Upload
dr-adalbert-steinbach
View
217
Download
2
Embed Size (px)
Citation preview
Essay
Materialeffizienz und Nachhaltigkeitin der Chemie: Wo stehen wir heute?Adalbert Steinbach*, Rolf Winkenbach und Heiko Ehmsen
DOI: 10.1002/cite.201000048
Herrn Professor Dr. Franz Effenberger, Stuttgart, zum 80. Geburtstag gewidmet
Der Klimawandel, die absehbare Verknappung der Rohstoffe und eine wachsende Weltbevölkerung, die die Nachfrage
nach Energie und Rohstoffen – und damit auch deren Preise – noch weiter steigen lässt, stellen große Herausforderungen
dar. Um diese bewältigen zu können, bedarf es umfassender Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im
Sinne des Leitprinzips der Nachhaltigkeit (Sustainable Development). Die nationale Nachhaltigkeitsstrategie 2002 der
Bundesregierung gibt konkrete Ziele vor, so z. B. auch für die Reduzierung des Rohstoffverbrauchs. Ziel ist eine Verdoppe-
lung der (materialwirtschaftlichen) Produktivität (Materialeffizienz) von 1994 bis 2020. Ihre systematische Steigerung setzt
voraus, dass sie gemessen und als Key Performance Indicator (KPI) zum Steuern der Entwicklung und Verbesserung in-
dustrieller Prozesse verwendet wird. Dies gilt namentlich für die hier betrachteten Stoffumwandlungsprozesse der
Chemiebranche.
Schlagwörter: Chlorverbindungen, Materialfluss, Prozessanalyse, Prozessoptimierung, Stoffbilanz
Eingegangen: 15. März 2010; revidiert: 18. November 2010; akzeptiert: 30. November 2010
Material Efficiency and Sustainable Development in Chemistry: Where do we stand today?
The climate change, the foreseen shortage of raw materials and the fast growing population of the world increase the de-
mand for energy and raw materials and also their prices. That is a great challenge. To meet this challenge it needs extensive
transformation in politics, economy and society according to the guiding principle of sustainability (sustainable develop-
ment). The national sustainability strategy 2002 of the federal government of Germany shows some concrete targets namely
for the reduction of the raw material consumption. Target is to double the (material) productivity from 1994 to 2020.
A systematic increase of material productivity (often called material efficiency) requires that it can be measured. In addition
it has to be used in practice as key performance indicator (KPI) to control the development and improvement of industrial
processes. This is especially true for the material transforming processes of the chemical industry regarded in this article.
Keywords: Chlorine compounds, Material flow, Materials balance, Process analysis, Process optimization
1 Einheitliche Plattform
Für eine genaue Einschätzung der Materialeffizienz in derdeutschen chemischen Industrie müssten die aktuellen,nach einheitlichen Standards erstellten Stoffbilanzen derVerfahren aller Chemieunternehmen in einer Datenbankvorliegen und diese mit einem einheitlichen System von
Kennzahlen (KPI) ausgewertet werden. Diese branchenein-heitlichen Daten gibt es (noch) nicht. Zur Verfügung stehenhingegen die Prozessdokumentationen mit modellbasiertenProzessdaten wie Stoffbilanzen, Reaktionsgleichungen etc.einer recht großen Anzahl von Verfahren, die nach einereinheitlichen Methode, dem BTC-System, erfasst und mitHilfe der KPIs der Produktivitätsfunktion ausgewertet wur-den. Die Analysen erfolgten primär hinsichtlich der Materi-aleffizienz sowie auch hinsichtlich der hier nicht näherbetrachteten Kosteneffizienz. Da bei den Verfahren verschie-dener Unternehmen der chemischen und pharmazeuti-schen Industrie immer dieselbe Methode angewandt wurde,
ChemieIngenieurTechnik
Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com
–Dr. Adalbert Steinbach ([email protected]), Rolf Winken-bach, Heiko Ehmsen, BTC Dr. Dr. Steinbach GmbH, Gottlieb-Daimler-Str. 12, 68165 Mannheim, Germany.
Prozessanalyse 295
sind die Auswertungen methodisch genau vergleichbar. Dieso erhaltene einheitliche Plattform erlaubt Rückschlüsse aufdie Materialeffizienz der Chemiebranche im Allgemeinenund einiger ihrer Subbranchen im Besonderen.
Die hier angewendete integrierte Methode ist in Ebenenaufgebaut (s. Abb. 1). Grundlage ist die Materialflussanalyse(MFA) auf der technischen Ebene. Diese enthält eine nacheinheitlichen Grundsätzen und Modellen erstellte Prozess-dokumentation, die auch alle Ressourcenmengen umfasst.Im Mittelpunkt stehen Stoffbilanzen, die die Stoffströmeund Stoffumwandlungen abbilden. Die in der MFA enthal-tenen Strukturen und Grunddaten sind auch maßgeblichfür die darüber liegende Wertebene (Maßgeblichkeitsprin-zip). So übernimmt die auf der ökonomischen (Wert-)Ebeneangesiedelte Kostenflußanalyse (KFA) die Mengen der Res-sourcen aus der MFA und bewertet sie mit Preisen [1].Damit bilden die Prozessdokumentation in Form der Tech-nischen Buchführung und die Kostenrechnung ein integ-riertes Gesamtsystem, das viele Vorteile in der Praxis hat.Durch die Übernahme chemisch-technischer Logiken in die(Prozess-)Kostenrechnung ergeben sich wertvolle Kostenin-formationen, die sich mit der traditionellen kaufmänni-schen Kostenrechnung nicht ermitteln lassen, z. B. exaktberechnete Stoffkostensenkungspotenziale. Ein praktischerVorteil besteht auch darin, dass die Kostenrechnung auto-matisch die Kosten des Verfahrens nach dem aktuellenStand der technischen Dokumentation wiedergibt. Die Kos-tenrechnung hinkt somit nicht mehr dem neuesten Standder technischen Entwicklung hinterher.
Die folgenden Analysen der Stoffströme und Materialeffi-zienzen in den einzelnen Subbranchen der Chemie basie-ren auf den Daten der technischen Buchführungen (MFA)von Verfahren, die zu rund 30 verschiedenen Firmen gehö-ren. Die unternehmensindividuellen ökonomischen Analy-sen (KFA) der Verfahrensbewertung, die in der Praxis stetsparallel durchgeführt worden sind, werden hier im Rahmen
des Materialeffizienzthemas ebenso wie die öko-logischen nicht behandelt.
2 Prozesse und Prozessketten
In die folgenden Auswertungen sind ausschließ-lich solche Syntheseprozesse einbezogen, die inBetrieben laufen, aber keine Syntheseprozesse,die sich noch in der Entwicklung befinden. Folg-lich stehen hier Labor- und Technikumsprozesseauch nicht zur Diskussion.
Unter einem Prozess (Verfahren) verstehtman einen auf einer Anlage erfolgenden Ablaufvon chemischen und physikalischen, ggf. auchbiologischen Vorgängen zur Herstellung einesProdukts. Die Prozesse bzw. Verfahren sind (In-put-/Output-)Systeme, die in der Regel selbstwieder aus Teilsystemen, den Prozess-/Verfah-rensstufen bestehen. Die stofflichen Inputs und
Outputs eines jeden Verfahrens sind in einer strukturiertenGrundbilanz einheitlich erfasst, ausgewertet und in einerDatenbank gespeichert. Zur klaren Abgrenzung des Be-griffs Prozess sei angemerkt, dass in der Unternehmenspra-xis häufig mehrere Prozesse/Verfahren erforderlich sind,um einen Farbstoff, einen Pflanzenschutz- oder Pharma-wirkstoff herzustellen. Bei den Prozessketten sind mehrereProzesse oft verschiedener Betriebe – in Pharmaunterneh-men meist Stufen genannt – über eine lineare Input-/Out-put-Beziehung zu einer größeren Einheit (Gesamt-Prozess)miteinander verbunden. Dabei werden die Hauptprodukteder Vorstufen (Einsatzstoffe der Folgestufen) zu Zwischen-produkten. Das Hauptprodukt der Endstufe (z. B. Wirkstoff,Farbstoff) wird zum Hauptprodukt der Prozesskette. DieProzesskette ist also ein Obersystem, dessen Teilsystemedie einzelnen Verfahren darstellen.
Die Grundbilanz der Prozesskette (konsolidierte Bilanzdes Gesamtprozesses) lässt sich durch Konsolidierung derGrundbilanzen der Einzelprozesse generieren. Unter Kon-solidierung versteht man die Integration der Bilanzen von(Teil-)Systemen zur konsolidierten Bilanz des Gesamtsy-stems. Die Grundbilanz der Prozesskette entsteht somitdurch Zusammenfassen und Anpassen (Konsolidieren) derEinzelbilanzen der Einzel-Prozesse. Sie ist eine aus den Bi-lanzen der Einzelverfahren abgeleitete Bilanz. In analogerWeise entsteht die Summenreaktion der Prozesskette durchIntegration der Hauptreaktionen der Einzelprozesse. Hier-bei handelt es sich um eine chemische Konsolidierung. AlsBeispiel sei die kurze Prozesskette zur Herstellung desX-Amids angeführt. Sie besteht aus drei Syntheseprozessen,die in drei verschiedenen Betrieben ablaufen. Die konsoli-dierte Grundbilanz der X-Amid-Prozesskette ist eine struk-turierte Bilanz, die sich aus den Stufenbilanzen der dreiEinzelprozesse zusammensetzt. Die aus der konsolidiertenGrundbilanz automatisch generierten Fließbilder spiegelndiese Struktur wider (Abb. 2).
www.cit-journal.com © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305
Bisher
InsellösungenDoppelarbeit Technische
DokumentationKostenrechnung(internesRechnungswesen)
Inkonsistenz
fehlendeAkzeptanz
etuelfuaKrekinhceT
Integration von technischer und ökonomischer Welt!
Künftig
IntegrationSynergie
Ressourcenrech-nung (Mengen)
Kostenrechnung
Technische Dokumentation (TB)
R
R
Abbildung 1. Technische Buchführung (TB) als Basis der Kostenrechnung.
296 A. Steinbach et al.
Das Fließbild zeigt die Materialflüsse (Teilströme) derX-Amid-Prozesskette. In den einzelnen Stufen fallen Rest-stoffe an, die teilweise in die Kläranlage (dunkelgraue Kreis-symbole O:76, O:321 und O:125) eingeleitet, teilweise einerAbluftbehandlung unterzogen (hellgraues Kreissymbola:171) und teilweise verbrannt (dunkelgraue KreissymboleO:893 und O:253) werden. Die Lösungsmittel Ethanol undXylol werden großteils rezykliert (Kreissymbole ohne Hin-tergrund: Ethanol 441, ZP 1, ZP 2 und Xylol 895). In derPraxis spielen die Prozessketten vor allem auch bei den öko-nomischen Betrachtungen eine wichtige Rolle, nicht aber inder vorliegenden, die Materialeffizienz betreffenden Ab-handlung. Die Prozessketten sind hier nicht einbezogenworden, weil sie die Betrachtungen nur komplizieren(schwierige Vergleichbarkeit wegen sehr unterschiedlicherKettenlängen), ohne wesentliche zusätzliche Erkenntnissehinsichtlich der Materialeffizienz zu liefern.
3 Die Kennzahlen (KPI) der Produktivitäts-funktion
Die folgenden vergleichenden Prozessanalysen basieren aufeiner klaren Definition der Materialeffizienz, deren Einfluss-faktoren und deren gesetzmäßigen Beziehung (Produktivitäts-funktion) zueinander. Die Materialeffizienz spielt im Rahmeneines wirksamen Nachhaltigkeitsmanagements [2] von Unter-nehmen eine ganz entscheidende Rolle. Die Deutsche Materi-aleffizienzagentur (demea) definiert Materialeffizienz verein-facht als das Verhältnis der Materialmenge in den erzeugtenProdukten zu der für ihre Herstellung eingesetzten Material-menge [3]. Materialeffizienz ist gleichbedeutend mit dem inder Betriebswirtschaftslehre verwendeten Begriff der Material-produktivität bzw. materialwirtschaftlichen Produktivität.
In der Chemie ist die material-wirtschaftliche Produktivität – etwasvereinfacht – das Verhältnis Haupt-produkt-/Einsatzstoffmenge einesVerfahrens. Da die Produktivität ausder Stoffbilanz des Verfahrens, alsoder MFA-Grundbilanz berechnetwird, heißt sie auch Bilanzausbeute(BA). Somit ist
Materialeffizienz = Materialproduk-tivität = Bilanzausbeute (BA)
Eine Steigerung der BA beinhaltetsomit die Reduzierung von Einsatz-und Reststoffen. Sie bedeutet alsoauch eine Verringerung der in dieUmwelt abgegebenen Reststoffmen-gen (Vermeiden, Vermindern, Ver-werten).
Bei Synthese-Verfahren des TypsA + B = P + X lässt sich auf Basis dergenannten Reaktionsgleichung bzw.
auf Basis der theoretischen Grundbilanz (Idealmodell)ebenfalls eine Produktivitätskennzahl ermitteln. Dieseergibt sich als das Verhältnis der Molmasse des Produkts(P) zur Summe der Molmassen der Edukte:
BAt = Zielprodukt (MG)/Summe Edukte (MG)
Diese Produktivitäts-Kennzahl heißt theoretische Bilanz-ausbeute (BAt), da sie vom theoretischen Ablauf des Prozes-ses nach dem Idealmodell (Reaktionsgleichung) ausgeht.Sie ist eine Konstante des gewählten Syntheseweges und alssolche ein Maß für dessen materialwirtschaftliche Güte. Jegrößer die BAt desto geringer ist die Koppelproduktmenge(X), die bei dem gewählten Syntheseweg theoretisch anfällt.Die BAt ist der obere Grenzwert für die materialwirtschaftli-che Produktivität (BA). Der Quotient aus realer BA und ih-rem Grenzwert (BAt) ist der Optimierungsgrad. Diese spezi-fische Bilanzausbeute (spBA) gibt an, wie nahe die realeProduktivität an den bei diesem Syntheseweg gegebenentheoretischen Grenzwert herankommt:
spBA = BA/BAt
Durch Umformung erhält man die Produktivitätsfunk-tion (Materialeffizienzfunktion):
BA = BAt × spBA
(d. h.: Materialeffizienz = theoretischer Grenzwert × Opti-mierungsgrad).
Für das Praxis-Ziel einer möglichst hohen BA – also mög-lichst viel Produkt aus dem Prozess herauszuholen (BA =max!) – sind somit zwei Stellschrauben von Bedeutung: die
ChemieIngenieurTechnik
Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com
ESt A283 Synthese 1
Betrieb 1
a: 171
Haupt-produkt
O: 893
O: 321w: 250
Synthese 2Betrieb 2
ESt B648
Synthese 3Betrieb 3
ZP 21188
Ethanol900
ZP 1857
Xylol895
X-Amid1000
Ethanol441
Xylol1800
ESt C714
O:76w: 268
NP888
O: 125w: 1886
O: 253Wasser
1786
gnunnerbreVtfulbA
Kläranlage
Neben-produkt
Abbildung 2. V-Fließbild der Prozeßkette X-Amid (kg t–1).
Prozessanalyse 297
BAt (der durch den Syntheseweg festgelegte theoretischeGrenzwert) und der Optimierungsgrad spBA. Der Optimie-rungsgrad lässt sich weiter konkretisieren. Er hängt von dreiGrößen ab:– relative/stöchiometrische Ausbeute,– Einsatzstoffüberschüsse,– Beistoffmengen (Lösungsmittel, Säuren und Basen zur
pH-Wert-Einstellung etc.).
Die detaillierte Produktivitätsfunktion lautet somit:
BA = BAt × (RA × MATR) × EAp
mit BAt: theoretische Bilanzausbeute (Grenzwert), RA: re-lative/stöchiometrische Ausbeute, MATR: Überschussfaktor:Mengenanteil Theorie/Real (MATR = 100 % bedeutet, dasskein primärer Einsatzstoff im Überschuss eingesetzt wur-de), EAp: Hilfsstofffaktor: Einsatzstoffanteil primärer Ein-satzstoffe. EAp = 100 % bedeutet, dass nur primäre, jedochkeine sekundären Einsatzstoffe wie z. B. Lösungsmittel ver-braucht werden. RA, MATR beziehen sich auf die primären,in der Summenreaktion genannten Einsatzstoffe, EAp – in-direkt – auf die sekundären Einsatzstoffe.
Für den Praktiker ist folgendes wichtig:– Die Produktivitätsfunktion ist ein grundlegendes Prinzip
der Chemie. Diejenigen Gebote der Green Chemistry [4],welche die Materialeffizienz betreffen, stehen nicht mehrisoliert nebeneinander, sondern werden in eine System-beziehung gebracht, die das Oberziel (BA) und die Unter-ziele (BAt, spBA, RA, MATR, EAp) messbar macht. Damiterhält der Praktiker alle Stellschrauben zur Beurteilungund Steigerung der Materialeffizienz.
– Alle genannten KPIs, so z. B. auch die relative/stöchiome-trische Ausbeute (RA), lassen sichauf Basis der zugrundeliegendenBilanzen berechnen.
– Die RA, die in der Chemie meistverwendete technische Kennzahl,stellt nur einen von mehreren Ein-flussfaktoren der BA dar. Für dieMaterialeffizienz ist sie somit einSuboptimum. Sie betrachtet ledig-lich zwei Stoffe, nämlich dasHauptprodukt (isoliertes Haupt-produkt ber. 100 %) und einen Ein-satzstoff. Sie ist eine relative Aus-beute (RA), weil es bei einemVerfahren genau so viele RAs wieprimäre Einsatzstoffe gibt. Die RAmacht keine Aussagen über Ein-satzstoffüberschüsse oder über an-fallende Reststoffmengen. Selbstbei einer RA von 100 % kann dergrößte Teil des Outputs als Rest-stoffe entsorgt werden. Die Aussa-ge, dass die RA > 90 % ist, heißt
also noch lange nicht, dass das betrachtete Verfahren gutoptimiert ist.Der Fokus der folgenden Prozessanalysen liegt auf der Er-
mittlung der Werte für die Materialeffizienz (BA) und ihrerEinflussfaktoren in der Praxis der chemischen und pharma-zeutischen Industrie. Die Berechnung aller Kennzahlen er-folgt auf Basis der Stoffbilanzen und bezieht sich stets aufdas isolierte Hauptprodukt (ber. 100 %). Die ermitteltenKennzahlen-Durchschnittswerte können auch als Orientie-rungswerte, Benchmarkwerte, für die entsprechenden KPIsverwendet werden.
4 Analysierte Prozesse
Die folgenden Betrachtungen basieren auf den in der BTC-Datenbank gespeicherten über vierhundert Prozessen.Rund 75 % der Betriebe befindet sich in Deutschland, derRest in der Schweiz, Italien oder Übersee. Angesichts derrelativ großen Anzahl von Verfahren dürften die folgendenAuswertungen hinsichtlich der Materialeffizienz der Che-mie-Subbranchen – mit kleinen Einschränkungen für dieGrundchemie – hinreichend repräsentativ sein. Die hierdurchgeführten Analysen beziehen sich sowohl auf die ge-samte Chemiebranche als auch auf folgende fünf Subbran-chen: Pharma, Farben, Pflanzenschutz, Spezialchemie undGrundchemie.
Die Durchschnittswerte der pro Jahr produzierten Men-gen sind erwartungsgemäß bei Pharma und Farben mit ca.150 t a–1 am kleinsten und bei Grundchemie (ca. 55 000 t a–1)am größten (Tab. 1). Dazwischen liegen die Produktions-mengen für Pflanzenschutz und Spezialchemikalien. Diemeisten der analysierten 412 Syntheseverfahren werden dis-
www.cit-journal.com © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305
Tabelle 1. Übersicht über die Chemie und ihre Subbranchen (Durchschnittswerte).
(Sub-)Branche Anzahl Jahresprod. [t a–1] chem. Stufen MG HP Atome HP
Pharma (diskontinuierlich)
Farben (diskontinuierlich)
Pflanzenschutz– diskontinuierlich– kontinuierlich
Spezialchemie– diskontinuierlich– kontinuierlich
Grundchemie– diskontinuierlich– kontinuierlich
Chemie gesamt– diskontinuierlich– kontinuierlich
106
113
534310
13011515
1019
41237834
167
146
1498756
4677
235314579222
54 8362764
60 622
2349627
21 491
1,9
1,8
2,32,03,2
1,71,72,0
1,71,01,8
1,81,82,3
345
442
278289229
447497326
119208109
399414240
46
50
282924
717639
868
525426
MG HP = Molekulargewicht des Hauptproduktes
298 A. Steinbach et al.
kontinuierlich im Chargenbetrieb gefahren. Hierzu gehö-ren alle Verfahren von Pharma und Farben. Nicht einmal10 % aller Prozesse werden kontinuierlich betrieben. Hier-bei handelt es sich überwiegend um solche mit großen Pro-duktionsmengen, so vor allem um die Verfahren der Grund-chemie. Bei Pharma und Farben werden Produkte mitrelativ großen und komplizierten Molekülen mit einerdurchschnittlichen Anzahl von ca. 50 Atomen und verhält-nismäßig großen Molekulargewichten (340 – 450) herge-stellt. In der Grundchemie hingegen werden in Großanla-gen Produkte mit relativ einfachen und kleinen Molekülen(MG ca. 120) hergestellt. Dazwischen liegen die Verfahrendes Pflanzenschutzes und die meisten Verfahren der Spe-zialchemie. Zur Spezialchemie zählen z. B. Waschroh- und–zusatzstoffe, Tenside, optische Aufheller, Weichmacher fürKunststoffe, Monomere für Spezialkunststoffe usw. Dassdas durchschnittliche Molekulargewicht bei der Spezialche-mie dennoch recht hoch ist (ca. 450), liegt daran, dass eseine kleine Gruppe von Spezialchemikalien mit sehr hohenMolekulargewichten (1000 – 7000) gibt, z. B. Tenside aufNaturstoffbasis (z. B. Sojaöl, MG ca. 900), Oligomere aufEthylenoxid- oder Propylenoxidbasis, mit Formaldehyd er-zeugte Kondensationsprodukte, Diester-Diamin-Kondensa-tionsprodukte etc.
Die Zahl der chemischen Stufen bei den untersuchtenProzessen liegt meist zwischen 1 und 5, in seltenen Fällenauch darüber. Die großen (ca. 21 500 t a–1) kontinuierlichenVerfahren haben im Branchendurchschnitt mehr chemi-sche Stufen (2,3) als die viel kleineren (ca. 630 t a–1) diskonti-nuierlichen Verfahren (1,8). Offensichtlich wird in der Pra-xis die Systemgrenze bei den kontinuierlichen Verfahrenim Durchschnitt weiter gefasst.
Die durchschnittliche Anzahl der chemischen Stufen dereinzelnen Subbranchen liegt zwischen 1,7 und 1,9 (Tab. 1).Eine Ausnahme bildet nur der Pflanzenschutz mit einerhöheren Anzahl chemischer Stufen (2,3). Auffallend isthierbei, dass die Produkte beim Pflanzenschutz sowohl hin-sichtlich Molekulargewicht (ca. 280) als auch hinsichtlichder Anzahl der Atome (ca. 30) kleiner sind als bei den übri-gen Subbranchen, mit Ausnahme der Grundchemie.
5 Übersicht über die Materialeffizienz
Die Materialeffizienz (BA) beträgt im Durchschnitt der ge-samten Chemie ca. 38 % (Tab. 2), aus 100 kg Einsatzstoffenwerden also etwa 38 kg Produkt und 62 kg Reststoffe erhal-ten (Wasser nicht einbezogen). Die Materialeffizienz nimmtvon Pharma (20 %) über Farben, Pflanzenschutz, Spezial-chemie bis hin zur Grundchemie (73 %) zu.
In der vom VCI herausgegebenen Broschüre „Was istnachhaltig?“ wird die Ansicht geäußert, die eigentlichenEmissionen der chemischen Industrie seien im Grunde ge-nommen nicht die im Zuge der Produktion entstehenden,mengenmäßig geringen Emissionen, sondern die Produkteselbst [5]. Die hier präsentierten Zahlen hingegen zeigen,
dass bei der Synthesechemie im Durchschnitt mengenmä-ßig mehr Reststoffe als Produkte entstehen. Würde manauch noch berücksichtigen, dass zur Herstellung vieler Pro-dukte mehr oder weniger lange Prozessketten erforderlichsind, läge die BA bei den Prozessketten noch erheblich un-ter denen der entsprechenden Einzelverfahren. Die Materi-aleffizienz ist eines der Hauptprobleme der Chemie.
Bei der Suche nach den Ursachen des Materialeffizien-zproblems muss man zunächst eruieren, welche der beidenEinflussgrößen dafür primär verantwortlich ist: die materi-alwirtschaftliche Güte des Syntheseweges (BAt) oder derOptimierungsgrad (spBA).
Die BAt beträgt im Durchschnitt der gesamten Chemie78 % (Tab. 2). Selbst bei idealer, theoretischer Fahrweise fal-len ca. 22 % Koppelprodukte/Reststoffe an. Die BAt-Wertesind für kontinuierliche und diskontinuierliche Verfahrenpraktisch gleich. Die Werte der einzelnen Subbranchen lie-gen zwischen 75 % (Pharma) und 86 % (Grundchemie).Darunter liegt nur der Wert für Pflanzenschutz (70 %) we-gen der o.g. höheren Anzahl chemischer Stufen. Ca. 10 %der betrachteten 412 Verfahren haben den Idealwert für denSyntheseweg, BAt = 100 %. Hier fallen also keine Koppel-produkte an. Weitere ca. 10 % der Verfahren haben eineBAt < 50 %. In diesen Fällen geht also selbst bei idealer,theoretischer Fahrweise über die Hälfte des Materialstromesin Form von Koppelprodukten/Reststoffen verloren. Dabeisind bei den Subbranchen keine signifikanten Unterschiedezu erkennen.
Der zweite Parameter der BA ist der Optimierungsgrad(spBA): Der Durchschnittswert für alle 412 Verfahren be-
ChemieIngenieurTechnik
Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com
Tabelle 2 Übersicht über die Materialeffizienz. Die Durchschnitts-werte ( %) der Kennzahlen ergeben sich aus der Summe der ent-sprechenden Kennzahlen der einzelnen Verfahren der betrachte-ten (Sub-)Branche, geteilt durch die Anzahl der Verfahren dieser(Sub-)Branche.
(Sub-)Branche Bilanzausbeute (BA) BAt spBA
Pharma (diskontinuierlich)
Farben (diskontinuierlich)
Pflanzenschutz– diskontinuierlich– kontinuierlich
Spezialchemie– diskontinuierlich– kontinuierlich
Grundchemie– diskontinuierlich– kontinuierlich
Chemie gesamt– diskontinuierlich– kontinuierlich
20
26
363636
626166
739771
383658
75
77
707262
848485
8610085
787878
27
33
504957
737377
849783
484672
BAt: theoretische Bilanzausbeute; spBA : spezifische Bilanzausbeute(Optimierungsgrad)
Prozessanalyse 299
trägt ca. 48 % (Tab. 2). Dabei liegt ungefähr jeweils ein Drit-tel der Werte im unteren (0 – 30 %), mittleren (spBA > 30 %und < 70 %) und oberen Bereich (70 – 100 %). Der durch-schnittliche Optimierungsgrad nimmt von Pharma (27 %)bis hin zur Grundchemie (84 %) deutlich zu. Da hier beimOptimierungsgrad die Streubreite viel größer als beim Syn-thesewegparameter (78 % ± 8 %) ist, erklärt sich das o. g.Ansteigen der Materialeffizienz (BA) in der gleichen Rei-henfolge von Pharma bis Grundchemie vor allem durch dasAnsteigen des Optimierungsgrades (spBA) bei wenig verän-derter BAt.
Die aufgezeigten Optimierungsgrade sind wie folgt zu er-klären: Der Optimierungsgrad (spBA) setzt sich, wie bereitsgezeigt, aus drei Parametern zusammen (Tab. 3), nämlich:relative/stöchiometrische Ausbeute (RA), Überschußfaktor(MATR), Beistoff-Faktor (EAP).
Die RA, die von Studienzeiten an im Blickpunkt jedesChemikers ist, liegt bei den allermeisten analysierten Verfah-ren der Industrie beachtlich hoch und beträgt im Durch-schnitt der gesamten Chemie ca. 88 %. Legt man die in derLiteratur veröffentlichte Bewertung zugrunde (RA > 80 % =sehr gut und > 90 % = exzellent) [6], wäre der Gesamtdurch-schnitt sehr gut, nahezu exzellent. Die RA nimmt von Phar-ma (86 %) bis hin zur Grundchemie (90 %) nur ganz gering-fügig zu. Sie ist bei den großen kontinuierlichen Verfahrenmit 91 % verständlicherweise etwas größer als bei den kleine-ren diskontinuierlichen (88 %). Eine Ausnahme ist der Pflan-zenschutz, bei dem die diskontinuierlichen Verfahren einehöhere Ausbeute haben als die kontinuierlichen (90 vs.86 %). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die An-zahl der chemischen Stufen bei den kontinuierlichen Verfah-ren (3,2) signifikant höher ist als bei den diskontinuierlichen(2,0). Dies ist offensichtlich der dominierende Effekt. In derPraxis ist somit die relative/stöchiometrische Ausbeute (RA)in aller Regel nicht das (Materialeffizienz-)Problem.
Der Überschußfaktor MATR (Mengenanteil Theorie/Real), der den zweiten Optimierungsgradfaktor bildet, be-trägt im Durchschnitt der gesamten Chemie ca. 85 %. Beiden kontinuierlichen Verfahren liegt er sogar noch etwashöher (ca. 90 %). Ein hoher MATR-Wert besagt, dass die rea-gierenden primären Einsatzstoffe nur in geringem stöchio-metrischen Überschuss zueinander eingesetzt sind. EinMATR-Wert von 85 % besagt, dass 15 % mehr primäre Ein-satzstoffe eingesetzt wurden, als nach der Stöchiometrie er-forderlich sind. In der Praxis liegt auch beim MATR nur sel-ten ein nennenswertes (Materialeffizienz-)Problem.
Der dritte hier interessierende Optimierungsgrad-Para-meter ist der EAP (Einsatzstoffanteil primärer Einsatzstof-fe). Ein hoher Prozentwert in der Stoffbilanz besagt, dassüberwiegend nur primäre Einsatzstoffe und lediglich gerin-ge Mengen an Beistoffen wie Lösungsmittel und andereHilfsstoffe eingesetzt werden. Dieser Parameter beträgt imDurchschnitt der gesamten Chemie ca. 62 %. Er nimmt vonPharma (38 %) über Farben, Pflanzenschutz, Spezialchemiebis zur Grundchemie (98 %) deutlich zu. Er ist bezogen aufdie Gesamtchemie bei den großen kontinuierlichen Verfah-ren (EAP = 88 %) erheblich größer als bei den kleineren dis-kontinuierlichen (60 %). Das bedeutet, dass insbesonderebei den kleinvolumigen, diskontinuierlichen Pharma-Ver-fahren relativ große Mengen an Lösungsmitteln verbrauchtwerden. Dies ist auch verständlich, da wegen der Anforde-rung besonders reiner Produkte oft in großen Verdünnun-gen gearbeitet und auch umkristallisiert wird. Bei den gro-ßen kontinuierlichen Verfahren hingegen werden nurrelativ geringe Mengen an Lösungsmitteln verbraucht, seies, weil sie ganz lösungsmittelfrei gefahren oder weil dieeingesetzten Lösungsmittel im Verfahren rezykliert werden.Der EAp ist in den meisten Fällen die Schwachstelle des Op-timierungsgrades (spBA) und dieser wiederum die Haupt-schwachstelle der Materialeffizienz (BA). Folglich ist hier
anzusetzen, wenn man Verfahren beigegebenem Syntheseweg hinsichtlichder Materialeffizienz verbessern will.
6 Analyse des Lösungsmit-tel-, Wasser-, Säure- undBasenverbrauchs
Über den Verbrauch von Rohstoffenund die Emissionen der chemischenIndustrie ist derzeit unternehmens-übergreifend wenig publiziert. Sogarbei der in Sevilla ansässigen EU-Behörde (European IPPC-Bureau),welche die besten verfügbaren Techni-ken der Industrie in der EuropäischenUnion sammelt, sind Rohstoffver-brauch, Emissionen und Materialeffi-zienz laut eigenem Bekunden weit-gehend unbekannt: „Der OFC-Sektor
www.cit-journal.com © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305
Tabelle 3. Übersicht über den Optimierungsgrad (spBA). Durchschnittswerte in Prozent.
(Sub-)Branche spBA rel. Ausbeute (RA) Überschuß (MATR) Beistoffe (EAP)
Pharma (diskontinuierlich)
Farben (diskontinuierlich)
Pflanzenschutz– diskontinuierlich– kontinuierlich
Spezialchemie– diskontinuierlich– kontinuierlich
Grundchemie– diskontinuierlich– kontinuierlich
Chemie gesamt– diskontinuierlich– kontinuierlich
27
33
504957
737377
849783
484672
86
88
899086
909095
909889
888891
84
77
878883
929291
95100
95
858590
38
53
656178
878790
98100
98
626088
300 A. Steinbach et al.
(OFC: organische Feinchemikalien) belastet die Umwelt imWesentlichen durch die Emission flüchtiger organischer Ver-bindungen, durch seine Abwässer, die mitunter stark mitnicht abbaubaren organischen Verbindungen belastet sind,sowie durch den relativ hohen Lösemittelverbrauch und denhohen Anteil nicht rückführbarer Abfälle. Wegen der Vielfaltdes Sektors, des breiten Spektrums der produzierten Chemi-kalien und der großen Anzahl unterschiedlicher Stoffe, dieemittiert werden können, gibt dieses Dokument keinen um-fassenden Überblick über die Emissionen des OFC-Sektors.Daten über den Verbrauch von Rohstoffen usw. waren nichtverfügbar“ [7]. Hier soll ein Beitrag dazu geleistet werden,diese Lücke zu schließen.
Der durchschnittliche Lösungsmittelverbrauch wird vonGrundchemie über Spezialchemie, Pflanzenschutz und Far-ben bis hin zu Pharma immer größer (Tab. 4). Er ist beiden Pharmasynthesen mit 3200 kg t–1 Produkt am größten.Hingegen liegt beim Verbrauch an Prozesswasser– ohneBerücksichtigung des Kühlwassers – die Farbenproduktionmit Abstand an der Spitze (71 200 kg t–1 Produkt). Es gibtFarbenbetriebe, deren jährlicher Wasserverbrauch ebensogroß ist wie der einer Kleinstadt.
Fragt man nach den meistverbrauchten Lösungsmittelnin der Chemie bzw. bei den hier betrachteten 412 Verfahren,ist die Antwort eindeutig. Auf den ersten drei Plätzen ste-hen Toluol, Isopropanol und Ethanol. Diese Reihenfolge giltnicht nur für die Gesamtchemie, sondern, wie die ABC-Analyse (Abb. 3) zeigt, auch für die Subbranche Pharma.Beim Pflanzenschutz hingegen stehen Methanol, Dimethyl-formamid und Xylol an der Spitze.
Chlorkohlenwasserstoffe werden nach wie vor als Lö-sungsmittel eingesetzt, allerdings in geringem Umfang: Inder Pharmaindustrie wird vorwiegend Methylenchlorid, inPflanzenschutz vor allem 1,2-Dichlorethylen und 1,2-Dich-lorethan verwendet.
Die mit Abstand am meisten eingesetzte Säure ist Schwe-felsäure (H2SO4), gefolgt von Salzsäure (HCl). Der durch-schnittliche H2SO4-Verbrauch liegt unter 50 kg t–1 Produkt.Eine Ausnahme bildet die Subbranche Farben.Hier erreicht der H2SO4-Verbrauch eine Grö-ßenordnung von 2000 kg t–1 Produkt. Die in denVerfahren mit Abstand am meisten eingesetzteBase ist Natriumhydroxid (NaOH). Der durch-schnittliche Verbrauch an NaOH liegt bei Phar-ma, Farben und Pflanzenschutz in der Größen-ordnung von 100 – 200 kg t–1 Produkt. Bei Farbenkommt ein noch ebenso großer Verbrauch anKaliumhydroxid (KOH) hinzu.
Der durchschnittliche Verbrauch von Salzenist in den einzelnen Subbranchen – mit Ausnah-me der Farben – vergleichsweise gering. BeimSalzverbrauch der Farben stehen Natriumchlorid(ca. 60 kg t–1 Produkt), Natriumdithionit (ca.40 kg t–1 Produkt), Natriumsulfit (ca. 30 kg t–1 Pro-dukt) und Natriumacetat (ca. 30 kg t–1 Produkt)an der Spitze. Bei der Farbenproduktion werden
in elementarer Form eingesetzt: Eisen (ca. 40 kg t–1 Produkt),Kupfer (ca. 3 kg t–1 Produkt), Schwefel (ca. 5 kg t–1 Produkt)und Zink (ca. 15 kg t–1 Produkt). Zink wird in geringerenMengen auch bei Pharma und Pflanzenschutz eingesetzt.
7 Analyse der Reststoffe und Emissionen
Als Output chemischer Syntheseverfahren fallen nebendem Zielprodukt (Hauptprodukt) auch noch Reststoffe an.Die Reststoffe werden teils verwertet, wie im folgenden Ab-schnitt gezeigt wird, und teils entsorgt. Die Entsorgung er-folgt überwiegend durch Rückstandsverbrennung und Klär-anlage.
Die Deponie spielt bei den analysierten 412 Verfahrennur eine sehr untergeordnete Rolle. Die Emissionen in dieAtmosphäre sind, von den noch zu behandelnden CO2-Emissionen abgesehen, so gering, dass sie praktisch keinenEinfluss auf die Betrachtungen im Umfeld des Materialeffi-zienzthemas haben.
Bei Pharma fallen sehr große Mengen organische Rest-stoffe (ca. 3920 kg t–1 Produkt) an, die überwiegend ver-brannt werden (Tab. 5). Ein kleiner Teil geht in die Kläranla-
ChemieIngenieurTechnik
Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com
Tabelle 4. Lösungsmittel- und Wasserverbrauch. Die Durch-schnittswerte des Verbrauchs (kg t–1 Produkt) ergeben sich ausder Summe der entsprechenden jährlichen Verbräuche der ein-zelnen Verfahren der betrachteten (Sub-)Branche, geteilt durchdie Gesamtmenge der erzeugten Produkte dieser (Sub-)Branche.
Subbranche Lösungsmittelverbrauch Wasserverbrauch
Pharma 3200 5400
Farben 700 71 200
Pflanzenschutz 250 6 400
Spezialchemie 100 1 500
Grundchemie 0 1 900
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
1. Toluol 33 %2. Isopropanol 19 %3. Ethanol 17 %4. Isopropylacetat 07 %5. Heptan 05 %6. Di-isopropylether 04 %7. Methylenchlorid 04 %8. Methanol 04 %9. Tetrahydrofuran 03 %
10. Sonstige 04 %
Anzahl der Lösungsmittel
Kumulierter Anteil in %
Abbildung 3. ABC-Analyse des Lösungsmittelverbrauchs bei Pharma.
Prozessanalyse 301
ge (Tab. 6). Bei Farben fallen ähnlich große Mengen Rest-stoffe an, es handelt sich aber hauptsächlich um anorgani-sche Stoffe, die überwiegend in die Kläranlage eingeleitetwerden. Die bei Farben anfallenden großen Prozesswasser-mengen werden ebenfalls überwiegend in der Kläranlageentsorgt.
Der größere Teil der beim Pflanzenschutz anfallenden or-ganischen Reststoffmengen wird verbrannt, der kleinereTeil in die Kläranlage eingeleitet. Bei den anorganischenReststoffen des Pflanzenschutzes verhält es sich umge-kehrt: Der kleinere Teil wird verbrannt und der größere Teilin die Kläranlage eingeleitet. Auffallend sind die relativ gro-ßen Wassermengen, die bei Pharma und Pflanzenschutzverbrannt werden, um zu verhindern, dass mit biologischaktiven und schwer abbaubaren Substanzen verunreinigteAbwässer in die Kläranlage gelangen.
Die Kläranlagenbelastung durch die Farben ist in jederHinsicht am höchsten (Tab. 6). Besonders groß ist – vonWasser abgesehen – die eingeleitete Menge an anorgani-schen Stoffen (3600 kg t–1 Produkt). Diese besteht aus Säu-ren (ca. 2450 kg t–1 Produkt), Basen (ca. 500 kg t–1 Produkt)und Salzen (ca. 650 kg t–1 Produkt). Die Säuren bestehenüberwiegend aus Schwefelsäure (ca. 85 %) und Salzsäure(ca. 10 %). Bei den Basen entfällt je ein Drittel auf Natrium-hydroxid und Kaliumhydroxid, der Rest auf Aluminium-hydroxid, Amine u. a. Die Salzfracht besteht zu ca. 30 % ausKochsalz. Der Rest verteilt sich auf viele andere Salze.
Als Kriterien für die Güte des Abwassers gelten – vgl. An-hang 22 der Abwasserverordnung – vor allem ChemischerSauerstoffbedarf (CSB), organischer Kohlenstoff, Halogen(F, Cl, Br, I), Stickstoff (N) und Phosphor (P). Diese Wertelassen sich auf Basis der Stoffbilanzen des BTC-Systems für
jedes einzelne Verfahren genau berechnen. Die hier wieder-gegebenen und auf eine Tonne Produkt bezogenen Mittel-werte einer großen Anzahl von Verfahren geben einen An-haltspunkt über die Größenordnung der in der Praxisvorkommenden organisch C-, CSB-, Halogen-, N- undP-Werte (Tab. 7). Die Halogenwerte im Abwasser liegen beiPflanzenschutz, Pharma und Farben zwischen 190 und380 kg t–1 Produkt. Es handelt sich hierbei überwiegend umanorganische Verbindungen (Salze). Um eine Zehnerpo-tenz niedriger liegen die Stickstoff- und Phosphor-Werte.Der Phosphor findet sich überwiegend in anorganischenSubstanzen, der Stickstoff hingegen überwiegend in organi-schen.
Auch die Metallgehalte im Prozessabwasser lassen sichauf Basis der Stoffbilanzen für jedes einzelne Verfahren ge-nau berechnen. Bei den betrachteten 412 Verfahren kom-
www.cit-journal.com © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305
Tabelle 5. Rückstandsverbrennung [kg t–1 Produkt].
Subbranche Anorg. Stoffe Organische Stoffe Wasser
Pharma 150 3600 1400
Farben 1 100 5
Pflanzenschutz 90 330 620
Spezialchemie 1 40 5
Grundchemie 5 20 130
Tabelle 6. Einleitung von Prozessabwässern in die Kläranlage[kg t–1 Produkt].
Subbranche Anorg. Stoffe Organische Stoffe Wasser
Pharma 590 320 5000
Farben 3600 480 72 500
Pflanzenschutz 630 160 8200
Spezialchemie 120 40 1400
Grundchemie 1 20 1900
Tabelle 7. Qualität der Prozessabwässer (Durchschnittswerte inkg t–1 Produkt). Theoretische Berechnung des CSB-Wertes unterder Prämisse, dass alle C- und H-Atome organischer Verbindun-gen zu CO2 und H2O oxidiert werden unter Anrechnung der imMolekül vorhandenen O-Atome.
Gesamt Anorganisch Organisch
Pharma
CSB 535
Organisch C 150 150
Halogen 215 195 20
N 17 2 15
P 0,1 0,1 0
Farben
CSB 835
Organisch C 250 250
Halogen 380 370 10
N 33 12 21
P 2 2 0
Pflanzenschutz
CSB 250
Organisch C 70 70
Halogen 190 180 10
N 10 3 7
P 10 10 0
Spezialchemie
CSB 50
Organisch C 20 20
Halogen 25 24 1
N 5 2 3
P < 0,1 < 0,1 < 0,1
302 A. Steinbach et al.
men Schwermetalle nur selten, meist nur in geringen Men-gen und in Form anorganischer Verbindungen vor. So fin-den sich z. B. Zinnverbindungen im Abwasser von Pharma(Durchschnittswert 0,6 kg Sn t–1 Produkt) und Pflanzen-schutz (0,4 kg Sn t–1 Produkt). Bei Farben werden vor allemKupfer (3,5 kg Cu t–1 Produkt) und Chromverbindungen(0,5 kg Cr t–1 Produkt) ins Abwasser eingeleitet. Bleiverbin-dungen finden sich in geringen Mengen (Durchschnitts-wert 0,1 kg Pb t–1 Produkt) im Abwasser der Spezialchemie.
8 Reststoffverwertung
In der Praxis werden die in den Verfahren anfallenden Rest-stoffe teilweise als Nebenprodukte oder Sekundärrohstoffeverwertet (Tab. 8). Nebenprodukte sind (Rest-)Stoffe, diein einem bestimmten Produktionsverfahren neben demHauptprodukt noch anfallen und wirtschaftlich verwertetwerden, z. B. als Einsatzstoffe für andere Synthesen. Neben-produkte sind im Gegensatz zu den Sekundär-Rohstoffenohne vorherige Behandlung wirtschaftlich verwertbar. Beider Aufarbeitung von Sekundär-Rohstoffen erhält man ne-ben dem gewünschten Wertstoff meist noch größere Men-gen Abfallstoffe. Bei den Nebenprodukten der Pharmaher-stellung handelt es sich fast ausschließlich um organischeVerbindungen, z. B. um wiedergewonnene Lösungsmittel.Hingegen ist fast die Hälfte der im Pflanzenschutz erhalte-nen Nebenprodukte anorganischer Natur. So wird z. B. beieiner Synthese Chlorwasserstoff als Koppelprodukt einerFriedel-Crafts-Reaktion erhalten, in Wasser gelöst und alsSalzsäure verkauft. Erfahrungsgemäß sind die meisten Ne-benprodukte in Pharma, Farben, Pflanzenschutz und Spe-zialchemie von geringem wirtschaftlichen Wert. In nichtseltenen Fällen werden die Nebenprodukte und Sekundär-Rohstoffe verschenkt, um sie nicht entsorgen zu müssen.
9 Spezielle Auswertungen zur Halogen-chemie und Treibhausgasen
Viele Synthesen der klassischen organischen Chemie be-inhalten die (intermediäre) Einführung von Chlor oder an-deren Halogenen in ein Zwischenprodukt und anschließen-de Abspaltung des Halogens. Das eingeführte Halogenfindet sich nicht im Hauptprodukt, sondern in den Reststof-
fen wieder. Ein anschauliches Beispiel ist z. B. das Chlor-hydrinverfahren zur Herstellung von Ethylenoxid: Im ers-ten Schritt wird Chlorhydrin durch Chlorierung vonEthylen gebildet, wobei –Cl und –OH an Ethylen angelagertwerden. Anschließend wird durch Abspaltung von HCl mitHilfe von Ca(OH)2 das Endprodukt Ethylenoxid gebildet.Das eingeführte Chlor landet somit letztendlich als CaCl2 inden Reststoffen. Die hier geschilderte Vorgehensweise istkeine Ausnahmeerscheinung, sondern die Regel, wie diefolgenden Branchenzahlen belegen. Der kleinere Teil deseingesetzten Halogens landet im Produkt. Der größere Teil(ca. 80 %) hingegen landet, wie nach den obigen Ausführun-gen zu erwarten, in den Reststoffen (Tab. 9).
Der Verbrauch von Halogen in primären Einsatzstoffen,also ohne Lösungsmittel etc., ist vor allem bei der komplexe-ren Chemie von Pharma, Farben und Pflanzenschutz be-achtlich. Er liegt im Durchschnitt bei ca. 360 kg Halogenpro Tonne Produkt (Tab. 9). Nur bei Spezialchemikalienliegt der Halogenverbrauch deutlich niedriger. Bei Farben,Pflanzenschutz, Spezial- und Grundchemie entfällt über90 % des gesamten (primären) Halogenverbrauchs aufChlor, bei Pharma hingegen nur 50 %.
Nicht nur die Halogenchemie, sondern auch die Treib-hausgase und hier speziell die CO2-Emissionen gehören zuden Top-Themen des Nachhaltigkeitsmanagements. Umdie Klimaschutzziele der Politik zu erfüllen und um die fi-nanziellen Belastungen durch den CO2-Handel in Milliar-denhöhe zu reduzieren, müssen die CO2-Emissionen derChemie von derzeit ca. 40 Mio. t a–1 [8] verringert werden.Tab. 10 gibt einen Überblick über die CO2-Emissionendurch die chemische Produktion. Hier werden die Emissio-
ChemieIngenieurTechnik
Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com
Tabelle 8. Reststoff-Verwertung [kg t–1 Produkt] ohne Wasser(org. Anteil in %).
Subbranche Nebenprodukte Sekundär-Rohstoffe
Pharma 320 (ca. 99 %) 60 (ca. 55 %)
Farben 50 (ca. 30 %) 905 (ca. 40 %)
Pflanzenschutz 410 (ca. 55 %) 35 (ca. 40 %)
Spezialchemie 150 (ca. 40 %) 20 (ca. 80 %)
Grundchemie 170 ( < 10 %) 5 (ca. 35 %)
Tabelle 9. Halogen-Input-Output [kg t–1 Produkt] (Durchschnitts-werte).
Input Output
Subbranche Primäre Einsatzstoffe Produkte Reststoffe
Pharma 363 79 284 78 %
Farben 368 43 325 88 %
Pflanzenschutz 364 94 270 74 %
Spezialchemie 59 15 44 75 %
Tabelle 10. CO2-Emissionen aus Produktion und Entsorgung(Durchschnittliche Menge CO2 in kg t–1 Produkt).
Subbranche Produktion(Abluft)
Rückstands-verbrennung
Kläranlage Summe
Pharma 15 8620 550 9185
Farben 10 210 920 1140
Pflanzenschutz 50 660 270 980
Spezialchemie 15 120 105 240
Grundchemie 30 60 30 120
Prozessanalyse 303
nen der chemischen Produktion ohne die CO2-Emissionenvon Kraftwerken betrachtet, die aus der Erzeugung und Be-reitstellung der erforderlichen Energien wie Dampf undStrom resultieren. Einbezogen in die folgenden Betrachtun-gen sind die CO2-Emissionen, die aus den Syntheseverfah-ren selbst stammen, z. B. CO2 als Koppelprodukt, die durchdie Verbrennung organischer Rückstände entstehen unddie durch biologischen Abbau organischer Rückstände inder Kläranlage entstehen (Prämisse: Alles org. C wird in derKläranlage zu CO2).
Die CO2-Emissionen aus dem Prozess selbst sind auf we-nige Verfahren beschränkt und fallen im Gesamtbild nichtbesonders ins Gewicht (Tab. 10), wogegen die Rückstands-verbrennung organischer Reststoffe einen großen Beitragleistet. Bei Pharma werden beispielsweise insgesamt ca.9 t CO2 pro Tonne Produkt erzeugt (Abb. 4). Wenn man be-rücksichtigt, dass die Prozessketten zur Herstellung einesPharmawirkstoffes meist ca. 4 – 12 Verfahren umfassen, soresultiert daraus, dass pro Tonne Wirkstoff größenord-nungsmäßig 70 (36 – 108) t CO2 emittiert werden. Hierzukommen noch die CO2-Emissionen zur Erzeugung dererforderlichen Energien.
10 Ansatzpunkte zur Steigerungder Materialeffizienz
Gesellschaft und Politik verlangen von der Industrie erheb-liche Anstrengungen zur Steigerung der Materialeffizienz.Ziel für das Jahr 2020 ist es, dass jede eingesetzte Energie-und Rohstoffeinheit ihren Beitrag zum Bruttoinlandspro-dukt verdoppelt [9]. Die Materialeffizienz in diesem Aus-maß zu steigern, ist für die Chemie eine besonders großeHerausforderung.
Die Ausgangslage in der Chemie wurde bereits oben be-schrieben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die dortangegebenen durchschnittlichen Materialeffizienzen, z. B.für Pharma 20 %, jeweils auf ein Verfahren beziehen unddass zur Herstellung des gewünschten Produktes, z. B. eines
Pharma-Wirkstoffes, in den meisten Fällen eineSerie von mehreren Verfahren erforderlich ist.Der BA-Wert der gesamten Prozesskette liegt un-ter den BA-Werten der Einzelverfahren, bei Phar-ma nicht selten im Promillebereich (BA < 1 %).Diese Erfahrung deckt sich im Übrigen mit denAngaben von Vertretern der pharmazeutischenIndustrie in den USA, die beim Vergleich von 46Wirkstoffsynthesen Materialeffizienzen von (um-gerechnet) 0,11 % bis 4,3 % fanden [10]. Mitunterwerden spektakuläre Erfolge bei der Steigerungder Materialeffizienz erreicht. So wird z. B. vonder Synthese eines Pharmawirkstoffes berichtet,bei der die Verfahrensverbesserung zu einer Er-höhung der Materialeffizienz über mehr als dasZehnfache führte, nämlich von (umgerechnet)0,27 % auf 3,4 % [10].
Hier geht es hauptsächlich um die Frage, mit welchenStellschrauben bei der gegebenen Ausgangssituation syste-matisch und zielorientiert auf eine Steigerung der Material-effizienz (BA) hin gesteuert werden kann. Die Materialeffizi-enz (BA) einer ganzen Prozesskette zu steigern heißt, dasZielprodukt, z. B. den Pharmawirkstoff, mit möglichst kur-zen Prozessketten und mit möglichst wenigen chemischenStufen zu synthetisieren, und die Materialeffizienzen der zurProzesskette gehörenden Einzelverfahren zu maximieren.
Zur Steigerung der BA eines Verfahrens ist es entspre-chend der (erweiterten) Produktivitätsfunktion erforderlich,folgende Einflussgrößen zu maximieren:
BA = BAt × (RA × MATR) × EAp
wobei BAt die theoretische Bilanzausbeute ist. Bei den ge-wählten Synthesewegen sollten keine oder zumindest nurgeringe Mengen an Koppelprodukten anfallen. Synthesewe-ge sollen so geplant werden, dass ein möglichst großer Teilder eingesetzten Rohstoffe nach den Grundlagen der GreenChemistry in das Produkt eingeht [11, 12]. RA bezeichnetdie relative/stöchiometrische Ausbeute, auch sie soll bezo-gen auf den Haupteinsatzstoff maximiert werden. Darüberhinaus gilt es aber auch die RAs bezogen auf die anderenprimären Einsatzstoffe zu steigern.
MATR ist der Überschussfaktor (Mengenanteil Theorie/Real). Die primären Einsatzstoffe sollen möglichst genauim stöchiometrischen Verhältnis eingesetzt werden. Ist einÜberschuss unvermeidbar, so sollte dieser möglichst zu-rückgewonnen werden (Rezyklierung).
EAp ist der Hilfsstoffaktor (Einsatzstoffanteil primärer Ein-satzstoffe). Der Einsatz von Hilfssubstanzen wie Lösungsmit-tel und Trennmittel soll nach Möglichkeit vermieden werden.Soweit dies nicht möglich ist, sollten die eingesetzten Lö-sungsmittel möglichst rezykliert werden. Die Rezyklierungs-raten liegen erfahrungsgemäß meist zwischen 80 % und95 %. Beträgt die Rezyklisierungsrate jedoch sogar 99,97 %,wie in dem vor Kurzem veröffentlichten spektakulären Fall[10], ist der reale Lösungsmittelverbrauch nahezu Null.
www.cit-journal.com © 2011 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305
Einsatz-stoffe Pharma-
Verfahren Verbrennung
Hinzu kommt noch die CO2-Emission der Energieerzeugung!
15Haupt-produkt
Rest-stoffe
KläranlageRest-stoffe
8.620 550
Abbildung 4. Treibhausgase (CO2) bei Pharma. Durchschnittswerte in kg CO2 t–1
Produkt.
304 A. Steinbach et al.
11 Schlussfolgerungen
Selbst in der EU-Zentrale für die besten verfügbaren Tech-niken in Sevilla hat man laut eigenem Bekunden keinenumfassenden Überblick über Rohstoffverbrauch und Emis-sionen und damit auch nicht über die Materialeffizienzenin der Chemie. Hier soll ein Beitrag zum Schließen dieserLücke geleistet werden. Es soll auch gezeigt werden, an wel-chen Stellschrauben zu drehen ist, um systematisch undzielorientiert auf die in der nationalen Nachhaltigkeitsstra-tegie 2002 geforderte signifikante Steigerung der Material-effizienz hinsteuern zu können.
Die hier gezeigte globale Sicht auf die Materialeffizienzder Chemiebranche und einiger Subbranchen war nur des-halb möglich, weil mit Bilanzen (Technische Buchführung)und Produktivitätsfunktion eine einheitliche methodischePlattform (BTC-System) vorliegt. Zudem wird damit einedetaillierte Auswertung zur Halogenchemie, Treibhausga-sen, Abwasserbelastung, Wasser- und Lösungsmittelver-brauch etc. ermöglicht. Will man im Rahmen eines sys-tematischen Process Life Cycle- und Nachhaltigkeits-Managements ähnliche Analysen z. B. für eine Abteilung,einen Standort, ein Unternehmen oder eine Branche durch-führen, ist für die betrachtete Gesamtheit ebenfalls eine ein-heitliche Plattform nötig. Diese besteht zumindest auseinem einheitlichen Bilanzensystem und einem einheitli-chen System von Kennzahlen (KPIs). Zu den letzteren ge-hört vor allem die Materialeffizienz (BA) und deren Stell-schrauben (Produktivitätsfunktion). Diese Analysen führen
nicht nur zu neuen Erkenntnissen, sondern ermöglichenauch Einsparungen, z. B. bei den Laborkosten. Es sind näm-lich weniger Laboranalysen erforderlich, weil sich viele um-weltrelevante Parameter wie z. B. CO2-Emissionen oder Ab-wasserinhaltstoffe (Halogen, organischer C etc.) auf Basisder Stoffbilanzen berechnen lassen.
Literatur
[1] A. Steinbach, atp - Automatisierungstechnische Praxis 2001, 8,33.
[2] Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen, Bundesministe-rium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Berlin2007.
[3] Fakten zur Materialeffizienz, Deutsche Materialeffizienzagen-tur, Berlin 2009.
[4] Green Chemistry – Nachhaltigkeit in der Chemie, GesellschaftDeutscher Chemiker, Frankfurt am Main 2003, 13, 143.
[5] Was ist nachhaltig?, Verband der Chemischen Industrie, Frank-furt am Main 1999, 9.
[6] F.G. Calvo-Flores, ChemSusChem 2009, 2, 906.[7] Merkblatt über die besten verfügbaren Techniken für die Herstel-
lung organischer Feinchemikalien, IPPC-Bureau, Sevilla, 2005.[8] M. Hübel, A. Holst, Nachr. Chem. 2009, 57 (7 – 8), 784.[9] H. Pütter, Nachr. Chem. 2009, 57 (6), 642.
[10] A. M. Thayer, Sustainable Syntheses, Chem. Eng. News 2009,87 (23), 13 – 22.
[11] P. T. Anastas, ChemSusChem 2009, 2, 391.[12] Green Chemistry – Nachhaltigkeit in der Chemie, Gesellschaft
Deutscher Chemiker GDCh, Frankfurt am Main 2003, 143.
ChemieIngenieurTechnik
Chemie Ingenieur Technik 2011, 83, No. 3, 295–305 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.cit-journal.com
Prozessanalyse 305