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Sie war 15. Er 21. Viel zu alt für eine Minderjährige. Unsterb- lich verliebt, aber sehr vernünf- tig entschied sie sich gegen ihn. Todunglücklich reiste die Bau- erntochter Marlene Koch, die damals noch Marlen Mathis hiess, zurück nach Ennetbürgen NW und liess Italien, das Feri- enlager und ihre Liebe Stephan Koch aus Root LU zurück. Die Zeit verging. Sie beendete die Schule und studierte schliess- lich Agronomie an der ETH Zürich. Auch Stephan Koch ging in der Zwischenzeit seinen Weg. Der Bauernsohn verliess den elterlichen Betrieb in Obermettlen, Root LU, und studierte Informatik- und Be- triebswirtschaften. Eines Tages im Winter 2008 erblickten sie einander wieder. In Davos im Après-Ski. Alles war wieder da. Zwei Jahre nach dieser Begeg- nung heirateten sie und über- nahmen wiederum zwei Jahre später den elterlichen Betrieb von Stephan Koch. Vier Standbeine Seit acht Jahren führen sie nun also den Betrieb in Ober- mettlen, Root LU. «Es hat uns nichts ausgemacht, unsere Ka- derstellen zurückzulassen», er- zählt Marlen Koch heute am Te- lefon. «Wir wollten zurück zu unseren Wurzeln und in der Na- tur arbeiten.» Obwohl sie heute sehr viel Arbeit haben und kein Leben im Luxus führen, haben sie den Schritt nie bereut. Ihr Betrieb steht heute auf vier Standbeinen: Obstbau, Fleischdirektvermarktung, (sie- he Kasten) Events und Musik. An den Events laden sie Gäste zu sich auf den Hof ein, servie- ren ihnen Fleisch vom eigenen Betrieb und spielen Lieder auf dem Schwyzerörgeli. Die Liebe zu diesem Instrument erwachte in den beiden, weil sie oft an ge- selligen Anlässen waren, an de- INNOVATION: Marlen und Stephan Koch aus Root LU haben auch während der Corona-Zeit gute Ideen Sie entschieden sich gegen- einander und wollten zu- nächst nicht bauern. Heute sind Marlen und Stephan Koch aus Root LU verhei- ratet und führen einen Hof. Corona war auch für sie ein Schock. Sie machten aber das Beste daraus – mit Musik. JULIA SPAHR nen musiziert und gesungen wurde. Das wollten sie auch. Al- so fingen sie im Alter von 30 und 36 Jahren noch an, Örgeli- Kochs setzen auf ihrem 6,5- ha-Bio-Betrieb auf Vollwei- de, Raufutter und Laufstall, sie enthornen die Kühe nicht, verabreichen vornehmlich al- ternative Tiermedizin und nur im Notfall Antibiotika. Zudem lassen sie ihre Tiere in einem höheren Schlachtalter in der Dorfmetzgerei schlachten (künftig ist Hoftö- tung geplant). Sie verwenden ausschliesslich Hofdünger und keine Pflanzenschutz- mittel. jul ZUM BETRIEB Kochs, die als «’s Chochä» be- kannt sind, starteten das Pro- jekt Herbstzeitlose 2019. Es handelt sich um solidarische Landwirtschaft im Bereich Nutztierhaltung. Die Basis bil- den vier alte Mutterkühe der ProSpecieRara-Rasse Räti- sches Grauvieh, die eigentlich geschlachtet werden sollten, die Kochs aber nach Obermett- len geholt haben. Jedes Kalb, das sie gebären, erhält acht Pa- ten. Jeder Pate bezahlt von der Geburt des Kalbes bis zum HERBSTZEITLOSEN Schlachttermin, also während zwei Jahren, jeden Tag einen Franken und erhält danach sei- nen Fleischanteil am Herbst- zeitlosen-Beef. Während den zwei Jahren kann er an Bau- ernhoftagen aktiv auf dem Hof mitarbeiten und so einen Ein- blick erhalten, was hinter ei- nem Bissen Fleisch steckt. Mittlerweile haben Marlen und Stephan Koch 15 Tiere und 32 Paten. mgt/jul www.herbst-zeitlose.ch unterricht zu nehmen. «Am An- fang hat es uns schon ziemlich das Gehirn erlesen», sagt Mar- len Koch und lacht. «Besonders wegen der Diatonik: Ein Örgeli tönt anders, je nachdem ob man zieht oder stösst.» «Da wir das aber unbedingt wollten und des- halb die nötige Disziplin auf- brachten, haben wir es relativ schnell gelernt», ergänzt Ste- phan Koch. Mittlerweile haben sie eine CD aufgenommen. Und sie treten an öffentlichen und privaten Anlässen auf. Zumin- dest bisher. «Corona machte auch ihnen einen Strich durch die Rechnung. Das ängstigte uns zunächst. Auch aus finanzieller Sicht. Für uns brechen damit zwei Standbeine weg. Die Events auf unserem Hof und un- sere Auftritte», sagt Marlen Koch. «Wir merkten aber, dass wir nicht die einzigen waren. Zu Beginn des Lockdowns verfielen viele Leute in eine Art Schock- starre. Dagegen wollten wir et- was tun», erzählt sie weiter. «Balkonkonzerte» Inspiriert durch die Balkon- konzerte aus Italien machten sie also etwas Ähnliches. Da sie von ihrem Betrieb aus eine Aussicht haben, als stünden sie auf einem grossen Balkon, haben sie von dort aus jeden Tag ein Örgeli- Stück gespielt, es gefilmt und es über ihre Homepage, Facebook und Youtube zugänglich ge- macht. Das taten sie 19 Tage am Stück und später etwas unregel- mässiger. Sie legten dafür kurz ihre Arbeit nieder und zeigten sich musizierend mitten im Wald bei geschlagenen Bäumen, bei den Kälbern im Laufstall oder so. «Dadurch haben die Men- schen gesehen, dass Landwirte gerade in dieser Zeit sehr hart am Arbeiten sind und viel leis- ten. Das hat uns Wertschätzung eingebracht wir haben sehr viel Dankbarkeit erfahren auch für unsere Musik.» Neue Kundschaft Das habe bewirkt, dass neben der bestehenden Kundschaft auch andere Leute auf sie und ihr Direktvermarktungsangebot aufmerksam wurden. Sie konn- ten ihr Fleisch und andere Pro- dukte verkaufen und so die Ein- kommenseinbussen der Auftrit- te und Events etwas abfe- dern. «Wenn man etwas Gutes tut, kommt es in der Regel zu- rück, das haben wir gerade in dieser Zeit sehr stark gemerkt und dafür sind wir wiederum sehr dankbar», sagt Marlen Koch. SEITE 3 www.obermettlen.com 02.05.2020 «Wer Gutes tut, bekommt es zurück» Marlen und Stephan Koch mit ihren Kühen der Rasse Rätisches Grauvieh. (Bild: Marcel Villiger) Sie legten ihre Arbeit nieder, um zu musizieren. (Bild: Stephan Koch mit Selbstauslöser)

Marlen und Stephan Koch aus Root LU haben auch während der … · 2020. 6. 2. · sind Marlen und Stephan Koch aus Root LU verhei-ratet und führen einen Hof. Corona war auch für

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Page 1: Marlen und Stephan Koch aus Root LU haben auch während der … · 2020. 6. 2. · sind Marlen und Stephan Koch aus Root LU verhei-ratet und führen einen Hof. Corona war auch für

Sie war 15. Er 21. Viel zu alt füreine Minderjährige. Unsterb-lich verliebt, aber sehr vernünf-tig entschied sie sich gegen ihn.Todunglücklich reiste die Bau-erntochter Marlene Koch, diedamals noch Marlen Mathishiess, zurück nach EnnetbürgenNW und liess Italien, das Feri-enlager und ihre Liebe StephanKoch aus Root LU zurück. DieZeit verging. Sie beendete dieSchule und studierte schliess-lich Agronomie an derETH Zürich. Auch StephanKoch ging in der Zwischenzeitseinen Weg. Der Bauernsohnverliess den elterlichen Betriebin Obermettlen, Root LU, undstudierte Informatik- und Be-triebswirtschaften. Eines Tagesim Winter 2008 erblickten sieeinander wieder. In Davos imAprès-Ski. Alles war wieder da.Zwei Jahre nach dieser Begeg-nung heirateten sie und über-nahmen wiederum zwei Jahrespäter den elterlichen Betriebvon Stephan Koch.

Vier StandbeineSeit acht Jahren führen sie

nun also den Betrieb in Ober-mettlen, Root LU. «Es hat unsnichts ausgemacht, unsere Ka-derstellen zurückzulassen», er-zählt Marlen Koch heute am Te-lefon. «Wir wollten zurück zuunseren Wurzeln und in der Na-tur arbeiten.» Obwohl sie heutesehr viel Arbeit haben und keinLeben im Luxus führen, habensie den Schritt nie bereut.

Ihr Betrieb steht heute aufvier Standbeinen: Obstbau,Fleischdirektvermarktung, (sie-he Kasten) Events und Musik.An den Events laden sie Gästezu sich auf den Hof ein, servie-ren ihnen Fleisch vom eigenenBetrieb und spielen Lieder aufdem Schwyzerörgeli. Die Liebezu diesem Instrument erwachtein den beiden, weil sie oft an ge-selligen Anlässen waren, an de-

INNOVATION: Marlen und Stephan Koch aus Root LU haben auch während der Corona-Zeit gute Ideen

Sie entschieden sich gegen-einander und wollten zu-nächst nicht bauern. Heutesind Marlen und StephanKoch aus Root LU verhei-ratet und führen einen Hof.Corona war auch für sie einSchock.SiemachtenaberdasBeste daraus – mit Musik.

JULIA SPAHR

nen musiziert und gesungenwurde. Das wollten sie auch. Al-so fingen sie im Alter von 30und 36 Jahren noch an, Örgeli-

Kochs setzen auf ihrem 6,5-ha-Bio-Betrieb auf Vollwei-de, Raufutter und Laufstall,sie enthornen die Kühe nicht,verabreichen vornehmlich al-ternative Tiermedizin undnur im Notfall Antibiotika.Zudem lassen sie ihre Tiere ineinem höheren Schlachtalterin der Dorfmetzgereischlachten (künftig ist Hoftö-tung geplant). Sie verwendenausschliesslich Hofdüngerund keine Pflanzenschutz-mittel. jul

ZUM BETRIEB

Kochs, die als «’s Chochä» be-kannt sind, starteten das Pro-jekt Herbstzeitlose 2019. Eshandelt sich um solidarischeLandwirtschaft im BereichNutztierhaltung. Die Basis bil-den vier alte Mutterkühe derProSpecieRara-Rasse Räti-sches Grauvieh, die eigentlichgeschlachtet werden sollten,die Kochs aber nach Obermett-len geholt haben. Jedes Kalb,das sie gebären, erhält acht Pa-ten. Jeder Pate bezahlt von derGeburt des Kalbes bis zum

HERBSTZEITLOSEN

Schlachttermin, also währendzwei Jahren, jeden Tag einenFranken und erhält danach sei-nen Fleischanteil am Herbst-zeitlosen-Beef. Während denzwei Jahren kann er an Bau-ernhoftagen aktiv auf dem Hofmitarbeiten und so einen Ein-blick erhalten, was hinter ei-nem Bissen Fleisch steckt.Mittlerweile haben Marlenund Stephan Koch 15 Tiereund 32 Paten. mgt/jul

www.herbst-zeitlose.ch

unterricht zu nehmen. «Am An-fang hat es uns schon ziemlichdas Gehirn erlesen», sagt Mar-len Koch und lacht. «Besonders

wegen der Diatonik: Ein Örgelitönt anders, je nachdem ob manzieht oder stösst.» «Da wir dasaber unbedingt wollten und des-

halb die nötige Disziplin auf-brachten, haben wir es relativschnell gelernt», ergänzt Ste-phan Koch. Mittlerweile habensie eine CD aufgenommen. Undsie treten an öffentlichen undprivaten Anlässen auf. Zumin-dest bisher. «Corona machteauch ihnen einen Strich durchdie Rechnung. Das ängstigte unszunächst. Auch aus finanziellerSicht. Für uns brechen damitzwei Standbeine weg. DieEvents auf unserem Hof und un-sere Auftritte», sagt MarlenKoch. «Wir merkten aber, dasswir nicht die einzigen waren. ZuBeginn des Lockdowns verfielenviele Leute in eine Art Schock-starre. Dagegen wollten wir et-was tun», erzählt sie weiter.

«Balkonkonzerte»Inspiriert durch die Balkon-

konzerte aus Italien machten siealso etwas Ähnliches. Da sie vonihrem Betrieb aus eine Aussichthaben, als stünden sie auf einemgrossen Balkon, haben sie vondort aus jeden Tag ein Örgeli-Stück gespielt, es gefilmt und esüber ihre Homepage, Facebookund Youtube zugänglich ge-macht. Das taten sie 19 Tage amStück und später etwas unregel-mässiger. Sie legten dafür kurzihre Arbeit nieder und zeigtensich musizierend mitten im Waldbei geschlagenen Bäumen, beiden Kälbern im Laufstall oderso. «Dadurch haben die Men-schen gesehen, dass Landwirtegerade in dieser Zeit sehr hartam Arbeiten sind und viel leis-ten. Das hat uns Wertschätzungeingebracht wir haben sehr vielDankbarkeit erfahren auch fürunsere Musik.»

Neue KundschaftDas habe bewirkt, dass neben

der bestehenden Kundschaftauch andere Leute auf sie undihr Direktvermarktungsangebotaufmerksam wurden. Sie konn-ten ihr Fleisch und andere Pro-dukte verkaufen und so die Ein-kommenseinbussen der Auftrit-te und Events etwas abfe-dern. «Wenn man etwas Gutestut, kommt es in der Regel zu-rück, das haben wir gerade indieser Zeit sehr stark gemerktund dafür sind wir wiederumsehr dankbar», sagt MarlenKoch. SEITE 3

www.obermettlen.com

02.05.2020

«Wer Gutes tut, bekommt es zurück»

Marlen und Stephan Koch mit ihren Kühen der Rasse Rätisches Grauvieh. (Bild: Marcel Villiger)

Sie legten ihre Arbeit nieder, um zu musizieren. (Bild: Stephan Koch mit Selbstauslöser)