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21 FORSCHUNG 21/2008/2 Martina Lucht/Nicola Döring/Helmut M. Niegemann Erfüllung der Meinungsbildungs- funktion im Fernsehen Ein Vergleich von herkömmlicher und interaktiver Dokumentation Ein Aspekt von Qualität im Fern- sehen ist, wie Programme die Mei- nungsbildung fördern. Ein Ver- gleich von herkömmlichem Fern- sehen mit dem interaktiven Fernse- hen (iTV) zeigt, dass die Meinung von iTV-Nutzern zu denselben, multiperspektivisch aufbereiteten Programminhalten differenzierter ist. D ie objektive Darstellung von politischen Themen ist eine grundlegende Anforderung an die Massenmedien, denn dadurch werden den BürgerInnen ein neutra- ler Wissenserwerb und eine individu- elle, medienunabhängige Meinungs- bildung ermöglicht. Basis hierfür sind normative und politische Vorgaben, aus denen demokratische Funktionen für den deutschen Rundfunk abgelei- tet wurden. Zu nennen sind hier die Meinungsbildungs-, Informations-, Forums-, Bildungs-, Kritik- und Arti- kulationsfunktion (vgl. Holznagel 2006). Für die Forschung ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die Erfül- lung der Funktionen empirisch über- prüfen zu können. In diesem Beitrag wird ein Instrument zur Erhebung von Meinung vorge- stellt und in einem quasi-experimen- tellen Vergleich dreier Dokumentatio- nen zum Thema »Flugzeugunglück in Überlingen« 1 angewendet. 1. Messung von Meinung Im Sinne der Meinungsbildungs- funktion umfasst der Begriff Mei- nung »[…] jedes Stellung beziehen- de Dafürhalten im Sinne einer Wer- tung. Damit kann es sich um ein Werturteil, eine Ansicht, Anschau- ung, Auffassung, Überzeugung, Be- urteilung, Bewertung oder Einschät- zung handeln« (Dorn 2004, S. 62). Als wertende Äußerungen sind Mei- nungen immer subjektiv, sodass nicht nachgewiesen werden kann, ob die- se richtig oder falsch sind. In diesem Aspekt unterscheidet sich die Mei- nung von der Tatsachenmitteilung. Im Hinblick auf den Rundfunk un- terscheidet Kepplinger zwischen »[…] gesuchte[n] Meinungen, die der aktuellen Orientierung dienen, sowie aufgedrängte[n] Meinungen (Derivat-Meinungen), deren Rele- vanz über den aktuellen Orientie- rungsbedarf hinausgeht« (Kepplinger 1996, S. 30). Meinungsbildung wäh- rend des medialen Rezeptionsprozes- ses kann demnach als Prozess der wertenden Beurteilung der darge- stellten Fakten gesehen werden. Die- ser Prozess kann sich während der Fernsehnutzung vollziehen und mit dem Ende der Rezeption ebenfalls beendet sein oder im Falle von Deri- vat-Meinungen über einen längeren Zeitraum andauern, welcher weit über die Rezeptionsdauer hinaus- reicht. In jedem Fall handelt es sich um eine subjektive Einschätzung. Meinungsbildung hängt stark von dem Wissensstand des Einzelnen ab, jedoch können auch soziale Faktoren, wie z. B. Angst vor sozialer Isolati- on, den Prozess der Meinungsbildung beeinflussen (vgl. Noelle-Neumann 1980). Die Erfüllung der Meinungsbildungs- funktion durch massenmediale Inhal- te kann nicht aufgrund der individu- ellen Meinungen erhoben werden, da es keine »richtige« oder »falsche« Meinung gibt. Das Maß ist die Mei- nungsvielfalt als Basis für die vom Bundesverfassungsgericht geforder- te »[…] ständige geistige Auseinan- dersetzung, den Kampf der Meinun- gen […]« (BVerfGE 7, 198 – Lüth) im demokratischen Diskurs. Ein Instrument zur Erhebung der Er- füllung der Meinungsbildungsfunk- tion sollte daher weniger die einzel- nen Meinungen der ProbandInnen, also die individuelle Wertung oder Ab- wägung zu einem Thema, erfassen. Erstrebenswert wäre es, Programm- qualität aufgrund der Meinungs- vielfalt in der Gruppe zu erfassen. Herkömmliche Möglichkeiten zur Erfassung von Meinung fokussieren die individuelle Meinung (vgl. Romer 1979; Remmers 1954; Prüfer 1996; Nir 2002). Ein standardisierter Ver- gleich von Gruppen (und damit ein Rückschluss auf die Sendungsquali- tät) ist darüber schwer möglich. Wenn hingegen die Qualität der Meinung

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FORSCHUNG21/2008/2

Martina Lucht/Nicola Döring/Helmut M. Niegemann

Erfüllung der Meinungsbildungs-funktion im Fernsehen

Ein Vergleich von herkömmlicher und interaktiver Dokumentation

Ein Aspekt von Qualität im Fern-

sehen ist, wie Programme die Mei-

nungsbildung fördern. Ein Ver-

gleich von herkömmlichem Fern-

sehen mit dem interaktiven Fernse-

hen (iTV) zeigt, dass die Meinung

von iTV-Nutzern zu denselben,

multiperspektivisch aufbereiteten

Programminhalten differenzierter

ist.

Die objektive Darstellung vonpolitischen Themen ist einegrundlegende Anforderung

an die Massenmedien, denn dadurchwerden den BürgerInnen ein neutra-ler Wissenserwerb und eine individu-elle, medienunabhängige Meinungs-bildung ermöglicht. Basis hierfür sindnormative und politische Vorgaben,aus denen demokratische Funktionenfür den deutschen Rundfunk abgelei-tet wurden. Zu nennen sind hier dieMeinungsbildungs-, Informations-,Forums-, Bildungs-, Kritik- und Arti-kulationsfunktion (vgl. Holznagel2006). Für die Forschung ergibt sichdaraus die Notwendigkeit, die Erfül-lung der Funktionen empirisch über-prüfen zu können.In diesem Beitrag wird ein Instrumentzur Erhebung von Meinung vorge-stellt und in einem quasi-experimen-tellen Vergleich dreier Dokumentatio-nen zum Thema »Flugzeugunglück inÜberlingen«1 angewendet.

1. Messung von Meinung

Im Sinne der Meinungsbildungs-funktion umfasst der Begriff Mei-nung »[…] jedes Stellung beziehen-de Dafürhalten im Sinne einer Wer-tung. Damit kann es sich um einWerturteil, eine Ansicht, Anschau-ung, Auffassung, Überzeugung, Be-urteilung, Bewertung oder Einschät-zung handeln« (Dorn 2004, S. 62).Als wertende Äußerungen sind Mei-nungen immer subjektiv, sodass nichtnachgewiesen werden kann, ob die-se richtig oder falsch sind. In diesemAspekt unterscheidet sich die Mei-nung von der Tatsachenmitteilung.Im Hinblick auf den Rundfunk un-terscheidet Kepplinger zwischen»[…] gesuchte[n] Meinungen, dieder aktuellen Orientierung dienen,sowie aufgedrängte[n] Meinungen(Derivat-Meinungen), deren Rele-vanz über den aktuellen Orientie-rungsbedarf hinausgeht« (Kepplinger1996, S. 30). Meinungsbildung wäh-rend des medialen Rezeptionsprozes-ses kann demnach als Prozess derwertenden Beurteilung der darge-stellten Fakten gesehen werden. Die-ser Prozess kann sich während derFernsehnutzung vollziehen und mitdem Ende der Rezeption ebenfallsbeendet sein oder im Falle von Deri-vat-Meinungen über einen längerenZeitraum andauern, welcher weitüber die Rezeptionsdauer hinaus-reicht. In jedem Fall handelt es sich

um eine subjektive Einschätzung.Meinungsbildung hängt stark vondem Wissensstand des Einzelnen ab,jedoch können auch soziale Faktoren,wie z. B. Angst vor sozialer Isolati-on, den Prozess der Meinungsbildungbeeinflussen (vgl. Noelle-Neumann1980).Die Erfüllung der Meinungsbildungs-funktion durch massenmediale Inhal-te kann nicht aufgrund der individu-ellen Meinungen erhoben werden, daes keine »richtige« oder »falsche«Meinung gibt. Das Maß ist die Mei-nungsvielfalt als Basis für die vomBundesverfassungsgericht geforder-te »[…] ständige geistige Auseinan-dersetzung, den Kampf der Meinun-gen […]« (BVerfGE 7, 198 – Lüth)im demokratischen Diskurs.Ein Instrument zur Erhebung der Er-füllung der Meinungsbildungsfunk-tion sollte daher weniger die einzel-nen Meinungen der ProbandInnen,also die individuelle Wertung oder Ab-wägung zu einem Thema, erfassen.Erstrebenswert wäre es, Programm-qualität aufgrund der Meinungs-vielfalt in der Gruppe zu erfassen.Herkömmliche Möglichkeiten zurErfassung von Meinung fokussierendie individuelle Meinung (vgl. Romer1979; Remmers 1954; Prüfer 1996;Nir 2002). Ein standardisierter Ver-gleich von Gruppen (und damit einRückschluss auf die Sendungsquali-tät) ist darüber schwer möglich. Wennhingegen die Qualität der Meinung

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gemessen wird, d. h. der Grad anReflexion bzw. Differenziertheit,wird ein Gruppenvergleich möglich.Die Repertory-Grid-Methode ist einerprobtes Instrument zur Messungvon Differenziertheit. Daher wurdeversucht, dieses Instrument bei derErhebung der Differenziertheit derMeinung anzuwenden.

Repertory-Grid-Verfahren

Mit Kellys Methode, einer diagnosti-schen Hilfe bei der Planung einerTherapie, kann das subjektive Bildeines Menschen so abgebildet wer-den, dass es für andere zugänglichwird. Dabei werden die persönlichendichotomen Bewertungsgrundlagen(Konstrukte) eines Individuums erar-beitet und bestimmten Personen, Si-tuationen oder Gegenständen (Ele-menten) zugeordnet (vgl. Kelly1986). Die heutige, erweiterte Metho-de nennt sich Kelly-Grid-, Reperto-ry-Grid- oder RepGrid-Technik.Eine Variante ist der Triadenver-gleich, bei dem die Elemente demProbanden auf einzelnen Karten vor-gegeben werden. Dieser soll dreiKarten/Elemente aussuchen, wobeizwei Karten eine Gemeinsamkeit unddie Dritte ein gegensätzliches Merk-mal zu den ersten beiden aufweist.Nach getroffener Auswahl wird derProband gebeten, die Gemeinsamkeitund den Unterschied laut zu formu-lieren. Diese werden in das vorberei-tete Raster eingetragen, es sind diedichotomen Enden eines Konstrukts.Dieser Vorgang wird mehrmals wie-derholt, bis etwa so viele Konstruktein eine Matrix eingetragen wurden,wie Elemente vorgegeben waren.Anschließend soll der Proband jedemElement eine Rangzahl zuweisen, wieweit der eine Pol eines Konstruktsoder sein Gegenpol auf das Elementzutrifft.Die Anwendung dieses Triadenver-gleichs wird in Abschnitt 3 (Befundezur Meinungsbildung) am konkretenBeispiel dargestellt.

2. Das Medienbeispiel

Für den in der vorliegenden Studieuntersuchten Vergleich war es not-wendig, die vielfältigen Sendungendes herkömmlichen Fernsehens unddes interaktiven Fernsehens (iTV) aufein vergleichbares Format zu reduzie-ren. In der vorliegenden Studie standdie Erfüllung der Informations- undMeinungsbildungsfunktion im Vor-dergrund. Daher war es naheliegend,dass ein Sendeformat als Untersu-chungsgegenstand herangezogenwurde, das traditionell zum Zweckeder differenzierteren (politischen) In-formation produziert wird.Das Format der »Dokumentation« istdurch eine vertiefte Auseinanderset-zung mit einem gewählten Thema ge-kennzeichnet, daher wurden für denVergleich verschiedene Versionendieses Sendeformats gewählt.

2.1 Multiperspektiven-

dokumentation

An der TU Ilmenau wurde ein neuesFernsehformat für das iTV entwickeltund in Zusammenarbeit mit ZDFvi-sion in einem Prototypen realisiert(vgl. Lucht 2003). Bei diesem Proto-typen wird ein Thema unter einerLeitfrage aus verschiedenen Blick-winkeln beleuchtet. Alle Perspekti-venfilme werden den NutzerInnen2

parallel präsentiert.Der Rezipient kann sich eine Sicht-weise aussuchen und jederzeit in ei-nen der anderen Blickwinkel wech-seln. Aufgrund der digitalen techni-schen Möglich-keiten ist erauch in derLage, sich dieDokumentationmehrmals anzu-schauen, d. h.jeweils aus ei-ner anderen Per-spektive.Dieser Prototypeiner multiper-spektivischenDokumentation

thematisiert das Flugzeugunglückvon Überlingen, bei dem in einerKollision von einer Boeing der DHLund einer Tupolev der BashkirianAirlines im Jahr 2002 71 Menschenzu Tode kamen. In der Sendung wer-den folgende Leitfragen erörtert: Wasist in den letzten Minuten vor demUnglück genau passiert? Wie kam eszu dem Unglück?3 Im Beitrag EineFrage der Perspektive – die Katastro-phe von Überlingen (EFDP) stehendem Nutzer drei Perspektiven zurVerfügung, zwischen denen er inter-aktiv auswählen kann. Die Perspek-tive der zwei zuständigen schweize-rischen Fluglotsen, der Cockpit-Crewder Tupolev und der Crew der Boe-ing. Die Sichtweisen werden parallelangeboten und folgen einer gemein-samen Zeitachse: Wechselt der Nut-zer die Perspektive, so »befindet ersich« am selben Zeitpunkt in der Un-glücksnacht, aber er ist an einem an-deren Ort, dem Ort der angewähltenPerspektive. Zeiteinblendungen sol-len dem Nutzer diese Parallelitätsichtbar machen (vgl. Abb. 1).Im Unterschied zu herkömmlichenDokumentationen, bei welchen dieZuschauerInnen alle relevanten Infor-mationen in vorgegebener Reihenfol-ge während der Sendung präsentiertbekommen, werden dem Nutzer indieser Sendung nur die Informatio-nen mitgeteilt, die in der angewähl-ten Perspektive relevant sind. DerNutzer kann zwar permanent die Vi-deos aller Perspektivenfilme sehen,bekommt jedoch nur den Off-Text der

Abb. 1: Logischer Aufbau der Multiperspektivendokumentation

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jeweils angewählten Perspektive (vgl.Abb. 2).Die Texte der Perspektivenfilme stel-len immer nur die Informationen dar,welche die jeweiligen Akteure auchhatten. So erfährt man in der Fluglot-senperspektive nur Informationen, dieder Flugsicherung zur Verfügung stan-den, in den Cockpits nur die Informa-tionen, die den Crews bekannt waren.Der gesamte Wissensstand erschließtsich dem Nutzer erst, wenn er allePerspektivenfilme rezipiert hat. Dazumuss er am Ende des Hauptteils derSendung mittels Fernbedienung zumAnfang des Kapitels zurückspringenund die nächste Perspektive anwäh-len. Nun kann er die Unglücksnachtnochmals aus einem anderen Blick-winkel betrachten.

2.2 Linear-nonperspektivische

Dokumentation

Mit der Dokumentation Tod über denWolken – Wenn fliegen zum Albtraumwird (TODW) stand eine herkömmli-che Fernsehdokumentation zur Ver-fügung, die am 2. Juli 2003 im ZDFgesendet wurde. Im Rahmen von Pa-rallelschnitten werden auch in dieserSendung die letzten Minuten vor derKollision aufgearbeitet. Tod über denWolken hat eine etwas dramatischereMusik als Eine Frage der Perspekti-ve, und es werden in dieser Dokumen-tation eher wertende Aussagen getrof-fen als in der Multiperspektivendoku-mentation (z. B. »der Pilot könnte das

Unglück noch verhin-dern …«).

2.3 Linear-

perspektivische

Dokumentation

Die Multiperspekti-vendokumentation un-terscheidet sich vonder herkömmlichenSendung in zweiAspekten: der Non-linearität und der per-spektivischen Darstel-lung. Daher wurde eindritter Stimulus in die

Untersuchung aufgenommen, beidem die Inhalte linearperspektivischdargestellt werden. So konnte festge-stellt werden, ob mögliche Unterschie-de bei der Meinung auf die (non-)per-spektivische oder auf die (non-)linea-re Darstellung zurückzuführen sind.Die Sendung Mid-air collision – Kol-lision über dem Bodensee entstandaus der fertigen Multiperspektiven-

dokumentation. Hier wurden die ver-schiedenen Perspektiven in dramatur-gisch-inhaltlich sinnvolle Abschnitteunterteilt. An diesen Abschnitten fin-den Perspektivenwechsel statt (vgl.Abb. 3).So entstand eine lineare Dokumen-tation, die im herkömmlichen Fern-sehen gezeigt werden konnte, die je-doch eine perspektivische Darstel-lung beibehält. Mid-air collision(MAC) wurde von demselben Spre-cher gesprochen wie Eine Frage derPerspektive (EFDP) und ist mit der-selben Musik untermalt. Diese Sen-dung wurde mehrmals im ZDFdoku-kanal ausgestrahlt.

2.4 Zusammenführung

Die Dokumentationen Mid-air colli-sion und Eine Frage der Perspektivewurden aus dem Material von Todüber den Wolken produziert. Dahergibt es weitgehende Übereinstim-mungen bei den bildlichen Darstel-lungen. Die mittels Off-Text präsen-

Abb. 2: Screenshot der Multiperspektivendokumentation EFDP

Abb. 3: Logischer Aufbau der perspektivischen Darstellung in MAC

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tierten Informationen zum Unglücks-hergang sind ebenfalls weitgehendidentisch. Grundlegender Unter-schied zwischen den Versionen wardie Linearität (vgl. Abb. 4). Es wur-de angenommen, dass ein Inhalt einedifferenziertere Meinung hervor-bringt, wenn dieser nonlinear präsen-tiert wird, d. h. wenn der Nutzer dieInhalte selber interaktiv anwählenkann.

3. Befunde zur

Meinungsbildung

In einer Vorstudie wurde die Meinungder ProbandInnen darüber erhoben,welche Mitverantwortung die we-sentlichen Akteure für das Unglücktragen. Diese Frage erscheint zuläs-sig, weil das Unglück aus Experten-sicht nicht auf einen einzigen Fehlerzurückzuführen ist. Jeder der wichti-gen 6 Akteure (Pilot/Copilot DHL,Pilot/Copilot Tupolev, Fluglotse/Ko-ordinationslotse) hätte die Möglich-keit gehabt, das Unglück zu verhin-dern, hätte er zu einem bestimmten

Zeitpunkt anders entschieden odergehandelt. Dieser Sachverhalt wird inallen drei Dokumentationen darge-stellt. Die Frage nach der Mitverant-wortung wird demnach vor dem Hin-tergrund gestellt, dass Experten undder Abschlussbericht der Unfallunter-suchungsstelle keinen der 6 Akteureals hauptverantwortlich für das Un-glück benennen.Die ProbandInnen benannten Ähn-lichkeiten und Unterschiede zwi-schen diesen 6 Akteuren (Triadenver-gleich). Diese Aussagen über dieAkteure sind nach Kelly die Kon-strukte, nach denen die Probandendie Akteure in Bezug auf ihre Ver-antwortung einordnen.Mit dieser Methode konnten in einerVorstudie die wichtigsten Aspekte er-hoben werden, nach denen die Rezi-pientInnen das Unglück bzw. die Mit-verantwortung der 6 Hauptakteurebeurteilten. Die häufigsten Aussagenwurden in der Haupterhebung in Formeines Fragebogens vorgegeben, beidem die 6 Hauptakteure nach allen 6Aussagen beurteilt werden sollten. DieProbandInnen der Haupterhebung

konnten nun auf einer 5-stufigen Ska-la abwägen, wie weit sie der jeweili-gen Aussage in Bezug auf den jewei-ligen Akteur zustimmen (vgl. Abb. 5).Im Anschluss an den Fragenkomplexzur Faktenbewertung wurden die Pro-bandInnen gebeten, 100 % der Ver-antwortung für das Unglück auf diegenannten 6 Hauptakteure zu vertei-len. Darüber wurde ein zweiter Mei-nungsindikator, die »Mitverantwor-tung«, erhoben.Die Messung von »Meinung« erfolg-te somit in zwei Aspekten: Der Fak-tenbewertung einerseits, welche dieHandlungen und Entscheidungen der6 Hauptakteure auf Basis der in denDokumentationen dargestellten Gege-benheiten widerspiegelt, und der Mit-verantwortung andererseits, bei dernach einer grundlegenden Bewertungder Akteure gefragt wurde. Mithilfedieser Meinungsindikatoren konntennun Berechnungen für den Vergleichder Differenziertheit der Meinungzwischen den Gruppen abgeleitet wer-den. Insgesamt nahmen 106 Proban-den (45% weiblich, 55% männlich),die im Durchschnitt 20,2Jahre alt wa-ren, an der Untersuchung teil. Diesenwurde eines der drei Filmbeispielezufällig zugeteilt – linear-nonperspek-tivische Dokumentation (TODW), li-near-perspektivische Dokumentation(MAC) und parallel-perspektivischeDokumentation (EFDP).

3.1 Die Faktenbewertung

Nach den Aussagen verschiedenerLuftfahrtexperten ist von den genann-ten 6 Hauptakteuren keiner alleineverantwortlich für das Bodensee-Unglück. Verschiedene unglücklicheUmstände kamen zusammen, welche

Abb. 4: Vergleich von non-linearen (interaktiven) und linearen (herkömmlichen) Dokumenta-

tionen auf die Erfüllung der Meinungsbildungsfunktion

Abb. 5: Ausgefülltes Repertory Grid

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die Katastrophe bedingten. Gleichzei-tig hätte jeder der Akteure das Un-glück verhindern können, hätte er aneinem bestimmten Punkt anders ent-schieden oder gehandelt. Somit ist zufolgern, dass Experten die Verantwor-tung etwa zu gleichen Teilen auf alle6 Akteure verteilt hätten. Wenn Pro-bandInnen nun einzelne Akteure fürdas Unglück verantwortlich machen,wäre das demnach als eher undiffe-renzierte Meinung zu betrachten,denn aus Expertensicht ist das Un-glück auf eine Verkettung vielerHandlungen und Entscheidungen al-ler Akteure (und weiteren Verant-wortlichen) gleichermaßen zurückzu-führen.Die prozentuale Mitverantwortungder Akteure wurde von den Proban-dInnen sehr ähnlich bewertet. Jedochzeigten sich auf der Faktenebene sig-nifikante Unterschiede. Bei letzteremIndikator ist festzustellen, dass dieNutzer der Multiperspektivendoku-mentation eine moderatere Fakten-bewertung vornehmen, die näher ander Expertenmeinung ist.Abb. 6 zeigt deutliche Unterschiedein der mittleren Bewertung der jewei-ligen Akteure. Es fällt auf, dass diebeiden Zuschauergruppen (MAC,TODW) tendenziell höhere Bewer-tungen abgaben als die Nutzer(EFDP). Ein Signifikanztest zeigte,dass die ZuschauerInnen der linear-perspektivischen Sendung (MAC)

den Fluglotsen und den Copiloten derTupolev signifikant schlechter bewer-teten als die Nutzer (EFDP).Dabei zeigte sich bei der Bewertungdes Fluglotsen ein mittlerer Effekt(t = –2,77; p = 0,01; d = 0,68), derUnterschied bei dem Tupolev-Co-piloten erreichte einen geringen Ef-fekt (t = –2,02; p = 0,05; d = 0,48).Der als hauptverantwortlich determi-nierte Lotse wurde von den Nutze-rInnen moderater eingestuft als vonden ZuschauerInnen der linear-per-spektivischen Sendung.

3.2 Mitverantwortung der Akteure

Die Zuschreibung der Mitverantwor-tung durch die ProbandInnen solltebestenfalls auf den Fakten basieren.Wenn also ein Akteur nach Meinungder ProbandInnen einer Gruppe sehrviele Fehler begangen hatte, dieserAkteur also eine sehr hohe Bewer-tung (vgl. Abb. 6) bekam, so scheintes logisch, dass diesem Akteur aucheine hohe Mitverantwortung für dasUnglück gegeben wurde. MittelsKorrelationsanalyse wurde getestet,ob dieser Eindruck stimmte und obdie Beurteilung der Mitverantwor-tung in Zusammenhang mit der Fak-tenbewertung der Akteure stand. DieÜbereinstimmung von Faktenbewer-tung und Mitverantwortung war einIndikator für die Differenziertheit derMeinung in den Gruppen. Daherwurden im Folgenden für jede Grup-

pe Korrelationsanalysen zwischender Faktenbewertung und der Mitver-antwortung durchgeführt. Die Diffe-renziertheit der Meinung ergab sichnun aus der Anzahl sinnvoller Zusam-menhänge zwischen Faktenbewer-tung und Mitverantwortung in derjeweiligen Gruppe.

Multiperspektivendoku EFDP

Zuerst wurden die Bewertungen in-nerhalb der Gruppe der iTV-Nutzerbetrachtet. Untersucht wurde, inwie-weit Zusammenhänge zwischen derFaktenbewertung und der Mitverant-wortung bei den 6 Hauptakteurenbestanden.Die Nutzer der Multiperspektivendo-kumentation beurteilten die Mitver-antwortung der jeweiligen Akteureabhängig davon, wie sie die jeweili-gen Fakten beurteilt hatten (vgl.Tab. 1, grau markiert). Es zeigten sichsignifikante Zusammenhänge mitmeist großer Stärke (r > 0,50) für je-den Akteur. Zusätzlich wurden wei-tere Zusammenhänge deutlich (wei-tere mit Sternchen markierte Werte):Die Bewertung des ersten Fluglotsen(Peter N.) hing auch mit der Bewer-tung des zweiten Lotsen zusammen,hier zeigte sich eine negative Korre-lation der Faktenbewertung des Lot-sen zu der Mitverantwortung deszweiten Lotsen (r = –0,40; α = 0,00).Gleiches galt für den zweiten Lotsen,hier zeigte sich ein zusätzlicher ne-gativer Zusammenhang mit demFluglotsen (r = –0,32; α = 0,02). Esschien demnach ein Konstrukt »Flug-sicherung« zu geben, zu dem die bei-den Fluglotsen gleichermaßen ge-zählt wurden. Fehler des einen Lot-sen wirkten sich mildernd auf dieBewertung seines Kollegen aus. Wei-terhin konnte ein Konstrukt »Tupo-lev« identifiziert werden. Denn eszeigten sich bei jedem der beidenCrewmitglieder der Tupolev jeweilssignifikante Zusammenhänge bei Pi-lot und Copilot. Im Gegensatz zurFlugsicherung sind diese Zusammen-hänge immer positiv, d. h. das nachder Faktenlage richtig oder falsche

Abb. 6: Mittelwerte der Faktenbewertung getrennt nach Gruppen (EFDP: Multiperspektiven-

dokumentation, MAC: linear-perspektivische Dokumentation, TODW: Linear-nonperspektivi-

sche Dokumentation)

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Verhalten der Crew wurde gleicher-maßen bei der Mitverantwortung derbeiden Tupolev-Piloten bedacht. Beider DHL-Crew deutete sich dieser Ef-fekt ebenfalls an, war aber nichtdurchgängig. Die Faktenbewertungdes DHL-Copiloten zeigte einen si-gnifikanten Zusammenhang mit demDHL-Piloten (r = 0,30; α = 0,03),umgekehrt war dieser Zusammen-hang bei der Faktenbewertung desDHL-Piloten nicht zu finden.Die Fluglotsen wurden demnach ak-zentuierter wahrgenommen. Wäh-rend die Crew-Mitglieder eher alsTeams gesehen wurden, bewertetendie ProbandInnen die beiden Fluglot-sen individueller aufgrund der jewei-ligen Faktenlage.

Linear-perspektivische

Dokumentation MAC

Im Gegensatz zu den Nutzern zeig-ten sich hier nur bei zwei AkteurenZusammenhänge zwischen der Fak-tenbewertung eines Akteurs und des-sen Mitverantwortung (vgl. Tab. 2).Es bestand ein signifikanter Zusam-menhang mittlerer Stärke zwischender Faktenbewertung des Fluglotsen(Peter N.) und der Bewertung seinerMitverantwortung (r = 0,45; α = 0,02).Ebenso zeigte sich wieder der nega-tive Zusammenhang zwischen derFaktenbewertung des Fluglotsen undder Mitverantwortung, die demzweiten Lotsen zugeschrieben wur-

de (r = –0,47; α = 0,01). Diesbezüg-lich findet sich hier also die gleichevernetzte Bewertung wie bei denNutzern der Multiperspektivendoku-mentation, welche die Fehler des ei-nen Kollegen in die Bewertung desanderen Kollegen einbezog. Bei demzweiten Lotsen fehlte dieser Bezugjedoch. Zwar zeigte sich ein starkerZusammenhang zwischen der Fak-tenbewertung und der Mitverantwor-tung (r = 0,69; α = 0,00), jedoch warkein weiterer Zusammenhang mit sei-nem Kollegen festzustellen.Aufgrund der geringeren Anzahl anKorrelationen, von denen einigeschwer nachvollziehbar erschienen(z. B. Faktenbewertung des Copilo-ten der Tupolev korreliert mit der Mit-verantwortung des zweiten Lotsen),konnte gefolgert werden, dass dieBewertung der MAC-Gruppe weni-ger differenziert war als bei der Ex-perimentalgruppe.

Linear-nonperspektivische

Dokumentation TODW

Wurden nur die Zuschauer der her-kömmlichen Dokumentation (TODW)betrachtet, so zeigte sich lediglich einZusammenhang zwischen der Fak-tenbewertung eines Akteurs und des-sen Mitverantwortung (vgl. Tab. 3).Bei dem Fluglotsen (Peter N.) wareine signifikante Korrelation mitt-lerer Stärke festzustellen (r = 0,47;α = 0,02). Die Höhe der Mitverant-

wortung stand bei keinem anderenAkteur in direktem Zusammenhangmit dessen Faktenbewertung. Es zeig-ten sich lediglich zwei weitere nega-tive Zusammenhänge zwischen derFaktenbewertung der Piloten und derMitverantwortung des jeweils ande-ren Piloten. So schien eine positiveBewertung des Verhaltens des DHL-Piloten sich negativ auf die Mitver-antwortung des Tupolev-Piloten aus-zuwirken und umgekehrt (r = –0,62;α = 0,00). Weiterhin wirkte sich z. B.eine positive Bewertung des Tupolev-Piloten bei den Fakten auf eine posi-tive Bewertung des DHL-Piloten beider Mitverantwortung aus (r = –0,45;α = 0,02). Möglicherweise spieltenImages in dieser Gruppe eine größe-re Rolle, als dies bei den NutzerIn-nen der Fall war.Mit 11 sinnvollen Zusammenhängengegenüber nur zwei bzw. einem Zu-sammenhang zwischen Faktenbewer-tung und Mitverantwortung einesAkteurs war die Bewertung des Un-glücks durch die NutzerInnen weitnachvollziehbarer.

4. Fazit

Aufgrund der Ergebnisse ist anzuneh-men, dass multiperspektivische An-gebote im Fernsehen die Meinungs-bildungsfunktion besser erfüllen kön-nen, als dies bei herkömmlichen (li-

Tab. 1: Pearson-Korrelation zwischen der

Faktenbewertung und der Mitverantwortung

(EFDP)

Tab. 2: Pearson-Korrelation zwischen der

Faktenbewertung und der Mitverantwortung

(MAC)

Tab. 3: Pearson-Korrelation zwischen der

Faktenbewertung und der Mitverantwortung

(TODW)

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nearen) Sendungen der Fall ist. DieNutzerInnen einer Multiperspekti-vendokumentation bewerteten dieInhalte moderater und basierten ihreBewertungen stärker auf Fakten alsdies bei ZuschauerInnen einer linea-ren Sendung der Fall war. Dabei warder Einsatz der Repertory-Grid-Me-thode zur Erhebung der wesentlichenBewertungskriterien eine erfolgrei-che Vorgehensweise. Diese ermög-lichte es, die für die RezipientInnenrelevanten Bewertungsaspekte desThemas »Überlingen« zu erfragenund daraus einen Fragebogen abzu-leiten, der verlässliche Skalen hervor-brachte.In der Studie konnte nur eine Quer-schnittanalyse im direkten Anschlussan die Rezeption vorgenommen wer-den, daher blieb die Entwicklung derMeinung im Anschluss an die Sen-dung unklar. Insgesamt lassen dievorgestellten Ergebnisse noch keinegrundlegenden Aussagen über dieQualität von multiperspektivischenDarstellungen zu. Zwar zeigen sichgroße Chancen im Hinblick auf einedifferenziertere Meinungsbildung, imWeiteren sollten jedoch Untersuchun-gen folgen, welche auch die Risikenfokussieren. So sollte beispielsweiseuntersucht werden, ob es bei der mul-tiperspektivischen Darstellung eineTendenz zu Extremmeinungen gibt.Weiterhin ist das spezielle Thema zubeachten, das Basis dieser Untersu-chung war. Mit dem Flugzeugun-glück von Überlingen wurde eineKatastrophe als Untersuchungsge-genstand gewählt. Die Meinungsbil-dungsfunktion erhält ihre größte Re-levanz in der politischen Berichter-stattung. Es wäre daher angeraten,das Experiment mit einem politischenInhalt zu wiederholen.Zusammenfassend bleibt festzuhal-ten, dass die multiperspektivischeDarstellung, wie sie im interaktivenFernsehen möglich ist, eine zusätzli-che Chance für qualitativ hochwerti-geres Fernsehen darstellen kann.

1 In der Nacht vom 2. Juli 2002 kollidierten eineBoeing der DHL und eine Tupolev der BashkirianAirlines in ca. 11 km Höhe über dem Bodensee.71 Menschen starben bei dem Unglück. Die he-rabfallenden Trümmer verteilten sich im Umkreisder Stadt Überlingen.

2 RezipientInnen des iTV werden in der vorherr-schenden Literatur als NutzerInnen bezeichnet.

3 Zwei Fluglotsen sind in dieser Nacht für die Kon-trolle des Luftraums zuständig. Gegen 23.00 Uhrgeht der 2. Lotse in seine Pause, Lotse Peter N.ist allein. Kurz nach 23.00 Uhr muss er einen ver-späteten Urlaubsflieger betreuen und dazu einen2. Radararbeitsplatz öffnen. An 2 Arbeitsplätzenmuss der Lotse die Flugzeuge im oberen Luftraumund den Ferienflieger im unteren Luftraum über-wachen. Am 1. Arbeitsplatz befinden sich eineTupolev und eine Boeing 757 der DHL auf Kolli-sionskurs. Ein Warnsystem, das Peter N. auf die-sen Konflikt hinweisen würde, ist wegenWartungsarbeiten abgeschaltet. Die beiden Flug-zeuge unterschreiten den gesetzlichen Mindest-abstand. Dadurch aktiviert sich in beiden Flie-gern ein Kollisionswarnsystem (TCAS). In die-sem Moment wechselt der Lotse zurück zum 1. Ar-beitsplatz. Er erkennt den Konflikt zwischen derTupolev und der DHL und gibt über Funk derTupolev die Anweisung zu sinken. In der Tupolevwird die Anweisung des Fluglotsen empfangen,ca. 7 Sekunden später springt das TCAS auf die2. Stufe und gibt der Crew den elektronischenBefehl zu steigen. Die Systeme der Tupolev undder DHL haben ein eigenes Ausweichmanöverausgehandelt. Der Befehl an die Tupolev lautet»climb« (steigen), die DHL erhält gleichzeitig denBefehl »descend« (sinken). Die Tupolev-Crew hatinnerhalb von 7 Sekunden zwei gegensätzliche An-weisungen erhalten.Der für den Funk zuständige DHL-Copilot ist zumZeitpunkt des TCAS-Alarms jedoch auf der Toi-lette. Der DHL-Pilot folgt, entsprechend der in-ternationalen Empfehlung, dem elektronischenTCAS-Befehl. Den 2. Teil der Empfehlung befolgter nicht, d. h. ein Funkspruch an die Flugsiche-rung bleibt aus. Dadurch befinden sich nun bei-de Flugzeuge im Sinkflug. Der Lotse ahnt davonnichts, er weiß die Tupolev im Ausweichmanöverund wendet sich wieder dem Ferienflieger zu. Erst13 Sekunden vor der Kollision, als der Copilot derDHL ins Cockpit zurückkehrt, sendet die DHL-Crew einen Funkspruch. Die beiden Flugzeuge kol-lidieren im (gemeinsamen) Ausweichmanöver.

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LITERATUR

DIE AUTORiNNEN

Martina Lucht, Dr.

phil., ist wissen-

schaftliche Mitar-

beiterin am Fraun-

hofer-Institut für

Digitale Medien-

technologie (IDMT) Abteilung

Kindermedien in Erfurt.

Nicola Döring, Dr. phil., ist Profes-

sorin für Medienkonzeption und

Medienpsychologie am Institut für

Medien- und Kommunikations-

wissenschaft der TU Ilmenau.

Helmut M. Niegemann, Dr. phil.,

ist Professor für Lernen und neue

Medien sowie Direktor des Zen-

trums für Lehr-/Lern- und Bildungs-

forschung (ZLB) der Universität

Erfurt.