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MORTIMER J. ADLER CHARLES VAN DOREN WIE MAN EIN BUCH LIEST Zweitausendeins »Gutes Lesen ist eine komplexe Tätigkeit, ebenso wie gutes Schreiben. Lesen besteht aus zahlreichen unerlässlichen Einzel- schritten, und je mehr ein Leser davon beherrscht, desto besser kann er lesen.«

M. J. Adler & C. van Doren: Wie man ein Buch liest

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"Wie man ein Buch liest" ist seit Erscheinen ein Dauerbestseller. Es gilt immer noch als die beste und erfolgreichste Anleitung zur Verbesserung und Vertiefung der Lesetechniken.

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Bestell-Nr. 200 529www.Zweitausendeins.de

»Wie man ein Buch liest« ist seit seinem Erscheinen ein Dauer-bestseller. Es gilt noch immer als die beste und erfolgreichste Anleitung zur Verbesserung und Vertiefung der Lesetechniken.

»Das Buch zeigt ganz konkret, wie man die eigene Lektüre perfektioniert und wie groß der Gewinn an Genuss und Erkennt-nis dadurch wird – Das Schlüsselwerk zur Kultur.« The New Yorker

»Am besten, man hängt sich die am Ende stehende Liste der Regeln über den Schreibtisch, um das Lesen neu zu lernen.« Die Zeit

Mortimer J. Adler (1902 – 2001) war amerikanischer Philosoph und Schriftsteller und Herausgeber der 54-bändigen Reihe »Great Books of the Western World« sowie Planungsdirektor der Encyclopaedia Britannica.Charles Lincoln Van Doren (*1926) arbeitete als einer der Herausgeber der Encyclopaedia Britannica und ist Autor zahl-reicher Sachbücher.

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Zweitausendeins

»Gutes Lesen ist eine komplexe Tätigkeit, ebenso wie gutes Schreiben. Lesen besteht aus zahlreichen unerlässlichen Einzel-schritten, und je mehr ein Leser davon beherrscht, desto besser kann er lesen.«

ZWE.038_Lesen_RZ.indd 1 24.11.2010 12:13:54 Uhr

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1. Auflage als Zweitausendeins-Taschenbuch Nr. 29, November 2010.

Die Originalausgabe ist 1972 unter dem Titel »How to Read a Book« bei Simon & Schuster, NewYork, erschienen.Copyright © 1940 by Mortimer J.Adler. Renewed 1967 by Mortimer J.Adler.© 1972 by Mortimer J. Adler and Charles Van Doren. All rights reserved.

Alle Rechte für die deutsche Ausgabe und ÜbersetzungCopyright © 2007 by Zweitausendeins, Postfach, D-60381 Frankfurt am Main. www.Zweitausendeins.de

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen und Kommunikationsmitteln, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Internet, auch einzelner Textteile.Der gewerbliche Weiterverkauf und der gewerbliche Verleih von Büchern, CDs, CD-ROMs, DVDs, Videos, Downloads, Streamings oder anderen Sachen aus der Zweitausendeins-Produktion bedürfen in jedem Fall der schriftlichenGenehmigung durch die Geschäftsleitung vom Zweitausendeins Versand in Frankfurt am Main.

Lektorat und Register der deutschen Ausgabe: Ekkehard Kunze (Büro Z, Wiesbaden). Korrektorat: Ursula Maria Ott, Frankfurt.Umschlaggestaltung: Heine/Lenz/Zizka Projekte GmbH, Frankfurt.Satz und Herstellung: Dieter Kohler GmbH, Wallerstein.Druck und Einband: CPI – Clausen & Bosse, Leck.Printed in Germany.

Dieses Buch gibt es nur bei Zweitausendeins im Versand, Postfach, D-60381, Frankfurt am Main, Telefon 069-4208000, Fax 069-415003. Internet www.Zweitausendeins.de, E-Mail [email protected]. Oder in den Zweitausendeins-Läden 2 x in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main,Freiburg, 2 x in Hamburg, Hannover, Köln, Leipzig, Mannheim, München, Nürnberg und Stuttgart.Oder in den Zweitausendeins-Shops in Augsburg, Bonn, Braunschweig, Bremen,Darmstadt, Dresden, Erfurt, Göttingen, Karlsruhe, Kiel, Koblenz, Ludwigsburg,Marburg, Münster, Neustadt an der Weinstraße, Oldenburg und Ulm.

In der Schweiz über buch 2000, Postfach 89, CH-8910 Affoltern a.A.

ISBN 978-3-86150-929-5

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil I Lesen ist nicht gleich Lesen

1 Die Kunst des Lesens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17Aktives Lesen 18 · Ziele des Lesens: Information und Er-kenntnis 20 · Lesen als Lernen: Lernen durch Unterweisungund Lernen durch Entdecken 25 · Anwesende und nicht an-wesende Lehrer 28

2 Lesestufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

3 Erste Lesestufe: Elementares Lesen . . . . . . . . . . 35Stadien des Lesenlernens 37 · Stadien und Stufen 39 · HöhereLesestufen und höhere Bildung 41 · Das demokratische Bil-dungsideal 43

4 Zweite Lesestufe: Prüfendes Lesen . . . . . . . . . . 44Prüfendes Lesen I: Systematisches Querlesen 45 · PrüfendesLesen II: Flüchtiges Lesen 49 · Lesetempo 51 · Anhalten undZurückwandern 53 · Textverständnis 54 · Zusammenfassung56

5 Der anspruchsvolle Leser . . . . . . . . . . . . . . . . 58Aktives Lesen: Vier grundsätzliche Fragen an den Text 59 · Wieman sich den Lesestoff aneignet 61 · Notizen machen 64 ·Richtiges Lesen 66 · Viele Regeln – eine Gewohnheit 67

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Teil II Dritte Lesestufe: Analytisches Lesen

6 Die Klassifizierung von Büchern . . . . . . . . . . . 73Zuordnung 74 · Titel 76 · Praktische und theoretische Bücher80 · Arten theoretischer Bücher 85

7 Das Buch durchleuchten . . . . . . . . . . . . . . . . 91Plots und Pläne 94 · Der Überblick 100 · Wechselbeziehungzwischen Lesen und Schreiben 107 · Die Intention des Autors109 · Erstes Stadium des analytischen Lesens 111

8 Einigung über die Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . 113Wort und Begriff 113 · Schlüsselwörter 118 · Fachtermini 120 ·Bedeutungen 124

9 Das Anliegen des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . 132Sätze contra Behauptungen 135 · Kernsätze 139 · Behauptun-gen 143 · Argumente 147 · Lösungssuche 154 · Zweites Stadiumdes analytischen Lesens 155

10 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156Die Tugend der Gelehrigkeit 158 · Rhetorik 160 · ÜberlegtesUrteilen 161 · Sachlichkeit 165 · Standpunkte 166

11 Übereinstimmung oder Ablehnung . . . . . . . . . 172Vorurteil und Urteil 174 · Fundierte Arbeit 177 · Vollständig-keit 180 · Drittes Stadium des analytischen Lesens 183

12 Lesehilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187Erfahrungen 188 · Andere Bücher 190 · Kommentare und Zusammenfassungen 191 · Nachschlagewerke 193 · Wörter-bücher 195 · Enzyklopädien 199

Teil III Gemischte Lesestoffe

13 Praktische Bücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209Zwei Typen praktischer Bücher 210 · Die Überredung 215 ·Zustimmung zu einem praktischen Buch 217

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INHALT

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14 Belletristik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221Wie man Belletristik nicht lesen sollte 222 · Allgemeine Re-geln 226

15 Erzählende Literatur, Drama und Lyrik . . . . . . . 234Roman und Erzählung 236 · Epos 242 · Drama 243 · Tragödie245 · Lyrik 247

16 Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . 254Historische Fakten 255 · Geschichtstheorien 257 · Das Uni-versale in der Geschichte 259 · Fragen an ein geschichtlichesWerk 261 · Biografie und Autobiografie 264 · Bücher zumZeitgeschehen 269 · Digests 272

17 Naturwissenschaft und Mathematik . . . . . . . . 274Unternehmen Wissenschaft 275 · Wissenschaftsklassiker 277 ·Mathematik 279 · Mathematik in wissenschaftlichen Büchern284 · Populärwissenschaftliche Bücher 286

18 Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289Fragen der Philosophen 290 · Die moderne Philosophie unddie abendländische Tradition 295 · Philosophische Methode296 · Philosophische Stile 299 · Ratschläge für den Leser 305 ·Der eigene Standpunkt 310 · Eine Anmerkung zur Theologie311 · »Kanonische« Bücher 312

19 Sozialwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 315Die scheinbare Einfachheit sozialwissenschaftlicher Bücher316 · Schwierigkeiten bei der Lektüre sozialwissenschaftlicherTexte 317 · Sozialwissenschaftliche Literatur 321

Teil IV Vierte Lesestufe: Syntopisches Lesen

20 Letztendliche Ziele des Lesens . . . . . . . . . . . . 325Prüfendes Lesen 329 · Die fünf Schritte des syntopischenLesens 331 · Objektivität 339 · Übungsbeispiel: Der Fort-schrittsgedanke 342 · Prinzipien des syntopischen Lesens 345 · Zusammenfassung 348

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INHALT

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21 Lesen und geistiges Wachsen . . . . . . . . . . . . 350Das Buch als Herausforderung 351 · Die besten Bücher 354 ·Leben und geistiges Wachsen 356

Anhang

Die besten Bücher im Überblick . . . . . . . . . . . . . 361Die Bücherliste 363 · Die 100 besten Bücher 372 · Die 100besten Sachbücher 374

Die Leseregeln auf einen Blick . . . . . . . . . . . . . . 378

Personen- und Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . 381

INHALT

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Vorwort

Die Erstausgabe von How to Read a Book erschien Anfang 1940.Zu meiner Überraschung und, wie ich gestehe, zu meinerFreude wurde es sogleich ein Bestseller und hielt sich über einJahr an der Spitze der amerikanischen Bestsellerliste. Seither ist es in zahlreichen Hardcover- und Taschenbuchauflagen er-schienen und wurde ins Französische, Schwedische, Deutsche1,Spanische und Italienische übersetzt. Warum also das Buch fürden heutigen Leser umschreiben?

Die Gründe sind in den gesellschaftlichen Veränderungender vergangenen Jahrzehnte und auch im Thema selbst zusuchen. Heute absolvieren sehr viel mehr junge Menschen einUniversitätsstudium und das Leseinteresse hat sich von derschönen Literatur mehr auf Sachbücher verlagert. Pädagogensind sich darin einig, dass die wichtigste Aufgabe im Bildungs-sektor darin besteht, unseren Kindern das Lesen beizubringen,in der grundsätzlichen Bedeutung des Wortes.

Es gibt aber auch Dinge, die gelten nach wie vor. Eine dieser Regeln ist, dass man nicht jeden Text mit dem höchst-möglichen Tempo lesen darf, wenn man alle Leseziele errei-chen will, sondern dass man verschiedene Textsorten mit derihnen jeweils angemessenen Geschwindigkeit lesen sollte. Wieschon Blaise Pascal sagte, verstehen wir gar nichts, wenn wir

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1 Mortimer J. Adler: Wie man ein Buch liest. Mit einem Verzeichnis der 100großen Bücher des Abendlandes, übersetzt und bearbeitet von Fritz Güttinger,Zürich 1941

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zu schnell oder zu langsam lesen.2 Da das Schnelllesen Modegeworden ist, setzt sich die Neuausgabe meines Buchs auch mitdiesem Problem auseinander und bietet als Lösung ein Lesenmit unterschiedlichen Geschwindigkeiten an, immer mit demZiel, besser zu lesen.

Ebenfalls nicht geändert hat sich leider, dass man Kindernnoch immer nur elementare Lesekenntnisse beibringt. EinGroßteil unserer Bildungsbemühungen und unseres Geldesfließt in den Leseunterricht der ersten sechs Schuljahre. Da-nach wird den Schülern wenig formaler Unterricht darin er-teilt, im Lesen ein höheres und höchstes Niveau zu erreichen.Das war schon Anfang der 1940er Jahre so, als Professor JamesMursell vom Columbia University Teachers College seinenArtikel für Atlantic Monthly mit »Das Versagen der Schule« be-titelte. Was er damals in den zwei Abschnitten darlegte, die ichhier zitieren möchte, ist unverändert gültig:

Lernen Schüler in der Schule ihre Muttersprache richtiglesen? Ja und nein. Bis zur fünften und sechsten Klasse wirddas Lesen im Großen und Ganzen effizient beigebracht undgut gelernt. Bis zu diesem Niveau ist ein ständiger, allgemei-ner Lernzuwachs feststellbar, aber danach wird die Leistungs-kurve flacher und stagniert schließlich. Das heißt nicht, dassdie Schüler im sechsten Schuljahr ihre natürlichen Grenzenerreicht haben, denn es hat sich immer wieder gezeigt, dassJugendliche und auch Erwachsene bei gezieltem Unterrichtihre Leseleistung enorm steigern können. Es heißt auch nicht,dass die meisten Sechstklässler so gut lesen können, dass sieallen zukünftigen Leseanforderungen gewachsen sind. VieleSchüler schneiden in der Highschool schlecht ab, weil sienicht in der Lage sind, einer Seite mit Gedrucktem zu ent-nehmen, was sie aussagt. Sie könnten ihre Leseleistung stei-gern, sie müssten ihre Leseleistung steigern, aber sie tun esnicht. Der Durchschnittsabgänger einer Highschool hat sehr

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VORWORT

2 »Quand on lit trop vite ou trop doucement, on n’entend rien«, in: BlaisePascal: Pensées, Nr. 69 nach der Zählung von Brunschvicg

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viel gelesen, und wenn er aufs College geht, wird er noch viel mehr lesen, aber er ist aller Wahrscheinlichkeit nach einschlechter, inkompetenter Leser. Er kann einen einfachenRoman lesen und seinen Spaß daran haben. Soll er jedocheine knappe Einführung, eine bündig formulierte Argumen-tation oder einen Passus kritisch lesen, weiß er nicht, wie ervorgehen soll. Es hat sich gezeigt, dass der durchschnittlicheHighschool-Schüler erstaunlich unbeholfen ist, wenn er denzentralen Gedanken eines Abschnitts formulieren oder Aus-sagen darüber machen soll, wie nachdrücklich ein Argumentvorgebracht wird oder welcher Rang diesem Gedanken ineiner Erörterung zukommt. Im Grunde bleibt er auch aufdem College noch lange ein Sechstklässler, was seine Lese-fertigkeit anlangt.

Wenn es also damals einen Bedarf an meinem Buch gab, wiedie Rezeption der Erstausgabe durchaus belegt, so ist er heutesicher noch gewachsen. Doch das war nicht der einzige undauch nicht der hauptsächliche Grund für mich, mein Buch zu überarbeiten. Neue Erkenntnisse in der Frage des Lesen-lernens, eine umfassendere und besser geordnete Analyse dervielschichtigen Lesekunst, die flexible Anwendung der Grund-regeln auf verschiedene Arten des Lesens und verschiedeneLesestoffe, die Formulierung neuer Leseregeln und das Kon-zept eines Kanons von Büchern, die zur Lektüre zu empfehlensind, alle diese Punkte wurden in der Erstausgabe nicht ange-messen oder gar nicht berücksichtigt und mussten schriftlichniedergelegt werden, was eine gründliche Umarbeitung erfor-derlich machte.

Noch im gleichen Jahr, nachdem How to Read a Book ver-öffentlicht wurde, erschien eine Parodie mit dem Titel How toRead Two Books3 und Professor I. A. Richards gab 1943 seineseriöse Abhandlung How to Read a Page heraus. Ich erwähnediese Publikationen, weil beide Probleme, das scherzhaft wie

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VORWORT

3 Erasmus G. Addlepate, How to Read Two Books, New York 1940

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das ernsthaft behandelte Problem, im vorliegenden Buch aus-führlich erörtert werden, insbesondere die Frage, wie man eineAnzahl themenverwandter Bücher zueinander in Beziehungsetzt und sie so liest, dass einander Ergänzendes und Wider-sprechendes richtig verstanden werden.

In der vorliegenden Neuausgabe hat sich im Vergleich zurErstausgabe vieles geändert: Von den vier Teilen entspricht nurTeil II, in dem die Regeln des analytischen oder zergliederndenLesens dargelegt werden, dem Vorgänger, und auch dieser Teilwurde weitgehend umgestaltet. Die wesentliche Veränderungin Aufbau und Inhalt des neuen Buchs ist die Einführung vonvier aufeinander aufbauenden Lesestufen in Teil I, nämlichAnfängerlesen, prüfendes Lesen, analytisches Lesen, verglei-chendes Lesen. Die umfangreichste Ergänzung ist die Darstel-lung der Ansätze für das Lesen unterschiedlicher Texte in TeilIII, als da wären aufs Praktische gerichtete sowie theoretischeBücher, Schöngeistiges (Gedichte, Epen, Romane und Schau-spiele), Geschichte, Naturwissenschaft, Mathematik, Gesell-schaftswissenschaften, Philosophie sowie Nachschlagewerke,zeitgenössischer Journalismus und auch Werbung. Teil IV, indem erörtert wird, wie man mehrere Bücher zum gleichenThema liest, ist neu hinzugekommen.

Bei der Aktualisierung und Umgestaltung dieses Buchs hatCharles Van Doren mitgewirkt, außerordentlicher Professoram Institute of Philosophical Research. Wir haben schon an-dere Bücher gemeinsam verfasst, unter anderem die 20bändi-gen Annals of America, die 1969 bei Encyclopaedia Britannicaerschienen ist. Für die Zusammenarbeit an diesem Buch fielvielleicht stärker ins Gewicht, dass Charles Van Doren und icheinige Jahre in Chicago, San Francisco und Aspen bei derLeitung von Diskussionsveranstaltungen über wichtige Bücherund bei der Moderation von Seminaren eng zusammengear-beitet haben. Dabei gewannen wir viele neue Erkenntnisse, diein das vorliegende Werk eingeflossen sind.

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VORWORT

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Ich habe Charles Van Doren für seinen Beitrag und wir beideunserem Freund Arthur L. H. Rubin für seine konstruktiveKritik, Unterweisung und Hilfe zu danken. Er regte viele wich-tige Veränderungen an, die dieses Buch von seinem Vorläuferunterscheiden und, wie wir hoffen, zu einem noch besserenund nützlicheren Buch machen.

Mortimer J. Adler

VORWORT

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Teil ILesen ist nicht gleich

lesen

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1 Die Kunst des Lesens

Dieses Buch wendet sich an Leser und solche, die es werdenwollen. Es ist vor allem für Leser gedacht, die Bücher lesen unddie das, was sie lesen, besser verstehen wollen.

Unter »Leser« verstehen wir Menschen, die es noch gewohntsind – wie früher die meisten Gebildeten –, ihre Informationenund ihr Weltbild größtenteils über das geschriebene Wort zubeziehen. Natürlich nicht ausschließlich, denn auch in denTagen vor Radio und Fernsehen erwarb man sich einen ge-wissen Prozentsatz seiner Erkenntnisse auch durch das, wasman hörte und beobachtete.Wissbegierigen, intelligenten Leu-ten reichte Letzteres nicht aus, sie wussten, dass sie zusätzlichlesen mussten, und sie lasen in der Tat.

Heute glauben viele, dass in unserer Zeit Lesen nicht mehrso notwendig sei wie früher. Radio und Fernsehen haben vieleder Funktionen der Printmedien und grafischen Künste über-nommen. Zugegebenermaßen erfüllt das Fernsehen einigeäußerst gut; die Wirkung der visuellen Kommunikation vonNachrichtenereignissen ist enorm. Dass wir Radio hören kön-nen, während wir beispielsweise Auto fahren, ist eine großeZeitersparnis. Aber dass die modernen Kommunikations-medien etwas für unser Verständnis von der Welt geleistethaben, möchte ich eher bezweifeln.

Vielleicht wissen wir mehr über die Welt als einst und inso-weit, als Verstehen Wissen voraussetzt, ist das eine gute Sache.Jedenfalls ist Wissen für das Verständnis gar nicht so wichtig,

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wie gemeinhin angenommen wird. Wir müssen nicht allesüber eine Sache wissen, um sie zu verstehen. Zu viele Faktenkönnen genauso hinderlich sein wie zu wenige. In gewissemSinn werden wir heutigen Menschen von Fakten über-schwemmt und darunter leidet unser Verstehen.

Ein Grund dafür ist, dass die Medien das Denken scheinbarunnötig machen. Unsere führenden Köpfe verwenden viel Zeitund Energie auf das Verpacken intellektueller Positionen undMeinungen. Dem Fernsehzuschauer, Radiohörer und Zeit-schriftenleser wird von raffinierter Rhetorik bis zu sorgfältigausgewählten Daten und Statistiken alles geboten, damit ersich so einfach und wenig aufwendig wie möglich ein eigenesBild machen kann. Doch die Verpackung ist häufig so effektiv,dass der Zuschauer, Hörer oder Leser sich überhaupt keineigenes Bild mehr macht. Er legt nur eine Meinung im Kopf ab, in etwa so, wie man eine Kassette einlegt. Bei passenderGelegenheit drückt er dann auf einen Knopf und spielt dieseMeinung ab. Ohne selbst nachdenken zu müssen, hat er eineannehmbare Leistung vollbracht.

Aktives Lesen

Wie wir bereits andeuteten, geht es auf diesen Seiten haupt-sächlich um das bessere Lesen von Büchern. Doch die Lese-regeln können ebenso auf Zeitungen, Zeitschriften, kritischeAbhandlungen, Artikel, Traktate und auch auf Werbung an-gewendet werden.

Da Lesen eine Tätigkeit ist, muss es bis zu einem gewissenGrad aktiv sein. Gänzlich passives Lesen wäre eine Unmöglich-keit. Wir können nicht mit unbeweglichen Augen oder schla-fend lesen. Die Gegenüberstellung von aktivem und passivemLesen soll erstens den Blick auf die Tatsache lenken, dass manmehr oder weniger aktiv lesen kann. Zweitens wollen wir da-rauf hinweisen, dass der Grad an Aktivität beim Lesen die

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Lesequalität bestimmt. Der Leser, der sich beim Lesen mehrbemüht, sowohl sich als auch dem Text mehr abverlangt, ist derbessere Leser.

Obwohl es also streng genommen kein gänzlich passivesLesen gibt, sind viele der Meinung, Hören und Lesen seien ver-glichen mit Sprechen und Schreiben, die ja offensichtlich aktiveTätigkeiten sind, völlig passiv. Schreiber und Sprecher müsstensich anstrengen, Leser und Hörer hingegen brauchten nichts zu tun. Lesen und Hören verstehe man als den Empfang vonKommunikation, die von jemandem aktiv mitgeteilt oder ge-sendet wird. Der Denkfehler liegt in der Annahme, man emp-fange eine Mitteilung ohne eigenes Zutun wie beispielsweiseeinen Faustschlag oder eine Erbschaft oder ein Urteil vor Ge-richt. Die Rolle des Lesers oder Hörers entspricht aber eher dereines Ballfängers.

Zum Beispiel beim Baseball ist das Fangen des Balls ebensoeine Tätigkeit wie das Schlagen. Der Pitcher ist der Sender, ersetzt den Ball in Bewegung. Der Catcher ist der Empfänger,denn er stoppt den Flug des Balls. Beide sind, wenngleichunterschiedlich, aktiv. Wenn etwas passiv ist, dann der Ball. Erist die träge Masse, die in Bewegung versetzt oder angehaltenwird. Die Analogie zum Schreiben und Lesen ist fast perfekt.Was geschrieben ist und was gelesen wird, das sind die passivenObjekte der beiden Handlungen, die den Prozess beginnenund beenden.

Die Analogie lässt sich noch einen Schritt weiterführen. DieKunst, einen Ball zu fangen, ist die Kunst, einen auf egal welcheWeise geworfenen Ball zu fangen, mag er besonders schnellsein oder eine Kurve beschreiben. Ähnlich geht es beim Lesendarum, jede Art von Kommunikation so gut wie möglich auf-zunehmen.

Pitcher und Catcher sind nur dann erfolgreich, wenn sieperfekt zusammenwirken. Die Beziehung zwischen Autor undLeser ist ähnlich. Dem Schriftsteller geht es darum, sein Ziel zu

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1 DIE KUNST DES LESENS

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erreichen – selbst wenn ihm das nicht immer gelingt. Erfolg-reiche Kommunikation findet immer dann statt, wenn das, wasder Leser aufnimmt, das ist, was der Schriftsteller ihm über-mitteln wollte. Autor und Leser geht es um dasselbe Ziel.

Zugegeben, wie bei den Pitchern im Baseball gibt es auchbei den Autoren solche und solche. Einige beherrschen ihreKunst ausgezeichnet, sie wissen genau, was sie vermitteln wol-len, und sie vermitteln es präzise. Andere sind darin wenigergeschickt.

In einer Hinsicht hinkt unser Vergleich allerdings doch.Einen Ball fängt man entweder vollständig oder gar nicht. Eingeschriebener Text ist hingegen komplex. Der Leser kann ihnmehr oder weniger vollständig empfangen, vielleicht nur zueinem Bruchteil oder zu einem großen Teil, vielleicht erfasst er alles, was der Verfasser mit dem Text insgesamt vermittelnwollte. Wie viel der Leser erfasst, hängt gewöhnlich von derMühe ab, die er sich gibt, und von seiner Übung, mit der er dieeinzelnen zum Textverständnis erforderlichen Schritte aus-führt.

Was braucht es also, um aktiv zu lesen? Zu dieser Frage wer-den wir noch häufig zurückkehren. Für den Augenblick solluns die Antwort genügen, dass bei gleichem Text derjenige bes-ser liest, der erstens aktiver liest und sich zweitens geschickterbei den dazu erforderlichen Einzelschritten anstellt. Beidesaber hängt eng zusammen. Gutes Lesen ist eine komplexeTätigkeit, ebenso wie gutes Schreiben. Lesen besteht aus zahl-reichen unerlässlichen Einzelschritten und je mehr ein Leserdavon beherrscht, desto besser kann er lesen.

Ziele des Lesens: Information und Erkenntnis

Gehen wir einmal von Folgendem aus: Sie haben gesundenMenschenverstand und ein Buch, das Sie lesen möchten. DasBuch besteht aus Schriftsprache, die von jemandem niederge-

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schrieben wurde, um etwas mitzuteilen. Ihr Leseerfolg hängtdavon ab, wie viel von dem, was der Autor mitteilen wollte, bei Ihnen ankommt.

Das ist natürlich viel zu einfach dargestellt, denn zwischenunserem Verstand und dem Buch gibt es nicht nur eine, son-dern zwei mögliche Beziehungen, die durch zwei verschiedeneErfahrungen anschaulich werden, die man beim Lesen einesBuchs machen kann.

Beim Lesen verstehen Sie entweder alles, was der Autor zusagen hat, oder Sie verstehen nicht alles. Wenn Sie alles ver-stehen, verfügen Sie nach dem Lesen vielleicht über einen Zuwachs an Informationen, aber einen Zuwachs an Verständ-nis oder Erkenntnis haben Sie nicht zu verzeichnen. War Ihnendas Buch von Anfang bis Ende vollkommen verständlich, dann liegen Sie verstandesmäßig nicht unter dem Niveau desAutors.

Gehen wir von der zweiten Möglichkeit aus. Sie verstehennicht alles, was Sie in dem Buch lesen. Lassen Sie uns ferner an-nehmen – und bei den wenigsten Menschen ist das der Fall –,dass Sie zumindest so viel verstehen, um zu erkennen, dass Sienicht alles verstehen. Sie wissen, dass das Buch mehr zu sagenhat und daher etwas enthält, das Ihnen zu einem Lernzuwachsverhelfen könnte.

Was tun Sie nun? Sie gehen mit dem Buch zu jemandem,von dem Sie annehmen, dass er besser lesen kann als Sie, undbitten ihn, Ihnen das zu erklären, was Ihnen Probleme bereitet(Sie können alternativ auch einen Kommentar oder ein Lehr-buch zu Rate ziehen). Oder Sie sagen sich: Das, was Sie verste-hen, reiche völlig aus, und was Sie nicht verstehen, brauchenSie auch nicht zu wissen. In beiden Fällen genügen Sie jeden-falls nicht den Anforderungen, die richtiges Lesen an den Leserstellt.

Sie werden der Sache nur auf eine einzige Art gerecht: Sie müssen sich ohne Hilfe durch andere oder sonstige Hilfs-

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mittel mit dem Buch auseinandersetzen. Mit keinem anderenWerkzeug als Ihrem Verstand müssen Sie an den vor Ihnenliegenden Schriftzeichen arbeiten, bis Sie sich allmählich voneinem Zustand, in dem Sie wenig verstehen, zu einem, in dem Sie mehr verstehen, gesteigert haben.

Was wir unter der Kunst des Lesens verstehen, ist, einfachgesagt, Folgendes: Es ist der geistige Prozess, durch den der Ver-stand ohne fremde Hilfe am Text arbeitet, bis sich die Verständ-nislücken schließen. (Es gibt eine Situation, in der es durchausangemessen ist, beim Lesen fremde Hilfe in Anspruch zu neh-men; zu dieser Ausnahme kommen wir im Kapitel »Philoso-phie«.) Anfangs versteht man als Leser oft recht wenig, späterdann aber mehr.

Und dieser geistige Prozess des sich Ab- und Hocharbeitenskommt einem vor, als würde man sich wie Münchhausen ameigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Es ist in der Tat eine ge-waltige Kraftanstrengung. Es liegt auf der Hand, dass diese Artdes Lesens neben der erhöhten Aktivität auch viel Übung inden einzelnen Schritten verlangt. Klar ist auch, dass diese Artdes Lesens auf jene Bücher anzuwenden ist, die gewöhnlich alsschwierig und deshalb als nur für den geübten Leser geeignetgelten.

Die Unterscheidung zwischen einem Lesen mit dem Ziel derInformation und einem Lesen mit dem Ziel neuer Erkennt-nisse ist von großer Bedeutung. Die Grenzen zwischen beidenZielen sind jedoch fließend. Soweit es also überhaupt möglichist, die beiden Leseziele klar voneinander zu scheiden, gebrau-chen wir den Begriff »lesen« in zwei verschiedenen Bedeutun-gen.

In seiner ersten Bedeutung gebrauchen wir das Wort»lesen«, wenn wir sagen, dass wir Zeitungen, Zeitschriften undsonstige Nachrichtenmagazine lesen, die wir normalerweiseauf Anhieb und vollständig verstehen. Nach solcher Lektüresind wir zwar besser informiert, doch für unser Verständnis

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kann sie nichts leisten, lag dieses doch niemals unter demNiveau unseres Lesestoffs. Wäre das nicht so, hätten wir uns beider Zeitungslektüre überfordert gefühlt, und das hätte uns –vorausgesetzt natürlich, wir wären aufmerksam und ehrlichgewesen – erschreckt und verwirrt.

In seiner zweiten Bedeutung gebrauchen wir den Begriff»lesen«, wenn man etwas zu lesen versucht, was man nicht rechtversteht. In diesem Fall ist der Text dem Leser sozusagen »über-legen«, anfangs zumindest. Der Autor teilt dem Leser etwas mit,an dem dessen Einsicht wachsen kann. Es muss eine Kommu-nikation zwischen Ungleichen geben, denn sonst könnte manweder mündlich noch schriftlich voneinander lernen. UnterLernen verstehen wir hier einen Verständniszuwachs.

Es ist nicht weiter schwierig, sich beim Lesen neue Infor-mationen anzueignen, wenn die neuen Fakten von derselbenArt sind wie die, mit denen man bereits vertraut ist. Wer be-reits einige Tatsachen der amerikanischen Geschichte kenntund sie in einer bestimmten Hinsicht versteht, kann sich durchLesen in der ersten Bedeutung des Wortes ohne weiteres nochmehr Fakten aneignen und sie auf dieselbe Weise verstehen.Gesetzt aber den Fall, man liest ein Geschichtswerk, das nichtnur weitere Fakten an die Hand geben will, sondern schon be-kannte Fakten in einem neuen, anderen Licht zeigen will, undgesetzt den Fall, dass sich hier die Möglichkeit zu einem tiefe-ren Geschichtsverständnis bietet, so liest der Leser in der zwei-ten Bedeutung des Wortes, wenn es ihm gelingt, sich diesestiefere Verständnis anzueignen. Durch das Lesen gelangt er zueiner Vertiefung seines Verständnisses – was natürlich indirekterst durch den Autor möglich wurde, der dem Leser etwas bei-zubringen hatte.

Unter welchen Voraussetzungen kann diese Art des Lesens –lesen, um besser zu verstehen – erfolgen? Erstens: Wenn eineanfängliche Ungleichheit im Erkenntnisstand vorliegt. Der Autormuss dem Leser »überlegen« sein und sein Buch muss die

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Einsichten vermitteln, über die er verfügt und die seinem Leserfehlen. Zweitens: Der Leser muss in der Lage sein, diese Un-gleichheit bis zu einem gewissen Grad zu überwinden. Das wirdihm wohl nicht immer gelingen, aber in jedem Fall wird er sichdem Autor annähern. Je mehr ihm das gelingt, umso klarer dieKommunikation.

Kurz gesagt: Lernen kann man nur von denen, denen mangeistig unterlegen ist. Man muss wissen, wer das ist und wieman von diesen Menschen lernt, dann beherrscht man dieKunst des Lesens in dem Sinn, der das Anliegen dieses Buchsist. Jeder, der leidlich lesen kann, hat wahrscheinlich gewisseFähigkeiten, auch auf diese Weise lesen zu lernen. Aber wirkönnen ausnahmslos alle besser lesen lernen und davon profi-tieren, indem wir unser Können auf lohnenderen Lesestoff an-wenden.

Wir wollen hier nicht den Eindruck erwecken, als sei es soeinfach, zwischen reinen Informationen und den Einsichten zuunterscheiden, die zu mehr Erkenntnis führen. Uns geht es hierdarum, das Lesen zur Vertiefung von Erkenntnis nutzbar zumachen. Beherrscht man erst einmal diese Kunst, ist es glück-licherweise so, dass sich das Lesen mit informativer Zielsetzungvon selbst erledigt.

Es gibt natürlich noch ein anderes Leseziel als Informations-gewinn und Erkenntniszuwachs und das ist die Unterhaltung.Als anspruchsloseste Leseform verlangt sie den geringstenEinsatz. Es gibt auch keine Regeln dafür. Jeder, der lesen kann,weiß, wie man zur eigenen Unterhaltung liest.

Man kann jedes Buch, das man um seiner Informationenwillen liest oder weil man etwas besser verstehen will, auch zurUnterhaltung lesen. (Umgekehrt gilt das nicht: Es ist nichtwahr, dass man jedes Buch, das man zur Unterhaltung liest,auch zur Vertiefung seines Verständnisses lesen kann.) Wirwollen dem Leser auch keineswegs nahe legen, nie ein gutesBuch nur zur Unterhaltung zu lesen. Uns geht es um Folgen-

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des: Wenn Sie ein gutes Buch lesen wollen, weil Sie sich davonein besseres Verständnis der Dinge versprechen, glauben wir,Ihnen helfen zu können. In diesem Buch geht es um die Kunstdes Lesens für Menschen, denen es um mehr Erkenntnis undVerständnis geht.

Lesen als Lernen: Lernen durch Unterweisung und Lernen durch Entdecken

Mehr Information erlangen, heißt lernen. Verstehen, was manzuvor nicht verstanden hat, heißt ebenfalls lernen. Aber zwi-schen diesen beiden Arten des Lernens besteht ein gewaltigerUnterschied.

Informiert zu sein heißt, einfach zu wissen, dass etwas ist,wie es ist. Etwas zu verstehen bedeutet, zusätzlich zu wissen,warum etwas so ist, wie es ist, wie die einzelnen Fakten mit-einander verknüpft sind, in welcher Hinsicht sich die Dingegleichen oder unterscheiden usw.

Die Unterscheidung ist uns geläufig, wenn es darum geht,ob wir uns an etwas erinnern oder ob wir es erklären können.Erinnern wir uns an eine Aussage, die ein Autor gemacht hat,haben wir etwas von ihm gelernt. Hat der Autor etwas Wahresgesagt, haben wir sogar etwas Besonderes gelernt. Aber sei das,was wir gelernt haben, nun ein Fakt über das Buch oder überdie Welt, aufgenommen haben wir dennoch nur Informatio-nen, sofern wir nur unser Gedächtnis geübt haben. Unser Ver-ständnis oder unsere Erkenntnis haben wir nicht vertieft, dazukommt es nur, wenn man nicht nur weiß, was ein Autor sagt,sondern auch weiß, was er damit sagen will und warum er essagt.

Man sollte sich natürlich sowohl das merken, was ein Autorsagt, als auch das, was er damit meint. Information ist eineGrundvoraussetzung für Erkenntnis. Es kommt jedoch daraufan, dass man nicht beim Informationserwerb stehen bleibt.

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Montaigne spricht von der Ignoranz vor dem Erlernen desABC und der Ignoranz, die danach kommt. Mit der ersteren istdie Unwissenheit derjenigen gemeint, die das ABC nicht be-herrschen und deshalb nicht lesen können. Mit der zweiten diederjenigen, die zwar viele Bücher lesen, sie aber nicht richtiglesen.4 Es sind, wie Alexander Pope sie zu Recht nennt, mitBüchern vollgestopfte Dummköpfe.5 Es hat schon immer desLesens und Schreibens kundige Ignoranten gegeben, die zuviel, aber nicht richtig lesen.

Um nicht dem Irrtum zu erliegen, viel zu lesen bedeutebelesen zu sein, müssen wir uns mit gewissen Unterschiedenbeim Lernen befassen. Sie sind für das Lesen und sein Ver-hältnis zu Bildung im Allgemeinen von großer Bedeutung.

Man unterscheidet in der Pädagogik zwischen Lernen durchUnterricht und Lernen durch Entdecken. Es handelt sich umUnterricht, wenn ein Mensch einem anderen auf mündlichemoder schriftlichem Weg etwas beibringt. Wir können jedochauch ohne Unterweisung Wissen erwerben. Wenn das nichtder Fall wäre und jeder Lehrer das, was er unterrichtet, erstdurch Unterricht hätte lernen müssen, hätten die Menschennie etwas hinzulernen können. Daher muss man auch durchEntdecken lernen können, durch Forschen, Ermitteln oderNachdenken, das heißt ohne Unterweisung.

Das Entdecken verhält sich zum Unterrichtetwerden wie dasLernen ohne Lehrer zum Lernen durch einen Lehrer. In beidenFällen erfolgt das Lernen im Lernenden. Es wäre ein Fehler,anzunehmen, dass Lernen durch Entdecken aktives Lernen seiund Lernen durch Unterricht passives Lernen. Inaktives Ler-nen gibt es so wenig wie inaktives Lesen.

Der Unterschied wird klarer, wenn man Unterricht als »un-terstütztes Lernen« bezeichnet. Ohne hier auf spezielle Lern-theorien eingehen zu wollen, liegt es auf der Hand, dass das

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4 Montaigne, Essays, Kapitel VIV5 Pope, Alexander, An Essay on Criticism

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Unterrichten eine ganz besondere Kunst ist, die nur mit zweianderen Künsten, der Landwirtschaft und der Medizin, ein be-sonders wichtiges Charakteristikum gemeinsam hat. Ein Arztkann noch so viel für seinen Patienten tun, letztendlich ist esder Patient selbst, der gesund werden muss. Der Bauer magnoch so viel für seine Pflanzen oder Tiere tun, letztendlichmüssen sie selbst wachsen und reifen. Auch der Lehrer kanndem Schüler auf vielerlei Weise behilflich sein, aber lernenmuss der Schüler selbst. Sein Wissen muss sich vermehren,wenn ein Lernprozess stattfinden soll.

Lernen durch Unterricht und Lernen durch Entdecken oder,wie wir sagen, unterstütztes und nicht unterstütztes Entdeckenunterscheiden sich in erster Linie durch die Materialien, andenen gelernt wird. Wird der Lernende durch einen Lehrerunterwiesen – lehrerunterstütztes Entdecken –, handelt derLernende aufgrund dessen, was man ihm mitteilt. Er handeltaufgrund von schriftlichen oder mündlichen Mitteilungen,durch Lesen oder Zuhören. Wenn wir sonstige Unterschei-dungsmerkmale einmal ausklammern, kann man sagen, dassLesen und Hören nur eine Kunst sind, nämlich die Kunst desGelehrigseins. Wird ohne Lehrerhilfe gelernt, erfolgt das Ler-nen nicht durch Mitteilungen, sondern an der Natur oder Welt.Die Regeln dieses Lernens bilden die Kunst des nicht unter-stützten Entdeckens. Wenn wir den Begriff »lesen« im weites-ten Sinne gebrauchen, können wir sagen: Das nicht unter-stützte Entdecken ist die Kunst, die Natur oder die Welt zulesen; während die unterstützte Entdeckung die Kunst ist,Bücher zu lesen oder – um das Hören in unsere Betrachtungeinzuschließen – aus mündlichem Vortrag zu lernen.

Und wie steht es mit dem Denken? Wenn wir unter »den-ken« den Einsatz unseres Verstands verstehen, um Wissen oderErkenntnisse zu erlangen, und wenn Lernen durch Entdeckenund Lernen durch Unterricht dafür die einzigen Methodensind, müssen wir bei beidem denken. Wir müssen beim Lesen

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und Hören denken, so wie wir auch denken müssen, wenn wirforschen. Natürlich denken wir jeweils anders, der Unterschiedist so groß wie der zwischen den beiden Lernmethoden.

Man ordnet das Denken gemeinhin mehr dem Forschenund nicht unterstützten Entdecken zu als dem unterstütztenEntdecken, weil man der Meinung ist, Lesen und Hören mach-ten vergleichsweise wenig Mühe. Es trifft wahrscheinlich sogarzu, dass man weniger denkt, wenn man etwas bloß zur Infor-mation oder Unterhaltung liest. Doch für die aktivere Formdes Lesens, bei der man sich um Verständnis bemüht, trifft dasnicht zu. Niemand, der etwas verstehen will, würde sagen, dassman dabei nicht zu denken braucht.

Um zu lernen, muss man nicht nur denken, man muss auchseine Sinne und seine Fantasie gebrauchen. Man muss beob-achten, sich erinnern und mit seiner Vorstellungskraft ergän-zen, was man nicht beobachten kann. Auch hier lässt sich wie-der die Tendenz beobachten, dass bei der nicht unterstütztenEntdeckung die Rolle der Sinne und Fantasie überbetont wirdund ihre Rolle beim Lernen durch unterstützte Entdeckung,also beim Lesen und Hören, ignoriert oder nicht genügendgewürdigt wird. So geht man beispielsweise davon aus, dass einDichter beim Verfassen eines Gedichts seine Fantasie einsetzenmuss, dass man aber beim Lesen auf seine Fantasie verzichtenkönne. Die Kunst des Lesens umfasst, kurz gesagt, dieselbenFertigkeiten, die auch bei der Entdeckung ohne fremde Hilfeim Spiel sind: eine gute Beobachtungsgabe, ein gutes Gedächt-nis, eine ausgeprägte Fantasie und natürlich einen analytischgeschulten Verstand. Der Grund dafür ist, dass auch das Lesenin obigem Sinn Entdeckung ist, wenngleich mit Hilfe.

Anwesende und nicht anwesende Lehrer

Bislang haben wir so getan, als könne man Lesen und Hörenbehandeln wie den Unterricht durch Lehrer. Bis zu einem

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gewissen Grad trifft das zu. Beides sind Unterrichtsmethodenund für beide muss man in der Kunst des Unterrichtetwerdensgeübt sein. Das Hören einer Vorlesungsreihe entspricht in vie-lerlei Hinsicht der Lektüre eines Buchs, und es besteht keinUnterschied zwischen dem Lesen und dem Hören eines Ge-dichts. Es gibt jedoch einen guten Grund, das Lesen dem Hö-ren übergeordnet zu betrachten. Hören ist Lernen von einemanwesenden, einem leibhaftigen Lehrer, wohingegen Lesen soviel wie Lernen von einem nicht anwesenden Lehrer ist.

Stellt man einem leibhaftigen Lehrer eine Frage, wird erwahrscheinlich eine Antwort geben. Wird man aus seiner Ant-wort nicht schlau, kann man sich das Nachdenken sparen undihn fragen, was er meint. Stellt man hingegen einem Buch eineFrage, muss man sie sich selbst beantworten. In dieser Hinsichtist ein Buch wie die Natur oder die Welt. Man erhält nur inso-fern eine Antwort auf eine Frage, als man selbst die Arbeit desDenkens und Analysierens leistet.

Das soll natürlich nicht heißen, dass man der Denkarbeitenthoben ist, wenn ein Lehrer die Antwort gibt. Das ist nurdann der Fall, wenn die Frage einer Tatsache galt. Will manhingegen eine Erklärung, muss man sie verstehen. Ist derLehrer anwesend, bringt er den Lernenden auf den richtigenWeg, was nicht der Fall ist, wenn man nur die Worte desLehrers in einem Buch vorliegen hat.

In der Schule liest man schwierige Bücher mit der Hilfe undunter Anleitung des Lehrers. Doch für diejenigen, die nicht zurSchule gehen, und auch für jene, die zwar zur Schule gehen,jedoch Bücher lesen, die nicht zur schulischen Pflichtlektüregehören, gilt, dass ihre Weiterbildung hauptsächlich von Bü-chern abhängt, und die müssen sie allein und ohne die Hilfeeines Lehrers lesen können. Wenn wir also nach der Schuleweiterhin lernen und Neues entdecken wollen, dann müssenwir wissen, wie wir am besten aus Büchern lernen.

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