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Teil 1: WARTEZEITEN Zur Einführung Man liegt eines Abends im Bett, wartet - beiläufig - auf das Einschlafen und denkt über Wartezeitgestaltung am Computer nach, weil man über dieses Thema seine theoretische Diplomarbeit schreiben will und damit nicht recht vorankommt. Bald stellt sich dann die folgenschwere Frage: Was eigentlich heißt warten ? Was genau beschreibt, umfaßt dieser Begriff? Kaum hat man sich diese Frage gestellt - und somit eingesehen, daß man schwerlich über die Gestaltung von Wartezeiten schreiben kann, ohne zu wissen, was da eigentlich gestaltet wird - schwillt die Gedankenflut dramatisch an, man wird von einer Assoziationswelle erfaßt, sie schlägt gewissermaßen über den so naiv Fragenden zusammen. Natürlich denkt er an Warteschlangen, ob die vor der Supermarktkasse, die kilometerlangen Autoschlangen zum Urlaubsbeginn, die durch Wartenummern geregelten in der Behörde oder die historischen in der DDR, die man als Westbürtiger aus Witzen, 1 Erzählungen und der Literatur, 2 als Ostbürtiger 1 Was macht ein DDR-Bürger, wenn er in der Wüste eine Schlange trifft? - Er stellt sich hinten an!“ 2 z.B. bei Plenzdorf, die neuen Leiden des jungen W. (S.104 f.):„Ich hätte mir doch sonstwas abgebissen, wenn ich keine Jeans abgekriegt hätte. Wir standen da zu dreitausend Mann in dem Treppenhaus und warteten auf den Einlaß. Kein Mensch kann sich vorstellen ,wie dicht wir da standen. An dem Tag fiel der erste Schnee, aber gefroren hat von uns garantiert keiner. Ein paar hatten Musik mit. Es war eine Stimmung wie Weihnachten, wenn gleich die Tür aufgeht und die Bescherung anfängt - vorausgesetzt, man glaubt noch an den Weihnachtsmann... " 1

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Teil 1:

WARTEZEITEN

Zur Einführung

Man liegt eines Abends im Bett, wartet - beiläufig - auf das Einschlafen und denkt über Wartezeitgestaltung am Computer nach, weil man über dieses Thema seine theoretische Diplomarbeit schreiben will und damit nicht recht vorankommt. Bald stellt sich dann die folgenschwere Frage: Was eigentlich heißt warten ? Was genau beschreibt, umfaßt dieser Begriff? Kaum hat man sich diese Frage gestellt - und somit eingesehen, daß man schwerlich über die Gestaltung von Wartezeiten schreiben kann, ohne zu wissen, was da eigentlich gestaltet wird - schwillt die Gedankenflut dramatisch an, man wird von einer Assoziationswelle erfaßt, sie schlägt gewissermaßen über den so naiv Fragenden zusammen. Natürlich denkt er an Warteschlangen, ob die vor der Supermarktkasse, die kilometerlangen Autoschlangen zum Urlaubsbeginn, die durch Wartenummern geregelten in der Behörde oder die historischen in der DDR, die man als Westbürtiger aus Witzen,1 Erzählungen und der Literatur,2 als Ostbürtiger aus der Erfahrung kennt. An seine Ungeduld, die seltsame Apathie, die einen überkommen kann, wenn man lange wartet, den Ärger über sich Vordrängelnde oder den Stolz, durch „aktives Anstehen“ seine eigene Wartezeit

1 „Was macht ein DDR-Bürger, wenn er in der Wüste eine Schlange trifft? - Er stellt sich hinten an!“2z.B. bei Plenzdorf, die neuen Leiden des jungen W. (S.104 f.):„Ich hätte mir doch sonstwas abgebissen, wenn ich keine Jeans abgekriegt hätte. Wir standen da zu dreitausend Mann in dem Treppenhaus und warteten auf den Einlaß. Kein Mensch kann sich vorstellen ,wie dicht wir da standen. An dem Tag fiel der erste Schnee, aber gefroren hat von uns garantiert keiner. Ein paar hatten Musik mit. Es war eine Stimmung wie Weihnachten, wenn gleich die Tür aufgeht und die Bescherung anfängt - vorausgesetzt, man glaubt noch an den Weihnachtsmann... "

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verkürzt zu haben, indem man sich z. B. mittags in der Kunsthochschulmensa zu dem weiter vorne in der Schlange stehenden Kommilitonen gesellt, um ein Gespräch zu führen und dabei, quasi nebenbei, diskret zehn ebenfalls wartende Pharmaziestudenten umgeht. Man wartet natürlich nicht nur in der Schlange, also in Gesellschaft, sondern auch alleine: der junge Mann mit dem Blumenstrauß auf seine Verabredung, die alte Dame im Pflegeheim auf Besuch, die Frau an der Vorstadthaltestelle auf den Bus und das letzte Kind im Kindergarten, daß auch seine Eltern es abholen. Man wartet auf bessere Zeiten, den Kellner, der das bestellte Bier bringt, auf Post im Briefkasten, den Weltfrieden oder den Weltuntergang, auf das Wochenende oder die Genesung nach einer Krankheit, auf den Beginn des Kinofilms, den Steuerbescheid, eine zündende Idee und auf die Grünphase der Ampel; der indische Bauer wartet auf den Monsunregen, der Beamte auf seine Beförderung, der Kunde des Waschsalons darauf, daß der Wäschetrockner frei wird und der Wachsoldat auf seine Ablösung, das kleine Mädchen darauf, daß es endlich groß wird, das Liebespaar engumschlungen auf den Sonnenuntergang, und Luigi Colani wartet darauf, „daß die deutsche Industriewelt einsieht, wie wichtig Design von Colani ist.“3 Auf einen Hamburger bei McDonalds warten wir nicht mehr als 2 Minuten4, auf ein gut gezapftes Pils 7 Minuten, auf das Freizeichen nach dem Abheben des Telefonhörers exakt 2 Sekunden, auf frische Birnen aus dem Garten bis zum September, auf die Geburt

33 zitiert nach Form Nr.161 (Heft 1/1998) S.17.4vgl. dazu George. Ritzer: Die Mc Donaldisierung der Gesellschaft. Frankfurt/M. 1995.

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eines Kindes ca. 9 Monate und auf den Millionengewinn im Lotto meist vergeblich.Dämmen wir an dieser Stelle die rauschende Gedankenflut ein, die wir mit der simplen Frage nach der Bedeutung des Begriffes warten

ausgelöst haben, da wir uns sonst leicht im Uferlosen verlieren könnten. Wir haben bisher festgestellt, daß an nahezu jedem Ort, von den unterschiedlichsten Leuten auf die verschiedensten Dinge unterschiedlich lange gewartet wird. Trotzdem ist warten ein, nennen wir ihn vorerst „Zustand“, der uns vertraut ist, eine Erfahrung, die wir alle teilen und die für uns auf irgend einer Ebene - vielleicht der des Gefühls - auch klar definiert ist. Jedenfalls werden, wenn es ums Warten geht, oft die selben Situationen genannt, Verwechslungen mit anderen „Zuständen" kommen kaum vor: Wenn jemand wartet, weiß er in der Regel auch, daß er gerade wartet. Daß Warten etwas alltägliches ist, sagt uns unsere Erfahrung und zeigen die oben genannten Beispiele. Wie oft wir warten, läßt sich kaum klar sagen, da wir sehr oft warten: Morgens z. B. gleich nach dem Aufwachen auf das Klingeln des Weckers, der sich noch nicht gemeldet hat, dann, nachdem man das Radio eingeschaltet hat, auf die Nachrichten, im Bad, daß das warme Wasser die Strecke zwischen Boiler und Hahn überwindet, was man natürlich nur kann, wenn das Bad frei ist und man nicht zuvor noch auf das Ende der Morgentoilette der Wohnungsgenossin warten muß. Am Frühstückstisch dann, daß der Kaffee durch die Maschine läuft, daß das Toastbrot fertig geröstet ist und die Morgenmüdigkeit langsam nachläßt; bevor man das Haus verläßt, vielleicht noch auf den Briefträger, dann, viel zu oft und viel zu lange, auf eine Lücke im Autoverkehr, um die Straße zu überqueren... Nach diesem zur

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Schonung des Lesers nicht weiter ausgeführten Beispiel verwundert es nicht sehr, daß das Verb warten auch sehr oft ausgesprochen wird. Das „Häufigkeitswörterbuch der gesprochenen Sprache“5 etwa führt es als 168häufigstes Verb, d. h. „warten“ wird ungefähr genauso häufig gebraucht wie z. B. „sprechen“.Nun sind wir allerdings bis dato der Antwort auf die anfangs gestellte Frage, was „warten“ heißt, noch nicht viel näher gekommen. Wir wissen bis jetzt nur, daß dieser Begriff auf einer - nicht bewußten - Ebene klar umgrenzt ist, quasi eine „Gestalt“ hat und nicht etwa diffus und schwammig ist. Die Suche nach dieser „Gestalt“, nach den Eckpunkten des „semantisch-syntaktischen Hofes“ des Begriffes fällt aber schwer, wenn man vom Alltagserleben, vom Phänomen „Warten“ an den Begriff heran will, da er sich einer Erklärung dadurch entzieht, daß er so viel umfaßt, daß so häufig gewartet wird und daß Warten sowohl im banalsten Alltag (z. B. darauf, daß der Tee fertig gezogen ist) als auch in den existenziellsten Situationen (z. B. das Warten auf die Geburt eines Kindes oder das bange Warten auf den Ausgang einer schweren Krankheit) auftaucht. Was aber diese „Gestalt“ ausmacht, was es uns erlaubt, den Zustand, in welchem sich derjenige befindet, nachdem er in der Hoffnung auf baldige Gaumenfreuden einen Apfelkuchen in den Ofen geschoben hat und den Zustand der Bergleute, die in ihrem Schacht verschüttet wurden und nun auf Rettung hoffen, unter dem Begriff „warten“ zu subsummieren, ist weiterhin unklar und läßt sich zunächst auch nicht aus der - beliebig erweiterbaren - Beispiel- und Assoziationsfülle herausdestillieren.

Zur Wortbedeutung und Etymologie

5Arno Ruoff (Hrsg.): Häufigkeitswörterbuch der gesprochenen Sprache. Tübingen 1990.

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Der Begriff „warten“ läßt sich aus dem Alltagserleben heraus also nicht ohne weiteres abstrakt und allgemein fassen, deshalb unternehmen wir jetzt, um mit der Arbeit voranzukommen, nach dem Bad in den Assoziationen eine Wanderung durch den Bücherwald, in der Hoffnung, dort etwas zu finden, was uns bei unserer Suche nach der Essenz des Wartens voranbringt. Da sind zunächst die Wörterbücher.6 Auch hier werden, um die Verwendung des Wortes in der Sprache darzustellen, eine Fülle von speziellen Einzelbedeutungen aufgelistet (ich warte schon sechs Wochen auf

Post von ihm, auf einen Studienplatz warten, auf den Bus warten,

eine Maschine warten, auf Typen wie dich haben wir gerade noch

gewartet, worauf warten wir noch? warte mal! ...). Adjektive, mit denen das Warten oft näher charakterisiert wird, sind: geduldig,

sehnsüchtig, vergeblich, schmerzlich auf etwas warten. Als sinnverwandte Wörter werden abwarten, (aus)harren, anstehen,

sich gedulden, verweilen genannt. Den Beispielen werden zwei Hauptbedeutungen zugeordnet. Die zweite - und für diese Arbeit nicht relevante - Bedeutung wird im Brockhaus als „(an etw.)

Arbeiten ausführen, die zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit von

Zeit zu Zeit notwendig sind. Und selten (eine Maschine, eine

technische Anlage) bedienen“ angegeben. Die Hauptbedeutung des Begriffes wird mit den Sätzen „dem Entreffen einer Person, einer

Sache, eines Ereignisses entgegensehen, wobei einem oft die Zeit

besonders langsam zu vergehen scheint..“ und „sich, auf jmdn.,

etw. wartend an einem Ort aufhalten u. diesen nicht verlassen“

(Brockhaus dt. Wörterbuch) oder „(jmnd./etw.) erwarten und

6verwendet wurden:Brockhaus deutsches Wörterbuch; Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch; Bertelsmann Synonymwörterbuch; Trübners Deutsches Wörterbuch; Duden Band 10, Bedeutungswörterbuch; Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch

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deshalb an demselben Ort bleiben, bis er kommt oder etwas

eintrifft“ (Duden Bedeutungswörterbuch) zusammengefaßt. Als Synonyme werden "ab- zuwarten, die Dinge auf sich zukommen

lassen, (s.) Zeit lassen, (aus) arren, s. gedulden, Geduld haben,

geduldig sein, die Hoffnung nicht aufgeben, ausschauen ;

aufbleiben, wachen, nicht schlafen gehen; anstehen, s. anstellen;

Schlange stehen" angegeben. Der Begriff „warten“ ist hiermit zwar beschrieben, das Phänomen, der Zustand des Wartens, der uns vordringlich interessiert, aber nicht erklärt.

Ergiebiger ist in dieser Hinsicht ein Blick in die Etymologie, die Wortgeschichte von Warten, auch wenn das zunächst Verwirrung stiftet, denn wir werden hier auf unsere Sinne verwiesen: Warten

geht auf die indo-europäische Wortwurzel *uer(e) (achten,

gewahren) zurück. Diesen Ursprung teilt sich warten mit so bedeutenden Begriffen wie wahrnehmen, wahren, Wahrheit. Das Verb währen (im Sinne von dauern) bei dem man inhaltlich eher eine Verwandschaft mit warten vermutet, geht auf eine andere Wurzel zurück, hat wortgeschichtlich nichts mit warten zu tun. Im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen bedeutete warten

zunächst ausschließlich wahrnehmen, (aus)schauen, spähen. Diese Bedeutung ging dann über in achthaben, sorgen , pflegen.7 Der zunächst allgemeine Begriff wurde also präzisiert in „aufpassendes Beobachten“. Die heutige Wortbedeutung setzte sich dann endgültig vor 200 Jahren im Neuhochdeutschen durch.

Daß zur Bezeichnung des Phänomens „warten“ ein Begriff verwendet wurde, der ursprünglich eine Sinneswahrnehmung

7Diese zweite Bedeutung hat „warten„ bis heute (z.B. ein Auto, eine Maschine warten) vgl oben.

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beschrieb, legt den Schluß nahe, daß warten viel mit unseren Sinnen zu tun hat, was auch dadurch untermauert wird, daß mundartliche Synonyme für warten sehr oft aus dem Bereich der Sinneswahrnehmung (vor allem sehen aber auch hören) stammen („schaun´mer mal“ etc.)8.

Die Auskunft der Lexika

Informationen über den Zustand des Wartens sucht man in den gängigen Konversationslexika weitgehend vergeblich; zwischen Wartburgkrieg und Wartenberg, Johann Kasimir steht in Meyers Großem Taschenlexikon nur eine Leerzeile. Auch der Brockhaus, Meyers Enzyklopädisches Lexikon, der Große Herder, Meyers Neues Lexikon und was dergleichen Werke mehr sind, schweigen sich über das Warten aus. Lediglich Johann Heinrich Zedlers 1747 erschienes „Grosses vollständiges Universal-Lexikon“ liefert nicht nur eine Übersicht „aller Wissenschaften und Künste welche bishero durch menschlichen Verstand und Witz erfunden und verbessert worden“ sondern auch folgenden Eintrag unter dem Stichwort Warten: „Ein Mensch muß bey seinen Unternehmungen das Warten

wohl gelernet haben. Es giebt ein vernünfftiges und ein

unvernünfftiges Warten. Das vernünfftige Warten besteht darinn,

daß man zu seinen Unternehmungen die rechten und bequemsten

Zeiten in Acht nimmt, in welchen eines Theils die Fähigkeit und

Macht, die zu einem Unternehmen erfordert wird, zu genugsamer

Vollkommenheit gediehen; anderen Theils aber auf die

Conjuncturen, oder Umständen des Glücks der Ausführung eines

8vgl. dazu: Martin Durell: Die semantische Entwicklung der Synonymik für "Warten". Marburg 1972.

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Vorhabens sich am besten favorisiren. Finden sich diese beyden

Stücke zu einer Zeit nicht beysammen, so ist sonder Zweiffel

närrisch, eine Sache vorzunehmen, wenn es so wohl an

Geschicklichkeit und Macht, als an Glück fehlet. Ereignet sich aber

nur eins von beyden und das andere nicht, so hat man behutsam zu

überlegen, ob die guten Umstände des Glücks wahrscheinlich seyn

dürfften, dasjenige, was zur Zeit an Geschicklichkeit und Macht

ermangelt, in so weit zu ersetzen, daß man auch mit halben

Kräfften seinen Zweck werde erlangen können; oder ob andern

Theils die zu gehöriger Vollkommenheit gediehene Macht

vermögend seyn werde, durch die Schwierigkeiten des Glücks

durchzubrechen. Wenn man dieses mit Grunde hoffen kan, so hat

man dieses auch vor die rechte Zeit anzusehen. Demnach ist die

Klugheit zu warten eine Klugheit, da man ein intendirtes

Unternehmen zu der Zeit, da entweder an der dazu erforderten

Macht; oder an Glück, oder auch an beyden etwas wichtiges

mangelt, behutsamlich unterlässet, und solches auf eine andere

bequemere Zeit affschiebet, da theils an Fähigkeit und Macht, theils

an Glücke bessere Vortheile entweder gewiß, oder doch mit guter

Wahrscheinlichkeit zu hoffen. Diesem Warten steht das

unvernünfftige Warten entgegen so auch das blosse Warten,

ingleichen das Zaudern genennet wird, dadurch man nehmlich die

obgedachte rechte Zeit ein Unternehmen auszuführen, vorbey

streichen lässet, und in Hoffnung zukünfftiger eben so

vorteilhafftiger, oder besserer Zeiten sich irret; wie denn auch die

Hitze und Uebereilung, da man die rechte Zeit nicht erwartet;

sondern die Sache zur Unzeit mit Schaden oder nur halben Nutzen

vornimmt, als ein Fehler anzusehen“.

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Dieser Artikel über das Warten befremdet den heutigen Leser. Warten ist bei Zedler zunächst eine Tätigkeit, die man lernen kann und auch soll, und kein Zustand, in den man sich wohl oder übel schicken muß. Die Tätigkeit des Wartens kann danach sowohl auf eine gute als auch auf eine schlechte Art betrieben werden, während wir heute meistens nur danach trachten, das Warten zu vermeiden, also prinzipiell schlecht darüber denken. Das gute Warten wird bei Zedler als das Abpassen des günstigsten Momentes beschrieben, was auch die Abwägung der Chancen und Risiken bei der Verwirklichung seiner Pläne zu einem bestimmten Zeitpunkt beinhaltet, es meint also das, was man heute als aufmerksames Abwarten oder neudeutsch als gutes Timing bezeichnen könnte, und hat mit Ausschauhalten, Beobachten zu tun. Ein ähnliches Verständnis von Warten findet sich, bezogen auf die Ökonomie, auch in der von Karl Gustav Cassel vertretenen sogenannten Wartetheorie9. Die Wartezeit ist als fachsprachlicher, in der Bedeutung präzise festgelegter Begriff in diversen Lexika zu finden. Im juristischen Bereich und im Versicherungswesen wird Wartezeit als Synonym für Karenzzeit angewendet:

„Wartezeit (Karenzzeit).

- bei betriebl. Versorgungszusage der Zeitraum, in dem für

Versorgungsfälle keine Leistung aufgrund der Versorgungszulage

gewährt wird

- in der Sozialversicherung der Zeitraum, den ein Versicherter in der

Sozialversicherung versichert sein muß, ehe er bestimmte

Versicherungsleistungen erhalten kann.“ (Meyers Enzyklopädisches Lexikon)9„Der Kapitalist ermöglicht durch sein „Warten“ die Kapitaldisposition. Da dieses Warten knapp ist, wird ein Preis (Zins) erzielt.“ Gablers Wirtschaftslexikon. Wiesbaden 1997.Vgl. dazu auch Karl Heinz Hennings: Waiting and Abstinence. Hannover 1986.

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Ansonsten wird der Begriff, je nachdem, unter welchen Vorzeichen sich jemand mit dem Warten und der Wartezeit befaßt, unterschiedlich verstanden und angewendet. Eine präzise Definition erfährt der weit ausgreifende Begriff dabei in den meisten Fällen nicht.

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Warten in Wissenschaft und Literatur

Ausführlichere Betrachtungen zum Thema Warten finden sich natürlich nicht in Nachschlagwerken. Ein weiterführendes, allgemeines "Standardwerk" zum Thema Warten blieb dem Verfasser, so es denn existiert, leider verborgen. Gedanken und Untersuchungen, die mit dem Themenkomplex Warten zu tun haben, begegnen dem Suchenden verstreut an den verschiedensten Stellen, das Verständnis von Warten differiert daher auch je nach Betrachtungsweise und Interesse. Die Mathematik, die Prozesstechnik, aber auch die Ökonomie kennen die sogenannte Warteschlangentheorie als eines der Hauptgebiete des Operations Research. „Gegenstand sind

Vorgänge, bei denen beliebige Einheiten (Transaktionen) in

unregelmäßigen und oft unkontrollierbaren Abständen auf

Engpässe (Abfertigungseinheit) zukommen, an denen sie

abgefertigt werden wollen (Warteschlange). Zwischeneintrittszeiten

und Bedienungszeiten sind zufälligen Schwankungen unterworfen.

Als Folge können Wartezeiten und Stauungen auftreten

(Wartesystem). - Ziel sind Aussagen über die Länge der Wartezeit,

die Anzahl Wartender, die Auslastung bzw. notwendige Anzahl der

Bedienstationen.“ 10 Der Wartende wird bei dieser Betrachtungsweise als ein Teil der Schlange begriffen. Sieht man das Problem des Wartens so, kann man zwar mathematisch ermitteln, welche Methode des Schlangestehens die objektiv schnellste und effizienteste ist, wird aber, wenn es sich bei den "Wartenden" um Menschen (und nicht z. B. um Telefongespräche oder Druckaufträge) handelt, gleichzeitig mit den Grenzen dieser 10Gablers Wirtschaftslexikon. Bd 4. Wiesbaden 1997.

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Betrachtungsweise konfrontiert, da der psychologische Aspekt, die subjektive Wahrnehmung der Wartezeit, bei ihr ausgeklammert ist. So muß A. Sieker in seiner „Intelligentes Warten?“ betitelten Untersuchung11, nachdem er den mathematischen Beweis dafür geliefert hat, daß in den meisten Fällen das sogenannte "single-queuing" (das Anstehen in einer langen gemeinsamen Schlange, bei der der jeweils erste zum freiwerdenden Schalter geht) im Gegensatz zum „multi-queuing“ (dem Anstehen in vielen einzelnen Schlangen vor jedem Schalter) in den meisten Fällen die vernünftigste, weil schnellste Lösung ist, relativ ratlos konstatieren: „Die Tatsache, daß sich single-queuing in der Praxis jedoch nur einstellt, wenn eine restriktive Vorgabe dieses erzwingt, ist bei einer globalen Betrachtung nicht zu erklären. Sie bleibt vor allem vor dem Hintergrund unverständlich, daß eine freiwillige Bildung der single-queue für die Kunden keine Kosten verursacht“12

Diese Besonderheiten des Verhaltens des Menschen in Warteschlangen oder anderen Wartesituationen ist ein Thema, das besonders in der Psychologie untersucht wird. Forschungsarbeit wird hier vor allem in Bezug auf die subjektive Zeitwahrnehmung (das Phänomen der langsam verrinnenden Zeit beim Warten) betrieben, wobei diese Betrachtungen meist nicht unter dem Oberbegriff Warten behandelt werden. Entweder werden ganz konkrete Wartesituationen ausgeleuchtet (So wurden z. B. Untersuchungen zur Zeiteinschätzung von an der Supermarktkasse Wartenden unternommen die u. A. herausbrachten, daß die

11Axel Sieker, Intelligentes Warten? Osnabrück 1993,S.13f.12Wartenummern oder Führungsgeländer sind z. B. Maßnahmen, die von Gestaltern zu diesem Zwecke ersonnen wurden.

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Wartenden im Schnitt die Wartezeit um 30% länger einschätzen als sie tatsächlich dauert.),oder die Wartezeit wird allgemeiner im großen Kontext der Erforschung des menschlichen Zeiterlebens erwähnt, das neben den Psychologen u. a. auch Soziologen und Philosophen betreiben.13

K. Schmahl z. B. behandelt im Kontext seiner Untersuchung zur industriellen Zeitstruktur und technisierten Lebensweise das Warten, R. Zoll erwähnt es in Zusammenhang mit der Entstrukturierung und Exteriorisierung der Zeit.14 Als reines, klassisches Zeitphänomen wird das Warten jedoch anscheinend nicht gesehen, denn es taucht in wesentlichen Abhandlungen zu dieser Thematik kaum auf. Weder bei Wendorf noch bei Heidegger und Elias, die alle ausführlich zum Thema Zeit referieren, wird das Warten thematisiert15.Betrachtet wird das Warten aber nicht nur im Zusammenhang mit der Zeit, sondern auch vom Blickpunkt der Erwartung. Dieses Verständnis von Warten bezieht sich allerdings nicht auf die alltäglichen Erwartungen, sondern auf existentiell wichtige Ereignisse und erstreckt sich über längere Zeiträume. Lothar Pikulik nennt es demzufolge auch „existentielles Dauer- Warten“ 16. Im christlichen Glauben und der in Theologie ist solch ein existentielles Warten, das Warten auf die Wiederkunft Christi (Parusie), bedeutsam, in der Existenzphilosophie ein Warten auf den Tod.

13vgl. dazu z.B.: P. Fraisse: Zeitwahrnehmung und Zeitschätzung. In: H. Thomae (Hrsg.): Handbuch der Psychologie. Bd. 1. Göttingen 1974; Manfred Frank: Zeitbewußtsein. Pfullingen 1990; Bernhard Wiens: Arbeitszeit - Wartezeit - Lebenszeit. Frankfurt/M., Berlin 1996.14R. Zoll: Krise der Zeiterfahrung; K. Schmahl: Industrielle Zeitstruktur und technisierte Lebensweise. In: R. Zoll (Hrsg.): Zerstörung und Wiederaneignung von Zeit. Frankfurt/M. 1988.15Rudolf Wendorf (Hrsg.): Im Netz der Zeit.Martin Heidegger: Der Begriff der Zeit. Tübingen 1988.Norbert Elias: Über die Zeit. Frankfurt/M. 1994.16Lothar Pikulik: Warten, Erwartung. Göttingen 1997.

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Warten in diesem Sinne bezeichnet keinen dominierenden Zustand, sondern eher eine Grundstimmung, die menschliches Denken und Handeln prägt und die nach Pikulik besonders für End- und Übergangszeiten charakteristisch ist.Unter anderen Vorzeichen behandeln und verstehen Gestalter (meist Architekten und Designer, aber auch Psychologen) das Warten. Für sie steht die Verhinderung der vom alltäglichen Warten verursachten Begleiterscheinungen wie Ärger, Ungeduld, Langeweile etc. oder, wenn möglich, das Verhindern von Wartezeiten selbst im Vordergrund. Solche Gedanken führen naturgemäß meist nicht zu einem tieferen Verständnis des Phänomens, sondern zu konkreten Lösungsversuchen spezieller Probleme. So wurden z. B die Fußgängerampeln in Monte Carlo mit Displays ausgestattet, die anzeigen, wie lange die Rotphase noch andauert. Die Passagiere am New Yorker Kennedy Airport wurden, nachdem es Beschwerden über die Wartezeiten bei der Gepäckausgabe gegeben hatte, einfach am anderen Ende der Flughafenhalle abgesetzt, so daß sie diese erst durchqueren mußten, um zur Gepäckausgabe zu gelangen, worauf die Beschwerden ausblieben, obwohl sich an der Zeit zwischen Ankunft des Flugzeuges und Ausgabe der Koffer nichts geändert hatte.17

Hauptbereiche solcher Wartezeitgestaltung und auch bisweilen ergänzender Diskurse sind der Bereich des öffentlichen Nahverkehrs und die Gestaltung von Ämtern und Behörden.18 Das Ziel, die Wartezeit für den Wartenden erträglicher zu machen, verfolgen wohl auch jene „Lebensratgeber“, die „Warten leicht 17 Beispiel aus : Richard Larson: Perspectives on Queues. New York 1988.18 vgl dazu: Brigitte Mager: Verschlossene Türen. In: Form 151 3/1995; zur Gestaltung eines Gesundheitsamtes.Tobias Gohlis: Überall Licht und Luft. In: Die Zeit Nr. 48, 21. November 1997; zur Gestaltung des Leipziger Hauptbahnhofes.

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gemacht“, „Spiele beim Warten“ oder „Zeit gewinnen“, betitelt sind und dem Leser meist lediglich vorschlagen, die „leere Wartezeit“ positiv zu sehen und mit Inhalt zu füllen; wobei das Spektrum der vorgeschlagenen Inhalte von Meditationsübungen über Spiele bis zum Ratschlag, in der Wartezeit einfach ein Buch zu lesen, reicht. Mehr Inhalt und bedeutendere Gedanken zum Thema Warten findet man in der Literatur: Franz Kafkas Hauptwerke, Der Prozeß und Das Schloß haben nichts anderes als das Warten, ein Warten in völliger Unkenntnis über Ziel und Zweck desselben, zum Thema. In Becketts Drama Warten auf Godot sieht der Zuschauer das ganze Stück über den beiden Hauptprotagonisten Wladimir und Estragon beim Warten auf den mysteriösen Godot zu. Bert Brecht schließlich stellt sich in seinem Gedicht Der Radwechsel eine interessante Wartefrage:

Ich sitze am Straßenrand.Der Fahrer wechselt das Rad.Ich bin nicht gern, wo ich herkomme:Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.Warum sehe ich den RadwechselMit Ungeduld?

In der Summe liefern all diese Werke eine überreiche Fülle von Gedanken zum Thema Warten. Klar definiert, gedanklich faßbarer ist der Begriff aber für uns dadurch eigentlich nicht geworden. Von den einen wird das Warten als Schlangestehen, von anderen als Zeitphänomen, von wieder anderen als unter dem Eindruck einer Erwartung stehend und von sehr vielen als eine Art nicht näher

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erklärter „zäher Stoff“19, schlicht als ein unangenehmer Zustand begriffen.

Zum Charakter der Wartezeit

In dieser Arbeit wird das Warten im folgenden als ein Gemütszustand des Menschen begriffen, ist also eine subjektive Angelegenheit psychischer Natur, welche auf die Wahrnehmung des Wartenden (z. B. auf das Zeiterleben) einen Einfluß hat. In diesen Wartezustand gerät ein Mensch immer dann, wenn er ein Interesse - eine Hoffnung oder Furcht - an einem (vermuteten) zukünftigem Ereignis hat, also eine Erwartung, und den Prozeß, der zu diesem Ereignis führt, und auch das Ereignis selber nicht beeinflussen kann. Wenn ich also an einer Straßenbahnhaltestelle stehe, weil ich z. B. zum Rosa-Luxemburg-Platz fahren will, habe ich ein Interesse daran, daß die Straßenbahn kommt, ich erwarte sie. Dieses erwartete Ereignis ist jedoch ein zukünftiges, denn die Tram ist noch nicht eingetroffen, da es erst 11.17 Uhr ist und die Straßenbahn laut Fahrplan erst 11.23 Uhr kommt. Ob und wann die Straßenbahn bei mir eintrifft, bestimme nicht ich, sondern die BVG, der Straßenbahnfahrer, die Verkehrslage und der Zufall, ich als Wartender habe darauf keinen Einfluß.

Stünde ich jetzt an derselben Straßenbahnhaltestelle, weil ich mich vor einem Regenguß in Sicherheit gebracht habe, wäre es mir egal, ob die Straßenbahn käme, ich hätte kein Interesse an diesem Ereignis und würde demzufolge auch nicht warten (zumindest nicht auf die Straßenbahn). Könnte ich das Ereignis beeinflussen, weil ich 19 Michael Rutschky benutzt diese Bezeichnung am Ende seines Essays „Wartezeit ein Sittenbild“ zur Charakterisierung des Zustandes, über den er auf den vorhergehenden 231 Seiten reflektiert hat. Michael Rutschky: Wartezeit, ein Sittenbild. Köln 1983.

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z. B. der Straßenbahnfahrer wäre, würde ich zwar, genauso wie die an der Haltestelle stehenden, erwarten, daß ich um 11.23 Uhr an der Haltestelle Gustav-Adolf-Str./Langhansstr. ankomme, warten würde ich jedoch nicht darauf, da ich als Fahrer das Ereignis durch schnelleres Fahren etc. beeinflussen kann. Diese drei Aspekte: das Interesse an einem Ereignis, die Zukünftigkeit desselben und die Hilflosigkeit des Subjekts in Bezug auf das Objekt der Erwartung und den Prozeß, der zu diesem Ereignis führt, prägen, als Invarianten, alle Wartezeiten. Variabel, aber natürlich auch für das Empfinden der konkreten Wartezeit bedeutend, sind dagegen das Objekt der Erwartung, welches sehr diffus (irgend etwas Schlimmes wird passieren) aber auch sehr konkret (das Eintreffen der Straßenbahn um 11 23 Uhr) sein kann, die Dauer der Wartezeit und nicht zuletzt die physische und psychische Verfassung des wartenden Subjekts. Die variablen Aspekte des Wartens werden hier zunächst ausgeblendet, die charakteristischen, allgemeinen Merkmale des Wartezustandes lassen sich jedoch aus den drei invarianten Aspekten herleiten. Sie sind von ihrer Art, nicht aber von der Intensität und dem Umgang des Subjekts mit ihnen, bei allen Wartezeiten gleich.

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Der Aspekt der Zukünftigkeit

Im Gegensatz zu gegenwärtigen Ereignissen, die wir erleben, und vergangenen Ereignissen, die wir erinnern können, richtet sich unser Interesse beim Warten auf ein zukünftiges, ein noch nicht eingetretenes Ereignis. Weil die Wartezeit unter dem Aspekt des Zukünftigen steht, wird sie gleichzeitig auch von einer Unsicherheit geprägt. Unsere Vorstellung der Zukunft beruht auf gedanklicher Leistung (logischen Schlüssen, Wünschen, Erfahrungen, kurz: auf unserer Phantasie) und nicht auf Sinneswahrnehmungen wie diejenige von Vergangenheit und Gegenwart. Die Unsicherheit kann sowohl in Bezug auf das erwartete Ereignis (Was genau erwartet mich am Ende der Wartezeit? Tritt das erwartete Ereignis überhaupt ein?), als auch in Bezug auf die Wartezeit selbst (Wie lange dauert sie? Geschieht etwas Unerwartetes?) bestehen. Diese aus der Zukünftigkeit des erwarteten Ereignisses resultierenden Unsicherheit versucht der Wartende meistens entgegenzuarbeiten, er sucht nach Sicherheit, nach Struktur in der Wartesituation. Verfügt er über viele auf die Wartezeit und das Objekt der Erwartung bezogene Informationen oder Erfahrungen, kann er sich daraus ein relativ genaues und auch mit großer Wahrscheinlichkeit zutreffendes Bild konstruieren, was ihn während und schließlich am Ende der Wartezeit erwartet. Eine solchermaßen "vorhersehbare" Wartezeit braucht dann bloß noch „abgewartet" zu werden. Der Wartende weiß verläßlich, was wann und wie eintritt, er hat eine Vorstellung über Art und Dauer des Warteprozesses und auch über das Resultat desselben und wird nicht mehr von einer Ungewißheit, sondern nur von seiner eventuellen Ungeduld gequält. Das Warten an der Ampel ist für die

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meisten Menschen eine solche vorhersehbare Wartezeit. Steht man an der roten Ampel, ist man sich relativ sicher, das sie auf Grün wechseln wird, man verfügt über eine Sicherheit in Bezug auf das erwartete Ereignis und hat auch eine durch Erfahrung gebildete Vorstellung, wie lange es in etwa dauern kann, bis die Ampel umschaltet. Problematisch wird eine solche Wartezeit allerdings dann, wenn uns unsere Erfahrung und unser Wissen trügen, wenn sich die Wartezeit oder das Ergebnis nicht so gestalten wie wir das vorausgesehen haben, also z. B. die konkrete Ampel nicht wie andere Ampeln nach spätestens zwei Minuten auf Grün geschaltet hat und wir nun nicht mehr sicher sind, wie lange die Rotphase noch dauert, ob sie überhaupt jemals Grün zeigen wird oder kaputt ist.So verläßlich wie das Warten an der Ampel sind die meisten Wartezeiten jedoch nicht. Entweder besteht eine Unsicherheit bezüglich der Wartezeit (wir können zwar sicher davon ausgehen, das wir sterben werden, wann und wie das geschehen wird wissen wir aber nicht genau, müssen unser Leben lang mit dieser Unsicherheit umgehen) oder bezüglich des Objektes der Erwartung (Zwar verraten die Eltern alles über die Wartezeit: "Dreimal werden wir noch wach, heißa, dann ist Weihnachtstag!" Ob aber das Christkind an Weihnachten auch Geschenke bringt und wenn ja, was für welche, bleibt ungewiß.) und natürlich oft auch auf beides (wenn wir weiterhin die Umwelt so kaputt machen, wird das irgendwann noch mal böse enden). Diese Ungewißheit wird vom Wartenden selten passiv ertragen. Er sucht in der Wartezeit nach Informationen, die ihm die fehlende Sicherheit liefern könnten, seine Sinne und sein Denken trachten laufend nach Anhaltspunkten, die ihm Aufschluß über Warteprozeß und -ergebnis

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geben. Augenfällig wird das z. B. im U-Bahnhof, wo die Wartenden aufmerksam in die Richtung schauen, aus der sie den Zug erwarten, jeden Luftzug und jedes Rumpeln, das sie, nicht wartend, überhört hätten, wahrnehmen und als Indiz für das Eintreffen des Zuges werten.20

Die fehlende Sicherheit in Bezug auf die Zukunft kann sich der Wartende aber nicht nur durch logisch-kausale Schlüsse zu verschaffen suchen, wofür er stichhaltige Informationen benötigt, sondern auch durch den Willensakt des Glaubens. So haben z. B. die in Ungewißheit über das Schicksal ihrer verschollenen Söhne lebenden Mütter in Kriegszeiten, weil ihnen verläßliche Informationen fehlen, meist nur die Möglichkeit, daran zu glauben, daß ihre Kinder zurückkehren, um das bange Warten einigermaßen ertragen zu können21.

Der Aspekt des Interesses

Der Wartende hat ein emotionales Interesse an dem zukünftigen Ereignis, auf das er seine Aufmerksamkeit gerichtet hat. Diese Emotion, also entweder eine Hoffnung, eine Furcht oder auch ein Gemisch aus beidem, bezieht sich ausschließlich auf das Objekt des Wartens, nicht auf die Wartezeit selber, färbt diese aber gleichsam ein, versetzt den Wartenden in einen Zustand der Spannung. Die Furcht, die unseren Aufenthalt im Zahnarztwartezimmer prägt, ist ja keine Furcht vor dem Warten selber, sondern vor dem Bohrer,

20Der häufig anzutreffende Blick auf die Uhr ist ein solcher Versuch, sich Klarheit über die Wartezeit zu verschaffen, auch wenn er nur die allgemeine Information liefern kann: "Zeit ist vergangen, das erwartete Ereignis näher gerückt" und daher für den Wartenden meist nicht sehr befriedigend ist.21Auch die christlich-jüdische Religion, also ein nicht unbedeutender Teil unserer Kultur, ist von einem solchen auf Glauben basierendem Warten auf die An- oder Wiederkunft des Messias geprägt.

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der uns am Ende der Wartezeit Schmerzen zuzufügen droht. Daß die Art der Emotion das Erleben der Wartezeit unterschiedlich beeinflußt, ist evident. Wer in einem Café sitzt, um auf die Geliebte zu warten, nimmt diese Zeit natürlich anders wahr als derjenige, der dort sitzt, um einen Gläubiger um Zahlungsaufschub zu bitten. Natürlich unterscheidet sich auch die Stärke der Emotion je nachdem, wer wartet (ein Kind verknüpft z. B. meist eine viel größere Hoffnung mit seinem Geburtstag als ein erwachsener Mensch) und auf was gewartet wird (Unser Interesse am Wechsel der Ampelphase ist meist relativ gering,22 während die Wartezeit des zum Tode verurteilten von sehr starken Emotionen, der Angst vor dem Tod, der Hoffnung auf Begnadigung, dominiert wird). Durch das Interesse am Resultat der Wartezeit wird das Dazwischen, die eigentliche Wartezeit zum sekundären Zustand degradiert. Alles, was sich in ihr ereignet, wird auf das erhoffte oder befürchtete Ereignis bezogen, an ihm gemessen. Die Zukunft interessiert uns, nicht das aktuelle Geschehen, die Gegenwart schrumpft zusammen. „Warten heißt: Voraneilen, heißt: Zeit und Gegenwart nicht als Geschenk, sondern nur als Hindernis empfinden, ihren Eigenwert verneinen und vernichten und im Geist überspringen."23 Die Zeit bekommt so für den Wartenden als das einzige Hindernis, das zwischen ihm und dem Objekt seiner Erwartung steht, eine besondere Bedeutung. Erhofft er ein Ereignis, ist sie Ärgernis, befürchtet er etwas, kann sie eine Art Schutzwall sein, eine „Galgenfrist". Diese Zeit ist für den Wartenden also wichtig,

22So gering, daß die drei alten Damen die vom schnellen Ampelwechsel auf einer schmalen Verkehrsinsel festgesetzt wurden, das grüne Licht vier Phasen lang ignorieren können, weil sie beim Warten ins Gespräch geraten sind.23Thomas Mann: Gesammelte Werke. Frankfurt/M. 1974. Bd. 3. S. 335.

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allerdings ist sie in gewisser Weise leer, da das Interesse des Wartenden der Zukunft gilt, seine Sinne dorthin gerichtet sind und er für die Gegenwart kein Auge hat, Zeit aber nur durch das sinnliche Wahrnehmen von konkreten Geschehensabläufen24

erlebbar wird. Eine solchermaßen leere Zeit hat die Tendenz sich auszudehnen, zu einer richtungslosen, amorphen Masse zu werden, wenn die Erwartung, die Emotion nicht stark genug ist, den „Gegenwartsverlust durch Zukunftsaussicht, situatives Stillhalten durch im Geiste forciertes Vorwärtsstreben zu kompensieren. Ohne den Zeitpfeil der Erwartung hingegen macht sich das Gefühl der totalen Stagnation, der Zeitleere breit. In diesem Fall grenzt der Zustand des Wartens an die Verfassung der Langeweile, für die das nämliche Paradox von Dehnung [der Zeit] und Kürzung [der Gegenwart] charakteristisch ist.„25 Langeweile ist demnach quasi ein Warten ohne Erwartung.

Der Aspekt der Unbeeinflußbarkeit

Warten hat immer etwas Schicksalhaftes, denn der Wartende ist dem zukünftigen Ereignis, in dessen Banne er steht, hilflos ausgeliefert (zumindest meint er, hilflos zu sein). Weder kann er das Eintreffen oder das Ausbleiben seiner Erwartung provozieren, noch die Dauer der Wartezeit verlangsamen oder beschleunigen; er steht dem Objekt seiner Erwartung und dem Warteprozeß passiv gegenüber: Wer auf der Autobahn im Stau warten muß, kann noch so dringend nach Hause wollen, er kommt nicht schneller voran.

24Genaugenommen resultiert sie aus der Differenz zwischen aktueller Wahrnehmung und Erinnerung.25vgl. hierzu Lothar Pikulik a. a.O., S. 17f.

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Daß Ziel und Weg des Wartens vom Wartenden nicht beeinflußt werden können, bedeutet jedoch nicht, daß der Wartende in Apathie verfallen müßte. Im Gegenteil, oft ist gerade die Wartezeit von motorischer Aktivität gekennzeichnet, der Wartende versucht, auf diese Art seine de facto bestehende Machtlosigkeit zu überspielen: Die Reisenden laufen unruhig auf dem Bahnsteig hin und her, obwohl sie natürlich wissen, daß dadurch der Zug nicht beschleunigt werden kann. Diese „sinnlose" Aktion lenkt sie trotzdem von ihrer Machtlosigkeit ab. Der Wartende kann aber seiner Machtlosigkeit auch subtiler begegnen. Er ist nur in Bezug auf den objektiven Vorgang, der zum Eintreffen des Erwarten führt, hilflos, nicht jedoch in Bezug auf seine Wahrnehmung davon. Die auf das Objekt der Erwartung bezogenen Informationen, nach denen der Wartende in der Wartezeit Ausschau hält, geben dem Wartenden nicht nur Sicherheit und bestätigen ihn in seiner Erwartung. Sie dienen ihm auch dazu, seine Erwartung mit dem realen Geschehensablauf in Einklang zu bringen, Differenzen zwischen dem realen Vorgang und dem Vorhergesagten auszugleichen. Der Wartende korrigiert also in der Wartezeit ständig seine Erwartungshaltung, indem er die auf sie bezogenen Sinneseindrücke verarbeitet. So mag ein Fahrgast auf dem S-Bahnsteig stehen und anfänglich auf das Eintreffen eines Zuges um 8.33 Uhr warten. Da um 8.30 Uhr die S-Bahn am Horizont immer noch nicht zu sehen ist, korrigiert er seine zeitliche Erwartung, rechnet jetzt mit einem verspäteten Eintreffen des Zuges. Bemerkt er nun, daß Arbeiten im Gleisbett stattfinden, korrigiert er seine Erwartung abermals, schließt aus seiner Beobachtung, daß Schienenersatzverkehr stattfinden müßte, findet

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auch einen Anschlag, der ihm dies bestätigt und wartet schlußendlich am Straßenrand auf das Eintreffen eines Ersatzbuses um 8.40 Uhr. Aber nicht nur die Erwartung in Bezug das Objekt (Bus statt S-Bahn) und den Prozeß (8.40 Uhr statt 8.33 Uhr) kann sich in der Wartezeit ändern, auch das Interesse des Wartenden am erwarteten Objekt kann nachlassen, gar ganz verschwinden (natürlich kann es auch zunehmen): Die Aussicht auf ein Eis an einem heißen Sommertag mag zwar zunächst verlockend erscheinen, nach einer Viertelstunde Schlange stehen vor dem Eisstand nimmt das Interesse aber spürbar ab, verschwindet angesichts der Tatsache, daß noch 23 Leute vor uns in der Schlange stehen, schließlich ganz, wir verlassen die Schlange und somit den Wartezustand und erfrischen uns statt dessen durch ein Bad im nahen See.

Die drei Eckpfeiler des Wartezustandes, die Zukünftigkeit, das Interesse und die Unbeeinflussbarkeit, rufen beim Wartenden also die Gefühle von Unsicherheit, Spannung, Hilflosigkeit und Zeitleere hervor. Da der „wahrscheinlich am seltensten anzutreffende Gemütszustand beim Warten die Geduld, das Warten-können"26 ist, versucht der Wartende, diesen Gefühlen zu begegnen, indem er sich kompensatorisch betätigt (z. B. glaubt, sich bewegt) und nach auf die Erwartung bezogenen Sinnesreizen Ausschau hält, welche er zur Strukturierung der leeren Zeit beim Warten, zur Überprüfung seiner Erwartung und nötigenfalls zu deren Korrektur verwendet. So gesehen ist die Wartezeit keine dumpfe, leere, sondern eine unter 26 Lothar Pikulik, a. a. O., S. 19.

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dem Vorzeichen der Wachsamkeit, eines „zögernden Geöffnetseins“27 und der gedanklichen Auseinandersetzung mit der Erwartung stehende Zeit.

Zur Wartezeitgestaltung

Die Frage, wie sich der Wartende im einzelnen in der Wartezeit einrichtet, wie er sie sich selbst gestaltet, ist zu komplex, um sie im Rahmen dieser Arbeit angemessen zu erörtern. Eine grobe Übersicht über die grundsätzlichen Möglichkeiten, die dem externen Gestalter bleiben, von außen auf die durch Zukünftigkeit, Interesse und Machtlosigkeit gekennzeichnete Wartezeit Einfluß zu nehmen ist aber angebracht, da im weiteren die Gestaltung von Wartezeit am Computer näher beleuchtet werden soll.Wartezeitgestaltung heißt, als Außenstehender auf die Wahrnehmung des Wartenden verändernd einzuwirken. Dies kann auf zweierlei Arten geschehen: durch Ablenkung vom Objekt der Erwartung und durch das Modifizieren der Sinnesreize, die der Wartende empfängt. Als ein weiterer Punkt wird hier auch das etwas anders geartete Problem des künstlichen Erzeugens des Wartezustandes, des gezielten Einsatzes von Wartezeiten behandelt; dann geht es also nicht um die Gestaltung von sondern um Gestaltung mittels Wartezeiten.

Die Ablenkung vom Warten

27 Sigfried Kracauer: Die Wartenden. In : Das Ornament der Masse. Frankfurt/M. 1974, S. 116.

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Die bekannteste Art der Wartezeitgestaltung ist strenggenommen gar keine, da der Wartende hierbei dazu gebracht wird, sein Interesse am erwarteten Ereignis aufzugeben, also den Wartezustand (zumindest für eine gewisse Zeit) zu verlassen. Die Wartezeit wird dabei also nicht gestaltet, sondern der Wartende wird vom Ziel seines Wartens abgelenkt. („Papi wann kommt den endlich die Mammi wieder?" - "Schau mal, da vorne gibt es Eis, soll ich dir eins kaufen?“) Allerdings muß der ablenkende Reiz stärker und attraktiver sein als das Interesse des Wartenden am Objekt der Erwartung. Vermag es der ablenkende Reiz nicht,das Interesse des Wartenden auf sich zu lenken und vom zukünftigen Ereignis abzuziehen, wird er vom Wartenden im günstigsten Falle ignoriert, meist jedoch als Störung, als Zumutung empfunden. („Ich will aber kein Eis, ich will die Mammi!“) Oft halten sich solche Ablenkungsreize im Hintergrund, sie sind ein Angebot an den Wartenden, sich mit ihnen zu befassen, wie z. B. die Magazine im Wartezimmer des Arztes, die wohl nur von demjenigen beachtet und zur Hand genommen werden, der sich auch ablenken lassen will. Werden die Reize dem Wartenden jedoch aufgedrängt, wird die Wartesituation oft nur als noch unangenehmer empfunden. Derjenige, der sich telefonisch im Krankenhaus nach dem Gesundheitszustand eines verunglückten Angehörigen erkundigt und dem in den bangen Warteminuten bis zur Auskunfterteilung „beruhigende“ klassische Musik aus dem Hörer entgegenschallt, wird sich dadurch kaum von den ihn quälenden Gedanken ablenken lassen. Der Ablenkungsreiz steht hier in keinem Verhältnis zum emotionalen Druck, unter dem der Wartende steht und wird deshalb bloß zu einer zusätzlichen Belastung.

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Leider gehen etliche Gestalter noch nach der zu einfachen Gleichung vor: Wartezeit ist belastende, weil (sinnen)leere Zeit, und Wartezeitgestaltung wird gleichgesetzt mit einem Anfüllen dieser Zeit durch möglichst viele, starke Sinnesreize.28 Am Ende sitzt dann der Wartende im Zahnarztwartezimmer, während rings um ihn die Musik schallt, Monitore flimmern und ein Raumparfüm seinen Duft verströmt, und hat bei all dem Lärm um ihn herum doch bloß ein Ohr für das kaum hörbare Geräusch des Bohrers im Nebenraum, auf den seine Gedanken und Sinne fixiert sind. Alle anderen Reize interessieren den Wartenden in dieser Situation nicht, da sie nicht in Beziehung zum Erwarteten stehen. Er unternimmt dagegen Anstrengungen, um die ihn interessierenden Informationen aus all den anderen Reizen herauszufiltern. Subtilere Gestaltungsstrategien versuchen daher, den Wartenden abzulenken, indem sie sich der Sinnesreize bedienen, die der Wartende mit dem Objekt seiner Erwartung verknüpft. Sie lenken so sein Interesse nach und nach auf etwas anderes. (Also: „Papi wann kommt endlich die Mammi?" - "Guck mal da an der Ecke, ist sie das nicht ? Oder dort hinten am Baum?“ Irgendwann wird dann schließlich statt der Mama der Eismann „entdeckt“.)Ist es dem Wartezeitgestalter gelungen, den Wartenden vom Warten abzulenken - und in vielen Fällen des alltäglichen Wartens fällt das auch nicht sehr schwer, da die Emotion, die der Wartende mit der Erwartung verknüpft, nicht sehr stark ist - wird ein anderes Problem akut: Der ehemals Wartende und jetzt Abgelenkte muß informiert werden, wenn das ursprünglich erwartete Ereignis schließlich eingetreten ist. Läßt sich z. B. der Reisende vom Warten 28Patrick Müller und Oliver Veth unterbreiten solche Vorschläge in ihrer Arbeit. Müller, Patrick; Veth, Oliver: Warten auf... - der Umgang mit der Zeit dazwischen. Nichtpublizierte Studienarbeit an der HdK Berlin 1994.

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auf den Zug ablenken und in eines der attraktiven Bahnhofscafés locken, muß er rechtzeitig durch eine Anzeige oder eine Lautsprecherdurchsage daran erinnert werden, daß er eigentlich hier ist, um Zug zu fahren und nicht, um Kaffee zu trinken und sich zu unterhalten. Ansonsten kann es durchaus vorkommen, daß der abgelenkte Wartende den Zug verpasst.Die Methode der Ablenkung von der Wartezeit wird allerdings nicht nur angewendet, um schon Wartende vom Warten abzubringen, sondern auch im Vorfeld von Wartezeiten, quasi präventiv. Der potentiell Wartende wird also durch Einsatz von ablenkenden Reizen schon daran gehindert, ein Interesse an einem zukünftigen Ereignis zu entwickeln und in einen als unangenehm empfundenen Wartezustand zu geraten. Teilweise wird er dadurch ganz vom Warten abgehalten oder der Beginn der Wartezeit wird herausgezögert.

Die eigentliche Wartezeitgestaltung

Bei der eigentlichen Wartezeitgestaltung verbleibt der Wartende im Wartezustand, seine Sinne und Gedanken bleiben auf das Objekt der Erwartung gerichtet, sie nimmt lediglich Einfluß auf das „Wie“ des Wartens. Der Gestalter modifiziert hier das Umfeld des Wartenden, um die Wahrnehmung des Wartenden indirekt zu beeinflussen. Eine solche Umfeldgestaltung kann bloß darin bestehen, daß der Wartende vor unangenehmen Umgebungsreizen abgeschirmt wird. Daß er beispielsweise beim Warten auf den Bus nicht ungeschützt im Eisregen stehen muß, sondern einen Wind- und Regengschutz mit Sitzmöglichkeit vorfindet. Solche Warteorte können darüber hinaus auch so gestaltet sein, daß sie eine

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bestimmte Grundstimmung, also z. B. Ruhe, Helligkeit und Weite ausstrahlen, die auf die Befindlichkeit des Wartenden positiv einwirkt.Im ruhigen, sonnigen, großzüg gestalteten Wartezimmer des Hausarztes läßt es sich sicher angenehmer warten als im engen, von Neonröhren erhellten Gang der Krankenhausnotaufnahme.Der Gestalter hat allerdings nicht nur die Möglichkeit, die Stimmung des Wartenden durch Umfeldgestaltung gleichsam einzufärben, er kann dem Wartenden auch helfen, die Wartezeit zu strukturieren, ihm Sicherheit in Bezug auf das erwartete Ereignis und den dahin führenden Prozeß zu geben. Der Gestalter verstärkt, schafft oder zeigt dem Wartenden in diesem Falle Informationen, die geeignet sind, seine Unsicherheit über den Fortgang des Prozesses und das Objekt der Erwartung zu mildern, die also eine Beziehung zur Wartezeit haben. Der Fahrplan an der Bushaltestelle vermittelt dem Wartenden die Information, daß in wenigen Minuten ein Bus zu erwarten ist, bietet ihm ein Stück Sicherheit in Bezug auf das Eintreffen des Busses und die Länge der Wartezeit29. Befindet sich jetzt noch eine Uhr in Blickweite, kann der Wartende sich ständig über das Näherrücken des erwarteten Ereignisses informieren. LCD-Displays, die anzeigen, in wieviel Minuten welche Straßenbahn zu erwarten ist (diese werden z. B. von den Leipziger Verkehrsbetrieben eingesetzt), vermitteln diese Informationen noch anschaulicher. Lösungen, die die aktuelle Position des Verkehrsmittels durch einen Lichtpunkt auf der Landkarte visualisieren oder gar eine Liveübertragung aus dem Cockpit wären denkbare Mittel, dem Wartenden an der Haltestelle noch mehr

29Diese Sicherheit wird natürlich nur dann vermittelt, wenn der Kunde sich auf den Fahrplan verlassen kann, die Busse in aller Regel auch pünktlich fahren.

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Informationen über das „Wann“ und „Wie“ des erwarteten Eintreffens seines Verkehrsmittels anzubieten. Generell ist festzustellen: Je mehr zuverlässige Informationen der Gestalter dem Wartenden in der Wartezeit liefert, desto leichter fällt diesem das Warten, und um so besser kann er seine Wartezeit strukturieren. Eigentliche Wartezeitgestaltung heißt also im Grunde, den oftmals im verborgenen ablaufenden Prozeß, der zum Eintreffen des Erwarteten führt, möglichst transparent und verstehbar zu machen. Selbstverständlich spielt auch bei der eigentlichen Wartezeitgestaltung die Art und Weise, wie die für den Wartenden relevanten Informationen vermittelt werden, eine Rolle, insbesondere natürlich in von starken Emotionen geprägten Wartezeiten. Fluggesellschaften setzen z. B. im Falle von Entführungen oder Abstürzen speziell geschultes Personal ein, um den besorgt wartenden Angehörigen die aktuellen Informationen über die laufenden Ereignisse schonend zu vermitteln.

Das Erzeugen von Wartezeiten

Nachdem es in den beiden vorherigen Abschnitten um Möglichkeiten ging, wie der Zustand des Wartens vermieden oder entschärft werden kann, wird im Folgenden das absichtliche Schaffen oder Verlängern von Wartezeiten und das künstliche Versetzen von Menschen in den Zustand des Wartens untersucht. Neben den Methoden, mit denen dies bewerkstelligt werden kann, interessieren hier natürlich vor allem die Motivationen und die Frage, warum dieser eher negativ belegte Zustand des Wartens künstlich hervorgerufen wird.

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In vielen Fällen macht sich der Erzeuger von Wartezeiten den Aspekt der Machtlosigkeit des Wartenden zunutze. So werden Wartezeiten häufig als Instrument der Macht- und Hierarchiedemonstration eingesetzt, der Stärkere kann den Schwächeren warten lassen.30 Bei Einstellungsgesprächen ist es z. B. fast schon die Regel, daß der Arbeitgeber verspätet erscheint, während vom potentiellen Arbeitnehmer natürlich absolute Pünktlichkeit erwartet wird.Der Mächtige kann auf diese Weise seine Überlegenheit zeigen, weil er es sich leisten kann, sein Gegenüber zu ignorieren, während der Schwächere aufgrund seiner Abhängigkeit ein Interesse am Erscheinen des anderen hat und deshalb ausharrt und die Unsicherheit und Machtlosigkeit der ihm aufgezwungenen Wartezeit ertragen muß. Im politischen Geschehen ist diese Art der - auch öffentlich demonstrierte - Macht- und Unterwürfigkeitsgeste häufig anzutreffen. Wenn beispielsweise eine Bürgerinitative dem politisch Verantwortlichen Unterschriften für den Erhalt eines von einem Fabrikneubau bedrohten Landschaftsstriches überreichen will und auf die Entgegennahme durch einen untergeordneten Sekretär stundenlang warten muß, während der Investor jederzeit Zugang zum Büro des Politikers hat, werden nicht nur den wartenden Umweltschützern, sondern auch der Öffentlichkeit Machtverhältnisse demonstriert. Als ein Machtmittel wird Wartezeit auch in gewaltsamen Auseinandersetzungen verwendet, hier wird vor allem der Zustand der Unsicherheit, durch das aufgezwungene Warten hervorgerufen, für die Zermürbung des Gegners benutzt. So 30Müller und Veth verweisen auf einen Aufsatz von Barry Schwartz: „Waiting, Exchange and Power“, in dem dieser Zusammenhang zwischen Verteilung der Macht und Verteilung von Wartezeit untersucht wird.

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versucht die Polizei bei Geiselnahmen oft, die Täter durch Verzögerungstaktiken soweit zu verunsichern, daß sie zum Aufgeben überredet oder überwältigt werden können.Als taktisches Mittel läßt sich die Wartezeit, genauer der Aspekt der Unbeeinflußbarkeit in Bezug auf den Prozeß und das Objekt des Wartens, auch noch auf andere Weise nutzen. So kann ein Zeitraum, der im Prinzip keine Wartezeit ist, weil das Subjekt eigentlich Einfluß auf den Prozeß und das Ergebnis nehmen könnte, als Wartezeit deklariert werden, um eben diese Einflußnahme zu verhindern. Es wird dem Betroffenen eingeredet, daß er keinen Einfluß auf das künftige Ereignis hat und daß er lediglich passiv darauf warten kann. Auch diese Taktik wird häufig in der Politik angewendet. Der Politiker entwirft sein Bild von der Zukunft und stellt es als zwangsläufig eintretend, außerhalb des Einflußbereiches der Bürger und des politischen Gegners liegend dar. Gelingt ihm das überzeugend genug, wird der - möglicherweise doch Erfolg bringende - Versuch einer Einflußnahme von als von vornherein aussichtslos betrachtet und unterlassen.Das Verlängern oder das künstliche Schaffen von Wartezeiten findet aber nicht nur unter dem Vorzeichen der Machtausübung statt, es kann sogar vom Wartenden durchaus gewünscht und gewollt sein. Wartezeit kann nämlich auch als ästhetisches Mittel verwendet werden, um ein besonderes Ereignis hervorzuheben. In dieser Funktion finden sich entsprechend gestaltete Wartezeiten sehr häufig als Bestandtteile von religiösen, aber auch alltäglichen Ritualen. Der Gourmet wäre bestimmt sehr verwundert, wenn er im Feinschmeckerrestaurant unmittelbar nach seiner Bestellung sofort die gewünschten Speisen auf den Tisch gestellt bekäme. Hier ist die, durch die Einnahme von einem Apperitiv, die Auswahl der

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Getränke usw., strukturierte Wartezeit Teil des ästhetischen Gesamtereignisses, ohne die das Mahl viel von seinem Zauber verlieren würde.Im religiösen Ritus sind solche von einer Erwartung geprägten Zeiträume vor jedem größeren Festereignis vorgesehen: Bevor das Osterfest gefeiert werden kann, gibt es eine Fastenzeit, vor dem Weihnachtsfest steht die Adventszeit. Das Interesse der Gläubigen wird schon im Vorfeld des Festes auf das kommende Ereignis gelenkt und die so geschaffene Wartezeit zur innerlichen Vorbereitung auf das künftige Ereignis genutzt. Am Ende dieser Wartezeit, die bewußt karg gestaltet ist, wird das Fest viel intensiver erlebt. Das Erleben des Kontrastes zwischen der langen, reizarmen Wartezeit und dem Festakt wertet diesen auf und streicht seine Besonderheit heraus.In einem völlig anderen Kontext taucht dieses Prinzip der Erlebnissteigerung durch das Vorschalten einer Wartezeit in der Werbestrategie eines großen Süßwarenherstellers auf. Die Botschaft „bald ist wieder MonCherie-Zeit“ weckt beim Konsumenten eine Erwartung, die dieser von selbst kaum entwickelt hätte, und wahrscheinlich hat er es gar nicht registriert, daß besagte Schokopralinen eine Zeitlang im Supermarktregal fehlten. Diese einmal geweckte Erwartung wird jetzt gesteigert, indem in den Werbebotschaften die Tage bis zum „MonCheri-Tag“ vorgezählt und das Ereignis genau terminiert wird. Findet der Konsument dann an besagtem Termin im Supermarkt tatsächlich an hervorragender Stelle ein Regal mit jenen Schokopralinen, kauft und verzehrt er sie in dem Bewußtsein, wirklich etwas vermißt zu haben, die Pralinen schmecken dann tatsächlich besser als das das ganze Jahr über erhältliche Konkurrenzprodukt.

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Teil:2

WARTEZEICHEN

Zur Einführung

Im Folgenden soll nun am Beispiel des Personalcomputers untersucht werden, wie Wartezeit konkret gestaltet ist, und natürlich auch, was dort an Gestaltungsarbeit noch zu tun bleibt. Daß ausgerechnet der Computer und insbesondere das Internet im Hinblick auf Wartezeiten betrachtet werden soll, mag auf den ersten Blick verwundern, da diese Technologien schon fast symbolhaft für die Begriffe Geschwindigkeit, Beschleunigung, Fortschritt, kurz: für die Überwindung von Zeit und Raum stehen 31.

Andererseits mag niemand leugnen, daß im Computeralltag die graphische Abbildung einer Uhr, trotz allem Fortschritt in der Speicher-, Prozessor- und Übertragungstechnik, nach wie vor ein häufig - wenn auch nicht unbedingt gerne - gesehenes Symbol ist und auch das Kürzel WWW nicht nur von Computerignoranten, sondern gerade von Computerschaffenden nicht mehr als World Wide Web, sondern als World Wide Waiting oder, im deutschen Sprachraum, als weltweites Warten interpretiert wird32. Daß das Thema Warten und somit auch die Wartezeitgestaltung auch in näherer Zukunft nicht aus der Interaktion Mensch - Computer verschwinden wird, ist trotz aller technischen Fortschritte absehbar. Die Rechnerleistung wird zwar immer schneller, proportional dazu werden aber auch die Programme immer komplexer, fressen also

31wie vorher schon die Eisenbahn, das Flugzeug, der Telegraph etc.32z.B. M. Schirner in „form„ 161 S.16; J. Neugebauer (Computerstudio KHB); mehr zum Thema u.A. unter http://inss1.etec.uni-karlsruhe.de/%/Eerb/fachbegriffe_der_informatik

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die gewonnene Rechnerleistung weitgehend wieder auf, so daß der Zeitgewinn für den Nutzer de facto geringer ist als man gemeinhin annimmt. Hinzu kommt, daß die Toleranz, die der Computernutzer bisher - mit dem Hinweis auf die Neuheit der Technik,oder den rasanten Veränderungen in der Computerwelt- schlecht gestalteten Wartezeiten (und Benutzeroberflächen) entgegenzubringen bereit war, im Schwinden begriffen ist. Man erwartet zunehmend effizient funktionierende Systeme, betrachtet die Leistung der neuen Medien differenzierter und kompensiert ihre Mängel immer weniger durch den Technikenthusiasmus, der in den Pioniertagen des Computers, neben dem militärischen Interesse, die rasante Entwicklung und Durchsetzung dieser Technologien vorantrieb. Aber werden wir konkret, wann entstehen für den Benutzer Wartezeiten am Computer ?Die erste begegnet uns sofort nach dem Einschalten des Computers, sowoh der Bildschirm als auch das Betriebssystem brauchen, systemunabhängig, einige Zeit, bis sie „hochgefahren“ und somit benutzbar sind.Weitere Wartezeiten treten beim Starten und Beenden von Applikationen, beim Laden und Speichern von Daten, beim Benutzen von Peripheriegeräten (Drucker, Scanner etc.), beim Kopieren von Daten, beim Austausch über Netzwerke und bei jeder Befehlseingabe, die größere Rechenoperationen zur Folge hat, auf. Auch beim Beenden von Programmen und vor dem Ausschalten des Computers muß noch einmal gewartet werden. Wie lange diese Wartezeiten im einzelnen dauern, hängt natürlich von sehr vielen verschiedenen Faktoren, wie z.B. der Prozessorleistung, der Architektur und Konfigurierung von Betriebssystem und Applikationen, dem „Datenverkehr“ in Netzwerken, dem

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verfügbaren Haupt- und Zwischenspeicher, kurz vom Zusammenspiel einer für Laien und manchmal auch für Fachleute unüberblickbaren Vielzahl technischer Faktoren ab. Der Nutzer muß also beim Umgang mit dem Computer an diversen Stellen warten. Die Arten und Weisen, wie der Computer seinem Gegenüber anzeigt, daß dieser zu warten hat, und der Zweck, den diese Anzeigen erfüllen, ist das Thema dieses Teils der Arbeit.

Zur allgemeinen Funktion der Wartezeitanzeigen

Betrachtet man das Problem des Wartens am Computer unter rein technisch-funktionalen Aspekten, also von der Maschinenseite aus, so besteht keine Notwendigkeit, den Nutzer über das Auftreten von Wartezeiten zu informieren. Ist das System durch die Abarbeitung eines Befehls ausgelastet, werden automatisch die Eingabekanäle so lange gesperrt, bis wieder Ressourcen zur Verfügung stehen. Gibt der Nutzer in dieser Zeit Befehle ein, werden diese, mit Ausnahme einiger brutaler Abbruchbefehle, einfach ignoriert, da es sonst zu einer Überlastung des Systems, dem Absturz des Computers kommen würde.Von den fünf (nicht technischen) Aspekten, die laut Shneiderman33

für die Benutzbarkeit von user-interfaces relevant sind, haben zwei mit der Anzeige von Wartezeiten und der Wartezeitgestaltung zu tun, nämlich die Fehlerrate (user error rate) und die subjektive Befriedigung des Nutzers (subjektive user satisfaction). Die übrigen Aspekte, die Erlernbarkeit (ease of learning), die Geschwindigkeit der Problemlösung (speed of user task performance) und der

33Ben Shneiderman: Designing the User Interface,.New York 1992.

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Merkbarkeit (user retention over time) können durch Wartezeitanzeigen nicht direkt beeinflußt werden.1. Die Fehlerrate kann durch Wartezeitanzeigen insofern reduziert werden, als der Nutzer eine Information benötigt, die ihm ermöglicht zu unterscheiden, ob der Computer mit einer Operation ausgelastet ist und sich der Nutzer eine Weile gedulden muß, oder ob das System abgestürzt und ein Abbruch oder Neustart erforderlich ist. Fehlt diese Information, weil eine entsprechenden Anzeigen nicht vorhanden oder unzulänglich gestaltet ist, steigt die Fehlerrate, der Nutzer bricht, in der Annahme, der Computer sei abgestürzt, funktionierende Rechenprozesse irrtümlich ab. Daß heutzutage viele Wartezeitanzeigen in dieser Hinsicht nicht optimal funktionieren, weiß jeder, der schon einmal aus dem Blinken der Dioden am Computergehäuse und aus dem Schnarren der Festplatte versucht hat, darauf zu schließen, ob sich das Uhrsymbol auf dem Bildschirm einfach aus Spaß nicht mehr dreht, oder ob der Computer tatsächlich abgestürzt und die Arbeit der letzten Viertelstunde im Nirvana gelandet ist.2. Auf die subjektive Zufriedenheit des Nutzers kann durch Wartezeitgestaltung, jedenfalls theoretisch, immens Einfluß genommen werden, da Wartezeiten ein enormes Unmutspotential bergen. Wartezeiten sind, neben dem Verlust von Arbeitsergebnissen und Dateien, Hauptärgernis beim Umgang mit Computern. Daß sich die Interfacegestalter mit der Lösung dieses Problems so schwer tun, hängt wohl damit zusammen, daß zeitrelevante Aspekte bei der Mensch-Computer-Interaktion, die bis zu Beginn der 80er Jahre, wenn auch unter anderen Vorzeichen, ein gängiges Forschungsthema waren, gerade in der Zeit, als der Personalcomputer und die graphische Benutzeroberfläche für einen

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Quantensprung in der Computerentwicklung sorgten, aus dem Blickfeld der Entwickler gerieten. Schnellere Computer, so dachte man damals, würden alle Wartezeitprobleme lösen34. Daß diese Vermutung falsch war, zeigt nicht nur die Tatsache, daß auch noch fast 20 Jahre später vor dem Computer gewartet wird, sondern auch das in den letzten Jahren neu erwachte wissenschaftliche Interesse am Themenkomplex Zeit und Computer35. Das Problem wurde also hauptsächlich von der technischen Seite angegangen, und auch die Arbeit von Designern auf diesem Gebiet blieb noch allzu oft auf die bloße grafische Gestaltung von Symbolen und Oberflächen beschränkt.

Zur Klassifizierung der Wartezeitanzeigen

Die einzelnen Wartezeitanzeigen separat in Bezug auf die beiden oben genannten Punkte untersuchen zu wollen, ist angesichts der Vielzahl der Wartesymbole36 illusorisch und auch wenig sinnvoll, da im Endeffekt weniger die genaue graphische Ausgestaltung einer Warteanzeige als vielmehr die allgemeine Art der Informationsvermittlung, deren Gehalt und die Einbettung in den Kontext über ihren Nutzen entscheidet. Eine allgemeinere Klassifikation ist aber für die weitere Arbeit hilfreich.

34vgl. dazu den Aufruf zum Workshop „Time and the Web“ 1997 in Staffordshire.351995 fand z. B. eine richtungsweisende Konferenz zum Thema „Temporal Aspects of Usability“ in Glasgow statt. 36Alleinedie Standardversion von Windows95 bietet dem Nutzer über 20 Symbole an, um die standardmäßige Sanduhr zu ersetzen. Wem das nicht ausreicht, der findet bestimmt im Netz oder auf CD-Roms mit Titeln wie "2000 New Desktop Symbols" das passende oder erstellt sich z. B. mit Icon Mania oder Zonkers seine eigenen Symbole.

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Die Wartezeitanzeigen kann man grob in zwei Gruppen unterteilen: Die direkten Wartezeitanzeigen, welche in erster Linie die Information "bitte warten" vermitteln und die indirekten Wartezeitanzeigen, welche primär etwas anderes anzeigen, indirekt aber auf Wartezeiten verweisen.Die simpelste Form der direkten Wartezeitanzeigen sind statisch: Die Information "warten" wird dort meist als Textnachricht oder einfaches Symbol während der Wartezeit auf dem Bildschirm gezeigt. Beispiele dafür finden sich u.a. beim Betriebssystem DOS (z.B. als Text "please wait" oder aber auch "keine Panik, Finger von der Tastatur") oder Unix (Sanduhrsymbol).Die meisten der heute gebräuchlichen Anzeigen sind jedoch bewegt, liefern also neben der Information "warten" noch die Information "Prozeß läuft stabil". Bei den eher seltenen Textanzeigen dieser Art blinkt etwa der Cursor hinter der Nachricht "wait" oder der gesamte Text, wenn der Prozeß regulär abläuft. Symbolanzeigen dieser Art begegnen einem in den verschiedensten Ausprägungen, von der sich drehenden Sanduhr (Standardwartesymbol des Betriebssystems Windows) oder der Armbanduhr mit bewegtem Zeiger für kürzere Wartezeiten und dem "spinning beachball" für längere des Apple Macinthosh Interfaces, über emsige Bienen und tapsige Dinosaurier (optional in Windows95) bis hin zu aufwendigeren Animationen (z. B. Norton Disc Doctor).Noch mehr Informationen liefern Anzeigen, die zusätzlich versuchen, Auskunft über die voraussichtliche Länge der Wartezeit zu geben oder vermitteln, wieviel Prozent eines Prozesses bereits abgearbeitet sind. Als Textanzeigen begegnen sie uns z. B. beim Herunterladen von Dateien via FTP ("you have to wait aproximately

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15 minutes") oder graphisch als Zeitbalken oder "status bar" beim Installieren von Programmen u.v.a.Indirekte Wartezeitanzeigen sind z. B. das Schwarzwerden des Bildschirms (das uns beim Starten von Windows immer noch begegnet), die Dioden am Computergehäuse (blinken sie oder blinken sie nicht?), Geräusche wie das (künstlich emulierte) Knarren beim Zugriff des Computers auf Laufwerke und Festplatten, Systemnachrichten wie "copying files", "Bereite Druckauftrag vor" usw., die erfahrungsgemäß längere Zeit brauchen und die sogenannten "Startup-" und "Splash screens" die "Titelseiten" von Applikationen, die beim Starten derselben (das ebenfalls Wartezeiten verursacht) erscheinen.Die Verwendung dieser Wartezeitanzeigen, die oft auch kombiniert auftauchen, soll im Folgenden näher betrachtet werden. Die behandelten Wartesituationen, das Warten beim Computerstart, das Warten im Interaktionsprozeß und das Warten im Internet, wurden nicht nur deshalb ausgewählt, weil sie alltägliche Computerwartesituationen sind, sondern auch, weil sich an ihnen beispielhaft die ganze Breite der Wartezeitgestaltung am Computer darstellen läßt.

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Wartezeitgestaltung beim Computerstart

Der Startvorgang beim Apple Macintosh, der beim PowerMac im Computerstudio der Kunsthochschule etwa zweieinhalb Mitnuten dauert, ist in seiner Abfolge genau festgelegt: Nachdem der Nutzer den Startknopf des Computers gedrückt hat und am charakteristischen Geräusch des in Gang gesetzten Bildschirms erkennen konnte, daß diese Aktion erfolgreich war, wechselt der Computerbildschirm allmählich seine Farbe vom Schwarz zum charakteristischen Grau. Der Apple Macintosh präsentiert jetzt dem Benutzer auf der grauen tabula rasa ein schlichtes Symbol, den sogenannten Happy Mac. Funktional gesehen vermittelt dieser die Botschaft, daß das Betriebssystem ordnungsgemäß gestartet wurde. Gibt es Probleme, erscheint an der selben Stelle ein anderes Symbol (z. B. eine Diskette mit einem blinkenden Fragezeichen). Anschließend erscheint ein Fenster mit dem Computersymbol und der Textbotschaft „Willkommen!“ Nachdem der Computer den Nutzer solcherart „begrüßt“ hat, erscheint ein etwas größeres und entwicklungsgeschlichtlich jüngeres Fenster, welches das Logo des Betriebssystems zeigt und einen Prozeßbalken am unteren Rand trägt. Während der Benutzer nun das Logo betrachtet und den Schriftzug MacOS studieren und dem Wachsen des „Das System wird gestartet“ überschriebenen Prozeßbalkens zuschauen kann, erscheinen nach und nach am unteren Bildschirmrand eine Reihe von verschiedenen Symbolen, die die Konturen von Puzzleteilen haben. Es sind dies die graphischen Repräsentanten der Kontrollfelder und Systemerweiterungen, die in den Speicher geladen werden. Hat der Prozeßbalken sein Fenster vollständig ausgefüllt, verschwindet das Fenster und mit ihm die Symbole am

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Bildschirmrand. Auf dem grauen Hintergrund, der jetzt im oberen Rand eine weiße Leiste hat, erscheinen das kleine Armbanduhrsymbol und nach und nach die Überschriften und Symbole der Schreibtischoberflächen. Sind diese vollständig, verwandelt sich die Uhr in den Cursorpfeil, und das Knarren, welches die Festplattenaktivität anzeigt und den ganzen Startprozeß über zu hören war, verstummt. Der Computer kann jetzt benutzt werden.Der Startprozeß beim Betriebssystem Windows ist dagegen nicht so durchgängig gestaltet wie der oben beschriebene. Der Mix aus dem Betriebssystem MS-DOS und dem aufgesattelten Windows führt zu einem seltsam heterogenen Startgeschehen auf dem Bildschirm. Bis zur Einführung des Betriebssystems Windows 95 waren die beiden Ebenen immerhin noch klar getrennt: Zuerst läuft der Startprozeß von DOS ab. Auf dem Bildschirm erscheinen in - für den Laien meist unverständlichen - Kürzeln Textinformationen über die gerade ausgeführten Ladeprozesse (z. B. CKdisk...o,k.; Mode-Funktion "Codepage vorbereiten" ausgeführt,...). Nachdem die Auflistung beendet ist und am Ende ein blinkender „Prompt“ erscheint, kann der Benutzer mit DOS arbeiten oder durch Eingabe des Textkürzels „win“ das Betriebssystem Windows starten. Daraufhin erscheint ein Splashscreen mit dem Logo des Programms und Informationen zur Programmversion, der nach einiger Zeit verschwindet, woraufhin die Programmoberfläche und ein Sanduhrsymbol erscheint. Dieses verschwindet dann, wenn der Ladeprozeß beendet und Windows benutzbar ist. Die Unterbrechung zwischen dem Ladeprozeß von DOS und dem anschließenden Starten von Windows wird von vielen Nutzern, die DOS nie oder selten benutzen, durch ein kleines Programm

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automatisiert. Der Nutzer muß also nicht mehr das Kürzel „win“ eingeben. Bei der Verschmelzung von DOS und Windows sind die beiden unterschiedlichen Wartezeitgestaltungen durcheinandergeraten. Die farbige Anzeige des Splashscreens erscheint im chaotischen Wechsel mit den schwarzweißen Textbotschaften von DOS. Eine konsistentere Gestaltung des Startprozesses wurde also augenscheinlich nicht für nötig gehalten oder ließ sich nicht realisieren.Für den Benutzer sind die Wartezeiten, die beim Computerstart eintsehen, trotz ihrer relativen Länge nicht besonders problematisch. Während der Computer startet, bereitet sich der Anwender auf die Arbeitssitzung vor, richtet sich auf seinem Stuhl ein, ordnet Notizen und Gedanken, rückt Mouse und Tastatur zurecht usw., ist also während der Wartezeit anderweitig beschäftigt. Darüber hinaus scheint es auch so zu sein, daß der Nutzer bei so deutlichen Übergangsprozessen wie dem Wechsel vom Aus- zum Betriebszustand dem Computer „Vorbereitungszeit“ zugesteht, da er ja synchron dazu auch eine Übergangsphase von der realen Welt hin zum Computerkosmos durchlebt. Wie sehr diese Übergangssituation das Erleben des Startvorgangs beeinflußt, ist erfahrbar, wenn er nicht am Beginn der Computersitzung, sondern während des Arbeitsprozesses auftritt, weil beispielsweise ein Neustart erforderlich ist. Die selben Vorgänge scheinen länger zu dauern und werden ungeduldiger verfolgt. Beim normalen Computerstart ist der Anwender also in der Regel nicht voll auf den Bildschirm und die Eingabegeräte konzentriert. Der Nutzer wirft meist nur ab und an einen Blick auf den Bildschirm, um sich über den Fortgang des Startprozesses zu informieren. Die

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Abfolge der verschiedenen Screens beim Macintosh-Start ermöglichen in dieser Hinsicht gute Orientierung, da sie sowohl in der Größe als auch von der Aufmachung her recht unterschiedlich, auch bei oberflächlichem Blick, klar unterscheidbar sind. Auch der DOS-Start hat trotz seiner „urtümlichen“ Anmutung solche klar erkennbaren Eckpunkte (z. B. das Erscheinen der Tabelle mit den Systemdaten), die eine Orientierung über den Stand des Ladeprozesses erlauben. Beim Start von Windows bietet sich diese Orientierungsmöglichkeit nicht, da die ganze Zeit über lediglich der Splashscreen gezeigt wird. Die wichtigste Orientierungshilfe beim Start des Computers ist aber keine optische Anzeige, sondern das künstlich erzeugte Geräusch (eine Art Knarren), das beim Zugriff des Computers auf die Festplatte zu hören ist. Es ertönt sowohl bei DOS/Windows, als auch bei Mac-Systemen, sobald das Gerät gestartet wird und verstummt, wenn der Ladeprozeß beendet oder aufgrund von Problemen unterbrochen wird. Dieses Hintergrundgeräusch markiert für den Nutzer Beginn und Ende der Wartezeit und vermittelt, solange es ertönt, die Botschaft, daß der Prozeß stabil abläuft. Bei der Gestaltung der Startvorgänge dürften diese Aspekte jedoch nicht alleine im Vordergrund gestanden haben. Die Startanzeige von DOS diente, als die Computer noch langsamer und instabiler waren, der inhaltlichen Kontrolle des Startprozesses. Der Splashscreen, der sowohl beim Start von Windows als auch im Macintosh-Startprozeß verwendet wird, dient, laut A. Calvo37,

37. „Just about every great software product starte with some kind of splash screen. The splash screen is to software what a cover is to a book... By having a splash screen display as soon as the user double-clicks on the application icon, your program can appear faster than it would otherwise, because a splash screen distracts the user while the application loads into memory. This is a perfect example of the duality of form and function. Not only can the splash screen add pizzazz and beauty to your application, but it also deals with the real world issue of startup time.“ Alex Calvo: The Craft of Windows 95 Interface Design. New York, Berlin,

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hauptsächlich dazu, das Programm vorzustellen. Es ist quasi seine Titelseite. Der Einsatz eines solchen Bildes, um die Wartezeit dahinter zu verbergen, wie A. Calvo empfiehlt, ist allerdings im Kontext des Starprozesses fraglich, da die Attraktivität des Logos proportional zur Häufigkeit des Auftauchens abnimmt. Die Gestalter von Apple Macintosh haben sichtlich mehr Gedanken auf die Gestaltung des Startprozesses verwendet. Die Konsistenz und Zurückhaltung, die beim Entwurf der graphischen Benutzeroberfläche Pate stand, findet sich auch beim Startprozeß wieder. So begleitet der graue Hintergrund den Nutzer vom Einschalten bis zum Ausschalten des Computers. Auch die graphische Formsprache der Symbole bleibt einheitlich. Das kleine Symbol des lächelnden Computers, der Happy Mac, das als erstes Symbol auf dem Bildschirm erscheint, soll den Benutzer allerdings nicht nur darüber informieren, daß das Betriebssystem ordnungsgemäß gestartet ist, sondern es ist explizit dazu gedacht, die Haltung, die die Entwicklung des Macintosh und seines Betriebssystems prägte, auszudrücken und dem Benutzer zu vermitteln38. Der Computer stellt sich im doppelten Sinne auf „menschliche“ Art vor. Er ist nicht mehr nur Maschine, sondern Kollege, Partner. Der Nutzer gibt keine Befehle ein, sondern er tritt in einen Dialog mit der vermenschlichten Maschine. Folgerichtig „spricht“ der Computer dann im nächsten Fenster auch mit dem Nutzer, begrüßt ihn mit „Willkommen!“ Das selbe Symbol, das bei der Vorstellung des ersten Macintosh durch Steve Jobs als graphisches Manifest auf dem Bildschirm des Rechners erschien, sieht auch der heutige Nutzer bei jedem Programmstart.

Heidelberg 1996. S. 28. 38vgl. Helmuth Sagawe: Einfluß „intelligenter“ Maschinen auf menschliches Verhalten. Opladen 1994.

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Die Wartezeit ist also nicht nur strukturiert, sondern wird auch dazu benutzt, dem Anwender mehr oder weniger unterschwellig Botschaften zu vermitteln, die mit dem eigentlichen Startprozeß nichts zu tun haben. Dieses Phänomen der Ausnutzung der Wartezeit zur Vermittlung der verschiedensten Botschaften ist auch über das Apple-Manifest hinaus weit verbreitet. Es gibt beim Apple Macintosh die Möglichkeit, den „Willkommen!“-Bildschirm durch selbsterstellte Graphiken zu ersetzen. Beispielsweise nutzt das Computerstudio der KHB diese Möglichkeit, um den Anwendern mitzuteilen, daß die Gästeordner regelmäßig geleert werden. Außerhalb des Startprozesses tauchen solche Funktionsumwandlungen von Wartezeiten oft bei der Programminstallation auf. Bei der Installation des MS/Office-Programmpaketes werden dem Nutzer z. B. Botschaften gezeigt, die ihm die Vorzüge der neuen Programmfunktionen erklären (damit er auch sieht, warum er für ein update sein Geld investiert hat). Beim Warten im Internet schließlich, dessen nähere Untersuchung weiter unten folgt, wird dem Netzsurfer in zunehmendem Maße schlicht Werbung präsentiert.

Die Wartezeit im Interaktionsprozeß

Einen völlig anderen Charakter als die oben beschriebene Wartezeit beim Start des Computers trägt das Warten, das als Unterbrechung des Arbeitsprozesses am Computer auftritt. Diese Wartezeiten entstehen immer dann, wenn der Anwender für den Computer komplexe Befehle eingibt, deren Bearbeitung Rechenzeiten

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auslösen, die länger als einige Sekunden dauern. Angezeigt werden solche Wartezeiten bei den gebräuchlichen Betriebssystemen dadurch, daß sich der Cursor in ein Uhrsymbol verwandelt (Bei Windows und Unix ist es eine Sanduhr, beim Macihtosh eine Armbanduhr). Diese Wartezeiten sind erfahrungsgemäß diejenigen, die die größte Ungeduld hervorrufen, auch wenn sie oft nur relativ wenig Zeit in Anspruch nehmen. Wenn vom Warten am Computer gesprochen wird, assoziieren wohl die meisten Leute diese Wartezeiten. Die Erklärung für jenen Unmut liegt wohl darin begründet, daß diese Wartezeiten den Interaktionsprozeß recht aprupt und ohne Vorankündigung unterbrechen. Der Anwender wird plötzlich aus „heiterem Himmel“ mit dem Uhrsymbol konfrontiert. Darüber hinaus sind diese Wartezeiten auch schwer kalkulierbar. Nur sehr erfahrene Computeranwender, die ihre Programme oft nutzen, können genau abschätzen, welche Befehle wie lange Wartezeiten auslösen. Der Normalnutzer verfügt über diese Erfahrung nur in einigen Fällen und wird deshalb oft vom Auftreten solcher Wartezeiten überrascht. Gedanklich erschließen kann sich der Nutzer die fehlenden Informationen über Länge und Auftreten der Befehlsbearbeitungen nur schwer. Von der Benutzerlogik her ist z. B. die Eingabe eines Anführungszeichens in Word eine Tastenkombination unter vielen. Für den Computer bedeutet sie jedoch ein national variierendes Sonderzeichen, das auf ganz andere Programmteile zugreift und wesentlich größere Rechenleistungen erfordert als andere Zeicheneingaben und daher längere, durchaus wahrnehmbare Wartezeiten verursachen kann. Der sonst durch die Gestaltung der Benutzeroberfläche und dem Einsatz von vermittelnden Metaphern verborgene Gegensatz

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zwischen der Computerlogik und den menschlichen Denkmustern tritt in dieser Art Wartezeit zu Tage. Ein weiterer starker Kontrast, den das Auftreten von Wartezeiten im Interaktionsprozeß hervorruft, ist der des Zeiterlebens. Der Computer verfügt offensichtlich über die Eigenschaft, im normalen Interaktionsprozeß das Zeitempfinden des Nutzers weitgehend außer Kraft zu setzen.

In der Wartezeit, die ja nicht zufällig durch ein Uhrensymbol gekennzeichnet wird, macht der Anwender die genau entgegengesetzte Erfahrung. Die Zeit wird zum einzig wahrgenommenen Inhalt des Erlebens. Ebenfalls verkehrt wird in der Wartezeit das scheinbare Machtverhältnis zwischen Mensch und Computer. Während sonst der Nutzer das Gefühl hat, daß er es ist, der die Befehle eingibt und damit die Maschine beherrscht, zwingt diese ihm in der Wartezeit ihren Rhythmus auf und diktiert somit sein Verhalten. In diesen unbedeutenden Wartezeiten stürzt das ganze so mühsam gezimmerte Gebäude der Interaktionsgestaltung kurzfristig in sich zusammen39. Der Nutzer versteht weder den ablaufenden Vorgang, noch hat er das Gefühl, den Computer zu kontrollieren, er befindet sich im Zustand der Passivität, statt aktiv handeln zu können. Der durchgängige Arbeitsprozess ist unterbrochen, und auch über die Stabilität des Systems bleibt der Anwender meistens im Unklaren, da die Uhrsymbole in dieser Hinsicht nur unzulängliche Indikatoren

39„The user, not the computer initiates and controls all actions. People learn best when they‘re actively engaged. Too often, however, the computer acts and the user merely reacts within a limited set of options. In other instances, the computer „takes care“ of the user, offering only those alternatives that are judged „good“ for the useror that „protect“ the user from detailed deliberations.“ Apple Computer Inc. (Hrsg.): Macintosh human interface guidelines. Reading, Massachusetts 1987, S. 7.

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sind, die oft technische Mängel aufweisen (sie stoppen häufig ihre Bewegung, auch wenn der Prozeß noch stabil abläuft oder sich drehen sich munter weiter, obwohl der Computer abgestürzt ist).

Warten im World Wide Web

Bei der Betrachtung von typischen Computerwartesituationen muß natürlich auch das World Wide Web erwähnt werden. Weniger deshalb, weil einige Technikesoteriker auf die Lösung fundamentaler globaler Probleme wie Weltfrieden, Ernährung aller Menschen und die weltweite Demokratisierung durch das Internet warten, sondern weil inzwischen mehrere Millionen Netznutzer täglich einen Großteil ihrer Zeit vor dem Computer verbringen - wartend. Schon im Browser, dem Programm zur Navigation im Internet, sind diverse Warteanzeigen integriert. Dies ist auch nötig, denn die im Netz auftretenden Wartezeiten sind noch schwerer kalkulierbar als die im vorigen Abschnitt beschriebenen. Je nachdem, was für ein Datenverkehr im Netz herrscht, kann das Laden ein und derselben Seite eine halbe Minute oder eine Viertelstunde und länger dauern. Sicherheit über die Ausdehnung der Wartezeit läßt sich auch bei wiederholter Nutzung derselben Netzangebote nicht erlangen. Daß eine Wartezeit stattfindet, zeigt der Browser nicht explizit an, das versteht sich im Netz von selbst. Die Wartezeitanzeigen geben viel mehr Auskunft über den Ladeprozeß. Visualisiert wird der Datendurchsatz durch eine mit dem Logo des Programms kombinierten Anzeige, die sich traditionell in der rechten oberen Ecke befindet. (Z. B. fallen beim Netscape Navigator bei der Datenübermittlung „Sternschnuppen“ vor dem „N“ des Logos

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herunter.) Eine Textanzeige am unteren Rand des Programmfensters liefert spezifische Informationen über den gerade ausgeführten Vorgang. Zunächst wird an dieser Stelle die Internetadresse des angewählten Links angezeigt. Wird das Link ausgewählt, erscheint eine Information, daß eine Verbindung zum entsprechenden Server hergestellt wird. Steht diese Verbindung, wird der Nutzer über den aktuellen Ladezustand der Seite sowohl in absoluten Zahlen (z. B. „16354 von 16953 bytes geladen“) als auch abwechselnd in Prozent angezeigt. Zusätzlich dazu wird der Ladezustand auch noch durch einen Prozeßbalken visualisiert. Eine tatsächliche Orientierungshilfe bieten die am Browserrand angezeigten Ladeinformationen allerdings nicht, da die Seite nicht komplett, sondern in einzelnen Bestandteilen geladen wird und sich die angezeigten Informationen auf das jeweilige Seitenbruchstück beziehen.Im Unterschied zu vielen anderen Wartesituationen am Computer erfolgt der Ladeprozeß von Webseiten für den Betrachter sichtbar. Sobald ein Element übermittelt ist, erscheint es auch auf dem Bildschirm. Die Wartezeit ist also in einem hohen Maße transparent. Der Nutzer hat die Möglichkeit, den Ladeprozeß in jedem Stadium abzubrechen, was, wenn er bloß einen Link auf der Seite nutzen will oder erkennen kann, daß die gewünschten Inhalte nicht vorhanden sind, durchaus Sinn macht. Laut B. McManus wird dies auch häufig praktiziert.40 Um die Wartezeiten, die beim Laden von Graphiken und Bildern im Web aufgrund der relativen Größe dieser Dateien länger dauern können, eleganter zu gestalten, verweisen D. Chung41

und etliche andere Autoren auf die Möglichkeit, die Bilder in 40Vgl. dazu Barbara McManus: Compensatory Action for Time Delays. WWW-Publikation 1997 (www.soc.staffs.ac.uk/seminars/web97).41Dirk Chung: HTML Publishing. Bonn, Albany 1996.

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Interlaced Gif-Format abzuspeichern, was zur Folge hat, daß sich das Bild im Browser nicht langsam von oben nach unten aufbaut, sondern zunächst in grober Auflösung, aber in voller Größe erscheint und nach und nach schärfer wird. Diese allmählich stattfindenden Ladeprozesse der Seite führen vermutlich zu einer höheren Akzeptanz der Wartezeitdauer. Der Nutzer, der das Laden der Seite recht schnell abbricht, wenn das Kontaktieren einer Adresse Zeit braucht (D. Chung sieht eine Toleranzschwelle von 20 Sekunden), wartet länger, wenn schon etwas im Browserfenster zu sehen ist. Die Professionalisierung der graphischen Gestaltung von Webseiten führt jedoch in zunehmendem Maße dazu, daß der allmähliche Aufbau der Seite versteckt wird. Der Betrachter soll sie erst sehen, wenn sie vollständig geladen ist. Dies hat zur Folge, daß der Nutzer in der Wartezeit nur das Browserfenster sieht. Die Möglichkeit, diese Zeit für die ästhetische Gestaltung der Seite nutzbar zu machen, also den Aufbauprozeß der Seite in die Gestaltung mit einzubeziehen und dafür die technischen Voraussetzungen zu schaffen, scheint von den Webdesignern noch nicht erkannt worden zu sein. Das finanzielle Potential, das in den Wartezeiten des World Wide Web schlummert, ist allerdings schon längst erkannt worden und wird entsprechend kräftig ausgeschöpft. Firmen, die den Netzsurfern kostenlos email-Adressen anbieten oder Suchmaschinen zur Verfügung stellen und deren Aktien an den Börsen hoch gehandelt werden, erzielen ihre nicht unerheblichen Einnahmen dadurch, daß sie Platz für die Werbung auf ihren oft besuchten Seiten verkaufen. Der Nutzer ihrer Dienste muß dann die Werbebotschaften in den Ladezeiten über sich ergehen lassen. Daß

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vor diesem Hintergrund ein vitales Interesse besteht, Wartezeiten im Netz zu erhalten, ja sogar künstlich zu verlängern, liegt auf der Hand. Auf eine andere Art profitieren, wie J. Paulus ausführt, die Anbieter von pornographischen Inhalten von den Wartezeiten im Internet. Ihre im Vergleich zu den konventionellen Angeboten dieser Art eher minderwertigen Produkte erhalten ihren Reiz auch dadurch, „daß das Netz es den Suchenden nicht leicht macht. Das Internet gibt seine Geheimnisse nicht ohne weiteres preis, läßt den Hoffenden warten und bangen. Es will erobert werden, nur Ausdauer und Geschicklichkeit führen zum Ziel.“42 Die Erotikanbieter machen sich also das Prinzip der im ersten Teil dieser Arbeit beschriebenen Erlebnissteigerung durch Vorschalten einer Wartezeit zunutze. Daß dieses Phänomen auch in weniger anstößigen Bereichen des Internets zu finden ist, steht zu vermuten.

Wartezeitgestaltung am Computer tritt, wie die vorhergehenden Beispiele zeigen, in allen im ersten Teil dieser Arbeit erwähnten Spielarten auf. Die Ablenkung von der Wartezeit (durch den Splashscreen), die eigentliche Wartezeitgestaltung (durch Prozeßbalken, Geräusche usw.) und auch die Verwendung von Wartezeiten als ästhetisches Mittel (v. a. im Kontext des World Wide Web) werden am Computer betrieben. Erschlossen ist das Potential, das die Wartezeit für die Gestaltung der Mensch-Computer-Interaktion bietet, jedoch im Praktischen wie im Theoretischen noch kaum. Für den Designer bleibt noch etliches zu tun...42Jochen Paulus: Sex im Netz. In : Die Zeit. Nr. 48, 1997, S. 86.

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