2
Markus Bohlmann Philosophische Konzeptionen von Lernenden zum Guten Handeln – Ergebnisse einer experimentellen Studie im Design-Based-Research Vortrag, Zuordnung: Empirische Unterrichtsforschung Wie auf der Tagung des Forums in Tübingen 2015 angekündigt (Bohlmann, 2017), fand Mitte bis Ende 2017 die Feldphase dieser Design-Based-Research Studie zu Schülervorstellungen zum guten Handeln statt. Im Vortrag werden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt. In Vorstudien wurden in meh- reren Zyklen zwei Comics entwickelt, mit deren Hilfe man die Konzeptionen der Lernenden im Fragen- kreis zum Guten Handeln vor dem Unterricht zur Ethik/Praktischen Philosophie sichtbar machen kann. Die Comics fordern die Lernenden zu moralischem Urteilen in alltagsnahen Szenarien auf; das eine Szenario birgt ein Problem der Strafgerechtigkeit, das andere eines der Verteilungsgerechtigkeit. Die Antworten wurden mit Hilfe eines Fragebogens mit geschlossenen und offenen Frageformaten erho- ben und qualitativ und quantitativ mit RQDA ausgewertet. Am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Münster wurden mit Unterstützung der Philosophielehrerin Veronika Verfers drei Lerngruppen (6., 7. und 8. Klasse) erhoben. Am Pascal-Gymnasium in Münster wurden ebenfalls drei Lerngruppen (5., 6. Und 7. Klasse) befragt. Als Kontrollgruppe (Expertenniveau) dienten zwei Studierendengruppen (Erzie- hungswissenschaft/Lehramt) an der Universität Münster. Zusätzlich wurden von Bea Brünen, Arbeits- rechtlerin am Juristischen Seminar der WWU, Rechtsgutachten zu den moralischen Problemlagen bei- der Comics erstellt. In der Auswertung zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen Altersgruppen in vorher nicht erwarteter Weise antworten. Diese Antworten lassen Schlüsse auf Kon- zepte der Lernenden innerhalb des Gesamtverständnisses einer Handlung zu (z.B. das Konzept einer Tat, die Bewertung von Hilfe und Verursachung etc.). Als Ergebnis wird ein Satz häufiger Schülervor- stellungen zum Guten Handeln präsentiert. Mit diesem Repertoire kann Unterricht in diesem Bereich informiert werden. Die Studie stellt mit dem Design-Based-Research (Anderson & Shattuck, 2012; Cobb, Confrey, DiSessa, Lehrer, & Schauble, 2003; Prediger et al., 2012) und der Theorie der mentalen Modelle (spezifisch zur Moral Bucciarelli, Khemlani, & Johnson-Laird, 2008; Johnson-Laird, 1990, 2011) eine auch auf andere Themen des Philosophieunterrichts übertragbare empirische Forschungsmethode vor und ist perspek- tivisch verknüpft mit dem Vernetzungstreffen „empirische Forschung in der Philosophiedidaktik“ am Ende des zweiten Konferenztages (zusammen mit Anne Burkard und Laura Martena). Experimente zu philosophischen Konzeptionen von Lernenden gibt es in der Psychologie seit Jean Pia- gets „Le jugement moral chez l'enfant“ (Piaget, 1932). Die Idee, Moralität von Kindern mit Bildge- schichten zu explorieren, findet sich bereits bei Gertrud Nunner-Winkler in der Münchner LOGIK- Längsschnittstudie (Nunner-Winkler, 1998, 2008). Die komplexen Handlungsszenarien in den Comics zum Guten Handeln sind jedoch direkt an philosophiedidaktische Themen geknüpft und bieten mit der qualitativen Analysemöglichkeit eine zuvor noch nicht erreichte Tiefendimension des moralischen Denkens von Kindern und Jugendlichen. Es wird sichtbar, dass Schülerinnen und Schüler sich auch bei der Beurteilung moralischer Szenarien mentaler Modelle bedienen. Diese ähneln den Konzepten aus der Conceptual-Change-Forschung verwandter Fachdidaktiken (Barke, 2006; Duit & Treagust, 2012; Krüger, 2007; Posner, Strike, Hewson, & Gertzog, 1982; Weisseno & Eck, 2010). Im Gegensatz zu schie- ren Begriffen sind diese mentalen Modelle erst im aktiven Umgang mit den Problemlagen sichtbar und nicht schon in bloßen Schülerantworten zu greifen (z.B. auf die Frage: „Was ist eine Handlung?“). Auch die Unterrichtserfahrungen von Lehrern können bei Schülervorstellungen trügen (Zimmermann, 2016). Für die Philosophiedidaktik eröffnet sich durch die empirische Erforschung von

Markus Bohlmann Philosophische Konzeptionen von … · Philosophische Konzeptionen von Lernenden zum Guten Handeln – Ergebnisse ... Schülervorstellungen ein ganzes Feld von Möglichkeiten,

  • Upload
    buihanh

  • View
    215

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Markus Bohlmann Philosophische Konzeptionen von … · Philosophische Konzeptionen von Lernenden zum Guten Handeln – Ergebnisse ... Schülervorstellungen ein ganzes Feld von Möglichkeiten,

Markus Bohlmann

Philosophische Konzeptionen von Lernenden zum Guten Handeln – Ergebnisse

einer experimentellen Studie im Design-Based-Research

Vortrag, Zuordnung: Empirische Unterrichtsforschung

Wie auf der Tagung des Forums in Tübingen 2015 angekündigt (Bohlmann, 2017), fand Mitte bis Ende

2017 die Feldphase dieser Design-Based-Research Studie zu Schülervorstellungen zum guten Handeln

statt. Im Vortrag werden die Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt. In Vorstudien wurden in meh-

reren Zyklen zwei Comics entwickelt, mit deren Hilfe man die Konzeptionen der Lernenden im Fragen-

kreis zum Guten Handeln vor dem Unterricht zur Ethik/Praktischen Philosophie sichtbar machen kann.

Die Comics fordern die Lernenden zu moralischem Urteilen in alltagsnahen Szenarien auf; das eine

Szenario birgt ein Problem der Strafgerechtigkeit, das andere eines der Verteilungsgerechtigkeit. Die

Antworten wurden mit Hilfe eines Fragebogens mit geschlossenen und offenen Frageformaten erho-

ben und qualitativ und quantitativ mit RQDA ausgewertet. Am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in

Münster wurden mit Unterstützung der Philosophielehrerin Veronika Verfers drei Lerngruppen (6., 7.

und 8. Klasse) erhoben. Am Pascal-Gymnasium in Münster wurden ebenfalls drei Lerngruppen (5., 6.

Und 7. Klasse) befragt. Als Kontrollgruppe (Expertenniveau) dienten zwei Studierendengruppen (Erzie-

hungswissenschaft/Lehramt) an der Universität Münster. Zusätzlich wurden von Bea Brünen, Arbeits-

rechtlerin am Juristischen Seminar der WWU, Rechtsgutachten zu den moralischen Problemlagen bei-

der Comics erstellt. In der Auswertung zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler in unterschiedlichen

Altersgruppen in vorher nicht erwarteter Weise antworten. Diese Antworten lassen Schlüsse auf Kon-

zepte der Lernenden innerhalb des Gesamtverständnisses einer Handlung zu (z.B. das Konzept einer

Tat, die Bewertung von Hilfe und Verursachung etc.). Als Ergebnis wird ein Satz häufiger Schülervor-

stellungen zum Guten Handeln präsentiert. Mit diesem Repertoire kann Unterricht in diesem Bereich

informiert werden.

Die Studie stellt mit dem Design-Based-Research (Anderson & Shattuck, 2012; Cobb, Confrey, DiSessa,

Lehrer, & Schauble, 2003; Prediger et al., 2012) und der Theorie der mentalen Modelle (spezifisch zur

Moral Bucciarelli, Khemlani, & Johnson-Laird, 2008; Johnson-Laird, 1990, 2011) eine auch auf andere

Themen des Philosophieunterrichts übertragbare empirische Forschungsmethode vor und ist perspek-

tivisch verknüpft mit dem Vernetzungstreffen „empirische Forschung in der Philosophiedidaktik“ am

Ende des zweiten Konferenztages (zusammen mit Anne Burkard und Laura Martena).

Experimente zu philosophischen Konzeptionen von Lernenden gibt es in der Psychologie seit Jean Pia-

gets „Le jugement moral chez l'enfant“ (Piaget, 1932). Die Idee, Moralität von Kindern mit Bildge-

schichten zu explorieren, findet sich bereits bei Gertrud Nunner-Winkler in der Münchner LOGIK-

Längsschnittstudie (Nunner-Winkler, 1998, 2008). Die komplexen Handlungsszenarien in den Comics

zum Guten Handeln sind jedoch direkt an philosophiedidaktische Themen geknüpft und bieten mit der

qualitativen Analysemöglichkeit eine zuvor noch nicht erreichte Tiefendimension des moralischen

Denkens von Kindern und Jugendlichen. Es wird sichtbar, dass Schülerinnen und Schüler sich auch bei

der Beurteilung moralischer Szenarien mentaler Modelle bedienen. Diese ähneln den Konzepten aus

der Conceptual-Change-Forschung verwandter Fachdidaktiken (Barke, 2006; Duit & Treagust, 2012;

Krüger, 2007; Posner, Strike, Hewson, & Gertzog, 1982; Weisseno & Eck, 2010). Im Gegensatz zu schie-

ren Begriffen sind diese mentalen Modelle erst im aktiven Umgang mit den Problemlagen sichtbar und

nicht schon in bloßen Schülerantworten zu greifen (z.B. auf die Frage: „Was ist eine Handlung?“). Auch

die Unterrichtserfahrungen von Lehrern können bei Schülervorstellungen trügen (Zimmermann,

2016). Für die Philosophiedidaktik eröffnet sich durch die empirische Erforschung von

Page 2: Markus Bohlmann Philosophische Konzeptionen von … · Philosophische Konzeptionen von Lernenden zum Guten Handeln – Ergebnisse ... Schülervorstellungen ein ganzes Feld von Möglichkeiten,

Schülervorstellungen ein ganzes Feld von Möglichkeiten, das dank Design-Based-Research aus dem

Unterricht heraus diesen wieder direkt informieren und den Lehrenden verwendbares Material für die

Lehre zur Verfügung stellen kann.

Anderson, T., & Shattuck, J. (2012). Design-Based Research: A Decade of Progress in Education Research? . Educational Researcher , 41(1), 16–25.

Barke, H.-D. (2006). Chemiedidaktik. Diagnose und Korrektur von Schülervorstellungen. Berlin, Heidelberg: Springer.

Bohlmann, M. (2017). Die experimentelle Erforschung philosophischer Konzepte - Aufriss eines fachdidaktischen Forschungsprogramms. In J. Rohbeck, J. Dietrich, & C. Brand (Eds.), Empirische Forschung in der Philosophie- und Ethikdidaktik (pp. 51–72). Dresden: Thelem.

Bucciarelli, M., Khemlani, S., & Johnson-Laird, P. N. (2008). The Psychology of Moral Reasoning. Judgment and Decision Making, 3(2), 121–139.

Cobb, P., Confrey, J., DiSessa, A. A., Lehrer, R., & Schauble, L. (2003). Design-Based Research: An Emerging Paradigm for Educational Inquiry. Educational Researcher, 32, 5–8.

Duit, R., & Treagust, D. F. (2012). How Can Conceptual Change Contribute to Theory and Practice in Science Education? In B. J. Fraser, K. G. Tobin, & C. J. McRobbie (Eds.), Second international handbook of science education (pp. 107–118). Dordrecht; New York: Springer.

Johnson-Laird, P. N. (1990). Mental Models. Towards a Cognitive Science of Language, Inference and Consciousness. Cambridge: Cambridge University Press.

Johnson-Laird, P. N. (2011). How We Reason. Oxford: Oxford University Press.

Krüger, D. (2007). Die Conceptual Change-Theorie. In D. Krüger & H. Vogt (Eds.), Theorien in der biologiedidaktischen Forschung (pp. 81–92). Berlin, Heidelberg: Springer.

Nunner-Winkler, G. (1998). Zum Verständnis von Moral – Entwicklungen in der Kindheit. In F. E. Weinert (Ed.), Entwicklung im Kindesalter (pp. 133–152). Weinheim, Basel: Psychologie VerlagsUnion.

Nunner-Winkler, G. (2008). Die Entwicklung moralischer Motivation von der Kindheit bis zum frühen Erwachsenenalter. In W. Schneider (Ed.), Entwicklung vom frühen Kindes- bis zum frühen Erwachsenenalter.Befunde der Längsschnittstudie LOGIC (pp. 103–123). Weinheim: Beltz.

Piaget, J. (1932). Le jugement moral chez l’enfant. Paris: PUF Presses universitaires de France.

Posner, G. J., Strike, K. A., Hewson, P. W., & Gertzog, W. A. (1982). Accommodation of a Scientific Conception: Toward a Theory of Conceptual Change. Science Education, 66(2), 211–227.

Prediger, S., Link, M., Hinz, R., Hussmann, S., Ralle, B., & Thiele, J. (2012). Lehr-Lernprozesse initiieren und erforschen. Fachdidaktische Entwicklungsforschung im Dortmunder Modell. MNU, 65(8), 452.

Weisseno, G., & Eck, V. (2010). Ein Wissenstest zum Fachkonzept Europäische Akteure. In I. Juchler (Ed.), Kompetenzen in der politischen Bildung (pp. 169–181). Schwalbach: Wochenschau.

Zimmermann, P. (2016). Fachliche Klärung und didaktische Rekonstruktion. In J. Pfister & P. Zimmermann (Eds.), Neues Handbuch des Philosophie-Unterrichts (pp. 61–78). Bern: Haupt.