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Markus Gabriel An den Grenzen der Erkenntnistheorie Verlag Karl Alber A

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Markus Gabriel

An den Grenzen der Erkenntnistheorie

Verlag Karl Alber A

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Über dieses Buch:

Im Zentrum der gegenwärtigen Erkenntnistheorie steht das Problemdes Skeptizismus: Wie können wir die Kompatibilität der Formenunserer Erkenntnis mit der Welt selbst sicherstellen? Wie könnenwir Erfolgsbedingungen der Erkenntnis festlegen, ohne damit unserediskursive und mithin fallible Natur auf unzulässige Weise zu tran-szendieren? Indem verschiedene Formen des Skeptizismus unter-schieden werden, wird zugleich gezeigt, daß alles objektive Wissenauf den Diskurs des Anderen hinweist und deswegen notwendig kor-rigierbar sein können muß, um objektiv sein zu können. Der Skepti-zismus wird als eine Lektion über die Endlichkeit des Diskurses inter-pretiert, was Raum für eine Reintegration des solipsistischen Sub-jekts in die Gemeinschaft schafft. Dabei stellt sich im Ausgang vonHegel, Wittgenstein und Brandom heraus, daß Intentionalität alssolche öffentlich und nicht privat ist. Der Autor konzediert demSkeptizismus, die notwendige Endlichkeit des objektiven Wissens be-wiesen zu haben, sieht darin aber keine Aporie, sondern eine Grenz-ziehung des neuzeitlichen Projekts der Erkenntnistheorie. Dieses be-grenzt sich selbst, weil es durch eine skeptische Übung begründetwird. Auf diese Weise wendet sich der Autor mit einer Reihe prin-zipieller skeptischer Argumente gegen überzogene, totalisierendeWissensansprüche.

Über den Autor:

Markus Gabriel, geb. 1980, ist seit 2009 Inhaber des Lehrstuhls fürErkenntnistheorie, Philosophie der Neuzeit und der Gegenwart ander Universität Bonn. Seit 2012 ist er Direktor des InternationalenZentrums für Philosophie NRW. 2005 in Heidelberg promoviert;2008 in Heidelberg habilitiert.

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Markus Gabriel

An den Grenzen derErkenntnistheorieDie notwendige Endlichkeitdes objektiven Wissensals Lektion des Skeptizismus

Um ein Nachwort erweiterte 2. Auflage

Verlag Karl Alber Freiburg/München

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2., verbesserte und erweiterte Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany© Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / München 2008www.verlag-alber.de

Satz: SatzWeise GmbH, TrierHerstellung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei)Printed on acid-free paperPrinted in Germany

ISBN 978-3-495-48658-0

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Was den philosophischen Betrachter an unserer Spracheam meisten befremdet, ist der Unterschied zwischenSein und Schein.(Wittgenstein)

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Die Funktion des Skeptizismus in der dialektischenÖkonomie der Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . 24

§1 Negativer Dogmatismus und methodischer Skeptizismus. 24§2 Kants negativer Dogmatismus . . . . . . . . . . . . . . 43§3 Der metaphysische Realismus und die naive Einzelding-

ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64§4 Welt und begriffliche Relativität . . . . . . . . . . . . . 76§5 Indirekte und direkte skeptische Argumente – Unterwegs

zum semantischen Nihilismus . . . . . . . . . . . . . . 106§6 Crispin Wrights Implosion des Cartesischen Skeptizismus

und ihre Dialektik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

II. Der Kontextualismus und die Endlichkeit des Diskurses . 177

§7 Der Pyrrhonische Skeptizismus als Agens der Erkenntnis-theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

§8 Kontextualismus, Normativität und die Möglichkeitdiskursiver Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

§9 Privatsprache und assertorischer Gehalt . . . . . . . . . 243§10 Das diametrale Gegenteil des Solipsismus . . . . . . . . 281§11 McDowells Disjunktivismus als antiskeptische Strategie?. 301§12 Die Inszenierung des Diskurses – Die Gemeinschaft im

Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318

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§ 13 Die Vorstellungen des Solipsismus und der CartesischeSkeptizismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

§ 14 Das Scheitern des liberalen Naturalismus –Die Selbstreferenz der Endlichkeit . . . . . . . . . . . . 378

§ 15 Ein letzter Versuch, die Welt zu retten:Brandom mit Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406

Nachwort zur Neuausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453

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Inhalt

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Vorwort

Die wesentlichen Grundzüge dieser Abhandlung sind während eineseinjährigen Forschungsaufenthaltes am Department of Philosophyder NYU im akademischen Jahr 2005/2006 entstanden. An ersterStelle möchte ich deshalb dem DAAD für die freundliche Unterstüt-zung meines Forschungsaufenthaltes durch ein Postdoc-Stipendiumdanken. Mein besonderer Dank gilt Crispin Wright für die Einladungan die NYU, die meinen Aufenthalt ermöglicht hat. Dieses Buch wäreohne seine Anregungen und ohne die Konfrontation mit seinemüberbordenden Scharfsinn nicht möglich gewesen, von dem ich zumersten Mal während seines Kompaktseminars über Varianten desSkeptizismus in Heidelberg beeindruckt wurde. Außerdem gilt meinherzlicher Dank Thomas Nagel. Unsere regelmäßigen Gespräche inNew York haben stets dazu beigetragen, daß ich tiefere Dimensionenscheinbar einfacher Probleme erfassen konnte. Ohne seine Präzisionund sein unermüdliches und unbestechliches Streben nach Klarheitim Gespräch wäre vieles unklar geblieben, was ich im folgenden zuerhellen hoffe. Ihm und Jörg Volbers verdanke ich außerdem die An-regung, mich eingehender mit Stanley Cavells Existenzialanalyse desProblems des Skeptizismus zu befassen. Zudem gilt mein DankWolfram Hogrebe für seine unzähligen Aperçus und bestechendenIntuitionen, die auf die eine oder andere Weise in dieses Buch einge-gangen sind. Darüber hinaus hat er mich davon überzeugt, meineProjektskizze zu diesem Buch auszuarbeiten und dieses hiermit zurPublikation vorzulegen.

Nach meinem Forschungsaufenthalt an der NYU konnte diesesBuch insbesondere durch meine Förderung im Rahmen des Elite-programms für Postdoktorand(inn)en der Landesstiftung Baden-Württemberg e. V. abgeschlossen werden. Aus diesem Grund giltmein Dank der Landesstiftung für die großzügige Förderung meinesProjektes über Skeptizismus und Idealismus in der Antike sowie fürdie Übernahme des Druckkostenzuschusses. In diesem Rahmen ver-dienen selbstverständlich auch die Mitarbeiter des Projekts, HerrMarius Bartmann, Herr Julian Ernst und Herr Stephan Zimmer-

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mann ein besonderes Lob für ihre kritischen philosophischen Bei-träge sowie für die unzähligen Stunden, die wir mit der gemein-samen Besprechung des gesamten Manuskripts verbracht haben.Außerdem danke ich ihnen für die mühselige Arbeit des Korrektur-lesens und für die Hilfe bei der formal korrekten Erstellung des end-gültigen Manuskripts.

Schließlich möchte ich Thomas Buchheim, Axel Hutter, AntonFriedrich Koch und Wilhelm Vossenkuhl dafür danken, daß ich aufihre Einladung hin einige Thesen des Buches schon vorab in Vor-tragsform präsentieren konnte. Vor allem die kritischen RückfragenAnton Friedrich Kochs bei stundenlangen Diskussionen in Tübingenhaben zur Schärfung meiner Überlegungen erheblich beigetragen.Zu guter Letzt möchte ich Axel Hesper erwähnen. Unsere Gesprächeund E-Mails während der Entstehungszeit dieses Buches sind maß-geblich in meine Konzeption des Verhältnisses des einsam urteilen-den Subjekts zur Gemeinschaft eingegangen.

New York, im Sommer 2008

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Vorwort

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Einleitung

Wir beziehen uns grundsätzlich auf die objektive Welt so, als ob sieim wesentlichen unabhängig davon wäre, daß wir uns auf sie bezie-hen. Diese Einstellung zur Welt beschreibt der Begriff des objektivenWissens bzw. der Erkenntnis. Die Welt scheint der Inbegriff dessenzu sein, was unserer doppelten epistemischen Anstrengung ontolo-gisch vorhergeht, einerseits zu erkennen, was der Fall ist, und dieseErkenntnis andererseits gegen etwaige Einwände abzusichern. DerWeltbegriff ist demnach unabdingbar dafür, wie wir uns verständlichmachen können, was es ist, das wir erkennen. Denn wenn wir etwaserkennen und dies dadurch zum Ausdruck bringen, daß wir einenWissensanspruch erheben, den wir auf kritische Nachfrage gegenEinwände verteidigen können müssen, dann erkennen wir gemein-hin, wie die Welt ist.

Wenn wir verstehen wollen, was dies bedeutet, stoßen wir aufeinen Weltbegriff, der für den Einheitshorizont alles dessen steht,was der Fall ist. Die Welt ist somit das Objekt einer jeden gelingen-den Repräsentation dessen, was der Fall ist; bzw. genauer: Die Zu-stände der Welt, und gerade nicht die Welt selbst bzw. die Welt alsWelt, sind das Objekt einer jeden gelingenden Repräsentation des-sen, was der Fall ist. Dies ist die intuitive Basis dessen, was BernardWilliams den absoluten Begriff der Realität (the absolute conceptionof reality) genannt hat.1 Die Welt selbst ist demnach für unsere Wis-sensansprüche das Absolute, das vom Wissen Unabhängige und demWissen Vorgegebene, im Unterschied zu unseren Wissensansprü-chen, die sich der Bedingung unterstellen, entweder zu beschreiben,wie die Welt ist, oder auf kritische Einwände hin revidiert werden zu

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1 Williams, B.: Descartes: The Project of Pure Enquiry. Sussex 1978, 65. Die Idee einerWelt als »object of any representation which is knowledge« (ebd.) und damit der abso-lute Weltbegriff folgt scheinbar lückenlos aus der Überlegung, daß, »if knowledge iswhat it claims to be, then it is knowledge of a reality which exists independently of thatknowledge, and indeed (except for the special case where the reality known happensitself to be some psychological item) independently of any thought or experience.Knowledge is of what is there anyway.« (ebd., 64)

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müssen. Unsere Bezugnahme auf die objektive Welt macht uns falli-bel und zwar genau deshalb, weil die Welt auf eine bestimmte Weiseist, die jeweils unabhängig von unserer Bezugnahme besteht. Anson-sten wäre unsere Bezugnahme nicht fallibel und mithin keine Bezug-nahme auf die objektive Welt.

Die skizzierte Überlegung theoretisch einzulösen, ist allerdingsungleich problematischer, als dies auf den ersten Blick zu seinscheint. Sie operiert nämlich bereits auf zwei theoretischen Ebenen:Einerseits soll in einem ersten Anlauf verständlich gemacht werden,daß es die Welt ist, die wir erkennen, wenn wir empirische Erkennt-nis haben. Andererseits überschreiten wir mit dieser Behauptung be-reits die Grenzen des objektiven Wissens bzw. der empirischen Er-kenntnis, und zwar in doppelter Weise. Denn die Erkenntnis, wasErkenntnis ist, ist keine empirische Erkenntnis darüber, wie die Weltist, ebenso wenig wie die Welt als Welt jemals zum Objekt einerempirischen Erkenntnis werden kann. Ansonsten wäre diejenige Er-kenntnis, deren Inhalt die Proposition ist, daß die Welt unserenWissensansprüchen vorhergeht, auf dieselbe Weise fallibel wie dieErkenntnis eines bestimmten Weltzustandes. Dies ist allerdings un-möglich, da die Erkenntnis der Bedingungen der Fallibilität der Er-kenntnis (zumindest prima facie) auf einer anderen theoretischenEbene operiert als die von ihr thematisierte fallible Erkenntnis. Siemuß von der Fallibilität ausgenommen werden, da wir ansonsten fal-libel in der Frage wären, ob wir fallibel sind.

Wie es nun aussieht, können wir uns empirische, und d. h. falli-ble Erkenntnis somit nur von einem theoretischen Standpunkt ausverständlich machen, auf dem wir selbst keine empirische Erkenntnisbeanspruchen. Die Erkenntnis der empirischen Erkenntnis (im Sinneeines genitivus obiectivus) ist mithin selbst nicht empirisch. Jede mi-nimale Einsicht in das Verhältnis von Welt und empirischer Erkennt-nis läßt sich offenkundig nicht selbst induktiv verifizieren oder falsi-fizieren. Dies führt auf die Unterscheidung zweier theoretischerEbenen, der Ebene des objektiven Wissens und der Metaebene derErkenntnis dessen, was objektives Wissen ist. Wie unscheinbar dieseEbenendistinktion auch zunächst auftreten mag; in der gesamten fol-genden Abhandlung wird es darum gehen, ihre weitreichenden Kon-sequenzen auszubuchstabieren und für die zeitgenössische Erkennt-nistheorie – insbesondere für die Skeptizismus-Debatte – fruchtbarzu machen. Als Theorie, die Wahrheitsansprüche untersucht, be-ansprucht die Erkenntnistheorie selbst Erkenntnis, indem sie Wis-

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Einleitung

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sensansprüche darüber erhebt, worauf uns der Wissensbegriff ver-pflichtet. Die Wissensansprüche der Erkenntnistheorie sind aller-dings problematisch, wie die Auseinandersetzung mit dem Problemdes Skeptizismus lehrt. Wenn es dem Skeptiker gelingt, uns davon zuüberzeugen, daß wir nicht wissen können, was objektives Wissen istund wie es möglich ist, dann droht das objektive Wissen selbst zukollabieren, da ohne einen Begriff des objektiven Wissens auch nichtsichergestellt werden kann, ob es objektives Wissen überhaupt gibt.Man muß sich daher die Frage stellen, was es eigentlich heißt, etwaszu erkennen bzw. von etwas zu wissen. Die Möglichkeit des Wissensmuß dabei methodisch jederzeit für empirische Erkenntnis voraus-gesetzt werden, obwohl sie selbst nicht empirisch erkannt werdenkann.

Als die vermutlich wichtigste methodologische Einsicht derneuzeitlichen Erkenntnistheorie seit Descartes kann festgehaltenwerden, daß die theoretische Einstellung der Erkenntnistheoriedurch den Skeptizismus motiviert ist. Der Skeptizismus gehört zuden Bedingungen der Erkenntnistheorie, da er die Frage ermöglichtund in Gang hält, was es heißt, etwas zu wissen. Diese Frage wird erstdurch die Konfrontation mit der Möglichkeit verständlich, daß wireiniges nicht wissen bzw. nicht wissen können. Philosophische Fra-gen der »Was ist X«-Form erlangen (wie alles andere auch) nur da-durch ihre Bestimmtheit, daß sie X von irgend etwas unterscheidenkönnen.2 Wissen unterscheidet sich aber von Nichtwissen genau so,daß alles Wissen sein Profil durch das Nichtwissen erlangt.

Dies äußert sich bspw. in der erkenntnistheoretischen Grund-einsicht des jüngst von Jonathan Schaffer in die Debatte eingeführtenKontrastivismus.3 Diesem zufolge ist der Inhalt alles (propositiona-len) Wissens jeweils dadurch bestimmt, daß er zu einer Klasse vonPropositionen gehört, die sich von einer Kontrastklasse unterschei-det. Statt »S weiß, daß p«, müsse es eigentlich stets heißen, daß »Sweiß, daß p – im Unterschied zu q«. Dabei enthält die Kontrastklasse(q) all diejenigen Propositionen, deren Wahrheit die Falschheit der

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Einleitung

2 Vgl. zu diesem Zusammenhang neuerdings Cassam, Q.: The Possibility of Knowledge.Oxford 2007.3 Vgl. etwa Schaffer, J.: »From Contextualism to Contrastivism in Epistemology«, in:Philosophical Studies 119 (2004), 73–103; ders.: »Contrastive Knowledge«, in: Gendler,T. S./Hawthorne, J. (Hrsg.): Oxford Studies in Epistemology 1, Oxford 2005, 235–271;vgl. auch ders.: »Skepticism, Contextualism, and Discrimination«, in: Philosophy andPhenomenological Research 69 (2004), 138–155.

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Propositionen der Wissensklasse (p) impliziert.4 So gehört die Pro-position, daß ich, Markus Gabriel, jetzt gerade mein Notebook vormir sehe, zur Klasse der Wahrnehmungspropositionen. Wenn es derFall ist, daß alle Wahrnehmungspropositionen falsch wären, wennniemand etwas wahrnähme, da wir etwa alle nur träumten (oder Ge-hirne im Tank wären oder …), dann ist die Klasse der Traumproposi-tionen eine Kontrastklasse der Wahrnehmungspropositionen.

Im allgemeinen kontrastiert Wissen mit Nichtwissen, so daß esseit den Anfängen der Erkenntnistheorie bei Platon eine der zentra-len Fragen der Erkenntnistheorie ist, was Irrtum (ve‰do@) bzw.Nichtwissen sei, eine Frage, die Platon v.a. im Theaitetos und imSophistes aufgeworfen hat. Und es dürfte kaum ein Zufall sein, daßdie Frage nach dem Wissen im Kontext der vorsokratischen Meta-physik aufkam, die paradigmatisch zwischen Sein und Schein unter-schied, womit eine zugleich ontologische wie epistemologische Dif-ferenz markiert wurde.5 Die Bestimmtheit des Wissens, auf die derErkenntnistheoretiker angewiesen ist, verdankt sich somit der Mög-lichkeit des Nichtwissens, was philosophiehistorisch in der Entwick-lung von der vorsokratischen Metaphysik hin zu den Sophisten zumAusdruck kam, gegen die Platon seine Theorie des Nichtwissens –seine Pseudologie – aufbot. Omnis determinatio est negatio – giltdemnach auch für die Bestimmtheit des Wissensbegriffs. Wer näm-lich zu wissen beansprucht, was Wissen ist, generiert damit einenlogischen Raum der Opposition, in dem Wissen mit Nichtwissenkontrastiert, was die beständige Möglichkeit des Nichtwissens zumwandernden Schatten des Wissens macht.

Im folgenden werde ich den skizzierten Zusammenhang so aus-drücken, daß der Skeptizismus eine Intelligibilitätsbedingung, d. h.eine Bedingung der Verstehbarkeit der Erkenntnistheorie ist. Die Er-kenntnistheorie bezieht in der ständigen Konfrontation mit demNichtwissen den spezifischen Standpunkt einer Metatheorie, wobeisie die Frage untersucht, was Wissen (erster Ordnung) ist, und damitselbst Wissen (zweiter Ordnung) beansprucht. Wir haben damit be-gonnen, Wissen erster Ordnung (empirische Erkenntnis) vom er-

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Einleitung

4 Schaffer selbst möchte diese Konsequenz freilich vermeiden, da er die jeweilige Op-position von Wissensklasse (p) und Kontrastklasse (q) als »lokal« (»From Contextualismto Contrastivism«, 91ff.) versteht. Auf diese Weise möchte er die Gültigkeit des Prinzipsder Geschlossenheit restringieren. Dagegen vgl. unten, 146f.5 Vgl. dazu ausführlich Gabriel, M.: Antike und moderne Skepsis. Zur Einführung.Hamburg 2008.

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kenntnistheoretischen Wissen dadurch zu distinguieren, daß das Ob-jekt des Wissens erster Ordnung Weltzustände sind. Die Erkenntnis-theorie selbst hingegen bezieht sich sowohl auf die gelingende Ein-heit (Wissen) als auch auf die Differenz (Nichtwissen) von Welt undWissensanspruch und ist damit fortwährend über alle empirische Er-kenntnis hinaus. Die Welt als Welt ist nämlich ebensowenig wie dasobjektive Wissen selbst ein gewöhnliches Objekt, was eine zentraleEinsicht ist, die man in der Auseinandersetzung mit dem Skeptizis-mus gewinnen kann, wie wir in der Folge sehen werden.

Das gesamte erste Kapitel der folgenden Abhandlung beschäf-tigt sich mit der Funktion des Skeptizismus in der dialektischen Öko-nomie der Erkenntnistheorie. Unter »Dialektik« verstehe ich dabeieine Reflexion auf den Zusammenhang der Motivation einer Theorieund ihrer Durchführung. Es wird darum gehen, die grundlegendemethodische Funktion des Skeptizismus im Aufbau der (neuzeitli-chen) Erkenntnistheorie herauszuarbeiten. Die §§ 1–4 beschäftigensich mit der Frage, wie der Weltbegriff mit dem Skeptizismus zusam-menhängt. In diesem Kontext werden drei Skeptizismus-Begriffeunterschieden, was für den weiteren Verlauf der Argumentation zen-tral sein wird: Negativer Dogmatismus, Cartesischer Skeptizismusund methodischer Skeptizismus. Der Begriff des negativen Dogma-tismus wird insbesondere in einer Auseinandersetzung mit den skep-tischen Grundlagen von Kants transzendentalem Idealismus gewon-nen. Kants Weltbegriff wird kritisch vor dem Hintergrund seinerWiderlegung des Idealismus diskutiert. Es soll gezeigt werden, daßKants Grenzziehung des Wissens (d. h. sein negativer Dogmatismus,der zu wissen beansprucht, daß wir einiges nicht wissen können)zwar deutlich zwei theoretische Ebenen, eine empirische und einetranszendentale, unterscheidet. Gleichwohl gelingt es Kant nicht,die skeptische Motivation seines Theoriestandpunktes so durch-zuführen, daß die empirische Erkenntnis unangetastet bleibt. BeiKant droht die Welt in der Erkenntnis, d. h. die Objektivität in derSubjektivität zu verschwinden, was ihn dazu angeregt hat, seinentranszendentalen Idealismus mit einer Widerlegung des Idealismuszu verteidigen und zu zeigen, daß die Objektivität der Erkenntnisdurch seinen transzendentalen Idealismus nicht ins Wanken gerät,sondern vielmehr sichergestellt werden kann. Im Unterschied zueinem subjektiven Idealismus à la Berkeley sei der transzendentaleIdealismus mit der Annahme der Existenz von in Raum und Zeitausgedehnten Dingen oder Gegenständen kompatibel. Allerdings

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führte Kants eigener Idealismus ihn dazu, die These seiner transzen-dentalen Ästhetik zu weit zu treiben. Denn letztlich gelingt es ihm(jedenfalls im engeren Rahmen seiner Widerlegung des Idealismus)nicht mehr, einen Unterschied zwischen einer räumlichen Vorstel-lung und der Vorstellung von etwas Räumlichen zu treffen, wie zuzeigen sein wird. Um diesen Unterschied zu treffen, bedarf es derEinführung eines Publizitätskriteriums und damit anderer Subjektebzw. Personen in Raum und Zeit, die sich auf dasselbe Räumlichebeziehen können und imstande sind, dies mitzuteilen.

Die Problematik des Idealismus wird im gesamten Buch im Aus-gang von einer Distinktion diskutiert, die auf Robert Brandom zu-rückgeht, nämlich die Distinktion zwischen einer These der Sinn-Abhängigkeit der Objektivität von Subjektivität und der Theseeiner Referenz-Abhängigkeit der Objekte von Subjekten. Diese Di-stinktion fungiert bis zum letzten Paragraphen der Abhandlung alseine Leitdifferenz meiner Überlegungen. Ein Begriff P ist von einemBegriff Q Brandom zufolge sinn-abhängig genau dann, wenn wir Pnicht verstünden, wenn wir Q nicht verstünden. P zu verstehen, setztvoraus, Q zu verstehen. Im Unterschied dazu ist ein Begriff P voneinem Begriff Q Brandom zufolge referenz-abhängig genau dann,wenn es nichts gäbe, was unter P fällt, wenn es nichts gäbe, was unterQ fällt.6 Der Begriff des »Idealismus« kann nun offenkundig min-destens auf zweierlei Weise verstanden werden, einerseits als eineThese der Sinn-Abhängigkeit und andererseits als eine These derReferenz-Abhängigkeit.7 Der sinn-abhängige Idealismus behauptetlediglich, daß wir keinen Begriff der Objektivität hätten, wenn wirdiese nicht von unserer Subjektivität unterschieden. Diese These isteine Behauptung zweiter Ordnung (also eine Behauptung der Meta-theorie) über eine Bedingung unseres Weltzugangs. Der referenz-ab-hängige Idealismus behauptet hingegen, daß es keine Objekte gäbe,wenn es keine Subjekte gäbe, was eine These erster Ordnung darüber

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6 Vgl. Brandom, R.: Tales of the Mighty Dead: Historical Essays in the Metaphysics ofIntentionality. Cambridge, Ma./London 2002, 50: »Concept P is sense dependent onconcept Q just in case one cannot count as having grasped P unless one counts as havinggrasped Q. Concept P is reference dependent on concept Q just in case P cannot apply tosomething unless Q applies to something.«7 Man kann den Unterschied auch als einen Unterschied zwischen ontologischem(= sinn-abhängigem) und einem ontischen (= referenz-abhängigen) Idealismus fassen.Vgl. dazu meine Ausführungen in Gabriel, M.: »Endlichkeit und absolutes Ich – Hei-deggers Fichtekritik«, in Fichte-Studien 31(2013), S. 241–261.

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ist, was es gibt bzw. auf welche Weise es etwas gibt. Kant oszilliertzwischen beiden Behauptungen. Zwar hat niemand so deutlich wieKant mit einer Unterscheidung von Theorieebenen operiert, was derUnterschied zwischen empirisch und transzendental auf den Punktbringt. Allerdings gelingt es ihm nicht durchweg, die Theorieebenenkonsequent zu unterscheiden, weshalb er letztlich zum Opfer seinesnegativen Dogmatismus wird (vgl. §§ 1–2). Seine Unterscheidung vonTheorieebenen führt Kant nicht immer konsequent durch, was dieAchillesferse seiner Widerlegung des Idealismus zu erkennen gibt.

Anschließend wird Moores Überreaktion auf Kants negativenDogmatismus – seine naive Einzeldingontologie – diskutiert (§§ 3–4). Diese unterbietet die Kantische Reflexion (und zwar absichtlich),wobei Moore einen entscheidenden Einwand gegen die Widerlegungdes Idealismus vorgetragen hat, den ich mir in der Auseinanderset-zung mit Kant selbst zu eigen machen werde. Moore kommt hierbeiallerdings weder auf Kants Weltbegriff noch auf die Unterscheidungvon Theorieebenen zu sprechen. Darüber hinaus kann es ihm nichtgelingen, die grundlegende Kategorie seiner naiven Einzeldingonto-logie, das sogenannte »physikalische Objekt«, gegen Einwände zu ver-teidigen, die sich aus der begrifflichen Relativität unseres Welt-zugangs ergeben. Dagegen wird erneut Kants Weltbegriff aufgeboten,ohne daß der Common-Sense-Punkt angetastet werden soll, daß allewahren Urteile die Welt beschreiben, wie sie an sich, d. h. unabhängigdavon ist, daß es Wesen gibt, die sie beschreiben. Kants Weltbegriffaus der transzendentalen Dialektik, der leider in der Widerlegung desIdealismus keine Rolle spielt, weil diese an einem systematisch un-günstigen Punkt durchgeführt wird, muß dabei aufgegriffen undübernommen werden, da er in Kombination mit der Unterscheidungvon Theorieebenen eine Verwirrung im Weltbegriff auflösen kann.Mit Kant ist es möglich, zwischen der Welt als Einheitshorizont undals Objekt unseres Wissens deutlich zu unterscheiden.

An diesem Punkt setzt der Cartesische Skeptizismus an (§§ 5–6).Unter dem »Cartesischen Skeptizismus« wird in diesem Zusammen-hang freilich weder ein Skeptizismus verstanden, den Descartesselbst vertreten hätte (da er selbst alles andere als ein CartesischerSkeptiker war), noch wird darunter die konkrete Form seiner skepti-schen Überlegungen in den Meditationen verstanden. Descartes istgleichwohl der Namensgeber des Cartesischen Skeptizismus, da erdessen logische Struktur als erster in ihren Grundrissen erkanntund methodisch kontrolliert eingesetzt hat. Bevor der Cartesische

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Skeptizismus in §6 als ein generelles Paradoxon des Wissensbegriffsbzw. des Begriffs des guten Grundes entwickelt werden kann, werdenin § 5 methodologische Kautelen getroffen. Dabei führe ich den Un-terschied von logischer und dialektischer Analyse skeptischer Argu-mente ein. Beide Methoden werden anschließend eingesetzt, um denImpetus des Cartesischen Skeptizismus besser einschätzen zu kön-nen. Die logische Analyse skeptischer Argumente untersucht dieseim Hinblick auf ihre logische Struktur. Dabei zeigt sich in der Analy-se des Cartesischen Skeptizismus, daß er sich am besten als ein Para-doxon, d. h. als eine Menge anscheinend akzeptabler (und gut moti-vierbarer) Prämissen, anscheinend akzeptabler (und gut motivierba-rer) Schlußregeln und einer offenkundig inakzeptablen Konklusion,analysieren läßt.

In der Auseinandersetzung mit dem Paradoxon bzw. den Para-doxa des Cartesischen Skeptizismus kann man es i.allg. allerdingsnicht dabei belassen, nach (Auf-)Lösungen des Paradoxons zu su-chen, indem man etwa eine seiner Prämissen bestreitet oder ersetzt,um dem Paradoxon aus dem Weg zu gehen. Vielmehr muß stets dieFrage gestellt werden, in welchem theoretischen Kontext das Parado-xon entsteht und unter welchen Theoriebedingungen es eingeführt,d. h. motiviert werden kann, was in der zeitgenössischen Erkenntnis-theorie unter dem Stichwort einer »theoretischen Diagnose« fir-miert.8 Diese Frage nach der Funktion der Prämissen des Cartesi-schen Skeptizismus im Kontext bestimmter Theorien bezeichne ichals dialektische Analyse. Beide Methoden, die logische und dialekti-sche Analyse, werden in einer kritischen Auseinandersetzung mitCrispin Wrights genialer antiskeptischer Strategie der Implosion er-probt. In § 6 allerdings wird sich herausstellen, daß Wrights Implo-sion im Falle ihres Gelingens nicht nur den Cartesischen Skeptizismusaußer Kraft setzte, sondern auch und v. a. den erkenntnistheoreti-schen Standpunkt als solchen bedrohte, den sie selbst in Anspruchnimmt. Denn ihr eigener Standpunkt wird durch Prämissen moti-viert, die zur Formulierung des Cartesischen Skeptizismus führen.Das gesamte erste Kapitel endet sodann mit der Aufstellung eines

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8 Vgl. etwa Williams, M.: Unnatural Doubts. Epistemological Realism and the Basis ofScepticism. Princeton 1996, 37. Vgl. dazu unten, 127f. Williams beabsichtigt mit seinertheoretischen Diagnose letztlich zu bestreiten, daß der Cartesische Skeptizismus eingenuines Paradoxon darstellt, da er die Annahmen, welche in die Prämissen einfließen,keineswegs für natürlich hält, sondern als anspruchsvolle erkenntnistheoretische Posi-tionen zu desavouiren sucht.

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generellen Paradoxons des Cartesischen Skeptizismus, das die diskur-sive Rationalität im ganzen intrinsisch bedroht, da es von einigenihrer grundlegenden Prämissen aus generiert werden kann.

Das zweite Kapitel über Kontextualismus und Endlichkeit ver-sucht die Erkenntnistheorie auf einer kontextualistischen Diskurs-theorie wiederaufzubauen, wofür Wittgensteins und Sextus Empiri-cus’ Versuche einer Grenzziehung des Wissens paradigmatisch her-angezogen werden. Es stellt sich heraus, daß es einen gemeinsamenNenner des Pyrrhonismus und der freilich antiskeptischen, gegenden hyperbolischen Zweifel gerichteten Strategie in WittgensteinsSpätphilosophie gibt. Dieser gemeinsame Nenner ist der Kontextua-lismus, den ich als eine Lektion über die notwendige Endlichkeit desobjektiven Wissens verstehe. Zunächst (§ 7) wird der PyrrhonischeSkeptizismus systematisch umrissen, ohne dabei auf alle historischenDetails des späten Pyrrhonismus bei Sextus einzugehen. Es geht mirlediglich darum, die grundlegende Operation der Selbstanwendung,die peritropffi oder Retorsion, systematisch zu rekonstruieren. Die-se besteht darin, die Einsicht in die Endlichkeit des Wissens auf sichselbst anzuwenden und damit auch noch die Einsicht in die Grenzendes Wissens auf paradoxe Weise zu begrenzen.

In den §§ 8–10 wird Wittgensteins Kontextualismus als eineTheorie des assertorischen Gehalts rekonstruiert. Es wird sich her-ausstellen, daß alle diskursive Bestimmtheit, d. h. aller assertorischeGehalt, allein dadurch zustande kommt, daß Diskurse Betriebsbedin-gungen voraussetzen, über die sie in ipso actu operandi nicht reflexivverfügen können. Dies wird insbesondere unter Rekurs auf das Pro-blem des Regelfolgens und den Regelregreß begründet. Dabei wirdWittgensteins Position mit einigen Grundbegriffen der Systemtheo-rie (v. a. Luhmann’scher Provenienz) zusammengebracht. Wittgen-stein und Luhmann kommen nämlich in dem Punkt überein, daß siefür die notwendige Endlichkeit aller Beobachtungs- bzw. aller Be-stimmtheitsoperationen argumentieren: Was auch immer etwas Be-stimmtes für eine diskursive Gemeinschaft sein kann, gilt als Be-stimmtes nur unter Voraussetzung historisch variabler Parameter,die jeweils festlegen, was eine Gemeinschaft registrieren kann. DieGemeinschaft konstituiert einen Diskurs genau dadurch, daß Angelnfestgelegt werden, um die sich alle einzelnen Züge im Diskursdrehen, was in der Optik meiner Überlegungen die wichtigste Thesevon Wittgensteins Über Gewißheit darstellt. Diese Beobachtungwird als eine Behauptung der notwendigen Endlichkeit des Diskurses

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gedeutet, die auch Sextus bereits unter anderen Bedingungen aufge-stellt hat.

Um die Konsequenzen der Endlichkeit alles diskursiv vermittel-baren Wissens genauer evaluieren zu können, wird in den §§ 9–12Wittgensteins Privatsprachenargument im Kontext diskutiert. Diehier vorgeschlagene Deutung, die sich v. a. an Crispin Wright, SaulKripke und Meredith Williams orientiert, versucht nachzuweisen,daß alles diskursiv vermittelbare Wissen endlich ist, da es auf dieStabilität eines Diskurses angewiesen ist, der als Kontext einer Wis-senszuschreibung feststehen muß. Gleichwohl können die Teilneh-mer des Diskurses nicht innerhalb ihres Diskurses bestimmen, worindie Grundlagen ihres Diskurses bestehen, ohne damit einen Metadis-kurs zu initiieren, der seinerseits wiederum Voraussetzungen, Be-triebsbedingungen, mit sich führt. Es ist demnach unmöglich, voneinem absoluten Standpunkt aus zu bestimmen, wann und ob je-mand etwas weiß. Diese partiell skeptische These läßt sich mit Witt-genstein allerdings zur Konstruktion eines Kontextualismus einset-zen, der den Skeptizismus als eine harmlose Lektion über unserediskursive Endlichkeit rekonstruiert.

In diesem Kontext wird in §11 John McDowells Disjunktivis-mus als antiskeptische Strategie diskutiert. Der Disjunktivismus ver-sucht, Wissen bzw. Erkenntnis unter den Bedingungen einer Theorieder Intentionalität zu entwickeln, die im Unterschied zu Wittgen-stein als eine Theorie des kognitiven – d. h. nicht notwendig sozialenund in diesem Sinne diskursiven – Verhältnisses von Geist und Weltauftritt. In Anlehnung an Wittgenstein ist der Anspruch zu zeigen,daß McDowells Disjunktivismus als antiskeptische Strategie inSchwierigkeiten gerät, da er die sozialsemantische Dimension derSubjektivität nicht a limine in seinen Ansatz integriert, weil er dasSubjekt als kognitive Intentionalität und nicht als (stets auch sozialeingebundene) Person in Raum und Zeit bestimmt.

In § 13 wird die Frage aufgeworfen, wie sich der Vorstellungs-begriff, der traditionell in die gut untersuchten skeptischen Aporiendes mentalen Repräsentationalismus führt, zum Cartesischen Skep-tizismus verhält. Da Wittgenstein mit seinem Kontextualismusgenau besehen die Grundlagen des methodischen Solipsismus derneuzeitlichen Erkenntnistheorie untergräbt, die von vielen Erkennt-nistheoretikern seit Descartes (aber auch schon in der Antike) akzep-tiert worden sind, eröffnet der Kontextualismus einen Ausweg ausdem generellen Paradoxon des Cartesischen Skeptizismus. Dem sol-

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ipsistischen Ich wird durch das Regelproblem und seine kommuni-taristische Auflösung (die in §10 eingehend behandelt wird) derAusweg aus dem »Fliegenglas« (PU, § 309) gewiesen. Damit ver-schwindet der Vorstellungsbegriff, was allerdings einen hohen Preiskostet, da unsere Subjektivität sowie unser metatheoretischer Stand-punkt bedroht sind, die wir aber in Anspruch nehmen müssen, wennwir über Diskurse überhaupt sprechen.

Dies wird besonders deutlich, wenn man Wittgensteins liberalenNaturalismus (§ 14) näher in Augenschein nimmt. Damit die Mög-lichkeit der Verständigung zwischen verschiedenen Diskursen(Sprachspielen) nicht aufgehoben wird, führt Wittgenstein die zweiteNatur des Menschen ein, die als Einheitshorizont aller Diskurse fun-giert. Menschen können sich verständigen, weil sie eine gemeinsameNaturgeschichte haben und »sehr allgemeine Naturtatsachen«(PU II, S. 578) Sorge dafür tragen, daß alles Humane sich in allemHumanen wiedererkennen kann. Und so heißt es bei Wittgensteinexpressis verbis auch, daß alles Wissen nur »von Gnaden der Natur«(ÜG, §505) sei. Diese Position ist allerdings inkompatibel mit Witt-gensteins eigener Motivationstheorie des Kontextualismus und derskeptischen Lektion der Endlichkeit, wie gezeigt werden soll. Dennsie stellt nicht mehr eigens die Frage nach den Betriebsbedingungendesjenigen Diskurses, in dem es eine gültige Behauptung ist, daß un-sere Natur so-und-so ist. Mit anderen Worten wendet Wittgensteinseinen Kontextualismus nicht noch einmal auf sich selbst an (Retor-sion). Daher versuche ich, den Pyrrhonischen Skeptizismus kon-sequent zu Ende zu führen und auch noch den Diskurs über Endlich-keit als endlichen Diskurs aufzufassen, was natürlich das Problemaufwirft, daß die Metatheorie sich selbst unter den Vorbehalt derRevidierbarkeit stellt und ihre Kontingenz eingesteht. Dies bedeutetzwar nicht, daß sie falsch ist oder sich selbst (etwa im Sinne einesperformativen Widerspruchs) aufhebt. Aber sie begrenzt sich gegenein Anderes, von dem sie freilich nichts wissen kann, da sie ihre ei-gene Kontrastklasse nicht kennt. Die Einsicht, daß alle Bestimmtheitim logischen Raum binäre Oppositionen erzeugt, führt im Falle einerSelbstanwendung der Erkenntnis der Endlichkeit des objektiven Wis-sens zur Begrenzung dieses Wissens gegen ein nicht bestimmbares,aber anzunehmendes Nichtwissen.

Schließlich (§ 15) wird im Ausgang von Brandoms Hegel-Deu-tung ein Versuch unternommen, den Weltbegriff gegen die Kontin-genz der Metatheorie zu retten. Dabei stellt sich heraus, daß Bran-

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doms Hegel-Deutung dem absoluten Idealismus der Wissenschaftder Logik nicht adäquat Rechnung trägt und einen Weltbegriff inAnspruch nimmt, über den Hegel weit hinausgeht. Hegels Refle-xionslogik wird in einigen ihrer Grundzüge systematisch gegenBrandoms Version eines objektiven Idealismus ausgespielt. Letztlichsoll auf diese Weise gezeigt werden, daß es möglich ist, eine Diskurs-theorie auf der Basis des Pyrrhonischen Skeptizismus zu entwickeln,deren Aufgabe ›lediglich‹ darin besteht, gegebene Diskurse auf ihredialektische Konsistenz hin zu untersuchen. Dies kann man als eineHegel’sche These verstehen, wobei zuvor der absolute Idealismusvon einigen absurden Vorurteilen freigesprochen werden muß, wasim Rahmen dieser Abhandlung nurmehr ansatzweise geleistet wer-den kann. Die Anknüpfung an Hegel dient als Grundlage für dassystematische Projekt einer Methodologie der Erkenntnistheorie,das nicht versucht, vermeintlich ernsthafte skeptische Probleme zulösen, sondern allein die dialektische Topographie möglicher Lösun-gen absteckt, um deren Erfolgsaussichten evaluieren zu können. Die-ses Modell einer Methodologie, die sich in der Reflexion auf die End-lichkeit des Wissens erzeugt, betrachte ich als eine Rezeption derHegel’schen Rede von einem absoluten Wissen im engeren Sinneseiner Phänomenologie des Geistes. Ich versuche damit letztlich zu-mindest im Ansatz nachzuweisen, daß das Paradigma der Philosophieals Einheit von Methode und Gegenstand, d. h. der sich-denkendeVollzug im Medium des reinen Denkens, in der zeitgenössischenSkeptizismus-Debatte auf eine Weise wiederkehrt, die Hegels Pro-gramm eines absoluten Wissens unter erneuerten Vorzeichen bestä-tigt. In diesem Zusammenhang sei vorab darauf hingewiesen, daß»absolutes Wissen« kein unendliches Wissen ist, sondern daß auchund gerade das absolute Wissen an seiner höherstufigen Unmittel-barkeit und damit Endlichkeit scheitert, weshalb das absolute Wissenbei Hegel bekanntlich keineswegs das letzte Wort ist.9

Da die folgende Abhandlung ohnehin bereits sehr umfangreichgeraten ist, erlaube ich es mir, es hier bei dieser kurzen Inhaltsüber-sicht zu belassen. Zur Orientierung des Lesers kann man noch hin-zufügen, daß das erste Kapitel weitgehend destruktiv mit dem Wis-sensbegriff und möglichen antiskeptischen Strategien umgeht,während das zweite Kapitel konstruktiv den Kontextualismus auf

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9 Vgl. dazu die Skizze von Jay Bernstein in: »Hegel’s Ladder: The Ethical Presupposi-tions of Absolute Knowing«, in: Dialogue XXXIX (2000), 803–818.

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den Trümmern des ersten Kapitels aufbaut, ohne gegen die Wahrheitdes (Pyrrhonischen) Skeptizismus, d. h. seine Lektion über unserenotwendige Endlichkeit, Einwände zu erheben. Erkenntnistheoriekonfrontiert uns mit unserer diskursiven Endlichkeit, die wir nichttranszendieren können. Dies bedeutet allerdings keinen Einwand ge-gen die Möglichkeit einer metaphysischen Theorie des Unendlichen,sofern diese sich nur richtig versteht, wie ich in an anderer Stelle zuzeigen versuchen werde.10

Was meine Methode der Darstellung betrifft, so gehe ich davonaus, daß es legitim ist, Ansätze aus der analytischen Philosophie,insbesondere aus der Erkenntnistheorie und teilweise aus der Philo-sophie des Geistes, mit traditionellen Fragestellungen der Erkennt-nistheorie und Metaphysik zu verbinden. Die weit verbreitete Ent-gegensetzung von analytischer und kontinentaler Philosophie istsystematisch ohnehin nicht mehr ohne weiteres aufrechtzuerhalten.Deshalb wird hier kein Versuch unternommen, der sich einer be-stimmten Schule zurechnet oder auch nur davon ausgeht, daß sichMethoden und Schulen vor dem Hintergrund übergeneralisierenderTitel wie »analytische« oder »kontinentale« Philosophie hinreichendunterscheiden lassen. Die überbordende Professionalisierung desphilosophischen Betriebs unserer Zeit bedeutet nicht, daß die Phi-losophie selbst eine professionalisierte und in klar umgrenzte Dis-ziplinen mit vorgegebenen Methoden gegliederte Wissenschaft ist.Die Ordnung des philosophischen Diskurses mag zwar zur Organisa-tion des akademischen Betriebs bis zu einem gewissen Umfang ak-zeptierbar sein. Sie steht der Philosophie selbst als diskursiver Praxisder Freiheit aber potentiell entgegen. Zur Bestimmung der Funktiondes Skeptizismus in der Erkenntnistheorie habe ich aus diesem Grun-de auf Ansätze verschiedenster Denker zurückgegriffen, um auf die-ser Basis meine eigene Position zu entwickeln, ohne dabei den Ver-such zu unternehmen, »modisch korrekt« zu philosophieren.

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10 Zum Verhältnis von Skeptizismus und Metaphysik am Beispiel des Begriffs des Un-endlichen bei Schelling und Hegel vgl. bereits meine Skizze in Gabriel, M.: »Die meta-physische Wahrheit des Skeptizismus bei Schelling und Hegel«, in: InternationalesJahrbuch des Deutschen Idealismus 5 (2007) vgl. auch Gabriel, M.: »The Dialectic ofthe Absolute – Hegel’s Critique of Transcendent Metaphysics«, in: Gabriel, M.: Tran-szendentalontology: Essays in German Idealism. New York/London 22013, S. 104–118[Die 2008 angekündigte Arbeit liegt inzwischen vor als Sinn und Existenz. Einerealistische Ontologie. Berlin 2014. Vgl. auch das Nachwort zur vorliegenden Ausgabe.]