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Sprach(en)identität(en) Eine qualitative Untersuchung zum Einfluss der Sprache für die Identitäts- konstruktion von Lehrpersonen zweisprachiger Schulen (deutsch/rätoromanisch) Masterarbeit eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH) Flavia Hobi Vilters (SG) Februar 2018 Betreuung: Frau Dr. Doris Gödl

Masterarbeit Flavia Hobi - Kulturforschung · 2019. 4. 24. · Flavia Hobi Masterarbeit II Abstract Die Identitätskonstruktion versteht sich als Internalisierung des Individuums

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Sprach(en)identität(en) Eine qualitative Untersuchung zum Einfluss der Sprache für die Identitäts-

konstruktion von Lehrpersonen zweisprachiger Schulen (deutsch/rätoromanisch)

Masterarbeit eingereicht bei der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH)

Flavia Hobi

Vilters (SG)

Februar 2018

Betreuung:

Frau Dr. Doris Gödl

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Flavia Hobi

Masterarbeit II

Abstract Die Identitätskonstruktion versteht sich als Internalisierung des Individuums von Identität,

Gesellschaft und Wirklichkeit. Somit wird Identität nicht als etwas Starres und Festes begrif-

fen, sondern verändert sich fortlaufend durch eine stetige Anpassungs- und Verknüpfungsar-

beit. Ein zentrales Element dabei ist die Sprache, was Identität als sprachlich-diskursive

Selbstkonstruktion verständlich werden lässt. Die Macht der Sprache, ihre Fundamentalität

oder Vielfalt lässt sich nur erahnen. Demnach wird weiter davon ausgegangen, dass das Indi-

viduum geprägt ist von Mehrsprachigkeit und über ein sprachliches Repertoire verfügt. We-

sentlich bei all dem ist die Bedeutung der Kultur. Das Rätoromanische als Minderheitenspra-

che kämpft seit Jahrhunderten mit einer stetigen Regression, was sich auf Entwicklungen in

der Sprachpolitik niederschlägt und Veränderungen auf Bildungsebene wie die Einführung

von zweisprachigen Schulen mit sich bringt. Die Unterrichtstätigkeit in zweisprachigen Schu-

len (deutsch/rätoromanisch) im Kanton Graubünden stellt das gemeinsame Merkmal der acht

befragten Lehrpersonen dar. Es interessiert, inwiefern Sprache die Konstruktion ihrer Identität

beeinflusst und wie sich ihre Sprachidentitäten beschreiben lassen. Analysiert werden die an-

hand von Leitfadeninterviews erhobenen Daten mittels der interpretativen Analyse, wobei als

zentrale Aspekte Sprachverwendung, Spracherleben oder auch Sprachbedeutung gelten und

was sich mit Bezug auf die theoretischen Ausführungen diskutieren lässt. Diese Forschungs-

arbeit soll dabei unterstützen, insbesondere auch weniger offensichtliche Machtverhältnisse

aufgrund ihrer Konstellationen und Wechselwirkungen von Individuum, Sprache und Kultur

bewusster wahrzunehmen und deuten zu können.

Schlüsselbegriffe: Identität, Sprache, Konstruktion, Mehrsprachigkeit, Zweisprachigkeit,

Kultur, Deutsch, Rätoromanisch, Lehrpersonen, Macht

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Flavia Hobi

Masterarbeit III

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

(Ludwig Wittgenstein)

„Im Grunde bewegt sich die Sprache als lebendige sozioideologische Konkretheit, als in der Rede differenzierte Meinung für das individuelle Bewusstsein auf der Grenze zwischen dem

Eigenen und dem Fremden. Das Wort der Sprache ist ein halbfremdes Wort. Es wird zum ‚eigenen’, wenn der Sprecher es mit seiner Intention, mit seinem Akzent besetzt, wenn er sich das Wort aneignet, es mit seiner semantischen und expressiven Zielsetzung vermittelt. Bis zu diesem Moment der Aneignung befindet sich das Wort nicht etwa in einer neutralen und un-persönlichen Sprache (der Sprecher entnimmt das Wort ja nicht dem Lexikon), sondern in

einem fremden Mund, in fremden Kontexten, im Dienst fremder Intentionen: von dort muss man es nehmen und zum eigenen machen.“ (Bachtin, 1979, S. 185)

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Flavia Hobi

Masterarbeit IV

Dank Mein erster Dank gilt meiner Betreuungsperson Frau Dr. Doris Gödl für die wohlwollende,

kritische und kompetente Art, welche ich während des ganzen Arbeitsprozesses als sehr un-

terstützend erlebte. Im Weiteren möchte ich mich ganz besonders bei den interviewten Lehr-

personen für ihre Zeit und die äusserst bereichernden Gespräche bedanken. Ebenfalls ein

grosser Dank gebührt Dr. Alexandra Zaugg und Annalisa Cathomas für den interessanten

Austausch und die wertvollen Anregungen wie auch meinen Eltern, Francesca Borio und Ly-

dia Wenger für das Lektorat und wichtige Kommentare.

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Masterarbeit V

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung .............................................................................................................................. 1

2. Identität und Sprache .......................................................................................................... 5

2.1 Definition der Identität ..................................................................................................... 5

2.2 Definition der Sprache ..................................................................................................... 6

2.2.1 Noam Chomsky ........................................................................................................ 7

2.2.2 Ferdinand de Saussure .............................................................................................. 8

2.3 Identität, Gesellschaft und Wirklichkeit .......................................................................... 9

2.4 Patchworkidentität sowie Passungs- und Verknüpfungsarbeit ...................................... 11

2.5 Identität als sprachlich-diskursive Selbstkonstruktion ................................................... 13

2.6 Zwischenfazit ................................................................................................................. 16

3. Macht von Sprache ............................................................................................................ 17

3.1 Der sprachliche Markt .................................................................................................... 17

3.2 Weitere Aspekte zur Machtdeutung ............................................................................... 19

3.3 Zwischenfazit ................................................................................................................. 21

4. Sprach(en)identität(en) ...................................................................................................... 23

4.1 Mehrsprachigkeit ........................................................................................................... 24

4.1.1 Sprache als (Misch)Sprachen .................................................................................. 25

4.1.2 Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit ................................................. 26

4.1.3 Zweisprachigkeit ..................................................................................................... 29

4.2 Spracherleben ................................................................................................................. 33

4.2.1 Leibliche, emotionale, historisch-politische Dimension ......................................... 33

4.2.2 Chronotopos und Heteroglossie .............................................................................. 35

4.3 Kultur ............................................................................................................................. 38

4.4 Zwischenfazit ................................................................................................................. 39

5. Hintergrund: Zur Sprachpolitik des Rätoromanischen ................................................. 41

5.1 Stetige Regression und ihre Folgen ............................................................................... 41

5.2 Zweisprachige Schulen im Kanton Graubünden ........................................................... 44

5.3 Zwischenfazit ................................................................................................................. 48

6. Methode .............................................................................................................................. 49

6.1 Zur interpretativen Sozialforschung .............................................................................. 50

6.2 Prinzip der Abduktion .................................................................................................... 51

6.3 Sample ............................................................................................................................ 51

6.4 Datenerhebung und Datenaufbereitung ......................................................................... 52

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Masterarbeit VI

6.4.1 Leitfadeninterview .................................................................................................. 52

6.4.2 Transkription ........................................................................................................... 53

6.5 Auswertung mittels interpretativer Analyse .................................................................. 54

7. Ergebnisse ........................................................................................................................... 58

7.1 Sprachverwendung ......................................................................................................... 58

7.1.1 Skizzierungen .......................................................................................................... 58

7.1.2 Sprachverwendung mit (möglichem/r) Partner_in .................................................. 60

7.1.3 Sprachverwendung mit (möglichen) Kindern ......................................................... 62

7.1.4 Sprachverwendung zwischen den Lehrpersonen .................................................... 63

7.1.5 Übersicht ................................................................................................................. 63

7.2 Spracherleben ................................................................................................................. 65

7.2.1 Sprachwechsel und -anpassungen ........................................................................... 65

7.2.2 Hemmungen und Schamgefühle ............................................................................. 68

7.2.3 Stolz und Selbstbewusstsein ................................................................................... 71

7.3 Sprachbedeutung ............................................................................................................ 73

7.3.1 Individuelle Ebene .................................................................................................. 73

7.3.2 Strukturelle Ebene (zweisprachige Schule) ............................................................ 78

7.4 Typenbildung ................................................................................................................. 82

7.4.1 „Die Herzsprachlerinnen“ ....................................................................................... 83

7.4.2 „Die Muttersprachlerinnen“ .................................................................................... 84

7.4.3 „Die Zweisprachigen“ ............................................................................................. 86

8. Diskussion ........................................................................................................................... 89

8.1 Ergebnisdiskussion ........................................................................................................ 89

8.2 Methodenkritik ............................................................................................................... 99

9. Schlussfolgerungen .......................................................................................................... 102

9.1 Fazit .............................................................................................................................. 102

9.2 Ausblick ....................................................................................................................... 104

10. Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 107

10.1 Text ............................................................................................................................ 107

10.2 Abbildungen ............................................................................................................... 112

11. Eigenständigkeitserklärung .......................................................................................... 113

12. Anhang ............................................................................................................................ 114

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Flavia Hobi

Masterarbeit 1

1. Einleitung Meine Mutter ist rätoromanisch, mein Vater schweizerdeutsch aufgewachsen, ich selber spre-

che mit beiden rätoromanisch, mit meinen Schwestern schweizerdeutsch. Alle besuchten

Schulen waren Deutsch und eher per Zufall wie auch nicht ganz zweifelsfrei, da ich doch Ei-

niges aufzuarbeiten hatte, wählte ich erst nach Studienbeginn das Rätoromanische zum Ne-

benfach. Meine Studienarbeiten gestalteten sich somit nach und nach entlang dem Schnitt-

punkt Erziehungswissenschaften und Rätoromanisch, wobei sich mein Interesse zunehmend

auf Identität zuspitzte. Nie hätte ich gedacht, dass die rätoromanische Sprache ein solch gros-

ser Teil von mir werden könnte, dass mir diese Sprache so viele Perspektiven eröffnen würde

und dass das Rätoromanische ein solches Stück meiner eigenen Heimat ist. Meine eigene

Sprachidentität zu reflektieren erweist sich durchaus als herausfordernd. Ohne Zweifel ist das

Schweizerdeutsche meine bestbeherrschte Sprache, darin fühle ich mich sattelfest und sicher.

Rätoromanisch habe ich nicht dank der Schule schreiben gelernt, sondern eher selbstständig

und durch Praktikas, richtig anwendbar gewissermassen erst nach der Volksschule. Trotzdem

ist es jene Sprache, welche ich aufgrund meiner Eltern als erstes gelernt habe. Ja, so wage ich

zu behaupten, dass ich zwei Muttersprachen habe, Schweizerdeutsch und Rätoromanisch. Bin

ich dieselbe Person in beiden Sprachen? Was bedeutet Sprache überhaupt? Wie hat sich mei-

ne Identität im Lichte der Konfrontation mit dem Zweisprachigen geformt? Diese Fragen be-

gründen unter anderem die Themenwahl dieser Forschungsarbeit.

Dabei erweist sich als Besonderheit, dass das Rätoromanische1 eine Minderheitensprache2 ist.

Die Anerkennung der Schweizer Viersprachigkeit mit den Sprachen Deutsch, Französisch,

Italienisch und Rätoromanisch ereignete sich bereits 1848 mit deren Festlegung in der Bun-

desverfassung (vgl. Lia Rumantscha, 2015, S. 26; vgl. Furer, 2005, S. 29). Aufgrund des Vor-

dringens der deutschen Sprache unterliegt das Rätoromanische einer stetigen Regression und

damit verbunden auch einem Stigma des Minderwertigen (vgl. Cathomas, 2005). Dabei

schien und scheint die Sympathie für die rätoromanische Sprache durchaus vorhanden, sie

„geniesst als Sprache einer beliebten Ferienregion und als Minderheitensprache bei den Aus-

wärtigen ein gewisses Prestige“ (Solèr, 1997, S. 1882). 1938 wurde das Rätoromanische als

1 Umgangssprachlich wird anstelle des korrekten Ausdrucks „Rätoromanisch“ oftmals nur „Romanisch“ ver-wendet. Im Kontext dieser Arbeit wird unter „Romanisch“ und „Rätoromanisch“ dasselbe verstanden. 2 Der Begriff „Minderheitensprache“ kann „definiert werden als die in einem bestimmten Staat von einer zah-lenmässig kleineren Gruppe gesprochene Sprache, die sich von der Sprache der Mehrheitsbevölkerung, d.h. der offiziellen Staatssprache unterscheidet. Die Sprecherinnen und Sprecher der Minderheitensprache befinden sich i.d.R. in einer nicht-dominanten politischen Lage und unternehmen mehr oder weniger grosse Anstrengungen, ihre jeweilige sprachliche Identität als Teil einer bestimmten ethnisch-kulturellen Identität zu bewahren“ (Kresic, 2011, S. 39).

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Flavia Hobi

Masterarbeit 2

Schweizer Nationalsprache mit einem herausragenden Anteil von 92% an Ja-Stimmen aner-

kannt, wobei diese Unterstützung bedeutend war „für weitere Entwicklungen der romanischen

Sprache rechtlicher und politischer Art“ (Lia Rumantscha, 2015, S. 16). Die Anerkennung des

Rätoromanischen als Teilamtssprache des Bundes erfolgte dann 1996 (vgl. ebd., S. 26).

Mit dem Rätoromanischen, Deutschen und Italienischen verfügt Graubünden als einziger

Schweizer Kanton über drei offizielle Amtssprachen (vgl. Lia Rumantscha, 2015, S. 27) –

„ein Charakteristikum, das Graubünden (...) zu einem Forschungsbereich von besonderem

Interesse für die Soziolinguistik macht“ (Grünert, 2008, S. 1). Sprachen von Gästen, Gastar-

beitern oder auch Zugezogen verstärken die Tatsache einer komplexen Sprachlandschaft (vgl.

Lia Rumantscha, 2015, S. 28). Gemäss dem in der Bundesverfassung verankerten Sprachenar-

tikel 70 unterstehen Bund und Kantone der Pflicht, „zukünftig noch gezielter für den Schutz

und die Stärkung der sprachlichen Minderheiten tätig zu werden“ (Lia Rumantscha, 2015, S.

26). Ebenso gilt es die individuelle Grundlage zu fördern als Basis, damit eine innerhalb der

Sprachgemeinschaften bessere Verständigung ermöglicht wird (ebd., S. 26). Im Kontext von

Minderheitensprachen soll auf die Tatsache der Identitätswandlung verwiesen werden, der ein

Individuum unterliegt, sobald erkannt wird, dass man mit der angestammten Sprache nicht

weit kommt (vgl. Solèr 1997, S. 1882).

Identität und Sprache – zwei Begriffe von kaum fassbarer Dimension, wobei derjenige der

Identität den Ausgangspunkt darstellt. Traditionelle Identitätskonzepte charakterisieren sich

durch Grundsätze wie Einheitlichkeit oder auch Kontinuität. Vermehrt erfolgt die Auffassung

von Identität jedoch als Phänomen einer Individualität und Sozialität, welche sprachlich kon-

stituiert ist, „als Oberbegriff für multipel-fraktale, fliessende Patchwork-Identitäten in der

individualisierten und pluralisierten, technisch und digital vernetzten Postmoderne“ (Kresic,

2016, S. 11f.). Die Feststellung der Identitätskonstruktion durch Interaktionen mit der Unter-

stützung von Sprache oder Medien, welche Körper oder Zeichensysteme enthalten, zeigt sich

dabei von fundamentaler Bedeutung (vgl. ebd., S. 12). Konkret wird für das vorliegende For-

schungsvorhaben demnach davon ausgegangen, dass sich Identitäten durch sprachliche Kon-

struktion herausbilden. Beim Begriff der Konstruktion geht es darum, wie das Individuum die

Zusammensetzung der ganzen Modelle von Wirklichkeit, Vorstellungen, Konzepten aber

auch Kategorien erfasst, Konstruktion wird dabei verstanden als eine „un- oder vorbewusst

ablaufende, aber dennoch aktive Tätigkeit des Hervorbringens von Wirklichkeit auf der

Grundlage von Wahrnehmungen“ (ebd., S. 27).

Es ist unbestritten, welch ungemeine Macht der Sprache in Bezug auf verschiedene Aspekte

zukommt, wie es zum Beispiel an ihrer Fundamentalität und Vielfalt deutbar ist. Ein weiterer

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Masterarbeit 3

Ausgangspunkt bildet folglich die Annahme einer Mehrsprachigkeit des Individuums. So be-

steht die Ansicht Wandruszkas darin, dass der Mensch mehrere Sprachen lernt und eine Spra-

che auch automatisch viele Sprachen bedeutet, was er mit seiner Theorie der Sprache als Be-

schreibung einer Mischsprache, als Notwendigkeit, als Zufall, als schöpferisches Spiel, aber

eben auch als Übersetzung beweist (Wandruszka, 1979). „Niemand ist einsprachig“ (Busch,

2012, S. 7) scheint somit in Widerspruch zu stehen zu bekannten Aussagen wie derjenigen

von Jacques Derrida: „Oui, je n’ai qu’une langue, or ce n’est pas la mienne“ (Derrida, 1996,

S. 15), übersetzt „Ja, ich habe nur eine Sprache, und es ist noch nicht einmal die meine“, wo-

bei Busch mittels ihrer Deskription des sprachlichen Repertoires bezeugt, dass diese beiden

Aussagen gar nicht so weit auseinanderliegen. Beschreibungen zum Spracherleben betreffen

immer verschiedene Dimensionen, gilt es doch jeweils die Differenzierungen, die Heteroglos-

sie, welche Sprache aufweist, zu beachten (Busch, 2013). Nebst der Thematisierung von

Mehrsprachigkeit scheint auch jene zur Zweisprachigkeit seit jeher zu beschäftigen – was für

diese Arbeit aufgrund der im Forschungsfeld eingebetteten Sprachen Deutsch und Rätoroma-

nisch besonders relevant ist – wobei vor über 100 Jahren die Nachteile von Zweisprachigkeit

überraschenderweise gar zu überwiegen behauptet wurde (Blocher, 1909). Nicht zuletzt wird

deutlich, dass im Zusammenhang mit Identität und Sprache ein wichtiges Element miteinzu-

beziehen gilt, nämlich die Kultur.

Die bereits beschriebene Situation des Rätoromanischen als Minderheitensprache bedeutet

folglich nebst Veränderungen auf individueller auch solche auf sprachpolitischer Ebene, wo-

bei in Bezug auf die Bildung die Einführung von zweisprachigen Schulen genannt werden

soll. Eine zweisprachige Schule (deutsch/rätoromanisch) im Kanton Graubünden als Arbeits-

ort ist das gemeinsame Merkmal der Lehrpersonen, welche die zur vorliegenden Forschungs-

arbeit ausgesuchte Untersuchungspopulation darstellen. Entscheidungsgrund für diese Be-

rufsgruppe war nebst dem Interesse am Feld Schule die Tatsache, dass den Lehrpersonen in

ihrem Beruf mittels ihrer Sprache eine speziell machtgeprägte Position zukommt. Das

Sprachbewusstsein angesichts der privaten wie beruflichen Konfrontation mit der Mehrheits-

sprache Deutsch und der Minderheitensprache Rätoromanisch dürfte sich zudem noch interes-

santer auf die Identität auswirken.

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Masterarbeit 4

Resultierend aus diesen Ausführungen lässt sich für die vorliegende Forschungsarbeit folgen-

de Leitfrage formulieren:

Welchen Einfluss hat Sprache auf die Identitätskonstruktion von Lehrpersonen zwei-

sprachiger Schulen (deutsch/rätoromanisch)? Wie lassen sich ihre Sprachidentitäten

beschreiben?

Nachfolgend wird der Theorieteil dargestellt, welcher aus vier Hauptkapiteln besteht. Einfüh-

rend wird versucht, den Identitäts- sowie den Sprachbegriff zu definieren, gefolgt von Identi-

tätskonzepten wie jenen von Berger und Luckmann, Keupp oder auch Kresic, welche insbe-

sondere die Bedeutung der Sprache für die Identiätskonstruktion darlegen. Nicht zu unter-

schätzen ist die Macht der Sprache, was ebenfalls ausführlich aufgezeigt wird. Nebst den the-

oretischen Auseinandersetzungen mit der Mehr- bzw. Zweisprachigkeit wird im Speziellen

der Begriff des sprachlichen Repertoires behandelt. Schwerwiegend erweist sich zudem die

Bedeutung der Kultur. Ebenso wird als Hintergrund dienend die Situation des Rätoromani-

schen als Minderheitensprache erläutert. Im Anschluss an die Theorie folgt das Methodenka-

pitel. Dabei wird das qualitative Vorgehen mittels Leitfadeninterviews – die mit acht Lehrper-

sonen von zweisprachigen Schulen (deutsch/rätoromanisch) im Kanton Graubünden durchge-

führt wurden – sowie die Datenaufbereitung und deren Auswertung anhand interpretativer

Analyse präzisiert. Daraufhin werden die konkreten Ergebnisse aus den Interviews entlang

ihrer erarbeiteten Kategorien dargestellt, gefolgt von der Diskussion, wobei es Ziel ist, diese

mit Rückschluss auf den theoretischen Rahmen zu diskutieren. Abgerundet wird diese Arbeit

mit einem Fazit sowie einem Ausblick, welcher das Potenzial von möglichen zukünftigen

Forschungsvorhaben aufzeigen soll.

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Masterarbeit 5

2. Identität und Sprache Einführend in den theoretischen Rahmen wird anhand verschiedener Handbücher und Lexikas

der Begriff der Identität definiert. In Anbetracht dessen, dass der Sprachbegriff in der vorlie-

genden Arbeit ebenso gewichtig ist, erscheint es sinnvoll, im Anschluss daran auch diesen zu

konkretisieren.

2.1 Definition der Identität Im Allgemeinen wird Identität verstanden als „die Übereinstimmung einer Person, eines sozi-

alen Gebildes, einer kulturellen Objektivation oder einer bestimmten Naturgegebenheit mit

dem, was sie bzw. es tatsächlich ist, also mit sich selbst“ (Hillmann, 2007, S. 355). Identität

bezieht sich auf das Erleben des Individuums und seiner Einmaligkeit sowie auf die individu-

elle und soziale Verortung; Identität bedeutet somit das Bewusstsein, „das ein Individuum

von sich selbst hat“ (Tenorth & Tippelt, 2007, S. 331). Bestimmt wird die Identität durch Rol-

len wie auch Gruppenmitgliedschaften, womit folglich zwischen Kategorien wie einer beruf-

lichen, einer nationalen oder geschlechtlichen Identität unterschieden werden kann (vgl.

Fuchs-Heinritz et al., 2011, S. 292). Bei der Beschreibung einer Identität geht es demnach

auch um die Auseinandersetzung mit dem Anderen, um zu einer Balance zwischen eigenen

Ansprüchen und den sozialen Erwartungen zu gelangen „und in dieser individuellen Beson-

derheit (persönliche Identität) auch von den Anderen wahrgenommen zu werden (soziale

Identität)“ (Endruweit et al., 2014, S. 172). Ebenso erläutert Abels eine Identität, welche das

Verhältnis von individuellem Anspruch und der sozialen Erwartung als wechselseitige Bedin-

gung betont. So zeichnet sich das Indviduum aufgrund der eigenen Lebensgeschichte und

dem Zeigen gewisser Konsequenzen mittels seines Handelns als unverwechselbar aus (vgl.

Abels, 2006, S. 254). Natürlich ist es verlockend, diesen Begriff aufgrund seiner Breite weiter

auszuführen, jedoch würde dies möglicherweise irritierend wirken.

In dieser Arbeit wird Identität somit verstanden als etwas nicht Statisches, Identität resultiert

aus der Wechselwirkung von Individuum und Gesellschaft, damit verbundenen Kategorien

und etwas sich andauernd neu Konstituierendes.

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Masterarbeit 6

2.2 Definition der Sprache Ebenso fundamental wie die Definition von Identität ist jene zum Sprachbegriff. Gemäss

Meiner stellt Sprache ein konventionelles Mittel zur Verständigung, sprich zur Kommunika-

tion dar, welches gesellschaftlich sowie historisch bedingt ist. Konkreter dient es unter ande-

rem „zur Darstellung und Weitergabe von Informationen, zur Fixierung und Tradierung von

Erkenntnissen, zum Ausdruck von Gefühlen, zur Beeinflussung anderer Sprecher, zur Koor-

dination gemeinsamer Tätigkeiten“ (Meiner, 1998, S. 623). Dafür, dass man mittels der Spra-

che diesen Aufgaben gerecht wird, werden beträchtliche kognitive Fähigkeiten vorausgesetzt,

über welche in Anbetracht der bekannten Lebewesen nur die Menschen zu verfügen scheinen

(vgl. ebd., S. 623). Ähnlich ist die Definition von Bussman, laut welchem Sprache als ein

durch die Gesellschaft „bedingtes, historischer Entwicklung unterworfenes Mittel zum Aus-

druck bzw. Austausch von Gedanken, Vorstellungen, Erkenntnissen und Informationen sowie

zur Fixierung und Tradierung von Erfahrung und Wissen“ (Bussmann, 2002, S. 616), das auf

kognitiven Prozessen basiert, charakterisiert werden kann. Sprache ist somit eine Ausdrucks-

form, die dem Menschen eigen und artspezifisch ist, und die sich dadurch von anderen Kom-

munikationssystemen unterscheidet, da sie Kreativität aufweist, zur begrifflichen Abstraktion

fähig ist und metasprachliche Reflexion ermöglicht (vgl. ebd., S. 616). Die Brockhaus Enzyk-

lopädie bezeichnet Sprache als „ein konventionelles System von Zeichen zu Kommunika-

tionszwecken“ (Brockhaus Enzyklopädie, 1993, S. 696), wobei nebst den natürlichen Spra-

chen auch die künstlichen Sprachsysteme zu erwähnen sind wie beispielsweise Programmier-

sprachen oder Systeme von logisch-mathematischen Kalkülen, Systeme der Kommunikation

von Tieren oder auch allgemeine Zeichensysteme, welche ein Symbolverständnis vorausset-

zen wie beispielsweise die Gebärdensprache oder Flaggensignale (vgl. ebd., S. 696).

Die Abkoppelung von geistigen Inhalten und Darstellung sowie die Übermittlung über Zeit

und Raum hinweg ermöglicht die Entwicklung von Schriften, welche die Sprache mittels ei-

ner über die Sprechsituation dauerhaft stattfindende Konservierung auch anderen zugänglich

macht (vgl. Brugger & Schöndorf, 2010, S. 463). Ohne Sprache können Menschen nicht dif-

ferenziert denken, für den Menschen bedeutet Sprache somit auch das Mittel für ein Begreifen

der Wirklichkeit. Muttersprache zu erlernen basiert auf dem Besitz einer kategorialen Grund-

struktur des Denkens. Wir erleben einen sinnlich wahrnehmbaren Handlungskontext in wel-

chem die Wörter Verwendung finden „und wissen, wie wir normalerweise unsere inneren

Gefühle zum Ausdruck bringen“ (ebd., S. 464).

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Masterarbeit 7

Wie Identität erweist sich somit auch Sprache als Form des Ausdrucks, welche aus Wechsel-

wirkungen von Individuum und Gesellschaft hervorgebracht wird, Interaktionen wiederum

beeinflusst und demnach ebenso veränderbar ist.

Bevor für diese Arbeit wichtige Identitätstheorien erläutert werden, wird es als sinnvoll erach-

tet, ergänzend zur Definition von Sprache die Konzepte der zwei wohl bedeutensten Sprach-

wissenschaftler, Noam Chomsky und Ferdinand de Saussure, darzulegen.

2.2.1 Noam Chomsky

Der Amerikaner Noam Chomsky gilt wohl als gegenwärtig einflussreichster Sprachwissen-

schaftler. Da die Individuen, abgesehen von solchen mit spezifischen Störungen, bereits in

jungen Jahren fähig sind, eine oder mehrere Sprachen erfolgreich zu erlernen sind, deutet dies

„auf die Existenz eines biologisch determinierten, angeborenen Systems von sprachlichen

Prinzipien hin, das für Menschen charakteristisch ist“ (Kainhofer & Haider, 2011, S. 7). So ist

Chomsky der Ansicht, „dass Menschen von Natur aus mit einem System intellektueller Orga-

nisation ausgestattet sind“ (Chomsky, 1977, S. 148). Er bezeichnet dies als „Anfangszustand

des Geistes“, wobei der Geist aufgrund der Interaktionen mit der Umwelt sowie Reifungspro-

zessen verschiedene Zustände durchläuft, was die Repräsentation von kognitiven Strukturen

mit sich bringt (vgl. ebd. S. 165). Auf Grundlage des Systems der Universalen Grammatik

kann das Individuum sein sprachliches Wissen ebenso wie die Kenntnisse der einzelnen

Sprachfakten erwerben – wobei ein jenes Wissen eben nur dank dem Existieren eines solchen

angeborenen Systems möglich ist (vgl. ebd., S. 262).

Traditionellerweise wird die Grammatik in die Syntax (Zusammensetzung von Wörtern und

Phrasen) sowie die Morphologie (Befassung mit dem Aufbau sowie der Interpretation von

Wörtern) gegliedert (vgl. Philippi & Tewes, 2010, S. 12f.). Konstitutiv für die generative

Grammatik erweisen sich zwei elementare Annahmen. Einerseits „werden den sprachlichen

Strukturen Ableitungsmechanismen zugrunde gelegt, die über Regeln, die sich als Algorith-

men fassen lassen, definiert werden können“ (Schlobinski, 2014, S. 19). Dabei sollen Sätze

mit grammatischer Struktur von solchen mit ungrammatischer Struktur geschieden werden

(vgl. ebd., S. 19). Andererseits erreicht Chomsky die Einführung einer Unterscheidung von

Kompetenz und Performanz, denn sprachliches Wissen ist auch unbewusstes Wissen (vgl.

Philippi & Tewes, 2010, S. 13f.; vgl. Kainhofer & Haider, 2011, S. 6). Bei der Sprachperfor-

manz geht es um den in konkreten Situationen aktuellen Gebrauch der Sprache. Unter

Sprachkompetenz wird die Kenntnis verstanden, die der Sprecher-Hörer von seiner Sprache

hat (vgl. Schlobinski, 2014, S. 20). Demnach war die Absicht der Generativisten nicht eine

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Masterarbeit 8

Regelsuche für die Beschreibung von syntaktischer Struktur. „Man suchte vielmehr nach den

Prinzipien, die die Grammatikalität von Sätzen bzw. deren Ungrammatikalität erklärten“ (Phi-

lippi & Tewes, 2010, S. 15), resultierend aus dem sprachlichen und kognitiven Verhältnis

(vgl. ebd., S. 15).

2.2.2 Ferdinand de Saussure

Der renommierte Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure hingegen unter-

scheidet die Sprache innerhalb von drei Aspekten, welche als „langage“, „langue“ und „paro-

le“ beschrieben werden. „Langue“ steht für die Sprache als System, „ein System von Zeichen,

die Ideen ausdrücken; insofern kann man sie vergleichen mit der Schrift, dem Taubstummen-

alphabet, symbolischen Riten, Höflichkeitsformen, militärischen Signalen etc.“ (de Saussure,

2016, S. 20). Darüber verfügt demnach auch ein Mensch mit einem verlorenen Sprechvermö-

gen, sofern er die vernommenen Lautzeichen begreift. „Langue“ bedeutet daher auch eine

Institution sozialer Art (vgl. ebd., S. 20). Im Unterschied zur „parole“, also zur Rede, kann

„langue“ auch gesondert erforscht werden. Denn obwohl tote Sprachen nicht mehr gespro-

chen werden, kann ihr sprachlicher Organismus angeeignet werden (vgl. ebd., S. 18). Die als

Ganzes genommene Sprache, die „langage“, erweist sich als vielförmig und heterogen, in

mehrere Bereiche übereinandergelappt. Sie stellt auf der einen Seite ein soziales Produkt von

menschlicher Sprachfähigkeit dar, „ebenso aber ein Komplex aus notwendigen Konventionen,

welche die soziale Gemeinschaft sich zu eigen gemacht hat, damit die Individuen diese Fä-

higkeit ausüben können“ (ebd., S. 10). In der Scheidung der Sprache vom Sprechen findet laut

Saussure auch die Scheidung des Sozialen vom Individuellen statt (vgl. Wagner, 1990, S. 19).

„Langage“ minus „langue“ ergibt demnach sozusagen die Rede. Im Gegensatz dazu ist die

„langue“ „kein Ensemble von Sprechakten, vermittels derer wir uns miteinander verständi-

gen“ (ebd., S. 19). Wird „langage“, die Sprache als Ganzes, eben als heterogen bezeichnet, ist

die „langue“, die Sprache als System, hingegen homogen (vgl. de Saussure, 2016, S. 18).

„Langue“ ist somit das, was vom Individuum auf passive Art registriert wird und sich als Re-

sultat von „langage“ minus „parole“ zeigt (vgl. Wagner, 1990, S. 19).

Weder bei den Erklärungen von Chomsky und seiner „generativen Grammatik“ noch bei

Saussures Konzept von „langue“, „langage“ und „parole“ erscheint der Identitätsbegriff als

besonders relevant. Anders verhält es sich bei den in den folgenden Kapiteln thematisierten

Theoretikern, die aufgrund derer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ausführlicher analy-

siert werden. Der Einfluss der Sprache für die Konstruktion von Identität wird bereits in der

klassischen Identitätstheorie von Peter Berger und Thomas Luckmann (2002) und ihrer Be-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 9

schreibung einer Verinnerlichung von Identität, Gesellschaft und Wirklichkeit deutlich, was

die Grundlage der vorliegenden Arbeit bildet. Klassische Identitätstheorien wie jene von Ber-

ger und Luckmann wurden mittlerweile jedoch längst weiterentwickelt. So zum Beispiel von

Heiner Keupp (1997; 2004; 2013), der Identität als Patchwork oder als eine dauernde Pas-

sungs- und Verknüpfungsarbeit des Individuums bezeichnet. An Berger und Luckmann und

auch Keupp angeknüpft werden kann mit der Theorie von Marijana Kresic (2006), welche

Identität als sprachlich-diskursive Selbstkonstruktion versteht. Diese Theorie ist mithin für die

vorliegende Arbeit besonders relevant.

2.3 Identität, Gesellschaft und Wirklichkeit Bereits George Mead hat die Fähigkeit des Menschen beschrieben, sich durch Denken in an-

dere Rollen hineinzuversetzen. Die Reaktion der eigenen Identiät sowie jene einer anderen

Person, welche wiederum die eigene Identität reizt, sind sinngebend (vgl. Mead, 1973, S.

113). Ebenso verdeutlicht Mead die Bedeutung von Kommunikation für die Identität. So be-

zeichnet er die vokale Geste als bedeutender im Vergleich zu den anderen Gesten, ermöglicht

sie uns doch, „auf die eigenen Reize so zu reagieren, wie andere es tun“ (ebd., S. 105). Nicht

nur, aber speziell durch vokale Gesten werden in uns selbst jene Reaktionen ausgelöst, welche

wir auch in anderen Individuen auslösen, womit das Einnehmen der Haltungen anderer Indi-

viduen in das eigene Verhalten erfolgt (vgl. ebd., S. 108). Mead beschreibt somit, dass „wenn

das, was man sagt, Sprache sein soll, muss man selbst es verstehen, muss man sich selbst

ebenso beeinflussen wie andere“ (ebd., S. 115).

Dass Rollen und Einstellungen von Kindern übernommen, internalisiert und angeeignet wer-

den, wird auch von Berger und Luckmann erläutert. Wenn sich das Individuum mit Anderen

identifiziert, gelingt es ihm, sich selbst zu identifizieren und somit eine Identität zu gewinnen,

welche subjektiv kohärent und plausibel ist (vgl. Berger & Luckmann, 2000, S. 142). Die

Einstellungen, welche von den anderen gegenüber dem Individuum vertreten werden, spie-

geln sich demnach im Individuum selbst (vgl. Hobi, 2017, S. 13). „Das ist jedoch kein einsei-

tiger, mechanischer Prozess“ (Berger & Luckmann, 2000, S. 142), sondern kann als Dialektik

innerhalb einer Identifizierung durch die Anderen und Selbstidentifikation beschrieben wer-

den, mithin einer Identität, die objektiv zugewiesen und einer, welche subjektiv angeeignet ist

(vgl. ebd., S. 142). Gemäss Berger und Luckmann zeigt sich Identität „als örtlich gegeben in

einer bestimmten Welt, also objektiv, die subjektive Erwerbung kann jedoch nur zusammen

mit dieser Welt erfolgen“ (Hobi, 2017, S. 13). Da die subjektive Wirklichkeit an Grundlagen

und Prozesse der Gesellschaft gebunden ist, bedarf es einer Bestätigung der Identität, damit

die Selbstidentifizierung gewährt wird (vgl. Berger & Luckmann, 2000, S. 165). Somit wird

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Flavia Hobi

Masterarbeit 10

auch deutlich, welch grosse Bedeutung der Gesellschaft zuzuschreiben ist. Die Identität, pro-

duziert durch die Gesellschaftsstruktur, das individuelle Bewusstsein wie auch den Organis-

mus und seinem Zusammenwirken reagiert auf die Struktur durch Bewahrung, Veränderung

oder Neuformung (vgl. ebd., S. 185).

Der Prozess der Sozialisation3 stellt sich für ein Verständnis von Identität als speziell bedeu-

tend dar. Die Geburt eines Individuums erfolgt nebst derjenigen in eine objektive gesell-

schaftliche Struktur ferner in eine objektiv gesellschaftliche Welt. Im Übermittlungsverlauf

wird diese Welt von den Vermittelten modifiziert (vgl. ebd., S. 141). Sobald die Vorstellun-

gen der Anderen sich im Bewusstsein des Individuums angesiedelt haben „kann das Individu-

um als nützliches Gesellschaftsmitglied und auf subjektive Weise im Besitz eines Selbst und

einer Welt betrachtet werden“ (Hobi, 2017, S.14). Da Sozialisation jedoch nie beendet ist,

bedeutet dies eben auch, dass die Verinnerlichung des Individuums bezüglich Gesellschaft,

Identität und Wirklichkeit nicht endgültig ist.

Aufgrund von Tatsachen wie der Arbeitsteilung und der Spezialisierung der Menschen er-

weist sich Wissen als gesellschaftlich distribuiert, erwerbbar in der sekundären Sozialisation.

Sekundäre Sozialisation bedeutet die Internalisierung institutionaler oder in Institutionalisie-

rung gründende sogenannte Subwelten4 (vgl. Berger & Luckmann, 2000, S. 148). Erfolgt das

internalisierte Wissen in der primären Sozialisation quasi automatisch, braucht es in der se-

kundären Sozialisation „jedoch eine Bekräftigung spezieller pädagogischer Massnahmen“

(Hobi, 2017, S. 14), denn es gilt ein Vertrautmachen des Kindes gegenüber diesem Wissen

(vgl. Berger & Luckmann, 2000, S. 153). Eine grosse Aufsplitterung des Wissens bringt die

Schaffung von Sonderinstanzen mit sich und die entsprechende Ausbildung ihres Personals

(vgl. ebd., S. 157) – wobei im Kontext dieser Forschungsarbeit auf den Beruf der Lehrperson

verwiesen werden soll. Deshalb speziell zu werten ist die Verdeutlichung angesichts der Be-

deutung von Sprache. Die Wirklichkeit der Alltagswelt beschreibend erscheint diese bereits

objektiviert, durch eine Objektanordnung konstituiert, deren Deklaration zu Objekten längst

bevor man auf der Bühne erschien geschah. Das Leben an einem geographisch festgelegten

Ort oder die zu einem technischen Wortschatz gehörenden Bezeichnungen, welche für das

verwendete Werkzeug gebraucht werden, sind nur Beispiele für die Regelung eines Vokabu-

3 „Entscheidend für den Sozialisationsbegriff (...) ist, dass bei ihm der Schwerpunkt auf der Bedeutung äusserer, gesellschaftlicher Faktoren für individuelle Entwicklungs-, Bildungs- oder Lernprozesse liegt. (...) im Unter-schied zu Entwicklung oder Lernen wird Sozialisation nicht als ein primär biologischer oder psychischer Vor-gang aufgefasst, sondern vielmehr als ein Geschehen, das vor allem durch gesellschaftliche Bedingungen ge-prägt ist“ (Koller, 2014, S. 117f.). 4 „Die ‚Subwelten’, die mit der sekundären Sozialisation internalisiert werden, sind im allgemeinen partielle Wirklichkeiten im Kontrast zur ‚Grundwelt’, die man in der primären Sozialisation erfasst“ (Berger und Luck-mann, 2000, S. 149).

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Masterarbeit 11

lars. In dem Sinne ist Sprache die Markierung eines Koordinatensystems des innerhalb der

Gesellschaft stattfindenden Lebens und mit nachhaltigen Objekten füllend (vgl. Berger und

Luckmann, 2000, S. 24f.).

Der beschriebene Internalisierungsprozess von Gesellschaft, Identität oder auch Wirklichkeit

erweist sich als Kristallisation. Dies geschieht wiederum gleichzeitig mit der Internalisierung

von Sprache. Die Sprache ist somit „sowohl der wichtigste Inhalt als auch das wichtigste In-

strument der Sozialisation“ (ebd., S. 144), Unterhaltung das notwendigste Vehikel in Anbe-

tracht einer Wirklichkeitserhaltung. Das alltägliche Leben des Individuums ist vergleichbar

mit dem Rattern einer Konversationsmaschine, welche ihm eine Garantie, Modifzierung und

Rekonstruierung seiner subjektiven Wirklichkeit gewährt. Doch auch wenn Unterhaltung vor

allem heisst, dass Menschen miteinander reden, blendet dies nicht eine die Sprache umgeben-

de lebendige Aura von nichtsprachlicher Kommunikation aus (vgl. Berger & Luckmann,

2000, S. 163).

2.4 Patchworkidentität sowie Passungs- und Verknüpfungsarbeit Diese Ausführungen zu Berger und Luckmann bilden Grundlage zu den weiterfolgenden von

Keupp. Der bereits in der Einleitung (vgl. S. 2) von ihm verwendete Begriff „Patchwork“

versucht „die gegenwärtige Identitätsarbeit, sprich die hohe zu erbringende Eigenleistung im

Prozess einer als konstruktiv bezeichneten Selbstverortung auszudrücken“ (Hobi, 2017, S.

23). Keupp geht davon aus, dass die Individuen in ihren Identitätsmustern durch die aus ihrem

Alltag stammenden Materialien an Erfahrung Gebilde anfertigen, welche patchworkartig und

das Ergebnis der schöpferischen Möglichkeiten für das Individuum sind (vgl. Keupp, 2004, S.

5). Bezüglich einer Erklärung zur Abstammung von Entwürfen dieser Identitätsmuster oder

der patchworkartigen Anfertigung durch die Individuen gilt es auf die Enttraditionalisierung

zu verweisen. Dieser Prozess der Enttraditionalisierung lässt sich sowohl als tiefgreifende

Individualisierung wie auch als explosive Pluralisierung beschreiben. Die Tatsache einer Ent-

traditionaliserung und eines Verlusts an Lebenskonzepten erweist sich jedoch auch als ambi-

valent. So erscheint die Möglichkeit, das eigene Drehbuch selbst schreiben zu dürfen, zwar

attraktiv für das Individuum. Von Bedeutung sind jedoch die Voraussetzungen, welche dafür

notwendig sind. Fehlt es an Ressourcen materieller, sozialer oder psychischer Art, erweist

sich die mit gesellschaftlicher Notwendigkeit und Norm verbundener Selbstgestaltung als

regelrecht schwer erträglich (vgl. Keupp, 2004, S. 7ff.).

Weiter erläutert Keupp Identitätsarbeit „als eine innere und äussere Dimension umfassend,

wobei die Passungs- und Verknüpfungsarbeit als eher nach aussen beschrieben wird“ (Hobi,

2017, S. 23). Keupp erklärt Identität als ein Scharnier innerhalb einer inneren wie auch äusse-

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Masterarbeit 12

ren Welt, welches selbstreflektierend ist. Durch das Individuelle, das unverwechselbar ist und

das sozial Akzeptable zeigt sich ein Doppelcharakter. Von Bedeutung sind zudem die Begrif-

fe wie Handlungsfähigkeit, Integration oder die Aufrechterhaltung von Anerkennung. Hin-

sichtlich des Individuums und seinem Innern versteht man die subjektive Verknüpfung von

verschiedenen Bezügen, Kohärenz sowie Selbstanerkennung. Gefühle von Authentizität und

Sinnhaftigkeit sollen konstruiert und beibehalten werden (vgl. Keupp, 2013, S. 97). In der

Frage der Identität und im Bezug auf Kapitel 2.3 geht es somit „um die Herstellung einer Pas-

sung zwischen dem subjektiven ‚Innen’ und dem gesellschaftlichen ‚Aussen’, also zur Pro-

duktion einer individuellen sozialen Verortung“ (ebd., S. 79). Auch dabei ist hinzuweisen auf

gegenwärtige Zeiten, geprägt „von einer Herauslösung der Geschlechterverhältnisse aus tradi-

tionell charakterisierenden Genderkonstruktionen“ (Hobi, 2017, S. 24), welche die strukturel-

le Veränderung der Sozialisationsbedingungen der Heranwachsenden verdeutlichen, wobei

zum Beispiel die weniger stabilen Karrieren und geringeren Sicherheiten der Arbeitswelt zu

nennen sind (vgl. Keupp, 2013, S. 78). Konkreter veranschaulicht werden diese Erläuterungen

bezüglich einer Passungsarbeit der inneren und äusseren Welt durch die folgende Abbildung:

Abb. I: Keupp, H. (2015). Identitätsarbeit als Passung von innerer und äusserer Welt. Forum Gemeindepsycho-logie, 20(2). Download am 20.02.2017 von http://www.gemeindepsychologie.de/fg-2-2015_02.html

Es wird deutlich, dass das Identitätsprojekt zum Ziel hat, ein Identitätsgefühl zu erzeugen,

welches sowohl gewünscht als auch notwendig ist. „Basale Voraussetzungen für dieses Ge-

fühl sind soziale Anerkennung und Zugehörigkeit“ (Keupp, 1997, S. 34). Übernehmbare

Identitätsmuster sind aufgrund von Prozessen der Pluralisierung, Individualisierung und Ent-

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Masterarbeit 13

standardisierung ausgezehrt und die Aufgabe der alltäglichen Identitätsarbeit besteht in der

Vornahme von Passungen und Verknüpfungen dieser verschiedenen Teilidentitäten. Die Qua-

lität und das Ergebnis der Identitätsarbeit, welche von verschiedenen Ressourcen abhängig ist,

„findet in einem machtbestimmten Raum statt, der schon immer aus dem Potenzial möglicher

Identitätsentwürfe bestimmte behindert bzw. andere favorisiert, nahelegt oder gar aufzwingt“

(ebd., S. 34).

2.5 Identität als sprachlich-diskursive Selbstkonstruktion Ausgehend von der Annahme, dass Identität und Sprache einen engen Zusammenhang auf-

weisen, soll nach den Ausführungen zu Berger und Luckmann (Kap. 2.3) sowie Keupp (Kap.

2.4) an dieser Stelle mit der als sprachlich-diskursiv bezeichneten Selbstkonstruktion der

Identität von Kresic angeknüpft werden. Kresic spricht ebenso wie Keupp von Teilidentitäten

und sieht eine enge Verbindung zwischen der Wirklichkeit, dem Sprachvermögen und der

Konstruktion von Identität. In verschiedenen Situationen werden Identitäten sprachlich kon-

struiert. „Konkret und analytisch erfassbar sind sie daher in Form ihrer textuell-sprachlichen

Manifestationen“ (Kresic, 2006, S. 154). Im schnellen und übergangslosen Wechsel innerhalb

der unterschiedlichen Teilidentiäten (der Beruf Hochschullehrerin als Beispiel einer Teiliden-

tität) äussert sich demnach eine postmoderne Dynamik und Flexibilität von Identitätskonstitu-

tion. Verortet sind die Teilidentitäten in Konstruktionsräumen, welche medial-sprachlich kon-

stituiert sind. „Es kommt dabei meist zu einer Ko-Konstruktion mehrerer Identitätsaspekte

(z.B. Mutter, Forscherin etc.), d.h. diese werden gleichzeitig hervorgebracht und überlagern

sich“ (ebd., S. 154). Demnach lässt sich nachvollziehen, dass sich ein Wechsel innerhalb der

verschiedenen Teilidentitäten auch als Wechsel zwischen verschiedenen Formen, seien dies

Formen von Text, Diskurs, Gespräch oder Medien erweist. Die unterschiedlichen, patchwork-

artig zusammengesetzten Teilidentitäten oder Aspekte von Identitäten werden durch aktive

Identitätsarbeit konstruiert, dies insbesondere auch kommunikativ und sprachlich, wodurch

die starke Kraft der Sprache sichtbar wird. Dies wird im folgenden Kapitel noch konkretisiert

werden. „Während unser grundsätzliches Sein-in-der-Sprache für ein kohärentes Selbsterle-

ben bzw. Ich-Gefühl sorgt, ermöglicht das Beherrschen mehrerer Einzelsprachen, Sprachvari-

etäten und Register die Konstruktion verschiedener Teilidentitäten“ (ebd., S. 155). Ein mul-

tiples Sprachrepertoire entspricht folglich auch der Multiplizität von Teilidentitäten eines In-

dividuums. Erfolgt in einer bestimmten Lebensphase die Konzentration auf eine sogenannte

Kernidentität, lässt sich auch die Dominanz von einer gewissen Sprachvarietät feststellen

(vgl. ebd., S. 155).

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Kresic veranschaulicht dies anhand ihres Modells zur multiplen Sprachidentität. Zentral dabei

sind die Mehrsprachigkeit sowie die multiple Identität des Individuums. Hierbei kommt es zu

einer Bündelung der dargestellten Teilidentitäten wie auch der multiplen Sprachkompetenzen.

Die Konstituierung einer bestimmten Teilidentität der im Modell (vgl. Abb. II, S. 15) darge-

stellten Sprecherin erfolgt durch die Verwendung einer bestimmten Varietät5 (dunkelgraue

Elemente) oder einer Einzelsprache (hellgraue Elemente) und anhand des Gebrauchs einer

Varietät werden die Teilidentitäten bewusst oder unbewusst vom jeweiligen Sprecher konstru-

iert. Folglich weist die Sprecherin in Abb. II sechs Sprach-Teil-Identitäten auf (vgl. Kresic,

2006, S. 227). Weiter kennzeichnend für das Modell ist eine interne Dynamik, „insofern re-

gelmässige Wechsel zwischen den einzelnen Varietäten und Sprachen des Repertoires statt-

finden“ (ebd., S. 230). Es handelt sich demnach um eine sich auf vielfältige Weise gestaltende

Vernetzung, Verbindung und Vermischung der unterschiedlichen Sprach-Teil-Identitäten. Der

dunkelgraue Ring, welcher alle Elemente umschliesst, bedeutet das Sein-in-der-Sprache, wel-

ches dem Individuum seine für als notwendig erachtete Integrität als Person gibt. Die Lebens-

form der Individuen zeichnet sich generell nicht durch eine in der Sprache vorhandenen Exis-

tenz aus, „sondern das Sein in einer heterogenen Vielfalt an vernetzten Sprachspielen und

Lebenswirklichkeiten“ (ebd., S. 230). Geprägt werden die unterschiedlichen Lebenswirklich-

keiten, in welchen eine gewisse Sprach-Teil-Identität ihre Aktivität zeigt, unter anderem mit-

tels bestimmter Rollen sowie Tätigkeiten, aber auch durch Interaktionspartner_innen, Kontex-

te situativer Art, Zugehörigkeiten, Positionierungen oder mediale Umgebungen. Normaler-

weise handelt es sich bei der Sprach-Teil-Identität um eine Erscheinung multipler Art, welche

in Kombination mit anderen ihrer Art erscheint, was das multiple Sprachrepertoire des einzel-

nen Individuums als Patchwork (vgl. Kap. 2.4) deutlich werden lässt (vgl. ebd., S. 231). Die

folgende Abbildung illustriert diese Ausführungen:

5 Varietät gilt in der Variationslinguistik als allgemeiner Terminus „für die je spezifische Ausprägung eines sprachlichen Verhaltens in einem mehrdimensionalen (regional, sozial, situativ, historisch, differenzierten) ‚Va-rietätenraum’; betroffen sind jeweils unterschiedliche bzw. unterschiedlich viele sprachliche Merkmale einer bzw. mehrerer linguistischer Ebenen (Phonetik, Phonologie, Morphologie, Syntax, Lexik, Semantik, Pragmatik). Die einzelnen aussersprachlichen Variationsparameter (Region, Gruppe/Schicht, Situation, historische Dimensi-on) sind dabei varietätendefinierend“ (Bussmann, 2002, S. 730).

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Abb. II: Kresic, M. (2006). Sprache, Sprechen und Identität. Studien zur sprachlich-medialen Konstruktion des Selbst (S. 228). München: Iudicium.

Prägend für das gesamte Leben erweist sich gemäss Kresic die primäre Sozialisation. Alles in

allem lässt sich jedoch eine fliessende Dynamik beobachten, dies bezüglich eines kurzfristi-

gen Wechsels „zwischen verschiedenen Teilidentitäten und sprachlichen Bereichen als auch

im Hinblick auf die lebenslange Weiterentwicklung von (Teil-)Identitätsprojekten und den

damit verbundenen Sprachkompetenzen“ (Kresic, 2006, S. 155). Von elementarer Bedeutung

sind somit nebst der Identitätskompetenz die entsprechenden Sprachkompetenzen, denn bis zu

einem gewissen Punkt erfolgen Identitätskonstruktionen gemäss sozialen und kulturellen

Vorgaben. „Da der Einfluss traditioneller Identitätsmuster und verbindlicher Werte schwin-

det, kommt indes der konstruktiven Eigenaktivität des Individuums eine immer grössere Be-

deutung zu“ (ebd., S. 156; vgl. Kap. 2.4). Der individuelle Konstrukteur bedarf der Sprache

sowie weiteren Akteuren zur sogenannten Verwirklichung in den sprachlichen Äusserungen,

welche gemeinsam hervorgebracht werden. Die Prämisse einer dialogisch entstehenden Iden-

tität, sprich die Einbettung in Sprache, Diskurse und eben Beziehungen, erweist sich somit als

grundlegend. Demnach konstruiert sich das Individuum, indem es auf der einen Seite wie ein

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einzigartiges Individuum und wie niemand sonst spricht, auf der anderen Seite dadurch, dass

es wie die bedeutsamen Anderen kommuniziert (vgl. ebd., S. 156).

2.6 Zwischenfazit Fundamental ist die Erläuterung der Identitätskonstruktion als Verinnerlichungsprozess von

Gesellschaft, Identität und Wirklichkeit. Mit diesen Wechselwirkungen, der Aneignung von

Rollen und Einstellungen einher geht auch die Verinnerlichung von Sprache. Bezüglich der

Sozialisation ist Sprache gemäss Berger und Luckmann deren wichtigstes Instrument, würde

sich doch ohne Sprache nicht gar die ganze Wirklichkeit in Frage stellen. Die sich in gegen-

wärtigen Zeiten der Globalisierung ereignende Identitätskonstruktion des Individuums ist

patchwork-artig, so beschreibt Keupp Identität als Passungs- und Verknüpfungsarbeit, welche

sich zwischen einer inneren sowie äusseren Welt abspielt (vgl. Abb. I, S. 12). Dabei gilt es

ebenso Pluralisierung- und Individualisierungsprozesse zu beachten. Die Räume, in welchen

diese Identitätsarbeit erfolgt, charakterisieren sich jedoch immer auch durch Machtmechanis-

men. Ebenso erläutert Kresic Identität als aktiven Konstruktionsprozess, ausgelöst durch die

Interaktionen des Individuums mit der Gesellschaft. Aufgrund von sprachlich-medialen Kon-

struktionsräumen erfolgt diese Konstruktion der Identität durch Sprache. Dies veranschaulicht

das Modell der multiplen Sprachidentität, welches mittels der Bündelung von Teilidentitäten

die Mehrsprachigkeit des Individuums und deren Verwendung in den bestimmten Bereichen

illustriert. Angesichts der Enstehung von Identität im Dialog ist auch auf die Dynamik hinzu-

weisen, welche sich charakterisierend zeigt für Prozesse und die verschiedenen Teilidentitä-

ten.

Die Verknüpfung von Identitätskonstruktion, Sprachvermögen und Wirklichkeit sollte dem-

nach mittels der Theorien von Berger und Luckmann, Keupp und Kresic ausreichend veran-

schaulicht worden sein und es wird deutlich, dass der Sprache auch unabhängig vom Identi-

tätskontext eine ungemeine Macht zukommen muss.

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Masterarbeit 17

3. Macht von Sprache Dass sich Sprache zweifelsohne als enorm mächtig auszeichnet, wird im Folgenden weiter

ausgeführt. Dabei erfolgt der Bezug zu Pierre Bourdieu (1993; 2005) und seiner Theorie des

sprachlichen Markts. Angeknüpft wird mit der Ansicht von Peter Schlobinski (2014), welcher

die Kommunikation ebenfalls als Machtbeziehung beschreibt. Die Macht der Sprache, wie sie

insbesondere in Aspekten wie ihrer Differenz, Fundamentalität, Universalität oder auch als

Bedürfnis veranschaulicht wird, zeigt sich speziell bei Emil Angehrn (2012). Nicht zuletzt

werden für diese Forschungsarbeit relevante Äusserungen hinsichtlich der Macht von Sprache

bei Brigitta Busch (2013) und ihrem sprachlichen Repertoire deutlich, was dann in Kap. 4.2

erweitert wird.

3.1 Der sprachliche Markt In der Annahme, „dass jedes symbolische System ein soziales System voraussetzt und un-

trennbar mit ihm verknüpft ist“ (Rehbein, 2010, S. 374) kritisiert Bourdieu die bereits thema-

tisierte Trennung der „langue“ und „parole“ wie anhand von de Saussure erläutert (vgl. Kap.

2.2.2). Ebenso betrachtet Bourdieu die Konzeption von Chomsky (vgl. Kap. 2.2.1) als unzu-

reichend, gemäss welchem verschiedene Schichten der Spracherzeugung existieren, „deren

Fundament ein generatives, biologisch fundiertes Prinzip sei, über das alle Menschen verfü-

gen“ (ebd., S. 374). Bourdieu hingegen bezeichnet das generative Prinzip als historisch, wel-

ches sich in der Entstehung sowie der Anwendung sozial strukturiert. Dies begründet Bourdi-

eus Ansicht, dass sich für die Analyse der Sprache das Verhältnis von sozialen Strukturen und

Habitus6 als zentral erweist (vgl. Rehbein, 2010, S. 374). Der sprachliche Habitus differen-

ziert sich in dem Sinne von Chomskys beschriebener Kompetenz, „dass er das Produkt der

sozialen Verhältnisse ist und keine einfache Diskursproduktion, sondern eine der ‚Situation’

oder vielmehr einem Markt oder einem Feld angepasste Diskursproduktion“ (Bourdieu, 1993,

S. 115), was im Folgenden präzisiert wird.

In Bezug auf den Habitus entwickelt Bourdieu die einfache Formel „sprachlicher Habitus +

sprachlicher Markt = sprachlicher Ausdruck, Diskurs“ (ebd., S. 115). Somit kann jeder Dis-

kurs als ein Produkt des Zusammentreffens von sprachlichem Habitus bezeichnet werden. 6 „Die Konditionierungen, die mit einer bestimmten Klasse von Existenzbedingungen verknüpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d.h. als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst sein können, ohne jedoch bewusstes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszuset-zen, die objektiv „geregelt“ und „regelmässig“ sind, ohne irgendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein, und genau deswegen kollektiv aufeinander abgestimmt sind, ohne aus dem ordnenden Handeln eines Diri-genten hervorgegangen zu sein“ (Bourdieu, 1987, S. 98f.).

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Masterarbeit 18

Konkreter bedeutet dies die Verfügbarbkeit über eine untrennbar technische Kompetenz

(Sprechfähigkeit) und soziale Kompetenz (das Sprechen auf eine bestimmte Art). Ebenso zum

Diskurs gehört ein Markt mit einem Regelsystem zur Bildung von Preisen, die zur Steuerung

einer sprachlichen Produktion dienen (vgl. Bourdieu, 2005, S. 81). Nach Bourdieu ist ein

sprachlicher Markt somit „immer dann vorhanden, wenn jemand einen Diskurs im Hinblick

auf Empfänger produziert, die imstande sind, ihn zu taxieren, einzuschätzen und ihm einen

Preis zu geben“ (Bourdieu, 1993, S. 117). Beispiele für Situationen, in denen dies sichtbar

wird, sind ein Plausch unter Freunden ebenso wie philosophische Schreiben oder Reden, wel-

che bei offiziellen Anlässen gehalten werden. Dementsprechend erweisen sich jegliche Be-

ziehungen von Kommunikation auch als Machtbeziehungen. Auf dem sprachlichen Markt

bestanden immer schon Monopole, „ob es sich nun um sakrale oder reiner Kaste vorbehaltene

Sprache oder Geheimsprache wie u.a. die Wissenschaftssprache handelt“ (Bourdieu, 2005, S.

81). Man kann demnach von Sprache in dem Sinne sprechen, dass ihr lediglich die Kommu-

nikationsfunktion zukommt oder man sucht in den Worten das Prinzip der Macht, deren Aus-

übung in gewissen Fällen durch Worte erfolgt, worunter beispielsweise Befehle verstanden

werden können (ebd., S. 83).

Somit wird einem der Wert, welche die angebotenen Produkte zusammen mit der Autorität,

die auf dem ursprünglichen Markt mit ihnen in Verbindung steht (z.B. der Bildungsmarkt),

bewusst gemacht. Diese Werterkennung von eigenen sprachlichen Produkten erweist sich als

fundamentale Dimension des Sinnes für den Ort, an welchem man sich angesichts des sozia-

len Raums befindet. Der sprachliche Markt charakterisiert sich demnach durch ein hierar-

chisch geprägtes Verhältnis, dominiert von statushohen Sprachen (vgl. Niedrig, 2002, S. 3).

Er ist folglich verbunden mit Preisbildungsgesetzen, welche so gemacht sind, dass eine Un-

gleichheit herrscht hinsichtlich der Produzenten dieser sprachlichen Produkte, dieser Worte.

„Die Machtverhältnisse, die auf diesem Markt herrschen und dafür sorgen, dass bestimmte

Produzenten und bestimmte Produkte von Anfang an privilegiert sind, setzen voraus, dass der

sprachliche Markt relativ einheitlich ist“ (Bourdieu, 1993, S. 120).

Bourdieu betont insbesondere auch die Ausübung einer typisch magischen Macht von Wor-

ten. So dienen sie dem Sehen, zu glauben, zu handeln und doch gilt es – wie bei der Magie –

zu fragen, wo die Ursache resp. die sozialen Bedingungen liegen, welche die magische Wirk-

samkeit von Worten ermöglicht. Denn diese „Macht der Worte wirkt nur auf diejenigen, die

disponiert sind, sie zu verstehen und auf sie zu hören, kurz ihnen Glauben zu schenken“ (ebd.,

S. 83). Bourdieu geht es darum, darzulegen, dass die Macht von Sprache keineswegs „in ihr

selbst, das heisst auf struktureller Ebene begründet ist, sondern im Glauben der sozialen Ak-

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Masterarbeit 19

teure, welche die autorisierte Sprache legitimieren und der sprechenden Person Kompetenz

zugestehen“ (Zaugg, 2017, S. 44). In der Sprache liegt folglich ein Zauber, welcher auf die

soziale Welt einwirkt, sie gestaltet und der nicht nur lediglich die soziale Welt zu beschreiben

und zu konstatieren vermag. Die Kraft der Worte lässt sich also in der Macht der Sprechenden

finden und nicht in der innersprachlichen Logik (vgl. ebd., S. 44). Demnach wird nachvoll-

ziehbarer, was Bourdieu unter sprachlichen Machtverhältnissen versteht, nämlich „Verhält-

nisse, die über die Situation hinausweisen und nicht auf die in der Situation erfassbaren Inter-

aktionsverhältnisse reduzierbar sind“ (Bourdieu, 1993, S. 121).

3.2 Weitere Aspekte zur Machtdeutung Den Zusammenhang zwischen Macht und Sprache betont auch Schlobinski, welcher die

Kommunikationsbeziehung ebenfalls als Machtbeziehung bezeichnet. Dabei verweist er auch

auf die Tatsache der mit einer sozialen Rolle zusammenhängenden Macht, welche von einer

Autorität oder Institution ausgeht. Autoritative Macht beruht auf einer Autoritätsbeziehung.

Konkreter ist es ihr Ziel, von der Überlegenheit anderer als denen, die das Mass ansetzen,

anerkannt zu werden; ebenso wird eine Anerkennung dieser Massgebenden selbst angestrebt.

„Wer eine Alternative zwischen erhofften Anerkennungen und befürchteten Anerkennungs-

verlusten einsetzen kann, der ist in der Lage, Verhalten und Einstellungen anderer zu steuern,

der übt autoritative Macht aus“ (Schlobinski, 2014, S. 198). Wenn von institutioneller Macht

die Rede ist, bedeutet dies eine Macht, welche im Stande ist, Sanktionen auszuüben, wie bei-

spielsweise durch eine Institution. Diese „Möglichkeit, Macht auszuüben, manifestiert sich in

konkreten Handlungen, Macht wird also erst wirksam in Beziehungen zwischen Menschen“

(ebd., S. 198).

Interessant erweisen sich auch die Aussagen von Schlobinski hinsichtlich nonverbaler Kom-

munikation, hat eine nonverbale Kommunikation doch unterschiedliche Funktionen in Bezug

auf die Sprachbeziehung (vgl. Kap. 2.5). So kann ein Kopfnicken bejahend wirken, einen

Sachverhalt unterstützen oder auch lediglich ein „ja“ ersetzen. Zu lächeln schwächt einerseits

Gesagtes ab, ebenso kann es verstärkend sein, das Hochziehen der Augenbrauen bedeutet

möglicherweise Frage, gleichermassen jedoch den Ausdruck von Zweifel. Nonverbales Ver-

halten wird deshalb eher für authentisch gehalten, da es meistens unbewusst erfolgt (vgl. ebd.,

S. 82). Nebst Gesten können auch der Blick, Pausen oder – die nonverbale Kommunikation

ungeachtet – ein Tonfall den Inhalt von Mitgeteiltem beeinflussen. Die sozialen und persönli-

chen Beziehungen, sprich der Beziehungsaspekt, nehmen folglich Einfluss auf den kommuni-

zierenden Inhalt. Demnach ist es sozusagen unmöglich, sich nicht nicht zu verhalten. Wenn

akzeptiert ist, dass Verhalten innerhalb einer zwischenpersönlichen Situation Mitteilungscha-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 20

rakter aufweist oder eben Kommunikation ist, folgt daraus, dass es nicht möglich ist, nicht zu

kommunizieren. Der Mitteilungscharakter zeigt sich in einem Handeln wie auch einem Nicht-

handeln, einem Schweigen ebenso wie in Worten (vgl. Schlobinski, 2014, S. 66).

An Bourdieu oder auch Schlobinski anknüpfend stellt sich nicht zu Unrecht die Frage, „wer

wann und mit wem in welcher Weise zu sprechen hat“ (Wodak, 2010, S. 184). Wer kann über

Sprachnormen entscheiden, diese durchsetzen, bestimmen, welche Sprachen, Sprachhandlun-

gen und folglich auch Identitäten akzeptiert oder zurückgewiesen werden? Man gelangt zur

Macht von Eliten, die Macht jener, welche im Stande sind, Sprache für ihre Interessen zu nut-

zen. „Sprache wird also dazu verwendet, um Ähnlichkeiten und Unterschiede festzulegen und

zu definieren: um klare Grenzen zwischen ‚Uns’ und den ‚Anderen’ zu ziehen“ (ebd., S. 184).

Die Verfassung von menschlicher Existenz charakterisiert sich ursprünglich und unhintergeh-

bar sprachlich (vgl. Angehrn, 2012, S. 36). Angehrn bezeichnet die Sprache als grösste Macht

des Menschen und verweist auf vier Aspekte – nämlich die anthropologische Differenz, die

Fundamentalität, die Universalität sowie das existentielle Bedürfnis. Die anthropologische

Differenz wird darin begründet, dass der Mensch über die Sprache verfügt, das Tier hingegen

nur über die Stimme. Durch die Tatsache, dass Sprache ursprünglich zum menschlichen Sein

gehört, „gewissermassen als die tiefste Schicht, auf welche die Analyse menschlichen Seins

und Verhaltens zurückzugehen hat und der nicht ein basaleres Prinzip voraus- und zugrunde

liegt“ (ebd., S. 36) lässt sich die Markierung von Fundamentalität verdeutlichen. Die Univer-

salität, diese Mächtigkeit der Sprache, erstreckt sich auf alles und wird nicht durch etwas ihr

Entzogenes begrenzt. Dass Sprache als existentielles Bedürfnis gesehen werden kann wird

darin deutlich, dass der Mensch sie für das Vollbringen von elementaren Leistungen hinsicht-

lich des Selbst- und Weltbezugs benötigt. Ebenso ist die Sprache ein Medium zur Bildung

von Sinn. „Das Bedürfnis nach Symbolisierung, nach Versprachlichung unserer Welterfah-

rung ist ein Bedürfnis nach Verständnis, nach sinnhafter Durchdringung unseres Selbst- und

Weltbezugs“ (ebd., S. 37). Folglich kann durch Sprache die Eröffnung dieses Raums des Ver-

stehens erfolgen, das Bedürfnis zu sprechen geht einher mit dem Wunsch zu verstehen und

nicht zuletzt bezieht sich dieses Sinnverlangen auf das Sichselbstverstehen. Der Mensch hat

somit nicht nur die Sprache, sondern ist in ihr - dank der Sprache ist er Mensch (ebd., 2012, S.

53; vgl. Kap. 2.2).

In diesem Zusammenhang und für die vorliegende Forschungsarbeit besonders bedeutend

äussert sich zudem Brigitta Busch mit ihrem Begriff des sprachlichen Repertoires. Unter dem

Repertoire wird das Ganze verstanden, sprich der Einschluss von Sprachen, Dialekten, Stilen,

Codes und Routinen, welche sich als charakteristisch darstellen in Anbetracht der Alltagsin-

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Masterarbeit 21

teraktion (vgl. Busch, 2013, S. 21). „Es umfasst also die Gesamtheit der sprachlichen Mittel,

die Sprecher_innen einer Sprechgemeinschaft zur Verfügung stehen, um (soziale) Bedeutun-

gen zu vermitteln“ (ebd., S. 21). Im Hinblick auf die Untersuchung des sprachlichen Reper-

toires gilt es, immer unterschiedliche Faktoren miteinzubeziehen. Von Bedeutung erweist

sich, „dass Sprecher_innen zu unterschiedlichen Zeiten oder auch gleichzeitig an unterschied-

lichen sozialen Räumen teilhaben“ (Busch, 2013, S. 18), wobei als Beispiele der Wohnort,

Familie oder Arbeitsort genannt werden können, und wo aufgrund der Konstutierung durch

verschiedene Sprachregimes auch jeweils verschiedene Regeln und Gewohnheiten hinsicht-

lich des Sprachgebrauchs herrschen (vgl. ebd., S. 18; vgl. Kap. 2.5). Ein weiterer Aspekt be-

trifft die Sprachideologien, die Tatsache von Diskursen hinsichtlich Sprachen und deren

„richtigen“ Gebrauch. Dabei werden Hierarchisierungen zum Ausdruck gebracht und festge-

schrieben sowie Machtgefälle innerhalb der Sprachen wie zum Beispiel zwischen Hoch- und

Umgangssprache sichtbar – wobei hier wiederum Bezug zu Bourdieu und seinem sprachli-

chen Markt genommen werden kann. Nicht zuletzt „geht es darum, welches sprachliche Re-

pertoire Sprecher_innen in einen spezifischen Interaktionskontext mitbringen“ (ebd., S. 18).

Im Zusammenhang von Spracherleben (vgl. Kap. 4.2) erwähnt Busch demnach auch das Er-

leben von sprachlicher Macht oder Ohnmacht. So können Machtgefälle oder sprachliche Hie-

rarchisierung dazu führen, dass man in gewissen Situationen aus Angst vor dem Blossstellen

das Reden vermeidet. Den Ton angebenden Menschen ist es möglich, durch ihr Sprechen ab-

zuwerten sowie die eigene privilegierte Position mittels der sprachlichen Distinktion zu re-

produzieren und zu festigen (vgl. ebd., S. 19; vgl. Bourdieu, 1993; 2005).

3.3 Zwischenfazit Gemäss Bourdieu resultiert ein sprachlicher Ausdruck, ein Diskurs aus der Zusammensetzung

des sprachlichen Habitus sowie dem sprachlichen Markt. Mit dem sprachlichen Markt ver-

bunden sind sogenannte Preisbildungsgesetze, welche den Worten einen gewissen Wert ver-

leihen. Bourdieu verweist zudem auf die als magisch bezeichnete Macht, welche Worten in-

newohnt. Dies lässt über die Situation hinausweisende sprachliche Machtverhältnisse deutlich

werden. Kommunikationen sind demnach immer auch Machtbeziehungen. Schlobinski ver-

deutlicht den Unterschied zwischen der autoritativen Macht und derjenigen, welche von den

Institutionen hervorgebracht wird, mithin der institutionellen Macht. Auch die Macht von

nonverbaler Kommunikation gilt es nicht auszublenden, denn aufgrund der Unmöglichkeit,

sich nicht zu verhalten, kann auch nicht nicht kommuniziert werden. Die Machtdimension

von Sprache zeigt sich zudem in der Differenz (des Menschen zum Tier), in der Fundamenta-

lität (als grundlegendstes Prinzip), der Universalität (über alles sprechen können) und ihrem

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existentiellen Bedürfnis (um elementare Leistungen zu vollbringen). Sprache gilt somit als

grösste Macht des Menschen, als Medium des Sinns und dasjenige, was den Mensch zum

Menschen macht. Die Macht der Sprache wird zudem sichtbar im sogenannten sprachlichen

Repertoire, worin alle sprachlichen Mittel, über welche das entsprechende Individuum ver-

fügt, enthalten sind. Das Spracherleben, die Teilhabe des Individuums in verschiedenen Räu-

men und Zeiten, ist verbunden mit Machtgefällen. Mit diesen Andeutungen zum Spracherle-

ben soll auf das nächste Kapitel der Sprach(en)identität(en) übergeleitet werden.

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4. Sprach(en)identität(en) Wurde in Kapitel 2 vor allem auf die Konstruktion von Identität sowie den Einfluss der Spra-

che eingegangen und vorherig die Bedeutung von Sprache(n) aufgrund ihrer Macht verdeut-

licht, soll nun in einem dritten Teil dieses theoretischen Rahmens die sprachliche Identität

thematisiert werden. Buschs Ansicht eines sprachlichen Repertoires wird erweitert mithilfe

der Beschreibung von Spracherleben sowie des Chronotopos (Bachtin, 1979; 2008) und der

Heteroglossie. Dadurch wird auch die nicht zu unterschätzende Bedeutung der Kultur sicht-

bar, was insbesondere anhand von Ulrich Schoen (1996) veranschaulicht wird. Bevor dem so

ist, soll jedoch mittels Rolf Elberfeld (2013) die Vielfalt der Sprache, Mario Wandruszkas

(1979) Theorie zur Mehrsprachigkeit wie auch die Sprachidentität im Kontext der Mehrspra-

chigkeit (Oppenrieder & Thurmair, 2013) dargelegt werden, was für die vorliegende For-

schungsarbeit ebenso bedeutend ist. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei den Befragten

um Lehrpersonen zweisprachiger Schulen handelt, wird im Anschluss daran explizit auf die

Zweisprachigkeit eingegangen (Cathomas, 2005; Brohy, 1982; Blocher, 1909; Weinreich,

1977) .

In Anbetracht der sprachlichen Identität schildert Iso Camartin, dass jede individuelle Ge-

schichte zugleich die Geschichte eines konkreten Sprachgebrauchs darstellt. Durch die Le-

bensentscheidungen des Individuums modifziert sich die Sprache, es erfolgt sozusagen eine

individualistische Einfärbung. Diese Aussage bezieht sich nicht nur auf die stimmliche Ebene

und im Hintergrund der Tatsache, dass die eigene Sprache nicht von Anfang an da ist, son-

dern auch im eigenen Lebensraum mitwandert. Demnach betont Camartin, dass Identität

durch Sprache die lebenswichtige Fähigkeit darstellt, „was man war, was man ist und was

man sein möchte, für sich und für andere verständlich machen zu können“ (Camartin, 1990,

S. 1129). Im Lichte einer Identitätsbeschreibung wird erwähnt, dass sich Identität durch die

Summe jener Rollen auszeichnet, welche in jedem Moment der Biografie gespielt werden

oder werden müssen. Damit soll Bezug genommen werden zu den in Kapiteln 2.3-2.5 darge-

stellten Identitätstheorien und der Tatsache, dass dem Individuum eine grosse Freiheit zusteht,

immer wieder jemand anderes sein zu können, denn mittels der „Aneignung fremder Rollen

erkunden wir eigene mögliche Entwicklungsformen“ (ebd., S. 1131). In Anbetracht von Iden-

titätsbildung wird auf eine „imaginäre Sprache, deren Wörter uns als magische Schlüssel zu

Erfahrungsräumen dienen, die uns irgendwie noch verschlossen sind“ (ebd., S. 1139, vgl.

Bourdieu, 1993), verwiesen. Es handelt sich dabei gar um jene Sprache, nach welcher wir

suchen, weil sie uns über einen Einklang mit uns selbst hinaus einen mit der Welt verspricht

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Masterarbeit 24

und durch diese Sprache somit nicht abbildend Realität erst erschlossen wird (vgl. ebd., S.

1139). Ebenso wird betont, dass innerhalb eines Dialogs immer mehrere Sprachen im Spiel

sind.

„Die eigentliche Herausforderung eines jeden von uns, der auf Grund seiner Le-bensgeschichte unvermeidlich zur Mehrsprachigkeit gezwungen ist, besteht in der Entdeckung der Inkommensurabilität einerseits und der Vermittelbarkeit und Übersetzbarkeit andererseits aller jener Sprachen, mit denen wir konfrontiert sind“ (Camartin, 1990, S. 1133).

Für die Charakterisierung der sprachlichen Identität ist abgesehen der aufgrund von Schule,

Beruf oder auch Migration „unvermeidlich werdenden Mehrsprachigkeit gerade die freiwilli-

ge, private und insbesondere auch erotisch motivierte Annäherung an fremde Sprachbestände

von grosser Bedeutung “ (ebd., S. 1134), was in den folgenden Kapiteln noch verdeutlicht

wird.

4.1 Mehrsprachigkeit Mehrsprachigkeit oder Sprachenvielfalt bedeutet somit keineswegs nicht nur, nebst Deutsch

noch weitere Sprachen wie Französisch, Englisch, Rätoromanisch oder verschiedene Dialekte

davon zu beherrschen.

In Anbetracht der Vielfalt von Sprache nennt Elberfeld zum einen die Gebärdensprache, wel-

che hauptsächlich von tauben Menschen für deren Austausch genutzt wird und demnach der

Körper sowie dessen Teile angesichts ihrer Bewegungen und Haltungen so gestaltet werden,

dass das Hervortreten eines sinnhaften Bezugs zu anderen Individuen im Aspekt des Visuel-

len ermöglicht wird. Die Körpersprache entspricht der Ebene des körperlichen Ausdrucks,

deren Kundtun sich lediglich mittels leiblicher Bewegungen oder Haltungen und ohne ge-

sprochene Worte zeigt. Als Paradigma von Sprache überhaupt gilt meistens jedoch die ge-

sprochene Sprache, besitzt jene in Bezug auf Selbstverständlichkeit doch das höchste Mass

(vgl. Elberfeld, 2013, S. 88). Auch wenn sich die geschriebene Sprache erst lange nach der

gesprochenen Sprache entwickelt hat, ist deren Bedeutung hervorzuheben. So bietet die

Schrift die Möglichkeit, durch eine Art von Fixierung zu erinnern, zu überliefern oder zu wie-

derholen. „Durch schriftliche Überlieferungen können Menschen, die nicht zur gleichen Zeit

auf der Erde leben, in eine sprachliche Beziehung treten“ (ebd., S. 89, vgl. Kap. 2.2). Hin-

sichtlich der verschiedenen Formen und Gestalten von Sprache und mit Bezug zu vorherigen

Kapiteln gilt allgemein, „dass durch sie Ausdrucksbeziehungen gestiftet und gestaltet werden,

in denen zugleich Unterscheidungen getroffen und aufrechterhalten werden“ (ebd, S. 90).

Verschieden sind die Formen und Medien (vgl. Kresic, 2006), durch die dies geschieht.

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Masterarbeit 25

4.1.1 Sprache als (Misch)Sprachen

Gemäss Mario Wandruszka erweist man sich bereits in der Muttersprache als mehrsprachig.

„Jedes Kind kann von Anfang an sich spielend phonetische, lexikalische, syntaktische, idio-

matische Elemente verschiedener Sprachen aneignen“ (Wandruszka, 1979, S. 15). Die dann

in der Schule gelernte transregional und transsozial geprägte Kultursprache bildet sozusagen

die erste Fremdsprache im Anschluss an die Sprache der Kindheit, welche regional, sozial

oder kulturell betrachtet eher begrenzt ist (vgl. ebd., S. 15; vgl. Wandruszka, 1975, S. 321).

Wandruszka begründet die Tatsache, dass wir mehrere Sprachen sprechen damit, „weil wir in

mehreren, oft sehr verschiedenen menschlichen Gemeinschaften leben, deren Sprachen wir im

Laufe unseres Lebens lernen“ (ebd., S. 13). Ebenfalls weist er auf die Fähigkeit des Gehirns

hin, mehrere Sprachen aufzunehmen und sie im Gedächtnis gebrauchsbereit zu bewahren.

Wandruszkas entwickelte Theorie zur Mehrsprachigkeit basiert auf sechs Aspekten, welche

nun veranschaulicht werden sollen.

So wie der Mensch in unterschiedliche Sprachgemeinschaften hineinwächst, wächst er auch

in verschiedene Sprachen. Im Gehirn des Individuums hat es Platz für die Einprägung, Quer-

und Rückverbindung mehrerer Sprachen. Demzufolge gilt, dass die Mehrsprachigkeit des

Menschen sich nicht als endgültiger Zustand erweist, sondern als ein dauernder Vorgang.

„Mensch unter Menschen zu sein bedeutet, in einer immer unvollkommenen Mehrsprachig-

keit zu leben“ (Wandruszka, 1979, S. 313), eine Sprache bedeutet somit viele Sprachen (vgl.

Camartin, 1990). Wandruszka beschreibt Sprechgemeinschaften als sich unentwegt und in

alle Richtungen überschneidend, durchkreuzend, durchdringend, vermischend als Lebenskrei-

se angesichts eines Verstehens und Verwendens von einer gemeinsamen Sprache. Zwischen

wie auch innerhalb der Sprachgemeinschaften ist alles in Bewegung, Laute, Wörter, Wendun-

gen, welche sich mischen zu Strukturen und Formen der Phonetik, Lexik oder Grammatik.

Dementsprechend lernt der Mensch schon in der Muttersprache ein dynamisches Polysystem

kennen, „in dem die Sprachen verschiedener Sprachgemeinschaften, der verschiedenen Le-

benskreise, denen wir angehören, ineinandergreifen und sich vermischen“ (Wandruszka,

1979, S. 314). Jede Sprache ist automatisch eine Mischsprache, unabgeschlossen und ver-

knüpft durch Verbindungen, womit es zu gegenseitigen Einwirkungen der Sprachen, zu Infer-

enzen7 kommt (vgl. ebd., S. 315). Doch diese Mischbarkeit der Sprachen beweist eine darin

existierende gemeinsame Sprache der Menschheit. Weiter notwendig erweisen sich aber auch

einzelsprachliche Formen, Strukturen oder Programme, wo die spezielle Welterfahrung und

Selbstauffassung, aber auch Temperament, Mentalität sowie die Sensiblität von einem Volk, 7 Interferenz bedeutet die Umordnung von Strukturschemata, die sich aus der Einführung fremder Elemente in die stärker strukturierten Bereiche der Sprache ergibt“ (Weinreich, 1977, S. 15).

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Flavia Hobi

Masterarbeit 26

einer Gesellschaft oder auch einer Kultur zum Ausdruck kommt. Beim Vergleich mehrerer

Sprachen gilt es sich auch des Zufalls bewusst zu sein, welcher sich ebenso verantwortlich

zeigt für die unterschiedliche Gestalt der Sprachen, die Mischungen, verändert durch ge-

schichtliche Wechselfälle (vgl. ebd., S. 317). Der Mensch wird herausgefordert durch die

Mangelhaftigkeit und Unvollkommenheit der Sprachen (vgl. Wandruska, 1975, S. 340). „Sie

zu überspielen, das ist der eigentliche Antrieb seines schöpferischen Spieles mit den Spra-

chen, seiner sprachlichen Kreativität“ (Wandruszka, 1979, S. 319f.). Dementsprechend

kommt es zur Übersteigung des Menschen von seinen Sprachen. An ihrem Unvermögen ver-

zweifelt er auch gelegentlich. Nicht zuletzt ist Sprache Übersetzung; darin „erfahren wir den

ganzen unregelmässigen Reichtum der inneren Mehrsprachigkeit“ (Wandruszka, 1975, S.

346). Das Sprechen bedeutet automatisch auch dass Bewusstsein, Vorstellungen, eben Bilder

in Worte übersetzt werden (vgl. Wandruszka, 1979, S. 320). Diese Worte werden in andere

Worte übersetzt und dementsprechend übersetzen wir uns selber. Dabei gilt, dass die Formen

in der Übersetzung einerseits dasselbe und doch nicht dasselbe bedeuten können. Übersetzung

ist einerseits möglich, da sich das Individuum bei entsprechenden fehlenden Formen einer

Umschreibung, Beschreibung oder Erklärung bedienen kann. Andererseits ist sie aufgrund des

potentiellen unterschiedlichen Stellenwerts einer Form, die auch noch so genau entsprechend

sein kann, aber dennoch Auslöser unterschiedlicher assoziativer Konnotationen ist, ebenso

unmöglich. Wie auch die Mischbarkeit „beweist die Übersetzbarkeit unserer Sprachen, dass

in ihnen allen die eine gemeinsame Sprache der Menschheit ist“ (ebd., S 321).

Zusammenfassend für Wandruszkas Theorie soll somit die ungeheure Vielsprachigkeit fest-

gehalten werden, welche der Mehrsprachigkeit der einzelnen Individuen entspricht. Nicht zu

unterschätzen ist zudem die Bedeutung des Verstehens:

„meine Sprache wird von meinen Gesprächspartnern selbstverständlich verstan-den, obwohl sie selbst sie nicht sprechen – sie antworten mir jeder in der ihm ei-genen Sprache, die wiederum mir völlig vertraut ist, ohne dass ich selbst sie je sprechen würde. Sprachliche Kommunikation ist weit über das Verwenden hin-aus ein gegenseitiges Verstehen.“ (Wandruszka, 1979, S. 21)

4.1.2 Sprachidentität im Kontext von Mehrsprachigkeit

Mit Bezug zu Bourdieu kann Sprache ein Vorwand darstellen für Probleme, welche ihre Ur-

sachen in politischen oder strukturellen Faktoren haben und eingebettet sind „in ein Mehr-

heits-Minderheitsverhältnis, das konkrete Nachwirkungen nach sich zieht“ (Dahinden, 2005,

S. 60). Dies zeigt sich auch hinsichtlich der Struktur eines sprachlichen Marktes. So wird jene

Struktur beschrieben als „durch das hierarchische Verhältnis einer dominanten, statushohen

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Sprache zu in der Regel vielen weiteren statusschwachen8 Sprachen“ (Niedrig, 2002, S. 3).

Bedeutend im Zusammenhang mit diesem Grundmuster der Sprachmärkte erweist sich, dass

die Legitimität einer jeweils dominanten Sprache keineswegs auf sprachimmanenten Charak-

teristiken beruhend und nicht aufgrund einer in der Natur liegenden Sache erklärbar ist, wie es

häufig der Fall ist. Das zeigt sich beispielsweise dann, wenn von Neuankömmlingen erwartet

wird, dass sie sich auf selbstverständliche Art an die autochthonen (eingesessene) Sprachver-

hältnisse der sozusagen eingeborenen Bevölkerung anpassen (vgl. ebd., S. 3). Denn unbestrit-

ten fungieren Sprache sowie Kultur (vgl. Kap. 4.3) nebst als Träger der gesellschaftlichen

Ordnung auch als Herrschaftsmuster. So sind zum Beispiel gewisse Sprachen angesehener,

gilt doch, dass sich innerhalb der Vielfalt an Sprachen darum immer auch institutionalisierte

Status- sowie Wertmuster, deren Wurzeln in gesellschaftlichen Ungleichheiten liegen, reflek-

tieren (vgl. Dahinden, 2005, S. 60). Oppenrieder und Thurmair erwähnen nebst dem perso-

nenbezogenen Typ von Identität „gruppenbezogene ‚Identitäten’, also wesentliche Charakte-

ristika, die eine Gruppe und das aus ihr hervorgehende Verhalten und die in ihr gehegten Ein-

stellungen mitformen und gleichzeitig von anderen Gruppen abgrenzen“ (Oppenrieder &

Thurmair, 2013, S. 41). Individuen gehören verschiedenen Gruppen hinsichtlich Nationalität,

Beruf, Wohnort, etc. an, wobei sich die unterschiedlichen Typen der gruppenbezogenen Iden-

titäten in Bezug auf die Bildung einer individuellen Identität durchdringen und überlagern.

Aus den Charakteristika der Gruppen, welchen man sich als zugehörig empfindet oder zuge-

ordnet wird, lässt sich auch mehr oder weniger stark die individuelle Identität speisen. Dem-

entsprechend wird deutlich, dass sich Identitäten als einheitsstiftende Konstruktionen auswei-

sen, die das Verständnis von Verhaltensweisen und Einstellungen erlauben. Gruppen charak-

terisieren sich aufgrund eines dichten Netzes von Beziehungen innerhalb der verschiedenen

Subjekte. Zentral dabei sind kommunikative Beziehungen und deren Zurückgreifen auf be-

stimmte sprachliche Kompetenzen (vgl. ebd., S. 41; vgl. Kap. 2.5). Wiederum kommen Gren-

zen zwischen Eliten, sich und den Anderen, Grenzen der Macht ins Spiel. Es besteht die Mög-

lichkeit der Verschiebung dieser nicht festgeschriebenen Grenzen, Zugehörigkeiten werden

geändert und ändern sich, je nach politischen oder auch anderen Interessen. Somit gehören

auch Sprachgrenzen zu Grenzen, bei welchen sich die Frage stellt, von wem und wie diese

Grenzen überschritten werden können und dürfen (vgl. Wodak, 2010, S. 184).

Wenn es um die Charakterisierung von Situationen der Mehrsprachigkeit geht, kommen dem-

nach unterschiedliche Dimensionen zum Ausdruck. Bezüglich der Entstehungsbedingungen

gilt es nebst individueller und gruppenbezogener Mehrsprachigkeit auch die territoriale Mehr-8 Als statusschwach gelten beispielsweise Sprachen von einheimischen Minderheiten, aber auch Dialekte, Sozio-lekte, Sprachen von Einwanderern wie auch einer kolonialisierten Mehrheit (vgl. Niedrig, 2002, S. 3).

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Masterarbeit 28

sprachigkeit von der migrationsbedingten zu unterscheiden. Ferner zu nennen ist die funktio-

nale Differenzierung, sprich inwiefern für gewisse Domänen oder Funktionsbereiche lediglich

eine oder mehrere Sprache verwendet werden, also wie die funktionelle Abgrenzung der ein-

zelnen Sprachen in Mehrsprachigkeitssituationen ist. Auch das Prestige von beteiligten Spra-

chen erweist sich bedeutend, „und zwar sowohl das von aussen als auch das von innen, d.h.

vom Sprachbenutzer selbst, zugeordnete Prestige“ (Oppenrieder & Thurmair, 2013, S. 45;

vgl. Bourdieu, 1993).

Im Weiteren zu betonen ist die Freiwilligkeit bzw. Nichtfreiwilligkeit der Mehrsprachigkeit

einerseits beim einzelnen Individuum wie auch bei der Gesellschaft. Die kontrollierte, eben

freiwillige Vielfalt stellt sich für die Identität als weniger bedrohlich dar, „prestigehohe Spra-

chen können leichter in ein positives Selbstbild eingebaut werden“ (Oppenrieder & Thurmair,

2013, S. 48). Die nicht-freiwillige Mehrsprachigkeit kann sowohl identitätsbedrohend wie

auch identitätsstiftend empfunden werden. Als Beispiel für identitätsbedrohende Mehrspra-

chigkeit könnte hier auf Teile von Migranten verwiesen werden. Denn innerhalb der neuen

Sprache gilt es, eine neue Identität zu finden, „was den meisten nicht gelingt, und es wird die

grosse Angst deutlich, dass dies den Verlust der ursprünglichen, der ‚eigentlichen’ Identität

zwangsläufig nach sich zieht“ (ebd., S. 49). Spracherwerb kann in dem Sinne als unfreiwillig

verstanden werden, wenn es gezwungenermassen ist, wenn dadurch sozusagen das Überleben

gesichert wird. Dementsprechend bedeutet Spracherwerb auch Fremdes, etwas Bedrohliches,

was eigene Gewissheiten hinterfragt, die eigene Sicherheit aufbricht resp. gefährdet. Eine

durch Mehrspachigkeit ausgelöste Bedrohung der Identität wird auch aus Untersuchungen

zum Code-Switching9 in Kontexten unterschiedlicher Art abgeleitet. Bezüglich der Migranten

gilt jedoch auch die Möglichkeit einer positiven Bewertung zu nennen, nämlich indem der

Erwerb einer zweiten Sprache sowie einer zweiten Kultur nicht als die erste gefährdend be-

trachtet wird „und nicht als Notwendigkeit, eine Identität durch eine andere abzulösen, son-

dern (...) als Identitätsmerkmal gesehen wird“ (ebd., S. 50).

Freiwillige, individuelle Mehrsprachigkeit wird im Normalfall nicht als bedrohend für die

Identität empfunden, sondern eher als bereichernd. Die bewusste Gestaltung der eigenen Iden-

tität wird ermöglicht, was mittels der Sprachenwahl sowie Sprachenabwahl konkretisiert wird.

Die Sprachenwahl gemeint ist grundsätzlich ein Fremdsprachenlerner zu erwähnen, denn

niemand lernt freiwillig eine andere Sprache, wenn er befürchtet, die Identität zu beschädigen.

„Das freiwillige Erlernen einer Sprache scheint keinen negativen Einfluss auf die Identität des

potentiell mehrsprachigen Individuums zu haben“ (Oppenrieder & Thurmair, 2013, S. 52). 9„Die meisten bilingualen Personen, die ‚code-switchen’, also ihre Sprachen mischen, bewerten dies im Allge-meinen äusserst negativ“ (Oppenrieder & Thurmair, 2013, S. 50).

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Masterarbeit 29

Eine Sprachenabwahl wird dann konstatiert, wenn es zu einer Verweigerung des Spracher-

werbs kommt. Doch zum Beispiel auch die bewusste Wahl zu einer gewissen Schreib- oder

Literatursprache heisst, dass eine andere Sprache abgewählt wird. Sprachenabwahl kann im

Kontext der freiwilligen Mehrsprachigkeit auch negativ bewertete Verhaltens- und Einstel-

lungskomponenten von der alten Identität symbolisieren. (vgl. ebd., S. 55). Folglich bedeutet

die Sprachabwahl das Signal einer Distanz dazu. In Bezug auf die Identität(en)frage kann das

reine Faktum der Mehrsprachigkeit demnach eine Reihe von Folgen mit sich bringen, nämlich

„von der grundlegenden Identitätsbedrohung bis hin zu einer lustvollen Ausgestaltung der

eigenen Identität durch Mehrsprachigkeit, bewusste Sprachenwahl und Sprachwechsel“ (ebd.,

S. 56). Zurückgeführt werden können die verschiedenen Bewertungen wohl hauptsächlich auf

Einflussfaktoren äusserer Art, womit zum Ausdruck kommt, dass Identität und Mehrspra-

chigkeit ohne ihren Kontext der Entstehung und des Gebrauchs sowie die hierbei wirkenden

Faktoren des Extralinguistischen nicht beschreibbar sind. Wie Mehrsprachigkeit wahrge-

nommen wird, steht somit in Abhängigkeit davon, welche Rolle der Sprache im Kontext der

Identitätsbildung vermittelt wird (vgl. Oppenrieder & Thurmair, 2013, S. 56; vgl. Kap. 2.3-

2.5).

4.1.3 Zweisprachigkeit

Aufgrund der Befragung von Lehrpersonen zweisprachiger Schulen soll die Zweisprachigkeit

nun konkreter erläutert werden. Die vorliegende Arbeit versteht unter Zweisprachigkeit das

fliessende Beherrschen und somit eine problemlose Verständigung in zwei Sprachen, hier des

Deutschen und des Rätoromanischen, wobei diese Sprachbeherrschung nicht im selben Aus-

mass der Fall sein muss. Für eine theoretische Definition – welche sich auch etwas von der

vorherigen Aussage differenziert – kann bereits auf frühe Jahre zurückgegriffen werden. So

beschreibt Eduard Blocher Zweisprachigkeit als „Zugehörigkeit eines Menschen zu zwei

Sprachgemeinschaften in dem Grade, dass Zweifel darüber bestehen können, zu welcher der

beiden Sprachen das Verhältnis enger ist“ (Blocher, 1909, S. 1), demnach lässt sich gemäss

Blocher auch die Mutter- oder Denksprache nicht eindeutig bestimmen (vgl. ebd., S. 1)

Weiter diskutiert Rico Cathomas die Frage nach der Bedeutung von Zweisprachigkeit. „Zwei-

sprachigkeit ist das Beherrschen zweier Sprachen. Zweisprachig ist, wer zwei Sprachen kann“

(Cathomas, 2005, S. 22). Dabei ist fraglich, wie dieses „können“ konkret verstanden wird,

mithin ob es ausreicht, eine Fremdsprache zu verstehen, darin eine Pizza bestellen zu können

oder dies die Beherrschung desselben Niveaus wie dasjenige der Muttersprache voraussetzt

(vgl. ebd., S. 22). Cathomas verdeutlicht dementsprechend den Unterschied zwischen indivi-

dueller und gesellschaftlicher Zweisprachigkeit, was auch für diese Forschungsarbeit wesent-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 30

lich ist. Die individuelle Zweisprachigkeit wird erörtert als „die angemessene und richtige

sprachliche Bewältigung inhaltlicher und formaler Anforderungen relevanter Funktionsberei-

che (Domänen) in zwei Sprachen“ (ebd., S. 29). Auch Claudine Brohy betont den Aspekt der

Umwelt als wichtig, weil jene möglicherweise Einfluss auf die Selbsteinschätzung nimmt

resp. diese zu relativieren vermag. So zeigt sich die Zweisprachigkeit eines Individuums in

der Beherrschung zweier Sprachen insofern, als „dass es sich nicht eindeutig zu einer Sprach-

gruppe zugehörig fühlt, und wenn seine Umwelt es nicht eindeutig als zu einer Sprachgruppe

zugehörig ansieht“ (Brohy, 1982, S. 14). Bezüglich des grossen geistigen Aufwandes erklärt

Brohy, dass sich das menschliche Gehirn als unbegrenzt belastungsfähig darstellt. Die Mög-

lichkeit eines Aufbaus der zweisprachigen Begriffswelt bedeutet daher nicht, dass anderen

Inhalten ihr Platz streitig gemacht wird (vgl. Brohy, 1982, S. 75; vgl. Wandruszka, 1979).

Mit einer Blickerweiterung vom hier eher individuellen Perspektivenbeschrieb der Zweispra-

chigkeit bezüglich seiner funktionalen Dimension zur gruppenspezifischen oder gesellschaft-

lichen Zweisprachigkeit bedeutet dies, dass aus politischen, sozioökonomischen und soziokul-

turellen Entwicklungen entstandene spezielle Situationen des Sprachenkontakts in der Entste-

hung von mehr als eine sprachliche Ethnie vereinende Staatsgebilde bzw. in die Zweispra-

chigkeit von ganzen Bevölkerungsgruppen münden (vgl. Cathomas, 2005, S. 29; Kap. 4.1.3).

Blocher diskutiert insbesondere auch die Vor- und Nachteile von Zweisprachigkeit. So ver-

weist er auf den Nutzen in der Praxis und auf den grossen Wert von Sprachkenntnissen im

Verkehrsleben oder die Kinder, welchen die Aneignung von Sprachkenntnissen leichter und

schneller gelingt (vgl. Blocher, 1909, S. 6). Auch an die Laute kann man sich aufgrund von

Langjährigkeit gewöhnen, wobei die Leichtigkeit abnimmt, dass die Hervorbringung von an-

deren Lauten einer Sprache gelingt oder jene richtig gehört werden. Sogenannte Kundige

merken an einem schweizerischen Auswanderer, der spanisch oder französisch spricht an, ob

er zum Beispiel aus Zürich oder St. Gallen stammt, erfolgt doch eine Übernahme der Aus-

sprache sowie des Tonfalls von der heimatlichen Mundart in die Fremdsprache. Wer zwei-

sprachig erzogen ist, hat somit die Möglichkeit, auf der richtigen Aussprache beruhend auch

im späteren Leben „beide Sprachen so auszusprechen, dass er den Eindruck erweckt, sie völ-

lig zu beherrschen“ (ebd., S. 7; vgl. Kap. 2.5). Jedoch gilt es eine reine Aussprache von zwei

Sprachen keineswegs zu überschätzen. So brauchen wir, um uns mit einem Ausländer zu ver-

ständigen, dessen Sprache gar nicht „rein auszusprechen; das wird erst erforderlich, wenn

man sich einer Sprache öffentlich bedienen will“ (Blocher, 1909, S. 8). Auch Schlobinski

bringt den Wert deutlich zum Ausdruck: „Dass die nahezu muttersprachliche Beherrschung

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Flavia Hobi

Masterarbeit 31

zweier oder mehrerer Sprachen in der globalisierten Welt Vorteile mit sich bringt, dies liegt

auf der Hand“ (Schlobinski, 2014, S. 195).

Stärker als die Vorteile thematisiert Blocher jedoch deren Nachteile. So unterstützt er die Be-

hauptung, dass die von zwei Sprachen Getriebenen keine recht beherrschen, da sich die sehr

gut angeeigneten Sprachen in die Quere kommen und sich nachteilig beeinflussen. Folglich

zeigt sich als Nachteil ein grosser Aufwand an Zeit sowie an geistiger Kraft, damit die Zwei-

sprachigkeit verwirklicht wird (vgl. Blocher, 1909, S. 8f.). Weiter wird das Sprachgefühl trotz

der Beachtung von Unterschieden innerhalb der Begabung, Erziehung und Umgebung einzel-

ner Individuen abgestumpft und geschwächt. Die Existenz der Schwächung erweist sich „in

einer, meist in beiden Sprachen. Der Satzbau erleidet kleine Schädigungen, die Präpositionen

werden verwechselt, die Zeitwörter haben falschen Kasus im Gefolge“ (ebd., S. 9). Dies führt

dementsprechend dazu, dass man sich unsicher fühlt im Ausdruck, der lebendige Wortschatz

ärmer wird, die geistige Gemeinschaft mit den Einsprachigen lockert sich. Gemäss Blocher

leidet der Zweisprachige oftmals an Selbstüberschätzung und lebt in schädlichen Täuschun-

gen, mithin sittlichen Gefahren. Heimisch in zwei Sprachen bedeutet das Spiel von zwei Rol-

len eine Art von Doppelleben. Nicht erstaunlich, dass das Heimatgefühl oder die aufgrund des

angestammten Volkstums hervorgebrachte Freude sich beim Zweisprachigen geschwächt

zeigen kann. „Er verhält sich ‚neutral’ gegen das, was andern ein hohes sittliches Gut bedeu-

tet, ist er doch immer auch noch anderswo zu Hause als da, wo er gerade ist. Kosmopolitische

Phrasen und internationale Gesinnungslosigkeit finden den Boden vorbereitet“ (ebd., S. 13).

Darauf, dass niemand mit Sicherheit die geistige und seelische Bedeutung von Mehrsprachig-

keit beurteilen kann, verweist zudem Wandruszka, kann es doch „Belastung oder Bereiche-

rung, Segen oder Fluch“ sein (Wandruszka, 1975, S. 343).

Blochers Entschluss, dass die Nachteile der Zweisprachigkeit gar deren Vorteile überwiegen,

scheint naheliegend: „ohne dringende Notwendigkeit soll Zweisprachigkeit nicht erzeugt oder

gefördert werden. Die Muttersprache gehört zur geistigen Heimat des Menschen“ (ebd., S.

14). Diese Ausführungen werden sich speziell angesichts der im empirischen Teil dargelegten

Ergebnisse als interessant erweisen.

Auch Uriel Weinreich betont, dass eine sprachliche Gemeinschaft nie als homogen und kaum

als in sich abgeschlossen charakterisiert werden kann. Dass sich sprachliche Veränderungen

wellenringartig über einen Sprachraum ausbreiten, wurde durch Wandruszka ebenfalls erläu-

tert. Die sprachliche Unterscheidung beginnt bereits bei sich selbst, im eigenen Zuhause. Das

Individuum kann deshalb als „Kampfplatz sich widerstrebender sprachlicher Schemata und

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Flavia Hobi

Masterarbeit 32

Gepflogenheiten und gleichzeitig eine permanente Quelle sprachlicher Interferenz“ (Wein-

reich, 1977, S. 9) beschrieben werden. Weinreich deutet somit – und vergleichbar mit dem

beschriebenen Doppelleben (vgl. Blocher, 1909) – auf die Gefahr der Definition von Zwei-

sprachigkeit als ein geteiltes sprachliches Gefühl der Zugehörigkeit. Mehr oder weniger wird

unsere Rede den Umständen angepasst, nach unterschiedlichen Gesprächspartnern eingerich-

tet. So ist geteilte Zugehörigkeit das, „was der einsprachigen Person bei Zweisprachigkeit als

erstaunlich, abnorm, ja nahezu unheimlich auffällt“ (Weinreich, 1977, S. 10).

Gemäss Solèr gilt grundsätzlich, dass von bilingualen Sprechern diejenige Sprache gewählt

wird, welche die Garantie des direkten Erfolgs mit sich bringt, wobei Begriffe wie der Identi-

tätsinhalt oder die Liebe gegenüber der Muttersprache auch zweitrangig erscheinen (vgl.

Solèr, 1997, S. 1882). Die monologischen Sprechfunktionen thematisiert insbesondere auch

Brohy. Konkreter geht es um Situationen, in welchen jemand zum selben Zeitpunkt sowohl

Sender wie auch Empfänger von sprachlichem Material ist. D.h., es werden Sprachwahl und

Sprachwechsel beschrieben, „in denen kein sichtbarer Partnerzwang, also kein Druck von

aussen kommt, und in denen die Sprache auch nicht die Funktion hat, einen Gruppenkonsens

oder Gruppenidentität zu schaffen“ (Brohy, 1982, S. 56). Bemerkenswert erscheint somit die

Beobachtung, welche Sprache der Zweisprachige in der sogenannten inneren Rede mit sich

selbst wählt, denn wird dem Prinzip des Partnerzwangs gefolgt, erweisen sich zwei Sprachen

als Möglichkeiten potentieller Art. „Fällt der Partnerzwang weg, so scheint die Wahl der

Sprache sich nach einem Situation- und Themenzwang zu richten“ (ebd., S. 59).

Nachvollziehend stellt es sich im Vergleich zum inneren Sprechen bei einem Denken, wel-

ches sich als spontan und unorganisiert charakterisiert herausforderungsvoller dar, die

Sprachwahl und deren Motiv herauszufinden. „Dem Material ist nur durch Introspektion bei-

zukommen, und das gestaltet sich äusserst schwierig, da sobald das Problembewusstsein da

ist, die Denksprache geändert werden kann“ (Brohy, 1982, S. 60). Brohy stellt sich folglich

die Frage, welchem System die innere Sprache eines Zweisprachigen folgt. Wie bei einer rea-

len Sprachsituation handelt es sich beim inneren Sprechen um die gleichen Mechanismen –

wenn auch imaginär, ist ein Gesprächspartner vorhanden. Dementsprechend kann als Adressat

auch – man nehme als Beispiel das Tagebuchschreiben – der denkende Mensch fungieren.

Infolgedessen erweist es sich als abhängig vom vorgestellten Gesprächspartner, wie die Ge-

dankensprache gewählt wird, wie auch vom Thema oder einer Situation, sprich die funkti-

onsmässige Verteilung der implizierten Sprachen (vgl. multiple Sprachidentität nach Kresic,

2006). Wie beim Träumen oder Rechnen kann gleichermassen wenig davon ausgegangen

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Masterarbeit 33

werden, „dass es nur eine Denksprache geben muss und dass diese mit der Erstsprache, der

‚Muttersprache’ oder der dominanten Sprache zusammenfällt“ (Brohy, 1982, S. 58).

4.2 Spracherleben Wenn wir beschreiben wollen, „wie sich Menschen selbst und durch die Augen anderer als

sprachlich Interagierende wahrnehmen“ (Busch, 2013, S. 19), sprechen wir vom Spracherle-

ben. Spracherleben zeichnet sich durch die Verbindung mit emotionalen Erfahrungen aus,

mithin inwiefern man sich in einer Sprache oder im Sprechen wohlfühlt oder eben nicht. Dies

ist grundsätzlich singulär, und die Entstehung situativ. Ein wichtiger Aspekt spielt das Ver-

hältnis von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Damit ist gemeint, dass eine sprachliche Anpas-

sung, welche erbracht wird, um von den anderen nicht als anders wahrgenommen zu werden,

dazu führt, dass man sich selbst als jemand anderes, als fremd wahrnimmt. Ein weiterer As-

pekt in Anbetracht von Spracherleben ist Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit (vgl. Kap.

4.1.2). „Das kann sowohl den Wunsch beinhalten, sich mittels Sprache mit einer Gruppe zu

identifizieren, als auch die Erfahrung, von anderen aufgrund von Sprache ungefragt mit einer

bestimmten Gruppe identifiziert zu werden“ (Busch, 2013, S. 19). Das Bewusstwerden über

das eigene Sprechen und die eigenen Sprachen bedeutet die Betrachtung einer Sprache oder

Sprechweise mit den Augen einer anderen, den Bezug aufeinander, kurzum die Entwicklung

von Sprachbewusstsein (vgl. ebd., S. 20). Für die Perspektivenbeschreibung des sprechenden

Subjekts, seiner intersubjektiven Einbettung sowie der diskursiven Konstruiertheit unter-

scheidet Busch im Zusammenhang mit dem sprachlichen Repertoire innerhalb einer leibli-

chen, emotionalen sowie historisch-politischen Dimension von Sprache (vgl. ebd., S. 30), was

nun genauer erläutert wird.

4.2.1 Leibliche, emotionale, historisch-politische Dimension

Erleben kann nur in den Blick genommen werden, „wenn ein Perspektivenwechsel vollzogen

wird: von der beobachtenden Aussenperspektive zur Subjektperspektive“ (Busch, 2013,

S. 23). Hier kann auch der Bezug zu Bourdieu erfolgen, welcher mit dem Begriff des sprach-

lichen Habitus erläutert, „dass sprachliche Dispositionen in den Körper eingeschrieben sind,

ihm gewissermassen anhaften“ (Busch, 2013, S. 24; vgl. Bourdieu 1993; 2005). Denn etwas

in dem Sinne richtig zu sagen, die sprachliche Wahl, erfolgt gemäss Bourdieu unbewusst so-

wie ohne den Zwang anlässlich von Dispositionen, welche ihre Vermittlung nicht über das

Bewusstsein finden, sondern über das Alltagsleben charakterisierende Praktiken, begleitet von

Sanktionen wie beispielsweise vorwurfsvollen Mienen oder Blicken der Missbilligung (vgl.

Busch, 2013, S. 24; vgl. Bourdieu, 1993; vgl. Schlobinski, 2014). Das sprachliche Repertoire

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Masterarbeit 34

verändert und passt sich im Laufe des Lebens ständig an, jedoch ist es weder beliebig noch

austauschbar. Vielmehr erweist es sich als dem leiblichen Subjekt angehaftet, als einverleibt.

Bezüglich der leiblichen Komponente von Spracherleben und Sprachrepertoire ist auch der

Aspekt des Fremden interessant, so beschreibt Busch eine sich Schriftdeutsch sprechend hö-

rende Schülerin, welche glaubt, „nicht in ihrem Leib zu sein und mit ihrem Leib zu sprechen,

sondern in eine fremde Rolle, einen fremden Leib zu schlüpfen“ (vgl. Busch, 2013, S. 24).

Dass auch im Sprechen Emotionalisierung hervorgerufen resp. zum Ausdruck gebracht wird,

begründet die emotionale Dimension. Prozesse emotionaler Art können sich auf allen Ebenen

der Sprachproduktion wie auch der Sprachrezeption wirksam zeigen (ebd., S. 25). Von Be-

deutung ist der Begriff der Scham, was im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit in Biogra-

fien oft erwähnt wird. Ein Schamgefühl, ausgelöst durch das Erwischen eines „falschen“

Wortes oder Tones oder mit einem Akzent sprechend, was als deplatziert empfunden wird.

„Beschrieben wird dieses Gefühl oft als ein In-den-Boden-versinken-Wollen oder ein Alle-

Blicke-auf-sich-gerichtet-Spüren, es resultiert in einer Lähmung, die die eigene Handlungs-

möglichkeit jäh unterbricht“ (ebd., S. 26). Was folgt, ist ein Schämen für die

Normübertretung, der Missachtung eines Standards, eines Ideals; durch das zu Eigen machen

der Normen schämt man sich vor sich selbst oder vor anderen. Interessant erweist sich dabei

der Perspektivenwechsel, worauf die Enstehung des Schamgefühls beruht. Denn von der in

eine Handlung verstrickten Person erfolgt die Aussensicht auf sich selbst, ihre Handlung

erscheint in einem anderen Licht, „nämlich als Normübertretung. Dieser Perspektivenwechsel

kann im Zusammenhang mit Sprache beispielsweise dadurch ausgelöst werden, dass man

Anzeichen von Irritation beim Gegenüber bemerkt“ (Busch, 2013, S. 27; vgl. Kap. 2.3-2.5).

Hinsichtlich des Spracherlebens zeigt sich die Äusserung darin, dass die Minderheitenspra-

che, welche in der Öffentlichkeit mit einem geringeren Prestige ausgestattet ist, nicht mehr

gesprochen, aufgegeben oder das öffentliche Sprechen, unabhängig in welcher Sprache, ver-

mieden wird. Resultierend daraus können Gefühlsübergänge entstehen, zum Beispiel von

Scham zu Angst oder zu Zorn (vgl. ebd., S. 27).

Somit wird deutlich, dass sowohl soziale wie politische Machtkonstellationen anhand von

Sprachideologien und Diskursen über Sprache bzw. den richtigen Gebrauch produziert resp.

reproduziert werden (vgl. u.a. Kap. 3, Kap. 4.1.2). Hinsichtlich der Wirksamkeit von solchen

Mechanismen ist entscheidend, dass jene nicht nur von aussen auf die Individuen einwirken,

sondern bei diesen Verinnerlichung finden, „sodass die Unterordnung unter Vorstellungen,

wie die Welt beschaffen ist und wie Kategorien des Denkens und Fühlens gebildet werden,

quasi freiwillig erfolgt“ (Busch, 2013, S. 26). Es ist offensichtlich, dass man ohne Kategori-

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Masterarbeit 35

sierungen nicht auskommt. Erfolgt beispielsweise ein Anruf von einer unbekannten Person,

werden unwillkürlich Kategorisierungen wie etwa Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildung, sozi-

aler Status und Stimmung vorgenommen (vgl. Kap. 2.3-2.5). Unbewusst beeinflusst diese

Identifizierung dann die eigene Sprachwahl. Angesichts der Kategorienbildung gilt es wiede-

rum, die Verbindung mit Macht zu betrachten. Die Konstituierung von Kategorien erfolgt

durch den Ausschluss von Anderem, das ausgeschlossene Andere erweist sich für sie somit

als konstitutiv.

„Die Kategorie Mehrheitssprache zum Beispiel wird dadurch gebildet, dass Aus-schlussmerkmale dafür festgelegt werden, was nicht der Kategorie Mehrheits-sprache, sondern jener einer Minderheitensprache zuzurechnen ist. Das Vorhan-densein der Kategorie Minderheitensprache ist also konstitutiv für die Kategorie Mehrheitssprache“ (Busch, 2013, S. 28).

Sprachideologien werden demnach über Zugehörigkeiten – sei dies zum Beispiel sozial, eth-

nisch oder national betrachtet – konstruiert. Bezüglich des sprachlichen Repertoires bedeutet

dies, dass die Wahrnehmung von einschränkender Macht sprachlicher Kategorien insbesonde-

re dann erfolgt, wenn die Selbstanerkennung oder die Anerkennung von anderen als legitime

Sprecher_in einer Sprache nicht erfolgt und das Beherrschen einer Sprache keine Selbstver-

ständlichkeit bedeutet. Als Beispiel kann hier Migration genannt werden, das Wechseln einer

sprachlichen Umgebung, das Eintreten in einen sozialen Raum, in welchem andere sprachli-

che Praktiken vorherrschen als die Gewohnten und ein anderes Sprachregime gilt (vgl. ebd.,

S. 29; vgl. Kap. 4.1.2).

4.2.2 Chronotopos und Heteroglossie

Es wurde zum Ausdruck gebracht, dass sich das Persönlich-Biografische mit dem Historisch-

Politischen im sprachlichen Repertoire verschränkt. In diesem Zusammenhang soll der Be-

griff des Chronotopos in Anlehnung an Michail Bachtin erörtert werden. „Chronotopos“,

übersetzt „Raumzeit“ (vgl. Bachtin, 2008, S. 7), wird von Bachtin beschrieben als die Ver-

schmelzung von räumlichen und zeitlichen Merkmalen zu einem Ganzen, das sowohl sinnvoll

als auch konkret ist. Es handelt sich um eine Verdichtung der Zeit, welche sich zusammen-

zieht und auf künstlerische Weise sichtbar zeigt. Für den Raum bedeutet dies eine Gewinnung

an Intensität, „er wird in die Bewegung der Zeit, des Sujets, der Geschichte hineingezogen.

Die Merkmale der Zeit offenbaren sich im Raum, und der Raum wird von der Zeit mit Sinn

erfülllt und dimensioniert“ (ebd., S. 7).

Das gleichzeitige Auftreten verschiedener Räume und Zeiten innerhalb der Sprache kann

auch auf das sprachliche Repertoire übertragen werden. Denn so geschieht die Positionierung

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Masterarbeit 36

mit einer sich im Hier und Jetzt ereignenden sprachlichen Handlung nicht nur gegenüber prä-

senten Partner_innen und Kontexten der Interaktion, sondern ebenso „gegenüber Anwesen-

dem, das im Hintergrund mitläuft oder mitschwingt und dadurch, gewollt oder ungewollt, mit

anwesend ist: relevante Andere, andere Räume und Zeiten, an denen wir uns orientieren“

(Busch, 2013, S. 30).

Chronotopoi charakterisieren sich durch Koexistenz, Verflechtung und Gegenüberstellung, sie

schliessen sich aneinander an, lösen sich ab oder stehen zueinander in komplizierten Wech-

selbeziehungen (vgl. Bachtin, 2008, S. 190). Dies gilt auch für verschiedene Sprachen und

Sprechweisen, welche somit in der einen oder anderen Form immer da sind (vgl. Busch, 2013,

S. 31). Der Charakter dieser Wechselbeziehungen lässt sich als dialogisch bezeichnen (vgl.

Bachtin, 2008, S. 190). Zweifelsohne gestalten sie sich jedoch als Einmischung in das Hier

und Jetzt. Dabei zu beachten gilt es demnach die vor einem Subjekt stehende Wahlmöglich-

keit, welche nicht nur begrenzt wird durch grammatikalische Regeln sowie das Wissen um

soziale Konventionen. Denn es können beispielsweise „bestimmte Sprachen, Codes oder

Sprechweisen so mit emotionalen oder sprachideologischen Konnotationen besetzt sein, dass

sie in bestimmten Momenten nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen“ (Busch,

2013, S. 31; vgl. Wandruszka, 1979). Folglich wird das Repertoire nicht nur anhand dessen

bestimmt, worüber ein sprechendes Individuum verfügt, sondern teilweise auch eben gerade

dadurch, was nicht verfügbar ist, was sich in einer entsprechenden Situation als leer, bedro-

hend oder begehrend bemerkbar machen kann (ebd., S. 31).

Daher kann das sprachliche Repertoire als heteroglossischer Möglichkeitsraum verstanden

werden. „Heteroglossie bezeichnet die vielschichtige und facettenreiche Differenzierung, die

lebendiger Sprache innewohnt“ (Busch, 2013, S. 11). Denn grundsätzlich zeigt sich Sprache

als eine „lebendige sozioideologische Konkretheit, als in der Rede differenzierte Meinung für

das individuelle Bewusstsein auf der Grenze zwischen dem Eigenen und dem Fremden“

(Bachtin, 1979, S. 185). Sobald der Sprecher sich das Wort aneignet, mit seinem Akzent, sei-

ner Intention besetzt, wird es zum eigenen (vgl. ebd., S. 185). Im sprachlichen Repertoire er-

folgt die Spiegelung des synchronen Nebeneinanders unterschiedlicher sozialer Räume, an

welchen die Sprecherinnen und Sprecher teilhaben. Zusätzlich wird auf diachron unterschied-

liche Zeitebenen verwiesen: „nicht nur nach rückwärts auf versunkene Zeiträume, in denen es

sich konstituiert und umgeformt hat, sondern auch antizipierend und projektiv nach vorne –

auf das, was bevorsteht und worauf man sich einstellt“ (Busch, 2013, S. 31). Auch Bachtin

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Masterarbeit 37

betont die Konfrontation des Individuums nicht nur mit einer, sondern mit mehreren Spra-

chen, „doch ist der Platz jeder dieser Sprachen festgelegt und unstrittig, das Übergehen von

der einen in die andere ist vorherbestimmt und geschieht unbewusst, wie der Gang von einem

Zimmer ins andere“ (Bachtin, 1979, S. 187), was mit der mittels Kresic beschriebenen Dyna-

mik verglichen werden dürfte (vgl. Kap. 2.5).

Sprachentwicklung hört nicht auf mit der Kindheit. So unterliegt das sprachliche Repertoire,

entsprechend den Bedürfnissen der Sprecherinnen und Sprecher sowie ihren Lebenswelten,

einem andauernden Wandel (vgl. Busch, 2013, S. 61). In jedem Moment des soziologischen

Lebens koexistieren Sprachen unterschiedlicher Epochen und Perioden (vgl. Bachtin, 1979,

S. 182, vgl. Kap. 2.3-2.5). Insofern kann jedes Sprachregime gedacht werden als ein Chronot-

opos, welcher mit anderen Zeiten und Räumen verknüpft ist, sozusagen als eine eigene sozio-

ideologische und sprachliche Welt, von anderen unterscheidbar, „aber – weil sie dialogisch

mit anderen Zeiten und Räumen verbunden ist – in sich wiederum heteroglossisch ist, ge-

kennzeichnet durch die Pluralität von sprachlichen Praktiken, Diskursen und Stimmen“

(Busch, 2013, S. 139) – wobei wiederum auf die vorherigen Kapitel verwiesen werden kann.

Zweifelsohne besteht folglich zwischen Sprachverfall und sozialem Eingebundensein eine

enge Wechselwirkung. So führt eine geringe Partizipation zu Sprachverfall, der Sprachverfall

wiederum zu einer Minderung der Partizipation. Die Perspektive von Sprecherinnen und

Sprechern betrachtend lässt sich feststellen, „dass auch im Alter das Spracherleben in seinen

körperlichen, emotionalen und sozialen Dimensionen eine zentrale Bedeutung dafür hat, ob

Mehrsprachigkeit als Ressource wahrgenommen werden kann“ (ebd., S. 63). Wie Individuen

sich als selbst sprechende Subjekte wahrnehmen, kann sich speziell von besonderen Momen-

ten geprägt zeigen, „in denen sie die definitorische Macht politischer Kategorisierungen er-

fahren haben, Momente, in denen sie sich selbst als von diskursiven Konstruktionen der Zu-

gehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit fremdbestimmt erlebt haben“ (Busch, 2013, S. 79; vgl.

Kap. 2.3-2.5; vgl. Kap. 4.1.2). Mit Bezug zum Chronotopischen gilt also, wenn von einer zeit-

räumlichen, chronotopischen Schichtung des sprachlichen Repertoires die Rede ist, das Be-

wusstsein, dass jede Zeit wie auch jeder Raum, in welchem sich Spracherleben vollzieht,

nebst mit Diskursen auch mit Machtformen verknüpft ist (ebd., S. 79; vgl. Kap. 3).

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Masterarbeit 38

4.3 Kultur Zweifelsohne erweist sich im Zusammenhang mit Identität und Sprache der Begriff der Kul-

tur10 als äusserst grundlegend, wie er von Ulrich Schoen beschrieben wird. Aufgrund der Tat-

sache, dass der Begriff jedoch nicht Ausgangspunkt der Forschungsfrage bildet, wird die fol-

gende Ausführung kurz gehalten. Zur Kultur gehört nebst „Lebensstil, die Ess- und Wohnkul-

tur, die Art, Feld und Garten zu kultivieren, und die Weise, Krankheiten zu kurieren, die Bil-

dung, die Erinnerung an das gemeinsam Erlebte (d.h. die gemeinsame Geschichte)“ (Schoen,

1996, S. 22) insbesondere die Sprache. Berechtigterweise geht Schoen der Frage nach, wie

Zweisprachigkeit und Identität zusammenpassen oder ob sich der Mensch – um Halt zu haben

– nicht eines Bewusstseins bedarf, wohin er eigentlich gehört (vgl. ebd., S. 23). Die eigene

Sprache ist laut Schoen die eigene Heimat, das eigene Haus, welches man bewohnt. Dies

bleibt so, auch wenn es eine Weile verlassen wird, eine Einmietung anderswo stattfindet, man

sich sich für andere Sprachen begeistert, gar in einer anderen Sprache träumt. „Wenn ich aber

zurückkehre in meine Sprache, wenn ich mein Sprachhaus wieder bewohne, dann ist meine

Sprache wieder mein Eigenheim“ (vgl. Schoen, 1996, S. 67). In diesem Eigenheim herrscht

ein Gefühl der Geborgenheit. Für die Dinge, welche einen umgeben, braucht es keine An-

strengung, um sie richtig zu bezeichnen. Probleme werden korrekt ausgedrückt. Man versteht

und wird verstanden, da man sagen kann, was man sagen will (vgl. ebd., S. 67). Das Zuhause

erweist sich als sicher, da ein richtiger Zusammenhang hergestellt werden kann innerhalb von

dem, was in einem drin ist und dem sich Umgebenden, „zwischen dem, was mir bekannt ist,

und dem Unbekannten; zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Was ich bin und denke und

was ich sage, gehen mühelos zusammen“ (ebd., S. 68). Wie Blocher (1909) oder Kresic

(2013) weist auch Schoen darauf hin, dass es umso leichter fällt, von einem Sprachsystem auf

das andere umzuschalten, je früher Zweisprachigkeit einsetzt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass

der Zweitspracherwerb nicht zu einem anderen Lebenszeitpunkt möglich wäre: „er ist dann

nur mit mehr Entschlusskraft, grösserem Lehrmitteleinsatz und unaufhörlichem Gebrauch der

neuen Sprache verbunden“ (Schoen, 1996, S. 108; vgl. Blocher, 1909). Ebenso existieren alle

möglichen Übergänge innerhalb den von Haus aus Zweisprachigen und jenen, welche es ge-

worden sind aufgrund des Dazuerwerbens einer zweiten Heimatsprache (vgl. ebd., S. 108;

vgl. Kap. 2-3-2.5; vgl. Kap. 4.1.2). Auch tief Sitzendes wie Träume (mit Verweis auf Brohy,

10 Ergänzend zum Kulturbegriff die Definition: „Unter Kultur versteht man – ganz allgemein – die erlernten oder sonstwie angeeigneten, über Nachahmung und Unterweisung tradierten, strukturierten und regelmässigen, sozial verbreiteten und geteilten Gewohnheiten, Lebensweisen, Regeln, Symbolisierungen, Wert- und Wissensbestände der Akteure eines Kollektivs, einschliesslich der Arten des Denkens, Empfindens und Handelns. Auch die Relik-te deses Handelns gehören dazu, wie der Kölner Dom, Max und Moritz, Messer und Gabel oder das White Horse von Uffington“ (Esser, 2001, S. IX).

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Masterarbeit 39

1982) oder Gebete können oftmals in einer dazuerworbenen Zweitsprache geschehen. „Die

Muttersprache jedenfalls – sei es nun eine Sprache oder seien es zwei Sprachen – sitzt tief

drinnen im Menschen“ (Blocher, 1996, S. 109).

Zweifelsohne erweist sich ein Leben, welches sich durch mehr als eine Sprache auszeichnet,

als emotionsgeladen. So zeigen sich aufgrund von schönen Einflüssen wie auch hässlichen

Zwängen der Sprachverbindungen Reaktionen wie Lust und Unlust, Glück und Hass, Ver-

weigerung und Eroberung (vgl. Schoen, 1996, S. 14; vgl. Blocher, 1909; vgl. Busch, 2013).

Für die Zweisprachigen, deren Sprache auf dem Bein des tieferen Niveaus steht, ist insbeson-

dere die Tatsache empörend, „dass die auf dem höheren Niveau nicht auf die Idee kommen,

die Sprache des tieferen Niveaus zu lernen“ (Schoen, 1996, S. 118). Demnach beweist auch

Schoen, dass es im Kontext von Identität und Sprache(n) immer wieder auch um Anpassung

und Widerstand geht:

„Wenn ich mir überlege, wie aus diesen Bereichen, die mein Leben ausmachen, etwas Neues entstanden ist, nämlich ich selber und meine eigene Welt, dann be-greife ich, dass mein Michherumtreiben in mehreren Sprachen nicht unbedingt zu einer Ansammlung von heimatlos treibenden Trümmern macht, sondern dass ein Schiff daraus werden kann, allerdings nur unter gewissen Bedingungen, die kultiviert werden müssen“ (ebd., S. 120).

4.4 Zwischenfazit Sprachen existieren in einer grossen Vielfalt. Durch unterschiedlichste Formen oder Gestalten

der Sprache stiften sich Ausdruckbeziehungen. Sprache ermöglicht den Menschen somit im-

mer auch Formen der Reflexion und des Selbstbewusstseins. Jede Sprache erweist sich als

Mischsprache, in welcher Notwendigkeit aber auch Zufall enthalten sind, was Sprache zu

einem schöpferischen Spiel werden lässt oder zur Übersetzung, wie das Bewusstsein in Worte

übersetzt wird. Die Mehrsprachigkeit zeigt sich als dauernder Vorgang. Ebenfalls lässt eine

der einzelnen Individuen entsprechende Mehrsprachigkeit die Existenz von ungemeiner Viel-

sprachigkeit deutlich werden. Insbesondere wenn der Spracherwerb nicht freiwillig ist, kann

er als bedrohend für die eigene Identität empfunden werden. Der freiwillige Spracherwerb

hingegen wird eher als Bereicherung für die eigene Identitätsgestaltung erfahren. Die für die-

se Forschungsarbeit befragten Lehrpersonen erweisen sich alle in dem Sinne als zweisprachig,

da sie sowohl Deutsch wie auch Rätoromanisch sozusagen einwandfrei beherrschen, was auch

funktionsbedingt ist. Interessant erscheint Blochers Ansicht, dass die Nachteile von Zweispra-

chigkeit gegenüber den Vorteilen gar überwiegen. Liegen seine Begründungen jedoch viele

Jahre zurück, darf wohl eher auf Schlobinski Bezug genommen werden, welcher angesichts

der globalisierten Welt die Zweisprachigkeit als vorteilhaft nennt. Zweisprachigkeit könnte

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Flavia Hobi

Masterarbeit 40

auch mit einem Gefühl von geteilter Zugehörigkeit einhergehen. In diesem Fall kann es her-

ausfordernd sein, die eigene Denksprache zu bestimmen, wobei auch ein Prinzip des Part-

nerzwangs oder des Situations- resp. Themenzwangs erkennbar wird.

Selbst- sowie Fremdwahrnehmung oder auch Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit sind

wichtige Aspekte in Bezug auf das Spracherleben. Dabei kann innerhalb verschiedener Di-

mensionen unterschieden werden wie der leiblichen, emotionalen sowie historisch-

politischen. Das sprachliche Repertoire unterliegt einer lebenslänglichen Veränderung und

Anpassung, ohne jedoch austauschbar zu sein. Die Konstruktion von Sprachideologien erfolgt

über Zugehörigkeiten (z.B. sozial, national), was auch die Machtkonstellationen, welche

durch Diskurse (re)produziert werden, sichtbar macht. Damit Kategorien konstituiert werden,

braucht es den Ausschluss von anderen Kategorien, was somit die Entstehung von Kategorien

wie Mehr- und Minderheitensprachen begründet. Da auch in der Sprache unterschiedliche

Räume und Zeiten zur selben Zeit auftreten, lässt sich Bachtins Konzept des Chronotopos auf

das sprachliche Repertoire, welches sich ebenso durch eine vielfältige Differenzierung, die

Heteroglossie, charakterisiert, übertragen. Das situative und singuläre Spracherleben zeigt

sich nebst einer Verknüpfung mit Zeit und Raum somit immer auch geprägt von Formen der

Macht. Sei es die Mehrsprachigkeit, Zweisprachigkeit oder Spracherleben allgemein themati-

sierend geht dies immer auch einher mit Kultur und damit möglicherweise verbundenen

Übergängen angesichts der Sprachverwendung. Für Zweisprachige scheint der Spagat zwi-

schen dem Eigenen und dem Fremden herausforderungsvoller und emotionsgeladen, die da-

mit verbundenen Entscheidungen sind letztlich dezisiv für die Konstruktion der Identitäten

und deren Teile sowie der Sprachverwendung in den jeweiligen Bereichen (vgl. Kap. 2.3-2.5).

Diese Aussagen sind bedeutend in Anbetracht der vorliegenden Forschungsarbeit und dem

Fakt, dass es sich beim Rätoromanischen um eine Minderheitensprache handelt. In diesem

Sinne soll auf das als Hintergrund dienende Kapitel zur Sprachpolitik des Rätoromanischen,

die Situation angesichts des sich vordringenden Deutschen sowie den zweisprachigen Schulen

als daraus resultierender Reaktion übergeleitet werden.

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Masterarbeit 41

5. Hintergrund: Zur Sprachpolitik des Rätoromanischen Der soziale Stellenwert oder auch ihre Art der Verwendung bestimmt den Status einer Spra-

che (vgl. Solèr, 1997, S. 1881). Das Rätoromanische war bis um 1850 keine Minderheits-,

sondern die Mehrheitssprache Graubündens (vgl. Lia Rumantscha, 2015, S. 28). In der Bünd-

ner Gesellschaft gilt das Bewusstsein über die Existenz einer Hierarchie innerhalb der drei

Sprachen Deutsch, Italienisch und Rätoromanisch als allgemein verbreitet, „und dass sich das

Verhältnis zwischen ihnen zu Ungunsten der Minderheitensprachen, vor allem des Rätoroma-

nischen, verändert“ (Grünert, 2008, S. 2). Das Deutsche gilt als sicherstes Kommunikations-

mittel und auch „dort, wo die Sprache am stärksten ist, kann ein Fremdsprachiger durchaus

ohne Romanisch leben – wenn er des Deutschen mächtig ist“ (Furer, 2005, S. 21). Die ge-

genwärtige Sprachsituation der Rätoroman_innen erweist sich als eine Entwicklung von viel-

fältigen geographischen, wirtschaftlichen, politischen, aber auch geschichtlichen, religiösen

und psychologischen Begebenheiten (vgl. Cathomas, 2005, S.139), was im Folgenden aus-

führlicher skizziert werden soll.

5.1 Stetige Regression und ihre Folgen Das Stammland der Rätoroman_innen befindet sich im alpinen Ostteil der Schweiz im Kanton

Graubünden. Zum gegenwärtigen durch extreme Peripherisierung und Minorisierung gepräg-

ten Zustand der Rätoroman_innen kam es aufgrund eines rund 1’500 Jahre andauernden und

grossräumig erfolgten Schrumpfungsprozess (vgl. Cathomas, 2005, S. 136). Innerhalb der

Schweiz können die Rätoroman_innen, konkreter genannt die Bündnerromanen, als Kleinst-

Minderheit betrachtet werden. So waren es bezogen auf die gesamtschweizerische Bevölke-

rung gemäss der letzten Volkszählung (Jahr 2000) mit 60’000 Sprecher_innen nicht einmal

mehr ein Prozent (vgl. ebd., S. 136f.). Wenn man sich lediglich auf den Kanton Graubünden

bezieht, haben bei der Volkszählung im Jahr 2000 14.5% das Rätoromanische als Hauptspra-

che angegeben. Gut zwei Drittel der Bündner Bevölkerung bezeichneten Deutsch als ihre

Hauptsprache11, 10,2% das Italienische und die übrigen 7% bezogen sich auf andere Sprachen

(vgl. Grünert, 2008, S. 25). Bezüglich der Entwicklung der Anzahl Sprechender, wobei die

Muttersprache bzw. Hauptsprache gemeint ist, wird konstatiert, dass sich diese sozusagen als

stetig rückläufig charakterisieren lässt, „was sich – da die Bevölkerung in der Mehrzahl der

Fälle wächst – in einer noch stärker negativen Entwicklung des Anteils des Rätoromanischen

niederschlägt“ (ebd., S. 43).

11 „D.h. als die Sprache, in der sie denken und die sie am besten beherrschen“ (Grünert, 2008, S. 25).

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Masterarbeit 42

Ein Schwall von sich negativ auf die Entwicklung der rätoromanischen Sprache und Kultur

auswirkenden Veränderungen ereignete sich vor allem im 19. Jahrhundert. Galt Rätoroma-

nisch noch bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts als meist gesprochene Sprache des Kantons,

änderte sich dies aufgrund mehrerer Faktoren wie beispielsweise einer Verschiebung des von

der Landwirtschaft ausgehenden Haupterwerbszweigs hin zum Sektor der Dienstleistung oder

der Abwanderung vieler Rätoroman_innen in die sich in der deutschen Schweiz befindenden

Industrie- und Verwaltungszentren. Weitere Faktoren bildete die verkehrstechnische Er-

schliessung der Alpentäler, wirtschaftliche Neuerungen und allgemeine Mobilität, welche

eine starke Durchmischung der Rätoroman_innen mit Anderssprachigen mit sich brachte (vgl.

Cathomas, 2005, S. 142). Weiter zu erwähnen ist das Fehlen eines sprachlich-kulturellen

Zentrums. Auch ein gleichsprachiges Hinterland, wie es bei den deutsch-, französisch- oder

italienischsprachigen schweizerischen Kulturen der Fall ist, wäre unterstützend. Ebenso könn-

ten die deutschsprachigen Massenmedien, von welchen die rätoromanischen Sprachgebiete

überflutet werden, für diesen Rückgang beschleunigend sein. Nicht zuletzt bedeutend ist die

Zersplitterung der rätoromanischen Sprache in mehrere Schriftidiome (vgl. ebd., S. 143). So

wird auch von Solèr darauf hingewiesen, dass das Rätoromanische nicht als Einzelsprache

exisitiert. Vielmehr wird ein Oberbegriff repräsentiert, der für eine Anzahl Ortsdialekte steht,

„die ihrerseits von fünf Schriftidiomen12 überdacht sind. Dazu kommt seit 1982 das Rum-

antsch grischun (rg) als Kompromissschriftsprache“ (Solèr, 1997, S. 1881). Da sich die Idio-

me hinsichtlich Morphosyntax, Syntax und Lexik trotz grundlegender linguistischer Ähnlich-

keit voneinander unterscheiden, kann dies angesichts einer spontanen gegenseitigen Verstän-

digung hindernd wirken (vgl. ebd., S. 1884).

Aufgrund der Industrialisierung und dem aufkommenden Tourismus betrachteten folglich

immer mehr Leute das Rätoromanische als bremsend für den Fortschritt. Dementsprechend

„geriet es, vor allem im 19. Jahrhundert, in den Ruf, es sei von geringem Nutzen bzw. fast nur

im privaten Bereich und in der traditionellen – notabene bäuerlichen – Welt zu gebrauchen“

(Cathomas, 2005, S. 152). Rätoromanisch, versehen mit einem Stigma des Rückständigen,

wurde mit abschätzigen Bezeichnungen wie „Kuhstallitalienisch“ oder „Bauernlatein“ gehaf-

tet in seinem Wert herabgesetzt (vgl. ebd., S. 152; vgl. Solèr, 1997, S. 1881).

Infolgedessen kam es über die Jahrhunderte hinweg zu einer Anpassung der Rätoro-

man_innen an die deutsche Sprache. Mittlerweile ist diese Anpassung so weit fortgeschritten,

dass sich die heutigen Rätoroman_innen mehr oder weniger als bilingual

(Deutsch/Rätoromanisch) bezeichnen lassen (vgl. Cathomas, 2005, S. 153). Mit Bezug zur

12 Die fünf Schriftidiome sind Sursilvan, Sutsilvan, Surmiran, Puter, Vallader (vgl. Solèr, 1997, S. 1881).

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Masterarbeit 43

gesellschaftlichen und individuellen Ebene (vgl. Oppenrieder & Thurmair, 2013) dürften die

Rätoroman_innen die einzige autochthone Bevölkerungsgruppe der Schweiz darstellen, wel-

che zweisprachig ist (vgl. Cathomas, 2005, S. 138). Das Zusammentreffen von individueller

und gesellschaftlicher Zweisprachigkeit zeigt sich als bedeutendes Kennzeichen sprachlicher

Minderheiten. Denn handelt es sich um die Einbettung einer kleinen Sprachgruppe in eine

geographisch, wirtschaftlich oder organisatorisch betrachtet grössere Sprachgruppe und um-

fasst die Sprache nicht alle Bereiche, bedeutet dies Mehrsprachigkeit als Folge für alle Mit-

glieder (vgl. Cathomas, 2005, S. 149). Sprachliche Minderheiten zeichnen sich demnach

dadurch aus, dass sie als „quantitativ in einem zumeist administrativ gegebenen grösseren

Bezugsraum statistisch unterlegene Sprachgruppen“ (ebd., S. 35) existieren und in einem auf

ethnischer, sprachlicher, religiöser oder kultureller Ebene vorhandenen Kontrast stehen zu

einer aktuellen Majorität. Auch von aussen werden sprachliche Minderheiten als eigene Eth-

nie betrachtet; angesichts des eigenen Identitätsbewusstseins definieren sie sich auch so. Be-

zogen auf Machtausübung sind sprachliche Minderheiten demnach die nicht dominierenden

Bevölkerungsgruppen, einem sprachlich-kulturellen Assimilationsdruck unterlegen sowie „als

Sprachgruppe wie als Individuuen zwei- oder mehrsprachig“ (ebd., S. 35; vgl. Kap. 4.1.3). So

betrachten sich die Rätoromanischsprachigen (aber auch Italienischsprachige im Kanton

Graubünden) als gegenüber den Deutschsprachigen wegen ihrer Sprache auf wirtschaftlicher

Ebene benachteiligt, „sozial ohne Prestige, weil sie eine Verständigungssprache lernen muss-

ten“ und stigmatisiert oder verspottet aufgrund der speziellen Aussprache im Deutschen (vgl.

Solèr, 1997, S. 1880).

Bedeutend für das Rätoromanische erweist sich der Gebrauch der Sprache innerhalb der Fa-

milie. Dies auch in Unabhängigkeit davon, wie präsent die Sprache sonst im Ort ist. Bezüg-

lich der innerfamiliären Reproduktion des Rätoromanischen erfolgt jene insbesondere dann,

„wenn beide Elternteile rätoromanischsprachig sind. Ist nur ein Elternteil rätoromanischspra-

chig, wird die Sprache vor allem dann weitergegeben, wenn die Familie in einem stärker räto-

romanischen Ort lebt“ (Grünert, 2008, S. 388). Hinsichtlich des Assimilationsdrucks sowie

einer Bereitschaft zur Anpassung variiert dies je nach dem, wie präsent das Rätoromanische

im entsprechenden Ort ist. Die individuelle Ebene und gemischtsprachige Partnerschaften

bzw. Familien betrachtend kann konstatiert werden, dass sich der/die rätoromanischsprachige

Partner_in bzw. Elternteil in stärker deutschsprachigen Orten auch eher anpasst. An Orten, wo

das Rätoromanische starke Präsenz aufweist, kommt es aufgrund des Zusammenhangs mit der

Ortsintegration vermehrt zur Anpassung der Nicht-Rätoromanischsprachigen. Hinsichtlich

zukünftiger Prognosen für das Rätoromanische ist naheliegend, dass sich jene im Kontext der

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Masterarbeit 44

Sprachpräsenz im jeweiligen Ort zeigen. „Je mehr Lebensbereiche das Rätoromanische be-

setzt, desto positiver werden die Zukunftsaussichten eingeschätzt“ (ebd., S. 389; vgl. multiple

Sprachidentität nach Kresic, 2006).

Die Zweisprachigkeit der Rätoroman_innen, welche somit faktisch eine Realität darstellt, darf

sowohl bedauert wie auch als Chance betrachtet werden. Denn die daraus entstehende Prob-

lematik für die rätoromanische Sprache scheint durchaus nachvollziehbar. Wenn die rätoro-

manische Bevölkerung dem Deutschen, vor allem dem Dialekt13 mächtig ist, ist es auch we-

niger notwendig, im Austausch mit ihnen das Rätoromanische zu verwenden. Je geringer sich

das Anzeichen erweist, dass Individuen anderssprachig sind, umso weniger ist man sich der

Tatsache bewusst, es mit Trägern einer anderen Sprache tun zu haben. Sie werden sozusagen

als deutschsprachig behandelt, was vergessen lässt, dass Deutsch die Zweitsprache dieser Rä-

toroman_innen ist. Somit bedeutet das für die Rätoroman_innen deren Beherrschung des

Deutschen wie Deutschsprachige und dies im eigenen Sprachgebiet. Für Deutschsprachige

existieren dementsprechend in Romanischbünden weder territorial noch individuell betrachtet

Sprachbarrieren (vgl. ebd., S. 154; vgl. Kap. 4.3.1). In dieser ganzen Thematik von Bedeutung

sind die Schulen, wie es im Folgenden sowie aufgrund des ausgesuchten Samples und der

zweisprachigen Schule als gemeinsamen Arbeitsort verdeutlicht wird.

5.2 Zweisprachige Schulen im Kanton Graubünden Auch Bourdieu (vgl. Kap. 3) verweist mit seinem Konzept des sprachlichen Marktes auf die

Besonderheit des schulischen Feldes und den Machteinfluss der Lehrperson. Als vorausset-

zend für die innerhalb einer pädagogischen Autoritätssituation stattfindenden Kommunikation

sind nebst der legitimen Sprache legitime Sender, legitime Empfänger wie auch die legitime

Situation (vgl. Bourdieu, 1993, S. 99). Es gilt, sich bewusst zu sein, dass die auf den schuli-

schen Markt kommenden Schülerinnen und Schüler14 begleitet sind von einer Antizipation

hinsichtlich der Gewinnchancen resp. der Abschlüsse, welche für einen gewissen Typ Spra-

che in Aussicht gestellt werden. Bourdieu beschreibt den Lehrer als Jugendrichter, welcher

bezüglich der Sprache über das Korrektur- und Benotungsrecht seiner Schüler verfügt (vgl.

ebd., S. 95). Werden Benotung oder Korrektur vom Lehrer abgelehnt, gefährdet er damit

möglicherweise die auf dem ökonomischen Markt vorhandenen Chancen seiner Schülerinnen

und Schüler (vgl. ebd., S. 101), was den Einfluss der Lehrperson besonders deutlich werden

lässt. „Der Lehrer ist frei, die Rolle des ‚Herrn über das Sprechen’ abzulegen, der nicht nur

13 Womit das Schweizerdeutsche gemeint ist. 14 Zur Abkürzung von „Schülerinnen und Schüler“ wird teilweise „SuS“ verwendet.

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Masterarbeit 45

bei sich, sondern auch bei seinen Gesprächspartnern einen bestimmten Typ von Sprache her-

vorbringt“ (ebd., S. 96), was vor allem auch für diese Forschungsarbeit zentral ist.

Furer betont, dass es ohne rätoromanische Schule auch kein Überleben dieser Sprache gibt

(vgl. Furer, 2005, S. 128). Es ist zweifelsohne naheliegend, dass sich Herausforderungen einer

sprachlichen Minderheit speziell im Bereich der Bildung zeigen. Weinreich verweist darauf,

dass in Gegenden, wo Menschen mit unterschiedlichen Sprachen im selben Gebiet wohnen –

wobei insbesondere die kleineren Gemeinschaften zu beachten sind – die Schulkinder nicht

getrennt gemäss jeder Sprachgruppe gesammelt werden können. Dementsprechend lässt es

sich nicht vermeiden, dass einige der Kinder in einer anderen Sprache weder in ihrer Mutter-

sprache unterrichtet werden (vgl. Weinreich, 1977, S. 158; vgl. Oppenrieder & Thurmair,

2013). Ebenso versteht Wandruszka (vgl. Kap. 4.1.1) die Aufgabe der Schule darin, „die Oh-

ren und Augen der Kinder zu öffnen für die Verschiedenheit der Sprachen, die uns in unserer

Sprache zur Verfügung stehen, ihre muttersprachliche Mehrsprachigkeit zu entfalten und zu

erweitern“ (Wandruszka, 1975, S. 322).

Die Wichtigkeit der Schulen erläutert zudem Grünert, gemäss dem Institutionen wie Schulen

und Gemeindebehörden den Sprachgebrauch stützen und so den Rückgang des Rätoromani-

schen aufhalten könnten. Insbesondere bei „Gemeinden mit einer schwächeren Präsenz des

Rätoromanischen kommt der Schule eine besondere Bedeutung zu“ (Grünert, 2008, S. 388).

An dieser Stelle soll angemerkt werden, dass die traditionell rätoromanische Schule genau

genommen und anders als in Auflistungen zweisprachiger Schulmodelle vermerkt keine mo-

nolinguale, sondern eine zweisprachige Schule darstellt. Sie hat sich sozusagen im Laufe des

19. Jahrhunderts natürlich entwickelt, dies aus der sowohl sprachpolitsch wie auch kulturellen

Wirklichkeit Graubündens und eher beiläufig. Die Schulabgänger_innen sind nach der Schule

trotz einer frühen totalen Immersion15 mindestens zweisprachig, womit die traditionelle räto-

romanische Schule „das Erreichen einer starken Zweisprachigkeit und die Gewährleistung

einer Sprachschutzfunktion für die Minderheitensprache“ (Lia Rumantscha, 2015, S. 77) er-

füllt16. Diese Anmerkung soll nicht irritierend wirken, denn die für die vorliegende Arbeit

Befragten sind in neueren Formen der zweisprachigen Schule tätig, welche ein System mit

15 Zur Immersion: „Zweisprachigkeit ist das Ziel und Immersion eine schulische Methode dazu, so könnte man, in aller Kürze, das Verhältnis zwischen diesen beiden Begriffen charakterisieren. (...) Immersion meint Eintau-chen, ‚to immerse’ ins Sprachbad der zu lernenden Sprache. Die zu lernende Sprache wird nicht als Unterrichts-fach unterrichtet, sondern sie wird zur Unterrichtssprache. Ein Teil oder das ganze normale Schulpensum wird in einer zweiten Sprache unterrichtet. (...) Die neu zu lernende Sprache ist nicht mehr primär Lerngegenstand, son-dern Lernmedium, durch das ein anderes Fach vermittelt wird“ (Cathomas, 2005, S. 59). 16Art. 2: „Die herkömmliche so genannte ‚romanischsprachige Schule’ wird seit jeher im Sinne einer ‚totalen Immersion’ zweisprachig geführt. Auf eine vorwiegend romanischsprachig geführte Primarstufe (mit wenig Deutsch) folgt eine vorwiegend deutschsprachige Sekundarstufe I (mit wenig Romanisch)“ (AVS, 2013, S. 1).

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Masterarbeit 46

partieller Immersion aufweisen. In dieser Forschungsarbeit sind somit unter „zweisprachigen

Schulen“ Schulen dieses neueren Systems gemeint.

Den Kanton Graubünden berücksichtigend eignet sich das zweisprachige Schulsystem, das

eine im Sinne einer partiellen Immersion geführte Schule vorsieht, somit vor allem für Schu-

len, welche bisher deutschsprachig waren oder für Schulen der Sprachgrenzgemeinden (vgl.

AVS, 2017)17. Es gilt demnach zu unterscheiden zwischen ursprünglich rätoromanischen

Schulen, die zweisprachig wurden zum Erhalt des Rätoromanischen, da es ansonsten mög-

licherweise zu einer völlig deutschsprachigen Schule gekommen wäre (vgl. Lia Rumantscha,

2015, S. 79) sowie den deutschsprachigen Schulen in deutschsprachigen Gebieten, welche

zweisprachige Klassen führen. Hinsichtlich der zweisprachig geführten Schulen, welche ur-

sprünglich rätoromanisch oder italienisch waren, zählen die Primarschule Bever (r/d), die

Primarschule Celerina (r/d), die Primarschule La Punt-Chamues-ch (r/d), die Primarschule

Maloja (i/d), die Schule Pontresina (r/d), die Schule Samedan (r/d) oder die Primarschule Trin

(r/d). Sie differenzieren sich somit von deutschprachig geführten Primarschulen wie Ilanz

oder Domat/Ems, welche zweisprachige Klassen (r/d) führen. Ebenso ist auch die Stadtschule

Chur deutschsprachig, führt jedoch zweisprachige Primarklassen (i/d und r/d) (vgl. AVS,

2017; vgl Lia Rumantscha, 2015, S. 74ff.). In dem Sinne könnte die zweisprachige Schule bei

der Bevölkerung auf einen besseren Anklang stossen, was dazu verhelfen dürfte, einer zu-

nehmenden Germanisierung und dem damit verbundenen massiven Druck für die rätoromani-

schen Schulen entgegenzutreten (vgl. Grünert, 2008, S. 388).

Zweisprachige Schulen bieten Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, von Beginn an

zwei Sprachen als Instrument des Denkens wie auch der Kommunikation zu brauchen. „So

lässt sich auch in der Zweitsprache eine Sprachkompetenz erreichen, welche im herkömmli-

chen Unterricht nicht einmal annähernd erreicht wird“ (AVS18, 2017). Ein zweisprachiges

Schulsystem möchte folglich in zwei Sprachen eine sehr hohe Sprach- oder gar Muttersprach-

kompetenz erzielen. Der Gewinn für die Schule aufgrund des bilingualen Unterrichts zeigt

sich gemäss Frey in mehrfacher Weise: „Das Schulprestige wird aufgewertet, Schulen verbu-

chen mehr Anmeldungen, das Engagement der bilingual unterrichtenden Lehrpersonen fördert

ein zukunftsorientiertes Klima im Schulhaus“ (Frey, 2011, S. 261). Abgesehen von der Mit-

entwicklung zur Mehrsprachigkeit kann der bilinguale Unterricht somit zur Qualitätssteige-17Art. 2: „Bei diesen Änderungen steht ein neues Mischverhältnis der zwei Schulsprachen (Kantonssprachen) im Sinne einer ‚partiellen Immersion’ während der ganzen obligatorischen Schulzeit im Mittelpunkt.“ ; Art. 4: „Der Unterricht soll während der gesamten obligatorischen Schulzeit zweisprachig geführt werden“ (AVS, 2013, S.2). 18 vgl. Download am 29.08.2017 von https://www.gr.ch/DE/institutionen/verwaltung/ekud/avs/Schulbetrieb/themen/sprachen/Seiten/ZweisprachigeSchulen.aspx

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Flavia Hobi

Masterarbeit 47

rung beitragen (vgl. ebd., S. 261). Diese von Frey genannte Aufwertung des Schulprestiges

steht natürlich in Kontrast zur im vorherigen Kapitel 5.1 thematisierten Abwertung des Räto-

romanischen (vgl. Cathomas, 2005; vgl. Solèr, 1997) und lässt demnach die mögliche positive

Auswirkung zweisprachiger Schulen deutlich werden.

Damit das Ziel einer Ermöglichung von funktionaler und ausgeglichener Zweisprachigkeit der

Schülerinnen und Schüler bis zur Beendung der obligatorischen Schulzeit gelingt, ist es von

Bedeutung, dass sowohl die Schülerinnen und Schüler ebenso wie deren Eltern Motivation,

eine positive Grundhaltung und ein Bewusstsein der Herausforderung mitbringen. Gleicher-

massen gilt es, sich bewusst zu sein, dass der schwächeren Sprache mehr Zeit, Raum wie auch

Aufwand einzuräumen gilt. „Einen entscheidenden Anteil am Erfolg haben ausserdem moti-

vierte, gut ausgebildete und bestenfalls muttersprachliche Lehrpersonen, welche in einer der

Zweisprachigkeit angepassten Didaktik unterrichten“ (Cathomas & Lutz, 2015, S. 6). Dabei –

und für die Ergebnisauswertung relevant – kann auch auf Wandruszka und den von ihm ge-

nannten Anforderungsdruck verwiesen werden, welchen die Lehrpersonen sich selbst machen

ohne ihm gerecht zu werden:

„Von diesem Druck befreit uns nur die klare Erkenntnis der Möglichkeiten und Notwendigkeiten, der Bedingungen und Grenzen unserer menschlichen Mehr-sprachigkeit, die offene und ehrliche Darstellung unserer eigenen immer unvoll-kommenen Mehrsprachigkeit vor Schülern, unserer eigenen unvermeidlichen Lehrerfehler und –unzulänglichkeiten“ (Wandruszka, 1975, S. 341).

Cathomas und Lutz weisen zudem auf die Bedeutung einer Bereitstellung von entsprechen-

dem Unterrichtsmaterial hin und betonen, dass der zweisprachige Unterricht weder die Mut-

tersprachkompetenz noch die kognitive Leistung von Lernenden negativ beeinflusst. In Bezug

auf das Sprachenlernen bei Kindern wird erläutert, „dass die Muttersprache unter dem zwei-

sprachigen Unterricht nicht leidet, denn das menschliche Gehirn lernt nicht eine Sprache auf

Kosten einer anderen“ (Cathomas & Lutz 2015, S. 7; vgl. Brohy, 1982). Für einen ergänzen-

den Erwerb der zweiten Sprache und dem Empfinden jener als Bereicherung ist jedoch vo-

rausgesetzt, dass die Muttersprache als sprachlich gutes Fundament vorhanden ist. Obwohl

zweisprachige Schulen folglich zweielsohne dazu beitragen, eine schwächere Sprache zu er-

halten, sollen die negativen Seiten hinsichtlich des Stellenwerts der Sprache nicht ausgeblen-

det werden. Dies geschieht nämlich, wenn in einem Gebiet, welches traditionell einsprachig

ist, eine prestigeträchtigere Sprache einzieht. Denn wenn eine rätoromanische Schule im räto-

romanischen Gebiet durch eine zweisprachige Schule (deutsch/rätoromanisch) ersetzt wird,

sind die Auswirkungen für das Rätoromanische nachteilig. Einen nach und nach sich vollzie-

henden Verlust des Stellenwerts und die erschwerte Behauptung des Rätoromanischen erwei-

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Masterarbeit 48

sen sich demnach als naheliegend (vgl. Cathomas & Lutz, 2015, S. 7). Mit Bezug zu Kresic

und ihrer Theorie der sprachlich-diskursiven Selbstkonstruktion wird angesichts eines Wech-

sels vom einsprachigen zum mehrsprachigen Unterricht auch von ihr darauf hingewiesen, wie

die SuS zur Auseinandersetzung mit Sprache und Kultur angeregt werden. Durch ihre Einbin-

dung in den Unterricht als ganze Persönlichkeiten, in der Wahrnehmung und Bildung von

facettenreichen Identitäten, wird demnach auch auf diese Weise nicht zuletzt die Förderung

von Minderheitensprachen ermöglicht (vgl., Kresic, 2013, S. 45f.).

5.3 Zwischenfazit Seit Jahrzehnten zeichnet sich das Rätoromanische durch einen kontinuierlichen Rückgang

aus. Dafür verantwortlich sind geografische, wirtschaftliche, politische, historische, religiöse

oder auch psychische Faktoren. Mit dem Vordringen des Deutschen und der Regression des

Rätoromanischen einher geht auch der Prestigeverlust. Die Anpassung der Rätoroman_innen

an das Deutsche erfolgt quasi automatisch, die Rätoroman_innen erweisen sich sozusagen als

bilingual. Für den Erhalt des Rätoromanischen bedeutend ist der individuelle Sprachgebrauch

in den verschiedenen Lebensbereichen.

Charakterisiert sich ein Gebiet durch mehr als eine offizielle Sprache, kann dies zur Entste-

hung zweisprachiger Schulen führen. Für die Minderheitensprache bedeutet das die Möglich-

keit einer Aufwertung, eine Dämpfung ihres Rückgangs. Zweifelsohne wird bei den SuS die

eine Sprachkompetenz nicht einfach durch die andere ersetzt. Für das Funktionieren einer

zweisprachigen Schule gilt es jedoch auch für die Lehrpersonen, sich ihres Einflusses bewusst

zu sein und Herausforderungen zu überwinden, welche aufgrund der Machtverhältnisse zwi-

schen den Sprachen, den verschiedenen Einstellungen seitens der Akteure wie Kindern, Eltern

oder auch Behörden sowie den eigenen Anforderungen resultieren. Somit wirkt sich die Kon-

frontation mit dem Mehrsprachigen nicht nur auf die Identitätskonstruktion der SuS aus, son-

dern auch auf diejenige der Lehrperson. Dies mündet in die Forschungsfrage dieser vorlie-

genden Arbeit, womit der theoretische Rahmen nun abgerundet werden kann.

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Masterarbeit 49

6. Methode Zu Beginn der theoretischen Ausführungen wurde nach den Definitionen zu den beiden

Hauptbegriffen Identität und Sprache die Ansicht von Berger und Luckmann, welche die In-

ternalisierung von Identität, Gesellschaft und Wirklichkeit beschreiben, als grundlegender

Ausgangspunkt erläutert. Weiter wurde mittels Keupp der Patchworkbegriff sowie die Anpas-

sungs- und Verknüpfungsarbeit als charakterisierend für die Identitätskonstruktion dargelegt.

Im Anschluss daran wird gut nachvollziehbar, weshalb Kresic die Identität des Individuums

als sprachlich-diskursive Selbstkonstruktion betrachtet. Das Ausmass der Macht von Sprache

wurde dann im weiteren Teil mit Konzepten wie des sprachlichen Markts nach Bourdieu und

anderer Dimensionsbeschreibungen ausführlich geschildert. Weitere Annahme für diese Ar-

beit und in Bezug auf Sprach(en)identität(en) ist die Bezeichnung des Individuums als mehr-

sprachig, wobei hinsichtlich der Mehrsprachigkeit vor allem die Theorie von Wandruszka

bedeutend erscheint oder auch Unterschiede innerhalb freiwilliger und nicht-freiwilliger

Mehrsprachigkeit. Im Lichte der Tatsache, dass es sich beim ausgewählten Sample um Lehr-

personen von zweisprachigen Schulen handelt, wurde bezüglich der Sprach(en)identität(en)

infolgedessen explizit auf die Zweisprachigkeit eingegangen. Busch skizziert das Individuum

und sein sprachliches Repertoire angesichts Identitätskonstruktion in einer leiblichen, emotio-

nalen wie auch historisch-politischen Dimension. Resultierend aus diesen theoretischen Aus-

führungen wird zudem die Bedeutung der Kultur im Zusammenhang mit Identität und Spra-

che deutlich. Für die Datenauswertung sowie das Verständnis der Ergebnisse ist es unabding-

bar, den Hintergrund der Situation des Rätoromanischen als Minderheitenssprache und – da-

mit verbunden und aufgrund des ausgewählten Samples – jene der zweisprachigen Schulen zu

schildern.

Dies begründet die Forschungsfragen, welche sich aus den theoretischen Kapiteln ableiten

lassen:

Welchen Einfluss hat Sprache für die Identitätskonstruktion von Lehrpersonen zwei-

sprachiger Schulen (deutsch/rätoromanisch)? Wie lassen sich ihre Sprachidentitäten

beschreiben?

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Flavia Hobi

Masterarbeit 50

Nach dem Paradigma der interpretativen Sozialforschung sowie dem Prinzip der Abduktion

anhand von Gabriele Rosenthal (2012) wird die für diese Forschungsarbeit befragte Untersu-

chungspopulation präsentiert. Daraufhin folgt eine Beschreibung der Erhebungsmethode an-

hand des Leitfadeninterviews (Kleemann et al., 2008; Helfferich, 2014) sowie der Datenauf-

bereitung mittels Transkription (Langer, 2010). Eine Kombination der Auswertung von Leit-

fadeninterviews durch interpretative Analyse (Busch, 2013; Kleemann et al., 2008; Schmidt,

2004) dient dazu, die Erkenntnisgewinnung der im Kapitel 7 dargestellten Kategorien und

Ergebnisse zu begründen.

6.1 Zur interpretativen Sozialforschung Die qualitative oder als im engeren Sinn bezeichnete interpretative Sozialforschung versucht

insbesondere die Erforschung von Lebenswelten und Phänomenen, welche bisher noch oder

eher unbekannt waren (vgl. Rosenthal, 2014, S. 18f.). Durch die methodischen Erhebungs-

und Auswertungsverfahren der interpretativen Sozialforschung besteht die Möglichkeit „her-

auszufinden, wie Menschen ihre Welt interpretieren und wie sie diese Welt interaktiv herstel-

len“ (ebd., S. 15f.). Sozialwissenschaftliche Konstruktionen werden aufgebaut auf Konstruk-

tionen des Alltags. Wie sich die soziale Wirklichkeit gestaltet, erfolgt durch interaktive Pro-

zesse. Jene wiederum sind abhängig davon, wie die Situation von den Handelnden gedeutet

wird (vgl. Kap. 2.3-2.5; Kap. 4.2). Grundlage dieser Deutungen bilden kollektiv geteilte Wis-

sensbestände, welche im Laufe der Sozialisation verinnerlicht wurden, „die auch Handlungs-

und Interaktionsregeln enthalten und deren je nach biographischer Situation unterschiedlicher

subjektiver Auslegung und Anwendung in konkreten Handlungskontexten“ (ebd., S. 41). Die

Bewältigung von grossen Mengen an Material verfolgt somit hinsichtlich ihrem Verfahren,

dass sie „im ersten Schritt qualitativ-interpretativ bleibt und so auch latente Sinngehalte erfas-

sen kann“ (Mayring & Fenzl, 2013, S. 543). Demnach gilt es bezüglich der interpretativen

Sozialforschung den Eintritt mit Handelnden in einen Kommunikationsprozess zu beachten,

da die soziale Wirklichkeit in der Erhebungssituation gemeinsam gestaltet wird (vgl. Rosen-

thal, 2014, S. 46). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass was und vor allem wie thematisiert und

über den Lebensalltag gesprochen wird von Rahmungen und Modifikationen während der

Erhebungssituation abhängig ist (vgl. ebd., S. 47). Die qualitative Inhaltsanalyse stellt somit

eine Text bearbeitende Auswertungsmethode dar, worunter eben auch die von offenen Inter-

views transkribierten Texte fallen (vgl. Mayring & Fenzl, 2014, S. 543) und was auch die

Datenaufbereitung der vorliegenden Forschungsarbeit repräsentiert.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 51

6.2 Prinzip der Abduktion

Das abduktive Schlussfolgerungsverfahren, wissenschaftstheoretisch begründet nach dem

Pragmatisten Charles Sanders Peirce und gemäss ihm am Beginn jeder Erkenntnis stehend

(vgl. Reichertz, 2014, S. 72), zeichnet sich insbesondere durch die am Einzelfall durchgeführ-

te Hypothesengewinnung und Hypothesenprüfung aus. Der Weg zur Hypothesenbildung ist

bei der Abduktion folglich von spezieller Bedeutung (vgl. Rosenthal, 2014, S. 61). In einem

ersten Schritt des Abduktionsverfahrens wird vom empirischen Phänomen ausgegangen. Da-

bei wird versucht, auf eine allgemeine Regel zu schliessen, welche fähig wäre, das Phänomen

zu erklären. Es geht nicht um die Verfolgung oder Überprüfung einer bestimmten Theorie,

sondern vielmehr um die Verwendung verschiedener Konzepte, die eine mögliche Erklärung

des empirischen Phänomens liefern, d.h. mehrere mögliche Hypothesen bilden (ebd., S. 63).

Ausgehend von einer Hypothese kann dann im zweiten Schritt auf die damit verbundenen

Konsequenzen geschlossen werden. Diese Schlussfolgerungen repräsentieren somit Folgehy-

pothesen. Als dritter Schritt wird der empirische Test am Einzelfall beschrieben. Denn in den

Folgehypothesen sind sogenannte Vorhersagen enthalten, welche sich mit weiteren Phänome-

nen, die sich am konkreten Fall vorfinden, kontrastieren lassen. Dieser dritte Schritt der

Schlussfolgerung bildet wiederum „die Möglichkeit der Entdeckung von Neuem, da im realen

Fortgang nicht antizipierte Anschlüsse entdeckt werden können“ (ebd., S. 64). Die Abduktion

kann somit als Suche nach einer sinnstiftenden Regel in Anbetracht von überraschenden Fak-

ten bezeichnet werden, „nach einer möglicherweise gültigen Erklärung, welche das Überra-

schende an den Fakten beseitigt“ (Reichertz, 2014, S. 72).

Dies bedeutet eine Methode für die Gewinnung von Hypothesen und nicht nur der Reflektion

von Hypothesentests. Die Hypothesenaufstellung folgt dabei nicht einer individuellen Intuiti-

on vom Forscher bzw. der Forscherin, „sondern seiner oder ihrer Interaktion in der sozialen

Welt, seinen oder ihren sozial konstituierten Erfahrungen“ (Rosenthal, 2014, S. 65).

6.3 Sample

Für die Datenerhebung wurden acht Lehrpersonen von zweisprachigen Schulen

(deutsch/rätoromanisch) ausgewählt. Es waren Lehrpersonen jeder Primarstufe sowie auch

des Kindergartens vertreten. Trotz der Absicht, gleich viele Männer wie Frauen im Sample zu

haben, bestand jenes schlussendlich aus einer männlichen und sieben weiblichen Personen.

Dies ist jedoch auch berufsbedingt, sind die Frauen doch auf diesen Stufen stark übervertre-

ten. Der Altersunterschied zwischen der ältesten und der jüngsten Befragten beträgt 30 Jahre.

Die Interviews fanden im Zeitraum von Mitte Juni bis anfangs Juli 2017 statt und wurden

teilweise im Schulhaus, teilweise bei den Befragten zu Hause durchgeführt. Die Anfrage zur

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Masterarbeit 52

Bereitschaft für ein Interview erfolgte per Mail oder Telefon. Die Hälfte der Befragten kannte

die Forscherin bereits im Voraus.

Folgende Übersicht soll die Untersuchungspopulation präsentieren, wobei sich die Stufe auf

den Zeitpunkt der Interviewdurchführung bezieht.

Befragte/r Jahrgang Stufe

B1 (männlich) 1972 LP 5./6. Klasse

B2 (weiblich) 1986 LP 4. Klasse

B3 (weiblich) 1977 LP 3./4. Klasse

B4 (weiblich) 1988 LP Kindergarten

B5 (weiblich) 1958 LP Kindergarten

B6 (weiblich) 1982 LP 3./4. Klasse

B7 (weiblich) 1973 LP 1./2. Klasse

B8 (weiblich) 1980 LP 5./6. Klasse

Abb. III: eigene Darstellung zum Sample

6.4 Datenerhebung und Datenaufbereitung Die für diese Forschungsarbeit erhobenen Daten erfolgten mittels Leitfadeninterview und

anschliessender Transkription. Im Nachfolgenden wird dieses methodische Vorgehen konkre-

tisiert.

6.4.1 Leitfadeninterview

Wenn Texte erzeugt werden sollen, ist zum einen wichtig, „wie und mit welcher Begründung

das Sprechen (die Textproduktion) der interviewten Person beeinflusst und gesteuert wird“

(Helfferich, 2014, S. 559), was durch die Intervenierung, Formung und Vorstrukturierung

geschieht. Weiter von Bedeutung ist, wie sich die am Interview beteiligten Rollen (Inter-

viewende/Interviewte) gestalten, da sich die Interviewsituation normalerweise durch ein Rol-

lenverhältnis asymmetrischer und komplementärer Art konstituiert (vgl. ebd., S. 560). Kenn-

zeichen von Leitfadeninterviews ist die Tatsache, „dass der Interviewer eine Reihe von vorab

festgelegten (...) Themenbereichen anspricht“ (Kleemann et al., 2008, S. 208). Das Leitfaden-

interview bietet eine anwendbare Vorgabe, wie sich der Interviewablauf systematisch gestal-

ten lässt (vgl. Helfferich, 2014, S. 560). Im Vergleich zur quantitativen Datenerhebung und

dem damit verbundenen Fragebogen braucht es jedoch kein standardisiertes Vorgeben der

Fragen und Antwortmöglichkeiten; der Leitfaden kann als eine Art flexible Checkliste ge-

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Masterarbeit 53

braucht werden und der Interviewer auch lediglich Stichpunkte benutzen. Eine Reihenfolge

bezüglich der Fragestellungen ist nicht unbedingt vorgeschrieben. Die Befragten haben somit

die Möglichkeit, mit eigenen Worten und offen über das angeschnittene Thema zu reden. In-

nerhalb der Gesprächssituation sind im Weiteren das Einbringen neuer Gesichtspunkte sowie

eine vertiefte Darstellung von spannenden Einzelaspekten in Anbetracht des Forschungsinte-

resses möglich. Der Leitfaden hat somit nebst der Generierung von Darstellungen der Inter-

viewten die Funktion einer wichtigen Unterstützung zur Interviewstrukturierung (vgl. Klee-

mann et al., 2008, S. 208). Demnach sollte sich der Leitfaden einerseits als möglichst offen

und andererseits als so strukturierend wie notwendig charakterisieren (vgl. Helfferich, 2014,

S. 560).

Der Gesprächseinstieg der für diese Arbeit durchgeführten Interviews erfolgte jeweils durch

die Frage, wie die entsprechende Lehrperson an die zweisprachige Schule gelangt ist. Ausge-

hend davon erfolgte ein Blick in die Vergangenheit und dem damit verbundenen Sprachver-

halten, woraufhin sich das Gespräch immer mehr Richtung spezifische Lebenssituationen

entwickelte. Die halbstrukturierte Art des Leitfadeninterviews mit hohem Erzählanteil der

Befragten brachte demnach mit sich, dass die Gespräche in Anbetracht verschiedener und

vertiefter behandelter Akzentsetzungen innerhalb der Lebensläufe unterschiedliche Entwick-

lungen aufwiesen.

Die Interviews wurden in Schweizerdeutsch geführt. Die Tatsache, dass darin nicht immer

zwischen „Hochdeutsch“ resp. „Schriftdeutsch“ sowie „Schweizerdeutsch“ unterschieden

wird, gestaltete sich für die Darstellung und Diskussion der Ergebnisse herausfordernd. So-

fern etwas nicht auf Deutsch als Unterrichtssprache bezogen wird und die Befragten auch

nicht explizit das „Hochdeutsche/Schriftdeutsche“ erwähnen, kann davon ausgegangen wer-

den, dass es sich bei der Bezeichnung „Deutsch“ oder „Dütsch“ um das „Schweizerdeutsche“

handelt.

6.4.2 Transkription

In der qualitativen Forschung ist die Transkription nicht zu unterschätzen. So ist die Trans-

kription angesichts ihrer Herstellung wohlgemerkt zeitintensiv, doch unabdingbar und grund-

legend für eine ausführliche Auswertung (vgl. Mayring, 2002, S. 89). Transkribieren bedeutet

„mündliche Rede und das flüchtige Gesprächsverhalten für wissenschaftliche Analysen dau-

erhaft in Schriftsprache verfügbar machen“ (Langer, 2010, S. 515), mittels wörtlicher Tran-

skription „wird eine vollständige Textfassung verbal erhobenen Materials hergestellt“ (May-

ring, 2002, S. 89). Bedeutend erweist sich die Transkription besonders auch hinsichtlich der

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Masterarbeit 54

Interpretation, so beinhaltet die Übersetzung des Gehörten schon Interpretationen. Ebenso ist

die Form der Transkription entscheidend für die Auswertungsmöglichkeiten. Es gilt sich je-

doch bewusst zu sein, dass es nicht gleich einer originalgetreuen Kopie zukommt, vielmehr ist

es eine Transformation der Daten, da durch die Schrift eine bestimmte Sichweise auf Dinge

erzeugt wird. Es wird nachvollziehbar, dass sich die Genauigkeit und Detailliertheit als rich-

tungsweisend für die Analyse zeigen kann. Denn nicht Vermerktes „ist im weiteren Arbeits-

prozess gewissermassen nicht mehr existent“ (Langer, 2010, S. 516). Durch die intensive

Auseinandersetzung kann die Transkription bereits als Prozess der Erkenntnis und Bearbei-

tung betrachtet werden, denn das Verschriftlichte bringt einerseits Vergegenwärtigung und

andererseits die Nötigung mit, sozusagen von ausserhalb auf sich sowie die Interaktion mit

Anderen zu sehen (vgl. ebd., S. 517). Als Kernaussage gilt somit, dass Transkriptionen als

erste Interpretationen „Dinge sichtbar oder unsichtbar machen“ (ebd., S. 524).

Ergänzend sollen einige Transkriptionsregeln genannt werden, an welchen die hauptsächliche

Orientierung für die Verschriftlichung des hier verwendeten Datenmaterials erfolgte:

(.) kurze Pause

(3) Pause in Sekunden

betont betont gesprochen

((lacht)) para- oder nonverbaler Akt

[ Überlappung von Redebeiträgen

(vgl. Langer, 2010, S. 523)

An diese Ausführungen anknüpfend wird nun auf die Auswertung mittels interpretativer Ana-

lyse eingegangen.

6.5 Auswertung mittels interpretativer Analyse Vergangene Ereignisse narrativ zu rekonstruieren erweist sich in enger Verbundenheit mit

Erinnerungsarbeit. „Die rekonstruierten Fakten werden mit jedem neuerlichen Erzählen oder

Darstellen zugleich neu selektiert, evaluiert und interpretiert“ (Busch, 2013, S. 33). Biografi-

sche Erzählungen werden jeweils – sei dies mit einem realen oder gedachten Gegenüber – im

Dialog oder einer Interaktion hervorgebracht. (Auto)Biografisches gilt es als in ein komplexes

Netz von Bezügen eingebundene Produktionen zu betrachten, ob in Bezug zum situativen

Kontext und den Bedingungen ihrer Entstehung, „zu den lebensgeschichtlichen und lebens-

weltlichen Erfahrungshorizonten der Erzählenden und zu historisch-gesellschaftlichen Forma-

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Masterarbeit 55

tionen, in die subjektives Erleben eingebettet und von denen es durchdrungen ist“ (ebd., S.

34). Beim Sprechen über Sprache und Sprachen, dem Kommentieren eigener Sprachprakti-

ken, Sprachressourcen und Einstellungen auf metalinguistischer Ebene wird ein expliziter

Kontext zu einem Gegenstand verlangt, der bei einer Sprachproduktion, welche habitualisiert

und routiniert ist, weniger fokussiert wird. So sind Interpretationen metasprachlicher Art ver-

dächtig in Bezug darauf, dass quasiautomatisierte Sprechprozesse nachträglich rationalisiert

werden. Das biografische Erzählen ist gewissen Zugzwängen des Erzählens unterlegen, „es

steht in Bezug zu politischen und anderen Diskursen und ist als situative Hervorbringung zu

betrachten“ (ebd., 2013, S. 35).

Auch wenn sich diese Ausführungen von Busch hier nicht explizit auf (halbstrukturierte) Leit-

fadeninterviews beziehen, erscheinen sie in Anbetracht des für dieses Forschungsvorhaben

erwarteten hohen Erzählanteils der Befragten sowie der behandelten Thematik von Identität

und Sprache relevant für die Auswertung anhand der interpretativen Analyse.

Bezugnehmend auf Kap. 6.1 und Kap. 6.2 geht es bei der Auswertung von Leitfadeninter-

views darum, dass neue Zusammenhänge methodisch kontrolliert entdeckt werden. Das, was

inhaltlich aus einem Leitfadeninterview erfasst wurde, sollte mehr sein als ein ledigliches

intuitives Verstehen von Aussagen (vgl. Kleemann et al., 2008, S. 229). Die Kategorien und

Instrumente für die Auswertung eines Leitfadeninterviews qualitativer Forschung „entstehen

in Auseinandersetzung mit dem erhobenen Material“ (Schmidt, 2004, S. 447). Bei der vorlie-

genden Arbeit erfolgte die Auswertung der Daten nach Kleemann et al. (2008) wie auch nach

Schmidt (2004).

Das Leitprinzip von Schmidt besteht im Austausch von Material und theoretischem Vorver-

ständnis und wird in fünf verschiedene Schritte unterteilt. Begonnen wird mit dem intensiven

Lesen des Transkriptionsmaterials, indessen es Ziel ist, die vorkommenden Themen und As-

pekte der einzelnen Interviewtranskripte – auch im Zusammenhang mit den Fragestellungen –

zu notieren. Während gelesen und annotiert wird, ist es von Bedeutung, dass der Zuschnitt des

Materials nicht aufgrund der theoretischen Vorannahmen erfolgt (vgl. Schmidt, 2004, S. 450).

Auf gefundenen Themen und Aspekten basierend kommt es zur Formulierung von Auswer-

tungskategorien, gefolgt von der Zusammenstellung eines Auswertungs- und Kodierleitfadens

aus den Entwürfen dieser Auswertungskategorien. Der dritte Schritt besteht aus der Codie-

rung des Materials, d.h. die einzelnen Interviews werden mit Hilfe des Kodierleitfadens ein-

geschätzt sowie durch die Zuordnung vom Material zu den Auswertungskategorien klassifi-

ziert. Die im vorherigen Auswertungsschritt aus dem Material heraus gebildeten Auswer-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 56

tungskategorien können nun auf das Material angewandt werden (vgl. ebd., S. 452f.). Der

vierte Schritt stellt eine quantifizierbare Zusammenstellung von Ergebnissen der Codierung

dar. Diese Materialübersichten quantitativer Art sind somit vor allem auch hilfreich in Hin-

blick auf die weitere qualitative Analyse, da sie Hinweise geben auf mögliche Zusammen-

hänge. Zu beachten gilt, dass bei diesen Vorannahmen Bezug genommen wird auf Einzelfälle,

es erfolgt also die Überprüfung an jedem einzelnen Fall. Zuletzt folgen die vertiefenden

Fallinterpretationen (vgl. ebd., S. 455). Für eine Verdeutlichung dieser vertiefenden Fallinter-

pretationen sollen ergänzend die drei Schritte des Interpretierens, nämlich die formalsprachli-

che Analyse, die gedankenexperimentelle Analyse sowie der Vergleich von Textsequenzen

gemäss Kleemann genauer erläutert werden.

Die besondere Situation des Interviews „bedingt eine Asymmetrie zwischen den Beteiligten

dahingehend, dass der Interviewer (überwiegend) Fragen stellt und der Befragte Antworten

auf diese Fragen gibt und aus eigenem Antrieb darüber hinausgehende Dinge ausführt“

(Kleemann et al., 2008, S. 209). Bezüglich der Interaktionskontrolle gilt es die Möglichkeit zu

erwähnen, dass der Interviewer Einfluss nimmt auf das Antwortverhalten des Befragten (vgl.

Busch, 2013, S. 35; vgl. Rosenthal, S. 46) und was ein Problem grundlegender Art darstellt.

Abgesehen von Beeinflussungen erweisen sich jedoch auch Strukturierungsversuche vonsei-

ten der Interviewten als interessant, da sie möglicherweise Hinweise bezüglich des Relevanz-

rahmens liefern. Folglich gilt es die Kommunikation innerhalb zu kontrollieren, dies in Anbe-

tracht möglicher Beeinflussungen wie auch der Performanz von Befragten. Nebst der Form

der Fragenformulierung vonseiten der Interviewer sowie die Reaktion der Befragten darauf,

äussern sich insbesondere auch die Sprecherwechsel und Verlaufsstörungen wie durch Ein-

schübe oder Unterbrechungen als wertvoll (vgl. Kleemann, 2008, S. 211). Weitere formal-

sprachliche Instrumente für die methodisch kontrollierte Interpretation sind die Sequenzie-

rung sowie die Textsortenanalyse. Durch die exakte Abgrenzung von einzelnen Segmenten

sollen kleinere Einheiten geschaffen werden, was auch Möglichkeiten betreffend der inhaltli-

chen Interpretation eröffnet. Eine Sequenzierung hat nicht nur die Festhaltung von logischen

und thematischen Zusammenhängen innerhalb der Paarsequenzen zum Ziel, sondern auch die

Möglichkeit, den Verlauf einer einzelnen Frage-Antwort-Paarsequenz genauer zu bestimmen.

„Eine solche Feinsequenzierung ist insbesondere bei komplexen Antworten des Befragten

hilfreich“ (ebd., S. 216). Die Textsortenanalyse dient dazu, die Reflexionsgrade von Darstel-

lungen des Befragten näher zu bestimmen und weitere Auswertungen auf Passagen mit den

Sorten des Texts einzugrenzen, welche angesichts des eigenen Erkenntnisinteresses für die

Auswertung relevant sind (vgl. ebd., S. 217). Ebenfalls als nützlich erweisen kann sich die

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Flavia Hobi

Masterarbeit 57

Arbeit mit Gedankenexperimenten, mithin assoziativen Deutungen, da sie zur Schärfung der

Sensibilität gegenüber den Daten dienen. Formulierungen, welche nebensächlich erscheinen

und im Normalfall überlesen werden, „können so auf ihre Bedeutung für den Gesamtzusam-

menhang der Aussage systematisch überprüft werden“ (ebd., S. 221). Die vergleichende Ana-

lyse von verschiedenen Sequenzen hilft zur Überprüfung der Interpretation einer Sequenz an

einer anderen Textstelle. Dies kann folglich Interpretationen bestätigen oder auch weitere

Interpretationsfacetten sowie neue Erkenntnisse mit sich bringen. Dabei können die Ver-

gleichssequenzen fallimmanent, sprich aus demselben Interview oder auch fallübergreifend,

d.h. aus einem anderen Interview stammen (vgl. Kleemann et al., 2008, S. 225). Präzisieren

Kleemann et al. stärker das konkrete Interpretieren, verdeutlicht Schmidt die Relevanz des

Theoriebezugs. So verweist sie bezüglich der vertiefenden Fallinterpretationen nebst dem Ziel

des Findens neuer Hypothesen und die Überprüfung solcher am Einzelfall auf die Ausdiffe-

renzierung begrifflicher Konzepte, „zu neuen theoretischen Überlegungen zu kommen oder

den vorhandenen theoretischen Rahmen zu überarbeiten“ (Schmidt, 2004, S. 455). Aufgrund

der Dimension der involvierten Themen Identität und Sprache war dies auch für die vorlie-

gende Forschungsarbeit bedeutend. Es wird nachvollziehbar, dass es Aufgabe vom Interpre-

tierenden ist, „im Verlauf der Datenanalyse zu ‚entdecken’, welche Interpretationsmodi wei-

terführende Aufschlüsse über den Sinngehalt einer Sequenz zu bieten vermögen“ (Kleemann

et al., 2008, S. 230). Anschliessend an diese Ausführungen zur Forschungsmethode werden

nun im nächsten Kapitel die erarbeiteten Ergebnisse präsentiert sowie daraufhin diskutiert.

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Masterarbeit 58

7. Ergebnisse Die Darstellung der Ergebnisse19 erfolgt in drei Hauptkapiteln. So sind dies die „Sprachver-

wendung“, das „Spracherleben“ und die „Sprachbedeutung“. Das erste Kapitel 7.1 „Sprach-

verwendung“ beschreibt die Nutzung der Sprachen durch die verschiedenen Befragten. An-

schliessend wird im Kapitel 7.2 „Spracherleben“ auf deren unterschiedlichen Erfahrungen

eingegangen und im Kapitel 7.3 „Sprachbedeutung“ der Wert der gesprochenen Sprache er-

läutert.

7.1 Sprachverwendung Einführend erweist es sich als sinnvoll, die verschiedenen Sprachverwendungen der Befragten

zu skizzieren, dies sowohl die Vergangenheit wie auch die Gegenwart betreffend. Da dies

mehr dem Hintergrund dient, wurde bewusst auf direkte Zitate verzichtet. Danach wird die

gegenwärtige Sprachensituation der Befragten ausführlicher beschrieben, wobei konkreter

betrachtet wird, wie die Befragten mit dem oder der Partner_in, ihren Kindern und mit ande-

ren Lehrpersonen die Sprache nutzen. Abschliessend erfolgt eine zusammenfassende Tabelle

zur Übersicht der verschiedenen Sprachverwendungen.

7.1.1 Skizzierungen

B1

B1, aufgewachsen in einem zweisprachigen (deutsch/rätoromanisch) Dorf, hat mit der Mutter

wie auch mit den Grosseltern mehrheitlich rätoromanisch gesprochen, mit dem Vater jedoch

deutsch. Wenn der Vater nach Hause gekommen ist, wurde dementsprechend vom Rätoroma-

nischen ins Deutsche gewechselt. Auch mit seinen Geschwistern hat B1 deutsch gesprochen.

Zwischen seiner Schwester und ihm ereignete sich jedoch ein Sprachwechsel vom Deutschen

ins Rätoromanische. B1 lebt mit seiner Familie in einem zweisprachigen (mehrheitlich deut-

schen) Dorf. Mit seiner Frau spricht B1 deutsch, ebenso mit seinen Kindern, diese verstehen

jedoch – auch aufgrund der zweisprachigen Schule – rätoromanisch.

B2

Die Muttersprache von B2 ist Rätoromanisch. Familie, Freunde, Wohnort, Freizeit, Schule –

früher war sozusagen alles nur rätoromanisch. Auch die Mutter, welche zweisprachig aufge-

wachsen ist (deutsch/rätoromanisch), hat mit den Kindern nur rätoromanisch gesprochen. Mit

19 Aufgrund von fehlenden festgelegten Orthografieregeln für das Schweizerdeutsche kann die in den Transkrip-tionen verwendete schweizerdeutsche Schreibweise der Autorin von den allgemein gültigen Orthografieregeln des Schriftdeutschen wie hinsichtlich Gross- und Kleinschreibung der Sprachen vereinzelt abweichen. Zur Be-wahrung der Authentizität wurde dies so belassen.

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Masterarbeit 59

den Grosseltern verständigte sich B2 ebenfalls in rätoromanischer Sprache. Auch heute ist der

Freundeskreis mehrheitlich rätoromanisch. B2 lebt unter der Woche in einer deutschsprachi-

gen Stadt, das Wochenende verbringt sie in der rätoromanischen Heimat. B2 ist kinderlos und

hatte zum Zeitpunkt des Gesprächs auch nie einen deutschsprachigen Partner.

B3

Wie auch B2 ist B3 komplett rätoromanisch aufgewachsen. Das ganze Umfeld war rätoroma-

nisch. Heute ist es – auch aufgrund des deutschen Wohnorts und ihrem Arbeitsort, der sich

dort befindenden Schule, sowie den neuen Freundschaften – jedoch mehr deutschsprachig. B3

ist kinderlos, ihr Mann ist ebenfalls rätoromanischsprachig.

B4

B4, aufgewachsen in einem zweisprachigen (deutsch/rätoromanisch) Dorf, spricht mit den

Eltern deutsch, hat aber die rätoromanische Schule besucht. In der Schule war dementspre-

chend ein Teil der Klasse deutsch-, ein anderer rätoromanischsprachig. In der Freizeit hat B4

mehrheitlich deutsch gesprochen. Auch gegenwärtig ist ihr Umfeld mehr deutsch- als rätoro-

manischsprachig. B4 hat keine eigenen Kinder und ist immer noch wohnhaft im zweisprachi-

gen Dorf (deutsch/rätoromanisch). In Bezug auf einen möglichen Partner spielt es B4 keine

Rolle, ob er deutsch oder rätoromanisch spricht.

B5

B5 ist in einem zweisprachigen Dorf (deutsch/rätoromanisch) zweisprachig aufgewachsen,

mit der Mutter hat sie meistens deutsch gesprochen (trotz deren Rätoromanischkenntnissen)

und mit dem Vater rätoromanisch. Mit einer Schwester sowie mit dem Bruder redet B5 räto-

romanisch, mit der anderen Schwester deutsch. B5 wohnt nach wie vor im zweisprachigen

Dorf (deutsch/rätoromanisch). Mit den drei erwachsenen Söhnen verständigen sich sowohl sie

wie auch ihr Mann in rätoromanischer Sprache. Die Sprache zwischen B5 und ihrem Mann ist

jedoch Deutsch.

B6

B6 ist rätoromanisch aufgewachsen, früher war sozusagen alles rätoromanisch – Familie,

Wohnort, Schule. Aufgrund der deutschsprachigen Freundin des Vaters wird mittlerweile oft

geswitcht, gar mit ihren Schwestern spricht B6 dann deutsch. Zum Zeitpunkt des Interviews

war B6 wohnhaft im rätoromanischen Heimatort, mittlerweile wohnt sie mit ihrem deutsch-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 60

sprachigen Partner in einer deutschsprachigen Stadt. B6 ist kinderlos und unterrichtet in ei-

nem zweisprachigen Gebiet (deutsch/rätoromanisch). Mit ihrem deutschsprachigen Partner

spricht B6 vermehrt auch rätoromanisch, er antwortet dann auf Deutsch.

B7

B7 ist rätoromanisch in einem rätoromanischen Dorf aufgewachsen. Heute wohnt B7 in einem

zweisprachigen Gebiet, wo sie auch unterrichtet. Mit ihren Kindern spricht B7 rätoromanisch,

mit ihrem albanischen Mann schriftdeutsch. Jener wiederum verständigt sich mit den Kindern

in albanischer Sprache, versteht jedoch Rätoromanisch. Auch dessen Kinder aus früherer Ehe

sprechen rätoromanisch.

B8

B8 ist rätoromanisch und in rätoromanischem Gebiet aufgewachsen. Abgesehen von der Val-

ser Grossmutter, mit welcher B8 deutsch gesprochen hat, war das ganze Umfeld rätoroma-

nisch. B8 ist heute wohnhaft in einem zweisprachigen Ort (deutsch/rätoromanisch), wo sie

auch arbeitet. Privat verständigt sie sich nach wie vor vor allem in Rätoromanisch. B8 hat

keine Kinder, ein möglicher Partner sollte rätoromanisch- oder deutschsprachig sein.

7.1.2 Sprachverwendung mit (möglichem/r) Partner_in

Im Kontext des vorliegenden Forschungsinteresses und der Identitätskonstruktion darf die

Frage bezüglich der Sprachverwendung mit (möglichen) Partnern resp. Kindern besonders

gewichtet werden, bildet dies doch wohl das engste Umfeld der befragten Personen und was

im Folgenden sowie in Kapitel 7.1.3 verdeutlicht wird. Daran anschliessend ebenfalls interes-

sant zeigt sich der Sprachgebrauch innerhalb der Lehrpersonen und am Arbeitsort, was dann

noch im Kapitel 7.1.4 vertieft wird.

Dass ihr Partner rätoromanisch spricht ist insbesondere für B2 sehr wichtig. Dies begründet

sie auch mit der Aussage „au zum mini Gfühl und mini Gedanke würggli genau genau uf de

Punkt z’bringe (.) im Dütsch (.) isch viel schwieriger“ (B2, Z. 546-547).

In Bezug auf den Partner ist es gemäss B8 auch „schwieriger grad wenn’s um Gfühl goht oder

wenn’s um Sacha goht wo ma wett sega, wo wo eim wichtig sind“ (B8, Z. 362-364), und dass

es demnach schon gut wäre, wenn er deutsch- oder rätoromanischsprachig wäre (vgl. B8, Z.

359-364). Auch wenn Rätoromanisch ihre bestbeherrschte Sprache ist, setzt B8 nicht voraus,

dass ihr Partner Rätoromanisch beherrscht (vgl. B8, Z. 888-892).

Dies verlangte auch B7 nie, welche als Rätoromanin mit ihrem albanischen Mann schrift-

deutsch spricht: „i wür jetz nia sega he bitte tuan, i finda wenn er jetz wett das unbedingt lerna

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Flavia Hobi

Masterarbeit 61

und das schön isch für ihn denn söll er das lerna, aber sicher nid wega mir (.) also eba, das

isch für mi kai (.) Vorussetzig oder i wür das nia“ (B7, Z. 1081-1084). Sie betont jedoch auch

die Herausforderungen, wenn innerhalb der Ehe nicht die eigene Sprache gesprochen wird,

denn „es git denn halt au viel Missverständnis“ (B7, Z. 1063). So erlebe sie „dass i eifach

waiss er verstoht mi völlig andersch als wasi das, aber i kann’s wia nid erklär, anders erklära

dass er mi eso verstoht wieni’s main (.) und er wohrschinli au umgekehrt“ (B7, Z. 1052-

1054).

B3 betont, dass die Sprache „im Nochhinein“ (B3, Z. 389/393) schon relevant ist. Sie ist der

Ansicht, dass es einfacher ist, einen Partner zu haben, der vom selben Ort kommt „oder eso (.)

denn waiss de e bitzli wie du (.) wie du lebsch und verstoht di viellicht besser in gwüssne

Sacha (.) macht’s e bitz eifacher“ (B3, Z. 397-398).

Dies könnte sich gegenwärtig auch bei B6 abzeichnen, welche eine Zeit lang mit ihrem ehe-

maligen Partner in dessen Heimat im Tessin gelebt hat und sich währenddem in Italienisch

verständigte. Das hat sich so ergeben, da sie bereits Kenntnisse in dieser Sprache hatte und für

ihn wäre das Erlernen einer neuen Sprache schwieriger gewesen (vgl. B6, Z. 208-220). Mit

ihrem jetzigen deutschsprachigen Partner scheint es insofern anders, da B6 vermehrt auch

rätoromanisch mit ihm spricht, auch wenn man sich nicht immer ganz versteht (vgl. B6, Z.

1171-1182).

Dass B1 mit seiner Frau deutsch spricht, hat wohl auch mit dem Status des Rätoromanischen

als Minderheitensprache und der damit verbundenen Regression zu tun. Trotz der Verteidi-

gung dieser Sprache gegenüber seiner Frau hat B1 nie darauf bestanden, dass sie Rätoroma-

nisch lernt, so sagt er auch: „und jetzt wo mini Frau ko isch vor 20 Johr oder isch z’Dorf schu

so dütsch-prägt gsi (.) dass sie au i han müassa sega waisch es bringt gar nit viel“ (B1, Z. 518-

519). B1 nennt keine Situation, wo er – auch die emotionale Ebene betreffend – sich ge-

wünscht hätte, dass seine Frau rätoromanisch spricht.

Ob Deutsch oder Rätoromanisch kommt ebenso B4 nicht darauf an, „seb isch bi mier jetzt

egal“ (B4, Z. 393).

Derart die Situation bei B5, denn dass jene mit ihrem Mann deutsch spricht, beide jedoch mit

den Söhnen rätoromanisch, scheint insofern normal, da B5 keine Hinweise macht auf mögli-

che rätoromanische Verständigungswünsche innerhalb ihrer Partnerschaft.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 62

7.1.3 Sprachverwendung mit (möglichen) Kindern

Etwas anders erweisen sich diese Aussagen in Bezug auf (mögliche) Kinder. So könnten sich

die kinderlosen20 B2, B6 oder B8 nicht vorstellen, mit den eigenen Kindern Deutsch oder eine

andere Sprache zu sprechen: „Nai, nie (.) nai“ (B2, Z. 892); wäre dies doch auch bei B8 ein-

deutig das Rätoromanische (vgl. B8, Z. 365-368). Ebenso meint B6: „Nai für mi wer’s klar

dassi denn romanisch rede wür“ (B6, Z. 619). Weniger sicher ist dies bei der ebenfalls kinder-

losen B4. So meint sie: „das isch no schwierig, das hen mi schu a paar gfrogt, das isch no

schwierig zum beantworta (3) jo un (.) aso git drfür und drwider“ (B4, Z. 383-384).

B7 redet mit ihren beiden Töchtern rätoromanisch, wobei jene dies nicht immer tun, was pha-

sen- und schulabhängig ist (die Schule ist deutschsprachig). So berichtet B7 von der kleinen

Tochter, welche mit ihr schweizerdeutsch geredet hat „und i han immer mit ihra romanisch

gschwätzt, und sie immer schwiizerdütsch und miar hen jo i de Familia überhaupt kai schwii-

zerdütsch“ (B7, Z. 658-660). Erst mit dem Besuch des rätoromanischen Kindergartens ist es

dann zum Wechsel ins Rätoromanische gekommen (vgl. B7, Z. 657-662). Aufgrund der Tat-

sache, dass ihr Mann mit den Kindern albanisch spricht, erweist sich eine weitere Herausfor-

derung für B7 darin, konsequent in ihren Sprachen zu sein, „dass miar nid no do as Durenand

machen halt, und das sie gwüsst hen, aha, da Papa dia Sproch und d’Mama dia Sproch, halt

wenn’s no klii sind“ (B7, Z. 935-936).

B5 und ihr Mann sprechen zusammen deutsch, mit ihren Kindern jedoch rätoromanisch. Inte-

ressant ist auch, wie die Söhne das Rätoromanische – trotz ihren deutschsprachigen Partnerin-

nen – an die Enkelkinder weitergeben, wobei dies völlig unproblematisch abzulaufen scheint:

„Das isch für sie gan, also dr eint Sohn hät jetzt zwai Kind und das isch ganz klar de redt ro-

manisch mit da Kind (.) d’Frau redt dütsch mitna und (.) das isch kais Problem“ (B5, Z. 101-

102).

Dass die Familiensprache Deutsch ist resp. dass B1 mit seinen Kindern nicht rätoromanisch

spricht, scheint er selbst schade zu finden: „Jo (.) eigentlich laider jo muass ma sega das isch

viellicht au, gell das sin jo vieli wo das eigentlich ah woni miar selber au e bitzli ahkrieda (.)

eigentlich hetti müessa würggli viellicht konsequenter si“ (B1, Z. 203-205). Er begründet die

Tatsache einerseits damit, dass die nötige Geduld seinerseits gefehlt hat, um es durchzuzie-

hen, andererseits mit der Gegebenheit, dass die Kinder mehr Zeit mit seiner deutschsprachi-

gen Frau verbringen würden (vgl. B1, Z. 206-208).

20 Bei der ebenfalls kinderlosen B3 kam dieser Punkt nicht zur Sprache.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 63

7.1.4 Sprachverwendung zwischen den Lehrpersonen

Interessant zeigt sich der Sprachgebrauch zwischen den Lehrpersonen, wobei die meisten

bestätigten, dass sie selber alle erst ab der vierten Klasse Deutsch gelernt haben (u.a. B2, Z.

62-65; B3, Z. 105; B6, Z. 29; B7, Z. 111) und dementsprechend von ihren rätoromanischen

Schulen und Lehrpersonen rätoromanisch geprägt wurden. B1 betont deren Modellfunktion

(vgl. B1, Z. 146-148), „dr Lehrer het eim au nia müessa sega he seg mer das uf uf romanisch“

(B1, Z. 577-578), womit naheliegend ist: „das sin schu bitz Förderer gsi vom Romanisch, zum

Glück hemer dertig Lehrer au do ka“ (B1, Z. 579-580). Fernerhin erläutert B4, dass ihre Leh-

rer selten deutsch gesprochen haben, „aber so hesch’s natürli au brutal schnell glernt“ (B4, Z.

338).

Bezüglich der gegenwärtigen Situation gilt zu erwähnen, dass B1, B2, B4 und B5 (B4 und B5

arbeiten gemeinsam im selben Kindergarten) an der gleichen Schule tätig sind. In einer ande-

ren Schule gehören B6, B7 und B8 zum selben Lehrerteam. B3 hat unter den Befragten keine

Teamkollegen. B1, B2, B4 und B5 bestätigen, dass sie innerhalb des Lehrerteams hauptsäch-

lich versuchen rätoromanisch zu sprechen, dies trotz der deutschen Umgangssprache zwi-

schen den Schulkindern. „Im Bruaf würi sega probieren miar würggli isch ah scho sehr roma-

nisch (.) jo das isch würggli eso (.) au waisch gad au alli Kollege alli Lehrer miar sind miar

z’Team isch, könnd alli romanisch (.) alli jo (.) und do wird scho mitenand romanisch gredet“

(B1, Z. 226-228). Dies bestätigt auch B2 (vgl., B2, Z. 372-374) und ebenso, dass die SuS auf

dem Pausenplatz nicht rätoromanisch sprechen, „döt redet niemert romanisch“ (B2, Z. 369).

B4 erwähnt hingegen auch, dass sie sich mit den einen Kollegen auf Deutsch, mit anderen in

rätoromanischer Sprache verständigt, „aso eba as sind, isch so bitz, kunnt a bitz druf ah wer’s

isch (.) mim Chef romanisch, eso bitz, jo“ (B4, Z. 133-134). Mit der Kindergarten-

Teamkollegin B5 spricht B4 hauptsächlich deutsch (vgl. B5, Z. 574-575). Etwas anders ge-

staltet sich dies im Lehrerteam von B6, B7 und B8. B6 begründet die häufige Verwendung

der deutschen Sprache damit: „will miar halt viel no vo Khur oder düt dütsche Abteilig no

hend und miar viel zema sind“ (B6, Z. 66-67) und unterstreicht dadurch die Anpassung der

Rätoroman_innen.

7.1.5 Übersicht

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick der Befragten angesichts ihrer Sprachverwendung

in verschiedenen Bereichen, wobei sich die Gültigkeit auf den Zeitpunkt des Interviews be-

zieht. Zusammenfassend gilt, dass die rätoromanische Sprache bezüglich Kinder, Elternhaus

und früherer Wohnort bei den meisten Befragten präsenter ist als das Deutsche. Auffallend ist

wohl die Spalte der Ausbildung, welche aufzeigt, dass sowohl die Volksschule wie auch den

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Masterarbeit 64

gewählten Studiengang zur Ausbildung als Lehrperson betreffend das Rätoromanische domi-

niert. Die Konfrontation mit der deutschen Sprache zeigt sich insbesondere aufgrund des

Partners resp. der Partnerin sowie des gegenwärtigen Wohnorts.

Person Kinder Partner Elternhaus Wohnort Ausbildung B1 3 Kinder

deutsch

deutsch deutsch/rr21 früher: deutsch/rr Interviewzeitpt.: deutsch/rr

Schule: rr Studium: rr

B2

kinderlos Präferenz: rr

partnerlos Präferenz: rr

rr früher: rr Interviewzeitpt.: deutsch

Schule: rr Studium: rr

B3

kinderlos Präferenz: rr

rr rr früher: rr Interviewzeitpt.: deutsch

Schule: rr Studium: rr

B4 kinderlos Präferenz: offen

partnerlos Präferenz: offen

deutsch früher: deutsch/rr Interviewzeitpt. deutsch/rr

Schule: rr Studium: rr

B5

3 Kinder Präferenz rr

deutsch deutsch/rr früher: deutsch/rr Interviewzeitpt.: deutsch/rr

Schule: rr Studium: rr

B6

kinderlos Präferenz: rr

deutsch rr früher: rr Interviewzeitpt.: rr (heute: deutsch)

Schule: rr Studium: rr

B7 2 Kinder rr

schriftdeutsch rr früher: rr Interviewzeitpt.: deutsch/rr

Schule: rr Studium: rr

B8

kinderlos rr

partnerlos Präferenz: rr oder deutsch

rr früher: rr Interviewzeitpt.: deutsch/rr

Schule: rr Studium: rr

Abb. IV: eigene Darstellung zur Übersicht der Sprachverwendung in verschiedenen Bereichen 21 Die Abkürzung „rr“ steht hier für rätoromanisch.

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Masterarbeit 65

7.2 Spracherleben

Wenn die Befragten von ihrem Spracherleben erzählen, lassen sich drei thematische Schwer-

punkte herausarbeiten, weshalb diese Kategorie des „Spracherlebens“ in drei Unterkategorien

eingeteilt ist. So sind dies „Sprachwechsel und -anpassungen“, „Hemmungen und Schamge-

fühle“ sowie „Stolz und Selbstbewusstsein“.

7.2.1 Sprachwechsel und -anpassungen22

Grundsätzlich gilt, „dass du wenn du mol mit öppertem ahfangsch dütsch reda oder romanisch

reda denn blibsch immer bi dem“ (B1, Z. 31-32), so verweist B1 auch auf Kolleg_innen und

die Tatsache, mit den einen immer rätoromanisch, mit anderen immer deutsch zu sprechen

„und (.) das isch no interessant das hät sich bis hüt (.) ah hät sich das eigentlich so erhalta“

(B1, Z. 53-54). Dies wird auch von B4 bestätigt: „i han eigentlich immer dia einta hani immer

romanisch ka und dia andere dütsch“ (B4, Z. 145) und auch B5 ist der Meinung: „also das

isch so mini Überzügig (.) dia Sproch woma zerscht gredt hät mitere Person dia blibt eim

eifach“ (B5, Z. 588-589).

B2 berichtet von einer Zeit, in welcher ihr Vater eine deutschsprachige Freundin hatte und am

Familientisch alle die Sprache gewechselt haben für die eine Person. Dies schildert sie jedoch

als äusserst mühsam und als eine Zeit, in welcher sich B2 und ihr Bruder auch nicht mehr gut

gefühlt haben: „wenn i mit minem Brüatsch dütsch reda muass findi das schu (.) aso uuuh,

oder extrem unpersönlich (.) und denn hemer nia so tüüfgründigi Gspröch au ka, denn het me

immer au so e chli so jo“ (B2, Z. 501-503). Trotz der sprachlichen Anpassung innerhalb der

Familie schliesst B2 die Sprache nicht als Grund für die spätere Trennung des Vaters mit des-

sen Freundin aus. So beschreibt sie, wie im Dorf oder an Veranstaltungen rätoromanisch ge-

sprochen wird: „döt nimmt nid a ganzi Gruppa denn no Rücksicht uf 1 Person (.) döt bisch

eifach dört denebet und wie en (.) tgutg23 und verstohsch halt nüt“ (B2, Z. 514-515). Dass die

Familiensprache am Tisch bei einem möglichen Partner allenfalls vom Rätoromanischen ins

22 Anmerkung zum Unterschied zwischen „Wechsel“ und „Anpassung“: Gemäss Duden bedeutet ein „Wechsel“ „[(nach gewissen Gesetzen) öfter oder immer wieder vor sich gehende] Veränderung in bestimmten Erscheinun-gen, Dingen, Geschehnissen o.Ä.“ (Download am 06.11.2017 von https://www.duden.de/rechtschreibung/Wechsel) ; „Anpassung“ ein „Sicheinstellen auf jemanden, etwas; das [Sich]einfügen, Angleichen“ (Download am 06.11.2017 https://www.duden.de/rechtschreibung/Anpassung). Berechtigt stellt sich die Frage, ob ein Sprachwechsel nicht immer auch eine Sprachanpassung bedeutet. Die Autorin geht hier davon aus, dass das eine das andere bedingt und auch perspektivenabhängig ist. Als Beispiel: Wenn ich auf einer ausländischen Reise die einheimische Sprache nicht beherrschend eine fremde Person an-spreche ohne das Wissen darum, welche Sprache(n) sie spricht und ich es einfach einmal mit Englisch versuche - ist es ein Wechsel (da ich mit dem Reisepartner oder der Reisepartnerin zuvor schweizerdeutsch geredet habe) oder eine Anpassung (inwiefern kann man sich anpassen ohne das Wissen um die Sprache des Gegenübers)? 23 „tgutg“ Rätoromanisch Sursilvan für „Dummkopf“, „Tölpel“ (http://www.vocabularisursilvan.ch/index.php)

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Masterarbeit 66

Deutsche gewechselt werden würde glaubt auch B8, jedoch ebenso, dass es komisch wäre,

mit den Eltern dann deutsch zu sprechen (vgl. B8, Z. 406-414).

Erfolgte am Beispiel von B2 die Sprachanpassung innerhalb der Familie, erzählt B1 von einer

Situation, wo dies nicht der Fall war. So, wenn er mit seiner deutschsprachigen Frau bei sei-

ner Schwester zu Besuch ist, welche in rätoromanischem Gebiet und mit einem rätoromani-

schen Mann lebt: „gell denn hoggt sie do und rundherum sin denn natürlich alles Romanisch-

sprechende oder, und (.) sie fühlt sich denn öppamol glaubs schu bitzli eifach wia bstellt und

nid abgholt“ (B1, Z. 217-218). Besonders ist bei seiner Schwester zudem: „das isch fascht die

einzig Person wo eigentlich woni etzta irgeneswia im Verlauf vo da Johr ah (.) jo gwechslat

han“ (B1, Z. 32-34), hat er doch früher mit ihr deutsch und nicht rätoromanisch gesprochen

(vgl. B1, Z. 27-34), „sie isch jetzt eso romanisch quasi prägt, dassi jetzt mit ihre dass sie mit

miar immer romanisch redt“ (B1, Z. 29-31).

Dass im Gesellschaftlichen – wie hier in einem rätoromanischen Gebiet – wo innerhalb des

Ortes oder der Gemeinschaft rätoromanisch gesprochen wird, sich im Vergleich zur Familie

nicht eine ganze Gruppe Einheimischer nach einer anderssprachigen Gruppe richtet, be-

schreibt nebst B2 auch B8 anhand einer fiktiven Situation, wobei sie eine Anpassung als

selbstverständlich betrachtet:

„I main denn wema irgeneswo anders goht, denn passen dia sich jo nid an mi ah, also, wenni in Russland bin, red niamert mit miar dütsch, wenni döt wohna ima Dorf, dia machend weg miar nid extra äh (.) Gmeindsversammlig uf dütsch oder was au immer, oder, wenni en Teil vo dera ganza Sach will werda, denn muassi mi jo au aso ahpassa“ (B8, Z. 541-545)

Auch bei B3 scheint diese Anpassung selbstverständlich, so sei man unter seinen Leuten mehr

sich selber und wenn man dann in eine andere Region geht, wo die Leute anders sind, „tuasch

di je noch dem e bitzli ahpassa“ (B3, Z. 187). Bezogen auf das Deutsche glaubt die Rätoro-

manin jedoch nicht, dass sie im Deutschen zurückhaltender oder weniger offen ist (vgl. B3, Z.

189-199), sie merkt lediglich, „dassi d’Wörter nid so han zum das sega woni usdrugga will (.)

äs kann au sii (.) zum Teil gits es si nit oder äs äs hät e bitz en anderi Bedütig“ (B3, Z. 192-

193). Da ihr dort manchmal die Worte fehlen, um das zu sagen was sie möchte, hat auch B3

das Gefühl, eher sich selbst zu sein, wenn sie rätoromanisch spricht (vgl. B3, Z.185-195). B6

beschreibt sich in dem Sinne auch als andere Person, als dass sie die Gegebenheit von ver-

schiedenen Stimmlagen erläutert: „im Italienische hani uu gmerggt dass i viel höher reda, wia

Romanisch und Dütsch bini no tüüfer als Romanisch“ (B6, Z. 1134-1135). Dies beobachtet

sie auch bei anderen Menschen und ist der Ansicht: „i glaub alli hend en anderi Stimmlag

wenn sie en anderi Sproch reded“ (B6, Z. 1225).

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Masterarbeit 67

Die Wichtigkeit, sich an die Sprache anzupassen, wenn man irgendwo hingeht, wird auch von

B6 erläutert, „will susch (.) lernsch eswia nüt (.) vo de Kultur oder (.) jo“ (B6, Z. 342-343).

Bei B6 zu Hause, wo früher nur rätoromanisch gesprochen wurde, erwies sich die mit den

Jahren erfolgte Anpassung sozusagen als normal. Ihr Vater hat eine deutschsprachige Freun-

din und so ist es für B6 auch nicht komisch, mit ihrer Schwester deutsch und nicht rätoroma-

nisch zu sprechen (vgl. B6, Z. 244-248). In Anbetracht des Sprachwechsels zeichnet sich bei

ihr jedoch auch gegenwärtig eine nennenswerte Entwicklung ab, spricht sie doch mit ihrem

jetzigen Partner vermehrt rätoromanisch, was wohl auch daran liegt, dass sie von sich sagt „i

mag dütsch eigentlich nid“ (B6, Z. 1152) und was ihr Partner sich bewusst ist (vgl. B6, Z.

1164-1171). Nicht zuletzt zeigt sich bei B6 ein interessanter Fall von Anpassung und späteren

Sprachwechsels aufgrund ihres Aufenthalts im Tessin bei ihrem von dort stämmigen Ex-

Partner. Zwar von Beginn an Italienisch gesprochen, hat B6 doch „öppa es Johr brucht bis i

denn dä Dialekt gredet han (.) will i eifach gwartet han, bis i’s han könna“ (B6, Z. 291-292).

In Bezug zu Dialekten erweist sich auch bei B7 ein Sprachwechsel, so spricht sie ihren Hei-

matdialekt zwar mit den Kindern, dieser Dialekt wurde jedoch an ihrem früheren Unterrichts-

ort nicht verstanden „und denn hani döt müassa ahfanga Sursilvan schwätze, oder grad wechs-

la und jetzt tuani das mit allna Lüüt, i tuan immer wechsla“ (B7, Z. 1095-1096). Dies scheint

ihr zu gelingen, so meint sie: „denn wüssen’s gar nid dassi vo, vo Sedrun bin“ (B7, Z. 1100).

Situationen wie während dem Studium, wo „dr romanisch Kuacha“ (B3, Z. 114) versucht hat,

sich für eine Person ans Deutsche anzupassen, erwähnt B3: „aber s’isch s’isch no luschtig (.)

me muass uu ufpassa, dass ma nid driikait waisch dass ma, wema öppis mit em andere schnell

sege will dass me denn nid uf Romanisch wechslet“ (B3, Z. 124-125). Ein Grund, dass sich

diese Anpassungssituation von oben genannten unterscheidet, könnte die Tatsache sein, dass

sich die Pädagogische Hochschule in deutschem Sprachgebiet befindet. Oder ganz logisch

klingend: „und bi de Dütsche isch halt, dia sin so, dia hen so nüt mim Romanisch z’tua ka und

wenn sie halt mit üs gsi sin, hesch halt schu eher dütsch gredet, jo (.) will sie’s sus eifach nid

verstanda hen und miar verstön jo (.) dütsch“ (B4, Z. 300-302). Auch für B6 ist es normal,

deutsch zu sprechen, wenn jemand kein Rätoromanisch kann (vgl. B6, Z. 268-272). So meint

sie: „i glaub miar sind am flexibelschta und könnd halt beides, drum machen miar das auto-

matisch “ (B6, Z. 78).

Dass es sich komisch anfühlen kann, wenn man mit gewissen Menschen plötzlich eine andere

Sprache spricht als die Gewohnte, damit man in einer Gruppe auch von allen verstanden wird,

bestätigt B4: „denn denggsch so dia verstoht jetz jo würggli nüt, aso (.) jo (.) aber vielfach

tüan miar scho, aso tuasch scho wechsla denn uf z’Dütscha“ (B4, Z. 320-321). Für B4 wäre es

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Masterarbeit 68

auch komisch, mit ihrem Vater plötzlich rätoromanisch zu sprechen, obwohl er es gelernt hat

(vgl. B4, Z. 364-379).

Das Ungewohnte an einer Person, welche eine andere Sprache spricht als eben die Gewohnte,

wird aus anderer Perspektive von B7 veranschaulicht am Beispiel von rätoromanisch auf-

wachsenen SuS, unterrichtet sie selbst doch sowohl in Deutsch wie auch in Rätoromanisch:

„für sie isch das denn uu komisch wenni plötzlich halt rr äh dütsch schwätze (.) wieso muasch

du jetzt dütsch schwätze, kasch nit, wieso und wieso muasch no hochdütsch schwätze“ (B7,

Z. 355-357).

Diese Ausführungen bestätigen folglich die Ansicht von B5: „aso Sproch isch für mi sehr,

sehr verbunda mit dr Person“ (B5, Z. 595-596). So wäre es für sie völlig fremd, mit einer

Freundin aus Kindertagen deutsch zu sprechen, könnte es dann doch ebenso auch Englisch

oder Italienisch sein (vgl. B5, Z. 593-595).

Allgemein kann festgehalten werden, dass die sich angewohnte Sprache mit dem Gegenüber

grundsätzlich nicht mehr gewechselt wird. Aufgrund des Rätoromanischen als Minderheiten-

sprache und der Dominanzsprache Deutsch in verschiedenen Funktionsbereichen ist die

Mehrheit der Befragten immer wieder konfrontiert mit Sprachwechseln. Im Gegensatz zu

ganzen Dorfgesellschaften erfolgt der Sprachwechsel innerhalb der Familie und kleinen

Gruppen häufiger. Generell charakterisieren sich die Befragten aufgrund ihrer starken Kon-

frontation mit dem Zweisprachigen zwar unterschiedlich, aber durchaus flexibel hinsichtlich

Anpassungen.

7.2.2 Hemmungen und Schamgefühle24

Mit Spracherleben verbunden sein können oftmals Hemmungen oder Schamgefühle, seien

diese bewusst oder unbewusst. Was dies anbelangt zeigen sich demnach auch verschiedene

Erfahrungen.

Stark beschäftigt mit dem Thema hat sich B2, das insbesondere aufgrund negativer Erfahrun-

gen, wurde sie nämlich mit 16 Jahren während ihrer Ausbildung in Chur ausgelacht: „Und ich

chan dier no genau sege was für Sätz oder was für Wörtli mier gseit hen, dass sie üs denn no-

cher au usglacht hend“ (B2, Z. 108-109). Folglich habe sie sich oft geschämt, deutsch zu

24 Anmerkung zum Unterschied zwischen „Hemmung“ und „Schamgefühl“: Gemäss Duden bedeutet eine „Hemmung“ „etwas, was jemanden in seinem Innern [...] daran hindert, etwas Bestimmtes zu tun“ oder „(je-manden in der Entfaltung seiner Persönlichkeit sehr behindernde, beeinträchtigende) innere Unsicherheit, die sich besonders in Verkrampftheit und Unsicherheit im Auftreten äussert; Gehemmtheit“ (Download am 20.10.217 von https://www.duden.de/rechtschreibung/Hemmung) ; „Scham“ ein „durch das Bewusstsein, (be-sonders in moralischer Hinsicht) versagt zu haben, durch das Gefühl, sich eine Blösse gegeben zu haben, ausge-löste quälende Empfindung“ (Download am 20.10.2017 von https://www.duden.de/rechtschreibung/Scham).

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Masterarbeit 69

sprechen, „ich glaub viellicht han i au persönlich so bitz Komplex oder waiss nid vo früehner

halt“ (B2, Z. 793-794). Eine besondere Stresssituation stellen für B2 beispielsweise Weiter-

bildungen oder Elternabende dar. Solche Präsentationen bereitet sie sorgfältig vor und achtet

dabei besonders auf die grammatikalisch korrekte Form der Artikel. Dazu kommt die Unsi-

cherheit „es chönti ja falsch sii und du als Lehrerin darfsch jo muesch jo Dütsch perfekt

chöna“ (B2, Z. 675-676), womit B2 insbesondere auch auf die Rolle als Lehrperson und die

damit verbundenen oftmaligen Erwartungen hinweist, als Lehrperson perfekt Rätoromanisch

und Deutsch zu beherrschen (vgl. B2, Z. 680). Vom Respekt davor, deutsche Arbeiten zu

schreiben, es nicht so gut zu können wie die Anderen oder dass jene Anderen einen Akzent

heraushören könnten, welcher sie als nicht deutschsprachig entlarvt, berichtet auch B3 (vgl.

B3, Z. 373-375). B2 erwähnt jedoch in diesem Kontext auch den Austausch mit anderen

Menschen, welche dieselben Erfahrungen haben, „will’s mi aso es stresst mi würgglich“ (B2,

Z. 808). Dieser Austausch helfe ihr „zum sege jonu Dütsch isch halt e Fremdsproch, ich chan

die Sproch halt no nid perfekt“ (B2, Z. 681-682). B2 geht weiter davon aus, dass viele Men-

schen dasselbe Problem haben, sich gestresst fühlen, jedoch nicht darüber reden (vgl. B2, Z.

991-992).

Situationen, in welchen jemand ausgelacht wird, nennt auch B6. Grund dafür sieht sie aber

eher in der Komik und kann deshalb das Lachen nachvollziehen. Sie fasst dieses Auslachen

infolgedessen auch anders auf: „es isch scho, wenn irgendöppis wirggli komisch seit, also

denn lached’s jo (.) aber das machen miar jo au (.) aso es isch kai, eswia kai uslacha, es isch

eifach lacha will’s blöd überikunnt“ (B6, Z. 507-509), weshalb es ihr damit auch nicht so

schlecht ergangen ist (vgl. B6, Z. 513-514). Somit erscheint dies eher lustig als tragisch. Be-

züglich lustigen Momenten berichtet B7 zudem, wie ihr sonst immer albanisch oder schrift-

deutschsprechender Mann zwischendurch auch mal rätoromanische Wörter verwendet, „aber

denn finden sie’s uu luschtig und er findet eig eig eigentli au nu für luschtig“ (B7, Z. 172-

173).

Weniger bis gar keine Erfahrungen mit Hemmungen oder Schamgefühlen hat B1: „i han nia

nia irgendeswia Diskrimination erlebt wegem Romanischa oder wegem Dütscha isch aigent-

lich immer schön parallel nebenenand ganga“ (B1, Z. 112-113) und auch B4 kennt – wie bei-

spielsweise bezogen auf einen Elternabend – keine Hemmungen: „Nai (.) gar nid, na-ha“ (B4,

Z. 270). Das Problem scheint ihr jedoch nicht unbekannt, so berichtet sie von Bekannten,

welche dies so erlebten (vgl. B4, Z. 444-448). Was Hemmungen bezüglich eine andere Spra-

che zu sprechen anbelangt, meint ebenso B5, dies nicht zu haben (vgl. B5, Z. 254-256). So

zeigt sich das

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Masterarbeit 70

„höchstens wenni etz neb miar öppert han woni waiss die könnd dia Sproch per-fekt, aso abgseh vo de Iiheimischa (.) aber wenn i jetzt mit öpperem in d’Feria gon und i waiss dia Person red perfekt italienisch oder englisch denn, denn hani schu ehender (.) a bitz (.) bini zrugghaltender (.) aber wenni allei unterwegs bin denn, oder mit öpperem wo’s glich guat oder nid so guat kann denn probieri’s eifach“ (B5, Z. 261-265).

Als ein ganz interessanter Fall angesichts Hemmungen zeigt sich B7, welche als Rätoromanin

mit ihrem albanischen Mann schriftdeutsch spricht. So glaubt sie, ihr albanischer Mann „het

eso bitz ah Hemmiga gegenüber d’Sprocha“ (B7, Z. 167). Bei ihr wie auch innerhalb der Fa-

milie waren selten Hemmungen vorhanden, andere Sprachen zu sprechen, ausser bei ihrem

Mann Rätoromanisch und bei ihr Albanisch, d.h. die jeweilige Muttersprache der beiden. Be-

gründet wird dies von B7 mit: „aber das het glaub scho au mitem Alter z’tua, i glaub wemer

jetz 20 Johr jünger gsi weren hettemer das sicher au gschwätzt, probiart“ (B7, Z. 689-690).

Gemäss B5 liegen Ursachen für Hemmungen möglicherweise auch einfach in der „Natur vom

Mensch“ (B5, Z. 280) oder daran, dass eigene Anforderungen zu hoch angesetzt werden und

das Gefühl aufkommt, alles so gut wie die anderen können zu müssen (vgl. B5, Z. 285-287).

Den meist zu hohen Anspruch an sich selbst erwähnt auch B8, wie beispielsweise ihr damit

verbundene Ärgernis, etwas nicht zu verstehen oder den Wunsch, es besser zu können (vgl.

B8, Z. 555-557). Sie unterstützt das Bild der Lehrperson, von welcher erwartet wird, dass sie

es perfekt kann, kennt ansonsten Hemmungen aber „nid würggli“ (B8, Z. 555). Den fehlenden

Mut, einfach zu sprechen, verbindet B8 jedoch auch mit Anfangsschwierigkeiten in einer Si-

tuation wie: „min Onkel isch jetzt grad do, die wohnen z’Amerika sus, sini Fründin isch au

do, kann nu englisch und denn am Ahfang hani immer Müah so mit englisch reda“ (B8, Z.

566-568).

Wurde bereits erläutert, dass B7 „auswärts“ nicht ihren Dialekt spricht, kann man sich fragen,

ob es nicht auch eine Art Hemmung ist. B7 weist zudem darauf hin, dass ihre Kinder eben-

falls automatisch wechseln, gar Schamgefühle offenbaren in Situationen wie: „denn het dia

Klii letschtin gsait, waisch miar hen eini im Kindergarta dia schwätzt au wi wi mir, waisch

genau wia miar, aber waisch i getrau mi nid so zum so schwätze ((kurzes Lachen)) (.)“ (B7,

Z. 1101-1103). Dass Kinder möglicherweise generell gehemmter sind, kommt zudem bei B3

deutlich hervor: „oder als Kind au bisch ghemmter und bisch sicher nid so spontan und saisch

und sicher nid so entspannt“ (B3, Z. 199-200).

Hemmungen und damit verbundene Erfahrungen im Austausch mit der Gesellschaft sind bei-

nahe allen Befragten auf verschiedene Arten durchaus bekannt. Die persönliche Auffassungs-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 71

art, der Umgang mit den eigenen Hemmungen, wie sie bei Anderen erlebt werden oder der

daraus resultierende Einfluss auf die Identität zeigen sich in ihrer Ausprägung jedoch unter-

schiedlich stark.

7.2.3 Stolz und Selbstbewusstsein25

Wenn die Befragten von ihren hemmenden Erlebnissen berichteten, betonten sie oftmals auch

einen gewissen Stolz hinsichtlich der Zwei- oder Mehrsprachigkeit, was auch mit positiven

Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein verbunden sein kann.

Vom Stolz sagen zu können „mol i kann eigentlich dia Sproch (.) i ghöra zu dera Sprochmin-

derheit“ (B1, Z. 128-128) berichtet insbesondere B1. Er erwähnt seinen Berufswechsel vom

Elektromonteur zum Lehrberuf und meint, dass „aso (.) viellicht isch’s würggli isch as a bitzli

au gwachsa de Stolz “ (B1, Z. 297), womit dies nebst dem gewonnenen Lebensalter auch auf

seinen Berufswechsel zurückgeführt werden kann. Dass man stolz sein darf, Rätoromanisch

zu können, wird auch von B8 erwähnt: „jo, i finda ma dörf au stolz druf si“ (B8, Z. 394), in-

dessen sich ein gewisses Recht darauf heraushören lässt.

Eher positive als negative Erfahrungen mit dem Rätoromanischen werden ebenso von B3 er-

läutert, speziell mit Bezug auf das Denken der Anderen: „du kasch au no Romanisch (.) aso

du häsch no e zuasätzlichi Sproch wo beherrschisch, du kasch mit üs do (.) eifach so kommu-

niziera und kasch glich no en anderi Sproch (.) so quasi es Plus“ (B3, Z. 367-369). Dass das

Rätoromanische als „lässig“ (B2, Z. 635) betrachet wird, wird so auch – trotz deren vorherig

ausgeführten negativen Erlebnissen – von B2 hervorgehoben (vgl. B2, Z. 614-619). B7

spricht gar von einer Modernität des Rätoromanischen, einer damit verbundenen Besonderheit

und somit einer Aufwertung: „und hützutags hani scho, eba, isch’s wia modern worda, wenn

du das kasch, bisch wia öppis speziells halt“ (B7, Z. 749-750).

Wie in Kapitel 7.2.2 erwähnt, verhält sich B5 zum Beispiel in den gemeinsamen Ferien ge-

genüber jemandem mit besseren Kenntnissen einer bestimmten Sprache, wobei die Einheimi-

schen ausgenommen sind, zurückhaltender. Wenn sie hingegen alleine oder mit der Sprache

gleich oder weniger Mächtigen unterwegs ist, versucht sie es einfach, wobei die Selbstsicher-

heit deutlich wird (vgl. B5, Z.261-265). Im Zusammenhang mit dem Ausgelachtwerden und

der Angst, Schwäche zu zeigen, kommt dies auch bei B3 zum Ausdruck – dies vor allem in 25 Anmerkung zum Unterschied zwischen „Stolz“ und „Selbstbewusstsein“: Gemäss Duden bedeutet „Stolz“ ein „ausgeprägtes, jemandem von Natur mitgegebenes Selbstwertgefühl“, „Selbstbewusstsein und Freude über einen Besitz, eine [eigene] Leistung“ (Download am 20.10.2017 von https://www.duden.de/rechtschreibung/Stolz) ; „Selbstbewusstsein“ heisst nebst der „(Philospohie) Bewusstsein (des Menschen) von sich selbst als denkendem Wesen“, „das Überzeugtsein von seinen Fähigkeiten, von seinem Wert als Person, das sich besonders in selbstsi-cherem Auftreten ausdrückt“ (Download am 20.10.2017 von https://www.duden.de/rechtschreibung/Selbstbewusstsein).

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Masterarbeit 72

Anbetracht dessen, dass das Deutsche für sie eine Fremdsprache darstellt: „aber dur das, dass

das eigentli e Fremdsproch isch, denggi amigs (.) ja warum nit, du häsch jo dini Sproch, dia

kasch (.) und jetzt isch das e zweiti Sproch und döt probiarsch eifach“ (B3, Z. 470-472), wo-

rin sich ebenfalls wie bei B5 ein gewisses Selbstbewusstsein erkennen lässt.

Dass B4 keine Hemmungen aufweist, ins Deutsche bzw. Rätoromanische zu wechseln, be-

gründet sie mit der Sprachkenntnis „guat gell i mergga i kann jo schu romanisch, äs isch jo

nid so dassi das nit“ (B4, Z. 270-271), was von einer Sicherheit in beiden Sprachen, da

Deutsch ihre Hauptumgangssprache ist, zeugt.

Allen Hemmungen zum Trotz betont B2 auch die Tatsache, Unsicherheiten zugeben zu kön-

nen, so hat sie auch schon laut überlegt, ob es „der“ oder „das“ ist: „und denn hens denn

gmerggt, dassi selber unsicher gsi bin, aber sus hens no nie (.) nai (.) aber i seg’s denn au oh

jetzt weissi nid jetzt muessi das schnell nochaluega“ (B2, Z. 715-716). Ähnlich geht es B8:

„Jo i han denn au kai Müah zum sega oh das waissi jetzt nid gad oder helfen miar i suacha as

Wort für wia haisst das uf Romanisch oder wia haisst das uf Dütsch oder wer waiss das uf

Englisch oder (.) i luaga denn halt au noh“ (B8, Z. 690-692). Sich Fehler einzugestehen, um

Hilfe bitten zu können, betont auch B5. Sie sagt von sich, dass sie selber keine Schwierigkei-

ten hat zuzugeben, wenn sie etwas nicht gut kann und einer Unterstützung bedarf: „do hani

kai Problem zum sega i kann das jetzt nit so guat oder hilf mer emol wiiter“ (B5, Z. 274-275).

B5 verweist zudem auf Lebenserfahrung „guat das isch jetzt viellicht bi miar au vom Alter

här, dassi miar sega muass, ok (2) also i waiss was i kann, i muass es jo eigentlich anderna nid

bewiisa“ (B5, Z. 287-288). Die Ansicht, dass der Stolz auch erst mit einem gewissen Alter

kommt, betont B1: „waisch de Stolz uf dia Zwaisprochigkait i glaub die kunnt erscht (.) dia

kunnt erscht mitem Alter“ (B1, Z. 102-103). Dieser Aspekt und die damit verbundene Le-

benserfahrung wird auch von B7 herausgehoben im Kontext des Ausgelachtwerdens und des

Akzents, welcher möglicherweise bei deutschsprachigen Rätoroman_innen hörbar ist: „i

waiss das scho jetz immer no, aber für mi isch’s denn au egal (.) i glaub je älter dass du

wirsch und plötzlich denggsch du jo denn söllen’s halt dengga (.) khört me’s halt“ (B7, Z.

725-727). Eine ähnliche Selbstsicherheit zeigt sich zudem bei B6, welche erläutert, dass man

sich anfangs schon komisch fühle, etwas falsch zu sagen oder korrigiert zu werden, mit der

Zeit „hani denn für mi eifach gsait (.) weisch was, eigentlich kann i romanisch, dütsch, italie-

nisch, französisch und miar isch’s eigentlich glich will du eigentlich nur ei Sproch kasch (.)

drum ah, also miar macht’s nüt us, nai“ (B6, Z. 283-285).

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Masterarbeit 73

Sämtliche Befragten verweisen über einen gewissen Stolz hinsichtlich der Zwei- und Mehr-

sprachigkeit, was auch mit den gewonnenen Lebenserfahrungen zusammenhängen kann.

Denn trotz oder auch wegen möglichen negativen Erlebnissen scheint dieses Selbstbewusst-

sein, eine Sicherheit innerhalb der eigenen Identität, insbesondere mit dem Alter gewachsen

zu sein. Ein Indiz dafür lässt sich beispielsweise durch das Eingeständnis von Fehlern finden.

7.3 Sprachbedeutung

Der in verschiedenen Situationen spürbare Stolz spricht auch dafür, dass es als bereichernd

empfunden wird, mehrere Sprachen zu sprechen. Im Folgenden soll der Wert von Sprache

mittels Ansichten der Befragten ausführlicher erläutert werden. In dieser Kategorie erfolgt die

Einteilung in eine individuelle und eine strukturelle Ebene, wobei dann insbesondere die Er-

gebnisse im Kontext der Sprachvermittlung und der zweisprachigen Schule festgehalten wer-

den.

7.3.1 Individuelle Ebene

An eine völlige Zweisprachigkeit, also das absolute Beherrschen von zwei Sprachen, glaubt

zweifelsohne B4: „seb glaubi uf jeda Fall“ (B4, Z. 428), sie selbst identifiziert sich jedoch

mehr mit der deutschen Sprache (vgl. B4, Z. 416-419). Eine stark ausgeprägte Zweisprachig-

keit zeigt sich insbesondere bei B5, so sagt sie von sich „i bin hundert Prozent zweisprochig

((kurzes Lachen))“ (B5, Z. 116). Bei B5 kommt es gar vor, dass sie sich nicht bewusst ist, in

welcher Sprache sie spricht, switcht sie doch zwischen den Sprachen hin und her (vgl. B5,

Z. 107-112), „i mergg nit aso miar isch amigs nid bewusst öbi jetzt dütsch oder romanisch

reda“ (B5, Z. 107-108), was auf die gelebte Zweisprachigkeit sowohl in ihrem Elternhaus wie

auch in ihrer gegründeten Familie zurückgeführt werden kann.

Für B1 ist es schwierig zu beurteilen, in welcher Sprache er sich am wohlsten fühlt: „also

mittlerwiila würdi maina, mittlerwiila könnti glaub würggli sega s’isch ah sehr zwaispro-

chig (B1, Z. 65-66), wobei sich dieses „mittlerwiila“ auch auf die langjährige Unterrichtstä-

tigkeit und die damit verbundene Konfrontation mit der rätoromanischen Sprache bezieht

(vgl B1, Z. 68-70). Im gleichen Fluss erwähnt er jedoch, wie ihm beispielsweise beim

Schreiben eines Mails auffällt, dass im Deutschen der grössere Wortschatz vorhanden ist

(vgl. B1, Z. 66-68). Auch das Denken beschreibt er als eher deutschsprachig, „ussert sege-

mer ussert d’Ziit in dr Schual isch natürli schu sehr dütsch-prägt, das isch äh i wür meina es

isch eher eher dütsch“ (B1, Z. 466-467). Bei B2 hingegen ist es eher der Schulunterricht

und nicht das Umfeld, wo sie das Deutsche gebraucht. Den Zusammenhang der Spracha-

neignung durch Anwendung fasst sie in Worte, so wäre es „ja Gwöhnigssach (.) wenni

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würggli jede Tag mit öppertem dütsch müessti rede“ (B2, Z. 555). Da es bis anhin haupt-

sächlich im Schulunterricht erfolgte, fühlt sie sich doch dort auch sicher im Deutschen,

„aber döt häsch so meh oder weniger ja immer die gliche (.) dr glich Wortschatz“ (B2, Z.

698), womit das sich zu Eigen Gemachte konkretisiert wird. Hat der Arbeitsort einen star-

ken Einfluss auf das Deutsche (z.B. B2) resp. das Rätoromanische (z.B. B1), ist dies bei B5

nicht so. Bei ihr wäre die Zweisprachigkeit ebenso präsent, auch wenn sie nicht dort tätig

wäre (vgl. B5, Z. 812-823).

B2 ist der Ansicht, dass man zwei Sprachen gleich gut beherrschen kann, „wema vo chli uf (.)

jo“ (B2, Z. 253) damit konfrontiert wird. Sie erwähnt jedoch auch die „Herzsproch wo me

viellicht lieber het“ (B2, Z. 252), so erlebt es B2 selbst, dass „wenni öppis uf dütsch studiera

muass (.) gohts überhaupt nit ring zum dä die Gedanke denn so z’ordne“ (B2, Z. 271-272).

Eindeutig am wohlsten im Rätoromanischen und nicht im Deutschen fühlen sich fernerhin B3

(vgl. B3, Z. 52-54) sowie B8. B8 verwendet wie auch B2 den Begriff der „Herzsproch“ als

etwas „woma sich kann besser usdrugga, woma kann (.) woma sich besser fühlt oder so“ (B8,

Z. 327-328). Sie beschreibt indirekt auch eine emotionale Seite, nämlich am Beispiel, wenn

sie mit jemandem schimpft oder wütend wird, „wenni öppis energisch muass sega denn segi

das uf romanisch (.) so, denn kunnt das mit meh Nachdrugg“ (B8, Z. 335-336).

Nicht nur, aber auch etwas von Aussen sowie ein Gegenüber sind laut B2 notwendig für die

Kommunikation (vgl. B2, Z. 290-298). Kommunikation wird benötigt um Identität zu bilden

und „Kommunikation ohni Sproch isch schwierig“ (B2, Z. 292-293). B1 bezeichnet die

Sprachbeherrschung auch als „z’Portfolio vo eim selber oder wenn du verschiedeni Sprocha

häsch, es isch öppis s’isch en Tail vo dier, ganz sicher oder“ (B1, Z. 485-486). Die Existenz

verschiedener Sprachen bringt mit sich, dass „eba dr eint e bitz e so isch und dr ander e bitz e

so“ (B1, Z. 496).

Sprache als Kommunikation – so wird die Bedeutung von Sprache mehrfach bezeichnet und

der grosse Wert wird relativ schnell ersichtlich. „Sproch isch in erschter Linia as Kommuni-

kationsmittel (3) as isch Verbindig zu anderna Menscha“ (B5, Z. 601-602). Die eigene Aus-

sage, ohne Sprache sei es nicht möglich eine Verbindung aufzubauen, wird ergänzt mit „aso i

meina an, an stumma Mensch kann schu au e Verbindig ufbaua zu anderna Menscha, aber das

isch sehr, sehr viel schwieriger“ (B5, Z. 602-604). Das Zwischenmenschliche, soziale Kon-

takte zu pflegen, stellt sich B5 um einiges herausfordernder vor (vgl. B5, Z. 608-609). Nicht

nur als Kommunikationsmittel, sondern gar als „das Haupt-ähm-kommunikationsmittel“ (B4,

Z. 151), „äs isch eso da Hauptding zum sich usdrugga“ (B4, Z. 155-156) wird Sprache von B4

charakterisiert.

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Masterarbeit 75

B7 beschreibt Sprache als „Verständigung, und ahm in-Kontakt-treta“ (B7, Z. 479). Auch sie

ist der Meinung, dass der Aufbau einer Beziehung und die allgemeine Kontaktaufnahme ohne

Sprache schwieriger zu bewältigen sind, „und drum findi au cool wema ebe viel Sprocha halt

kha, verstoht“ (B7, Z. 923), womit die Bedeutung des Verstehens an sich deutlich wird.

Dass Sprache die Tür zu anderen Menschen öffnet erläutert B1, „dur z’Romanischa isch miar

das eifach bewusster glaub i“ (B1, Z. 283). Abgesehen von diesen Möglichkeiten des Aus-

tauschs empfindet B1 Sprache auch als etwas, „wo du d’Emotiona viellicht au e bitzli ah (.)

gspüra kasch“ (B1, Z. 271-272). So erwähnt er zum Beispiel das Verbundenheitsgefühl, wenn

man in den Ferien jemanden Rätoromanischsprachigen antrifft, die Erfahrung des Kennenler-

nens über diese Sprache (vgl. B1, Z. 284-288). Die Möglichkeit, in den Ferien mit anderen

Leuten mehrere Ressourcen und Sprachkanäle nutzen zu können, „nid nu ei Sproch, sondern

eba luagsch so aha guat, denn romanisch, dütsch, französisch, englisch oder was kenni do,

mhm, wo könnti so“ (B8, Z. 793-794) kommt auch bei B8 zum Zug. Dass ihr so sowohl das

Deutsche wie auch das Rätoromanische im Englischen geholfen hat, erwähnt B5, findet sie

doch überall Parallelen wie das Kulturelle, was zur Horizontöffnung beiträgt (vgl. B5, Z. 179-

182).

B3 zeigt generell eine Vorliebe für Sprachen, wie für das Spanische, wurde sie doch durch

ihre spanische Schwiegermutter für die Sprache sensibilisiert und würde es gerne vertiefen

(vgl. B3, Z. 235-239). Jene Erfahrung könnte daher dazu beitragen, dass sie Sprache auch in

Zusammenhang mit Kultur setzt.

„dia im Süda (.) das isch e sona Lebensstil wo locker isch, legèr ähm (.) dia nimmen d’Sacha nid so ernscht (.) d’Sproch isch au dementsprechend, es hät me so Slang und es würd eifach so dahii gredet und denn häsch im Norde vo Italie wo eifach alles e bitzli ökonomischer isch und d’Sproch isch au dementspre-chend klarer und so und das macht schu en Typ au us“ (B3, Z. 167-171)

Ähnliches wird von B8 ausgedrückt, welche Identität auch als Heimat bezeichnet (vgl. B8, Z.

503). Sie ist bezüglich des Zusammenhangs zwischen Sprache und Identität der Meinung:

„as hilft a bitz zum (.) nai (.) in d’Schublada stegga, obwohli das nid gera han wenn ma so Lüüt dur irgenes Merkmol oder irgendöppis kann eifach so in d’Schublada ste, ma isch jo lang, wenn öppert zum Bispiel Zür Züridütsch redt (...) oder du bisch en Dütscha, i waiss nid (.) du bisch so und so, also dass d’Sproch au enart (.) jo Identität isch (B8, Z. 491-497).

Die Sprache hilft demnach sich einzuordnen (vgl. B8, Z. 518-523). B6 erläutert ihre Ansicht

damit, dass man gewisse Dinge könne, wenn man rätoromanischer Muttersprache ist, „i waiss

nit öbs denn mit dr Sproch zemehängt oder mit da Kultur vo da Dörfer oder irgendöppis, aber

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Masterarbeit 76

Dütschsprochigi hend au Dörfer, aber es isch nid glich“ (B6, Z. 359-361). So glaubt sie zum

Beispiel Rätoromanischsprachige „könnd eifach singa“ (B6, Z. 362). Formuliert B6 lediglich

dieses „nicht Gleiche“, ohne eine Zuordnung zu Kultur oder Dörfer, fügt B7 hinzu, dass auch

wenn Kultur fest zur Sprache gehört (vgl. B7, Z. 587), man auch eine Kultur kennenlernen

kann ohne die Sprache zu beherrschen, „aber i han z’Gfühl, ma het (.) an, wia an tüüfera Zu-

agang halt wenn ma d’Sproch au no kennt“ (B7, Z. 593-594).

Die Möglichkeit, dank der Sprachbeherrschung mit anderen Leuten in Kontakt zu treten, ver-

deutlicht B3: „und wennd ähm (.) s’Südamerika bisch und nur Englisch kasch ah isch’s eifach

nid z’glicha wia wenn du Spanisch kasch und mit dena denn uf Spanisch di unterhalta kasch“

(B3, Z. 153-154). Das Rätoromanische als Mehrwert wird auch von B8 empfunden (vgl. B8,

Z. 381), von welcher die Mehrsprachigkeit ebenso im Aspekt des Reisens und damit verbun-

denen Kulturellen als positiv herausgehoben wird. Die Chance, mit anderen kommunizieren

und sich in mehreren Sprachen ausdrücken zu können, „egal wo’d anagosch, irgendöppis ver-

stohsch, also nid grad egal nid ((kurzes Lachen)) in Asia oder so nid, aber so Europa oder

eifach Italienisch, du verstohsch, du kasch, du kasch lesa was do stoht“ (B8, Z. 462-464). B8

betont jedoch auch die Tatsache, dass es ihr nicht gelingt, zu jeder Sprache Verbindungen

herzustellen. Sie nennt als Beispiel einen Austausch mit Kindern aus Mazedonien und Serbien

oder die isländische Sprache und dass es sie ärgere, wenn sie in solchen Fällen nicht weiter

wisse (vgl. B8, Z. 809-824).

B1 nennt die geografische Perspektivenöffnung auch im Zusammenhang mit dem Beruf:

„segamer jetzt emol als Lehrer oder häsch natürlich könne romanisch, ins romanische Spro-

chgebiet oder au ins dütsche hettisch au könne goh ohni Problem“ (B1, Z. 120-122). Dass

Zwei- oder Mehrsprachigkeit „extrem viel Türa“ (B5, Z. 172) öffnet bestätigt auch B5, „und

nid nur rein ((atmet ein)) (.) sprochlich aso (.) jeda Mensch wo zweisprochig ufwachst erfahrt

das früehner oder spöter, dass z’Erlerne vo anderne Sprocha viel eifacher isch“ (B5, Z. 172-

174), habe man doch wie Brücken. Sie empfindet die Mehrsprachigkeit und den Umgang da-

mit dementsprechend als „sehr beriichernd“ (B5, Z. 168), „aso i bin eifach dr Meinig

Zwaisprochigkeit öffnet eim eifach dr Horizont“ (B5, Z. 188). Auch B1 betrachtet das Mehr-

sprachige als „extremi Beriicherig“ (B1, Z. 181), ebenso bezeichnet es B2 als „uu cool (.) uu

interessant und ich bin au uu stolz, dass mer so öppis hend, also dass mer würggli (.) zwüschet

dütsch, romanisch würggli hin- und her ja switche khan“ (B2, Z. 233-234). B4 erwähnt den

Begriff des vernetzten Denkens, „du gosch denn nit nu uf ai Siita, du denksch denn ah jo i

wüsst jo das au no aso wia kanni denn das uf z’nöchsta irgendwia au kombiniera“ (B4, Z.

593-594), denn nur mit einer Sprache Verbindungen herzustellen klappt nicht (vgl. B4, Z.

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Masterarbeit 77

600-603). B6 äussert eine ähnliche Ansicht: „i glauba wenn romanisch ufwachsisch kasch

eifach meh Sprocha lerne, viel eifacher“ (B6, Z. 650-651).

Mittlerweile denkt B6 auch nicht mehr, dass sie anders wirkt, wenn man sie auf deutschspre-

chend kennenlernt. Es braucht nicht mehr so viel Zeit zum Denken, „woni eba no wenig

Dütsch gschwätzt han, denn (.) bini a kli reserviarter gsi oder jo, nid so offa“ (B6, Z. 1144-

1145). Früher, als es wie sie sagt noch weniger automatisch gewesen sei, die Überlegung

noch war, wie es denn nun schon wieder heisst (vgl. B6, 92-93), „und denn isch’s scho verbi“

(B6, Z. 1130); so gilt doch „eigentlich muasch immer übersetze (2) und denn erscht reda“

(B6, Z. 97). Trotzdem glaubt sie nicht, die deutsche Sprache als Teil ihrer Identität zu be-

schreiben oder sich damit zu identifizieren, „willi nid so gern dütsch schwätze, i hassa dia

Sproch eigentlich, also hassa isch gar a ((kurzes Lachen)) ((unverständlich)) viel gsait, i mag

dütsch eigentlich nid“ (B6, Z. 1150-1152). Für B6 tönt Deutsch „melodisch schlecht“ (B6, Z.

1197) und scheint demnach mehr Mittel zum Zweck zu sein: „für mi isch z’Dütsche eigent-

lich, jo das kanni und das kanni brucha (.) denn isch es denn au“ (B6, Z. 1161). Dabei wird

die Notwendigkeit der Deutschkenntnisse deutlich.

Etwas anders kommt es bei B4 zum Ausdruck, so musste sie sich auch überlegen, ob sie ihre

Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule in Rätoromanisch absolvieren möchte, „will

z’Romanisch isch miar jetzt nid soo noch wia anderna“ (B4, Z. 18). Das Rätoromanische be-

schreibt sie zwar als zu ihr gehörend, doch am wohlsten fühlt sie sich im Deutschen: „Äs isch

eifach we mini Muattersproch, also i han eifach meh Be, aso, es isch jo, aber i fühl mi im

Romanischa au, aso nid aso dassi nid“ (B4, Z. 124-125). Sie bezeichnet den Zusammenhang

zwischen Sprache und Identität als gross und unterlässt es auch nicht, das Umfeld – ähnlich

wie bereits erwähnte Befragte – und den Heimatbegriff in ihre Erklärung miteinzuschliessen:

„i main wo du ufgwachsa bisch, wer um di uma isch, wer wia mit dier redet, das isch eso wia

dis (2) jo Dahaim und denn irgendwie (.) das ghört denn zu dier, ebe d’Sprocha (.) z’Umfeld

und so wiiter, aso i find das het schu no viel mitenand z’tua“ (B4, Z. 407-410).

Im sozialen Kontext beschreibt B3 die Sprache auch als „Schlüssel“: „Romanisch als Schlüs-

sel zu anderne Sprocha und eifach d’Sproch isch en Schlüssel zu de Lüüt au“ (B3, Z. 155-

156). Zudem verweist B3 auf die Kultur: „jo, i, äs isch sone Lebensstil (.) Kultur, äs isch äh

au e bitz wia Charakter (2) prägt en Charakter“ (B3, Z. 150-151).

Die Tatsache, dass ihr Partner nicht Rätoromane, sondern Albaner ist und die beiden schrift-

deutsch miteinander sprechen, hat auch B7 verändert: „Jo, also i glaub du muasch eifach uu

ähm offa si und uu flexibel und uu, halt au tolerant, völlig (.) und das hani scho au müassa

lerna“ (B7, Z. 567-568), so sei sie vorher „scho au eso jo immer eso und das muass aso si und

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Flavia Hobi

Masterarbeit 78

gradlinig und jo nid und dur das bini scho offener worda“ (B7, Z. 572-573). Sie hat gelernt,

nicht immer alles so extrem zu sehen und halt auch einmal etwas anderes gelten zu lassen

(vgl. B7, Z. 569-574). Die Frage, weshalb sie nicht albanisch spricht, scheint B7 selbst nicht

ganz beantworten zu können. Sie sagt, dass es möglicherweise anders gewesen wäre, wenn es

keine Kinder gegeben hätte, so versuche man doch den für beide Partner kürzesten Weg zu

nehmen (vgl. B7, Z. 430-436).

Von Charaktereigenschaften spricht im Kontext von Sprache und Identität indirekt auch B2:

„wia ma sich au fühlt het schu au mit de Sproch z’tua (.) isch ma selbst selbstsicher (2) het

mer Kollege [...] isch ma offa (.) schüch“ (B2, Z. 265-267). B2 selbst denkt „extrem roma-

nisch oder nu romanisch“ (B2, Z. 284), ja „Romanisch isch scho (.) so wie Dihei-sii“ (B2,

Z. 584-585). Dass sie in einer deutschsprachigen Stadt wohnt, was ihr auch wichtig ist, be-

weist ihre Wahrnehmung des hohen Stellenwerts der deutschen Sprache, denn „ich muess ja

irgendwie will ohni Dütsch goht’s jo au nid“ (B2, Z. 755) und „ich wett au perfekt dütsch

chöne“ (B2, Z. 751). B8 denkt, dass sie grundsätzlich derselbe Mensch ist in Deutsch wie in

Rätoromanisch und auch wenn es „nid soo en Unterschiied isch zwüschet zwüschet dütsch

und romanisch (3) aber im Romanische fühli mi no a bitz (.) besser, also, sicherer“ (B8, Z.

881-882). Nicht zuletzt – wobei an B2 angelehnt werden kann – weist B8 ebenso darauf hin,

dass: „es gengti au ohni Romanisch dur dr Alltag, also (.) ganz sachlich gseh“ (B8, Z. 393)

und B6 meint, „viellicht sin miar Romana eifach gwöhnt, dass miar üs ahpassa müand und

miar eifach e Sproch lerna müand und denn machen miar das eifach“ (B6, Z. 220-222).

Unbestritten stellt sich Sprache für die Befragten als ungemein bedeutend dar. Die Einschät-

zung des Zweisprachigen und die damit entstehenden Brücken und Verbindungen zu anderen

Sprachen dürfte dieses Bewusstsein verstärken. Auch wenn sich sämtliche Befragte als zwei-

sprachig bezeichnen lassen, zeigt sich die Erscheinungsform unterschiedlich stark und indivi-

duell hinsichtlich verschiedener Lebensbereiche. Die meisten der Befragten scheinen sich im

Rätoromanischen am wohlsten zu fühlen. Sie sind je nach Lebensbereich und der damit zu-

sammenhängenden Anwendung des Deutschen sowie der Einstellung zu jener mittlerweile

durchaus in der Lage, auch diese Sprache ausgesprochen flexibel einzusetzen.

7.3.2 Strukturelle Ebene (zweisprachige Schule)

Bei sämtlichen Befragten handelt es sich um Lehrpersonen von zweisprachigen Schulen

(deutsch/rätoromanisch), was zu einer sprachlichen Versiertheit beiträgt. Im Zusammenhang

mit dem Lehrberuf gilt es sich auch ihrer Macht, ihres Einflusses bewusst zu sein, welchen sie

durch den Gebrauch ihrer verschiedenen Sprachen ausüben. Die Botschaft, als Lehrpersonen

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Flavia Hobi

Masterarbeit 79

den SuS klarzumachen, dass sich dank Sprachen Verbindungen knüpfen, Brücken bauen und

Parallelen finden lassen, ist allen Befragten ein Anliegen.

Gemäss B5 erfolgt die Vermittlung von Mehrsprachigkeit nie unkomplizierter als in frühen

Jahren (vgl. B5, Z. 860-863). Sie betont jedoch auch die Wichtigkeit, eine Sprache richtig zu

beherrschen: „grundsätzlich meini eifach ma muass a Sproch beherrscha wema sie will

wiitergeh“ (B5, Z. 563), denn auch wenn sie sich in Italienisch verständigen kann, würde B5

sich nicht getrauen, die Sprache weiter zu vermitteln, da sie es meint zu wenig zu können

(vgl. B5, Z. 552-563). Ebenso ist es aufseiten der SuS, sprich der Empfangenden, wichtig,

„dass sie in einer Sproch relativ guat sattelfescht sind (.) will wenn’s kai Sproch würggli hend

wo miar do reden und unterrichtend (.) denn isch’s schwierig (.) wema denn no en anderi

Sproch zuasätzlich hät“ (B3, Z. 693-695). Darauf, eine gute Basis zu haben, verweist auch B8

mit „i glauba ei Sproch muasch guat beherrscha (...) dass dia andera Sprocha denn au quasi a

Chance hend, dass du, irgend Struktura hesch“ (B8, Z. 782-785).

B4 betont speziell die Vermittlung von der Freude, eine neue Sprache zu lernen, so sollen die

SuS auch auf dem weiteren Lebensweg denken:

„he das isch cool, i kann jetz öppis no meh, eigentlich, i waiss jetzt wia das uf Dütsch heisst und i waiss aber au wia’s uf Romanisch haisst, i dengga das isch so (.) für jo z’ganza Lerna isch das eso wi ihna mitgeh, he das isch jetz öppis neus und i kann jetzt das scho, as isch no öppis zuasätzlich won i ka, jo won i kann“ (B4, Z. 185-188).

Die Vermittlung dieser Freude und der Offenheit für andere Sprachen hebt auch B5 hervor

(vgl. B5, Z. 845-851). Motivierend wirken kann ebenso die Botschaft von B3, welche mit

Bezug zum Italienischen als Unterrichtsfach gegenüber den SuS betont, dass ihnen das Ver-

stehen dank dem Rätoromanischen besser gelinge (vgl. B3, Z. 84-89). Weiter ergänzt sie die

Sensibilisierung der SuS für Sprachen und deren Wichtigkeit bezüglich des weiteren Lebens-

wegs wie folgt: „aso das heisst jo nit, dass ma ohni Sprocha nid überleba wür aber, äs macht

vieles eifacher“ (B3, Z. 571-572). Von Bedeutung angesichts ihres Einflusses auf die SuS

erachtet B3 zudem die Tatsache, dass sie nicht nur Theoretisches aus einem Buch vermittelt,

in welchem steht, dass man mit vielen Sprachen weiterkommt, sondern dass die Erlebnisse

wirklich aus ihrem Leben stammen: „i verzella denn amigs so Sacha was gsi isch oder so Er-

lebnis (.) und denn merggens aah dass isch (.) das isch würggli (.) so passiart und es isch au-

thentisch, äs isch nit aifach öppis (.) eba (.) wo verzellt wird“ (B3, Z. 604-606).

Bezeichnet B3 Sprache als Schlüssel (siehe S. 77), versucht B1 dies auch so gegenüber den

SuS zu vermitteln:

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Flavia Hobi

Masterarbeit 80

„bim Romanischa isch’s eifach so dass mes uf dia guat i glaub uf dia guat Art probiart zum ihna sega hey du waisch nia das das bringt diar spöter merggsch uf z’mol (.) das isch en Schlüssel für anderi Sprocha und wenn du, wia du vorher gfrogt hesch (.) waisch d’Sproch gell d’Sproch isch öppis wo wo du eigentlich immer immer bruchsch und wo di au zema zemabringt und zemafüehrt als Menscha irgeneswia (.) und eifach das e bitz ihne ufz’zeige, viellicht (.) dass sie öppis speziells sind eso“ (B1, Z. 668-674)

B5 stellt zudem das Rätoromanische eher als Zufall dar und dass es vor allem um den Wert

von Mehrsprachigkeit geht: „es könnti au si dass miar do suaheli oder chinesisch oder eng-

lisch rede würen oder (.) äs isch jetzt eifach bi üs sin dia zwei Sprocha und es spielt kai Rolla

was für Sprocha as es sin, wichtig isch, es sin zwei“ (B5, Z. 852-854). Des Weiteren bezeich-

net sich B5 als mehr sensibilisiert für das Rätoromanische als in jungen Jahren und laut ihr

erweist sich der Einfluss im kleinen Rahmen wie im Kindergarten als grösser und wirkungs-

voller als ein auf einem Podium stattfindendes Plädoyer für das Rätoromanische (vgl. B5, Z.

828-839). Konkret praktiziert B5 diese Vermittlung zum Beispiel wie folgt, nämlich

„dass wenni Kind froga äh wüssen iar wia das uf Romanisch heisst und es kunnt en Antwort, denn frogi z’Portugiesakind wia heissts denn uf Portugiesisch oder wia haissts uf Englisch oder, dass ma eifach do immer wieder und dass isch nemli ganz spannend au für d’Kind, sie finden das au uu guat eso mergga wiaviel Para-llela git’s“ (B5, Z. 479-482).

Dass die Kinder dann auch nach parallelen Ausdrücken fragen zu Sprachen, wo jene gar nicht

existieren (beispielsweise Chinesisch), beweise das erfolgreiche Interessenwecken (vgl. B5,

Z. 499-500). So wird die Methode des Wortvergleichs auch von B4 betont, „eifach das sie

emol sega dörfen wie’s segen, aso oder eini wo schwedisch, wia seit me’s in dinere Sproch (.)

und denn ghören sie au mol en anderi (.) meh so, halt so spielerisch“ (B4, Z. 611-613).

Auch B2 versucht betreffend der SuS, „dass es ihne au bewusst wird wie cool es überhaupt

isch, dass sie zwei Sproche chönd, sogar drüü“ (B2, Z. 336-337). B2 betont ihre Verteidigung

des Rätoromanischen vor allem auch durch die Tatsache, dass es sich beim Rätoromanischen

um eine Minderheitensprache handelt und nur von wenigen Menschen gesprochen wird (vgl.

B2, Z. 327-331).

Ebenso denkt B2 –wie auch von anderen Befragten erwähnt – dass den SuS die Bereicherung

vor allem später bewusst werden wird und sie glaubt, dass ihre Botschaft gelingt, da B2 „sel-

ber extrem drvo überzoga bin dass s’Romanisch wichtig isch (.) und das merggen’s au unbe-

wusst“ (B2, Z. 1080-1081). Auch B6 vermittelt den klaren Standpunkt, „dass wenn sie roma-

nisch könnd, kömmen sie viel wiiter im Leba mit Sprocha“ (B6, Z. 669-670). Gleichermassen

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hat B8 zum Ziel, den SuS bewusst zu machen, auf das Rätoromanische stolz sein zu dürfen

(vgl. B8, Z. 387-394). Sie hebt die wichtige Erkenntnis hervor, so „goht jo nüt verlora (2)

wenn ma dia zwei Sprocha nebenand hend“ (B8, Z. 775), wobei Bezug genommen werden

kann auf die bereits erwähnte Ansicht von B4, welche den weiteren Spracherwerb als etwas

Neues, etwas Zusätzliches beschreibt und nicht als etwas Ersetzendes (siehe S. 79).

Im Zusammenhang mit den zweisprachigen Schulen werden Widersprüchlichkeiten26 sicht-

bar, wobei dies oft aufgrund der Eltern oder durch die von den Eltern beeinflussten Einstel-

lungen der Kinder beschrieben wird. Insbesondere B6 betont die teilweise negativen Sicht-

weisen vonseiten der Eltern, „d’Eltere segen sogar selber, das Romanisch isch eh nüt (.) dia

Stund (.) müans au kai guati Nota macha, müans au kai Huusufgaba macha, müans au nid

lerna, das isch alles egal“ (B6, Z. 686-687). Auch B2 denkt „dia maischte hen z’Gfühl es segi

nid so wichtig, zum romanisch könne“ (B2, Z. 463) und später wenn es um die Oberstufe geht

„khöri denn au e bitz us wie d’Eltera denn bim Romanische denken, döt segens denn au klipp

klar ja Romanisch bruchsch denn eh nie meh (.) denn würdi Italienisch neh“ (B2, Z. 468-470).

Das Rätoromanische wird aber durchaus auch als Privileg betrachtet, B6 beschreibt ihre zwei-

sprachige Schule als „scho kli ufem Tablet treit“ (B6, Z. 874), dies „a kli vo da Eltere und

denn isch’s as Pilotprojekt gsi“ (B6, Z. 882). Zweisprachige Schulen bieten die Möglichkeit,

sich sozusagen gratis eine zweite Sprache anzueignen, sie können gar Grund dafür sein, dass

Familien an den Ort dieser zweisprachigen Schule ziehen (vgl. B5, Z. 715-721). B3, welche

in einer deutschsprachigen Stadt unterrichtet, erwähnt auch den Faktor der Heimat der Eltern,

„will es hät glich vo al also vo dä Täler (.) aahm Eltera do wo gern würen ihri Kind (.) halt in

dera Sproch glich no e bitzli dina ha“ (B3, Z. 31-32), nennt jedoch ebenso die Tatsache, dass

es auch Kinder gibt, die wirklich nur in der Schule rätoromanisch sprechen (vgl. B3, Z. 322-

323), was für sie als Lehrperson dementsprechend eine Herausforderung bedeutet (vgl. B3, Z.

325-331).

Verantwortlich dafür, dass Eltern ihre Kinder in die zweisprachige Schule schicken, könnte

auch der von Befragten mehrfach erläuterte Grund, da es „do kei Usländer hät“ (B3, Z. 672)

sein, „denn segen’s ah das isch no e guati Sach döt ahm hät’s wenig Usländer und denn hen’s

no a Sproch drnebet“ (B3, Z. 686-687). Auch B7 meint „jo es het, es het halt döt het’s über-

haupt kai Usländerkind“ (B7, Z. 771-772) und erwähnt zudem ebenfalls den Einfluss der El-

26Aufgrund des keineswegs geringen Thematisierungsgrades innerhalb der Interviews und des nicht zu unter-schätzenden Stellenwerts – auch bezüglich der Theorie in Kap. 5 – gilt es, diese Ergebnisse hier darzustellen. Da sie jedoch hinsichtlich des konkreten Forschungsinteresses weniger zentral sind, kommt dieser letzte Teil der Ergebnisdarstellung in der Ergebnisdiskission nur gering zum Zuge.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 82

tern: „dass sie nid müan mit da anderna Usländerkind in d’Schual (.) also das isch eifach vo

da Eltere us au viel“ (B7, Z. 766-767). B1 drückt den vermuteten Grund, weshalb Eltern ihre

Kinder in die zweisprachige Schule schicken, etwas zurückhaltender aus, „ohni irgeneswia do

öppertem noh z’treta miar hend relativ en klina Usländer-Ahtail“ (B1, Z. 415-416).

In fast jedem Interview wurden die – aufgrund der Arbeit hinzugezogenen (vgl. B1, Z. 426-

428) – Portugies_innen erwähnt und dass sie infolge der Sprachverwandtschaft das Rätoro-

manische besonders schnell lernen würden. So bedeute es für sie eher den grösseren Krampf,

sich das Deutsch anzueignen: „drum also d’Portugiesa reden eigentlich mit üs dur dur z’Band

romanisch (.) do muasch du nia sege he ah red romanisch mit miar dia machen das automa-

tisch“ (B1, Z. 429-431), „will’s natürli nöcher isch“ (B4, Z. 650). Ebenso die Schilderung von

B6: „i han jetz eina wo ah portugiesisch dahai redet, de kann ah, de kunnt guat no“ (B6, Z.

786).

Mit Blick auf die Zukunft scheint die zweisprachige Schule nicht gefährdet, B6 erwähnt, „äs

kömmed immer meh und meh“ (B6, Z. 892) und auch B7 betont einen völligen Zuwachs (vgl.

B7, Z. 753-761). Möglicherweise könnte es aufgrund der Fusion von Dörfern und dem Kos-

tenpunkt wieder zu rein deutschsprachigen sowie rein rätoromanischsprachigen Klassen (in

einer rätoromanischen Fusionsgemeinde ausserhalb) kommen (vgl. B7, Z. 265-291), was auch

B6 meint: „as wird sicher irgendwenn ei dütschi und ei romanischi Klass ha“ (B6, Z. 715).

B3, welche in einer zweisprachigen Schule arbeitet und einer deutschsprachigen Stadt wohnt,

betont ebenfalls die positive Entwicklung und glaubt, dass es zukünftig noch mehr Anmel-

dungen für die zweisprachigen Klassen geben wird (vgl. B3, Z. 553-563).

Angesichts ihrer Rolle als Lehrpersonen und der damit einhergehenden Sprachvermittlung

scheint es sämtlichen Befragten ein Anliegen, die Bereicherung durch Mehrsprachigkeit, die

Freude und die Offenheit dafür weiterzugeben. Die Vermittlung des Bewusstseins bezüglich

des Rätoromanischen als Minderheitensprache kommt bei den meisten Befragten ebenfalls

stark zum Ausdruck. Die Tatsache der Lehrtätigkeit in einer zweisprachigen Schule bringt

zudem den Umgang mit den Einstellungen von anderen Akteuren mit sich, so insbesondere

von SuS oder deren Eltern, was sich auch als herausfordernd darstellen kann.

7.4 Typenbildung Aufgrund der inhaltlichen Analyse der Ausprägungen ausgewählter Merkmale haben sich drei

verschiedene Typen herauskristallisiert. Demnach soll nun im Folgenden versucht werden die

acht Befragten einzuordnen. Es ist naheliegend, dass es Überschneidungen gibt und dass die

Merkmale einer befragten Person auch zu einer anderen Kategorie passen könnten. Die Struk-

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Masterarbeit 83

tur für die Begründung der jeweiligen Typenbildung ist so aufgebaut, dass zuerst Bezug ge-

nommen wird auf das soziale Umfeld, wie beispielsweise Elternhaus, Familie, Partner, Kin-

der, dann auf den Arbeitsort Schule und zuletzt auf die Frage, inwiefern die Befragten einen

Wechsel als Lehrperson von einer zwei- in eine einsprachige Schule in Betracht ziehen wür-

den.

7.4.1 „Die Herzsprachlerinnen“

Diese erste Kategorie charakterisiert sich hauptsächlich dadurch, dass sich die eingeordneten

Befragten B2 und B6 – aus rätoromanischen Gebieten stammend sowie rätoromanisch aufge-

wachsen – durch eine starke rätoromanische Identität auszeichnen und dies auch gegen aussen

klar vertreten.

B2 ist vor allem geprägt durch negative Erfahrungen mit der deutschen Sprache, auch heute

sieht sie Präsentationen wie Elternabenden jeweils mit Respekt entgegen (vgl. B2, Z. 84-90).

Das Rätoromanische ist ihre Herzsprache, im Rätoromanischen fühlt sie sich Daheim (vgl.

B2, Z 583-585), „ja also ich denke extrem romanisch oder nur romanisch“ (B2, Z. 284). Sie

ist verwurzelt im rätoromanischen Sprachgebiet, ihr Umfeld ist hauptsächlich rätoromanisch-

sprachig und der Partner sollte es wenn möglich auch sein. B2 wohnt zwar in einer deutsch-

sprachigen Stadt, was sie einerseits als Möglichkeit betrachtet, andererseits jedoch auch der

Notwendigkeit halber, nämlich zur Aneignung der deutschen Sprache (vgl. B2, Z. 26-28;

Z. 753-756). B6 mag Deutsch grundsätzlich nicht, deren Kenntnisse sind für sie mehr Mittel

zum Zweck. So hat B6 während ihrem Aufenthalt im Tessin beispielsweise mit Deutsch-

schweizern nicht deutsch, sondern italienisch gesprochen (vgl. B6, Z. 158-175). Diese Spra-

che schien ihr mehr zu liegen – das Deutsche muss halt sein und sie kann sich auch nicht

wirklich mit der Sprache identifizieren (vgl. B6, Z. 1158-1161), obwohl sie mittlerweile

glaubt, im Vergleich zu früher Deutsch so gut wie Italienisch zu beherrschen (vgl. B6, Z. 105-

112). Ein starkes Indiz für ihre Verwurzelung ist zudem die Tatsache, dass sie nach und nach

mit ihrem deutschsprachigen Partner rätoromanisch spricht, ist es ihr doch wichtig, dass er es

wenigstens versteht (vgl. B6, Z. 228-230).

Die starke Verankerung im Rätoromanischen zeigt sich bei B2 und B6 auch bezogen auf die

Sprachverwendung mit den SuS. So betont B6, dass sie – abgesehen von den Fächern, welche

in deutscher Sprache vorgesehen sind – konsequent bei ihrer Muttersprache Rätoromanisch

bleibt, da die SuS ja Rätoromanisch verstehen: „Denn müasst’s für mi gar nid in Frog ko uf

Dütsch z’wechsla“ (B6, Z. 403). Bezüglich der Aneignung des Rätoromanischen erwartet sie

Engagement vonseiten der SuS, da werden keine grossen Ausnahmen gemacht (vgl. B6, Z.

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Masterarbeit 84

799-801). Auch B2 spricht mit den Kindern durchgehend rätoromanisch, ausgenommen na-

türlich in Fällen wie mit 1. Klässler_innen, welche nicht alles verstehen (vgl. B2, Z. 384-393).

Zudem erwähnt B2 – und was die Unterschiede zwischen den Typen besonders veranschau-

licht – wie sie den in der noch folgenden Kategorie der „Zweisprachigen“ eingeteilte B1 eher

einmal deutsch sprechen hört im Gegensatz zu ihr, wo die SuS klar wissen, dass sie rätoroma-

nisch zu reden haben (vgl. B2, Z. 1058-1090). Interessanterweise passen sich zudem die ande-

ren Lehrpersonen im Team ihr an (B1, B4, B5), sie sprechen mit B2 rätoromanisch. Dies liegt

möglicherweise auch daran, dass die Schule quasi der rätoromanische Ankerpunkt im eher

deutschsprachigen Dorf ist und und die Lehrpersonen sich dessen bewusst sein zu scheinen.

Obwohl niemand der Befragten den Wunsch geäussert hat, den Arbeitsort zu wechseln, zeigt

sich die Ausprägung der Sprachen auch in der Frage bezüglich eines möglichen Wechsels des

Arbeitsortes von der zwei- zu einer einsprachigen Schule. Denn so würden sowohl B2 wie

auch B6 bei einem Wechsel von der zwei- zur einsprachigen Schule eine rätoromanischspra-

chige Schule klar vorziehen: „schu lieber nid inere dütsche Schuel wo nur dütsch isch“ (B2,

Z. 28). Dass die Schule auch rätoromanisch ist, war B2 bei der Bewerbung „sehr wichtig“

(B2, Z. 15). Diesbezüglich etwas flexibler scheint B6: „Jo ehner romanisch ((kurzes Lachen))

(.) das wer für mi scho ahgnehmer als nur dütsch“ (B6, Z. 128), wäre eine deutschsprachige

Schule bei ihr auch mit mehr Arbeit verbunden (vgl. B6, Z. 135).

7.4.2 „Die Muttersprachlerinnen“

B3, B7 und B8 haben Rätoromanisch als Muttersprache und sind in einem rätoromanischen

Gebiet aufgewachsen. Im Vergleich zu den „Herzsprachlern“ beharren sie jedoch weniger auf

dieser Sprache und scheinen toleranter gegenüber dem Deutschen zu sein resp. haben auch

weniger negative Erfahrungen damit gemacht.

Wenn B3 es „im Nochhinein“ (B3, Z. 389/393) als wichtig bezeichnet, dass ihr Partner räto-

romanisch spricht, weist dies darauf hin, dass sie nicht von Beginn an mit dieser Einstellung

jemanden gesucht hat. Durch den Wegzug aus dem rätoromanischen Tal in eine deutschspra-

chige Stadt wurde damit verbunden auch der Freundeskreis deutschsprachiger – dies im Ver-

gleich zu B2. Von Erfahrungen negativer Art im Kontext der deutschen Sprache hat sie sich

eher distanziert. Auch B8 betont, dass sie bei einem allfälligen Partner keine Rätoromanisch-

kenntnisse voraussetzt, „so aso romanisch oder dütsch wer guat“ (B8, Z. 360-361). Es „wer

natürli cool könnd“ (B8, Z. 352) er Rätoromanisch bzw. würde er es lernen. Ihre etwas grös-

sere Affinität zum Deutschen als bei B2 und B6 dürfte auch darauf zurückzuführen sein, dass

sich B8 mit der einen Grossmutter nur in Deutsch verständigt hat (vgl. B8, Z. 36-37; Z. 52).

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Masterarbeit 85

Bei B7 zeigt sich die Toleranz darin, dass sie betreffend ihrer Partnersprache immer beim

Schriftdeutsch geblieben ist und nicht darauf bestanden hat, dass ihr albanischstämmiger

Partner mit ihr rätoromanisch spricht, obwohl er es verstehen würde. Es beeindruckt, wie

stark sich B7 das Schriftdeutsche durch die Gegebenheit, dass es ihre Partnersprache ist, an-

geeignet hat und Teil ihrer Identität werden liess. Die Toleranz von B7 gegenüber anderen

Sprachen wird zudem deutlich in ihrem Anliegen, dass ihr Partner mit den beiden Töchtern

seine Muttersprache Albanisch spricht und sie die damit verbundene Kultur erfahren (vgl. B7,

Z. 577-582).

Dass B3 – obwohl ihr Unterrichtspensum so organisiert ist, dass sie quasi nur rätoromanisch

spricht – weniger auf dem Rätoromanischen beharrt als B2 oder B6, zeigt sich in den von ihr

beschriebenen Situationen, wie wenn die Kinder ihr spontan etwas erzählen und dies auf

Deutsch tun (man beachte den Schulstandort in deutschsprachigem Gebiet) „und döt luagi

denn amigs (.) was isch denn wichtiger (.) isch wichtiger dass sie das sega könnd was was

ihna jetzt am Herza liiht oder isch jetzt döt wichtig, dass i sega segs uf dr Zwaitsproch“ (B3,

Z. 307-309). B8 beweist ihre Offenheit gegenüber anderen Sprachen besonders ausdrücklich,

nämlich indem sie erwähnt, wie gern sie auch Kenntnisse in Fremdsprachen hätte und wie es

sie nervt, wenn sie es eben nicht versteht, „i will das gera könna, au wenn’s nur zwei, drüü

Wörtli sind, so bitz, a bitz vo allem“ (B8, Z. 839-840). Dass B7 lange nur auf Deutsch unter-

richtet hat, wie an einer Schweizer Schule in Mailand oder auch später an ihrem jetzigen

Wohnort, war wohl nebst der Tatsache des Schriftdeutschen als Partnersprache nur unterstüt-

zend für ihre Aneignung dieser Sprache. So erwähnt sie einen Akt der Sprachaneignung in-

dem sie ihre Mühe, dank ihrem Mann korrekt deutsch zu sprechen beschreibt, „dassi würggli

richtig au schwätze, dass er richtig lernt halt au und richtig dia Usdrügg kennt, das hani scho

au, uu Acht druf geh“ (B7, Z. 892-894). Auch ihr als Rätoromanin könnten schnell einmal

Artikelfehler passieren wie „eine“ statt „ein Auto“, „das wo mer jo mengisch macht“ (B7, Z.

899). Es erstaunt somit nicht, dass B7 das Schriftdeutsche näher ist als das Schweizerdeutsche

und während dem Unterrichten sei sie sich auch nicht immer bewusst, ob sie nun schrift-

deutsch oder rätoromanisch spreche (vgl. B7, Z. 859-872). Diese grosse Flexibilität von B7

zeigt sich vor allem auch im Vergleich zu B6, welche längere Zeit als B7 in italienischspra-

chigem Gebiet verbracht hat und zwar zum Italienischen einen tieferen Zugang, jedoch weni-

ger zum Deutschen gefunden zu haben scheint.

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B7 würde es keine Rolle spielen, ob es sich bei einem allfälligen Wechsel von der zweispra-

chigen zur einsprachigen Regelschule um eine deutsch- oder rätoromanischsprachige Schule

handeln würde: „i da Schual hemer halt au Hochdütsch, und dur das i mit minem Maa hoch-

dütsch reda, isch das wia au, wia normal, also für mi isch das au vorana gsi, wenn i i da

Schual bin, das isch für mi, hochdütsch isch für mi normal“ (B7, Z. 852-854). B3 hingegen

hat noch nie nur auf Deutsch unterrichtet – wobei darauf hingewiesen werden soll, dass an

ihrem Arbeitsort aufgrund des deutschsprachigen Gebiets nur sehr wenige Lehrpersonen räto-

romanisch sprechen – und erwähnt die extreme Einarbeitung ins Schriftdeutsche, um „sattel-

fest“ (B3, Z. 217) zu sein. Deshalb „würdi jetzt nid so frisch vor Lebere sega jaja ich mach’s,

würi jetzt scho no überlegga und (.) bitz abwöga“ (B3, Z. 219-220). Obwohl B3 die deutsche

Sprache bis anhin stärker an sich herangelassen hat als B6, kann somit diesbezüglich katego-

rienübergreifend eine Parallele zu B6 konstatiert werden. Eine interessante Entwicklung be-

schreibt B8:

„Früehner hetti gseit nai, ähm jo, vorstelle chöntis miar schu (.) aber jo mini Herzsproch isch denn glich so Romanisch, fühli mi am wohlschte, aber i (.) i glaub wenn’s jetz halt müasst si oder (.) jo (.) könnti das schu au no macha (.) aber wenni dörft wehla denn (.) romanisch oder oder ebe zweisprochig, wia do, findi jetz eigentlich ideal“ (B8, Z. 185-188)

Dabei wird deutlich, welchen Einfluss die deutsche Sprache auf ihre Identitätskonstruktion

hat, was B8 jedoch auch zuzulassen scheint. Darin unterscheidet sie sich auch von B2 oder

B6.

7.4.3 „Die Zweisprachigen“

Die Kategorie der „Zweisprachigen“ zeigt sich vor allem in einer speziell stark ausgeprägten

Zweisprachigkeit im Deutschen wie auch im Rätoromanischen.

Zurückgeführt werden kann dies auf das bereits zweisprachige Elternhaus (B1, B5) oder das

deutschsprachige Aufwachsen (B4) in Kombination mit dem Besuch der rätoromanischen

Schule (B1, B4, B5). Dazu kommen die gegenwärtigen Familienumstände. B1 spricht sowohl

mit seiner Frau als auch den Kindern deutsch, bei B5 ist dies zwischen ihr und ihrem Partner

der Fall, und auch das Umfeld von B4 ist eher deutschsprachig. Die somit insbesondere durch

Partner und Kinder ausgelöste Präsenz des Deutschen oder das Umfeld beeinflusst wohl stär-

ker als dies bewusst wargenommen wird. So bezeichnet sich B1 als sehr zweisprachig, be-

merkt dann jedoch zum Beispiel beim Mailschreiben doch einen grösseren Wortschatz im

Deutschen. Die ausgeprägteste Zweisprachigkeit unter den Befragten darf wohl bei B5 kon-

statiert werden. Abgesehen davon, dass sie teilweise selbst nicht merkt, ob sie deutsch oder

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rätoromanisch spricht, was auch von anderen bestätigt wird (vgl. B5, Z. 911-918), ist sie nicht

nur zweisprachig aufgewachsen, sondern es wird auch in der mit ihrem Mann gegründeten

Familie so praktiziert. Das Rätoromanische ist vor allem in und dank dem Arbeitsort, d.h. der

Schule, präsent. Dies könnte möglicherweise auch die Tatsache begründen, dass sich B1, B4

oder B5 der zum selben Lehrerteam angehörigen und hauptsächlich rätoromanischsprachigen

B2 anpassen. Innerhalb des eher deutsch geprägten Lebensbereichs stellt die Schule in dem

Sinne eine Art Oase dar, in welcher das Rätoromanische gepflegt und erhalten werden soll.

Trotz der starken Konfrontation mit dem Deutschen sind sich B2, B4 oder auch B5 des Wer-

tes des Rätoromanischen sehr bewusst und heben ihren Stolz diesbezüglich auch hervor. So

hat B1 mit der Schwester von der deutschen zur rätoromanischen Umgangssprache gewech-

selt, B4 sich für den den rätoromanischen Ausbildungsgang entschieden oder B5 das Rätoro-

manische als Umgangssprache mit den Kindern gewählt.

Bezogen auf die Schule beharren B1, B4 und B5 im Gegensatz zu den anderen Befragten we-

niger auf dem Rätoromanischen. So erzählt B4: „aso i beobachta mi viel woni dengg he ei-

gentlich könnti de Romanisch aber i reda glich dütsch will er eifach au mit miar au dütsch

redet, und eigentlich wür sie’s schu verstoh (.) döt keii no schnell in das Muschter“ (B4, Z.

343-345) oder es spielt grundsätzlich weniger eine Rolle, welche Sprache das Kind spricht

(vgl. B5, Z. 463-469). Ausgenommen sind hier Situationen, wo konkret an der Sprache gear-

beitet wird. Beispielsweise besteht B5 nicht darauf, dass rätoromanisch gesprochen wird. Im

Dialog mit dem Kind behält sie ihre Sprache bei: „denn isch dr Dialog eifach so i reda roma-

nisch, z’Kind red dütsch (.) isch aber kais Problem, miar verstönd üs jo“ (B5, Z. 446-447) und

versucht bewusst zu machen, dass – egal welche Sprache – vor allem die Mehrsprachigkeit an

sich eine Bereicherung darstellt. Bei B1 wird dies per Zufall im Gespräch mit der an der glei-

chen Schule Befragten B2 deutlich, sagt sie doch eben, wie sie B1 im Vergleich zu ihr mit

den SuS eher einmal deutsch sprechen hört (vgl. B2, Z. 1058-1090).

Im Folgenden wird insbesondere auch die Abweichung von den beiden vorherigen Kategorien

7.4.1 und 7.4.2 ersichtlich. Beispielsweise würde sich B4 bezüglich eines Wechsels von der

zweisprachigen in eine einsprachige Schule in einem deutsch- wie rätoromanischsprachigen

Kindergarten gleich wohl fühlen: „nei das hetti jetz glaub kei Problem (.) aso (.) nei“ (B4, Z.

264). Ähnlich geht es auch B5, wenn sie sich für einen einsprachigen Kindergarten entschei-

den müsste. Denn so würde es ihr nicht darauf ankommen, ob es ein deutsch- oder rätoroma-

nischsprachiger Kindergarten wäre: „Das spielt miar kai Rolla“ (B5, Z. 775). Ebenso meint

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Flavia Hobi

Masterarbeit 88

B1 „ohni Problem“ (B1, Z. 122) sowohl im rätoromanischen wie auch im deutschen Sprach-

gebiet unterrichten zu können. Er glaubt jedoch nicht, dass er gerne in eine einsprachige

Schule wechseln würde, denn „ma isch glaub schu au e bitzli e bitzli stolz viellicht druf dass

ma dass ma so a zwaisprochigi Schual het“ (B1, Z. 295-296).

Auch wenn jede Person eine individuelle Sprachidentität aufweist, konnten nun aufgrund der

Einschränkung der Ergebnisse auf drei Typarten – nämlich „die Herzsprachlerinnen“ (B2,

B6), „die Muttersprachlerinnen“ (B3, B7, B8) und „die Zweisprachigen“ (B1, B4, B5) – doch

sowohl in gewisser Weise erstaunlich ähnliche wie auch völlig unterschiedlich verlaufende

Strukturen ihrer Identitätskonstruktion aufgezeigt werden. In einem weiteren Schritt ist es

Ziel, die in diesem Kapitel geäusserten Ergebnisse in einem theoretischen Rahmen zu disku-

tieren.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 89

8. Diskussion Im Folgenden wird nun die Beantwortung der Forschungsfrage – nämlich der Einfluss der

Sprache auf die Identitätskonstruktion der befragten Lehrpersonen zweisprachiger Schulen

(deutsch/rätoromanisch) – anhand der Ergebnisse und mit Bezug zur Theorie diskutiert. Ein

weiterer Bestandteil dieses Kapitels bildet die Methodendiskussion, wobei zentrale Kritik-

punkte deutlich gemacht werden sollen.

8.1 Ergebnisdiskussion

Die Abbildung V illustriert die im vorherigen Kapitel 7 thematisierten Kategorien „Sprach-

verwendung“, „Spracherleben“ und „Sprachbedeutung“. Für die nun folgende Ergebnisdis-

kussion zentral zeigt sich die Bedeutung von Macht. So wird versucht, Machtaspekte aufzu-

zeigen, welche sich auch innerhalb dieser Kategorien bewegen. Diese Machtstrukturen hän-

gen miteinander zusammen, beeinflussen sich gegenseitig, kennzeichnen sich durch Dynamik

und sind je nach Perspektive sichtbar oder weniger sichtbar. In irgendeiner Form sind sie je-

doch andauernd präsent und je nach Betrachtungsweise wären mögliche Abgrenzungen auch

nicht gerechtfertigt, weshalb eine strikte Unterteilung dieser Ergebnisdiskussion in Kategorien

eher irritierend als strukturierend wirken würde. Relevante Begriffe angesichts der Machtver-

hältnisse sind kursiv hervorgehoben, wobei dies bei mehrmaliger Nennung jeweils bei der

ersten erfolgt.

Abb. V: eigene Darstellung zur zentralen Bedeutung der Macht

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Flavia Hobi

Masterarbeit 90

An der Partnerfrage lässt sich besonders gut beobachten, wie sehr eine Person in den jeweili-

gen Sprachen verankert ist. So unterscheiden sich die mehr im Rätoromanisch verwurzelten

Befragten mit Wunsch nach einem rätoromanischsprachigen Partner (B2, B3) von stark Zwei-

sprachigen mit Deutsch als Partnersprache (B1, B5). Anderen Befragten, die sich entweder

eher im Deutschen (B4) oder im Rätoromanischen (B8) wohler fühlen, spielt es keine Rolle,

ob ein allfälliger Partner nun deutsch oder rätoromanisch spricht. Einzelne Rätoromaninnen

zeigen dies gar durch die Verwendung des Deutschen als Verständigungssprache (B6, B7) –

wobei individuelle Wünsche eben auch dem Partner angepasst werden. Jedoch dürfte diese

Feststellung in Bezug auf die Schwierigkeit, in einer anderen als der Muttersprache seine Ge-

fühle oder wichtige Dinge auszudrücken, etwas kritisch betrachtet werden. Dabei geht es teil-

weise weniger um das Ausdrücken an sich, als um den intendierten Inhalt genau auf den

Punkt zu bringen (B2). So wurden doch mögliche Missverständnisse von B7 erwähnt und

auch das von B3 betonte „im Nochhinein“ (B3, Z. 389/393) scheint den Stellenwert der Mut-

tersprache innerhalb der Partnerschaft zu bezeugen. Dies dürfte sich auch beim langsam er-

folgenden Sprachwechsel mit ihrem Partner vom Deutschen zum Rätoromanischen vonseiten

B6 (was mit ihrem Ex-Partner nicht der Fall war) bestätigen. Spätestens bei der Sprachver-

mittlung gegenüber den eigenen Kindern versteht sich die Weitergabe der Muttersprache oder

der Sprache, in welcher man sich am meisten Daheim fühlt (vgl. Kap. 4.3), von selbst. Es

scheint, dass in solchen Fällen auch die Macht einer Mehrheitssprache oder die Macht der

Partnersprache nicht gegen diese Intention ankommt. Die Macht der Muttersprache zeigt auch

das spontan verwendete Wort „tgutg“ (=„Tölpel“, „Dummkopf“) (B2, Z. 515), wo B2 für die

entsprechende Wortwahl im Schweizerdeutschen vermutlich länger hätte überlegen müssen.

B3 formuliert diesen Akt in Worte mit „me muass uu ufpassa, dass ma nid driikait waisch

dass ma, wema öppis mit em andere schnell sege will dass me denn nid uf Romanisch wechs-

let“ (B3, Z. 124-125) und bezeugt damit nebst der Rücksicht, sozusagen der Selbstverständ-

lichkeit sich sprachlich anzupassen, dass die Macht der bestbeherrschten Sprache auch gegen

die eigene Absicht doch immer wieder durchdringt. Dies lässt demnach auch eine gewisse

individuelle Machtlosigkeit gegenüber der Muttersprache deutlich werden, die sich in der

Identitätskonstruktion sichtbar macht.

Wieso eine angewohnte Sprache zwischen zwei Individuen grundsätzlich nicht mehr gewech-

selt wird, wurde weder hinterfragt noch versucht zu erklären – das Prinzip der „Anfangsspra-

che“ scheint akzeptiert, als von Natur aus gegeben. Folglich können allfällige Sprachwechsel

durchaus begleitet sein von einem komischen Gefühl. Gesprächsinhalte bleiben oberflächlich

(vgl. B2) und es ist alles andere als ein Gefühl von Zuhause (vgl. Schoen, 1996). Der Sprach-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 91

wechsel bei B1 mit seiner Schwester (vom Deutschen ins Rätoromanische) bildet in diesem

Sinne eine Ausnahme und beweist eine beeindruckende Flexibilität beiderseits. Im theoreti-

schen Kontext wird jedoch deutlich, dass es sich bei vermeintlich in der Natur liegenden Tat-

sachen auch um versteckte Machtverhältnisse handeln kann, welche in strukturellen Vorga-

ben wurzeln, ohne gleich erkannt zu werden (vgl. Kap. 4.1.2; Kap. 3). Prägend für die Identi-

tätskonstruktion der Befragten waren somit wohl auch die Erfahrungen, dass ganze Gemein-

schaften wie jene eines Dorfes sich nicht für eine Person anpassen, kleinere Gruppen hinge-

gen eher, was sich auch in den Beziehungskonstrukten der Lehrpersonen zeigt. Dies geht folg-

lich stark einher mit dem Gefühl des Dazu- bzw. des Nichtdazugehörens, sozusagen die

Sprachkenntnis als Bedingung für ein Gefühl von Zugehörigkeit (vgl. Kap. 2.4-2.5; Kap.

4.1.3; Kap. 4.2). Hier wird ebenfalls die Stärke von (sprachpolitisch) bestimmten Machtstruk-

turen deutlich, was durch die automatisch erfolgte Anpassung vonseiten der Rätoroman_innen

aufgrund der Macht der deutschen Dominanzsprache begründet wird (vgl. Kap. 5.1).

Anpassung erfolgt, um einander besser zu verstehen, zur Vermittlung eines Zugehörigkeitsge-

fühls. Einerseits passiert dies aus Anstand, andererseits auch aus Mitleid, wobei in diesem

Moment der Anpassung auch die Macht der angewendeten Sprache gestärkt wird (vgl. mul-

tiple Sprachidentität nach Kresic, 2006). Dies zeigt sich bei den Befragten speziell auch auf-

grund ihres Berufs als Lehrpersonen in einer zweisprachigen Schule. So festigen sie durch

ihre berufsbedingte Sprachvermittlung sowie durch die allgemeine Interaktion mit den SuS

entweder ihre eigene Muttersprache (Rätoromanisch bzw. Deutsch) oder stärken eine Fremd-

sprache. Dies alles verleitet zur Frage, wie stark der Sprachwechsel zur Gewohnheit werden

kann. D.h., wann die Dominanz der einen Sprache von der anderen übernommen wird, so

dass es nicht mehr nur Anpassung ist, sondern zur Inkorporation wird und der Wechsel un-

bewusst stattfindet. Mit Bezug zur Fragestellung wäre dann interessant zu reflektieren, inwie-

fern Identität verdeckt wird (B7 „verdeckt“ beispielsweise ihren Herkunftsort Sedrun) resp.

ob es sich überhaupt um eine Verdeckung handelt. So ist die sprachliche Anpassung (zumin-

dest sicher zu Beginn) eine bewusste Entscheidung des Individuums und verändert sich erst

mit deren Gewohnheit zum unbewussten Automatismus. Die Dominanz, die Machtübernahme

der einen zur anderen Sprache, zeigt sich somit auch innerhalb des Bewussten und Unbewuss-

ten – bei der unbewussten Anwendung wurde die Macht völlig übernommen.

Angesichts des Kriteriums, dass die Beherrschenden der einen Mehrheitssprache unterlegen-

den Minderheitensprache dank mehreren Sprachressourcen eher die Flexibilität aufweisen

(müssen), in eine andere Sprache wechseln zu können (vgl. Kap. 5.1), führt zur Diskussion,

dass jene als mächtiger charakterisiert werden könnten. Denn bei Sprachaneignung geht es

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Flavia Hobi

Masterarbeit 92

immer um den Erwerb von Zusätzlichem und nicht um den Ersatz von etwas Anderem (vgl.

Brohy, 1982; Cathomas & Lutz, 2015). Diese Flexibilität des Sprachwechsels kann folglich

durchaus als Machtmittel beschrieben werden, über welche die lediglich der Mehrheitsspra-

che Mächtigen möglicherweise nicht verfügen.

Dass man eine Sprache eben beherrschen will, um sich vor den die Sprache Beherrschenden

nicht zu blamieren oder weniger mächtig zu zeigen, erklärt wohl, dass B6 mit dem Sprechen

bis zur Beherrschung des italienischen Dialekts, der Muttersprache der Einheimischen, abge-

wartet hat (vgl. Kap. 4.1.2). Dialekt- oder Sprachvermeidung geschieht demnach auch aus

Respekt vor Scham (vgl. Kap. 4.2) oder ebenso aus Angst, nicht verstanden zu werden (B7).

Wenn sich B2 gar noch an die Sätze und Wörter erinnert, aufgrund welcher sie ausgelacht

wurde, zeigt dies, welch starke Narben diese negativen Erfahrungen hinterlassen haben. Die

Auswirkungen auf ihre Identität sind so folgenschwer, dass dies gar zu Komplexen führt (B2).

Der durch diese negativen Erfahrungen (vgl. Busch, 2013) verursachte Respekt, wie bei-

spielsweise vor Weiterbildungen, kann bis zur Nicht-Durchführung dieser führen und somit

auch zur Entbehrung einer grundsätzlich gewünschten Horizonterweiterung. Verursacht durch

äussere Reaktionen verpasst das Individuum eine Perspektivenöffnung, welche auch seiner

Identitätskonstruktion vorenthalten bleibt. Die Auslöser der äusseren Reaktionen sind sich

ihrem negativen Einfluss, ihrer möglicherweise negativen Macht und den Auswirkungen wohl

kaum bewusst. Der nebst Weiterbildungen ebenfalls erwähnte Respekt vor Elternabenden

(B2) entsteht auch durch das Berufsbild bzw. die (angenommene) Erwartung von der Gesell-

schaft, dass die Lehrperson in den jeweiligen Sprachen perfekte Kenntnisse aufzuweisen hat

(vgl. Wandruszka, 1979). Das unterscheidet die hier ausgesuchte Berufsgruppe als Sample

von anderen Berufsgruppen, da der Sprache in diesem Beruf einen grossen Stellenwert einge-

räumt werden darf. Ob diese Ansicht und damit verbundene gesellschaftliche Macht, nämlich

dass von der Gesellschaft eine perfekte Sprachbeherrschung der Lehrpersonen vorausgesetzt

wird, wirklich der Tatsache entspricht, kann hier nicht beurteilt werden. Diese Feststellung

vermag lediglich den Einfluss der gesellschaftlichen Erwartungen auf die Identitätskonstruk-

tion der Befragten zu betonen.

Die gesellschaftliche Macht zeigt sich auch in der Verschwiegenheit des Problems eines feh-

lenden Mutes und der fehlenden Macht, über das Problem der Hemmungen (vgl. Kap. 4.2) im

Identitäts- und Sprachkontext zu sprechen. Der positive Effekt durch den Austausch mit ande-

ren Betroffenen und die damit verbundene Unterstützung (B2) bleibt denjenigen, welche den

Austausch nicht nutzen, verwehrt. Nebst dem mit negativen Folgen verbundenen Ausge-

lachtwerden können äussere Reaktionen jedoch auch anders aufgefasst werden. So beschreibt

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Flavia Hobi

Masterarbeit 93

B6 das „blöde Herüberkommen“, das komisch Klingende, als (normalen) Auslöser für das

Auslachen und in diesem Sinne als nachvollziehbar. Wie das gesellschaftliche Verhalten vom

entsprechenden Individuum aufgefasst wird, ist entscheidend für die Einstellung zur Spracha-

neignung und scheint wiederum die Identitätskonstruktionen zu beeinflussen. Denn hätte B2

ihre negative Erfahrung ebenso als nachvollziehbares (Aus)lachen erlebt und interpretiert,

hätte sich dies wahrscheinlich auch anders auf die Entwicklung ihrer Identität ausgewirkt

(vgl. Kap. 2.3-2.5). Im Zusammenhang mit Hemmungen interessant zu diskutieren sind auch

die „Anfangsschwierigkeiten“, wenn man sich nicht getraut zu sprechen, da man die Sprache

länger nicht verwendet hat. Möglicherweise fühlt man sich ihr nicht genug mächtig, obwohl

angenommen werden dürfte, dass man es aufgrund der an sich ja vorhandenen, aber in diesem

Moment zu wenig präsenten Sprachkenntnissen doch wäre. In Bezug auf die Identitätskon-

struktion ist zu diskutieren, ob und inwiefern die Sprache in dieser Zeit „des Ungebrauchten“

durch die Dominanz, die Macht der anderen Sprachen, zu einem kleineren Teil der Identität

geworden ist (vgl. multiple Sprachidentität nach Kresic, 2006). Demnach geht es immer auch

um das Wissen des Gegenübers resp. das Wissen, welches man über diesen Menschen hat.

Daraus resultiert, dass man möglicherweise (auch unnötigerweise) generell zurückhaltender

ist in Gegenwart eines Menschen, der einer Sprache mächtiger ist (B5). Der Austausch mit

einer der Sprache mächtigeren Person kann sich jedoch durchaus auch fördernd und positiv

auf eine gelingende Sprachaneignung auswirken, gibt man sich doch dann besonders viel

Mühe mit der Korrektheit (u.a. B2, B7).

Sind Kinder gehemmter (B3), kann dies so auch bei Menschen in fortgeschrittenem Alter der

Fall sein, was indessen zeigt, dass sich Sprachaneignung in Abhängigkeit der verschiedenen

Lebensalter zeigen kann. Ähnlich begründet B7 die Gegebenheit, dass, anstelle des Rätoro-

manischen bzw. Albanischen, das Schriftdeutsche die Sprache zwischen ihrem Partner und ihr

ist. Die Aneignung von Neuem scheint mit Respekt verbunden, was die Macht des Fremden

verdeutlicht. Denn aus den als „definiert“ oder „als zu eigen gemacht“ empfundenen Teilen

der Identität ein Stück weit auszubrechen benötigt Mut. Doch damit dem Individuum eine

erfolgreiche Aneignung gelingt, muss dieser Mut wohl zugelassen werden.

Mit dem Lebensalter einhergehen kann demnach auch die Selbstsicherheit. Einige Befragte

verweisen auf die Tatsache, dass der Wert und die Macht von Sprachvermittlung erst später

bewusst werden. Dieses Bewusstwerden scheint wohl prägend für die eigene Identitätskon-

struktion. So kommt auch bei allen Befragten zum Ausdruck, dass die Anerkennung zu einer

Sprachminderheit zu gehören und somit eine Besonderheit darzustellen, aufwertend ist für das

Selbstbewusstsein. Dies kann auch dazu führen, dass eine andere als die Muttersprache ein-

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Flavia Hobi

Masterarbeit 94

fach einmal versucht wird zu sprechen. So deutet dies auf einen inneren Mut oder eine innere

Macht, welche durch eine individuelle Selbstsicherheit ausgelöst werden kann. Dies wiede-

rum lässt die gegenseitigen Wechselwirkungen von Individuum und Gesellschaft sowie deren

Einfluss sichtbar werden. Für einen erfolgreichen Wissenserwerb grundlegend ist demnach

eine gewisse Motivation. Je mächtiger diese Motivation ist, desto erfolgreicher der Wissens-

erwerb (vgl. Kap. 5.2). Zum Wissenserwerb, in diesem Falle zur Sprachaneignung, gehört

auch die Überwindung von Herausforderungen, was beispielsweise das Zugeben von

Schwachstellen beinhaltet. Den Mut (die Macht des Mutes) vor anderen Unsicherheiten zu

offenbaren (B2, B5, B8), bedeutet nicht nur diese Schwächen zu besiegen, sondern zeigt auch

eine gewisse Sicherheit innerhalb der eigenen Identität, denn ansonsten würde das Zugeben

dieser Unsicherheit wohl vermieden werden. In der Annahme, dass die Selbstsicherheit mit

zunehmendem Alter und der gewonnenen Lebenserfahrung steigt, zeigt sich ein Widerspruch.

Denn die immer neu erworbenen Erfahrungen – zusätzlich verbunden mit einem Leben zwi-

schen mehreren Sprachen – könnten sich, anders betrachtet, auch irritierend auf die Identitäts-

konstruktion auswirken. Im Zuge der Feststellung, dass sich Identität andauernd konstruiert,

stellt sich im Hinblick auf das Forschungsinteresse auch hier die Frage, wie die Vereinbarun-

gen dieser Erfahrungen konkret mit der Konstruktion von Identität zusammenhängen.

Dass Sprache als Kommunikation, als Verbindung zu anderen Individuen oder als Ausdrucks-

mittel verstanden wird (vgl. u.a. B2, B5 und Kap. 2.2), zeigt, dass Sprache Vereinfachung ist

angesichts der Realisierung von Interaktionen. Je ausgeprägter die Mehrsprachigkeit oder, in

Bezug auf die Identität, die verschiedenen Teile derer, desto mehr Kanäle (bzw. mehr Mäch-

te) können genutzt werden. Die Qualität dieser Kanäle (bzw. die Ausdehnung dieser Mächte)

ist unterschiedlich und wohl am höchsten bei den am meisten genutzten (vgl. multiple Sprach-

identität nach Kresic, 2006). Hier wird auch die Bedeutung des Unterschieds zwischen Spre-

chen und Verstehen deutlich, denn letzteres ist aufgrund der Erkennung von Brücken und Pa-

rallelen schneller möglich. Das konkrete Sprechen setzt durch die Notwendigkeit eines mäch-

tigeren Sicherheitsgefühls viel mehr voraus. Die Grenzen dieser Kanäle werden auch durch

die Tatsache sichtbar, dass sich nicht zu allen Sprachen Verbindungen herstellen lassen, was

folglich auch spezifischere Grenzen verdeutlicht, wie zum Beispiel im sozialen, kulturellen

oder geografischen Bereich (vgl. Wandruszka, 1979; vgl. Kap. 4.2). Es handelt sich sozusa-

gen um strukturell bestimmte Machtbarrieren, die ohne entsprechende Aneignung unüber-

windbar scheinen, was sich folglich auf die Identitätskonstruktion auswirkt. Die durch Mehr-

sprachigkeit verursachte Perspektivenöffnung, wie der Aufbau eines vernetzten Denkens

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Flavia Hobi

Masterarbeit 95

(B4), lässt sich nur durch Mehrsprachige beurteilen. Einsprachigkeit27 schränkt demnach ein,

den Einsprachigen bleibt diese Möglichkeit zur Beurteilung verwehrt. Die Einschränkung

durch Einsprachigkeit kann in dem Sinne auch so etwas wie den Weg des geringsten Wider-

stands darstellen. Das Individuum wird mit einer geringeren Wahl an Entscheidungsmöglich-

keiten konfrontiert (vgl. Kap. 2.3-2.5), wie es seine Identität konstruieren könnte und so auch

von der damit einhergehenden Herausforderung verschont.

In Anbetracht dieser Ausführungen kann das Bewusstsein über die Existenz von verschiede-

nen Teilidentitäten und Sprachen nebst dem „Patchwork“ (vgl. Kap. 2.4) oder des Modells der

multiplen Sprachidentität (vgl. Kap. 2.5) auch am Begriff des „Portfolios“ (B1) deutlich wer-

den. Daraus resultiert zudem, dass gewisse Sprachen durchaus in Bezug gesetzt werden mit

einem gewissen Typ oder mit einer gewissen Mentalität (B3) – gebildet und charakterisiert

durch dominierende, mächtige Kategorien, welche sich aus den schwächeren Kategorien kon-

stituieren. Dies bestätigt die theoretisch erläuterte Annahme, dass andauernd Kategorisierun-

gen vorgenommen werden (vgl. Busch, 2013), Individuen durch Merkmale in Schubladen

gesteckt (B8) und Identitäten durch Gesellschaft und Kultur konstruiert werden.

Je besser eine Sprache beherrscht wird, desto tiefer gelingt der Zugang zur Kultur (vgl. u.a.

B7 und Kap. 4.3) und demnach zu den Menschen. Dass dieser Zugang vorher nicht existiert

scheint auf die Einordnung als Andersartigkeit hinzudeuten. Die Herstellung dieses Zugangs

könnte folglich ein Weg zur Vermittlung eines Gefühls des Gleichen, wenn nicht gar der not-

wendige zur Erlangung dieses Gefühls sein. Mit der Aneignung einer anderen Sprache wird

man Teil von etwas Neuem oder das Neue Teil von Einem, anfangs fremde Leute werden zu

den Seinen oder man zu den Ihren. Machtunterschiede gewinnen an Bedeutungslosigkeit und

verlieren an Relevanz, was eher zu einem Gefühl des Gleichen, zu einem Gefühl von Daheim

(B4) und der damit einhergehenden Kultur (Schoen, 1996) führt. Mit einer kompletten

Sprachaneignung verbunden ist auch das Denken. So lange das Denken in einer anderen

Sprache anstrengend ist und länger dauert, macht sich auch die Sprachaneignung, die Über-

setzungsarbeit, stärker bemerkbar (vgl. u.a. B2, B6 und Wandruszka, 1979).

Geschieht der Sprachwechsel so automatisch, dass man sich nicht einmal mehr bewusst ist, in

welcher Sprache man spricht, verdeutlicht dies demnach eine starke Inkorporation, eine gros-

se Macht beider Sprachen (oder gar mehrerer) und eine wohl äusserst ausgeprägte Zweispra-

27 Die Autorin ist sich durchaus bewusst, dass in Bezug auf die Theorie Wandruszkas (Kap. 4.1.1) oder auch bezüglich Kap. 4.2 von der Annnahme einer grundsätzlichen Mehrsprachigkeit des Menschen ausgegangen wird und dass die hier genannte „Einsprachigkeit“ widersprüchlich aufgefasst werden könnte. Mit dieser Einsprachig-keit meint die Autorin, dass ein Individuum sich beispielsweise nur in der deutschen Sprache fliessend verstän-digen kann. Dies ändert nichts an der Annahme, dass diese deutsche Sprache des Individuums aufgrund äusserli-cher Beeinflussungen eine Mischsprache ist.

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Masterarbeit 96

chigkeit (vgl. Kap. 4.1.3). Erweist sich die Sprachaneignung in jungen Jahren als am erfolg-

reichsten (vgl. Blocher, 1909), verhilft dies auch dazu, dass zwei Sprachen gleich gut be-

herrscht werden können (B2). Mit Beachtung des Begriffs der Herzsprache, einer Sprache,

„wo me viellicht lieber het“ (B2, Z. 252), gilt es eine komplette Zweisprachigkeit jedoch an-

zuzweifeln, so wie etwa B5 von sich behauptet. Dass Zweisprachigkeit oder Sprachaneignung

nebst dem Lebensalter auch einhergeht mit sich stetig verändernden Räumen und Umständen

(vgl. Kap. 2.3-2.5; Kap. 4.2), wird in diesem Kontext auch durch das „mittlerwiila“ von B1

erklärt, „also mittlerwiila würdi maina, mittlerwiila könnti glaub würggli sega s’isch ah sehr

zwaisprochig“ (B1, Z. 65-66), gilt „mittlerweile“ doch als Synonym zu „zwischenzeitlich“

oder „indessen“. Ebenso das „mittlerwiile“ von B6 (B6, Z. 1140), welche mittlerweile nicht

mehr das Gefühl hat, im Deutschen auf Aussenstehende anders zu wirken als im Rätoromani-

schen. Dieses „mittlerweile“ scheint ähnlich dem genannten „im Nochhinein“ von B3 (B3, Z.

389/393) die gemachten Erfahrungen zu beinhalten, was demnach ebenso auf die andauernd

und aufgrund der mit der Gesellschaft verbundenen Wechselwirkungen neu hervorgebrachte

Konstruktion von Identität verweist (vgl. Kap. 2.3-2.5). Die hier angenommene, sich andau-

ernd neu konstruierende Identität kann somit auch mit andauernd reproduzierten Bildern, wel-

che einander überdecken, verglichen werden. Das Kennenlernen einer anderen Sprache, einer

anderen Kultur – wobei das Verstehen an sich schon ausreichen kann – führt auch zur For-

mung neuer oder der Erkennung von bis anhin unbekannten Charaktereigenschaften (vgl. u.a.

Kap. 2.3-2.5; Camartin, 1990), wobei wieder auf das „Portfolio“ (B1) verwiesen werden

kann. Dies weiterdenkend bringt auch die Diskussion nach der ursprünglichen Identität und

der Macht dieses Ursprünglichen innerhalb der sich formenden Teilidentitäten mit sich.

Obwohl eine Sprache beherrscht wird, kann sie als nichtidentifizierend damit empfunden

werden (B6). Die Sprachkenntnisse sind notwendig aufgrund von strukturellen Vorgaben, der

Macht der Mehrheitssprache über die Minderheitensprache, wie hier dargestellt das Deutsche

für die Rätoroman_innen (vgl. Kap. 4.1.2; Kap. 5). Die Annahme, in dieser Sprache auf Aus-

senstehende nicht anders zu wirken (B6), erscheint paradox, ist es doch fraglich, ob man sich

in einer nicht damit identifizierbaren Sprache nicht auch als „sich fremd“ fühlt und inwiefern

eine Sprachaneignung dann überhaupt erfolgreich ist. Die Beobachtung, dass Individuen in

ihren unterschiedlichen Sprachen auch verschiedene Stimmlagen aufweisen (vgl. B6 und

Camartin, 1990), würde eine Diskussion, ob man in einer anderen Sprache auf Aussenstehen-

de anders erscheint, eigentlich sowieso erübrigen.

Sprachaneignung spielt im Leben der Befragten aufgrund ihres Seins zwischen der Mehr-

heitssprache Deutsch und der Minderheitensprache Rätoromanisch speziell und zusätzlich

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auch in ihrem Beruf als Lehrperson einer zweisprachigen Schule eine grosse Rolle. Grundle-

gend für die gelingende Sprachvermittlung ist eine gute Sprachbeherrschung (vgl. Kap. 5.2)

vonseiten der vermittelnden Person (B5), ebenso eine solche von mindestens einer Sprache

auf Seiten der SuS für den Erwerb weiterer Sprachen (B3, B8). Denn abgesehen vom damit

verbundenen Sicherheitsgefühl, einem Gefühl der Macht, kommt es – davon wird zumindest

ausgegangen – auch weniger zur Übermittlung von „Fehlern“, was in das „Problem der Über-

setzung“ münden würde. Denn werden aus Unsicherheiten resultierende „Fehler“ vermittelt,

werden diese „Fehler“ auch weiterverwendet. Dies geschieht ohne das Wissen der Empfän-

ger_innen, dass es sich um Fehler handelt, was sich schliesslich auch auf die Konstruktion der

Wirklichkeit und somit auf jene der Identität auswirken kann (vgl. Kap. 2.3). In Anbetracht

der Stellung des Rätoromanischen als Minderheitensprache verlangt dies von den interview-

ten Lehrpersonen nebst einer gewissen Sensibilisierung für Zwei- resp. Mehrsprachigkeit zu-

gunsten einer erfolgreichen Vermittlung und Interessensweckung der Sprachen demnach ins-

besondere auch eine Sensibilisierung für das Rätoromanische an sich. Zweifelsohne ist jene

wohl bei allen Befragten vorhanden. Dies begründet einmal mehr die Einschränkung auf das

ausgewählte Sample, so steht die Berufsgruppe der Lehrpersonen in dieser Hinsicht doch in

einer besonderen Machtposition, dessen Bewusstsein es zu verdeutlichen gilt.

Die unscheinbaren Mächte des Rätoromanischen könnten sich demnach dank dem Minderhei-

tenstatus entfalten, wohl jedoch auch durch ihren Wert als Nationalsprache und dem damit

verbundenen Kultur- und Heimatgefühl, also der Identität sowie einer (neu gewonnenen) Er-

kennung des Werts von Sprachenvielfalt. Dies dürfte dem Rätoromanischen ein höheres

Machtpotenzial verleihen, welches sich schliesslich in den Identitäten der Individuen nieder-

schlägt. Somit werden auch hier die Beeinflussungen und Machtausübungen von verschiede-

nen Seiten angesichts der Passungs- und Verknüpfungsarbeit (vgl. Kap. 2.4) deutlich. Da

Sprachaneignung und die Einstellung dazu mit Machtaneignung einhergeht, mündet dies wie-

derum nicht zuletzt in eine Veränderung von Machtkonstellationen, sei dies angesichts der

(Teil)identitäten von Individuen (individuell wie gesellschaftlich), der Institutionen oder der

Sprachen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich in den Kategorien der Sprachverwendung, des

Spracherlebens und der Sprachbedeutung zentrale, sich wiederholende Aspekte zeigen. Dass

Machtverhältnisse existieren, wurde angenommen. So wurden nun jedoch insbesondere

Machtstrukturen aufgezeigt, bei welchen man sich ihrem Einfluss möglicherweise nicht oder

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zumindest von geringerer Dimension bewusst war. Mehr als angenommen müssen sie kei-

neswegs nur lediglich von Natur aus gegeben sein, sondern bewähren sich versteckt auf indi-

vidueller und struktureller Ebene durch machtbestimmte Vorgaben – wobei sich bei den in-

terviewten Lehrpersonen zweisprachiger Schulen abgesehen von der persönlichen Biografie

aufgrund des Berufsfeldes sowie der von deutscher Mehrheits- und rätoromanischer Minder-

heitensprache geprägten Sprachpolitik zusätzliche Konfrontationen und daraus resultierende

Machtverhältnisse zeigen. Die Sprachaneignung korreliert mit der jeweiligen Lebenssituation

und den damit verbundenen Erfahrungen, welche die Identität mitkonstruieren. Somit verän-

dern sich die unterschiedlichen Teilidentitäten, in welchen auch die situative Präsenz der ver-

schiedenen Sprachen zum Ausdruck kommt, insbesondere hinsichtlich ihrer Ausdehnung.

Dies alles entsteht aufgrund der Wechselwirkung mit der Gesellschaft, welche demnach auch

die Einstellungen des Individuums zu beeinflussen scheint. Diese Einstellungen des Individu-

ums bestimmen indessen, wie stark die Sprachaneignung erfolgt, inwiefern das Individuum

die Sprache, das möglicherweise Fremde an sich heranlässt und zu seinem Eigen macht. Das

dürfte schliesslich Einfluss darauf haben, wie wir unsere Identität konstruieren und wiederge-

ben, wie sie von Anderen wahrgenommen wird und deren Reaktion darauf, welche uns wie-

derum beeinflusst und somit die (angenommene) Wirklichkeit konstruiert. Das Bewusstwer-

den über die sich andauernd neu konstituierenden Machtstrukturen und Identitäten aufgrund

von gegenseitigen und einander beeinflussender Wechselwirkungen eröffnet neue Sichtwei-

sen, wobei das ganze Zusammenspiel von Individuum, Gesellschaft und Wirklichkeit in ein

neues Licht gerückt wird.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 99

8.2 Methodenkritik Die während dem ganzen Forschungsprozess erfolgten Erfahrungen bringen hinsichtlich der

Methode eine Reihe von Aspekten, welche es kritisch zu reflektieren gilt und die an dieser

Stelle diskutiert werden sollen.

Die Situation, dass die Stellen in den angestrebten zweisprachigen Schulen

(deutsch/rätoromanisch) überwiegend von weiblichen Lehrpersonen besetzt sind, führt zur

Tatsache, dass sich die Rekrutierung von männlichen Personen für das Sample als herausfor-

derungsvoll gestaltete. Zwar waren fast alle Schulstufen der Volksschule vertreten, ebenso

wie Lehrpersonen mit mehr wie auch mit weniger Berufserfahrung. Trotzdem darf die Frage

gestellt werden, inwiefern sich die Ergebnisse unterscheiden würden bei einem Einbezug von

mehr Männern oder gar bei einem komplett gegenteiligen Geschlechtsverhältnis, also sieben

Männern und einer Frau.

Wie aus den Ergebnissen deutlich wurde, bezeichneten insbesondere B2, B3, B6, B7 und B8

das Rätoromanische als ihre Muttersprache. Trotz Präferenz der Forscherin für das Schwei-

zerdeutsche wurde vor den Interviews explizit gefragt, wie es um die Interviewdurchführung

in Schweizerdeutsch stehe, was bei allen Befragten als problemlos bezeichnet wurde. Kritisch

gilt es aber zu hinterfragen, inwiefern einzelne Antworten möglicherweise tiefgründiger und –

auch aufgrund einer anderen Wortwahl – zu anderen oder auch erweiterten Resultaten geführt

hätten, wenn das Gespräch in Rätoromanisch geführt worden wäre.

Auffallend oft folgte speziell in Bezug auf die Frage zwischen dem Zusammenhang von

Sprache und Identität vor der Antwort meist eine Pause von einigen Sekunden, was zu zeigen

scheint, dass eine Erklärung keineswegs einfach zu formulieren ist. Interessant ist dann, dass

anhand einer unterschiedlichen Wortwahl doch ähnlich Gedeutetes gesagt wurde. Die Wahl

der Worte, auf diese Frage wirklich sagen zu können, was man meint, dürfte für die Befragten

als herausfordernd empfunden worden sein. Über die eigene Identität und Sprache zu spre-

chen (vgl. Busch, 2013) lässt kaum zu, dass auf andere Quellen zurückgegriffen werden kann,

da die Antworten nirgends anders oder nirgends ehrlicher existieren als in einem selber. So

war eine, in mancher Hinsicht erfolgte, starke Selbstreflexion der Befragten voraussetzend.

Dabei stellt sich die Frage, wie ehrlich die Befragten zu sich selbst und gegenüber der For-

scherin sein wollten und konnten. Demnach hätte man in Betracht ziehen können, den Befrag-

ten eine längere Reflexionszeit zur Verfügung zu stellen bzw. gewisse Fragen schon vor dem

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Flavia Hobi

Masterarbeit 100

Interview anzukündigen. Dagegen spricht jedoch das Argument, ob diese somit „eher sponta-

nen“ Antworten nicht ehrlicher sind, als wenn eine länger dauernde Reflexionszeit vorhanden

gewesen wäre.

In allererster Linie ging es grundsätzlich um die Person selbst, um ihre Identität, mit dem Be-

ruf der Lehrperson als gemeinsames Merkmal. Mehr als der Forscherin lieb war, wurde von

den Befragten jedoch Bezug genommen zur Schule. Hier stellt sich die Frage, ob die Forsche-

rin die Gespräche teilweise anders hätte steuern können oder die Formulierung konkreterer

Fragen notwendig gewesen wäre.

Zu kritisieren ist ebenso die Herausforderung, zwischen bewusstem und unbewusstem oder

freiwilligem und unfreiwilligem Spracherwerb zu unterscheiden, was inbesondere bezüglich

der Präsentation sowie der Diskussion der Ergebnisse zur Geltung kam. Um die Qualität der

interpretativen Analyse zu erhöhen und resultierend aus den hier erfolgten Erarbeitungen

müsste jede einzelne Situation mit ihren genau in diesem Moment darin präsenten Individuen

und Sprachen aus mehreren Perspektiven – wobei auch mehrere Forschende mit ihren ver-

schiedenen Sprachen gemeint sind – betrachtet werden, um die damit verbundenen Machtbe-

ziehungen zu deuten, was folglich von grosser Komplexität wäre.

Die Aufbereitung der Daten und deren Auswertung zeigt, dass es sich einem vorsichtigen

Umgang mit theoretischen Begriffen wie bei den hier durchgeführten Interviews bedarf. Die

Tatsache, dass die Befragten unter gewissen Ausdrücken – wie denjenigen der Identität oder

Kultur – möglicherweise anderes oder weiteres als die Forschende verstehen, kann sich insbe-

sondere in der Interpretation der Daten als schwierig erweisen. So besteht doch als Forschen-

de mit theoretischem Hintegrundwissen die Gefahr, die Theorie zu voreilig über das Material

zu stülpen (vgl. Schmidt, 2004). Eine Klärung von theoretischen Begriffen vor Interviewbe-

ginn wäre aus Sicht der Forscherin jedoch kontraproduktiv, da dies die Antworten der Befrag-

ten mit grosser Wahrscheinlichkeit beeinflusst, die Antwortauslegung in ihrer Freiheit einge-

schränkt und folglich den Verlust von wertvollem Datenmaterial zur Folge gehabt hätte. Ei-

nerseits könnte damit das theoretisch Erarbeitete auch beengend wirken und gewisse Perspek-

tiven verschliessen, was sich in der Darstellung und Diskussion der Ergebnisse niederschla-

gen würde. Andererseits soll jedoch vermerkt werden, dass durch die intensive Befassung mit

dem Theoretischen bei der Forscherin zweifelsohne ein Denken ermöglicht wurde, welches

sich ansonsten auch während der Datenerhebung kaum entwickelt hätte.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 101

Während der Auswertung und Diskussion des Materials wurde der Forscherin immer bewuss-

ter, welch ungemeiner Stellenwert der Macht zukommt. Es stellt sich die Frage, inwiefern die

Befassung mit dieser machttheoretischen Perspektive schon vor den Interviews hätte erfolgen

dürfen, um in den Interviews möglicherweise spezifischer darauf einzugehen. Da der Aus-

gangspunkt für die Themenwahl jedoch die Identität in Kombination mit der Sprache darstell-

te, hätte eine zu grosse Beeinflussung aufgrund dieser machttheoretischen Perspektive wohl

hinsichtlich des Forschungsinteresses und für alle Beteiligten auch irritierend wirken können.

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Flavia Hobi

Masterarbeit 102

9. Schlussfolgerungen Aus den in diesem Forschungsvorhaben erarbeiteten Erkenntnissen soll nun in einem ab-

schliessenden Teil nebst dem Gesamtfazit ein Ausblick formuliert werden, welcher den

fruchtbaren Boden für weitere Forschungsarbeiten deutlich werden lässt.

9.1 Fazit Die vorliegende Arbeit hat mittels der Darstellung verschiedener Sprachidentitäten – den Be-

ruf der Lehrperson in einer zweisprachigen Schule (deutsch/rätoromanisch) als gemeinsames

Merkmal – gezeigt, dass die unterschiedlichen Lebenssituationen der erfragten Lebensläufe

auch dementsprechend divergierdende Sprachaneignungen mit sich bringen. So wird die

Sprache einerseits nach und nach angeeignet und Teil der Identität, andererseits kann die Prä-

senz einer angeeigneten Sprache auch zu Einbussen führen, mithin weniger wahrgenommen

werden. Schliesslich bedeutet die Wahl einer Sprache gleichzeitig auch den Ausschluss von

anderen Sprachen und in diesem Sinne auch eine Sprachabwahl. Im Kontext der Spracha-

neignung sollen demnach auch die Begriffe der Gewohnheit und der Inkorporation genannt

werden. Bei alldem von Bedeutung zeigen sich die jeweiligen Einstellungen, welche durch

äussere Reaktionen beeinflusst werden. Denn inwiefern Sprachaneignung geschieht, kann in

grossem Ausmass vom Individuum gesteuert werden, wie beispielsweise bei der Entschei-

dung für den Wohnort (vgl. Situation von B2, welche als „Prototyp“ einer Rätoromanin die

Chance, in einer deutschsprachigen Stadt zu wohnen, um ihre Deutschkenntnisse zu verbes-

sern, nutzen möchte). Etwas anders ist dies wohl in Fällen von neuen Partnerschaften, wo

ganz nach dem Sprichwort „wo die Liebe hinfällt“, Kompromisse auch hinsichtlich der Wahl

der Partnersprache eingegangen werden müssen. Damit einher geht die Tatsache, dass diesbe-

züglich gewisse Entscheidungen bewusst oder unbewusst auch stärker von aussen gesteuert

werden (müssen). Veranschaulicht werden kann die jeweilige Lebenssituation zum Beispiel

anhand des Modells der multiplen Sprachidentität gemäss Kresic (2013), so verfügt doch je-

des Individuum über ein individuelles sprachliches Repertoire (Busch, 2013). Ganz nach

Wandruszka (1979; 1975) zeigt sich Sprache somit als viele Sprachen, als Mischsprache,

Notwendigkeit, Zufall, schöpferisches Spiel, aber eben auch als Übersetzung. Ein Diskurs

kann als sprachlicher Markt (Bourdieu, 1993) betrachtet werden, was ebenso resultierende

Machtverhältnisse zum Ausdruck bringt. So entstehen unzählige Perspektiven zur Konstrukti-

on der Identität, wie sie vom Individuum empfunden, von anderen wahrgenommen und darauf

wiederum reagiert werden kann. Konkret haben wir die Perspektive des Individuums, die Per-

spektive des Gegenübers, die Perspektive des Individuums auf die Reaktion des Gegenübers,

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Flavia Hobi

Masterarbeit 103

welche alle in jeder Sprache eine andere Perspektive darstellen sowie die damit verbundenen

Zeiten und Räume (Bachtin, 1979; 2008; Busch, 2013).

Folgende Abbildung versucht darzustellen, wo sich mögliche Machtbeziehungen der Befrag-

ten aufzeigen lassen:

Abb. VI: eigene Darstellung zur Herausarbeitung der Machtbeziehungen

Es handelt sich somit um Beziehungen zwischen einzelnen Individuen, Gruppen, der Gesell-

schaft, Institutionen, aber eben auch Beziehungen mit anderen Sprachen sowie mit dem In-

nern. Die zwei letzteren Elemente sind rot markiert, wobei sich bei deren Kombination ein

Aspekt herauskristallisiert, welcher aus Mangel an Sichtbarkeit als Aussenstehender wohl

kaum vollständig interpretiert werden kann: die Machtbeziehung zwischen dem Individuum

selbst und dessen innerer Sprache. Aufgrund der hier ausgeführten Ergebnisse kann festge-

stellt werden, dass mittels der Wechselwirkung seiner Identität mit der Gesellschaft und der

damit verbundenen Passungsarbeit die sprachlich-diskursive Konstruktion des Selbst ge-

schieht und dass sich darin für das Individuum die Wirklichkeit konstruiert. Damit einher geht

auch, wie diese zum entsprechenden Zeitpunkt des Gesprächs mit der Forschenden widerge-

geben wurde. Diese Widergabe hätte sich zu einem anderen Zeitpunkt und damit verbundenen

anderen Wahrnehmung – beeinflusst durch verschiedene Machtkonstellationen – möglicher-

Machtbeziehungen zwischen Befragten

und

Gesell-schaft Freunden

restlichen Verwandte

Partner_-innen von

Eltern-teilen

Eltern der SuS

SuS

eigenen Kindern(Ex-)Part-

ner_innen

Sprachen

leiblichen Eltern-teilen

Geschwi-stern

Lehrer-team

Schulen/Behörden

Innern

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Flavia Hobi

Masterarbeit 104

weise auch anders gestalten können (Busch, 2013). Somit wurde erkennbar, wie Identität sich

innerhalb der Wechselbeziehungen andauernd konstruiert und was Theorien wie nach Berger

und Luckmann, Keupp, Kresic (vgl. Kap. 2.3-2.5) oder Busch (vgl. Kap. 4.2) bestätigen. Es

handelt sich jedoch nicht nur um eine andauernde Reproduktion von Identität, sondern auch

der Kultur (Schoen, 1996). Diese grossen Begriffe beeinflussen sich gegenseitig, eine Tren-

nung von Identität, Sprache und Kultur soll daher nicht vorgenommen werden. Interessanter

sind vielmehr die Zusammenspiele und Wechselwirkungen.

Letztendlich mündet die zentrale Erkenntnis darin, dass wir uns in permanenten, sicht- und

unsichtbaren Machtverhältnissen befinden. Durch die Konstruktion von Identität wird folglich

auch Macht konstruiert und umgekehrt. In der Annahme einer sich andauernd wandelnden

Identität bedeutet dies auch eine andauernde Veränderung von Machtkonstellationen. Je mehr

die Individuen mit verschiedenen Sprachen konfrontiert werden, umso mehr Beziehungen

kommen ins Spiel, umso vielfältiger werden diese Machtverhältnisse und umso komplexer

das Ganze.

Dies ist wohl jedoch auch bereichernd, denn sämtliche Befragte, welche die Konfrontation

mit dem Zwei- und Mehrsprachigen täglich erleben, haben das Mehrsprachige als positiv her-

vorgehoben. Anders als von Blocher (1909) ausgeführt, scheinen die Nachteile demnach nicht

die Vorteile von Zweisprachigkeit zu überwiegen. Trotz den erlebten Hemmungen und nega-

tiven Erlebnissen sind der Stolz und das Selbstbewusstsein grösser, welche die Identitäten

bestärkt. Keiner der Befragten erwähnte eine Art Identitätsdiffusion oder Mühe aufgrund ei-

nes geteilten Zugehörigkeitgefühls (Weinreich, 1977). Vielmehr wurden die Horizonterweite-

rung, die Perspektivenöffnung, die Herstellung von Verbindungen, das Brückenbauen, Finden

der Parallelen, die Schlüsselerlebnisse hervorgehoben.

9.2 Ausblick Auch wenn Identität und Sprache andauernd präsent sind, zeigen die Ergebnisse auf, dass eine

bewusste Auseinandersetzung und Reflexion damit keineswegs alltäglich ist. So kam es gar

zu Rückmeldungen wie „hani miar jetzt no nia Gedanka gmeint, aso Gedanka gmacht drüber“

(B5, Z. 633-634). Für die Forscherin wäre interessant zu erfahren, welche Auswirkungen das

Interview auf die Befragten hatte, was in einem anknüpfenden Forschungsvorhaben unter-

sucht werden könnte.

Zwar konnte festgestellt werden, dass Gründe, wie weshalb die Sprache, die man mit einer

Person spricht, in der Regel nicht mehr gewechselt wird, durch individuelle oder strukturelle

Machtverhältnisse erklärt werden können und nicht einfach in der Natur des Menschen liegen

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Flavia Hobi

Masterarbeit 105

müssen. Teilweise undurchsichtig und auch aufgrund der eingeschränkten Kapazität dieser

Arbeit nicht präzise ergründbar scheinen jedoch die Ursachen dieser Verhältnisse, woran ein

neues Forschungsvorhaben ansetzen könnte. Mit Bezug zu Kap. 8.2 und der Untersuchung

einer jeder Situation – mit allen darin partizipierenden Individuen und Sprachen sowie aus

verschiedenen Perspektiven gesehen – würde dies möglicherweise auch Potenzial bieten für

eine umfangreichere Analyse der Machtquellen und der unterschiedlichen Ausmasse dieser

Machtbeziehungen.

Interessant zu beobachten wären zudem insbesondere Situationen, wo jeder oder jede seine

oder ihre Sprache spricht (z.B. Interaktionen mit einer deutschen Antwort auf eine rätoroma-

nische Frage), denn man versteht sich ja trotzdem (B5). In der Annahme, dass man sich ja

grundsätzlich sowieso versteht, würde die Einstellung, sich immer anpassen zu müssen oder

eben „die gleiche Sprache zu sprechen“ in ein anderes Licht rücken. Die Auswirkungen auf

die verschiedenen Identitäten, sprich deren verschiedenen Teile, und auf das Ansehen der

gesprochenen Sprachen wären spannend zu beobachten. So dürfte dies zum Beispiel Minder-

heitensprachen stärken, wobei sich aufgrund dieser neuen Verhältnisse wiederum andere

Machtverhältnisse und andere Identitäten bilden würden.

Im Zuge der Thematisierung, ob man in verschiedenen Sprachen dieselbe Person ist, wurden

auch Eigenschaftsveränderungen erläutert. Doch inwiefern kann man sich selbst eine fremde

Person sein? Was bedeutet dieses „sich fremd fühlen“ konkret? Etwas, was bis anhin sich

selbst und anderen weniger sichtbar, gar unbekannt war und inwiefern ist dieses Fremde in

gewisser Weise doch Teil der Identität? Mit den Grundlagen der hier erarbeiteten Ergebnisse

wäre diese Frage spannend weiter zu verfolgen.

Die Frage nach der ursprünglichen Identität – der Begriff des „Ursprünglichen“ mit der An-

nahme, dass sich Identität dauernd neu konstruiert – ist keineswegs einfach herauszukristalli-

sieren. Ist diese ursprüngliche Identität überhaupt durch Sprache geformt und wenn ja, wie?

Oder ist die ursprüngliche, die unberührte Identität eben die einzige Unbeeinflusste? Auch

diesen Fragen könnte sich eine weiterführende Arbeit annähern.

100% zweisprachig, sehr zweisprachig – die verschiedenen Aussagen der Befragten animier-

ten zu einem Forschungsinteresse betreffend der Frage nach der totalen Zweisprachigkeit

bzw. ob und inwieweit jene tatsächlich existiert. Für die Forscherin erscheint der damit ein-

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Masterarbeit 106

hergehende notwendige Prozess komplexer als je zuvor und eine dahingehende Forschungs-

arbeit als wünschenswert.

Dass eine neue Sprache Teil der Identität werden kann, wurde zu Genüge untersucht. Doch

inwiefern geschieht dies umgekehrt und wie stark wird die Identität Teil einer Sprache? Auch

wenn wir alle deutsch sprechen, so hat jede und jeder doch ein anderes, ein individuelles

Deutsch. Wenn wir die Sprache formen, die Sprache Teil unserer Identität wird, so sind nicht

nur andere Identitäten in uns enthalten, sondern unsere Identitäten auch in diesen Sprachen.

Eine nähere Untersuchung dessen würde einen Perspektivenwechsel in der Forschungsfrage

mit sich bringen, wobei beispielsweise die Frage „Welchen Einfluss hat Identitätskonstruktion

auf die Sprache?“ resultieren würde.

Zweifelsohne bietet die vorliegende Arbeit somit grosses Potenzial für weitere Forschungs-

vorhaben. Denn so könnte alles – sei dies Wirklichkeit, Identität, Sprache oder auch Kultur –

hinterfragt werden, folglich auch die in der vorliegenden Arbeit formulierten Gegenstände. Es

sind von Wissenschaftler_innen und durch die Befragten hervorgebrachte Erkenntnisse, wel-

che aufgrund der Interaktion mit der Forscherin wohl kaum unbeeinflusst von derjenigen sind.

In der vorliegenden Arbeit wurden diese Erkenntnisse mit Hilfe des theoretischen Rahmens

interpretiert und dargestellt, welcher indessen auch anders gestaltet hätte werden können und

wodurch andere Realitäten gezeichnet worden wären. So sind Unmengen von Sprachen,

Machtbeziehungen und Konstruktionen der Wirklichkeit im Spiel, welche Identitäten hervor-

bringen oder dies zumindest glauben zu tun. Denn sogar ob dies der Realität entspricht oder

lediglich von den Individuen so interpretiert und vermittelt wird, bleibt der menschlichen Be-

urteilungsmacht wohl verwehrt, deutbar an den Grenzen zu diesen Erkenntnissen. Denn nur

durch Sprache erfahren wir, was noch möglich ist: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die

Grenzen meiner Welt“ (Ludwig Wittgenstein).

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Flavia Hobi

Masterarbeit 107

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Abb. II: Kresic, M. (2006). Sprache, Sprechen und Identität. Studien zur sprachlich-medialen

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Abb. III: eigene Darstellung zum Sample .............................................................................. 52

Abb. IV: eigene Darstellung zur Übersicht der Sprachverwendung in verschiedenen

Bereichen ................................................................................................................................. 64

Abb. V: eigene Darstellung zur zentralen Bedeutung der Macht ........................................... 89

Abb. VI: eigene Darstellung zur Herausarbeitung der Machtbeziehungen .......................... 103

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Flavia Hobi

Masterarbeit 113

11. Eigenständigkeitserklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich meine Masterarbeit selbstständig und ohne unerlaubte

fremde Hilfe verfasst habe.

Vilters, 13. Februar 2018 Flavia Hobi

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Masterarbeit 114

12. Anhang Auf beiliegender CD-ROM:

- Interviewleitfaden

- Transkriptionen der Interviews mit B1, B2, B3, B4, B5, B6, B7, B8