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Universität Leipzig Institut: Sozialwissenschaften – Philosophie Hauptseminar: Hannah Arendt – Vita Activa Dozent: Dr. Gerald Hartung Wintersemester 2005/06 Peter Gentzel Magisterstudiengang: KMW/ Philosophie / Politikwissenschaft Matrikelnummer: 8907114 9. Fachsemester [email protected] Könneritzstraße 41 04229 Leipzig Hausarbeit: Martin Heideggers Konzeption der Welt und Hannah Arendts sozialgeschichtliche Fortführung - Die Weltlichkeit als Condition humain -

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Universität Leipzig

Institut: Sozialwissenschaften –

Philosophie

Hauptseminar: Hannah Arendt –

Vita Activa

Dozent: Dr. Gerald Hartung

Wintersemester 2005/06

Peter Gentzel

Magisterstudiengang:

KMW/ Philosophie /

Politikwissenschaft

Matrikelnummer: 8907114

9. Fachsemester

[email protected]

Könneritzstraße 41

04229 Leipzig

Hausarbeit:

Martin Heideggers Konzeption der Welt und Hannah

Arendts sozialgeschichtliche Fortführung

- Die Weltlichkeit als Condition humain -

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Inhalt

1. Einleitende Bemerkungen

1.1. Menschliche Existenz als Verhältnis 03

1.2. Das Phänomen >Welt< 04

2. Heideggers Konzeption des In-der-Welt-Seins

(Sein und Zeit, §§ 14-27) 05

2.1 die Weltlichkeit der Welt 06

2.2 die Descartes-Kritik 09

2.3 die Räumlichkeit des In-der-Welt-Seins / des Daseins 11

2.4. das In-der-Welt-Sein als Mitsein / das Man 13

3. Arendts Konzeption der Welthaftigkeit des Menschen

(Vita activa, Kap. 4+5) 16

3.1 die Dauerhaftigkeit der Welt 17

3.2 das Herstellen / die Beständigkeit der Welt 19

3.3 Handeln und Sprechen / der Erscheinungsraum

/ der Prozesscharakter 22

4. Resümee 25

5. Literatur 28

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1. Einleitende Bemerkungen

1.1. Menschliche Existenz als Verhältnis (In-der-Welt-sein)

Eine Analyse der Konzeption von Welt bei Heidegger und Arendt muss ihren Ausgangspunkt

im Verhältnis von Mensch bzw. Dasein zur Welt haben. Beide stimmen in ihrer Analyse näm-

lich überein: menschliche Existenz, Dasein lässt sich nicht als bloße Vorhandenheit, als

Quantor im Sinne von „es gibt mindestens eins, das vorhanden ist“ verstehen. Menschliche

Existenz versteht sich selbst primär über ihren Zugang zu den Dingen.

Sowohl Arendt als auch Heidegger konzipieren zunächst den Umgang mit bzw. in der Welt

als fundamentale Verhaltensweise des Menschen. Der Titel Vita activa zeigt in einem be-

stimmten Sinne dieses schon an: Während Heidegger es nicht explizit seinen Überlegungen

voranstellt, widmet Arendt der Unterscheidung von vita contemplativa, dem selbstvergesse-

nen, isoliertem Denken und vermeintlichem Ideal des späten Heidegger, eine ausführliche

Auseinandersetzung. Ihr Anliegen dabei ist es, die Condition humaine, die Bedingtheit, Be-

stimmung der menschlichen Existenz aus einer bestimmten tradierten Ordnung zu lösen. A-

rendt insistiert auf der Gleichberechtigung von praktischem und theoretischem Umgang mit

und in der Welt:

„Mein Einwand gegen die Tradition besteht wesentlich darin, dass durch das in der überliefer-

ten Hierarchie der Kontemplation zuerkannte Primat die Gliederung und Unterschiede inner-

halb der vita activa verwischt oder nicht beachtet worden sind [...] und das sie ferner dem

Grundanliegen einer vita contemplativa weder überlegen noch unterlegen sind.“1

Heidegger meint nicht exakt das gleiche, wenn er sein Dasein als sorgendes konzipiert, den-

noch zeigt sich in der Bestimmung des Daseins gleich zu Beginn von Sein und Zeit eine struk-

turelle Ähnlichkeit:

„ Das Dasein ist ein Seiendes, das nicht nur unter anderem Seiendem vorkommt. Es ist viel-

mehr dadurch ausgezeichnet, dass es diesem Seiendem in seinem Sein um dieses Sein selbst

geht. Zu dieser Seinsverfassung des Daseins gehört aber dann, dass es in diesem Sein zu sei-

nem Sein ein Seinsverhältnis hat.“2

Ernst Tugendhat merkt zu dieser Stelle an, dass Heidegger mit Sein nur die menschliche Exis-

tenz meinen kann, also in keinem Fall eine Vorhandenheit (existenzia).3 Sowohl Arendt als

1Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. 3. Auflage, München 2005, S. 27. 2Heidegger, Martin: Sein und Zeit. 18. Auflage Tübingen 2001, S. 12. 3 Tugendhat, Ernst: Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung. Frankfurt am Main 1979, S. 173.

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auch Heidegger sprechen also von derselben Sache, der menschlichen Existenz, wenn sie als

primäre Bestimmung ein Verhältnis apostrophieren.

So trivial diese Überlegung auch scheinen mag, die Konsequenz ist es nicht: In diesen Sätzen

drückt sich eine gemeinsame Verweigerungshaltung gegenüber einer ganzen philosophischen

Tradition aus. Die cartesianische Bestimmung einer res cogitans, welche allein Kraft ihrer

Verstandestätigkeiten – unabhängig von der Rolle welche diese Auffassung im Zusammen-

hang mit einem physikalischen Weltbild spielt4 - menschliche Existenz erkennt und bestimmt,

ist mit dieser Grundbestimmung passé.

1.2. Das Phänomen >Welt<

Wie es im Wesen eines Verhältnisses liegt, gibt es nun zwei Seiten deren genauere Betrach-

tung äußerst instruktiv sein kann. In diesem Fall, liegt der Schwerpunkt auf dem Phänomen

Welt, welches freilich nicht als hermetisch getrennt vorgestellt werden kann, sondern in ge-

wisser Weise notwendig immer auch Dasein näher bestimmt. Eine detaillierte Anbindung an

Begriffe auf dem höchsten philosophischen Niveau, gemessen bspw. an ihrer Geschichte oder

ihrer ganze Denkepochen prägenden Kraft, wie etwa Selbstbewusstsein, kann hier natürlich

nicht geleistet werden, dennoch kann man die Konzeption eines primär praktischen In-der-

Welt-seins und die daraus folgenden Konsequenzen für das Sich-zu-sich-Verhalten immer

durch die Argumentationen durchscheinen sehen. Dieses Motiv der Überlegungen wird ab-

schließend fragmentarisch angedeutet werden und sich als ideale Brücke für die Verbindung

einzelner Überlegungen von Heidegger und Arendt erweisen.

Was genau also verbirgt sich hinter dem Phänomen Welt?

Hier sind einige Unterscheidungen vorgängig notwendig: Auch wenn in der Sekundärliteratur

von einer Wende, im Unterschied zu Arendts eher geschichtlich-funktionalistischer Perspek-

tive in der Totalitarismusanalyse von Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, hin zu

einer „[...] eigenen Version seinsgeschichtlichen [...] Verstehens [...]“5 gesprochen wird, muss

man prinzipiell eine Ebenenverschiebung im Vergleich zu Heidegger konstatieren.

In einem bestimmten Sinne sind die Analysen Arendts weniger „metaphysisch“ als sozial-

geschichtlich. Der Gegenstandsbereich ihres Denkens ist immer auch politisch motiviert. Dies

lässt sich verschiedentlich belegen: Allein rein oberflächlich anhand der Titel ihrer Publikati-

onen, inhaltlich bspw. an ihrer Wertung bestimmter Phänomene, wie bspw. der Freiheit. Dies

lässt sich auch aus Vita activa destillieren, denn zum Abschluss ihrer Analyse der Tätigkeiten 4 Hierzu Vgl.: Arendt, Hannah (2005), v.a. S. 347. 5 Brunkhorst, Hauke: Hannah Arendt. München: Beck 1999, S. 109.

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der Vita activa – im fünften Kapitel „Das Handeln“ – zeichnet sie die Freiheit als Grundbe-

stimmung des Menschen aus. Dies entspringt notwendig aus der menschlichen Fähigkeit zu

handeln. Handeln als die Entsprechung der Natalität ist, daran lässt Arendt keinen Zweifel,

ein Gebot, allein deshalb, weil es das „ [...] menschliche Bezugsgewebe [...] schafft [...]“6.

Hier zeigt sich eben der politische Kern im Denken von Hannah Arendt und als ob man es

nicht herauslesen könnte, führt sie in diesem Kontext auch gleich die Konsequenzen dieser

Bestimmung für staatliches Zusammenleben und auch politische Theorie aus.7

2. Heideggers Konzeption des In-der-Welt-seins (Sein und Zeit, §§ 14-27)

„>>Welt<< ist ontologisch keine Bestimmung des Seienden,

das wesenhaft das Dasein nicht ist, sondern ein Charakter des

Daseins selbst.“8

Einer textnahen Analyse des Phänomens In-der-Welt-sein sind einige Bemerkungen voraus

zuschicken. Wie bereits einleitend erwähnt ist der Existenzbegriff Heideggers ein ganz be-

stimmter, nämlich einer der sich wesentlich durch seine Selbstsorge auszeichnet, d.h. nicht

bloß vorhanden ist, sondern sui generis sich selber zu bestimmen sucht (die Sinnsuche). Es ist

oben schon erwähnt wurden, dass dieser Existenzbegriff eine lange Tradition philosophischer,

nämlich dualistischer, Erkenntnistheorie zurückgewiesen.9

Das Dasein Heideggers ist weltlich, womit Fragen nach der Möglichkeit von außenweltlicher

Erkenntnis wie subjektiver Selbsterkenntnis, die sich in guter cartesianischer Tradition ent-

lang des Subjekt–Objekt-Modells bewegen, unterlaufen werden. Die großen epistemologi-

schen Probleme um den Begriff des Erkennens, bspw. wie ein Subjekt ein Objekt erkennen

kann, wenn man doch verschiedener Seinsart ist, und deren stets defizitäre Antworten, bspw.

die Problematik der Verdinglichung, stellen sich hier nicht mehr. Nach Heidegger ist das Da- 6 Arendt, Hannah (2005), S. 298. 7 Zum praktischen Zusammenleben sei hier v.a. auf die Ausführungen in den Abschnitten zu Verzeihen und Versprechen verwiesen. Nach Arendt ist nämlich die Konstitution eines menschlichen Bezugsgewebes durch die Freiheit zu handeln nicht folgenlos. Weitere Attribute vom Handeln sind: Endlosigkeit, Undurchsichtigkeit und Irreversibilität. Aus diesen drei Bestimmungen folgt dann automatisch die Kapitulation und damit Reduktion aller menschlichen Tätigkeiten in der politischen Theorie auf Herstellen, sowie die fast magischen Fähigkeiten des Verzeihens und Versprechens, ohne die eine gemeinsame Praxis schlicht unmöglich wäre. An dieser Stelle sei auch die Nebenbemerkung erlaubt, dass m.E. diese Bestimmung von Freiheit zwingend mit den Begriffen Versprechen und Verzeihen zusammen zu denken ist und deshalb manch Verweise auf Arendt als (neo-)liberale, antikommunistische Denkerin – wegen ihrer Wertung von Freiheit und Gleichheit – überzogen ist. 8 Heidegger, Martin: Sein und Zeit. Tübingen: Niemeyer 18. Auflage 2001, S. 64. 9 In der Sekundärliteratur findet sich eine Vielzahl von Kommentaren zu diesem Aspekt der cartesianischen Kritik und ihren Implikationen. Vgl. dazu v.a.: Dreyfus, Hubert L.: Being-in-the-world. A Commentary on Hei-deggers “Being and Time”. Cambridge / Massachusetts 1995.; Dreyfus, Hubert L. : In-der-Welt-sein und Welt-lichkeit: Heideggers Kritik des Cartesianismus. In: Rentsch, Thomas [Hrsg.]: Martin Heidegger Sein und Zeit. Berlin 2001, S. 69 – 87.

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sein weltlich, weshalb Weltbezug also eben gerade kein Subjekt-Objekt-Verhältnis sein kann.

Dasein ist weltlich besagt zugleich auch, dass Welt kein Raum im klassischen Sinne sein

kann, also kein Ort an dem man sich befindet und der mit bestimmten Dingen ausgestattet ist,

auf die man sich dann beziehen kann. Das klassische Bild eines Subjekts, welches sich umge-

ben von verschiedenen Entitäten auf diese bezieht um sie „zu erkennen“ wird von Heidegger

mit dieser Konzeption des Daseins unterlaufen. Er expliziert diesen Unterschied selbst an ver-

schiedenen Stellen, u.a. wenn er sagt:

„ Ein Blick auf die bisherige Ontologie zeigt, daß mit dem Verfehlen der Daseinsverfassung

des In-der-Welt-seins ein Überspringen des Phänomens der Weltlichkeit zusammengeht. Statt

dessen versucht man die Welt aus dem Sein des Seienden zu interpretieren, das innerweltlich

vorhanden, überdies aber zunächst gar nicht entdeckt ist, aus der Natur. [...] Das Seiende als

Natur in diesem Sinne kann das Dasein nur in einem bestimmten Modus seines In-der-Welt-

seins entdecken.“10

Ziel der folgenden Auseinandersetzung mit Sein und Zeit, soll es sein die soeben angespro-

chenen Momente näher zu beleuchten: Die Weltlichkeit der Welt, die sich daraus ergebene

Abgrenzung zur cartesianisch basierten Erkenntnistheorie v.a. im Bezug auf das Phänomen

Welt, wie Descartes es beschreibt, und abschließend die Räumlichkeit der Welt, wobei mit

Bezug auf Hannah Arendt besonders das Existenzial des Mitdaseins bzw. Mitseins eine expo-

nierte Stellung einnimmt.

2.1. Die Weltlichkeit der Welt

„>>Weltlichkeit<< ist ein ontologischer Begriff und meint

die Struktur eines konstitutiven Moments des In-der-Welt-

seins. Dieses aber kennen wir als existenziale Bestimmung

des Daseins. Weltlichkeit ist demnach selbst ein Existenzi-

al.“11

Heidegger beginnt die Auseinandersetzung mit der Welt, indem er vier verschiedene Ver-

ständnisse derer aufzeigt. Von Bedeutung sind dabei gerade die zwei, welche auch in der

Überschrift anklingen, nämlich die Welt als Raum in der ein faktisches Dasein lebt und Welt-

lichkeit als exitenziale Kategorie, quasi als Strukturmerkmal des Daseins. Obwohl erstere der

beiden Begriffe noch im ontischen, also der Sphäre des Seienden im Unterschied zur Sphäre

10 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 65. Vgl. dazu auch S. 66. 11 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 64.

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der Seins - der ontologischen Sphäre, verharrt, nimmt hier die Analyse ihren Ausgangspunkt.

Heidegger geht der Frage nach, auf welche Weise Seiendes dem Dasein alltäglich begegnet.

So unscheinbar es auch sein mag, markiert das Wörtchen alltäglich in einem Sinne den be-

schriebenen Tabubruch: Während im philosophischen common sense seit Aristoteles die aus-

gezeichnete Art des Lebensvollzugs bzw. des Umgangs mit innerweltlich Seiendem die theo-

reia gilt, kehrt Heidegger die Prioritätenliste hier schlicht um: nicht in der Theorie, sondern in

der Praxis findet sich die Seinsart des Seienden.12 Wichtig hierbei ist die Übersetzung von

Praxis mit Handlung, nicht mit pragmata, denn hier pragmatisch sein bzw.- handeln zu ver-

stehen, wäre in hohem Maße irreführend.

Heidegger bestimmt Seiendes im täglichen Umgang als Zeug, die Form in denen wir ihm be-

gegnen als Zuhandenheit. Wir gehen mit den Dingen immer in einer Weise um, die sich dem

äußeren Blick entzieht, da wir sie verwenden für bestimmte Zwecke, Absichten. Diese Funk-

tionszusammenhänge, innerhalb derer wir Sachen wahrnehmen, Heidegger nennt sie Verwei-

sungszusammenhänge, sind eben nicht erst von Menschen auf die Dinge „an-sich“ gestülpt,

sondern bezeichnen umgekehrt die ursprünglichste aller Umgangsformen. Wieder lässt sich

eine provokante These ableiten: Zuhandenheit fundiert Vorhandenheit. Provokant, weil

Vorhandenheit hier stellvertretend für Natur steht. Reformuliert bedeutet dies, dass wir die

Natur der Dinge überhaupt erst erkennen können, wenn wir im täglichen Umgang mit ihnen

erprobt sind. Nach Heidegger zeigt sich nämlich die Vorhandenheit der Dinge erst, wenn ihre

Zuhandenheit gestört ist, d.h. sie ihre bekannte Funktion nicht mehr ausfüllen und damit der

Verweisungszusammenhang gestört ist, also erst wenn das Zeug dem Dasein nicht mehr zu

dem verhelfen kann, weswegen es sich überhaupt erst diesem zugewandt hat. Die Natur der

Dinge, also so etwas wie die Gegenständlichkeit von Gegenständen, die Dinghaftigkeit von

Dingen, fällt also erst auf, wenn der alltägliche Umgang mit den Dingen gestört ist.13

Dies ist weiterhin deshalb von Wichtigkeit, weil es bestätigt, dass Natur, Dinghaftigkeit, Welt

im oben beschriebenen ontischen Verständnis überhaupt als Phänomen erfahrbar ist. Eine

enorm wichtige Begrifflichkeit in diesem Zusammenhang ist die der Verweisung und der

Verweisungsganzheit, analog der Zeug- oder auch Bewandtnisganzheit. Wie sich aus dem

Beschriebenen erkennen lässt, verweist das Zeug nämlich stets auf bestimmte (Bewandtnis-) 12 Vgl hierzu: Volpi, Franco: Der Status der existenzialen Analytik. In: Rentsch, Thomas 2001,S. 36ff. 13 Heidegger wird später in seinen Überlegungen zur Technik detaillierter auf die Frage nach etwas, was man den ungestörten Zugang zur Natur nennen könnte, eingehen. Im Mittelpunkt bei diesen Überlegungen steht die Frage inwieweit die moderne Technik ein „Weltbild“ ist, das heißt inwiefern wir uns gerade durch die Schimäre der Technikbeherrschung um den Zugang, den Blick auf die Vorhandenheit bringen. Vgl. hierzu u.a.: Heidegger, Martin: Die Frage nach der Technik. In: Heidegger, Martin: Vorträge und Aufsätze. Pfullingen: Neske, S. 9-40. / Heidegger, Martin: Die Zeit des Weltbildes. In: Heidegger, Martin: Holzwege. FAM: Vittorio Klostermann 8. Aufl. 2003, S. 75-113. (v.a. bezgl. der „epistemologischen Komponente“, allg. Charakter eines wissenschaftli-chen Weltbildes)

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Zusammenhänge. Das können sowohl andere Dinge sein, wie bspw. der Hammer auf den Na-

gel verweist, aber eben auch Funktionszusammenhänge, bspw. heißes Wasser neben Kaffee-

pulver auf das notwendige Überbrühen, sowie auf - umgangssprachlich formuliert - menschli-

che Angelegenheiten, um im Bild zu bleiben, also der Kaffee auf den Tagesbeginn oder Mü-

digkeit u.ä.. Wir sehen hier schon wie schwierig der Umgang mit Dingen zu erklären wäre,

würde man von einem strikten Subjekt – Objekt Dualismus ausgehen, denn wie sollte man

rechtfertigen, dass Dinge wie eine Tasse Kaffee menschliche Befindlichkeiten anzeigen kön-

nen?

Wir haben jetzt die Bestimmung der Seinsart des innerweltlich begegnenden Seienden her-

ausgearbeitet: Es ist die Bewandtnis, konkreter die Bewandtnisganzheit, die Gesamtanzahl

dessen, wofür etwas dienen kann und wozu etwas verwendet werden kann:

„Bewandtnis ist das Sein des innerweltlich Seienden [...] Dieses, daß es eine Bewandtnis

mit...bei...hat, ist die ontologische Bestimmung des Seins dieses Seienden, nicht eine ontische

Aussage über das Seiende.“14

An dieser Stelle leitet Heidegger zur Weltlichkeit, dem zweiten, ontologischen Weltbegriff,

über: Nachdem wir gesehen haben, dass Welt erfahrbar ist, stellt sich natürlich die Frage:

Wie? Heidegger hatte bei der Bedeutungsunterscheidung von Welt angezeigt, dass der onti-

sche (räumliche) Weltbegriff etwas vorontologisches hat und uns zum ontologischen Begriff

der Weltlichkeit führen wird. Dieses Versprechen hält er jetzt ein, wenn er expliziert, dass die

Seinsart des innerweltlich Seienden auf das Dasein selbst verweist, denn wie sollte den Din-

gen Bewandtnis zukommen, wenn es kein Dasein gibt? Woher sollte Bewandtnis kommen,

wenn Dinge kein Wozu und Wofür hätten?

„ Die Bewandtnisganzheit selbst aber geht letztlich auf ein Wozu zurück, bei dem es keine

Bewandtnis mehr hat, was selbst nicht Seiendes ist in der Seinsart des Zuhandenen innerhalb

einer Welt, sondern Seiendes, dessen Sein als In-der-Welt-sein bestimmt ist, zu dessen Seins-

verfassung Weltlichkeit selbst gehört.“15

Im einleitenden Zitat dieses Abschnittes haben wir bereits gezeigt, welchem Phänomen diese

Eigenschaft zukommt: dem Dasein. Dasein ist weltlich, wobei Weltlichkeit die ontologische

Bestimmung von Welt ist.

Heidegger fasst die Ergebnisse der §§ 14-18 selbst kurz und prägnant zusammen, bevor er sie

mit „[...] einem extremen Gegenfall [...]“16 konfrontiert. Demnach haben wir bisher folgende

Bestimmungen gewonnen:

14 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 84. 15 Ebd. 16 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 88.

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„ [...]1. das Sein des zunächst begegnenden innerweltlichen Seienden (Zuhandenheit); 2. das

Sein des Seienden (Vorhandenheit), das in einem eigenständig entdeckenden Durchgang

durch das zunächst begegnende Seiende vorfindlich und bestimmbar wird; 3. das Sein der

ontischen Bedingung der Möglichkeit der Entdeckbarkeit von innerweltlichen Seiendem

überhaupt, die Weltlichkeit von Welt. Das letztgenannte Sein ist eine existenziale Bestim-

mung des In-der-Welt-seins, das heißt des Daseins.“17

2.2. Die Descartes-Kritik

„Descartes schien das Wissen von sich die gewisseste, unbe-

zweifelbarste Erkenntnis zu sein und als solche paradigma-

tisch und Fundament für alles sichere Wissen. [...] Nun setzt

auch alles Wissen und alle objektive Erkenntnis ein Verste-

hen voraus. [...] das Verstehen aber ist immer schon ein in-

tersubjektives.“18

Zur grundlegenden Ausgangsposition sind schon einige mehr oder minder detaillierte Ausfüh-

rungen gemacht worden. Es sollte jedenfalls deutlich geworden sein, dass Heidegger die

Grundlage der tradierten Vorstellungen von Subjektivität und Objektivität nochmals hinterge-

hen will, indem er die cartesianische Unterscheidung als nicht ursprünglich ansieht und ihr

das bereits zitierte Überspringen attestiert. Eine kurze und daher grobe Einführung in die

cartesianische Philosophie sollte ausreichen, um dieses Modell mit Heidegger konterkarieren

zu können.

Descartes versucht in den Meditationen19 die Grundlagen allen Wissens, eine absolute sichere

Wahrheit zu finden. Dies gelingt ihm im systematischen Wiederaufbau von Ich und Welt.

Nachdem der hyperbolische Zweifel20 mit dem cogito sum überwunden werden konnte, baut

sich eine neue, göttlich garantierte, wahre Welt neben dem Ich, dem Geist auf. Beide Sub-

stanzen sind grundsätzlich voneinander geschieden, es gibt eine res cogitans und eine res ex-

tensa, den Geist und die Ausdehnung in binärere Opposition. Wie fundamental diese Unter-

scheidung ist, zeigt sich schon im Namen der sechsten Meditation, an deren Ende der Beweis

der Existenz der materiellen Dinge steht, er lautet: „Über das Dasein der materiellen Dinge

17 Ebd. 18 Tugendhadt, Ernst (1979), S. 44f. 19 Descartes, Rene: Meditationen über die Grundlagen der Philosophie. Hamburg: Felix Meiner 1994. 20 Vgl. u.a. Röd, Wolfgang: Descartes. Die Genese des cartesianischen Rationalismus. Beck: München 3. ergänzte Aufl. 1982, S. 59ff.

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und die reale Unterschiedenheit von Seele und Körper“21. Die oben skizzierten Erklärungs-

notstände eines solchen Modells, sobald man Fragen nach dem Verhältnis der Substanzen

stellt, etwa wie der Geist mentale Repräsentationen von materiellen Gegenständen haben

kann, sind schon methodisch begründet:

„ Die Ausschaltung der Praxis im Hinblick auf die Begründung eines sicheren, d.h. evidenten

Wissens bedeutet daher [...] Vereinseitigung [...] da die (wenn auch nur vorläufig) ausgeschal-

teten Aspekte – zuerst also der der Praxis – auf die Grundlegung keinen Einfluß mehr haben

können, liegt auf der Hand, dass die methodische Vereinseitigung bei all ihrer Vorläufigkeit

doch zu einer dauernden Einseitigkeit führen muß [...]“22. Dreyfus weist den cartesianischen

Denkhintergrund als wissenschaftlichen Reduktionismus in verschiedenen naturwissenschaft-

lichen, meist physikalistischen, Konzeptionen des „Selbst“ bis hin zu ihrem vermeintlichen

Höhepunkt in der modernen KI-Forschung nach.23

Heidegger widmet die §§19-21 von Sein und Zeit, einer expliziten Descartes-Kritik. Diese

muss hier nicht in Gänze nachgezeichnet werden, da sich aus dem gesagten die wesentlichen

Einwände bereits ablesen lassen.

Kern der Argumentation ist der Nachweis, dass die Vorstellung zweier völlig getrennter Sub-

stanzen res cogitans und res extensa bereits ein abgeleiteter Modus sein muss; das die Kon-

zeption von Weltlichkeit des In-der-Welt-seins diesem vorangeht und somit das eigentlich

ursprüngliche Phänomen der Weltlichkeit des Daseins, sofern es existenzial In-der-Welt-sein

ist, „übersprungen“ wird. Heidegger zeigt die Inkonsistenz der Auffassung zweier getrennter

Substanzen auf und entzieht der Argumentation Descartes so den sicheren Boden.

„Unter Substanz können wir nichts anderes verstehen als ein Seiendes, das so ist, daß es, um

zu sein, keines anderen Seienden bedarf. Das Sein einer Substanz ist durch seine Unbedürftig-

keit charakterisiert.“24 Mit dieser Definition von Substanz arbeitet Heidegger weiter. Er zeigt

wie Descartes` res extensa durch die res cogitans erkannt wird und das deshalb die Substanz

des innerweltlich begegnenden Seienden eben nicht Ausdehnung sein kann. Innerweltliche

Dinge werden bei Descartes nur zugänglich aufgrund von Zuschreibungen, dem Anhängen

von Attributen durch den Geist. Exemplarisch führt er dies an Descartes Beispiel der Härte

des dahinschmelzenden Wachses durch.25 Weiterhin wird Descartes Zugang zu den Dingen

als ein bloßer Indikator der Nützlichkeit und Schädlichkeit entlarvt, was Descartes unter sinn-

licher Wahrnehmung fasst ist tatsächlich res extensa:

21 Descartes, Rene (1994), S. 61. 22 Röd, Wolfgang (1982), S. 54. 23 Vgl. u.a. Dreyfus, Hubert (2001), S. 74ff. 24 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 92. 25 Vgl. Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 97f. mit Descartes, Rene (1994), S. 23ff.

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„Descartes übersetzt die Seinsart von etwas in [...ein bestimmtes] Nebeneinander-

vorhandensein zweier vorhandener res extensae [...dadurch aber] ist die Seinsart des sinnli-

chen Vernehmens und damit die Möglichkeit der Erfassung des in solchem Vernehmen be-

gegnendem Seienden in seinem Sein ausgelöscht.“26

Descartes vermeintliche Substanzen bestehen also letztlich nur aus Zuschreibungen. Diese

Bestimmung wiederum steht im Widerspruch zur Definition der Substanz als Unbedürftigkeit,

wie sie oben angedeutet wurde.

Heidegger insistiert bei der Fehlersuche auf die Methode Descartes, nämlich bei der Natur-

dinglichkeit anzusetzen. Auf diese Weise ist ihm das Phänomen Welt, sogar die eigene Quali-

tät der sinnlichen Erfahrung als Erkenntnismittel (derer sich ein Phänomenologe ja auch

schlecht berauben kann), völlig abhanden gekommen. In der Folge bzw. damit zusammen-

hängend unterlaufen dann die „Fehler“, welche wir oben schon aufgezeigt haben: der theoreia

wird ein Primat vor der praxis eingeräumt und die Vorhandenheit wird als fundierend für die

Zuhandenheit angesehen.

Indem Heidegger den Zugang zu den Dingen und die Interessiertheit daran als grundlegende

Bestimmung eines Verhaltens zu sich und zu anderen denkt, hat er die Schwierigkeiten der

dualistischen Modelle alla Descartes einfach nicht mehr, denn: „Das Leben eines Menschen

ist der Gesamtzusammenhang seines Handelns.“27

2.3. Die Räumlichkeit des In-der-Welt-Seins / des Daseins

„Wenn wir dem Dasein Räumlichkeit zusprechen, dann

muß dieses >>Sein im Raume<< offenbar aus der Seinsart

dieses Seienden begriffen werden. [...] Das Dasein [...] ist

>>in<< der Welt im Sinne des besorgend-vertrauten Um-

gangs mit dem innerweltlich begegnenden Seienden.“28

Nachdem Heidegger im Rahmen der Descartes-Kritik die Vorstellung von Ausdehnung als

Substanz aller Körper destruierte, will er in den §§22-24 von Sein und Zeit den Begriff des

Raumes „neu“ fassen. Methodisch geht er dabei vom kleinsten zum größten, d.h. er zeigt den

spezifischen Raum von (innerweltlich) Zuhandenem auf, dann verweist er auf die Räumlich-

keit des In-der-Welt-Seins, um abschließend die Räumlichkeit des Daseins zu skizzieren. Die-

se Reihenfolge ist keine bloße Folge methodischer Akkuratesse, sondern ist auch inhaltlich

26 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 97. 27 Tugendhadt, Ernst (1979), S. 168. 28 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 104.

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leicht begründbar: Wie wir gesehen haben, ist die Zuhandenheit die primäre Seinsart von

Zeug, den Dingen die das Dasein zuerst umsorgt. Dieses verweist uns auf ein Strukturmoment

des Daseins, das In-der-Welt-Seins. Im Anschluss an die Definition von Räumlichkeit des In-

der.Welt-Seins, ist es überhaupt erst möglich das Phänomen ganzheitlich zu verorten. Selbst-

redend gibt es auch hier einen heimlichen Gegner, den Raumbegriff in der Tradition eines

Containers, eines Ortes an dem oder in dem sich Objekte versammeln können.

Wie wir oben gesehen haben, koppelt sich das Zuhandene an eine Ganzheit, die Zeugganzheit.

Im Bezug auf diese wird jetzt auch der Raum, Heidegger nennt dies Platz bzw. Gegend, be-

stimmt. Die Dinge unseres alltäglichen Umgangs sind uns auf spezifische Weise nah, im Sin-

ne von vertraut. Wir gehen mit ihnen im Kontext unserer Handlungen um, greifen von einem

zum nächsten um letztlich einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Diese Folge von Einzelhand-

lungen verweist auf die Zeugganzheit und hat eine klar definierte Reihenfolge. Die umgangs-

sprachliche Redewendung „eins nach dem anderen“ zeigt ganz deutlich, dass es immer einen

bestimmten Ort für bestimmte Dinge gibt. Dies ist auch Heideggers Räumlichkeitsbegriff:

Alles Zuhandene hat seinen bestimmten Platz in der Zeugganzheit, eine Gegend in die es hin-

ein gehört: „Es ist nie zunächst eine dreidimensionale Mannigfaltigkeit möglicher Stellen ge-

geben, die mit vorhandenen Dingen ausgefüllt wird. Diese Dimensionalität des Raumes ist in

der Räumlichkeit des Zuhandenen noch verhüllt. [...] alle Wo sind durch die Gänge und Wege

des alltäglichen Umgangs entdeckt und umsichtig ausgelegt, nicht in betrachtender

Raumausmessung festgestellt und verzeichnet.“29

Für die Gegenden des Zuhandenen gilt ferner das selbe wie für die Zuhandenheit auch, sie

sind durch einen vertrauten, alltäglichen Umgang nahezu unsichtbar. Erst wenn Dinge nicht

mehr an ihrem Platz sind, fallen sie auf (Vorhandenheit) und es fällt auch ihr Platz erstmals

auf. Dieses kann man wiederum nur deshalb erkennen, „[...] weil das Dasein selbst hinsicht-

lich seines In-der-Welt-seins >>räumlich<< ist.“30

Stark verkürzend lässt sich aus dieser Grundbestimmung die Räumlichkeit des In-der-Welt-

Seins und des Daseins verständlich machen.

„Die Räumlichkeit des Daseins hat [...] einen Tätigkeitscharakter, sie ist erstens Ent-fernung

und zweitens Ausrichtung. Das Dasein räumt auf diese Weisen die Welt ein.“31 Durch den

aktiven Umgang mit den Dingen, letztlich also durch die Veränderung der Welt, entsteht diese

spezifische Räumlichkeit. Das Netz der Tätigkeiten und Dinge läuft im Dasein zusammen und

29 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 102. 30 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 104. 31 Luckner, Andreas: Martin Heidegger: >>Sein und Zeit<<. Ein einführender Kommentar. Paderborn; Mün-chen; Wien; Zürich: Schöningh 2. Aufl. 2001, S. 51.

13

kann auch nur von ihm ausgehend vorgestellt werden. In diesem Sinne ist Welt und Dasein

räumlich, vom Dasein aus erschließt sich die Welt der Dinge und Wege, in der Distanzen am

ehesten in so etwas wie Wichtigkeit, Aktualität, Bedürfnisstimuli gemessen werden könnten.

Wichtig an diesen Ausführungen zum Raum ist, zu verstehen, dass er nichts mit physikali-

scher Ausdehnung, messbaren Streckenabständen zu tun hat, sondern dass er an das Phäno-

men der Weltlichkeit, wie es oben erläutert wurde, gekoppelt ist. Auch die Räumlichkeit des

Daseins ergibt sich aus dem strukturellen Zusammenhang von Weltlichkeit und Dasein: So

wie Dasein genuin weltlich ist, ist der Raum der Welt eben das Dasein (also nicht res extensa

und nicht res cogitans).

„ Der Raum befindet sich nicht im Subjekt, noch betrachtet dieses die Welt, >>als ob<< sie in

einem Raum sei, sondern das ontologisch wohlverstandene >>Subjekt<<, das Dasein, ist in

einem ursprünglichen Sinne räumlich.“32

2.4. das In-der-Welt-Sein als Mitsein / das Man

„ Die Welt des Daseins ist Mitwelt. Das In-Sein ist Mitsein mit

Anderen. Das innerweltliche Ansichsein dieser ist Mitdasein.“33

Dieses vierte Kapitel von Sein und Zeit hat eine Art Scharnierfunktion, die es auch im Kon-

text dieser Arbeit, nur in anderer Hinsicht, nämlich der Überleitung zur Analyse der Welt bei

Arendt, erfüllen soll. Heidegger klärt hier, nach der Kritik des cartesianischen Dualismus und

somit immer auch im Bezug auf dieses Modell, das Wer des Daseins34.

Heidegger zeigt in dieser Passage die Differenz von Dasein und Selbstbewusstsein bzw.

Selbstsein im tradierten Sinne auf, denn gerade die Rede von einem Ich, in Abgrenzung zum

(klein geschriebenen) >>ich<< als Nomen eines Sprechaktes, knüpf nur allzu eng an die gera-

de erst destruierten Substanz-Vorstellungen an. Das Selbst ist in dieser Form gewöhnlich

nämlich nichts anderes als eine res cogitans, die sich auf verschiedene äußere Phänomene

bezieht und dann in einer vermeintlich dialektischen Subjekt-Objekt-Reflexion in einer neuen,

selbstbewussten Qualität erstrahlt. Wie wir gesehen haben beschreitet Heideggers Dasein,

weil es In-der-Welt-sein ist, einen ganz anderen Weg, der sich auch im Bezug auf die Mit-

menschen zeigen lassen muss. Einen guten Zugang entwickelt Tugendhat, der den grammati-

schen Wert des Begriffs Dasein als singulare tantum35 bestimmt. Es gibt Dasein nicht im Plu-

32 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 111. 33 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 118. 34 Vgl. Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 114. 35 Tugenhat, Ernst (1997), S. 172.

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ral, also in diesem Sinne auch keine zwei Selbsts die sich begegnen und trotz der Unmöglich-

keit des angemessenen Erkenntniszugangs, wegen der substanziellen Differenz, den jeweils

Anderen als eben Selbst und nicht als Ding identifizieren. Die Pluralität ist bei Heidegger eher

eine Binnenstruktur. Dasein ist immer Mitsein, auch in der einsamsten und kleinsten Gefäng-

niszelle ist man mit anderen, insofern alle Handlungen, alle Verhaltensweisen strukturell mit

Anderen kalkulieren. Sich einsam fühlen geht eben nur deshalb, weil jede einzelne Verhal-

tensweise auf dem Boden der Pluralität entstanden ist. „Das Mitsein bestimmt existenzial das

Dasein auch dann, wenn ein anderer faktisch nicht vorhanden und wahrgenommen ist. Auch

das Alleinsein des Daseins ist Mitsein in der Welt. Fehlen kann der andere nur in einem und

für ein Mitsein.“36

Um darauf zu insistieren, dieser Punkt nochmals in einer anderen Terminologie: Hier wird

aufgezeigt, dass wir uns nicht als Monade zu Dingen oder anderen Personen (woher auch im-

mer das Ich weiß, dass der Andere kein Ding ist) verhalten, sondern dass wir uns zu unserem

Sein verhalten, wenn wir mit Dingen und anderen Personen umgehen. Die Seinsarten der Zu-

handenheit, Vorhandenheit und des Mitseins sind struktureller Bestandteil des Verhaltens zu

sich selbst.

Das Mitsein, als Konstituens des In-der-Welt-seins, und das Mitdasein, als eigene Seinsart von

innerweltlich begegnenden Seienden, ist nach Heidegger eine Seinsart, die weder der Zuhan-

denheit noch der Vorhandenheit entspricht.37 In diesem Sinne hat, eine minimal definierte,

Sozialität also einen ganz enormen Stellenwert in Sein und Zeit: sie beschreibt eine ganze

Seinsweise.38

Den eigenen Stellenwert macht Heidegger auch in der Umgangsweise mit anderen deutlich, er

sprich von einspringender und voranspringender Fürsorge, wobei ergänzt werden muss, dass

der Begriff Sorge als Sein des Daseins39 einen zentralen Stellenwert in Sein und Zeit einneh-

men wird.

Aber begeht Heidegger hier nicht einen kategorialen Fehler? Wenn alle Probleme der tradier-

ten Subjektivitätsphilosophie obsolet werden, weil man sie als nicht ursprüngliche identifiziert

36 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 120. 37 Vgl. Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 125. 38 Wir werden im Durchgang durch Arendts Werk >>Vita activa<< sehen, wie man diese Sozialität in einen ganz anderen Status heben kann. Sicherlich kann man die verschiedentlich geäußerten Vorwürfe einer „ethischen entkernten, radikalen Subjektivitätstheorie“ bei Heidegger, allein mit Verweis auf diese Anmerkungen nicht entkräften. Auch Heidegger hat sich mit Absagen an eine Ethik in Sein und Zeit selbst ja nie zurückgehalten, dennoch müsste man den entsprechenden Kommentar, dass man Maßstäbe des Sollens in einer „ursprünglichen Ethik“ finden kann, die es freilich erst zu suchen gilt, im Kontext der Überlegungen des sozialen Moments im Selbstbezug detaillierter untersuchen. Vgl. dazu u.a. Thomä, Dieter: Sein und Zeit im Rückblick. In: Rentsch, Thomas (2001), S. 296f. 39 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Kapitel 6.

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und ihnen einen fundamentaleren Weltzugang präsentiert? Erübrigt sich auf diesem Hinter-

grund der Diskurs um Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung u.ä.?

Selbstredend hat Heidegger die Phänomene auf die diese Debatte zielt im Blick und wird sie

im Anschluss an die vorgestellten Überlegungen detailliert besprechen. Der Paragraph 27

bereitet diese Diskussion vor, indem er mit dem Phänomen des Man auf die Möglichkeit hin-

weist, dass Dasein eben auch nicht es selbst sein kann und dies sogar zumeist nicht ist. Die

„ewigen“ Fragen nach der Selbstbestimmung, der Mündigkeit des Einzelnen bewegen auch

Heidegger. Er findet auf dem Boden des In-der-Welt-Seins zwei grundlegend verschiedene

Verhaltensweisen, eine eigentliche und eine uneigentliche. Zweitere entspricht dem Man und

steht für tradierte Wertsvorstellungen, für soziale Normen und Verhaltenserwartungen, Le-

bensentwürfe. Auch bei Heidegger kämpft das Individuum immer um seine Differenz, er

nennt das Abständigkeit, unter Gleichen, um seinen Anspruch auf Individualität unter dem

Käfig der Botmäßigkeit, der Normen des (guten) menschlichen Lebens. Das Dasein läuft im-

mer Gefahr sich sein Sein durch das unpersönliche Man abnehmen zu lassen. Allgemeine

Normen als Diktatur der Durchschnittlichkeit: „Jeder ist der Andere und keiner er selbst. Das

Man, mit dem sich die Frage nach dem Wer des alltäglichen Daseins beantwortet, ist das Nie-

mand, dem alles Dasein im Untereinanderseins sich je schon ausgeliefert hat.“40

Damit ist die neue Runde eröffnet und Heideggers Analyse wird eine ganze Reihe von Phä-

nomenen beleuchten, ehe eine gewissermaßen selbstbewusste Weise der Existenz, die Eigent-

lichkeit, identifiziert werden kann.

Diesen Weg werden wir aber an dieser Stelle nicht weiter gehen, sondern den Ansatz Heideg-

gers hinsichtlich seiner Kongruenz zum Phänomen der Welt bei Hannah Arendt nachgehen.

Das heißt, und in einem Sinne ist genau das der Kern von Sein und Zeit, aber auch immer sich

mit dem Phänomen der Selbstbestimmung zu beschäftigen:

„ Das eigentliche Selbstsein beruht nicht auf einem vom Man abgelösten Ausnahmezustand

des Subjekts, sondern ist eine existenzielle Modifikation des Man als eines wesenhaften Exis-

tenzials. Die Selbigkeit des eigentlich existierenden Selbst ist aber dann onthologisch durch

eine Kluft getrennt von der Identität des in der Erlebnismannigfaltigkeit sich durchhaltenden

Ich.“41

40 Ebd.,S. 128. 41 Ebd., S. 130.

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3. Arendts Konzeption der Welthaftigkeit des Menschen (Vita activa, Kap. 4+5)

Zur Einführung in die arendtsche Konzeption von Welt im Anschluss an Heidegger, bietet es

sich zunächst an den Boden, also die prinzipielle Verortung des Phänomens Welt, bezüglich

der conditio humaine zu erläutern.

Ganz analog zu den Gedanken Heideggers, zeichnet Arendt das Bild einer Gegend die alle

Dinge versammelt. Dieser Platz heißt Welt und versammelt, eine weitere wichtige Analogie,

Gebrauchsgegenstände, also die Objekte der Zuhandenheit. Will man dem präparierten Selek-

tionskriterium des Sich-zu-sich-Verhaltens treu bleiben, muss noch eine letzte Kongruenz

benannt werden. Diese ergibt sich notwendig aus dem erläuterten Primat der Praxis und dem

eben Formulierten: Sie besagt, dass der Mensch in dieser Welt zu Hause ist, dass sie seine

Heimat darstellt. Oder in den Worten Arendts:

„ So gesehen, haben die Weltdinge die Aufgabe, menschliches Leben zu stabilisieren, und

ihre >>Objektivität<< liegt darin, daß sie der reißenden Veränderung des menschlichen Le-

bens [...] eine menschliche Selbigkeit darbieten, eine Identität [...]“42

Selbstredend kann dies keine Identität im Sinne von Übereinstimmung sein, vielmehr stellt

diese Welt eine Art Gegenpol dar, der es eben erst ermöglicht sich zu etwas zu verhalten, sich

an etwas zu messen. Letztlich sind diese Gegenpole notwendige Bedingungen einer jeden

Identität.

Eine berechtigte Frage drängt sich an dieser Stelle auf: Wenn der Mensch immer In-der-Welt-

ist, diese Konstituens menschlicher Existenz ist, worin besteht eigentlich die Differenz, die

Reibefläche? Im gewissen Sinne ist die Antwort: Zeit.

Hier speziell in Form von Dauerhaftigkeit.

42 Arendt, Hannah (2005), S. 162.

17

3.1. Die Dauerhaftigkeit der Welt

„ Wirklichkeit und Verlässlichkeit der Welt beruhen darauf, dass die uns um-

gebenden Dinge eine größere Dauerhaftigkeit haben als die Tätigkeit, die sie

hervorbrachte [...und] der Grad der Weltlichkeit der erzeugten Dinge, die in

ihrer Gesamtheit das Gebilde von Menschenhand darstellen, kann nur an den

längeren oder kürzeren Zeitspannen gemessen werden, durch die hindurch die

Weltdinge das tätig bewegte, aufsteigende und wieder verschwindende Leben

sterblicher Menschen überdauern.“43

Neben aller Fokussierung kann an dieser Stelle nicht sinnhaft argumentiert werden, ohne zu-

vor kurz auf Zeitlichkeit der menschlichen Existenz in Vita activa einzugehen. Arendt sieht

im Begriff der Vita activa drei Tätigkeitsformen versammelt: das Arbeiten, das Herstellen und

das Handeln. Alle drei sind gleichsam Konstituens der condition humaine, decken dabei aber

ganz unterschiedliche Facetten des Mensch-Seins auf.

Das Arbeiten entspricht bei Arendt der biologischen Komponente des Lebens. Es dient allein

der Aufrechterhaltung des Stoffwechsels, in gewissem Sinne repräsentiert es die naturhafte

Seite des Menschen.44 Die beiden verbleibenden Tätigkeiten sind das Herstellen und das Han-

deln, auf die wir im Folgendem noch detaillierter eingehen werden.

Wichtig ist, dass sich innerhalb der Vita activa, zwischen dem Arbeiten auf der einen und

Herstellen und Handeln auf der anderen Seite, zwei Lebensbegriffe, die jeweils wesentlich

eine bestimmte Zeitlichkeit haben, etablieren.

Der Erste Lebensbegriff, der des natürlichen, biologischen Lebens ist gekennzeichnet haupt-

sächlich durch kreislaufförmige Bewegungen und den steten Übergang von Entstehung und

Verfall. Dem alltäglichen Sprachgebrauch folgend, könnte man hier alle „lebendigen“ Dinge

identifizieren. Ein Leben in diesem biologischen Sinne kennt keine Kultur, keine moralischen

Gebote an Gemeinschaft und Gesellschaft, oder individualistischer formuliert keine Lebens-

entwürfe. Es handelt sich im Einzelnen letztlich um Trieb- und Instinktwesen.45 Arendt stellt

43 Arendt, Hannah (2005), S. 114. 44 Bei Arendt lassen sich auf den ersten Blick leichter als bei Heidegger, was nicht gleichbedeutend mit folgenlo-ser zu verwechseln ist, die Begriffe Natur und Welt in einen Gegensatz bringen, der qua seiner Gegensätzlich-keit das Verständnis beider Begriffe zu erhellen vermag. So sind alle gemachten Dinge bei Arendt an Homo faber und Welt gebunden, alle gegebenen „Dinge“, die wesenhaft sich im ständigen Kreislauf von Sein und Nicht-sein befinden, die kaum vorhanden, schon wieder verbraucht sind, in der Umgebung von animal laborans. Natur ist also alles kreishafte, unbeständige. Vgl. v.a. Arendt, Hanna (2005), Kapitel 3. 45 An dieser Stelle wird sie eher sozialgeschichtliche Kritik an Neuzeit, Moderne und der damit einhergehenden Transformation der Tätigkeitsbereiche ausgeklammert. So kommt Arendt letztlich zu dem Schluss, das in der Neuzeit das animal laborans siegt und somit letztlich alles dem ewigen Naturprozess anheim fällt. Diese Schluss-folgerung basiert aber wesentlich auf verschiedenen Gedanken zur Massenkultur, Technik, Wissenschaft, Öf-fentlichkeit resp. Gesellschaft und Weltbild, welche hier nicht nachgezeichnet werden sollen. Sicher ist aber die

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diesen Begriff auch gleich ab auf die Menschen als Gattungswesen, also nicht auf die jeweili-

ge Existenz des einzelnen Menschen. Dieses Leben ist unendlich.

„ Etwas ganz anderes aber meint das Wort >>Leben<<, wenn es auf die Welt bezogen, die

Zeitspanne anzeigt, die zwischen Geburt und Tod in der Welt verbracht wird. Dies Leben ist

durch Anfang und Ende begrenzt und, es vollzieht sich zwischen zwei Grundereignissen, sei-

nem Erscheinen in der Welt und seinem Verschwinden aus ihr, und folgt einer eindeutig grad-

linig bestimmten Bewegung [...von] diesem Leben, von dem ß??? zum Unterschied von ???,

hat Aristoteles gemeint, dass >>es eine p?a??? ist<<.“46

Dieser zweite, endliche Lebensbegriff ist in dem Sinne also der der einzelnen menschlichen

Existenz, die Spanne zwischen Geburt und Tod von der auch Heidegger spricht. Allein hier

kann es überhaupt ein Sein-zum-Tode geben.

An diesen grundlegenden Bemerkungen Arendts zum Leben und genauer zur menschlichen

Existenz, zeigt sich schon Bedeutung und Charakteristik von Welt. Menschliches Leben, so-

fern damit nicht die Gattung Mensch gemeint ist, ist sterblich und „praktisch“47. Es wird in

eine Welt hineingeboren, die es lange vor ihm gab und es verlässt mit dem Tod eine Welt, die

es auch dann noch geben wird. Wir haben gesehen, dass diese Welt nichts im Sinne von Natur

sein kann, einem ewigen Kreislauf, der sich durch ständiges Entstehen und Verfallen defi-

niert. In einen solchen Kreislauf kann man nicht hinein geboren werden, allein deshalb, weil

er kein wirklicher Ort ist.

Welt hingegen ist die Ansammlung aller Gebilde von Menschenhand und weiterhin, in Form

der Mit-welt, auch der Ort in dem sich Menschen begegnen und Öffentlichkeit entstehen kann.

Sie wurde geschaffen und wird tagtäglich bewahrt durch die „praktische“ Tätigkeit von Homo

faber. Dieser entreißt gewissermaßen der Natur bestimmte Dinge, bevor sie zerfallen und

wandelt sie gemäß seiner Vorstellungen in Werkzeuge um. In gewisser Weise ist dieser Pro-

zess eine Art Substanzialisierung48, da dem Naturgegenstand eine Form, Funktion und v.a.

Haltbarkeit verliehen wird, die genuin das „Werk unserer Hände“ ist.

Was ist das also für ein Prozess, der es erlaubt Dauerhaftigkeit zu stiften? Auf welche Weise

charakterisieren diese plötzlich dauerhaften, von menschlicher Existenz weitgehend unabhän-

die These, dass in der Moderne Trieb und Instinkt in einem ganz ursprünglichen Sinne regieren keine, die Arendt bestreiten würde. 46 Arendt, Hannah (2005), S. 116. 47 Es soll hier nochmals darauf verwiesen werden, dass, bei aller Ähnlichkeit gerade was die Weltsicht Homo fabers betrifft, Arendt und Heidegger Praxis nicht im Sinne von pragmatisch verstehen. Ohne detailliert etymo-logische Pfade nachzuzeichnen, sei grob darauf verwiesen, dass praktisch hier eher eine Art Zugang zu den Din-gen meint, weniger eine Einstellung gegenüber Verhaltensweisen o.ä.. 48 Arendt, Hannah (2005), S. 166.

19

gigen Dinge Welt? Und welche Dependenzen/Interdependenzen lassen sich eigentlich zwi-

schen Welt und Natur feststellen?

3.2. Das Herstellen / Die Beständigkeit der Welt

„ Für Homo faber, der sich vollkommen auf seine Hände verläßt,

[...] läßt sich der Mensch in der Tat, in den Worten Benjamin

Franklins, als ein >>toolmaking animal<<, ein Werkzeug-

fabrizierendes Lebewesen charakterisieren.“49

Herstellen ist in vielen Punkten die genaue Kehrseite des Arbeitens. Ohne näher auf letzteres

eingehen zu wollen, kann man folgende Gegensätze festhalten: Herstellen ist ein endlicher

Prozess, besitzt also einen wohl definierten Anfang und ein Ende. Es folgt einer Idee und

schöpft einen ganz und gar weltlichen Gegenstand, baut in gewissem Sinne Welt. Homo faber

entreißt der Natur dabei Material und formt und verändert dieses gemäß seiner Idee, Theorie.

Der geschaffene Gegenstand ist ohne menschliches Zutun gar nicht vorstellbar. Weiterhin

erfüllen die fabrizierten Dinge Homo fabers einen ganz anderen Zweck, von dem her eben ein

Ende des Herstellungsprozesses definierbar ist: Statt der Aufrechterhaltung des Stoffwechsels

dienen diese der Erleichterung menschlichen Lebens, es sind vornehmlich Werkzeuge sowie

Kunstgegenstände. Es gibt also immer eine spezifische Funktion, einen Zweck den diese Din-

ge erfüllen müssen – und an denen sie gemessen werden. Diese Gegenstände sind wesentlich

dauerhaft und dem Kreislauf-Prozess der Natur entzogen, in vielen Fällen überstehen sie die

Lebensdauer ihres Schöpfers bei weitem, zumindest als jederzeit reproduzierbare Idee. Wei-

terhin lässt sich sagen, dass die Gesamtsumme dieser mehrheitlich als Gebrausgegenstände

geformten Dinge, „[...] sich zu der von Menschen erbauten Welt zusammenfügt [...,] sie sind

die eigentlich menschliche Heimat des Menschen.“50 Die Gesamtheit aller hergestellten Ge-

genstände, des Gebrauchs und der Kunst, sind also Welt. Der Gedanke von Welt als Heimat

des Menschen spielt auch auf die oben gemachten Bemerkungen zur Rolle der Objektivität,

Selbigkeit innerhalb des Prozesses Sich-zu-sich-Verhalten an und erhellt, warum homo faber

in diesem Bereich als „autonom und frei“51 gilt.

An diesem Punkt haben wir nämlich eine Tätigkeit gefunden, die es dem Menschen ermög-

licht sich eine Heimat selbst herzustellen, sich einen Ort zu schaffen, der ihm Bewusstsein

und zumindest Selbstbestimmung ermöglicht. Ohne Verweise auf mit diesem Modell nicht zu

49 Arendt, Hannah (2005), S. 170. 50 Arendt, Hannah (2005), S. 161. 51 Vgl. Arendt, Hannah (2005), S. 170f.

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erklärende Phänomene – v.a. im Bereich des Zwischen-Menschlichen bspw. die Unmöglich-

keit das Wesen eines Menschen zu Verdinglichen oder Eigenschaften zu erkennen, die nichts

mit dem zu tun haben was eine Person fabrizieren kann – abzuwarten, zerstört Arendt gleich

selbstständig das vermeintliche Paradies homo fabers:

„ [...] sieht man [...] in homo faber aber nicht nur den Hersteller, sondern auch den Bewohner

und Herrn der Welt, so wird er in der Tat alles in seinen Gebrauch nehmen und es entweder

als ein Mittel für neue Zwecke oder als ein Mittel für sich selbst betrachten und verwerten.“52

Es gibt bei homo faber nämlich ein Problem: er kann nicht glücklich werden. Er schafft Welt

und Beständigkeit, gewissermaßen um sich im Fluss der Natur festhalten, orientieren zu kön-

nen, kann diese aber nicht schätzen. Die Welt homo fabers wird regiert von Mitteln und Zwe-

cken, ohne den daraus entspringenden Regress aufhalten zu können. Jeder fabrizierte Gegens-

tand wird selbst wieder zum Mittel in einem weiteren Herstellungsprozess.

Diese Überlegung führt uns weiter zur dritten und höchsten aller Tätigkeiten: dem Handeln.

Doch bevor wir uns diesem und der daraus resultierenden zweiten Ebene von Welt, der Mit-

Welt widmen, abschließend noch ein paar wenige Bemerkungen zur Unterscheidung von Na-

tur und Welt. Obwohl gezeigt wurde, dass Natur und Welt zwei grundlegend unterschiedliche

Phänomene sind und das die Tätigkeiten des Arbeitens und Herstellen jeweils nur in einer der

beiden Sphären stattfindet, sind sie selbstredend nicht völlig voneinander getrennt. Dies ergibt

sich schon aus der Grundkonzeption von Vita activa indem von drei Tätigkeiten des Men-

schen die Rede ist. Auch wenn es die Analyse gerade der Antike nahe legen könnte, schwebt

Arendt kein Kastenwesen vor, in dem bestimmten Menschen nur bestimmte Tätigkeiten zu-

kommen. Es geht ihr ja gerade darum zu zeigen wie jede einzelne menschliche Existenz alle

diese drei Tätigkeiten vollbringt und in welchem Sinne jede einzelne notwendige Bedingung

menschlicher Existenz überhaupt ist.

Das Beziehungsgeflecht von Natur und Welt bzw. Arbeiten und Herstellen ist dabei nicht

uninteressant: Wir haben bspw. schon gesehen, dass Homo faber sich der Natur bedient um

Mittel zum Herstellen zu entwenden.53 Diese Prozess definiert Arendt als Verdinglichung. Es

gibt weitere Stellen in denen Arendt Phänomene schildert, die den Einbruch des Naturkreis-

laufes in die Beständigkeit der Welt andeuten, so wie Fortschritt und Verfall oder Wachstum

und Altern in der Welt.

Am Ende ihrer Ausführungen zum Herstellen, widmet Arendt eine Passage Überlegungen

zum Kunstwerk. Dabei stellt sie heraus, dass die Transformation in der Kunst, sich eigentlich

52 Arendt, Hannah (2005), S. 188f. 53 Für Arendt ist der Ackerbau ein Beispiel, an dem sie die Verzahnung von Herstellen und Arbeiten im konkre-ten Einzelfall aufzeigt. Vgl. Arendt, Hannah (2005), S. 163f.

21

noch besser eignet um Weltlichkeit anzuzeigen, als es die Verdinglichung tut. Die Kunst näm-

lich gestattet es völlig nutzlose Dinge in die Welt zu stellen, die mit homo faber, wie wir ihn

kennen gelernt haben, eigentlich wenig gemein haben kann. Arendt spielt hier auf eine ganz

andere Vergegenständlichung an, nämlich nicht von Natur, sondern von Ideen bzw. mehr

noch: von Handlungen. An erster Stelle steht in diesem Zusammenhang die Dichtkunst54, zu

der auch Heidegger sich verschiedentlich Gedanken gemacht hat, in der ganz offensichtlich

die dritte Ebene der vita activa, in Form des Sprechens, eine entscheidende Rolle spielt. All-

gemein deutet die Kunst an dieser Stelle nur an, dass Welt eben auch mit Schönheit, Ästhetik

ausgestattet ist, welche sich mit keiner Zweck-Mittel-Kategorie fassen lassen:

„ Insofern aber Sprechen und Handeln die höchsten und menschlichsten aller Tätigkeiten der

Vita activa sind, ist die Welt eine wirkliche Heimat für die sterblichen Menschen nur in dem

Maße, als sie diesen in sich flüchtigsten und vergeblichsten aller Tätigkeiten eine Städte si-

chert, als sie sich dafür eignet, Tätigkeiten zu beherbergen, die nicht nur völlig nutzlos für den

Lebensprozess als solchen sind, sondern auch prinzipiell anderer Natur als die mannigfaltigen

herstellenden Künste, durch die die Welt selbst und alle Dinge in ihr hervorgebracht sind. [...]

das Maß für die Welt ist nicht die zwingende Lebensnotwendigkeit, die sich in der Arbeit

kundgibt, und es kann nicht in dem Reich von Mitteln und Zwecken gefunden werden, das

maßgebend ist für die Herstellung der Weltdinge und maßgeblich noch für den Gebrauch, den

wir von ihnen machen.“55

54 Arendt, Hannah (2005), S. 205f. 55 Arendt, Hannah (2005), S. 212.

22

3.3. Handeln und Sprechen / der Erscheinungsraum / der Prozesscharakter

„ Handelnd und Sprechend offenbaren die Menschen jeweils,

wer sie sind, zeigen aktiv die personale Einzigartigkeit ihres

Wesens, treten gleichsam auf die Bühne der Welt, auf der sie

vorher so nicht sichtbar waren [...]“56

Die letzte und höchste, ursprünglichste und menschlichste aller Tätigkeit ist das Handeln bzw.

Sprechen. Beide decken den Bereich menschlicher Existenz ab, der bisher nicht berücksichtigt

wurde: das Zwischenmenschliche, oder in der Terminologie Arendts und Heideggers die Mit-

Welt. Bisher haben wir die Menschen als reine Überlebenswillige und Fabrikanten erlebt,

denen nichts heilig ist und die stets bemüht sind neue Werkzeuge herzustellen.

Die Leerstellen sind offensichtlich und lassen sich an einem ganz einfachen Sprechakt zeigen,

denn ihm wesentlich ist neben dem konkreten Inhalt immer auch eine subjektive Dimension.57

Den verschiedenen Aspekten haben sich verschiedene Autoren gewidmet, erwähnt seien ex-

emplarisch nur Wittgenstein, Habermas oder, da wir uns in einem sozial konotierten Kontext

befinden, Georg Herbert Mead. An dieser Stelle reicht es völlig aus, daraufhin zu weisen, dass

mit jedem Sprechakt auch Auskunft über das Subjekt des Sprechens selber gegeben wird.

Auch wenn sich Homo faber über den Bauplan einer Turbine unterhalten möchte, gibt er da-

bei bestimmte Informationen über sich selber preis. Er enthüllt ein Stück weit seine eigene

Person, zeigt sich als „ Gleicher und Verschiedener“, in dem Sinne das wir unseres gleichen

sind, der gleichen Gattung angehörig und so mit der Fähigkeit ausgestattet, verstehen zu kön-

nen. Weiterhin als ein subjektiv Einzelner, der anhand der Sprache individuelle Befindlichkei-

ten, Wünsche auszudrücken vermag. Sprache kann es auch nur deshalb geben, weil wir uns

verständigen können, es also gleiche gibt, dennoch verschieden sind, denn wäre man mit dem

nächsten identisch, wozu dann Verständigung?

Im Handeln und Sprechen enthüllt sich nach Arendt die Person. An diesem Punkt drängen

sich die Parallelen zu Heidegger förmlich auf und auch Arendt selbst verweist explizit auf

einen Zusammenhang, wenn sie „Sprechen und Entbergen“58 zusammendenkt. Auf der theo-

retischen Ebene zeigt sich die enge Verwandtschaft der Überlegungen allerdings noch viel

deutlicher: Arendt spricht vom „[...] Risiko, als ein Jemand im Miteinander in Erscheinung zu

treten [...]“59, sowie dem bloßen „Gerede“, wenn dem Sprechakt kein Aufschluss-gebender

56 Arendt, Hannah (2005), S. 219. 57 Vgl. u.a. Arendt, Hannah (2005), S. 225f. 58 Arendt, Hannah (2005), Fußnote 4, S. 459. . 59 Arendt, Hannah (2005), S. 220.

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Charakter mehr innewohnt. Neben der terminologischen Kongruenz ist auch die Figur des

sich „ [...in] dem Bezugsgewebe der menschlichen Angelegenheiten und der objektiv-

gegenständlichen Welt, die es durchdringt [...]“60 als Individuum offenbarenden Daseins, das

sich abhebt von und in der Welt, eine analoge. Der wesentliche Unterschied besteht in der

Verortung dieser Phänomene: Während Heidegger hier vornehmlich ein Selbstverhältnis an-

steuert, liegt Arendts Schwerpunkt darauf die genuine soziale Struktur des menschlichen Han-

delns herauszuarbeiten. So insistiert sie auf dem Mit-Welt stiftenden Effekt von Handeln und

Sprechen. Es handelt sich beim Handeln und Sprechen also um eine Tätigkeit, die bedingt ist

durch Pluralität, Verschiedenheit, Gleichheit und die qua Durchführung den Raum zwischen

den Menschen, das „mannigfache Bezugsgewebe“ schafft, verändert, stabilisiert.

Diese Mitwelt ergänzt und durchdringt die Welt von Homo faber, obgleich sie wesentlich

flüchtig ist. Sie stellt den Raum zwischen den Menschen dar, in dem es (ob vom Handelnden

intendiert oder nicht) um den Menschen selbst geht.

Eng an das Handeln ist eine Figur des arendtschen Denkens gebunden, welche als Schlagwort

in der entsprechenden Literatur immer präsent ist, vor allem dann, wenn man versucht der

Verbindung mit Heidegger nachzuspüren: die Philosophie der Geburt, der Natalität. Inwieweit

dies tatsächlich das entscheidende Unterscheidungsmerkmal zu Sein und Zeit ist, bleibt mehr

als fraglich, wichtig in diesem Kontext ist zu verstehen, dass diese Natalität nichts anderes

meint als die menschliche Fähigkeit einen Neuanfang zu machen. Dies ist das Wesen einer

Handlung. Für Arendt sind alle bloß schematisch ablaufenden Prozesse, bspw. stimulus-

response-, schlichte actio-reactio Modelle in dem Sinne keine Handlungen:

„Da Handeln immer auf zum Handeln begabte Wesen trifft, löst es niemals nur Re-aktionen

aus, sondern ruft eigenständiges Handeln hervor [...].“61 Handlungen sind also Prozesse, sie

sind unabsehbar, irreversibel und nicht verantwortbar, im Sinne einer eindeutigen Zuschrei-

bung der Urheberschaft. In dieser Hinsicht ist den Handlungen ein Maximum an Dauerhaftig-

keit zuzuschreiben, da sie letztlich unendlich immer mehr und auf immer neue Weise Men-

schen in das Bezugsgewebe der Mitwelt verstricken.

Wenn jede Handlung aber etwas neues ist, einen Anfang macht, auf ein mannigfaltiges Be-

zugsgewebe stößt und dadurch wieder neue, genuin unkalkulierbare Handlungen hervorruft,

führt dann nicht jede einzelne Handlung, jedes Durchführen der höchsten aller menschlichen

Tätigkeiten unweigerlich ins Chaos? Oder anders formuliert: Wenn jede Handlung eines

Menschen, was zugleich Ausdruck seiner Freiheit ist, einen unabsehbaren Prozess in Gang

60 Arendt, Hannah (2005), S. 224. 61 Arendt, Hannah (2005), S. 237.

24

bringt, wie kann man dann vernünftigerweise Zusammenleben wollen, Hoffnung auf Freiheit

und Frieden im Sinne von Stabilität hegen?

Alles Handeln ist zugleich Ausdruck von Freiheit62 und Beginn von Chaos, einfach deshalb,

weil Handeln nicht kalkulierbar ist, die Auswirkungen nicht planbar sind. Arendt hat auf diese

Frage zwei Antworten. Die eine zielt auf ein ganz pragmatisches Gegenmittel, nämlich die

selbst wiederum als Handlungen anzusehenden, Verzeihen und Versprechen. Also zwei eben-

falls nur in Freiheit denkbare Verhaltensweisen gegenüber der Mitwelt: dem Akzeptieren,

Hinnehmen von Handlungen und damit das Unterbrechen des vermeintlichen self-fullfillings

(Verzeihen) und die Möglichkeit zu versprechen, das heißt trotz bzw. wegen der Freiheit zu

Handeln die Zukunft ein Stück weit festzuhalten, planbar zu machen. Die zweite Antwort

bezieht sich allgemein auf das Vorkommen von Handlungen: Sie sind äußerst selten.

„ [...] handeln und sprechen [etablieren] ein räumliches Zwischen [..., dies] ist der Erschei-

nungsraum. [...] Ein Erscheinungsraum entsteht, wo immer Menschen handelnd und spre-

chend miteinander umgehen [...] Ihn unterscheidet von anderen Räumen, [...] daß er die Aktu-

alität der Vorgänge, in denen er entstand, nicht überdauert, sondern verschwindet [...]“63

Dieser Erscheinungsraum ist also einerseits extrem fragil, andererseits recht selten, denn er ist

an Handlungen gebunden, die seltensten aller Tätigkeiten. Der Erscheinungsraum ist aber

weiterhin von höchster Bedeutung, denn nur in ihm zeigen sich Menschen, wohlwissend das

dies ein philosophischer Bummerrang ist, „so wie sie sind“. Wirklichkeit kann es nach Arendt

nur innerhalb dieses Erscheinungsraumes geben, denn er sichert – und hier sehen wir erneut

wie zentral Pluralität in der Arendtschen Konzeption gefasst ist – Welt und Mitwelt durch

Multiperspektivität. „Denn nur >> was allen als glaub- und meinungswürdig erscheint, nen-

nen wir sein<<[...]“.64 Nur in diesem Raum ist es möglich Wirklichkeit zu erfahren, denn nur

hier vereinen sich die verschiedensten Perspektiven und versichern somit Gegenstände, Per-

sonen, Handlungen.

Leben kann man immer und überall, in der Natur, in der Welt aber Wirklichkeit erfahren,

menschliche Existenz bestätigen, versichern kann man nur als Handelnder in diesem Erschei-

nungsraum. Entlang dessen argumentiert Arendt über eine längere Passage und entwickelt

dabei weitere Phänomene, die v.a. in politischer Hinsicht von Bedeutung sind, so bspw. das

Phänomen der Macht, als relatorische Strukturbeschreibung des Zwischenmenschlichen. An

dieser Stelle reicht es aber festzuhalten, dass durch Handeln ein Erscheinungsraum etabliert

62 An dieser Stelle drängt sich ein Exkurs zur Souveränität oder Autonomie des handelnden Individuums an, den auch Arendt in Vita activa verschiedentlich andeutet, bspw. auf Seite 299f. oder 317f.. Dies wird im abschlie-ßenden Kommentar zum Sichzusichverhalten aufgegriffen und mit den Ausführungen Heideggers parallelisiert. 63 Arendt, Hannah (2005), S. 250f. 64 Ebd.

25

wird und dieser letztlich Realität, Wirklichkeit stiftet und zwar deshalb, weil er der Ort ist an

dem sich Perspektiven vereinigen, der „Gemeinsinn“ die Dinge der Welt und Mitwelt sichert.

Wir werden auf einige Konsequenzen, die sich aus dieser Konzeption der Handlung ergeben

noch weiter eingehen.

4. Resümee

Wie lassen sich nun die verschiedenen Überlegungen von Hannah Arendt und Martin Hei-

degger zusammendenken? Worin unterscheiden sie sich und in welcher Hinsicht sind sie kon-

gruent?

Wie verschiedentlich erwähnt wurde, bietet sich der Begriff der Selbstbestimmung wie ihn

Tugendhat geprägt hat hier an. Dieser entwickelt einen Begriff der Selbstbestimmung im Sin-

ne von einer ganzheitlichen , ohne damit die Notwendigkeit der steten Aktualisierung der Fra-

gestellung zu exkludieren, Beantwortung der praktischen Frage, also der Frage nach dem Was

tun?, die er im sinnsuchenden Existenzbegriff Heideggers angelegt sieht. Bei der Herausarbei-

tung dieser ein Stück weit normativen Qualität, lässt er sich vom Modell des Sich-zu-Sich-

Verhaltens leiten. Dieses ist, wie man aus den voranstehenden Bemerkungen unschwer ablei-

ten kann, v.a. weltlich: „ Die Person erfährt sich als in einer Welt – als in einer umfassenden

Handlungssituation – zu seiende, und das Sein, um das es ihr geht, ist immer schon ein In-der-

Welt-Sein, ein Sein mit sorgenden anderen inmitten von besorgbarem Seienden.“65

Die angesprochenen zwei Dimensionen des Bezuges sind die gegenständliche Umwelt und die

soziale Mitwelt , die wir beide bei Arendt und bei Heidegger gefunden haben. Der Einstieg in

eine Diskussion der unterschiedlich ausgestalteten Struktur dieses Sich-zu-sich-Verhaltens

eröffnet sich über die nur scheinbar triviale Frage, ob es denn gerechtfertigt sei, aus Vita acti-

va ein Selbstverhältnis zu destillieren?

Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich, denn sie dringt vor bis auf den Grund der

Verschiedenheit der Vorstellungen von Subjekt und Sozialität bei Arendt und Heidegger.

Zunächst zum einfacheren Teil und zur Bejahung der Existenz eines Selbstverhältnisses in

Vita activa. Wie wir bei Heidegger erfahren haben, muss man dieses Selbstverhältnis dort

suchen, wo das Dasein besorgend mit den Dingen dieser Welt umgeht. Also in der Sphäre der

sich Arendt widmet: Der Vita activa, nicht der Vita contemplativa. Auch wenn Arendt das

subjektive Moment nie sonderlich stark macht, warum wird sich noch zeigen, sind zentrale

Begriffe ihrer Analyse nur im Kontext eines Selbstverhältnisses denkbar. Beispielsweise er-

65 Tugwendhat, Ernst (1979), S. 199.

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klärt sie, dass homo faber unglücklich ist, dass er keine höchsten Werte neben der Nützlich-

keit kennt und das es ihn deshalb zum Handeln treibt. Was würde es für einen Sinn machen

von Stimmungen und Befindlichkeiten, die nach Heidegger übrigens die ausgezeichneten

Formen der Erschlossenheit des Zu-Seins sind, zu sprechen, wenn man nicht die subjektiven

Dispositionen des Einzelnen damit meint? Einen ganz zentralen Stellenwert bei Arendt

nimmt weiterhin der Begriff der Freiheit ein und mit ihm eine ganze Reihe von Phänomenen

bspw. Verzeihen, Versprechen und auch Souveränität. Arendt erteilt dem Begriff der Souve-

ränität im Sinne einer „ [...] unbedingte[n] Autonomie und Herrschaft über sich selbst [...]“66

eine deutliche Absage, da dieses Verständnis „ [...] der menschlichen Bedingtheit der Plurali-

tät widerspricht.“67 Auch bei Heidegger haben wir gezeigt, dass die Vorstellung einer Monade

oder unbedürftigen Substanz namens Ich, in etwa dem Gegenteil seiner Konzeption ent-

spricht. Arendts Ideal ist das der Freiheit des Handelnden, das sich aus dem Faktum der Nata-

lität, in gewissem Sinne eine Allegorie auf die Möglichkeit des Neuanfangs und welche sich

bspw. in den oben bereits erwähnten Handlungen des Verzeihens und Versprechens äußert,

ableitet.68 Diese Freiheit entsteht auf dem Grund der Bedingtheiten des Menschen und hier ist

zuallererst die Pluralität zu nennen. Bei Arendt ist Wirklichkeit gekoppelt an Multiperspekti-

vität, d.h. die im Widerstreit der Perspektiven - und in dem Sinne dann plurale – gewonnene

Sicht auf die Welt. Für Hannah Arendt ist Pluralität notwendige Bedingung für Freiheit,

Handlung und damit auch der Konstitution des Erscheinungsraums, der einzigen Gegend in

der man Personen wirklich begegnen kann.

Dies ist bei Heidegger sicherlich nicht so, wenngleich es schwer ist ihm, wie es verschiedent-

lich getan wird, einen asozialen Existenzbegriff zu unterstellen. Wir haben oben gezeigt, wie

Sozialität im Existenzial der Mitwelt, Konstituens der Welt ist und damit jedem Dasein prima

facie zugehört. Man kann aber sicher festhalten, auch wenn Heidegger selbst dies ständig

bestritt, dass seine apellative Rede von der Eigentlichkeit, sich v.a. aus der Negation des Un-

eigentlichen, des >Man< speist. Bei der Lektüre von Sein und Zeit, stößt man auf eine Reihe

von Phänomenen, die man auf den ersten Blick sozial nennen könnte, welche dem Bereich der

Uneigentlichkeit zu geordnet und scheinbar pejorativen Art sind: „Abständigkeit, Durch-

schnittlichkeit, Einebnung konstituieren als Seinsweisen des Man das, was wir als die >>Öf-

fentlichkeit<< kennen. Sie regelt zunächst alle Welt- und Daseinsauslegungen und behält in

66 Arendt, Hannah (2005), S. 299. 67 Ebd. 68 An dieser Stelle sei der Hinweis erlaubt, dass Arendts Ideal der Freiheit, dem höchsten Wert des menschlichen Lebens, nichts mit dem gegenwärtig tradierten Freiheitsbegriff, welcher die allein individuelle Nutzenmaximie-rung moralisch rechtfertigen soll gemein hat. Arendts Freiheit ist immer bezogen auf Pluralität und ist ohne eine Gemeinschaft von Handelnden – oder zumindest der vorgängigen Erfahrung einer solchen - schlicht undenkbar.

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allem Recht. [...] Die Öffentlichkeit verdunkelt alles und gibt das so Verdeckte als das be-

kannte und jedem Zugängliche aus. [...] Jeder ist der andere und keiner er selbst.“69

Wie angedeutet hat sich Heidegger immer gegen eine Leseweise von Sein und Zeit gewandt,

die diesen kompromittierten Öffentlichkeitsbegriff hervorhebt, eben weil die Mitwelt ein

Existenzial ist und in diesem Sinne ja immer auch Bedingung der Möglichkeit der Eigentlich-

keit. Auch Hannah Arendt spielt auf diese Bedingung der Möglichkeit an, wenn sie das Han-

deln als zwar der Tätigkeiten höchste, aber auch seltenste beschreibt. Auch die historische

Dimension ihrer Analyse bestärkt diese Vermutung, wenn in der Antike nur die handeln

konnten, für die gearbeitet wurde und in der Moderne das animal laborans siegt, obwohl es

nie eine Epoche quantitativ höherer Interaktion gab. Arendts Öffentlichkeitsbegriff, im Kon-

nex mit Freiheit und Handeln, ist also gleichsam ein normativ hoher, ähnlich wie es Heideg-

gers eigentliches Dasein ist. Die fundamentale Differenz ist freilich die Rolle der Öffentlich-

keit: Während Arendt sie, egal wie stark aufgeladen, zur Bedingung der Freiheit, und in die-

sem Sinne als Binnenstruktur des Daseins erklärt, spielt sie in den Gedanken Heideggers, zu-

mindest auf den ersten Blick, nur dann eine Rolle, wenn ein eigentlicher Selbstbezug abgeho-

ben werden soll. Wie diese Differenzen sich fortsetzen, wäre auf der Basis der einheitlichen

Konzeption der Weltlichkeit des Daseins freilich eine interessante Aufgabe, denn eine Menge

der Phänomen die Arendt stark macht, lassen sich auch bei Heidegger mühelos auffinden. So

ist beispielsweise das eigentliche Dasein auch mit einer Form der Freiheit konfrontiert, die die

gesamte Existenz betrifft und somit ungleich umfassender ist, weil jede freie Entscheidung die

Merkmale der Arendtschen Handlung trägt und damit im Kern unendlich ist. Heidegger deutet

dies verschiedentlich an, wenn er vom Rückzug in die Uneigentlichkeit spricht, die dem Da-

sein die Last der Freiheit, die Verantwortung (vermeintlich) abnimmt.

Es hat sich gezeigt, dass wir im Kriterium des Selbstbezuges einen Ansatz finden, welcher es

erlaubt die Konzeptionen der menschlichen Existenz bei Arendt und bei Heidegger zu paralle-

lisieren. Denn diese Existenz ist genuin weltlich, d.h. in jeder noch so individuell erscheinen-

den Entscheidung in einem Netz von Bezügen und Verweisungen eingesponnen aus dem es

kein Entrinnen gibt und für dessen Qualität jeder stets die Verantwortung trägt. Inwieweit dies

aus sozialer resp. politischer Perspektive oder aus einer (vorerst) eher subjektiven Sicht von

Bedeutung ist, kann man aus den weiteren Ausführungen von Arendt und Heidegger heraus-

arbeiten. Während Heidegger also den Boden bereitet indem er zeigt, dass jedes einzelne Da-

sein weltlich ist fragt Arendt weiter, was es denn bedeutet, wenn jedes Dasein in der einen

69 Heidegger, Martin: Sein und Zeit, S. 127f. Neben dieser allgemeinen Wertung, kann man v.a. im Diskurs zwischen Gerede und Ruf des Gewissens zum Sein-zum-Tode oder auch anhand der einzelnen Phänomene der §§35-38 diese negativ konotierte Rede von den „sozialen Phänomenen“ nachprüfen.

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Welt ist, welchen Einfluss die Gesamtmenge der Subjekte auf ihre Welt hat und in der Folge

notwendiger Weise, welche Form des Zusammenlebens den Raum des Einzelnen verengt oder

umgekehrt: Wie klein die Welt wird, wenn Handlungen verstummen.

5. Literaturverzeichnis:

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