzuschließen. Ich war auch vorrangig um eine entsprechende Klangrealisie­rung bemüht, die es der Gitarre ermöglicht, sich in verschiede­nen Musiksparten unserer Zeit zu entfalten und ihren Ansprü­chen und Anforderungen aktiv und möglichst „reibungslos" ge­recht zu werden. Es ist meiner Meinung nach ein ausgesproche­ner Nonsens, wenn jemand meint, man müßte die Gitarre „alter­tümlich" - pianissimo und möglichst langweilig - spielen, weil es sich hierbei um ein altes Instrument handelt. Ein Unterfan­gen, das heutzutage jedem Berufsgitarristen unweigerlich das Wasser seiner Mühle versickern läßt.

Im Lauf der Jahrzehnte haben sich Hunderte von Gitarrestuden­ten an der Akademie für Musik, unserer heutigen Musikhoch­schule, meiner Führung anvertraut und sich zu angesehenen Solisten, Kammermusikern und Lehrern entwickelt. An ihrer Formung und künstlerischen Reifung teilgehabt zu haben, er­füllt mich stets mit Freude.

Meine Anfänge an dieser Musiklehranstalt:

Im Herbst bat mich der damalige „Kommissarische Leiter" der Anstalt, Prof. FRANZ SCHÜTZ, selbst ein bekannter österrei­chischer Musiker, den nach Professor JAKOB ORTNER vakant gewordenen Posten beziehungsweise das Gitarre-Hauptfach zu übernehmen und auszubauen. Da damals aber Österreich dem Deutschen Reich als „Ostmark" eingegliedert war und in allen musikalischen Belangen der berühmte WILHELM FURT-WÄNGLER sein Einverständnis geben mußte, wurde ich aufge­fordert, bei Furtwängler eine Art Kolloquium abzulegen und ihm vorzuspielen. An dieser Stelle möchte ich nicht den in Kapi­tel „Auf der Gitarre singen" bereits erwähnten Ausspruch Furt-wänglers im Zusammenhang mit meinem Spiel wiederholen, der mir meine persönliche Uberzeugung bestätigte. Jedenfalls wurde ich noch im November des gleichen Jahres als Lehrkraft an die Akademie berufen, wo ich dann mit vier Schülern im Hauptfach und einigen von der Abteilung Musikpädagogik die Klasse aufzubauen begann. Es war keine reine Freude, denn in­zwischen flogen die Bomben der Amerikaner. Diese Luftangrif­fe fanden aber bei uns nur tagsüber statt, ansonsten wären meine

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Chancen am Leben zu bleiben wohl nicht groß gewesen. Ich hat­te teilweise in den Räumen der ehemaligen russischen Gesandt­schaft, wo die Musikpädagogik interimsmäßig stationiert war, nachts Luftschutzdienst zu halten. Ich weiß eigentlich nicht, was ich dort schützen sollte. Der „Luftschutzkeller" befand sich un­terhalb auf demselben Areal wie die russische Kirche mit den hübschen Zwiebeltürmen; er war ein ganz normaler Keller und auch nicht besonders tief. Für einen Bombenangriff also über­haupt keine geeignete Zufluchtsstätte. Es hieß dort also nur ei­nem gütigen Schicksal vertrauen. Als sich in der letzten Kriegszeit die Angriffe auch auf die Nacht erstreckten, war un­ser Institut für einige Zeit infolge der Kriegswirren gesperrt, so daß ich auch keinen Luftschutzdienst mehr machen mußte. Ich saß dann zur Abwechslung in dem kleinen Kohlenkeller unseres Wohnhauses, der im Ernstfall auch keinen Schutz bot. Auf den beiden Liegestühlen, die mein Mann für uns in der Nacht aufge­stellt hatte, konnte man aber wenigstens ein bißchen schlafen.

Kurz nach Ende des 2. Weltkrieges, also schon im Herbst 1945, öffnete die Akademie wieder ihre Pforten, aber unter einem neuen kommissarischen Leiter anderer Coleur; FRIEDRICH WILDGANS, Sohn des bekannten österreichischen Dichters ANTON WILDGANS. Ich begann wieder zu unterrichten. Eine rein fachliche Auseinandersetzung zwischen ihm und mir führte jedoch kurzerhand zu meiner Kündigung. Da es damals auch keine Möglichkeit zum Spielen gab, war ich ohne Existenz­grundlage; hinzu kommt, daß auch mein Gatte berufliche Schwierigkeiten hatte und ich durch die sehr verwirrten Nach­kriegsverhältnisse bis zur Erlangung meiner österreichischen Staatsangehörigkeit staatenlos geworden war. Die Zeit war chao­tisch und für mich nicht rosig. Aber auch der neue „kommissa­rische Leiter" der Akademie konnte sich nicht lange in seinem Amt halten. Nachdem sich die Verhältnisse halbwegs beruhigt hatten, wurde schließlich ein dem Status der Musikakademie entsprechender „Präsident" als Leiter dieses weltweit berühm­ten Instituts verpflichtet. Dieser neue Präsident, Prof. Dr. HANS SITTNER, ein sehr dynamischer, schaffensfreudiger Mann, holte mich wieder an das Institut zurück. Das war dann sozusagen das Ende der längeren Odysee. Ich konnte nun ab En­de 1946 meine begonnene Aufgabe, soweit es die Musikakade-

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mie betraf, fortsetzen und die Frequenz des Hauptfachs Gitarre durch in- und ausländische Schüler erheblich erweitern.

Übrigens: Was die administrative Seite anbetrifft, habe ich dann im Lauf der Jahre die stattliche Anzahl von sieben dem Institut vorstehenden Persönlichkeiten im Range eines Präsidenten oder Rektors erlebt sowie die „Ein- und Auszüge" von mehr als zehn Abteilungsleitern, die zumeist Reformen brachten, denen es sich auch bei den Instrumental fächern dynamisch anzupassen galt.

Die inzwischen statuierte zweite Gitarre-Hauptfach-Klasse unter der Leitung von Prof. KARL SCHEIT konnte sich, zumal das Interesse für die klassische Gitarre zugenommen hatte, auch bald einer repräsentativen Studentenzahl erfreuen; beide Klas­sen zusammen konnten einen Stand von ca. 80 Schülern aufwei­sen, eine Arbeit, die natürlich ohne Assistenten nicht zu bewältigen war. Daß sich zwischen den beiden parallel laufen­den Gitarreklassen manchmal Konfliktsituationen ergaben, wie das oft so ist, wenn das Ganze nicht im Auge behalten wird, ist bedauerlich.

Wie es bei allen Instrumentalklassen unserer Hochschulen die Gepflogenheit ist, habe ich im Lauf der Jahre für meine Studen­ten öffentliche Vortragsabende in Konzertsälen arrangiert, bei denen sie ihr Können unter Beweis stellen und sich als zukünfti­ge Berufsmusiker eine gewisse Routine beim Spiel vor Publi­kum aneignen konnten. Es standen stets Soli und auch Kammer­musikwerke in verschiedener Besetzung auf dem Programm, die ich einstudieren mußte, da wir keine obligate Kammermusik­klasse hatten.

Wenn ich zuweilen diese vielfältigen Schülerprogramme durch­blättere, muß ich feststellen, daß sich hier eine ganze Menge an Vertrauen, Können, Unternehmungsgeist und Verantwortungs­bewußtsein seitens der jungen Leute manifestiert hat. Gelegentlich wurde dieser Gitarre-Boom von den Streicherklas­sen, die nicht nur für erstklassige Solisten, sondern auch für ei­nen qualifizierten Orchesternachwuchs zu sorgen hatten (Wiener Philharmoniker!) und keineswegs eine so starke Schü­lerfrequenz aufwiesen, etwas mißbilligend quittiert. Aber - wa­rum sollte es der Gitarre nicht auch einmal gutgehen, sollte sie immer das Mauerblümchen spielen?

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Da die Gitarre kein Orchesterinstrument ist und für dieses Fach die Disziplin der Ensemble- bzw. Orchesterübungen ausfallen mußte, versuchte ich, dieses Manko mit Hilfe eines anderen mu­sikalisch seriös geführten Ensembles (bestehend aus Mandoli-nen, Liutos, Holzbläsern, Bässen usw.) auszugleichen. Der fehlenden Praxis der Gitarristen, später mit anderen Instrumen­ten zusammenzuspielen und vor allem das Musizieren unter ei­nem Dirigenten zu beherrschen, kann man nur auf der vorher­genannten Weise entgegenwirken. Eine Idee, die sich in der Zu­kunft als außerordentlich nützlich erwiesen hat, obwohl die strenge Disziplin der Probenarbeit den jungen Leuten nicht im­mer angenehm war. Vor allem haben sie rhythmische Routine bekommen, die ihnen sehr zugute kommt - besonders bei den Mitwirkungen an Konzerten neuzeitlicher Musik und auch ande­ren Gelegenheiten.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch Herrn Professor VINZENZ HLADKYS ehrend gedenken, der mich in meinem Bemühen, junge Menschen zum Gemeinschaftsmusizieren zu motivieren, zielstrebig und hilfreich unterstützte.

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Jedenfalls war für mich meine Berufung an die Musikhochschu­le zu einer herrlichen Aufgabe geworden, der ich auch neben meiner eigenen künstlerischen Betätigung mit Freude nachgehen konnte. Es war ein Bereich, in dem ich junge Menschen nicht nur gitarristisch ausbilden konnte, sondern auch in ihrer menschlichen Entfaltung zu fördern vermochte.

Zweifellos bedeutete für mich diese Tätigkeit auch eine persön­liche Weiterentwicklung, die besondere Kräfte menschlicher Verantwortung in mir wachgerufen hat. Wenn ich nun diese Lehrtätigkeit mit meinem konzertanten Wirken wie ein Alche-mist seine edlen Ingredienzen zu einem künstlerischen Ganzen verschmelzen durfte, möchte ich mich dabei an das so schöne SCHUBERTsche Lied „An die Musik" erinnern und aus dem Herzen sagen: „Du holde Kunst, ich danke Dir!".

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Elogio de la Guitarra

In einem schönen Glas habe ich ein paar Rosen zu meiner Gitar­re gestellt. Sie stammen aus einem Strauß von meinem Konzert und gebühren eigentlich weit mehr ihr, der launigen Zauberin, als mir.

Ich weiß gar nicht, ob sie Rosen liebt, aber ich glaube eher ja, da wir zumeist dieselben Wünsche haben. Ich blicke sie dann auch zärtlich an, meine Gitarre, und sage ganz leise: „Danke! Du hast mir heute wieder sehr geholfen!".

Ich betrachte das nicht als Selbstverständlichkeit, denn gelegent­lich haben wir miteinander auch harte Auseinandersetzungen, und manchmal muß ich meine aufgestaute Energie ihrer varia­blen, eigenwilligen Klangbereitschaft regelnd einordnen.

Es drängt sich dann meinem geistigen Auge das Bild auf, wie sich ihr edles Holz das Licht und die Wärme der Sonne, die Kraft der Naturelemente einverleibt hat; wie ich trauere bei dem Gedanken, wie sehr ein Baum geweint haben mag, als die Säge seine Lebensringe durchschnitt.

Nach diesem Opfergang ist nun dieses Holz wieder bereit zu ge­ben und sich im Klang als Gitarre darzubieten mit all den ge­heimnisvollen winzigen Organismen, die in seinem immer noch lebendigen Fleisch trotz aller Bearbeitung leben und weben.

Zuweilen frage ich mich, ob in diesem Prinzip des Empfangens und Gebens - schon vom geringsten an - nicht überhaupt die ganze Sinnhaftigkeit des Lebens liegt? Ist das vielleicht ein ethi­sches Gebot, ein strikter Vorbehalt ohne jede Möglichkeit einer Ausflucht?

Nach einem Konzert kam eine Dame zu mir, hielt mir ein Kärt­chen hin und sagte: „Bitte schreiben Sie mir ein Wort darauf, nur ein einziges Wort, ein Wort, das Ihnen gerade einfällt!". Ich überlegte nicht lange und schrieb emotionsgeladen, wie ich ge­rade war, auf das Papier das Wort „Freude"; denn Freude war es, die ich nach diesem Konzert empfand. „Danke", sagte die Dame, „Ihr Spiel hat mir viel gegeben, und Ihr Instrument hat wunderschön geklungen".

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Daher ein paar Rosen für meine Gitarre; sozusagen als ein per­sönliches „Hommage" und als Dank! Doch nur für meine? Ach nein! Natürlich stellvertretend für alle ihre würzig duftenden Schwestern, die mit ihrem Klang etwas ganz Kostbares zu ver­geben haben; ein Geschenk, das auch Sie, meine lieben Leser, sicherlich immer gerne empfangen, dieses Geschenk der Gitar­re: ganz schlicht und einfach - Freude!

LUISE WALKER wurde auf Grund ihres künstlerisch und pä­

dagogisch internationalen Wirkens

1965 vom Österreichnischen Bundespräsidenten zum „Professor" und

1967 zum „Hochschulprofessor" ernannt.

1987 erhielt sie die „Ehrenmedaille in Gold" der Bundes­hauptstadt Wien. Im selben Jahr wurde ihr das „Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich" verliehen.

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Personenregister

Abt v o n Wi l ten (Kloster in Tirol , 14. Jhdt.) 165 Abt v o n Wi l ten ( 1 9 6 3 ) 164 Adler , Pianist ( N e w York) 85

Albert , Heinrich (Kammervir tuose . M ü n c h e n ) 3 4 , 3 5 , 36 A l f o n s o , Franz isco (span. Gitarrist) 95 A g a f o s c h i n ( A g a f o s z i n ) , Piotr (Gitarrepädagoge) 122 A m d r o n o v , L e o n (russ. Gitarrist) 120 Andrej , M. (Betreuer der Autorin in Moskau) 124 , 125 A n i d o , Maria Luisa (argentinische Gitarristin) 5 4 , 6 0 , 95 A l b e n i z , Isaac (span. Komponis t ) 5 7 , Assa f j ew , Boris Wlad imirowi t sch 120

Bacar i s se , Salvatore (Komponis t ) 144 B a c h , Joh. Sebast ian (Thomaskantor) 104

Badi l la , G e o r g e (Direktor des Konservator iums Barcelona) B a l a s k o , Viktoria (Schauspielerin) 63 Ber l ioz , Hector (Komponis t ) 112, 167 Bierach, Alfred (promovierter P s y c h o l o g e , Autor) 48 Bittner, Julius (Opernkomponis t , Musikkrit iker) 71 Boccher in i , Luigi (Komponis t ) 144 Boucher , Francois (Maler) 29 Bouchet , Robert (Gitarrebauer) 95 B r a i l o w s k y , A lexander (Pianist) 116 B r o u w e r , L e o (Gitarrist, Komponis t ) 66 Buek , Fritz ( M ü n c h e n , „Gitarrefreund") 5 6 , 58

C a m p i o n , Francois (Komponis t ) 165 Casa l s , Pablo (span. Cel l is t ) 109 C a s s a d o , Gaspar (span. Cell ist) 109 C a s t e l n u o v o - T e d e s c o , Maria (Komponis t ) 144 C h o p i n , Frederic 5 7 , 8 8 , 114 Chora (Japan. Dichter) 143 Corlan, Anthony (Schauspieler) 97 C o s t e , N a p o l e o n (Komponis t ) 57 Couper in . Francois (Komponis t ) 112

da V i n c i , Leonardo 76

D a v i d (König aus d e m Al ten Testament) 170 D r e y e r , M a x (Autor) 63 D y a n , A s s a f (Schauspie ler) 97

El isabeth (Gattin v o n Hirschfeld) 95

Feuerbach , A n s e l m (Maler) 9 0 Fleta, Ignac io I . (Gitarrebauer) 95 Flora, Paul (österr. Graphiker und Maler) 29 Fuenl lana, Migue l de (Komponis t ) 108 Furtwängler , W i l h e l m (Dirigent) 7 1 , 177

184

Gattermeyer , Heinrich (Prof. für Mus ik in Wien) 9 Gelas - Schmid (Gitarrefirmen) 35 Giul iani , Mauro (Komponis t ) 144 G o e t h e , Joh. W o l f g a n g von (Dichter) 165 G o g o l , Nicolai (russ. Dichter) 123 Goliath (Riese aus d e m Alten Testament) 170 G o u n o d . Charles (Komponis t ) 131 Granados , Enrico (span. Komponis t ) 166 Gulda, Friedrich (Pianist) 81

Hauser ( I . ) , Hermann (Gitarrebauer) 4 0 , 4 1 , 9 5 , 9 7 Hernandez , Santos (Gitarrebauer) 4 0 , 6 4 , 119, 176 Haydn, Josef (Komponis t ) 59 Hirschfe ld , Kurt (Pro f .Dr . Ing .hab i l . ) 9 4 , 9 5 . 96 Hladky, V i n c e n z (Prof . , Kapel lmeister) 180 Huston, Anje l ica (Schauspie ler in) 97 Huston, John (F i lmregisseur) 97

Isakoff (russ . Gitarrepädagoge) 119

Jerger, Alfred (Kammersänger der W i e n e r Staatsoper) 85 Jeritza, Mar ia , (Kammersänger in ) 85 Jesus , Shirach (Verfasser apokrypher Schriften) 69 Joachim, Josef (Viol inis t und Komponis t ) 70 John (Künstler in N e w York) 86 Joseffy , Raphael (Pianist) 85 Junghans (Fabrikantengattin) 82

Karl IV. (röm. deutscher Kaiser) 166 Kaufmann, Armin (österr. Komponis t ) 137, 138 , 139 K o n o , Masaru (Japan. Gitarrebauer) 41 Konradin (der letzte Hohenstaufe) 165 Krebs . Johann L u d w i g 144 Kuge l , Georg (Impressario) 8 0 , 81

Liszt , Franz (Pianist . Komponis t ) 85 Llobet , Migue l (span. Gitarrist) 5 1 , 5 2 , 5 4 - 5 6 . 5 8 - 6 2 , 8 8 , 9 5 , 1 0 3 , 1 0 7 Ludwig XIV. (König v o n Frankreich) 112

Mahler , Gustav (Komponis t ) 55 Marhold (Industriel lenfamil ie) 59 Marie Luise (Gemahl in N a p o l e o n s I.) 76 Maria Ade le ide (2 . Gattin Pujols) 109 Marx , Josef (Komponis t ) 156 M a s u k o , Kunio (President) 144, 155 M e n z e l . Ado l f (Maler) 87 Mertz , Johann Kaspar (Komponis t ) 31 M ö n c h , Eduard (Gitarrebauer) 95 M o s c h e i e s , Ignaz (Pianist) 50 Mozart , W o l f g a n g A m a d e u s (Komponis t ) 5 9 , 165 Mudarra, A l o n s o (Komponis t ) 108

N a p o l e o n Bonaparte I . (franz. Kaiser) 7 5 , 76 Narvaez , Luys (Komponis t ) 108 Nico l ina (Tochter von Llobet) 58 N o - i n - H o s h i (Japan. Dichter des 13. Jhdt.) 161

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Okakura (Japan. Dichter und Kunsthistoriker) 143 O l s z e w s k a , Maria (Kammersänger in der Wiener Staatsoper) 8 5 , 86 Ortner, Jakob (Professor) 5 1 , 5 2 , 5 6 , 6 0 , 177

Paganini , N i c o l o (Ge iger und Komponis t ) 140 , 144 Papageno (Gestalt aus der Zauberflöte) 59 P a w l o w a , Anna (russ. Primaballerina) 120 P e g g y (Verwandte der Autorin) 86 P o n c e , Manuel (mex ikan . Komponis t ) 9 2 , 103 Popper , Baron (Gatte der Maria Jeritza) 85 Prat, D o m i n g o (Gitarrepädagoge und Komponis t ) 60 Pres ley , Elv i s (Sänger) 175 Pujol , E m i l i o (Gitarrist, Pädagoge , Komponis t ) 6 2 , 9 5 , 107 , 108 , 109

Ramirez , Jose (Gitarrebauer) 4 0 , 4 1 , 9 5 , 176 Riera, Juan (Biograph) 107 Reichl in , F e e v o n (Schauspie ler in) 63 Reichsstadt , H e r z o g v o n 7 6

R o d r i g o , Joaquin (Komponis t ) 9 2 , 107 , 144 , 166 , 170 Rockefe i l er (Mitg l ied der Fami l ie Rockefe l ler ) 89 Rosenthal , Moritz (Pianist) 85 R o d e s , Rosita (span. Gitarristin) 95 R o x y (Showunternehmen) 89

Sachs , Hans (Meisters inger) 39 S a l o m o n (König) 3 8 Santörsola, Guido (Komponis t ) 9 1 , 9 2 Sasaki , Tadashi (Prof . , Gitarrist und Pädagoge) 96 Schi l ler , Friedrich von (Dichter) 28 Scheit , Karl (Prof . , Gitarrist) 179 Schmid - Gelas (Gitarreerzeugung) 35 Schönberg , Arnold (Komponis t ) 5 5 , 103 Schubert , Franz (Komponis t ) 3 8 , 181 Schumann , Elisabeth (Kammersänger in) 84 Schumann , Robert (Komponist ) 5 7 , 88 Schütz , Franz (Prof. , Organist) 177 Schwarz -Re i f l ingen , Erwin 95 S c h w a r z , Vera (Kammersänger in) 84 S c h w i n d , Mori tz v o n (Maler) 103 S e e g e r , Fred (Musikschriftste l ler , Autor) 175 S e g o v i a , Andres (Gitarrist) 5 4 , 107 Shakespeare , Wi l l iam (Dichter) 172 Sittner, Hans (Prof. D r . , Präsident d. Staatsakademie in W i e n ) 178 Sor, Fernando 5 9 , 144 , 165 Stainer, Jakob (Geigenbauer) 3 9 , 40 Sto lz , Robert (Komponis t ) 52

Tarrega, Francisco (Gitarrist, Pädagoge und Komponis t ) 5 1 , 5 4 , 6 0 , 107 , 176 Tartini , Guiseppe (Viol inis t und Pädagoge) 70 Tauber , Richard (Kammersänger) 84 Tietard, Isabella (Sprachlehrerin) 106 Tols to i , L e o (Dichter) 123 Torres , Anton io (Gitarrebauer) 4 0 , 5 5 , 9 5 T s c h a i k o w s k y , Peter Iljitsch 124

186

U l a n o w a , Galina (Primaballerina) 120

Valderrabano, Enriquez de (Komponis t ) 108 V i l l a - L o b o s , Heitor (Komponis t ) 9 2 , 9 3 , 109

W a g n e r , Richard (Komponis t ) 3 9 , 4 2 Walker , J i m m y (Bürgermeis ter von N e w York) 8 3 , 8 5 Wal ter , Fried (Komponis t ) 144 Walther v o n der V o g e l w e i d e (Dichter) 38 Watt , James (Erfinder) 39 Watteau , Jean Anto ine (Maler) 29 W e b e r , Carl Maria v o n (Komponis t ) 101 W e b e r n , Anton v o n (Komponis t ) 5 5 Wiesenthal (Tänzerinnen) 8 1 , 8 9 W i l d g a n s , Friedrich (Prof . , Leiter der Staatsakademie W i e n ) 178 W i l d g a n s , Anton (Dichter) 178 Wührer , Friedrich (Pianist) 86

Y s a y e , E u g e n (Viol inis t und Pädagoge ) 106

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INHALTSVERZEICHNIS

Seite

Z u m Geleit (Heinrich Gattermeyer) 8 Vorwort der Autorin 10 Ins Leben k o m m e n 13 - Frage an die Gitarre - 16

K I N D H E I T S E R I N N E R U N G E N

Freundl iche Vis ionen 17 „S ingvoger l" - I Rechnen unterm Mari l lenbaum 24 Heiml ichke i ten 27 D a s Schäfermädchen 29 Ein stiller Zuhörer 31

B E G E G N U N G E N - R U N D U M D I E G I T A R R E - K O N Z E R T R E I S E N

H o m m a g e für Heinrich Albert 34

D a s k l ingende Ho lz 37 - An eine Gitarre - 43 Der Drang nach V o l l k o m m e n h e i t und die subtile Kunst des Ü b e n s 44 Faszination 51 Migue l Llobet 54 Theaterdebut in München 63 D i e Ballade von der verl iebten Jungfer „in D" 65 A u f der Gitarre s ingen 69 Brief an e inen Schüler 72 A u f den Spuren N a p o l e o n s (Konzertreise) 75 D a s Vibrato auf der Gitarre 77

- Sechs Saiten - 79 Konzertreise nach U S A 81 Ein Gespräch mit Heitor V i l l a -Lobos 92 W a s machen Sie in Ihrer Freizeit , verehrter Herr Professor? 94 „A Walk with L o v e and Death" 97 Gitarre und ein Gläschen W e i n 99

Auf d e m Pod ium 101 B e g e g n u n g e n mit Emi l io Pujol 107 Betrachtungen zur Interpretation 110 Soll der Gitarrist Klavier spielen? 114 Konzerttournee in der U d S S R ( 1 9 3 5 ) 116 Einige Tips für die Pf lege der Gitarre 133 Besuch vor Sonnenuntergang 137 Oft wird der Musiker als „Virtuose" bezeichnet 139 Japan mal vier (Konzertre isen) 143

- Dank an die Gitarre - 163 Ostermatinee auf Burg Klamm in Tirol 164

Aus meiner Sicht (1987) 166 Gitarre als Kuriosität 175 45 Jahre Lehrtätigkeit an der Mus ikhochschu le W i e n 176 E l o g i o de la Guitarra 182 Ausze i chnungen und Ehrungen 183 Personenregis ter 184