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BESSER LEBEN ANDERS ARBEITEN DAS XING-MAGAZIN WINTER 2013/2014 4,20 Mamma Mia Wenn das eigene Kind ein Digital Native ist Die Andersmacher Willkommen in einer Welt, in der Fehler belohnt werden! Flexibles Arbeiten Sogelingt der Ausbruch aus dem Berufsalltag ~ ~ •Elisabeth Hahnke und Stefan Schabernak, Gründer von Rock Your Life l , einem Hilfsnetzwerk für Schüler

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BESSER LEBEN ANDERS ARBEITEN

DAS XING-MAGAZIN WINTER 2013/2014 4,20 €

Mamma Mia Wenn das eigene Kind ein Digital Native ist Die Andersmacher Willkommen in einer

Welt, inder Fehler belohnt werden! Flexibles Arbeiten So gelingt der Ausbruch aus dem Berufsalltag

~ ~• Elisabeth Hahnke und Stefan Schabernak, Gründer von Rock Your Life l, einem Hilfsnetzwerk für Schüler

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al'beitundh~b(HI

>KOMPLEXITÄTSFALLE

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Der In fo rm ations flu t s tandha lten :

Organisationspsychologe Peter Kruse

warnt angesichts der zunehmenden

Vernetzung vor einer "Komplexitätsfalle",

Mit den Laptops im Hintergrund führt

seine Firma Nextpractice Interviews

mit Probanden durch

Oie Vernetzung durch das Internet ist ein zentraler

Treiber für den Umbruch in der Arbeitswelt. Ein Psychologie-

professor aus Bremen will Ordnung schaffen im Chaos

des World Wide W eb .l)e te .' K.'lIse über den richtigen

Umgang mit dem Netz, kulturelle Tunneleffekte bei

Volkswagen - und die wenig komplexe Arbeit von Beppo,

dem Straßenkehrer. INTERVIEW JÖRN PATERAK

D E DATENTRAKT IEREN !BSSEAUFGEBEN

r Den Rauschebart träg t e r schon se it der Teenagerze it. A ls

der junge Pete r dam als un ras ie rt aus den Ferien zu rückkomm t,

frag t se in Schu ld irek to r: "So ll das m al e in Bart w erden?" Der

spöttische Unterton hat Folgen bis in die Gegenwart: "Eine rei-

ne Trotzreaktion" , resümiert der mittlerweile 58-Jährige. Heute

ist Peter Kruse Honorarprofessor für Organisationspsychologie

an der Universität Bremen und Unternehmensberater. Er kann

sich an sein Gesicht ohne Bart kaum noch erinnern. Selbst wenn

ihn die Kinder in seinem Heimatdorf nahe Diepholz im Dezem-

ber regelmäßig für den Weihnachtsmann halten, es ändert nichts:

Der Bart bleibt dran.

Auf Tagungen sagt Kruse Sätze wie: "Intuition ist die Summeder Lernerfahrungen am Rande der Überforderung." Oder gibt

ironische Ratschläge "für völligen Stillstand im Unternehmen".

Sein liebster Tipp: "Die Veränderungsgeschwindig-keit auf der Beschlussebene sollte stets größer sein

als auf der Umsetzungsebene. "

Der Mann will im Chaos des Internets Ordnung

schaffen und Orientierung geben. In einer ver-

netzten Welt, die von Tag zu Tag dynamischer wird,

sucht er nach beständigen Trends. Dazu führt sei-

ne Firma Nextpractice Tausende von Interviews

mit Probanden und lässt sie gleichzeitig Frage-

bögen ausfüllen. Auf der Kundenliste der Firma

stehen etliche Dax-Konzerne, beispielsweise aus der

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al'beitundlebell

>KOM PLEX ITÄ TSFA LLE

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A u tom ob il- und B ankenw e lt. K ru se w u rd e m eh rfach

fü r se in e F o rsch e r- und B era te rtä tig k e it au sg eze ich -

n e t, g ilt a ls Q uerd enke r und is t M itg lied d e r Ju ry des

X IN G -Id een labo rs , d as K onzep te fü r zukun ftsw e i-

sendes A rbe iten kü rt.

O ft s itz t e r im ers ten S to ck se in es H au ses in

B arn s to rf , g u ck t von Z e it zu Z e it au f e in e T e ich an -

lag e m it jap an isch em T eehau s . D o rt d reh en e tli-

ch e K o ik a rp fen ih re R unden . S chw ers ta rb e it se i e s ,

d en D a ten ih r M uste r zu en tre iß en . K ru se g rübe lt

u nd rechne t: "W ir trak tie ren d ie D a ten , b is s ie au f-

g eb en ." D as , w as e r d a au sw erte t, n enn t e r "ku ltu -

re lle F e ld e r" , d ie e r m ith ilfe von In te rv iew s m iss t

und dann m ath em a tisch ve rd ich te t. D am it w ill

e r E n tsch e idung sg rund lag en sch a ffen , in d em er

F üh rung sk rä fte im C hao s e in e r v e rn e tz ten W elt m it

b es tänd ig en In fo rm a tion en ve rso rg t, ih n en so "n eue

und nachvo llz iehba re E in s ich ten " e rm ög lich t.

sp ie lraum ha t K ru se fü r knapp zw e i S tunden be i

d ie se r A rb e it u n te rb ro chen - und sich dabe i au ch

von se in e r inn ig en B ez iehung zu den K o is übe r-

zeug t, d e ren A nhäng lichke it e r m it d e r von H unden

ve rg le ich t, "vo r a llem , w enn m an reg e lm äß ig m it

ih n en schw im m en geh t."

S P IE L R A U M : Herr Professor Kruse. man könntemeinen, Sie halten die Menschheit im Umgang

mit dem Internet für chronisch überfordert.

K R U S E : D as In te rn e t lä ss t un s a lle in m it d e r A u f-

g abe , d ie F lu t von In fo rm a tion en , d ie e s übe rträg t,

s in nvo ll zu sam m enzu se tzen . Ü berfo rd e rung is t

im m er e in e F rag e de r A rt d e r In fo rm a tion sv e ra r-

b e itu ng . O b w ir d ie D a tenm engen im In te rn e t an -

g em essen nu tzen können ode r n ich t, h äng t d avon

ab , w e lch e S tra teg ien w ir zu ih re r V erd ich tung e in -

se tzen . D as d azu no tw end ig e V ers teh en von Z usam -

m enhängen w ird im m er schw ie rig e r. W ir g e ra ten in

e in e K om p lex itä ts fa lle .

Können wir das bitte etwas erden?

Was meinen Sie damit genau?

K R U S E : M it d em In te rn e t und den so z ia len N e tz -

w erk en ha t d ie V ern e tzung sd ich te in d e r W elt d ra -

m a tisch zugenom m en . S o v ie le M en schen w ie heu te

h aben noch n ie so in ten s iv und g le ichbe rech tig t

m ite in ande r in V erb indung ges tanden . S ch ick en S ie

e tw as im W eb lo s , füh rt d as zu vö llig unkon tro llie r-

b a ren H eak tion en . Jed e In fo rm a tion kann nahezu

unbeg ren z t n eu e In fo rm a tion en gene rie ren . N e tze

sch auke ln s ich ohne V o rw arnung au f. V ie le M en -

sch en haben das G efüh l, s ich am R ande ih re r A u f-

n ah m e kapaz itä t zu bew egen .

Welchen Ausweg sehen Sie?

K R U S E : Z unäch st e inm a l: B enu tzen S ie d as In te rn e t

g ez ie lt n u r fü r d ie D inge , d ie e s gu t k ann .

Die da wären?

K R U S E : E rs ten s : D ie D em ok ra tis ie rung von W issen .

D as In te rn e t b ie te t in unve rg le ich lich e r M enge und

E in fachhe it Z ug riff au f Inh a lte . D as N e tz e rsp a rt m ir

Z 0 L L A B F E R 1 1 G U N G S S T E L L E

P e t e r K r u s e m a c h t m a l P a u s e v o m

In t e r n e t - H y p e . Seine Firma sitzt ineinem alten Hafengebäude der Übersee-stadt von Bremen. Im Netz sei ..der Zenit

überschritten", Die Entwicklung gehevon Resonanz zurück zu Relevanz

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Kunden werden

zur marktbestimmenden

Kraft Mitarbeiterhebeln H ierarchien aus

den früher immensen Suchaufwand. Heute finde

ich jeden Namen, jedes Zitat, jede Hauptstadt so-

fort. A llerdings bin ich auch allein, wenn es um die

Bewertung geht. Ist etwas richtig oder falsch?

Zweitens: Das Internet ist eine gigantische

Castingshow. Es kann Dinge aus jeder noch so abge-

legenen Nische sehr schnell in die M itte der Gesell-

schaft befördern. Jeder kann heute sein Buch, seine

Musik oder Filme selbst vertreiben. Eine einzelne

Meinung kann sich verbreiten wie ein Flächenbrand.

Drittens: Das Internet macht es Menschen leicht,

sich zu synchronisieren und ihr Handeln aufeinan-

der abzustimmen. Man organisiert sich im Inter-

net und demonstriert auf der Straße. Das kann die

Mächtigen dieser Welt das Fürchten lehren.

Kunden werden zur marktbestimmenden Kraft,

M itarbeiter hebeln Hierarchien aus. Das Internet

ist immer gut für kreative Störung. Das war's dann

aber auch.

Das ist doch eine ganze Menge.

KRUSE: Ja, wenn da nicht eine viel höhere Erwar-

tungshaltung wäre, die das Internet nicht erfüllen

kann. W ie die Arabellion gezeigt hat, sind Netzwerke

in der Lage, politische Systeme, sogar Diktatoren zu

stürzen. Bei kulturellen Aufbauprozessen aber ist

die W irkung des Internets begrenzt. Um eine neue

Verfassung zu entwickeln, braucht es einen langwie-

rigen, persönlichen Austausch.

Das Internet reißt Inhalte erbarmungslos aus

ihrem Kontext und hinterlässt Sie mit einer Infor-

mation, die Sie nicht einordnen können. Die kom-

munikativen Austauschprozesse sind ebenso kurz

wie oberflächlich. Sicher, man kann mit 140 Zeichen

der Welt etwas ins Ohr zwitschern oder per Like-it-

Button zu allem seinen Senf dazugeben, aber für die

mühsame Aushandlung von Bedeutung, die die Ba-

sis jeder kulturellen Entwicklung ist, hat das Internet

nicht viel zu bieten.

Im Klartext: M it der Erfassung kultureller Unter-

schiede wollen Sie die Komplexität des Internets

reduzieren?

KRUSE: Sie bitten mich um Klartext, zu Beginn un-

seres Gesprächs um Erdung. Genau darum geht es.

Zu Beginn eines Treffens hat man häufig das Gefühl,

aneinander vorbeizureden. Zu unterschiedlich sind

die persönlichen Blickwinkel. Man benutzt zwar die

gleiche Sprache, verbindet mit den Worten aber un-

terschiedliche Bedeutungen.

W ir kommen beide aus demselben Land, ha-

ben beide in Münster studiert, und dennoch ist ge-

genseitiges Verstehen nicht trivial. W ir haben ja nur

ein Interview lang Zeit. Zwei Stunden. Das kann nur

klappen, weil wir Teilnehmer eines gemeinsamen

kulturellen Feldes sind. Das reduziert die Komple-

xität unseres Gesprächs deutlich. Vertrauen wir also

darauf, dass es uns gelingt.

Und wenn nicht?

KRUSE: Dann werden Sie sich innerlich zurückzie-

hen und mich reden lassen, weil es das Ritual des

Interviews so nahelegt und Sie ein höflicher Mensch

mit guter Kinderstube sind. Wenn Menschen da-

ran scheitern, in einer Situation den Durchblick zu

gewinnen und Zusammenhänge zu erkennen, grei-

fen sie zumeist ohne großes Nachdenken auf früher

gelernte Erfolgsstrategien zurück. Das ist heute die

Gefahr für viele Entscheidungsträger: Sie tun so, als

ob sie alles wie gehabt im Griff haben.

Ein ehemals marktführender Handyhersteller

aus Finnland verschläft den Trend zum Touch-

screen, weil er die Zeichen der Zeit nicht erkennt

und auf seine bewährte Strategie vertraut?

KRUSE: Genau. Viele Führungskräfte räumen so-

gar ein, dass sie angesichts der immer komple-

xer und dynamischer werdenden Märkte nur noch

..aufSicht segeln". Das geht so weit, dass manchmal

nicht einmal mehr klar ist, ob das Geschäftsmodell

eines Unternehmens noch überlebensfähig ist oder

nicht. Gehen Sie heute mal auf jemanden zu, der

eine Landesbank führt. Fragen Sie einen Zeitungs-

verleger, einen Automobilhändler, einen Telefon-

dienstleister oder einen Hersteller von Laptops. Viel

mehr als ein leicht genervtes Achselzucken werden

Sie oft nicht bekommen.

Ihre Lösung?

KRUSE: Keine Lösung, sondern Prinzipien. Ein wich-

tiges Prinzip: Ich muss, wo immer ich bin, maximal

bereit sein, m ich von der Menge der Informatio-

nen verunsichern zu lassen. Wenn ich mich perma-

nent mit Informationen auseinandersetze, die ich

nicht mehr rational ordnen kann, dann fängt das

Gehirn an, Zusammenhänge zu erzeugen. Die Aus-

sage ..Never change a winning team" ist angesichts

des unautl1örlichen Wandels ebenso risiko reich wie

der Versuch, Komplexität durch die Beschränkung

auf einzelne Aspekte zu verringern. Ich reiße das

Wollknäuel nicht auseinander, weil sonst die Binde-

kraft verloren geht. Ich akzeptiere die Komplexi-

tät. Meinen Kunden sage ich immer: Überschüt-

tet m ich mit Informationen, ihr könnt mich damit

nicht erschlagen. Weil ich nicht den Anspruch habe,

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al'b(~itundlebell

>KOMPLEXITÄTSFALLE

diese Informationen im Detail zu beherrschen. Ich

vertraue aber auf meine Intuition, die sich durch

diese Reize neu ausbildet. Ich versuche nicht, das

Problem in Teile zu zerlegen.

Kennen S ie Beppo, den S traßenkehrer?

KRUSE: Natürlich, ich bin Vater von vier Kindern.

Aus dem Buch "Morno" von Michael Ende.

Dann kennen S ie auch Beppos T ipp für d ie A r-

be it auf ganz besonders langen S traßen: N ie an

d ie ganze S traße auf e inmal denken, nur an den

nächsten Schritt. Nur dann, findet zum indest

Beppo, mache es Freude und nur dann mache

man seine Sache gut ...

KRUSE: ... das ist aber etwas völlig anderes. Über-

forderung durch Arbeitsmenge ist nicht vergleichbar

mit Überforderung durch Komplexität. Beppo sagt

nur, dass alles mit einem ersten Schritt beginnt und

dass lange Wege psychologisch besser zu bewälti-

gen sind, wenn man sich auf das Unmittelbare kon-

zentriert. Straßenkehren ist zudem mühsam, aber

nicht sonderlich komplex.

Beppo ist s icher ke ine Führungskra ft.

KRUSE: Seine Geduld und seine Gelassenheit im

Umgang mit langwierigen Aufgaben wären schon

wichtige Kernkompetenzen für Führungskräfte. Die

stecken heute in einem echten Dilemma. Sie sollen

einerseits als Manager dem Unternehmen weiter-

hin die Richtung geben, sind aber andererseits der

Dynamik des Internets sogar noch mehr ausgelie-

fert als die Mitarbeiter. Sie tragen die volle Verant-

wortung, verlieren aber zunehmend an Macht und

Einfluss. Die Transparenz im Unternehmen steigt.

Mitarbeiter vernetzen sich innerhalb und über die

Unternehmensgrenzen hinaus. Die identitätsstif-tende Kraft der Firmenkulturen nimmt ab.

W ie das?

KRUSE: Nehmen wir an, ich arbeite als Spezialist

für ein Thema in einem Unternehmen und ver-

netze mich intensiv mit Menschen, die in anderen

Es gehtn ich t mehr darum ,G ILJck zu haben,sondern G ILJck

zu finden. Cool ist,was Sinn macht

Unternehmen arbeiten und eine ähnliche Ausrich-

tung haben - sagen wir über XlNG. Die Gruppe der

Autoingenieure in Deutschland ist sich womöglich

untereinander näher als die Mitarbeiter eines ein-

zelnen Herstellers. Beim Volkswagenwerk in Wolfs-

burg gibt es ein sehr anschauliches Symbol für die

früher so stark definierende Kraft von Firmenkul-

turen. Viele Mitarbeiter passieren einen langen

Tunnel, wenn sie ins Werk wollen. Was geschieht im

Kopf eines Menschen, wenn er 40 Jahre lang jeden

Morgen durch einen solchen Tunnel in die Unter-

nehmensweit eintaucht? Die zunehmende Bedeu-

tung der Netzwerke in Alltag und Beruf schwächt

diesen kulturellen Tunneleffekt deutlich. Die

zentrierende Kraft der Firmenkulturen unterlie-

gt einer Kernschmelze.

E in Freund von m ir läuft immer se ltener durch

d iesen Tunnel, da er a ls Ingen ieur dauerhaft

be i Vo lkswagen in Te ilze it a rbe ite t und sich im

gewonnenen Fre iraum mehr um sein K ind küm -

mert - oder im Harz Fahrradfahren geht.

KRUSE: Mit der steigenden Vernetzung verschwim-

men zunehmend auch die Grenzen zwischen Beruf

und Privatleben. Die Prioritäten der Menschen ver-

schieben sich deutlich. Das, was Ihr Freund da macht,

zeigt, wie sehr die kulturellen Wertvorstellungen in

Bewegung geraten sind und welche Auswirkungen

das auf die Arbeitswelt hat. Für Lebensqualität und

alternative Ideale bewusst auf Einkommen oder

Karrierechancen zu verzichten war bislang eher

eine belächelte Ausnahmeerscheinung. Inzwischen

läuft Gefahr, veralbert zu werden, wer noch versucht,

sich hinter Statussymbolen zu verschanzen. Es geht

nicht mehr darum, Glück zu haben, sondern Glück

zu finden. Cool ist, was Sinn macht.

Längst n ich t a lle Menschen der W elt s ind über

das In ternet vernetzt. W ird d ie Komplexitä t des

Netzes in naher Zukunft ins G renzen lose ste igen?

KRUSE: Wir sind gemeinsam dem Rausch der Masse

erlegen. Internetplattformen wurden nach der Zahl

der Menschen bewertet, die sich dort treffen. Eini-

ge Youtube- Videos erreichen Milliarden Menschen,

es gibt Leute auf Twitt er, die mehr FolIower haben

als bestimmte Länder Einwohner. Das löst eine ver-

ständliche, aber letztlich doch naive Faszination aus.

Ich denke, da ist der Zenit überschritten. Die Ent-

wicklung geht von Resonanz zurück zu Relevanz.

Wir werden gemeinsam herausfinden müssen, wei-

chen Beitrag das Internet tatsächlich zum Aufbau

von Kulturen leisten kann. Esoterische Heilserwar-

tungen sind da eher unangemessen.

Ich habe m ich nun knapp zwei S tunden auf d ie

Komplexitä t unseres Gesprächs e inge lassen.

G lauben S ie , dass ich a lles verstanden habe?

KRUSE: Das weiß ich nicht. Aber ich hoffe, Sie Xhaben sich wenigstens nicht gelangweilt.

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