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Glaube als Fürwahrhalten bestimmter Sätze bzw. Dogmen

• Gängige Form im Christentum• Gilt noch heute in streng katholischen und

evangelischen Kreisen• Katechismen leisten dem Vorschub

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Glaube mehr als Fürwahrhalten

• Eine christliche Lehre, Wahrheit und Offenbarung gibt es nicht mehr

• Als Zweifler sind wir angefochten durch den Glauben

• Als Glaubende sind wir angefochten durch die Zweifel

• Glaube und Zweifel stehen gleich berechtigt nebeneinander

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Glaube als Mut zum Leben

• Trotzdem Ja zum Leben sagen• Das Leben gründen auf eine letzte tiefe

Gewissheit, dass es als Ganzes Sinn macht

• Nicht Hochmut, noch Übermut, eher Demut ( = Mut zum Dienst)

• Glaube = ein Akt der ganzen Existenz• Kein Glauben an … oder Glauben dass • Glauben im Lebensvollzug

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Glaube an das Leben

• Geht allen anderen Bekenntnissen, Formeln und Konfessionen voraus

• Ist transreligiös auch unter nicht religiösen Menschen anzutreffen

• Ist die eigentümliche Zuversicht des Menschen, der vorwärts und rückwärts blickend leben muss und lebt und die er einfach hat (oder eben nicht hat)

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Glaube und Geschichte

• Der christliche Glaube steht auf den Schultern eines Judentums, das beeinflusst ist von der ägyptischen, assyrischen, babylonsichen, persischen und griechisch-römischen Geisteswelt und es integriert keltische und germanische Einflüsse (vertikale Ökumene)

• Es gab nie eine reine christliche Lehre oder eine Kirche mit einheitlichem Glauben

• Hätte Jesus wenige Jahre nach seinem Tod dem Paulus zugehört, hätte er sein Programm nicht wieder erkannt

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Trotzdem

• Der sich heute vollziehende Traditionsabbruch ist in der Geschichte des Christentums ein einmaliger

• Revolutionierung des Denkens: Dogmen sind nur noch Lehrformeln, niemandem mehr einsichtig, verständlich bzw. als Lebenshilfe zugänglich zu machen

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Zwei Quellen der christlichen Glaubensgeschichte

Jüdische Tradition• Glauben in der Bibel selber = existentielles

Vertrauen, nicht Fürwahrhalten, personale Getragenheit, Zuversicht trotz allem

• = pisteuein

Griechische Tradition• Legt die Inhalte und Kultformen genau

fest, Begrifflichkeiten• Anerkennt bestimmte Staatsgottheiten

und Kulte (Sokrates!)• = nomizein (nomos = Ordnung, Gesetz

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Dogmatik

• Wurzelt nicht im hebräischen, sondern im griechischen Denken

• Ist dem Judentum bis heute fremd• Pistis ist nicht mehr primär Vertrauen,

sondern Erkenntnis und Wissen • Gegensatz von biblisch-personalem und

griechisch-rationalem Glauben

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Kirchenväter

• Waren immer und vor allem auch Philosophen, die den Glauben denken und in einem System zusammenfassen wollten

• Ratzinger: Der christliche Glaube hat erst im Zusammengehen mit der griechischen Rationalität zu seiner wirklichen Tiefe und Reife gefunden

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Aufklärung wird Religion

• Im Christentum ist Aufklärung, d.h. der Sieg über die antiken Mythen, Religion geworden und geblieben bis zur wirklichen Aufklärung im 18. Jahrhundert

• Die Lehre der Kirche erklärte die Welt und das Leben exakt und zureichend

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Aufklärung

• … als Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit

• … Überzeugung, dass eines Tages alle Fragen der Metaphysik wissenschaftlich beantwortet werden können

• … Trennung von Physik und Metaphysik wird zurückgenommen: alles wird Physik

• Der christliche Gottesgedanke hat keinen Platz mehr

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Keine Konkurrenz zwischen Wissenschaften und Religionen

• Heutiger Standpunkt: Eine Religion, die Glaube und Vernunft nicht als Gegensatz betrachtet, muss sich vor neuen Erkenntnissen nicht fürchten; eine Wissenschaft, die frei forschen kann, muss die Religion / Kirche nicht ablehnen

• Wissenschaft und Philosophie brauchen aber keine kirchliche Führung mehr

• Die Vernunft beschäftigt sich mit dem Vorhandenen; der Glaube beschäftigt sich mit dem Grund, dem Sinn und dem Ziel des Lebens als existentiellem Vollzug, mit dem Mut und der Hoffnung trotz allem und in allem

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Wissenschaft und Glaube als gemeinsam unterwegs

Fragen d. Wissenschaft• Wie ist etwas?• Warum verhält sich etwas?• Wie entwickelt sich etwas?• Was für einen Zweck und Nutzen hat etwas?

Fragen des Glaubens • Wozu führt etwas?• Was für einen Sinn hat etwas?• Was ist zu hoffen?• Was ist zu tun?• Was ist die Tiefe und das mögliche Ziel vn etwas?• Worin gründen Mut, Vertrauen, Liebe, Hoffnung• Kann man leben ohne diese – und sterben?

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Zwei Arten des Glaubens

• Emuna = das letztlich grundlose Vertrauen in Gott, das gedeckt ist durch die Erfahrungen Einzelner und des Volkes

• Pistis = das Fürwahrhalten bestimmter Glaubenssätze und Dogmen; der vom Denken durchdrungene und in Begrifflichkeiten gefasste Glaube

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• Emuna und moderne Wissenschaft vertragen sich gut miteinander

• Pistis und Wissenschaft sind einander zu Feinbrüdern geworden

• Glaube und Wissen waren im Altertum ungeschieden

• Der Bruch beginnt in der Renaissance (Galileo Galilei) und setzt sich bis zur Aufklärung fort; seither ist er ein endgültiger.

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Galileo Galilei und Kant

• Kant: Aufklärung ist die Befreiung vom Aberglauben

• Galilei: Naturwissenschaftliche Fragen müssen naturwissenschaftlich beantwortet werden. Ein Forscher darf nicht die Erkenntnisse hintan stellen, weil die Bibel das Gegenteil dessen behauptet, was er erkannt hat. Konsequenz: Trennung von Theologie und Wissenschaft

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• Max Planck: Es gibt keinen Widerspruch zwischen Religion und Naturwissenschaft. Beide sind miteinander vereinbar, weil sie sich auf verschiedene Bereiche der Wirklichkeit beziehen.

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Widersprüche?

• Naturwissenschaft: Handelt von der objektiv materiellen Welt

• Religion handelt von der Welt des Sinns und der Werte

• Widerspruch nur da, wenn man die Bilder und Gleichnisse der Religion als naturwissenschaftliche Behauptungen interpretiert, was Unsinn ist (Planck)

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Problemanzeige

• Während die Erkenntnisse der Naturwissenschaft kommunizierbar bleiben, haben die Gleichnisse und Bilder der Religionen an Überzeugungskraft verloren. Die Sinn- und Wertefrage verliert so ihr Fundament: Wertfreie Wissenschaft!?

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Einstein

• Denkt Wissenschaft und Religion zusammen. Der „liebe Gott“ hat irgendwie mit den unabänderlichen Naturgesetzen zu tun. Es gibt eine zentrale Ordnung der Dinge. Kein personaler Gott. Zentrale Ordnung gehört zum subjektiven Erleben wie zum objektiven Erkennen.

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Ken Wilber

• Ken Wilber, amerikanischer Biochemiker und Philosoph: „Die Naturwissenschaften reduzieren die Wirklichkeit auf Flachland (Verflachung des Kosmos), für das es kein Inneres gibt. Eine Wissenschaft empirischer Erfahrung muss ergänzt werden durch eine Wissenschaft geistiger und spiritueller Erfahrung.“

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Kompromiss (Wilber)

• Wissenschaft gibt engen Empirismus zugunsten eines weiten Empirismus auf.

• Religionen verzichten auf ihre falschen mythischen Behauptungen zugunsten einer echten spirituellen Erfahrung.

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Halbfas

• Die Wahrheitsbehauptungen von wirklicher Wissenschaft und wirklicher Religion können in Korrelation bestätigt werden. Religion und Wissenschaft haben einen harten Kern: Evidenz aus Erfahrung. Der sinnlichen, der geistigen und der spirituellen.

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• Kirche hat kein Recht, sich auf eine bloss behauptete Wahrheit zu beziehen, die sich jeder Überprüfbarkeit und vernunftgeleiteter Argumentation entzieht.

• Naturwissenschaftler haben ebenso wie Theologen Kompetenz, über Dinge zu sprechen, welche die Gottesvorstellungen betreffen. Theologen sind gut beraten, mit ihnen ins Gespräch zu treten.

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5. Glaube und Wahrheit

• „Logos“ ist nicht eine höhere Stufe von „Mythos“. Es handelt sich um grundsätzlich verschiedene gleichwertige Zugänge zur Wirklichkeit.

• Bei Homer wird Mythos gebraucht für Wort und Rede, Logos diesbezüglich nur wenig verwendet.

• Mit Mythos ist ursprünglich die wahre Rede gemeint, die Rede von dem, was ist, vor allem von den göttlichen Dingen, die keines Beweises bedürfen

• Mythos – Wortwurzel unbekannt! – tradiert kollektive Erfahrung aus Vorzeiten. Er ist – als Mythos! – nicht hinterfragbar und heilig, vergleichbar der Ikone, die beansprucht, im Abbild das Urbild zu tragen.

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Kunst und Literatur

• Kunst reproduziert den Mythos nicht, sondern interpretiert ihn und befreit sich aus dessen Fessel.

• Literatur hat sich vom Mythos gelöst und interpretiert, nachdem die Inhalte und Formgesetze der Tradition verschwunden sind, Wirklichkeit höchst subjektiv.

• Kunst und Literatur produzieren Subjektivität. Der Mythos beansprucht objektive Gültigkeit.

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Mythos als Ursprungsbegründung

• Archaische Tradition sieht die Welt aus einem göttlichen Blickwinkel. Diesen Blickwinkel Gottes logisch zu begründen, ist Sakrileg und Tabu.

• Die Ursprungsmythen der Völker garantieren eine absolute Ordnung und schaffen so Sicherheit. Sokrates wird zum Tode verurteilt, weil er diese Ordnung hinterfragt und bezweifelt.

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Logos

• Logos – Wortwurzel: legein: bedenken, berechnen …. – bedeutet „Wort“ von der subjektiven Weite des Denkenden und Sprechenden her: das Bedachte und Berechnete.

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Vom Ende der Metaphysik

• Bis zur Aufklärung war der Anspruch der Metaphysik unbestritten

• Metaphysik suchte „hinter der Natur“ nach Gesetzlichkeiten, Strukturen, Prinzipien, dem Verhältnis von Geist und Materie, nach Gott, nach einer unveränderlichen Ordnung jenseits der sich verändernden Wirklichkeit

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Neuzeitliche Denker

• Seit der Aufklärung wird die Möglichkeit solcher Bemühung kritisiert

• Kant bezweifelt die Möglichkeit, unabhängig von unseren Sichtweisen einen Zugang zu den Objekten zu finden und diese „an sich“ zu erfassen

• Nietzsche wendet sich gegen die „grandiose Dummheit“ der platonischen Vorstellung einer Welt der Ideen, die sich hinter unserer materiellen Wirklichkeit verbirgt

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Sprache als Apriori

• Moderne Philosophie sagt, dass menschliche Erfahrung durch ein sprachliche Apriori strukturiert ist

• Nietzsche: Es gibt keine Tatsachen, sondern nur Interpretationen. Die Welt hat keinen Sinn hinter sich, sondern unzählige Sinne. Unsere Bedürfnisse sind es, die die Welt auslegen.

• Heisenberg: In der Naturwissenschaft ist der Gegenstand der Forschung nicht mehr die Natur an sich, sondern die der menschlichen Fragestellung ausgesetzte Natur, und insofern begegnet auch hier der Mensch wieder sich selbst.

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Relativismus, Skeptizismus, Agnostizismus

• Santiago Zabala: Wo immer eine Autorität behauptet, die objektive Wahrheit zu besitzen, hat die Philosophie die Pflicht, dagegen zu setzen und zu zeigen, dass Wahrheit nie Objektivität ist, sondern immer nur interpersonaler Dialog, der im Teilen einer Sprache wirksam ist.

• Folge: Agnostizismus, Relativismus, Skeptizismus – auch gegen kirchlichen Wahrheitsanspruch

• Das Ideal einer absoluten Gewissheit und einer rational eingerichteten Welt ist für viele moderne Denker nur noch ein Mythos aus früheren Phasen der Menschheitsgeschichte.

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Joseph Ratzinger gegen Relativismus

• Die Botschaft der Liebe des Evangeliums dagegen überlebt alle entlarvten Mythen aus Kosmologie und Theologie. Wahrheit ist eher Nächstenliebe als Objektivität.

• Postulat des „schwachen Denkens“ und des „reduzierten Glaubens“ (Vattimo)

• Ratzinger wehrt sich gegen eine solche „Diktatur des Relativismus“ und sieht die Kirche als Hort der festen Wahrheiten, die Halt geben.

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Der Wahrheit, die uns frei macht

• Die Wahrheit, die uns frei machen wird (Joh. 8,32) ist nicht die objektive Wahrheit der Theologie und der Naturwissenschaften. Die biblische Offenbarung erklärt nicht, wie Gott und die Welt beschaffen sind. Die einzige Wahrheit, die uns die Bibel enthüllt, ist der praktische Aufruf zur Liebe und zur Nächstenliebe (S. Zabala).

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Kirche verteidigt Metaphysik

• Die vermeintlich objektiven Sicherheiten der Kirche werden heute kaum mehr von jemandem geteilt: Gottesbeweise, Offenbarungs- und Wunderverständnis, Naturbegriff inkl. daraus folgende Schlüsse wie Ausschluss der Frauen vom Priestertum oder Beurteilung von Homosexualität u.a.

• Folge: Kirche marginalisiert sich selbst; vernünftige Menschen gehen in die innere Emigration

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Halbfas

• Solange die Kirche im Netz ihrer natürlichen Metaphysik und der Buchstäblichkeit gefangen ist, wird es ihr nie gelingen, in geschwisterlichen Dialog mit anderen anderen Konfessionen zu treten

• Die Kirche muss lernen, dass die befreiende Kraft der christlichen Botschaft gerade in der Auflösung des Objektivitätsanspruchs liegt und nicht am Festhalten daran

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Geschichte

• Geschichte wird nur dadurch möglich, dass dem Subjektiven, Bedingtem und Vergänglichem Raum gegeben wird und die Idee von einer objektiv vollendeten (guten!) göttlichen Schöpfung und einem göttlichen Heilsplan, nachdem die Geschichte abläuft, preisgegeben wird

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Geschichte – nicht Offenbarung

• So sehr von Seiten der Kirche das Ende des metaphysischen Wahrheitsverständnisses bis zum heutigen Tag apologetisch verschleiert wird, so sehr läuft doch alles auf die Erkenntnis zu, dass die christliche Botschaft in Wirklichkeit ein histroisches Ereignis ist, nicht die Offenbarung einer ewigen Wahrheit durch Christus

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Glaube und Offenbarung

• Alte Definition von Offenbarung: Offenbarung = die Mitteilung bisher unbekannter Wahrheiten oder Tatsachen, die auf Grund göttlicher Autorität im Akt verstandesmässiger Zustimmung angenommen werden ( = Glaube)

• Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren (Die verbum)

• Aber: Das neuzeitliche Denken kennt keine Fakta, die zwar in der Geschichte stehen, aber nicht aus der Geschichte stammen (Troeltsch)

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Drewermann

• Bestimmt den Offenbarungsbegriff neu, ohne in einen Supranaturalismus zu verfallen: „Gott hat keine andere Sprache an uns als die Sprache der Seele in uns.“ Ohne Verständnis für die Sprache der Seele in symbolischen Bildern wird die einzige „Sprache“ verfehlt, in der Göttliches sich uns wirksam mitteilen kann.

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• Die bleibende Wahrheit von religiösen Texten ist nicht historisch, sondern psychologisch zu verstehen

• Der Mythos stellt keine Verfälschung der Historie dar, sondern bleibt das einzige Verfahren, um die überzeitliche Bedeutung eines historischen Geschehens für alle kommenden Geschlechter mitzuteilen

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Paul Tillich als Drewermanns Lehrer

• Symbol ist die einzige Sprache, in der sich Religion direkt ausdrücken kann

• „Offenbarung“ verbindet sich immer mit Interpretation, mit der biblische Autoren ihr Material kontextuell mehrfach wendeten und gegen den Strich auslegten

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Glaube und Zweifel

• Wer als Christ/In heute zu fragen beginnt, muss gegen die Tradition seiner/ihrer Kirche antreten

• Wer sich identifiziert, bleibt fraglos im volkskirchlichen Kreisverkehr

• Wer fragt, bricht aus der Volkskirche aus• Adorno: „Im Judentum und im Christentum

herrscht Dorfluft.“

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Katechismus

• Bis weit ins 20. Jahrhundert dominiert das Frage-Antwort-Schema des Katechismus

• Doch: Die Antworten des Katechismus passen nicht zu unseren Fragen, und dessen Fragen gehen an unseren Problemen vorbei

• Die Kirche müsste selber wieder Fragen haben statt Antworten zu liefern

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Max Horkheimer

• Den Religionen liegt der Gedanke an ein ewiges Wesen, seine Allmacht und Gerechtigkeit zu Grunde. Die Wirklichkeit falsifiziert diese Annahme aber auf Schritt und Tritt. Wenn die Kirche die Allmacht und Güte Gottes nicht als Dogma lehrt, sondern als die Sehnsucht derer, die zur Trauer fähig sind, würde sie eher gehört. Den Zweifel in die Religion einzubeziehen, ist ein Moment ihrer Rettung.

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Ratzinger würdigt 1968 den Zweifel als Bruder des Glaubens

• Niemand kann dem anderen Gott und sein Reich auf den Tisch legen – auch sich selbst nicht. Der Glaubende und der Ungläubige haben, jeder auf seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil, wenn sie sich nicht vor sich selbst verbergen und vor der Wahrheit ihres Seins.

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Zerrformen

• Der strenge Dogmatismus kennt keine Zweifel

• Der rigorose Skeptizismus erhebt den Zweifel zum Prinzip

• Der christliche Fundamentalismus grenzt seine eigene Welt ab in Distanz zur herrschenden Kultur, verbunden mit dem Gefühl der Überlegenheit

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Fundamentalisten

• Wissen sich zweifelsfrei im rechten Glauben, indem sie den Mythos in Logos verwandeln und damit zwei unterschiedliche, aber einander ergänzenden Quellen der Erkenntnis vermengen

• Glaubenswahrheit wird auf eine äussere Faktenebene transportiert, die Bibel wörtlich ausgelegt. Folge: Intoleranz.

• Der Zugang zu den tieferen Regionen der eigenen Seele, zu denen Symbole, Mythen und mystische Kontemplation führen, wird total verstellt

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Glaube und Toleranz

• Je ausgeprägter in einer Religion die Orthodoxie ist, desto eher neigt sie zu Intoleranz.

• Mystische Religionen neigen eher zur Toleranz.• Echnaton begründet in Ägypten den

Monotheismus (1364 v. Chr.), was zu „Finsternis am Tage“ führt. Sein Nachfolger Tutenchamun bricht das intolerante monotheistische Experiment ab. Die Erinnerung an Echnaton wird ausgelöscht und erwacht erst wieder im 19. Jahrh. u.Z.

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Monotheismus spät in Israel

• Der Echnaton Israels heisst Joschja (639- 609)

• Er leitet mit seiner „Reform“ die endgültige Trennung zwischen Israel und Kanaan ein und begründet eine redidkalen und intoleranten Monotheismus (Jahewe-Allein-Bewegung)

• Nach dem Exil nehmen Männer wie Esra und Nehemia seinen Faden auf

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Abgrenzung

• Judentum grenzt sich künftig durch soziale Gettoisierung und innere Disziplin ab

• Christentum grenzt sich in der antiken Welt ab durch feststehende Lehre, die mit Paulus beginnt und in den Konzilien durch Dogmen Gestallt gewinnt und erstarrt

• Fehlbare werden zurechtgewiesen und verurteilt (z.B. 1. Kor. 5,11-13 u.a.)

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Affekte steigern sich

• Je später die Texte entstehen, desto affektgeladener sind sie

• „Ist eine Religion erst einmal orthodox geworden, ist ihre Zeit der innerlichkeit vorbei. Die Quelle ist versiegt. Die Gläubigen leben ausschliesslich aus zweiter Hand und steinigen nun ihrerseits die Propheten.“ (William James)

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Mit Anerkennung wächst Intoleranz gegenüber Aussenstehenden

• Ab 315 „religio licita“ (erlaubte Religion)• Verbot von Mischehen mit Juden• Antisemitismus nimmt sprunghaft zu

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Interne Ab- und Ausgrenzungen bis heute

• Rahner: die Radikalität eines ganz bestimmten Wahrheitsethos findet sich nur im Christentum, und so gibt es „Häresie“ eigentlich auch nur hier

• Als Gegenbewegung zur wachsenden Intoleranz in der offiziellen Kirche ist auf dem Boden des Christentums, vor allem bei Theologen der Mystik, eine grosse Toleranz erwachsen

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Jakob Böhme

• Das Wort ist allenthalben Menschn geworden, verstehe: Es ist allenthalben eröffnet in der göttlichen Wesenheit, darinnen unsere ewige Menschheit stehet.

• Wenn ich gleich kein ander Buch hätte als nur mein Buch, das ich selber bin, so habe ich Bücher genug, liegt doch die ganze Bibel in mir.

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Peter Sloterdijk

• „Ebenbürtigkeit mit den Hochzeiten der Offenbarung.“

• Die Urerfahrung der Ersten Wirklichkeit wird nicht im Studium der Schrift, sondern in der eigenen Tiefe gewonnen.

• Meister Eckhart: Alle dinge schmecken nach Gott.

• In der Mystik werden dogmatische Formeln als Gleichnisse, Bilder erkannt, die überschritten werden müssen.

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