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| Reproduktionsmedizin 4 · 2003 202 Der Maldescensus testis (auch Krypt- orchismus genannt) ist die häufigste geni- tale Fehlbildung und die häufigste endo- krine Störung bei männlichen Neugebo- renen. Erstmals wurde der Maldeszensus des Hodens 1786 von Hunter beschrieben und 1878 von Annandale erfolgreich the- rapiert [12]. Keyes formulierte als erster, dass ein nicht orthotop liegender Hoden im Skrotum fixiert werden müsse [18]. Im angloamerikanischen Sprachraum wird als Kryptorchismus die Fehllage eines oder beider Hoden außerhalb des Skro- tums bezeichnet, in der deutschen No- menklatur (Tabelle 1) ist der Krypt- orchismus jedoch als intraabdominell ge- legener Hoden definiert; er kommt in Deutschland bei 400–2000 Knaben pro Jahr vor [23]. Der Maldescensus testis tritt bei bis zu 2,7% aller männlichen Neugeborenen auf [12]. Chilvers et al. konnten bei den 1977 in England und Wales geborenen Knaben eine „Erhöhung der Maldeszensusrate“ von 1,4% im Jahr 1952 auf 2,9% im Jahr 1977 nachweisen. Als ursächlich hierfür Urologie H. Sperling · I. Körner · G. Lümmen · H. Rübben Urologische Klinik, Universitätsklinikum Essen Maldescensus testis und Autotransplantation des Hodens wird die fehlende Reife der Neugebore- nen (Frühgeborene) und die gestiegene Bereitschaft der Operateure zur frühzei- tigen operativen Korrektur aufgrund bes- serer Anästhesie- und Operationstechni- ken angesehen [4]. 70% der zum Zeitpunkt der Geburt dystopen Hoden deszendieren innerhalb der ersten 3 Lebensmonate spontan in eine orthotope Lage [26]. Der Anteil der nicht- palpablen, d. h. abdominell gelegenen bzw. nicht angelegten Hoden variiert in der Li- teratur zwischen 4 und 20%. Übereinstim- mung besteht darin, dass 20% der nicht- palpablen Hoden nicht angelegt sind [1, 21, 23]. Eine einseitige Hodenagenesie tritt bei einem von 25 Patienten mit nichtpal- pablem Hoden und eine Anorchie bei 1/20.000 Patienten auf [19]. Die Therapie des Maldeszensus sollte spätestens bis zum Ende des 2. Lebensjah- res abgeschlossen sein, um eine optimale Fertilitätsprävention zu erreichen [12, 26]. Zur Verfügung stehen die hormonelle und die operative Therapie. Hormonelle Therapie Die hormonellen Therapie beinhaltet zwei Regime: Die Therapie mit hCG (humanes Choriongonadotropin) ist mit einer Er- folgsrate von 14–50% nicht die Therapie der ersten Wahl, wird jedoch bei tast- baren aber nicht deszendierten Hoden angewandt. Die Therapie mit Gonadorelin- Releasing-Hormon bzw. LH-RH (LH-Releasing-Hormon)-Analogon ist bei palpablem aber nicht deszendiertem Hoden die Therapie der ersten Wahl. Die Anwendung erfolgt über 4 Wochen als Nasenspray mit einer Erfolgsrate zwischen 6–70%. LH-RH-Analoga in- duzieren den testikulären Deszensus und eine Zunahme der Keimzellen, eine Reifung des Nebenhodens und den Verschluss des Processus vaginalis. Nach fehlgeschlagener medikamentöser Therapie muss eine operative Korrektur erfolgen [26, 29]. Operative Korrektur Ektope oder kryptorche Hoden sollten primär operiert werden. Bei inguinal oder hochskrotal positioniertem Hoden ist bei ausreichend langem Gefäßstiel in 95% der operativen Korrekturen die inguinale Or- chidolyse und nachfolgende Pexie in ei- ner subkutanen Tasche des Skrotums aus- reichend [21]. Die Erfolgsrate gemessen an der orthotopen Fixation und fehlen- der Atrophie, ist abhängig von der initia- len Position des dystopen Hodens.Sie va- riiert zwischen 92% bei distal des äußeren Leistenringes gelegenen Hodens bis zu 74% bei initial abdominell positionierten Hoden [29]. Bei intraabdominell gelegenen Hoden (Abb. 1) stehen zwei unterschiedliche Operationsverfahren zur Verfügung: die Operation nach Fowler-Stephens und die Autotransplantation des Hodens. Reproduktionsmedizin 2003 · 19:202–206 DOI 10.1007/s00444-003-0410-6 Online publiziert: 2. August 2003 © Springer-Verlag 2003 Tabelle 1 Deutsche Nomenklatur der Hoden- fehllage und Position des Hodens Kryptorchismus Intraabdominell Maldeszensus Inguinal Hochskrotal Ektoper Hoden Femoral Perineal

Maldescensus testis und Autotransplantation des Hodens

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Der Maldescensus testis (auch Krypt-orchismus genannt) ist die häufigste geni-tale Fehlbildung und die häufigste endo-krine Störung bei männlichen Neugebo-renen.Erstmals wurde der Maldeszensusdes Hodens 1786 von Hunter beschriebenund 1878 von Annandale erfolgreich the-rapiert [12]. Keyes formulierte als erster,dass ein nicht orthotop liegender Hodenim Skrotum fixiert werden müsse [18].Imangloamerikanischen Sprachraum wirdals Kryptorchismus die Fehllage einesoder beider Hoden außerhalb des Skro-tums bezeichnet, in der deutschen No-menklatur (⊡ Tabelle 1) ist der Krypt-orchismus jedoch als intraabdominell ge-legener Hoden definiert; er kommt inDeutschland bei 400–2000 Knaben proJahr vor [23].

Der Maldescensus testis tritt bei bis zu2,7% aller männlichen Neugeborenen auf[12].Chilvers et al.konnten bei den 1977 inEngland und Wales geborenen Knabeneine „Erhöhung der Maldeszensusrate“von 1,4% im Jahr 1952 auf 2,9% im Jahr1977 nachweisen. Als ursächlich hierfür

Urologie

H. Sperling · I. Körner · G. Lümmen · H. RübbenUrologische Klinik, Universitätsklinikum Essen

Maldescensus testis und Autotransplantation des Hodens

wird die fehlende Reife der Neugebore-nen (Frühgeborene) und die gestiegeneBereitschaft der Operateure zur frühzei-tigen operativen Korrektur aufgrund bes-serer Anästhesie- und Operationstechni-ken angesehen [4].

70% der zum Zeitpunkt der Geburtdystopen Hoden deszendieren innerhalbder ersten 3 Lebensmonate spontan in eineorthotope Lage [26].Der Anteil der nicht-palpablen,d.h.abdominell gelegenen bzw.nicht angelegten Hoden variiert in der Li-teratur zwischen 4 und 20%.Übereinstim-mung besteht darin, dass 20% der nicht-palpablen Hoden nicht angelegt sind [1,21,23].Eine einseitige Hodenagenesie trittbei einem von 25 Patienten mit nichtpal-pablem Hoden und eine Anorchie bei1/20.000 Patienten auf [19].

Die Therapie des Maldeszensus solltespätestens bis zum Ende des 2.Lebensjah-res abgeschlossen sein,um eine optimaleFertilitätsprävention zu erreichen [12,26].Zur Verfügung stehen die hormonelle unddie operative Therapie.

Hormonelle Therapie

Die hormonellen Therapie beinhaltet zweiRegime:

▂ Die Therapie mit hCG (humanesChoriongonadotropin) ist mit einer Er-folgsrate von 14–50% nicht die Therapieder ersten Wahl, wird jedoch bei tast-baren aber nicht deszendierten Hodenangewandt.▂ Die Therapie mit Gonadorelin-Releasing-Hormon bzw. LH-RH

(LH-Releasing-Hormon)-Analogon istbei palpablem aber nicht deszendiertemHoden die Therapie der ersten Wahl.Die Anwendung erfolgt über 4 Wochenals Nasenspray mit einer Erfolgsratezwischen 6–70%. LH-RH-Analoga in-duzieren den testikulären Deszensusund eine Zunahme der Keimzellen, eine Reifung des Nebenhodens und den Verschluss des Processus vaginalis.

Nach fehlgeschlagener medikamentöserTherapie muss eine operative Korrekturerfolgen [26, 29].

Operative Korrektur

Ektope oder kryptorche Hoden solltenprimär operiert werden.Bei inguinal oderhochskrotal positioniertem Hoden ist beiausreichend langem Gefäßstiel in 95% deroperativen Korrekturen die inguinale Or-chidolyse und nachfolgende Pexie in ei-ner subkutanen Tasche des Skrotums aus-reichend [21]. Die Erfolgsrate gemessenan der orthotopen Fixation und fehlen-der Atrophie, ist abhängig von der initia-len Position des dystopen Hodens.Sie va-riiert zwischen 92% bei distal des äußerenLeistenringes gelegenen Hodens bis zu74% bei initial abdominell positioniertenHoden [29].

Bei intraabdominell gelegenen Hoden(⊡ Abb. 1) stehen zwei unterschiedlicheOperationsverfahren zur Verfügung:

▂ die Operation nach Fowler-Stephensund

▂ die Autotransplantation des Hodens.

Reproduktionsmedizin 2003 · 19:202–206DOI 10.1007/s00444-003-0410-6Online publiziert: 2. August 2003© Springer-Verlag 2003

Tabelle 1

Deutsche Nomenklatur der Hoden-fehllage und Position des Hodens

Kryptorchismus Intraabdominell

Maldeszensus Inguinal

Hochskrotal

Ektoper Hoden Femoral

Perineal

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Operation nach Fowler-Stephens

Der Begriff „Operation nach Fowler-Ste-phens“ steht für die Operation desBauchhodens durch intraperitoneale Un-terbindung der testikulären Gefäße mitKollateralisierung durch die Anastomo-sen zu den Gefäßen des Ductus deferens(⊡ Abb. 2). Unterschieden werden das 1-und 2-zeitige Vorgehen nach Fowler-Ste-phens, wobei das einzeitige Verfahrenheute kaum noch Anwendung findet, daes keine Zeit zur Ausbildung zusätzlicherKollateralkreisläufe lässt. Außerdem istdie Unterbindung der Testikulargefäßeunter Verwendung laparoskopischerOperationstechniken im Rahmen der „la-paroskopischen Hodensuche“ eine ein-

fach durchführbare Erweiterung des di-agnostischen zum operativen Eingriff.Dieses Vorgehen ist ebenso, wie das al-ternative Verfahren nach Koff und Sethinur durchführbar, wenn der Ductus de-ferens und die Vasa testicularia eineSchleife bilden, durch die eine Initiali-sierung der Kollateralisierung gewähr-leistet ist [15].

Das Verfahren nach Koff und Sethi(⊡ Abb. 3) unterscheidet sich vom ur-sprünglichen Fowler-Stephens-Manöverdurch die Höhe der Ligatur der Testikular-gefäße. Die Vorteile von „Koff und Sethi“sind die größere Länge des Ductus de-ferens sowie der begleitenden Gefäße undder geringere Zug auf die Testikularge-fäße [15].

Die Erfolgschancen werden entspre-chend einer Metaanalyse von Docimo fürdie 2-zeitige Operation nach Fowler-Ste-phens mit 77% angegeben [8]. Koff undSethi berichten für ihre Modifikation derOperation Erfolgsraten nach einem Jahrvon 93%.

Autotransplantation

Die Autotransplantation des Hodens wur-de erstmals 1976 von Silber und Kelly alsmikrochirurgische Operationstechnik be-schrieben [25].Wie in der ⊡ Abb. 4 darge-stellt,erfolgt die Anastomose der testikulä-ren Gefäße,nach ihrer Präparation bis zurAorta und V.cava respektive V.renalis,mitden inferioren epigastrischen Gefäßen.

Abb. 1 ▲ Intraoperativer Befund eines Bauchhodens

Abb. 2 ▲„Long loop vas“ als Grundlage derUnterbindung der A. testikularis (Fowler undStephens [10])

Abb. 3 � Ligatur der A. testikularis:„hohe“ Ligatur nach Fowler-Stephens, tiefe“Ligatur nach Koff und Sethi

Abb. 4 � Autotransplantation des Hodensmittels Anastomose zwischen Vasa epi-gastrica und Vasa testicularia. (Mod. nach [10])

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Zusammenfassung · Abstract

Reproduktionsmedizin 2003 · 19:202–206DOI 10.1007/s00444-003-0410-6© Springer-Verlag 2003

H. Sperling · I. Körner · G. LümmenH. Rübben

Maldescensus testis und Autotransplantation des Hodens

ZusammenfassungDie Therapie des Maldescensus testis kann medi-kamentös und operativ erfolgen. In der Bundes-republik ist bei 400–2000 Knaben pro Jahr eineoperative Therapie des Bauchhodens, der ausge-prägtesten Form der Fehllage, notwendig.Ope-rativ stehen die mikrochirurgische Autotrans-plantation und das Fowler-Stephens-Manöver zurVerfügung.Beide Verfahren gehen mit Ischämieund Reperfusion einher, so dass diese Mechanis-men und deren mögliche Prävention (Präkon-ditionierung) im Mittelpunkt experimenteller Un-tersuchungen stehen und in Zukunft möglicher-weise eine Einschätzung der Effektivität der Ver-fahren ermöglichen werden.

SchlüsselwörterKryptorchismus · Testikuläre Autotransplantation · Präkonditionierung

Cryptorchidism and testicular autotransplantation

AbstractThe treatment of cryptorchidism is medical andoperative. In Germany, 400–2,000 boys per yearsuffer from intra-abdominal testis.Testicular autotransplantation or the Fowler-Stephens maneuver can be performed.Both are associatedwith ischemia and reperfusion.The prevention oftheir resultant phenomena, i.e.due precondi-tioning, is at the center of experimental work.Thismight provide a chance to find the best treat-ment for cryptorchidism.

KeywordsCryptorchidism · Testicular autotransplantation ·Preconditioning

Die Erfolgsrate für die Autotransplan-tation liegt in der Metaanalyse von Doci-mo bei 84% [8]. Die Analyse der größtenAnzahl von Autotransplantationen in Eu-ropa zeigt bzgl. des Größenwachstumseine Erfolgsrate von 92% bei nicht vor-operierten und 88% bei voroperierten Ho-den [27]. Daten zur Fertilität der Knabennach Autotransplantation liegen gegen-wärtig noch nicht vor.

Aufgrund des erhöhten operativen Auf-wandes und der Notwendigkeit zur An-wendung mikrochirurgischer Technikwird in den meisten kinderurologischenZentren die laparoskopische Hodensuchebei nichtpalpablem Hoden mit der 2-zei-tigen Ligatur der Testikulargefäße (Fow-ler-Stephens-Manöver) gegenüber der Au-totransplantation bevorzugt.

Erlaubt sei deshalb ein experimentel-ler Ausblick, da die Autotransplantationeine kürzere Ischämiezeit aufweist undsomit theoretische Vorteile bietet.

Ischämie und ReperfusionIschämie und Reperfusion (I/R) treten so-wohl bei der Autotransplantation als auchbei der Operation nach Fowler-Stephensauf. In beiden Phasen, Ischämie und Re-perfusion, werden schädigende Mecha-nismen wirksam.Die durch die Unterbre-chung der Blutversorgung resultierendeIschämie führt einerseits zu einer hypo-xiebedingten Nekrose,andererseits zu ei-ner Mediatorenfreisetzung.Letztere zeigtsich in ihrem Vollbild nach Restaurationder Zirkulation (Reperfusion),was sowohllokale wie auch systemische Entzündungs-reaktionen in Gang setzt.Es kommt durchSauerstoffmangel und Reduktion ener-giereicher Nukleotide zur Dysregulationintrazellulärer Metabolite und zu Funk-tionsstörungen der Zellmembran [17].

Durch die Ischämie entsteht primärein Mangel an energetischen Substraten(ATP, Adenosintriphosphat), hieraus re-sultiert eine Störung der Elektrolyt- undVolumenregulation.Diese zeigt sich in derVeränderung des pH-Wertes und der Or-ganlaktatkonzentration [16].

Durch den Kalziumeinstrom oderdurch die Freisetzung von Radikalenkommt es zu einer Zellaktivierung [5].DieEndothelzellen synthetisieren Entzün-dungsmediatoren wie z.B.TNFα (Tumor-nekrosefaktorα) und exprimieren Adhä-

sionsmoleküle.Durch die Aktivierung die-ser Zytokin/Adhäsionskaskade kommt eszu einer Migration von Leukozyten in dasGewebe [2, 11, 14, 24].

Die Leukozyteninfiltration geht mit ei-ner gesteigerten Expression für ICAM (in-tercellular adhesion molecule) einher [13].Es lassen sich hierbei sowohl Adhäsions-moleküle ICAM und VCAM (vascular celladhesion molecule) als auch Zytokine wieTNFα, IL-6 (Interleukin-6) und IL-10 (In-terleukin-10) sowie das Hitzeschockpro-tein (HSP)-70 nachweisen [14, 28].

Während der Reperfusion lösen dieZytokine eine Leukozytenadhäsion im be-troffenen Organ aus,was zu einer Ampli-fikation der lokalen und der systemischeninflammatorischen Reaktion führt. Einebesondere Bedeutung scheint dem TNFαzuzukommen.So konnte an der Ratte ge-zeigt werden, dass es im Rahmen der Is-chämie-Reperfusion zu einer deutlichenTNFα-Freisetzung kommt,welche vor al-lem für den systemischen Reperfusions-schaden verantwortlich ist. TNFα-Anti-körper konnten im Tiermodell diese Re-perfusionsschäden kupieren [6]. DemTNFαwird auch im Endotoxinschock einezentrale Rolle zugeschrieben, zahlreicheUntersuchungen zeigen den therapeuti-schen Nutzen von TNFα-Antikörpern [9].

Endotoxin besitzt die Eigenschaft inniedrigen Dosen einen Status der Tole-ranz gegen seine eigene Toxizität zu ent-wickeln, die nicht auf einer humoralenImmunantwort im Sinne von Endoto-xinantikörpern beruht. Es handelt sichdabei um einen vorübergehenden Zu-stand der Endotoxinunempfindlichkeit(Toleranz),der mit einer reduzierten Bil-dung von proinflammatorischen Zytoki-nen wie TNFα assoziiert ist [20]. Für dieToleranzentstehung werden mehrere Me-chanismen diskutiert,die alle auf eine Re-duktion der proinflammatorischen Me-diatoren wie TNFα ausgerichtet sind.An-tiinflammatorische Zytokine wie IL-10,TGFβ (tumor growth factorβ) sowie nochgenauer zu identifizierende Serumkom-ponenten werden als Ursache in Betrachtgezogen [22].

Da sowohl die Toxizität von LPS (Li-popolysacchariden) als auch der Reper-fusionsschaden durch Mediatoren wieTNFα entscheidend geprägt wird,liegt dieAnnahme einer gemeinsamen pathophy-

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siologischen Endstrecke nahe.Von der To-leranz gegenüber Endotoxin kann daherauch protektive Wirkung gegenüber ei-nem Reperfusionsschaden erwartet wer-den. Induziert man bei Ratten eine TNF-Minderproduktion durch Vorbehandlungmit LPS,zeigt sich ein Schutz gegen hepa-tische Ischämie-Reperfusionsschäden [7].

Diese Mechanismen können aufgrundder fehlenden immunologischen Einflüs-se bei der Autotransplantation und demFowler-Stephens-Manöver nicht gleich-sinnig zur Organtransplantation betrach-tet werden,dennoch wird auch bei diesenTechniken eine Ischämie mit nachfolgen-der Reperfusion induziert,so dass der I/R-Schaden evaluiert werden kann.

Unter diesen Aspekten haben wir tier-experimentelle Untersuchungen durch-geführt, die zeigen, dass die Autotrans-plantation ein zumindest äquieffektivesVerfahren ist.Optimal wäre eine medika-mentöse Präkonditionierung,z.B.mit LPS,die sowohl bei der Autotransplantationals auch dem Fowler-Stephens-Manöverzu einer Verbesserung der Ergebnisse ge-führt hat (⊡ Abb. 5) [25].

Als Resümee ist festzuhalten, dass dieAutotransplantation des kryptorchen Ho-dens ein hocheffizientes Verfahren ist,dassjedoch mikrochirurgischer Erfahrung be-darf und deshalb außerhalb mikrochirur-gischer Zentren keine Verbreitung findet.

Hinweise für die Praxis

Die Therapie des Hodenhochstandes ist fürdie Fertilitätsprävention von besonderer Bedeutung. Eine erfolgreiche Therapie vordem 24. Lebensmonat verhindert fertilitäts-einschränkende, testikuläre Veränderungen.

Bis auf den Bauchhoden ist die Therapie standardisiert und hocheffektiv. Der intraab-dominell gelegene Hoden jedoch muss mit-tels Autotransplantation oder der Operationnach Fowler-Stephens im Skrotalfach positio-niert werden. Ischämie und Reperfusion sinddie limitierenden Faktoren des Erfolgs undmüssen in ihrer Wechselwirkung am Hodennoch weiter erforscht werden. Die Wahl desoperativen Verfahrens ist bis zur eindeutigenKlärung der unterschiedlichen Auswirkungenvon Ischämie und Reperfusion von der in-dividuellen Erfahrung des behandelnden Arztes abhängig.

Korrespondierender AutorPriv.-Doz. Dr. H. Sperling

Urologische Klinik, Universitätsklinikum Essen,Hufelandstraße 55, 45122 EssenE-Mail: [email protected]

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Abb. 5 � Tierexperimen-telle Ergebnisse von Autotransplantation undFowler-Stephens-Manövermit und ohne medikamten-töse Präkonditionierung

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123(175 x 240 mm)

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