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Martin Luther: 95 Thesen
Der Schatz der Kirche
56. Die Schätze der Kirche, aus denen der Papst
die Ablässe austeilt, sind weder genau genug be-
zeichnet noch beim Volk Christi erkannt worden.
57. Zeitliche Schätze sind es offenkundig nicht,
weil viele der Prediger sie nicht so leicht austeilen,
sondern nur einsammeln.
58. Es sind auch nicht die Verdienste Christi und
der Heiligen; denn sie wirken ohne Papst immer
Gnade für den inneren Menschen, aber Kreuz,
Tod und Hölle für den äußeren.
59. Der heilige Laurentius sagte, die Schätze der
Kirche seien die Armen der Kirche. Aber er redete
nach dem Wortgebrauch seiner Zeit.
60. Wohlüberlegt sagen wir: Die Schlüsselgewalt
der Kirche, durch Christi Verdienst geschenkt, ist
dieser Schatz.
61. Denn es ist klar, dass für den Erlass von Stra-
fen und von ihm vorbehaltenen Fällen allein die
Vollmacht des Papstes genügt.
62. Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige
Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.
63. Er ist aber aus gutem Grund ganz verhasst,
denn er macht aus Ersten Letzte.
64. Der Schatz der Ablässe ist hingegen aus gu-
tem Grund hochwillkommen, denn er macht aus
Letzten Erste.
65. Also sind die Schätze des Evangeliums die
Netze, mit denen man einst Menschen von Reich-
tümern fischte.
66. Die Schätze der Ablässe sind die Netze, mit
denen man heutzutage die Reichtümer von Men-
schen abfischt.
67. Die Ablässe, die die Prediger als „allergrößte
Gnaden“ ausschreien, sind im Hinblick auf die
Gewinnsteigerung tatsächlich als solche zu ver-
stehen.
68. Doch in Wahrheit sind sie die allerkleinsten,
gemessen an der Gnade Gottes und seiner Barm-
herzigkeit im Kreuz.
Liebe Gemeinde,
es ist das Jahr 1517. Ein Jahr zuvor hatte das Bis-
tum Meißen dem Dominikanermönch Johann Tetzel
den Auftrag erteilt, den Ablasshandel für den Bau des
Petersdoms in Rom voranzutreiben. Und Tetzel ist in
dieser Zeit ein genialer Marketing- und Werbefach-
mann. Das Geschäft brummt.
Martin Luther ist im benachbarten Wittenberg auf die-
se Missbräuche aufmerksam geworden und ist ent-
setzt. Er stellt dem Ablasshandel die leistungsfreie
Gnadenzusage des Neuen Testaments gegenüber.
Gottes Gnade gibt es immer nur „gratis“! Davon ist er
überzeugt .
Und darüber, so meint er, muss dringend gesprochen
werden. Mit seinem Thesenanschlag will er dieses
Gespräch in Gang setzen und letztlich die Kirche
wieder auf den rechten Weg bringen.
Es geht ihm also darum, was in der Kirche wirklich
wichtig und richtig ist. Darum, was wertvoll ist und
was eher schädlich.
62. Der wahre Schatz der Kirche ist das heilige
Evangelium der Herrlichkeit und Gnade Gottes.
Nicht die Verdienste der Heiligen, nicht der Ablass,
nicht die guten Werke, nicht die Reliquien, nicht die
Tradition und der Besitz der Kirche, nicht die geweih-
ten Kleriker als Heilsvermittler! Diese angeblichen
‚Schätze’ täuschen die Menschen, sie schaffen fal-
sche Abhängigkeiten und dienen nur dem Macht-
streben in der Kirche.
Martin Luther stellt sich mit seiner Auffassung vom
Schatz der Kirche gegen eine im Mittelalter sehr po-
puläre und von den Mächtigen gestützte Überzeu-
gung. Im Lexikon lesen wir:
„Schatz der Kirche (…)nach katholischer, von Ale-
xander von Hales und andern Scholastikern ausge-
bildeter Lehre die unendlichen Genugtuungen Christi
und überschüssigen Verdienste der Auserwählten, die
dem Gesamtkörper der Kirche zufließen und einen
gemeinsamen Kirchenschatz bilden, aus dem die Kir-
che rechtmäßig, rechtskräftig und unbeschränkt zum
Nutzen einzelner Bedürftigen Ablässe zuwendet.“ 1
Es ist das Verdienst Martin Luthers, den Schatz des
Evangeliums allen Menschen geöffnet zu haben und
er war es, der die Kirche neu mit dem Wort und der
Person Jesu konfrontiert hat. Es geht ihm um die Kir-
che – um das, was Kirche ist, was sie ausmacht und
reich macht:
Der Schatz der Gnade und Barmherzigkeit Gottes,
der Schatz des Evangeliums sollte für die Kirche
wiederentdeckt und neu gehoben werden. Aus einer
dringend benötigten Reform und der Beseitigung von
Missständen und Missbräuchen wurde jedoch die Re-
formation, mit der sich die Kirchen nunmehr seit 10
Jahren, in der Reformationsdekade, neu beschäftigen.
1 http://www.zeno.org/Meyers-1905/A/Schatz+der+Kirche
Es stellt sich die Frage, was aus dem Schatz des
Evangeliums in den christlichen Konfessionen heute
geworden ist. Was müsste Luther denn heute auf un-
sere Kirchentüren schreiben
Sich auf die Reformation zu besinnen, heißt evange-
lisch: sich auf das Evangelium von Jesus Christus zu
besinnen – und damit auf die gemeinsame Grundlage
christlicher Verkündigung. Luther wollte bekanntlich
nicht sich selbst gefeiert wissen, sondern es ging ihm
um die Botschaft von Jesus Christus.
Die Besinnung auf die Reformation kann so einen An-
lass für gemeinsame Bemühungen, das Evangelium
zu verkündigen, bieten. Wenn sich die Konfessionen
durch die reformatorische Botschaft gemeinsam da-
rauf verwiesen sehen, das Evangelium von Jesus
Christus neu und gemeinsam zu verstehen, dann be-
steht die Chance, dass das Reformationsjubiläum
nicht Anlass für neue konfessionelle Selbstbehaup-
tungsversuche gibt, sondern dass davon ein Impuls
für neue, gemeinsame Verkündigung des Evangeli-
ums ausgeht.
Die Botschaft, die Martin Luther ins 16. Jh. hineinge-
sprochen hat, hört sich heute im 21. Jh. vielleicht so
an:
Gott sagt zu jedem: „Ich nehme dich an, lieber
Mensch, so wie du bist, gratis und ohne Bedingungen.
Du brauchst nicht immer hinter neuen Leistungen her
jagen. Dich nicht ständig quälen und abstrampeln, um
auf der Erfolgsleiter ein paar Stufen höher zu klettern.
Du bist angenommen und bejaht!
Du kannst aufatmen, du bist frei! Geh Deinen Weg
ohne Druck, ohne Angst. Gestalte dein Leben. Ich
stütze Dich! Du kannst unbeschwert eintreten für ge-
lingendes Leben. Du darfst die Verantwortlichen in
Politik und Gesellschaft an die Würde jedes Men-
schen erinnern!
Wir sollten uns allerdings vor dem gängigen Trug-
schluss hüten, jede und jeder, der als einigermaßen
„anständiger Mensch“ lebt, sei schon irgendwie ein
„guter Christ“. Und ein irgendwie „ordentliches“ oder
gar ethisches Leben sei allemal wichtiger als der
Glaube oder Christus.
Diesen Irrtum gab es schon zu Luthers Zeiten. So ist
der Heilige Laurentius in die Thesen geraten. Ein
Mann, der das Kirchenvermögen an die Armen ver-
teilt hat und sagte, DIESE und nicht Geld und Gut
seien eigentlich der Schatz der Kirche.
Der heilige Laurentius sagte, die Schätze der Kir-
che seien die Armen der Kirche. Aber er redete
nach dem Wortgebrauch seiner Zeit.
Luther anerkennt durchaus den Wert ethischen Han-
delns. Und gute Werke. Aber sie stehen niemals al-
lein und schon gar nicht an erster Stelle.
Dagegen setzt er seine 4 „Soli“, die 4 berühmten
Schlagworte, mit denen er „Christsein“ definiert:
1. Allein durch den Glauben
2. Allein durch die Gnade
3. Allein durch das Evangelium
4. Allein durch Jesus Christus
…. Wird der Mensch gerecht vor Gott.
Nicht durch irgendwelche Werke und schon gar nicht
durch Ablasskauf!
„Halt auch irgendwie Christsein“ ohne Bibel, ohne
Wissen über Gott und Christus war für Luther völlig
undankbar.
Er hat darum ganz leidenschaftlich Schulbildung für
alle gefordert und die „Ratsherren aller deutschen
Städte“ aufgefordert „christliche Schulen aufzurichten
und zu halten“. Ihm ging es darum, dass jeder
Mensch weiß, was er wissen kann und weiß, was er
glauben muss.
Gebildete Gläubige waren für ihn die „Gefäße“ in de-
nen der „wahre Schatz der Kirche“ bewahrt und tra-
diert werden kann.
Darum hat er die Katechismen geschrieben, damit in
jedem Haushalt ein „christliches Grundwissen“ vor-
handen ist und Eltern den Fragen Ihrer Kinder nicht
völlig hilflos gegenüberstehen.
Darum hat er die Bibel übersetzt, damit jede Christin
und jeder Christ mit eigenen Augen von der Herrlich-
keit und Liebe und Gnade Gottes lesen kann.
Als Bildungsreferent in der Badischen Landeskirche
ist das Hinweisen auf den wahren Schatz der Kirche,
seine Pflege und Weitergabe mein tägliches Geschäft,
-- so jedenfalls verstehe ich meine Aufgabe
Schon zu Beginn der Reformation ist die Notwendig-
keit von Bildung von Luther und Melanchthon klar er-
kannt und benannt worden. So heißt es in der Adels-
schrift aus dem Jahr 1520: „Vor allen Dingen sollte in
den hohen und niederen Schulen die vornehmste und
allermeiste Lektion sein die Heilige Schrift und den
jungen Knaben des Evangelium. Und wollte Gott, ei-
ne jegliche Stadt hätte auch eine Mädchenschule, da-
rinnen täglich die Mägdlein eine Stunde das Evange-
lium hörten, es wäre deutsch oder lateinisch“.
Für Luther war es wichtig, dass jeder Mensch selbst
in der Bibel lesen kann und sich so über das, was
er/sie glaubt eine eigene Meinung bilden kann. Des-
halb gehört zum religiösen Leben im Protestantismus
die Bildung ganz grundlegend und unbedingt dazu
Nach reformatorischem Verständnis können sich
evangelische Kirche und Gemeinde nicht ohne Bil-
dung entwickeln. Bildung aus evangelischer Perspek-
tive ist als Prozess zu verstehen, der das ganze Le-
ben umfasst und in dem Gott mit dem Menschen ins
Gespräch kommt.
Die Familie nimmt eine zentrale Stellung im Bil-
dungsbereich ein, hat sie doch eine Doppelfunktion:
sie ist Bildungsort und Lernwelt zugleich. Sie stellt
den ersten Erfahrungs- und Lernraum der Kinder dar
und bestimmt durch ihre Orientierung, Motivation und
Hilfestellung die religiöse Biografie eines Menschen
maßgeblich.
Die evangelischen Kindertageseinrichtungen dann,
zeichnen sich durch fachliche Qualität, offene und
freundliche Beziehungen, Angebot einer christlichen
Lebensorientierung, Begegnung mit anderen Religio-
nen, Solidarität mit den Schwachen und Zusammen
leben mit der evangelischen Gemeinde aus.
Der Religionsunterricht bedarf besonderer Aufmerk-
samkeit und Pflege – ist er doch der Ort, an dem vie-
le Heranwachsende zum ersten Mal dem christlichen
Glauben intensiver begegnen.
Kinder- , Jugend- und Konfirmandenarbeit in den
Gemeinden sind weitere Felder, um mit „wahren
Schatz der Kirche“, der Botschaft von der befreienden
Liebe und Güte Gottes bekannt oder vertrauter zu
werden. Erwachsenenbildung, Frauenarbeit, Akade-
mie und andere Einrichtungen sprechen auch Men-
schen an, die ansonsten wenig Kontakt zur Kirche
haben.
Der „wahre Schatz der Kirche“, das Evangelium, die
Frohe Botschaft von der Gnade und Herrlichkeit Got-
tes darf nicht hinter Panzerglas oder in Tresoren ge-
hütet werden, er darf nicht in Archiven verstauben,
sondern er glänzt nur dann, wenn er mitten unter die
Leute kommt. Und er glänzt umso mehr, wenn Men-
schen ihn zu einem „Alltagsgegenstand“ machen.
Wenn Nachbarn oder Freunde ihn teilen, Kollegen ihn
stolz der Kollegin erklären, Großeltern oder Eltern ihn
den Kindern oder Enkeln anvertrauen.
Ich weiß nicht, was Luther zu all den Veranstaltungen
und Feiern der Reformationsdekade sagen würde.
Ich bin sicher, Luther wollte um seine Person gar
nicht so ein Aufhebens machen; ihm war viel mehr
der Inhalt wichtig, oder besser das, „was Christum
treibet“. Ihm ging es allein um die Verkündigung der
wichtigsten Botschaft der Welt, das Evangelium von
Jesus Christus, wie es ihm und uns in der Bibel
überliefert worden ist und in den altkirchlichen
Bekenntnissen ausgelegt wurde. Kern der Reformati-
on ist diese Botschaft, und nicht eine Person oder ei-
ne bestimmte Tat.
Wir sind ja hier im Rheinland, da muss gerade in die-
ser Jahreszeit noch ein anderes Kleinod gezeigt wer-
den, das zum Schatz des Evangeliums gehört. Es ist
der Humor. Keiner hat das schöner ausgedrückt als
Hanns-Dieter Hüsch. Gewiss kennen Sie sein Ge-
dicht. Ich kann es nicht oft genug hören:
"Ich bin vergnügt, erlöst, befreit,
Gott nahm in seine Hände meine Zeit,
mein Fühlen, Denken, Hören, Sagen,
mein Triumphieren und Verzagen,
das Elend und die Zärtlichkeit.
Was macht, dass ich so fröhlich bin?
- Ich sing und springe her und hin
vom Kindbett bis zur Leich.
Was macht, dass ich so furchtlos bin
an vielen dunklen Tagen?
- Es kommt ein Geist in meinen Sinn
will mich durchs Leben tragen.
Was macht, dass ich so unbeschwert
und mich kein Trübsinn hält?
- Weil mich mein Gott das Lachen lehrt
wohl über alle Welt."2
Der Glaube an die Erlösung in Jesus Christus befreit
den Christenmenschen zum Lachen, zur Heiterkeit,
2 „Das kleine Buch zwischen Himmel und Erde“ von Hanns Dieter Hüsch,
Seite 4, tvd Verlag Düsseldorf 2000
zum Humor. Sie sind Ausdruck eines Lebensmutes,
der sich von den Widrigkeiten und Schrecklichkeiten
des Lebens nicht mundtot machen und zerstören
lässt. „Menschenkind, Du bist ein Kind Gottes, von
ihm geschaffen, geliebt, befreit. Er trägt dich hindurch
bis ans Ende, bis zu deinem neuen Anfang in seiner
Wirklichkeit. Gott ist bei dir, in dir, um dich. Darum
nimm dich ernst, aber nicht zu ernst! Lass dich nicht
unterkriegen! Trotz vieles Schweren schenkt uns der
Schatz des Evangeliums die Unbeschwertheit. „Weil
mich mein Gott das Lachen lehrt wohl über alle Welt.
Ein Christusfest soll es sein, dieses Reformationsjubi-
läum, und es sollte uns als evangelische Christen
daran erinnern, Christus und seine Botschaft von der
unfassbaren Menschenliebe Gottes neu unter die
Leute zu bringen, auf allen Straßen und Plätzen, bis
an die Hecken und Zäune und darüber hinaus.
Amen