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Fakultät Informatik Institut für Angewandte Informatik, Professur Technische Informationssysteme MATERIALIEN ZUR VORLESUNG „SYSTEMORIENTIERTE INFORMATIK / HARDWARE SOFTWARE-CODESIGN“ Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

MATERIALIEN ZUR VORLESUNG „SYSTEMORIENTIERTE … · Ein Computer kann als Informations- bzw. Steuerungssystem benutzt werden, indem man ihn Steuerungssystem benutzt werden, indem

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Fakultät Informatik Institut für Angewandte Informatik, Professur Technische Informationssysteme

MATERIALIEN ZUR VORLESUNG„SYSTEMORIENTIERTE INFORMATIK /HARDWARE SOFTWARE-CODESIGN“

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

2

Autor: Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

Sitz: Nöthnitzer Straße 46 (INF), Zimmer 1074

Telefon: 0351 463-38289

E-Mail: <vorname>.<nachname>@ tu-dresden.de

WWW: http://www.iai.inf.tu-dresden.de/tis/

3

Gliederung

0. Motivation

0.1. Beschreibung der Lehrveranstaltung „Systemorientierte Informatik / Hardware Software-

Codesign“

0.2. Weitere Lehrveranstaltungen

1. Objekte und Systeme

2. Eigenschaften dynamischer Systeme 2.1. Allgemeine Systemeigenschaften

2.1.1. Signale

2.1.2. Systeme

2.1.3. Signalflussgraphen

2.2. Zeitkontinuierliche Systemtypen und ihre Software-Modelle

2.2.1. Gewinnung von Modellen

2.2.1.1. Theoretische Analyse

2.2.1.2. Grundtypen linearer Systeme

2.2.1.3. Modellbildung durch Messungen

2.3. Theorie linearer Systeme

2.3.1. Grundsätzliche Methode

2.3.2. Gültigkeitsvoraussetzungen

2.3.3. Faltungsintegral

2.3.4. Stabilität

2.3.5. Weitere Elementar- und Testsignale

2.3.6. Harmonische Elementarsignale

2.3.6.1. Signale

2.3.6.2. Systeme

2.3.6.3. Faltungssatz

3. Informationsverarbeitung in Objekten 3.1. Abtastung von Signalen an der Schnittstelle

3.2. Primärverarbeitung der Signale

3.3. Filteralgorithmen

3.4. Signalprozessoren

4. Objekte und Systeme in geschlossenen Signalzyklen

4.1. Steuerung

4.2. Regelung

4.2.1. Statische Betrachtung

4.2.2. Dynamische Betrachtung

4.2.3. Analyse durch Rechner-Simulation

4.2.4. Synthese durch Rechner-Optimierung

4

Literatur:

Kabitzsch, K.: Informations- und Steuerungssysteme Kapitel 11 in: Werner u.a.: Taschenbuch der Informatik Fachbuchverlag Leipzig 1995

ISBN 3-343-00892-3

Stein, G.: Automatisierungstechnik in der Maschinentechnik C. Hanser Verlag 1993

ISBN 3-446-15579-1

Wellenreuther, G.; Zastrow, D.: Steuerungstechnik mit SPS 3. Auflage, Vieweg Verlag Braunschweig / Wiesbaden 1995

ISBN 3-528-24580-8

Olsson, G.; Piani, G.: Steuern, regeln, automatisieren C. Hanser Verlag München Wien 1993

ISBN 3-446-17497-4

Färber, G.: Prozeßrechentechnik 2. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1992

ISBN 3-540-55198-0

Ergänzungsliteratur:

Unger, J.: Einführung in die Regelungstechnik B.G. Teubner 1992

Bolch, G.; Seidel, M.: Prozeßautomatisierung 2. Auflage, B.G. Teubner Stuttgart 1993 (Reihe Leitfäden der angewandten Informatik)

ISBN 3-519-12499-8

Orlowski, P.F.: Praktische Regeltechnik 4. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1994

ISBN 3-540-57425-5

Roth, G.: Regelungstechnik Hüthig Buch Verlag Heidelberg 1990

ISBN 3-7785-1832-1

Neumann, P.; Grötsch, E.; Lubkoll, C.; Simon, R.: SPS-Standard: IEC 1131 – Programmierung in verteilten Automatisierungssystemen R. Oldenbourg Verlag

München 1995

ISBN 3-486-23348-3

Kurbel, K.: Produktionsplanung und -steuerung R. Oldenbourg Verlag München Wien 1993 (Band 13.2 in der Reihe "Handbuch der

Informatik")

ISBN 3-486-21643-0

Schmid, D. (Hrsg.): CIM Lehrbuch zur Automatisierung der Fertigung Verlag Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten 1991

ISBN 3-8085-5111-9

Kabitzsch, K. (Hrsg.): Automatisierungskonzepte mit dezentraler Intelligenz (LonWorks)

Tagungsband, Workshop an der TU Dresden vom 13.10.1995

N.N.: LonWorks Technology Device Data

Motorola Inc. 1995

5

Erklärung zu verwendeten Symbolen:

Definition

Tabelle

Wichtige Formel

Beispiel

Regel

Hinweis

D

T

F

B

R

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Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 0 – Motivation

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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0. Motivation

0.1. Beschreibung der Lehrveranstaltung „Systemorientierte Informatik / Hardware

Software-Codesign“

Rechner müssen in der Praxis mit Prozessen, Anlagen und Komponenten verschiedenster

Branchen in Wirtschaft und Technik zusammenwirken. Um die dabei entstehende

Komplexität zu beherrschen, muss jede Software in Objekte und jeder Prozess in Systeme

zerlegt werden, um sie arbeitsteilig zu entwickeln und anschließend zusammenzufügen. Als

Mitwirkende an dieser Arbeitsteilung müssen Informatiker grundsätzliche Eigenschaften der

Schnittstellen (Signale) und Systeme verstehen, um die eigene Aufgabenstellung zu erkennen

und abzugrenzen.

Die Studenten sollen zur Zusammenarbeit mit den als Anwender auftretenden Betriebswirten

und Ingenieuren befähigt werden, die Grundprinzipien wichtiger Anwenderalgorithmen sowie

branchenübliche Lösungsansätze kennenlernen.

Ziele:

Vermittlung praktischer Kenntnisse, so dass eine Verständigung mit Spezialisten möglich

ist

Legen von Grundlagen für eine weiterführende Ausbildung

Der wachsende Nachwuchsmangel in allen Technikdisziplinen sichert gute Berufschancen.

Aktuelle Informationen zur Vorlesung und Übung, Übungsaufgaben sowie Literaturangaben

finden Sie unter:

http://www.inf.tu-dresden.de/index.php?node_id=1120&ln=de

Allgemeine Informationen zum Lehrstuhl finden Sie unter:

http://www.iai.inf.tu-dresden.de/tis/

Namen der Mitarbeiter, Raum- und Telefonnummern, E-Mail-Adressen

Informationen zu weiteren Lehrveranstaltungen (siehe auch Abschnitt 0.2)

Themen für Großer Beleg, Bachelor-, Bakkalaureats-, Diplom- und Masterarbeiten

(abhängig von Studiengang und –ordnung)

Überblick über Forschungsprojekte

Auflistung der Kooperationspartner

Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 0 – Motivation

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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0.2. Weitere Lehrveranstaltungen

Abhängig von Studiengang und –ordnung sind nach Abschluss dieser Lehrveranstaltung

weitere Lehrveranstaltungen des Lehrstuhls Technische Informationssysteme in mehreren

Modulen belegbar (siehe Tabellen 0_10 bis 0_30). Über die Inhalte und das Organisatorische

informieren Sie sich bitte auf den zur Lehrveranstaltung gehörenden Webseiten.

Tabelle 0_10: Weitere Lehrveranstaltungen für den Bachelor-Studiengang Informatik.

INF

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Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 0 – Motivation

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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Tabelle 0_20: Weitere Lehrveranstaltungen für den Master-Studiengang Informatik.

INF

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Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 0 – Motivation

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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Tabelle 0_30: Weitere Lehrveranstaltungen für den modularisierten Diplom-Studiengang

Informatik.

INF

-

PM

-

FP

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X

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Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 1 – Objekte und Systeme

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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1. Objekte und Systeme

Rechner müssen in der Praxis mit Prozessen, Anlagen und Komponenten verschiedenster

Branchen in Wirtschaft und Technik zusammenwirken. Um die dabei entstehende

Komplexität zu beherrschen, muss

jede Software in Objekte und

jeder Prozess in Systeme

zerlegt werden, um sie arbeitsteilig zu entwickeln und anschließend zusammenzufügen. Als

Mitwirkende an dieser Arbeitsteilung müssen Informatiker grundsätzliche Eigenschaften der

Schnittstellen (Signale) und Systeme verstehen, um die eigene Aufgabenstellung zu erkennen

und abzugrenzen.

Die Studenten sollen zur Zusammenarbeit mit den als Anwender auftretenden Betriebswirten

und Ingenieuren befähigt werden, die Grundprinzipien wichtiger Anwenderalgorithmen sowie

branchenübliche Lösungsansätze kennenlernen.

Ein Computer kann als Informations- bzw. Steuerungssystem benutzt werden, indem man ihn

mit einem Prozess seiner Umgebung verbindet.

Eingabe-Peripherie

(z.B. Tastatur)

Ausgabe-Peripherie

(z.B. Bildschirm)

RechnerInformations-Verarbeitung

I-Eingabe I-Ausgabe

Informationssystem

allgemeines

IS

Beispiele:

Textverarbeitung

Entwurf von Zeichnungen/Graphiken

Tabellenkalkulation

Datenbanken

Programmentwicklung

WORD

CorelDraw, AUTOCAD

EXCEL

DBASE

C+ + Compiler

Allgemeines Informationssystem

Eingabe-Peripherie (z.B. Tastatur)

Meß-Peripherie(z.B. Sensoren)

Stell-Peripherie(z.B. Aktoren)

Ausgabe-Peripherie (z.B. Bildschirm)

RechnerInformations-Verarbeitung

I-Eingabe I-Ausgabe

I-Nutzung I-Gewinnung

Informationssystem

allgemeines technisches

IS

TIS

Technischer Prozeß

Materie transportiertEnergie wirdInformation umgeformt

(Um)Welt

Störgrößen

IS

TIS

TIS IS

Technisches Informationssystem

Bild 1_10, 1_20: Grundstruktur eines allgemeinen bzw. technischen Informationssystems

Prozess. Unter einem Prozess versteht man die Umformung, Speicherung und/oder den

Transport von Materie, Energie und/oder Information.

D

Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 1 – Objekte und Systeme

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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Neben allgemeinen, kommerziellen Prozessen aus Betriebswirtschaft, Finanzwesen,

Personalwesen, Verwaltung, welche über die übliche Ein-/Ausgabeperipherie mit dem

Computer kommunizieren, erfordern technische Prozesse zusätzliche Peripherie.

Technischer Prozess. Ein Prozess, dessen Zustandsgrößen (Eingangs- und Ausgangsgrößen)

mit technischen Mitteln gemessen, gesteuert und/oder geregelt werden können, heißt

technischer Prozess.

Sensoren nehmen Informationen über den Zustand eines technischen Prozesses durch

Messung einer physikalischen Größe auf und leiten diese über die Messperipherie zum

Computer.

Aktoren. Will der Computer den technischen Prozess aktiv beeinflussen, so gibt er

Informationen an die Stellperipherie aus, welche über Aktoren in den Prozess eingreift.

Klasse technischer

Prozesse

Automation Messtechnik Nachrichtentechnik

Sensoren Temperaturfühler

Druckaufnehmer

Inkrement-Wegsensor

Gasanalyse-Sonde

EKG-Sonde

Oszilloskop-Tastkopf

Mikrofon

CCD-Kamera

Magnetband-Tonkopf

Aktoren Drosselventil

Motor

Lautsprecher

Bildschirm

Tabelle 1_10: Beispiele für Sensoren und Aktoren

Branche Typische Beispiele für technische Prozesse

Wissenschaft Experimentalaufbau

Handel Hochregallager

Nachrichtentechnik Telefonnetz

Produktionstechnik Roboter, chemische Fabrik, Kraftwerk

Rundfunk Übertragungssystem

Versorgungstechnik Gas-, Wasser-, Elektro-Netz

Verkehrstechnik Automobil, Schiff, Bahn-Streckennetz

Medizin Diagnosegerät

Konsumgüter Videorecorder, Waschmaschine

Umwelttechnik Kläranlage

Luft- und Raumfahrt Satellit, Flugzeug

Tabelle 1_20: Beispiele technischer Prozesse in ausgewählten Branchen

D

D

D

T

T

Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 1 – Objekte und Systeme

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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Eingabe-Peripherie (z.B. Tastatur)

Meß-Peripherie(z.B. Sensoren)

Stell-Peripherie(z.B. Aktoren)

Ausgabe-Peripherie (z.B. Bildschirm)

Rechner

Aöffnen

Zschließen

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100 %

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Schieber-position

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Sensor(Fotozelle)

Lampe

Flügel-rad

Informations-Verarbeitung

I-Eingabe I-Ausgabe

I-Nutzung I-Gewinnung

Bild 1_30: Objekte und Systeme in der Gebäudeautomation

Prozess Systeme Signale

Funk-Übertragung Antenne, Satellit, Atmosphäre Antennen-Signale

Aktienbörse Händler Kauf-Order-Kurse

Audio-Übertragung Server, Vermittlung Ton-Signale

Supermarkt Käufer, Waren Preise, Umsatz

Video-Technik Kamera, Kamera-

Anschlusskarte

Licht (Kamera-Optik), Video-

Signal

Gebäudeautomation Heizkörper, Heizkessel,

Temperatursensor, Ventil

Wasser-

Strömungsgeschwindigkeit,

Temperatur

Tabelle 1_30: Systeme und Signale in verschiedenen Prozessen

T

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Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 2 – Eigenschaften dynamischer Systeme

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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2. Eigenschaften dynamischer Systeme

2.1. Allgemeine Systemeigenschaften

Komplexe Sachverhalte kann man nur beherrschen, wenn man sie in kleine, einfach

behandelbare Teilprobleme zerlegt. Während das Zerlegen von Software in Objekte noch

immer als relativ neue und moderne Methode gilt, ist ein ähnliches Verfahren in allen

Fachrichtungen der Technik seit etwa 50 Jahren geläufig: Das Zerlegen von Prozessen in

Systeme.

Software: objektorientiert

Schnittstelle:

(Botschaften)

information

hiding

Schnittstelle:

(Signale)

Prozess: systemorientiert

Bild 2.1_10: Allgemeine Systemeigenschaften

Die Betrachtung von Systemen und deren Wechselwirkung ist für Informatiker nicht nur

wegen dieser Ähnlichkeiten und des großen zeitlichen Vorsprungs der Systemtheorie

interessant. Die Objekte anwendungsorientierter Software müssen stets mit Prozessen aus

dem Branchenumfeld der Kunden zusammenwirken. Diese Wechselwirkung und die dafür

notwendigen Schnittstellen muss der Informatiker mit dem jeweiligen Branchenspezialisten

aushandeln und in Lastenheften und Verträgen rechtsverbindlich fixieren. Bei der

Formulierung der geforderten Software-Eigenschaften ist ihm dieser Branchenspezialist

jeweils weit überlegen, da er die Interna seiner Branche besser kennt, und er wird dies im

Streitfalle auch zu seinen Gunsten ausnutzen.

Es gibt aber branchenübergreifende Grundgesetze über Aufbau und Verhalten von Systemen

sowie ihre Wechselwirkung mit der Software über Schnittstellen, deren Kenntnis auch

branchenfremden Informatikern die Einarbeitung in den fremden Prozess erleichtert.

Nachfolgend sollen diese Grundkenntnisse vermittelt werden. Der Grundgedanke besteht

darin, Prozesse in Systeme zu zerlegen, die über Signale miteinander kommunizieren.

System. Ein System ist ein natürliches oder künstliches Gebilde, das (mindestens) ein

Eingangssignal entgegennimmt und (mindestens) ein Ausgangssignal abgibt.

Objekt

System

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Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 2 – Eigenschaften dynamischer Systeme

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Gemeinsamkeiten von Objekten und Systemen:

a) Ihr Zusammenwirken ist nur über Schnittstellen möglich:

Botschaften zwischen Objekten

Signale zwischen Systemen

b) Es interessiert nur ihr Verhalten an den Schnittstellen, nicht ihr interner Aufbau

(information hiding):

Verbergen und Schützen der internen Implementierung

Es reicht aus, das Verhalten an den Schnittstellen zu kennen.

c) Es gibt bewährte Ordnungsprinzipien zur Beherrschung der Vielfalt:

Klassenbildung

Instanziierung

2.1.1. Signale

Signal. Unter einem Signal versteht man den zeitlichen Verlauf x(t) einer (physikalischen)

Größe, welcher Informationen in sich trägt.

Auf dem Wege ins Innere des Computers wird das Signal von seiner physikalischen

Trägergröße gelöst und als abstrakte Zahlenfolge dargestellt. Dazu führt die Messperipherie

zu diskreten Zeitpunkten Eingabebefehle des Computers aus (Abtastung). Alle zwischen

diesen Abtastzeitpunkten liegenden Signalwerte werden vom Computer nicht

wahrgenommen, so dass ein zeitdiskretes Signal entsteht. Die Umwandlung des Messwertes

in eine Festpunkt- oder Gleitpunktzahl wird durch einen Analog-Digital-Wandler (ADU)

ausgeführt. Da die Genauigkeit vom gewählten Zahlenformat mit seinem endlichen

Wertevorrat begrenzt wird, entsteht ein wertdiskretes Signal.

Zeitdiskretes Signal. Unter einem zeitdiskreten Signal wird eine aus unendlich vielen

Elementen bestehende Zahlenfolge der Form

),...}2(),1(),0(),1({...,)}({ xxxxix

verstanden, deren Argumentvariable i ausschließlich ganzzahlige Werte annehmen kann und

diskreten Zeitpunkten t = ti, ti < ti+1 zugeordnet ist. Sind diese Zeitpunkte äquidistant

(x(i) x(iT)) so nennt man

die Folgeelemente x(i) auch Abtastwerte,

die Konstante T auch Abtastperiode,

ihren Kehrwert fa = 1/T auch Abtastfrequenz.

Alle übrigen Signale heißen zeitkontinuierlich.

Wertdiskretes Signal. Ein Signal x(t) ist wertdiskret, wenn seine abhängigen Variablenwerte

x zu einer endlichen Menge von Zahlen (Wertevorrat) gehören. Alle anderen Signale heißen

wertkontinuierlich.

D

D

D

Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 2 – Eigenschaften dynamischer Systeme

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

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t

tt

t

zeitkontinuierlich

zeitdiskret

wertdiskret wertkontinuierlich

Bild 2.1.1_10: Signalklassen

2.1.2 Systeme

System. Ein System ist ein natürliches oder künstliches Gebilde, das (mindestens) ein

Eingangssignal x(t) entgegennimmt und (mindestens) ein Ausgangssignal y(t) abgibt.

Statisches System. Ein statisches System ist dadurch gekennzeichnet, dass jeder

Ausgangswert y(t) stets ausschließlich von dem zum gleichen Zeitpunkt t anliegenden

Eingangswert x(t) abhängt. Als statische Kennlinie wird die Funktion einer Ausgangsgröße y

von der Eingangsgröße x bezeichnet.

100

100

50

50

0

0

Ausgabe y

Gerade y = X

Bild 2.1.2_10: Statisches System mit linearer Kennlinie y = f(x)

Im Beispiel des Ventils ist die Strömungsgeschwindigkeit VS der Flüssigkeit im Rohr statisch

von der Schieberposition PS des Ventils abhängig.

D

Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 2 – Eigenschaften dynamischer Systeme

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Eingabe-Peripherie (z.B. Tastatur)

Stell-Peripherie(z.B. Aktoren)

Rechner

Aöffnen

Zschließen

MElektromotor

100 %

0 %

Schieber-position

Informations-Verarbeitung

I-Eingabe

I-Nutzung

x System y

y= f(x)

Schieber- Schieber Strömungs-position PS geschwindigkeit VS

VS= f(PS)

Bild 2.1.2_30: Statisches System

100 %

100 %

50 %

50 %

0 %

0 %

Strömungs-Geschwindigkeit VS [%]

Schieber-position PS [%]

Bild 2.1.2_20: Beispiel für ein statisches System; Bild 2.1.2_35: Statische Kennlinie des

Durchfluss durch ein Ventil Ventils

Dynamisches System. Ein dynamisches System ist dadurch gekennzeichnet, dass ein

Ausgangswert y(t) zu mindestens einem Zeitpunkt t1 auch von den Eingangswerten x(t) zu

anderen Zeitpunkten t t1 abhängt. Als dynamische Kennfunktion wird das Signal y(t) am

Ausgang eines Systems bezeichnet, sofern an dessen Eingang ein bekanntes Signal x(t)

anliegt.

x

x

t t

System

y

y

Bild 2.1.2_40: Dynamisches System mit dynamischer Kennfunktion y = f(t)

D

Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 2 – Eigenschaften dynamischer Systeme

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

19

Dynamische Systeme sind also stets mit irgendeiner Art von „Gedächtnis“ ausgestattet, das

den Einfluss der „Vorgeschichte“ speichert. Dagegen sind statische Systeme immer

gedächtnislos. Bei physikalischen Systemen hängen die dynamischen Eigenschaften (das

„Gedächtnis“) mit einem Energiespeicher zusammen, z. B.:

Elektrische Kapazität: Speicher für elektrische Ladung

Elektrische Induktivität: Speicher für magnetisches Feld

Feste Körper: Speicher für Bewegungsenergie oder Lageenergie

Körper, Flüssigkeiten, Gase: Speicher für Wärmeenergie.

Verhält sich ein Rechner wie ein dynamisches System, so benutzen seine Software-

Algorithmen Datenspeicher.

Wirkt ein Rechner mit einem technischen Prozess zusammen, so könnte er auch als System

im oben genannten Sinne aufgefasst werden, da er über seine Sensoren Eingangssignale

aufnimmt und über seine Aktoren Ausgangssignale abgibt. Da die Messperipherie durch den

Abtastvorgang alle Eingangssignale in zeitdiskrete Signale umformt und der Rechner sie in

dieser zeitdiskreten Form weiterverarbeitet und an seine Stellperipherie ausgibt, werden

Rechner auch als zeitdiskrete Systeme bezeichnet.

Zeitdiskretes System. Ein zeitdiskretes System operiert über Zahlenfolgen (zeitdiskrete

Signale). Verfügt ein solches System über einen Eingang und einen Ausgang, so verknüpft es

eine Eingangsfolge {x(i)} mit einer Ausgangsfolge {y(i)}.

)}]([{)}({ ixfiy

yx

x

ii

zeitdiskretes

System

y

1 2 3 4 1 2 3 4

x(1) x(2) x(3) x(4)

y(1)

y(2)

y( )3

y(4)

Bild 2.1.2_50: Verhalten eines zeitdiskreten Systems

Systeme ohne zeitdiskretes Verhalten werden zeitkontinuierlich genannt. Technische Prozesse

sind meist zeitkontinuierliche Systeme, da die physikalischen Größen der Eingangssignale

x(t) und Ausgangssignale y(t) in der Regel zeitkontinuierlich verlaufen. Die folgenden

Betrachtungen dienen also sowohl der Verhaltensbeschreibung und Modellierung technischer

Prozesse als auch der Analyse der mit ihnen zusammenwirkenden Rechner.

D

Systemorientierte Informatik / Hardware Software-Codesign

Kapitel 2 – Eigenschaften dynamischer Systeme

Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus Kabitzsch

20

Schwach kausale Systeme reagieren auf gleiche Ursachen x auch stets mit gleichen

Wirkungen y.

In der Praxis ist ihr Verhalten meistens trotzdem unvorhersehbar, weil sich exakt gleiche

Ursachen niemals einstellen lassen, selbst kleinste Abweichungen davon aber bereits völlig

andere Wirkungen hervorrufen können. In einer Welt schwach kausaler Systeme kann sich

der Mensch nur schwer orientieren; diese Kausalität hat für ihn deshalb einen geringen Wert.

Stark kausale Systeme reagieren auf ähnliche Ursachen x auch stets mit ähnlichen

Wirkungen y.

Die meisten Systeme der Natur weisen zum Glück ein derart vorhersehbares Verhalten auf.

Sie erleichtern dem Menschen die Orientierung und ermöglichen ihm zielgerichtetes Handeln.

Stattdessen bauen viele Kulturleistungen des Menschen auf schwach kausalen Prinzipien auf,

z.B.

Sprache („Kopf“, „Zopf“, „Topf“)

Zahlensysteme („0001“, „1001“)

Rechner.

Auch wenige Naturfunktionen sind schwach kausal, z.B. die Gene der DNS.

Bei all diesen Beispielen wird auf die Vorteile der starken Kausalität nur aus

Effizienzgründen verzichtet: weil schwach kausale Systeme aufwandsarm und ohne

Redundanz Informationen speichern können.

Die strikteste und mathematisch exakteste Form des stark kausalen Verhaltens findet man bei

linearen Systemen.

Lineares statisches System. Ein statisches System ist linear, wenn für die aktuellen Werte

der Überlagerungssatz gilt (Additivität):

).()()( 2121 xfxfxxf

Die statische Kennlinie des Beispiels in Bild 2.1.2_10 ist linear. Statische Systeme, für die der

Überlagerungssatz nicht gilt, heißen nichtlinear.

Lineares dynamisches System. Ein zeitkontinuierliches dynamisches System ist linear, wenn

für die Ein- und Ausgangssignale in Vergangenheit und Gegenwart der Überlagerungssatz

gilt. Es ist also linear, wenn für beliebige Zeitfunktionen gilt:

)].([)]([)]()([ 2121 txftxftxtxf

D

D

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Kapitel 2 – Eigenschaften dynamischer Systeme

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21

Bild 2.1.2_60: Verhalten eines linearen dynamischen Systems

Bild 2.1.2_70: Systemklassen

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22

2.1.3. Signalflussgraphen

Mehrere elementare Teilsysteme wirken an ihren Schnittstellen zusammen, indem

Ausgangssignale y des einen Teilsystems auf nachfolgende Teilsysteme als Eingangssignal x

einwirken. Auf diese Weise lassen sich auch komplexe Gesamtsysteme als

Zusammenschaltung vieler einfacher Teilsysteme darstellen. Dies wird durch

Signalflussgraphen anschaulich dargestellt, welche deshalb Bestandteil jedes Lastenheftes

bzw. Vertrages sein sollten.

Position Gasstrom Temp. Dampfströmungs-

[cm] [m3/min] [°C] geschw. [m/s]

Drehzahl Elektrische Spannung

[U/min] [V]

Bild 2.1.3_10: Darstellung der Teilsysteme eines Kraftwerkes als Signalflussgraph

Reihenschaltung von Teilsystemen

x1 x2 x3 y

x2 = G1 · x1 x3 = G2 · x2

Für lineare und statische Teilsysteme gilt:

n

i

iges GGGGx

xGGG

x

xGG

x

xG

x

yG

1

123

1

1123

1

223

1

33

1

Parallelschaltung von Teilsystemen

x2 x2 = G1 · x1

x3

x1 y x3 = G2 · x1

x4 x4 = G3 · x1

Ventil Brenner Kessel Turbine

Generator

G1 G2 G3

G1

G2

G3

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23

Für lineare und statische Teilsysteme gilt:

n

i

iges GGGGx

xGxGx

x

xxx

x

yG

1

321

1

131211

1

432

1

G

Rückkopplungsschaltungen

+ Mitkopplung

- Gegenkopplung

a

x y

b = G2 · y

a = b + x = G2 · y + x

y = G1 · a = G1 · G2 · y + G1 · x

b y - G1 · G2 · y = G1 · x

y · (1 - G1 · G2) = G1 · x

xGG

Gy

21

1

1

Für lineare und statische Teilsysteme gilt also:

21

121

1

121

1

1

GG

G

x

xGG

G

x

xGyGG

x

yGges

Für 2

1

1

GG entstehen unendliche Ausgangssignale und das Gesamtsystem wird instabil.

Das Verhalten von Rückkopplungsschaltungen ist durch die geschlossenen Signalkreise nur

schwer einschätzbar. Es verdient daher bei Lastenheften und Verträgen in allen Branchen

besondere Beachtung!

Vorsicht: Bei Mitkopplung geht die Linearität verloren. Gges ist arbeitspunktabhängig und

damit als „Systemparameter“ sinnlos.

G1

G2

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24

Umformungsregeln für lineare statische Systeme

Besteht der Signalflussgraph eines Systems aus einer Reihenschaltung statischer Teilsysteme,

so ändert sich die statische Gesamtkennlinie dieses Systems beim Vertauschen der

Reihenfolge im Graphen nicht, wenn alle Teilsysteme linear sind.

x y x y

=

x1 y x1

=

y

x2 x2

Für Systeme mit nichtlinearen Anteilen (NL) gilt:

x y x y

G1 G2 G2

G1

G G

G

G NL NL

G

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25

2.2. Zeitkontinuierliche Systemtypen und ihre Software-Modelle

2.2.1. Gewinnung von Modellen

Sobald die Teilsysteme nicht mehr statisch, sondern dynamisch sind, lassen sich die

Signalflussgraphen mathematisch nicht mehr so einfach behandeln wie im letzten Kapitel.

Umso nötiger werden Methoden, mit denen man die inneren Eigenschaften dieser Systeme

klassifizieren und ihr äußeres Verhalten vorhersagen kann.

Die wichtigste Methode besteht darin, für diese Systeme mathematische Modelle zu

entwickeln, diese auf dem Rechner nachzubilden und ihr Zeitverhalten dort durch

Rechnersimulation zu studieren.

Modell. Die Gesamtheit der mathematischen Gleichungen, die den Zusammenhang zwischen

Eingangs- und Ausgangsgrößen eines Systems beschreibt, wird mathematisches Modell

genannt. Ihre Implementation auf einem Rechner heißt auch Rechnermodell.

Bei der Modellierung eines Systems soll die vom Signalflussgraphen bekannte Zerlegung in

Teilsysteme beibehalten werden. Da bei der Implementierung im Rechner der Signalfluss

durch einen Datenfluss nachgebildet wird, heißen die auf Implementierung gerichteten

Graphen auch Datenflussgraphen.

Datenflussgraph. Ein Datenflussgraph ist ein bipartiter gerichteter Graph, dessen Knoten wie

folgt definiert werden: Plätze stellen Datenspeicher (Variablen) dar, Operatoren

(Transitionen) symbolisieren verarbeitende Operationen. Die Richtung der Datenflüsse wird

durch die Kantenrichtung festgelegt.

Bild 2.2.1_10: Beispiel Datenflussgraph

(y = a · (b +c))

100

0

messen

max

min

positionieren

10 20

100

00

Amplitude

Zeitt [ms]

200

10 20

200

100

00

Amplitude

Zeitt [ms]

10 20

200

100

00

Amplitude

Zeitt [ms]

Bild 2.2.1_15: Zeitverlauf von Signalen, die

einen Datenflussgraphen durchlaufen

D

D

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26

Zeitkontinuierliche Modelle. Das Ein-/Ausgangsverhalten dynamischer linearer Systeme

wird zumeist durch Differenzialgleichungen beschrieben, die entweder durch eine

theoretische Analyse des Systems oder durch empirische Messungen und anschließende

Approximation gewonnen werden.

Bild 2.2.1_20: Möglichkeiten zur Gewinnung linearer Rechnermodelle

2.2.1.1. Theoretische Analyse

Beispiel: Behälter

A Fläche2

A Fläche1

Geschwindigkeit

ve

p

Pegel

Bild 2.2.1.1_10: Behälter

ve(t) p(t)

Bilanzgleichungen = Erhaltungssätze für

Geld, Masse, Energie, Kraft, Impuls,

Volumen von Flüssigkeiten und

Festkörpern, ...

Bilanzgleichung: Volumen

eingeflossenes Volumenelement: dV1 = A1 · dl = A1 · ve · dt

gespeichertes Volumenelement: dV2 = A2 · dp

Bilanzgleichung: dV2 = dV1

D

System

B

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27

A2 · dp = A1 · ve · dt

2

1

2

1

A

Akmitvkv

A

A

dt

dpee (Differenzialgleichung)

dtvkp e

t

v (t)e Sprung p(t) Sprungantwort

Anstieg = k 0· vv0

Bild 2.2.1.1_20: Sprung ve(t) am Sprungantwort p(t) des Behälter-

Eingang des Be- Modells

hälters

tt

v (t)e p(t)

Bild 2.2.1.1_30: Beispiel für den Zeit- Antwort des Behälter-Modells

verlauf des Signals ve(t) auf das Signal ve(t)

Nachbildung im Rechner. Die Nachbildung (Modellierung) des zeitkontinuierlichen

Systemverhaltens durch einen Rechner wird meist aus einem der beiden folgenden Gründe

vorgenommen:

Der Rechner bildet das Systemverhalten nach, damit am Modell Simulations-

untersuchungen möglich werden.

Der Rechner bildet das Systemverhalten nach, weil es sich als Regel- bzw.

Steueralgorithmus eignet.

Diskretisierung zu Differenzengleichungen. Der Rechner kann zeitkontinuierliche Systeme

nur näherungsweise nachbilden, da er sich selbst wie ein zeitdiskretes System verhält. Zur

Modellierung zeitkontinuierlicher Systeme müssen daher verhaltensähnliche zeitdiskrete

Modelle entwickelt werden. Die Diskretisierung durch eine Rechteckapproximation macht

den differenziellen Grenzwertübergang rückgängig und führt bei äquidistanter Abtastung mit

konstanter Abtastperiode T zu einfachen Differenzengleichungen.

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28

tT

y

y(i)

y

i

Bild 2.2.1.1_60: Diskretisierung durch Rechteckapproximation

T

iyiyoder

T

TiyiTy

t

y

dt

dy )1()())1(()(

Für das Beispiel:

ee vkt

pvk

dt

dp

)()1()(

ivkT

ipip

T

pe

)()1()()( elSummenformrekursiveipivkTip e

)1()()( ivkTivkTip ee

)()()( ngleichungDifferenzejvkTipi

j

e

Wendet man diese Methode der Diskretisierung auf beliebige Differenzialgleichungen an, so

entstehen Differenzengleichungen, die eine definierte Struktur besitzen, welche in ihrer

allgemeinen Form im Voraus bekannt ist und allgemeines lineares Abtastsystem genannt

wird. Alle praktisch denkbaren Systemtypen führen stets zu Spezialfällen dieser

Differenzengleichung, welche durch Weglassen einiger Terme aus der allgemeinen Form

hervorgehen.

Allgemeines lineares Abtastsystem. Diskretisiert man ein zeitkontinuierliches System, das

einer Differenzialgleichung beliebig hoher Ordnung m, n gehorcht, so erhält man im

allgemeinen Falle die Differenzengleichung:

))((...))2(())1((

))((...))2(())1(()()(

21

210

TniyaTiyaTiya

TmixbTixbTixbiTxbiTy

n

m

F

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29

Diese Gleichung wird vom nachfolgenden Datenflussgraphen repräsentiert:

Bild 2.2.1.1_70: Datenflussgraph eines allgemeinen linearen Abtastsystems (Direktform)

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30

2.2.1.2. Grundtypen linearer Systeme

Elementare Systemtypen. Die Tafel zeigt die einfachsten und praktisch häufigsten

Systemtypen, welche jeweils elementare Spezialfälle des allgemeinen linearen Abtastsystems

sind.

Bild 2.2.1.2_10: Verhalten elementarer Systemtypen und ihre Modelle

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31

Komplexe Systeme. Das Verhalten komplexer Systeme kann auch durch Modelle

nachgebildet werden, die durch Zusammenschaltung elementarer Systeme nach den für

Datenflussgraphen/Signalflussgraphen gültigen Regeln entstehen. Zur Bezeichnung dieser

neuen Systeme ist eine Nomenklatur gebräuchlich, welche die elementaren Namen durch

Bindestriche trennt, wenn sie in einer Reihenschaltung stehen (z.B. P-I-D) und auf

Bindestriche verzichtet, wenn sie durch Parallelschaltung verbunden wurden (z.B. PID).

Zusammenschaltung von Grundtypen

Reihe: Parallel: Rückkopplung:

Schreibweise:

mit Bindestrichen ohne Bindestriche keine Festlegung

(P-I-D) (PID)

P

I

D

+x y

Bild 2.2.1.2_20: Struktur und Verhalten (Sprungantwort) eines PID-Systems

P I D P

I

D

D

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32

2.2.1.3. Modellbildung durch Messungen

In der Praxis sind Systeme oft so komplex, dass eine theoretische Analyse scheitert. Dann ist

auch eine Modellbildung auf diesem Wege nicht möglich und man muss auf empirische

Methoden ausweichen.

Dort werden die Systeme mit definierten Testsignalen am Eingang stimuliert und

anschließend ihre entsprechenden Antworten am Ausgang beobachtet. Danach sucht man

nach Modellen, welche dieses äußere Verhalten näherungsweise nachbilden.

Ähnlichkeiten der inneren Funktionszusammenhänge zwischen Modell und Original sind

nicht unbedingt erforderlich.

Bei der Anwendung dieser Methode geht man in folgenden Schritten vor:

a) Messung mit Testsignalen:

Testsignal. Ein Testsignal ist ein typisches Signal, das zur Prüfung oder

Identifizierung eines Systems dient. Es wird zu diesem Zweck als Eingangssignal x(t)

dem System zugeführt und anschließend die Antwort (Kennfunktion) des Systems in

Form des resultierenden Ausgangssignals y(t) gemessen.

x

x

t t

System

y

y

Bild 2.2.1.3_10: Sprung als Testsignal x(t) und Sprungantwort y(t) des Systems

b) Approximation durch bekannte Modelle:

Man sucht in Modellkatalogen, Tabellen usw. zunächst nach elementaren

Systemtypen, die nach Anregung durch das Testsignal mit einem ähnlichen

Ausgangssignal antworten würden. Findet man keinen geeigneten elementaren

Systemtyp, so setzt man mehrere zu einem komplexen Datenflussgraphen zusammen,

um das gemessene Verhalten besser nachzubilden.

c) Beliebige Nutzung der Modelle:

Zeigen Original und Modell bei der Anregung durch das gewählte Testsignal

ähnliches Verhalten, so ist das so gefundene Modell anschließend auch für andere

Signale beliebig gültig.

Für lineare Systeme gilt: Wenn Original und Modell (-gleichungen) bei einem

Experiment auf ein Testsignal ähnlich reagieren, dann

Verhalten sie sich bei allen Experimenten und Testsignalen ähnlich,

Beschreiben die Modellgleichungen das Verhalten des Originals stets adäquat

D

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33

d) Quantitative Bewertung der Modellgüte

Ein Maß dafür, wie gut das gefundene Modell das gemessene Verhalten des Originals

nachbildet, kann anschließend durch Vergleiche beider Signale (Antworten) gebildet

werden. Man bildet zu jedem Zeitpunkt t die Differenz zwischen dem Zeitverhalten

o(t) des Originals und dem Zeitverhalten m(t) des Modells.

y

t

Original o(t)Modell m(t)

Gütekriterien

Betragsmodellgüte: dttmtoM )()((

Quadratische Modellgüte: dttmtoM 2))()((

Bild 2.2.1.3_20: Formeln zur quantitativen Bewertung der Modellgüte

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34

2.3. Theorie linearer Systeme

Manchmal sind zwar die Messungen mit Testsignalen am Originalsystem erfolgreich, die

anschließende Suche nach einem adäquaten Modell bleibt jedoch ergebnislos. Dann können

auch die als Antwort gemessenen und als Tabelle vorliegenden Zeitverläufe selbst benutzt

werden, um das künftige Systemverhalten bei beliebigen Eingangssignalen vorherzusagen.

10

100

00

y

Zeitt [ms]

200

10

100

00

x

Zeitt [ms]

200

bekannterVerlauf:

bekannteEigenschaften:

gesuchterVerlauf:

Bild 2.3.1_5: Vorhersage des Systemverhaltens

2.3.1. Grundsätzliche Methode

Berechnung durch Superposition. Beim Umgang mit dynamischen Systemen ist in den

meisten Fällen der Verlauf des Eingangssignals x(t) bekannt und der dadurch am

Systemausgang hervorgerufene Signalverlauf y(t) gesucht. Sowohl bei der theoretischen

Berechnung als auch bei empirischen Messungen lässt sich diese Frage besonders effizient

und allgemeingültig beantworten, wenn man die Funktion x(t) in einfach behandelbare

Teilfunktionen (Elementarsignale) xn(t) zerlegt, die durch diese am Systemausgang

hervorgerufenen Teilverläufe yn(t) ermittelt und diese am Ausgang wieder additiv zur

Gesamtfunktion y(t) zusammenfügt (Superposition).

Die Theorie linearer Systeme zeigt, dass dieses Verfahren anwendbar ist, wenn die Systeme

kausal, zeitinvariant und linear sind.

Berechnung durch Zerlegen in

einfach berechenbare Teile

(Superposition)

x(t) y(t)

= =

x1(t) + x2(t) + ... y1(t) + y2(t) + ...

Bild 2.3.1_10: Berechnung des Ausgangssignals y(t) durch Zerlegung und Superposition

System

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35

2.3.2. Gültigkeitsvoraussetzungen

Drei Forderungen an die Signale:

Will man ein beliebiges Eingangssignal x(t) in einfache Elementarsignale zerlegen, so sollten

diese drei Bedingungen erfüllen:

a) jeder Signalverlauf x(t) sollte aus ihnen zusammensetzbar sein

b) sie sollten mathematisch einfach behandelbar sein

c) sie sollten bei Experimenten auch praktisch leicht erzeugbar sein

Elementarsignal. Unter einem Elementarsignal versteht man eine Klasse von Zeitfunktionen,

aus denen jeder beliebige Signalverlauf zusammensetzbar ist. Die mathematischen

Operationen der Zerlegung bzw. Superposition werden auch als Transformation bezeichnet.

Der Rechteckimpuls erfüllt alle drei Bedingungen und eignet sich daher als Elementarsignal.

Will man einen beliebigen Signalverlauf x(t) durch Rechteckimpulse nachbilden, so wird

diese Approximation umso genauer, je schmaler man die Zeitdauer wählt

x(t)

t0

1

Fläche = 1

Bild 2.3.2_10: Einheits-Rechteckimpuls als

Grundlage des Dirac-Stoßes

t

x(t)

0 1 2 3 4 5

Bild 2.3.2_20: Zerlegung eines beliebigen

Eingangssignals x(t) in Rechteckimpulse

verschiedener Amplitude

Im Grenzfall geht der Einheits-Rechteckimpuls in den normierten Dirac-Stoß (Impuls) (t)

über:

10

Fläche

Amplitude

Diese unendliche Amplitude

wird grafisch durch einen Pfeil

symbolisiert.

t

(t)

Bild 2.3.2_30: Dirac-Stoß

D

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36

Bei der Zerlegung eines Signalverlaufes x(t) in Stöße muss deren Amplitude entsprechend

angepasst werden.

Drei Forderungen an die Systeme:

Die Superpositionsmethode ist nur erfolgreich anwendbar, wenn auch die beteiligten Systeme

drei Voraussetzungen erfüllen (LTI-Systeme, linear time invariant):

1. Kausalität (jede Wirkung ist auf eindeutige Weise von einer Ursache abhängig)

2. Zeitinvarianz (das System darf seine Verhaltenseigenschaften im Laufe der Zeit nicht

willkürlich ändern)

3. Linearität (das System gehorcht dem Überlagerungssatz)

Zur Illustration wird in den folgenden Beispielen ein mit in der Amplitude reduzierter

schmaler Einheits-Rechteckimpuls bzw. Dirac-Stoß als Eingangssignal benutzt. Die Antwort

des Beispiel-Systems soll ein einfacher Zeitverlauf g(t) · sein.

x y

t t

System1 1

0

x(t) (t) = y(t) g(t) =

Bild 2.3.2_90: Verhalten eines einfachen Beispiel-Systems

Als erste Voraussetzung der Superpositionsmethode stellt die Kausalität sicher, dass jede

Wirkung auf eindeutige Weise von einer Ursache abhängig ist:

Kausales System. Ein System wird kausal genannt, wenn jedes Ausgangssignal y(t) bis zu

irgendeinem Zeitpunkt t ausschließlich vom Verlauf des zugehörigen Eingangssignals x(t) bis

zu diesem Zeitpunkt abhängt. Demnach ist ein System kausal, wenn aus

x1(t) x2(t) für t < t1

bei beliebigem t1 stets

y1(t) = f (x1(t)) f (x2(t)) = y2(t) für t < t1

folgt.

Systeme, die dieses Merkmal nicht besitzen, heißen nichtkausal. Da reale natürliche Systeme

immer kausal sind, spricht man auch von physikalischer Realisierbarkeit, wenn Kausalität

gemeint ist.

D

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37

Beim nachfolgenden Beispiel im Bild zeigen die ersten beiden Experimente kausale

Eigenschaften; das letzte Experiment offenbart jedoch nichtkausales Verhalten.

Bild 2.3.2_100: Beispiele für kausales (oben) und nichtkausales (unten) Systemverhalten

Als zweite Voraussetzung der Superpositionsmethode stellt die Zeitinvarianz sicher, dass das

System seine Verhaltenseigenschaften im Laufe der Zeit nicht willkürlich ändert:

Zeitinvariantes System. Ein System heißt zeitinvariant, wenn es auf ein zeitlich

verschobenes Eingangssignal )( tx mit einem entsprechend verschobenen Ausgangssignal

)( ty antwortet:

))(()( txfty

Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so spricht man von einem zeitvarianten System.

wenn:

1

x(t) y(t)

t[s]

11

dann:

1 2

t[s] t[s]1 2 1 2

1

1 2 t[s]

Bild 2.3.2_110: Beispiel für ein zeitinvariantes System

D

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38

Als dritte Voraussetzung der Superpositionsmethode stellt die Linearität sicher, dass das

System dem Überlagerungssatz gehorcht. Die Definition des linearen dynamischen Systems

erfolgte bereits im Kapitel 2.1.2, so dass an dieser Stelle nur noch ein erläuterndes Beispiel

mit Hilfe des ausgewählten Einheits-Rechteckimpulses illustriert werden soll:

y am Ausgangam Eingang x System

wenn

5

1

00 Zeit

t [ms]

x1(t) = (t)

x2(t) = (t-

y1(t) = g(t)

y2(t) = g(t- )

2

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

dann ist bei einem zeitinvarianten System auch:

x1(t) + x2(t) y1(t) + y2(t)

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

dann gilt bei einem linearen Systemfür die Summe beider Signale:

Bild 2.3.2_120: Beispiel zur Erläuterung der Linearität mit Hilfe des Rechteckimpulses

)()( ttx und der einfachen Antwort )()( tgty

Aus dieser Eigenschaft linearer Systeme folgt sofort eine weitere:

Wenn das Signal x2(t) am Systemeingang mit einem konstanten Faktor (im Beispiel )(x )

multipliziert wird, dann erscheint am Systemausgang das zugehörige Signal ebenfalls mit

diesem Faktor multipliziert. y am Ausgangam Eingang x System

wenn

x3(t) = x( ). (t- y3 (t) = x( ).g(t- )

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

x2(t) = (t- y2(t) = g(t- )

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

dann gilt bei einem linearen System nach derMultiplikation mit einem konstanten Faktor x( )= 2:

Bild 2.3.2_130: Multiplikation mit einem konstanten Faktor

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39

2.3.3. Faltungsintegral

Jetzt wird ein beliebiges Signal x(t) am Systemeingang näherungsweise durch eine Folge

(Summe) zeitverschobener Rechteckimpulse )( t dargestellt, deren Höhe )(x der jeweils

zugehörigen Signalamplitude x(t) angepasst wurde. Dann setzt sich das Signal y(t) am

Systemausgang ebenfalls aus einer Folge (Summe) der zeitverschobenen Impulsantworten

)( tg mit angepassten Signalamplituden zusammen:

)()()( txtx

)()()( tgxty

y am Ausgangam Eingang x System

5

1

00

Zeitt [ms]

x(t) y(t)

2

5

1

00 Zeit

t [ms]

2

. . . . . .

Bild 2.3.3_10: Zerlegung eines beliebigen Eingangssignals x(t) in Rechteckimpulse (links) und

Zusammensetzung des Ausgangssignals y(t) aus den zugehörigen Impulsantwor-

ten

Beide Gleichungen sind sowohl von t als auch von abhängig. Im Folgenden soll zunächst

nur noch der Signalwert x zu einem Zeitpunkt t berechnet werden, d. h. wir halten

t = konstant. Dann entstehen Hilfsfunktionen f1 und f2, die nur noch von einer

Variablen abhängig sind:

)()()(1 txf )()()(2 tgxf

Mit diesen Vereinfachungen entsteht aus den Summen:

)(1)( ftx

)(2)( fty

Wird hinreichend klein gewählt, so entsprechen die Summen nun der jeweiligen Fläche

unter den Funktionen f1 und f2. Beim Grenzwertübergang 0 gehen die Summen in

entsprechende Integrale über:

dftx )(1)(

dfty )(2)(

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40

Unter Beachtung der Tatsache, dass mit jedem Integral stets nur der Funktionswert x(t) oder

y(t) für einen Zeitpunkt t berechnet werden kann (t = konstant), können nun die

Hilfsfunktionen f1 oder f2 wieder eingesetzt werden:

dtxtx )()()(

dtgxty )()()(

Diese Integrale werden Faltungsintegrale genannt. Besonders nützlich ist das

Faltungsintegral zur Berechnung der einzelnen Signalwerte y(t) am Ausgang des Systems.

Indem nacheinander für die verschiedenen Zeitpunkte t die entsprechenden Faltungsintegrale

berechnet werden, lässt sich schrittweise der Verlauf des gesamten Ausgangssignals y(t)

ermitteln. Der numerische Aufwand dafür ist für moderne Rechner kein Problem mehr. Sie

brauchen dazu nur zwei Informationen:

a) den Zeitverlauf x(t) des Signals am Systemeingang

b) den Zeitverlauf g(t) der Antwort des Systems auf einen Stoß (t) am Eingang

Dieses als Stoßantwort, Impulsantwort oder Gewichtsfunktion bezeichnete Signal kann durch

eine einmalige Messung am System näherungsweise ermittelt werden. Nach der

Messvorschrift in Bild 2.3.2_90 stimuliert man dazu dessen Eingang durch einen hinreichend

schmalen Rechteckimpuls und zeichnet dabei den resultierenden Signalverlauf am

Systemausgang auf. Soll anschließend das System mit anderen Eingangssignalen beliebiger

Art angeregt werden, so reicht die zuvor gewonnene Gewichtsfunktion g(t) aus, um mit dem

Faltungsintegral das Systemverhalten am Ausgang vorauszusagen:

dtgxty )()()( vereinfachte Schreibweise: )(*)()( tgtxty

Gewichtsfunktion. Ein lineares, zeitivariantes und kausales System wird durch die

Gewichtsfunktion g(t) (bzw. Stoßantwort) eindeutig beschrieben. Besitzen also zwei Systeme

dieselbe Gewichtsfunktion g(t), so sind sie verhaltensgleich, d. h. bei gleichen Signalverläufen

an ihren Eingängen liefern beide an ihren Ausgängen ebenfalls identische Signalverläufe.

Vorgehensweise bei linearen Systemen beliebiger Art:

System

1. Am unbekannten System wird einmal g(t)

gemessen und gespeichert.

2. Die Kennfunktion g(t) ist hinreichend, um jederzeit

das Systemverhalten bei beliebigen

Signalverläufen am Eingang zu berechnen!

Bild 2.3.3_20: Methode zur Vorhersage des Systemverhaltens

F

D

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41

U1

g

g

g t

hier z. B. für t=2

f2( )=U1( g(t-

g

Fläche= U1( ) g(t- ) d

Bild 2.3.3_30: Beispiel zur Bildung des Faltungsintegrals

B

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42

2.3.4. Stabilität

Sobald g(t) gemessen wurde, sind zumindest implizit alle Eigenschaften bekannt, um das

Verhalten eines Systems in beliebigen Situationen vorherzusagen. Besonders interessant ist

hierbei die Frage, ob ein System das latente Gefahrenpotential in sich trägt, unter bestimmten

Betriebsbedingungen außer Kontrolle zu geraten. Eine heimtückische und gefährliche

Eigenschaft ist es, wenn nach Anregung durch ein „harmloses“ Eingangssignal mit geringer,

endlicher Amplitude das Ausgangssignal plötzlich „explosionsartig“ über alle Maßen

anwächst. Besonders gefährdet sind Rückkopplungsschaltungen; z. B. konnte das System aus

Kapitel 2.1.3. unter bestimmten Bedingungen unendliche Amplituden am Ausgang erzeugen.

Solche Systeme nennt man instabil.

Stabilität. Ein System heißt BIBO-stabil (BIBO = bounded input – bounded output), wenn es

zu jedem beschränkten Eingangssignal x(t) ein beschränktes Ausgangssignal y(t) erzeugt:

.|)(||)(| yx BtyBtx

Gilt diese Beziehung nicht, so ist das System BIBO-instabil.

Sobald die Gewichtsfunktion g(t) eines Systems bekannt ist, müssen nicht mehr alle

Betriebsbedingungen einzeln durch Simulation oder Messung auf die Gefahren einer

Instabilität untersucht werden. Man kann vielmehr seine Stabilitätseigenschaften gezielt

vorhersagen, also entweder

a) zeigen, dass mindestens eine instabile Betriebsart existiert oder

b) beweisen, dass Instabilitäten ausgeschlossen sind.

Ein lineares, zeitinvariantes System ist genau dann BIBO-stabil, wenn seine Stoßantwort der

Bedingung

Bdttg

t

t

)(

genügt.

D

D

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43

2.3.5. Weitere Elementar- und Testsignale

Neben dem Rechteck bzw. Stoß sind auch andere Signalformen als Elementar- oder

Testsignal nutzbar. Um theoretische und messtechnische Untersuchungen effektiv verbinden

zu können, werden häufig folgende Elementarsignale als Testsignale verwendet:

Elementarsignale Beschreibung mathematischer Apparat

Anwendung

Schmales Rechteck(Stoß)

Faltungs-integral

allgemein

Sprung, harmonischeExponential-funktion

Laplace-Transformation

Automatisierungs-technik

Cosinus Fourier-Transformation

Nachrichten-technik

Rechteckfolge Walsh-Transformation

digitaleKommunikation

Periodische Stoßfolge

Z-Tranformation zeitdiskreteSysteme

Tabelle 2.3.5_10: Elementarsignale, zugehörige Transformationen

und ihre Hauptanwendungsgebiete

t

x(t) Sprung y(t) Sprungantwort

Anstieg = k0· vv0

Bild 2.3.5_20: Sprung als Testsignal x(t) und Sprungantwort y(t) des Systems

T

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44

2.3.6. Harmonische Elementarsignale

2.3.6.1. Signale

Man kann beliebige Signalverläufe auch aus Kosinus-förmigen (harmonischen) Signalen

verschiedener Frequenz zusammensetzen. Auch harmonische Signale erfüllen alle

Bedingungen, die an Elementarsignale gestellt werden.

2.3.6.2. Systeme

Bisher wurden beliebige Signale x(t) in ihre harmonischen (Kosinus-förmigen) Bestandteile

x1(t), x2(t) usw. zerlegt. Dies geschah in der Absicht, zunächst jeden Bestandteil einzeln zu

betrachten. Insbesondere interessiert hier die Frage, welches Teilsignal (z. B. y1(t)) am

Ausgang des Systems herauskommt, wenn am Eingang ein einzelnes Teilsignal (z. B. x1(t))

hineingeht.

Berechnung durch Zerlegen in

einfach berechenbare Teile

(Superposition)

x(t) y(t)

= =

x1(t) + x2(t) + ... y1(t) + y2(t) + ...

Bild 2.3.6.2_10: Berechnung des Ausgangssignals y(t) durch Zerlegung und Superposition

Sobald das betrachtete System linear ist, kann man jetzt wieder seine vorteilhaften

Eigenschaften zur Superposition ausnutzen, um für beliebige Signalverläufe x(t) am

Systemeingang vorauszusagen, welche Signalverläufe y(t) sie am Systemausgang

hervorrufen. werden. Wenn also bekannt ist,

a) aus welchen harmonischen Teilsignalen xi(t) das Eingangssignal x(t) zusammengesetzt ist

und

b) welches Teilsignal yi(t) am Ausgang durch das jeweilige Eingangssignal xi(t)

hervorgerufen wird,

dann muss man anschließend nur die Summe all dieser Teilsignale yi(t) bilden, um das

Gesamtsignal y(t) am Ausgang zu ermitteln.

Wenn man konsequent nur harmonische (Kosinus-förmige) Teilsignale xi(t) benutzt, wie es in

Kapitel 2.3.6.1 vorbereitet wurde, gewinnt man noch eine wesentliche Vereinfachung hinzu.

Denn sobald das betrachtete System linear ist, wird auch die Beantwortung der Frage b) sehr

leicht, weil stets auch alle Teilsignale yi(t) wieder harmonisch sein müssen:

System

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45

Übertragung harmonischer Signale durch lineare Systeme: Liegt am Eingang eines

linearen Systems ein Kosinus-förmiges Signal xi(t) an, so ist der Signalverlauf yi(t) an dessen

Ausgang ebenfalls Kosinus-förmig und hat die gleiche Frequenz.

lineares System

x

x

-x

tt

y

y

-y

t

Bild 2.3.6.2_20: Übertragung eines harmonischen Signals durch ein lineares System

Damit reduziert sich die Frage b) auf die Bestimmung der einzigen beiden Parameter, in

denen sich yi(t) noch von xi(t) unterscheiden kann:

die Amplitude Y‘

die Zeitverschiebung t (Phasenverschiebung)

Will man nur beschreiben, wie das System den Betrag X‘ der am Eingang angelegten

Kosinus-Amplitude beeinflusst und als Amplitude Y‘ an den Ausgang weitergibt, so reicht ein

einfacher Übertragungsfaktor G aus, wie er schon bei statischen Systemen benutzt wurde.

Allerdings kann dieser Faktor nun für jede am Eingang angelegte Frequenz auch einen

anderen Wert haben:

Y‘(f) = |G(f)| · X‘(f)

Bild 2.3.6.2_25: Typische Beispiele für den Betragsverlauf von Übertragungsfunktionen

R

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46

Auch die vom System verursachte Zeitverschiebung (Phasenverschiebung) kann bei jeder am

Eingang angelegten Frequenz einen anderen Wert t aufweisen. Will man die Abhängigkeit

dieser Systemeigenschaft von der Frequenz beschreiben, so kann man die Zeigerdarstellung

(Vektordarstellung) der Kosinus-Signale verwenden:

)()()(

)( )( fGefGfX

fY fj mit )(2)( ftff

Diese gemeinsame Darstellung der Übertragungseigenschaften des Systems bezüglich

Amplitude (Betrag) und Zeitverschiebung (Phase) nennt man nunmehr Übertragungsfunktion

G(f). Sobald die Übertragungsfunktion eines linearen Systems einmal durch Berechnung oder

Messung ermittelt werden konnte, kann man sie immer wieder zur Vorhersage der

Systemreaktionen benutzen. Solange das System seine inneren Eigenschaften nicht

willkürlich ändert (zeitinvariantes System), ist G(f) zur eineindeutigen Beschreibung seines

kompletten Schnittstellenverhaltens (Input / Output) völlig hinreichend. Deshalb wird in der

Praxis die Übertragungsfunktion ebenso häufig zur Charakterisierung eines vorhandenen

Systems benutzt wie die Gewichtsfunktion g(t).

Vorgehensweise bei linearen Systemen beliebiger Art:

1. Am unbekannten System wird einmal G(f)

gemessen und gespeichert.

2. Die Kennfunktion G(f) ist hinreichend, um

jederzeit das Systemverhalten bei beliebigen

Signalverläufen am Eingang zu berechnen!

Bild 2.3.6.2_30: Vollständige Beschreibung des Systemverhaltens durch die Übertragungs-

funktion G(f)

Auch wenn das Übertragungsverhalten von Systemen in der beschriebenen Weise

frequenzabhängig ist, kann man aus mehreren dieser Systeme wieder durch

Zusammenschaltung komplexere Gesamtsysteme konstruieren. Dabei sind wieder dieselben

Grundschaltungen möglich, die bereits aus statischen Systemen aufgebaut werden konnten.

Die im Kapitel 2.1.3 dargestellten Zusammenhänge sind also Spezialfälle der nachfolgenden

Betrachtungen (f=0 bzw. Systemverhalten für alle Frequenzen konstant).

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47

Reihenschaltung von Teilsystemen

X1(f) X2(f) X3(f) Y(f)

X2(f) = G1(f) · X1(f) X3(f) = G2(f) · X2(f)

Für lineare und dynamische Teilsysteme gilt:

)(

)()()()(

)(

)()()(

)(

)()(

)(

)()(

1

1123

1

223

1

33

1 fX

fXfGfGfG

fX

fXfGfG

fX

fXfG

fX

fYfGges

n

i

i fGfGfGfG1

123 )()()()(

Parallelschaltung von Teilsystemen

X2(f) X2(f) = G1(f) · X1(f)

X3 (f)

X1(f) Y(f) X3(f) = G2(f) · X1(f)

X4(f) X4(f) = G3(f) · X1(f)

Für lineare und dynamische Teilsysteme gilt:

)()()()(

)(

)()()()()()(G

)(

)()()(

)(

)()(

1

321

1

131211

1

432

1

fGfGfGfG

fX

fXfGfXfGfXf

fX

fXfXfX

fX

fYfG

n

i

i

ges

G1(f) G2(f) G3(f)

G1(f)

G2(f)

G3(f)

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48

Rückkopplungsschaltungen

+ Mitkopplung

A(f) - Gegenkopplung

X(f) Y(f)

B(f) = G2(f) · Y(f)

A(f) = B(f) + X(f) = G2(f) · Y(f) + X(f)

B(f) Y(f) = G1(f) · A(f) = G1(f) · G2(f) · Y(f) + G1(f)

X(f)

Für lineare und dynamische Teilsysteme gilt:

)()(1

)(

)(

)()()(1

)(

)(

)()()()()(

)(

)()(

21

121

1

121

fGfG

fG

fX

fXfGfG

fG

fX

fXfGfYfGfG

fX

fYfGges

Sollte es eine Frequenz geben, bei der G1(f) = 1/G2(f) wird, entstehen wieder unendliche

Ausgangssignale und das Gesamtsystem wird instabil. Das Verhalten von

Rückkopplungsschaltungen ist durch die geschlossenen Signalkreise nur schwer einschätzbar.

Es verdient aber gerade deshalb bei Lastenheften und Verträgen in allen Branchen besondere

Beachtung!

2.3.6.3 Faltungssatz

Bild 2.3.6.3_10: Zwei Wege zur Berechnung des Ausgangssignals y(t) durch Superposition

G1(f)

G2(f)

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Kapitel 3 – Informationsverarbeitung in Objekten

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49

3. Informationsverarbeitung in Objekten

Bisher wurden vor allem Prozesse und Systeme untersucht. Rechner wurden nur benutzt, um

die dafür entwickelten Modelle zu implementieren. Sie spielten eher eine Nebenrolle und

wurden nur zum Entwurf benötigt, da mit ihrer Hilfe durch Berechnung, Schätzung oder

Simulation das Verhalten der vorhandenen Systeme annähernd vorausgesagt werden kann.

Jetzt sollen Rechner in der Verbindung mit Prozessen und Systemen die Hauptrolle spielen,

d. h. deren Verhalten beeinflussen. Nachfolgend werden also die Fälle untersucht, wo

Prozesse und Systeme ohne Rechner gar nicht mehr arbeitsfähig wären, da sie der Rechner

steuert, die Verbindung zum Menschen herstellt, dessen Bedienhandlungen umsetzt, alle

Aktivitäten protokolliert usw.

Bild 3_10: Kopplung von Systemen mit Softwareobjekten

Zunächst muss deshalb untersucht werden, wie Rechner-Software (Objekte) und Prozesse

(Systeme) an ihren Schnittstellen in Wechselwirkung treten, um aus beiden Teilen eine

Gesamtanordnung entstehen zu lassen.

Anschließend werden ausgewählte Algorithmen und Funktionen untersucht, die man in

typischen Software-Objekten implementiert. Viele aus früheren Kapiteln bereits bekannte

Algorithmen und Zusammenhänge werden hier zum zweiten Mal diskutiert. Es wird sich

zeigen, dass es für sie hier völlig neue Anwendungsmöglichkeiten gibt und sie daher zu Recht

als Standard-Objekte Einsatz finden.

Objekte

Systeme

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Kapitel 3 – Informationsverarbeitung in Objekten

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50

In technischen Informationssystemen ist eine große Zahl unterschiedlicher Algorithmen

notwendig. Das folgende Bild stellt sie in einer gewissen hierarchischen Ordnung dar, wonach

manche (low level) in einfacher Form bereits in hardwarenahen Schichten implementiert

werden können, andere (high level) nur in den höheren Schichten großer Computersysteme zu

finden sind.

Bild 3_20: Aufgaben der technischen Informationsverarbeitung

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Kapitel 3 – Informationsverarbeitung in Objekten

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51

3.1. Abtastung von Signalen an der Schnittstelle

An der Schnittstelle zu den Prozessen bzw. Systemen muss jeder Rechner zunächst

Informationen von seiner Umgebung aufnehmen. Diese haben oft den Charakter von Signalen

und werden durch Sensoren unterschiedlichster Art erfasst.

Branche Beispiel Sensor

Wissenschaft/Forschung Oszilloskop

Transientenrecorder

---

Industrie/Handel Roboter

CNC-Maschine

Inkrement-Wegmesser Motor

Inkrement-Wegmesser Vorschub

Nachrichten-/Datentechnik Telefon Mikrofon

Rundfunk/

elektronische Medien

Fernsehen Kamera

Versorgungstechnik Elektroenergietechnik Motor

Verkehrstechnik Antiblockiersystem Inkrement-Zähler an den Rädern

medizinische Geräte EKG, EEG

Computertomograph

elektrische Sonden

Röntgenstrahl-Empfänger

Konsumgüter Videorecorder

Bandkassette

Magnetkopf

Magnetkopf

Umwelttechnik Gasanalyse-Messgerät leitfähige Sonde

Raumfahrt Doppler-Geschwindigkeits-

bestimmung

Strahlungsempfänger

Tabelle 3.1_10: Beispiele für die Erfassung von Signalen an der Schnittstelle zum Prozess

Dreiphasenablauf. In allen einfachen Implementationen wickelt das Betriebssystem die

Abarbeitung der Algorithmen in drei Phasen ab. Zuerst liest die Messperipherie alle

Signalwerte ein und legt sie in einem besonderen Speicherbereich ab, der auch

Eingabeprozessabbild genannt wird. Danach beginnt die Verarbeitung der im Prozessabbild

vorliegenden Werte durch die einzelnen Algorithmen. Die dabei schrittweise berechneten

Werte der auszugebenden Signale werden zunächst wieder im Ausgabeprozessabbild des

Speichers abgelegt. Erst nachdem alle Algorithmen abgearbeitet sind, beginnt die Ausgabe

dieses Prozessabbildes an die Stellperipherie. Dieser Ablauf wird zyklisch wiederholt.

T

D

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52

Informationsgewinnung

Informationsverarbeitung

Informationsnutzung

(Messung am Sensor)

(Algorithmen)

(Stellen am Aktor)

Bild 3.1_10: Dreiphasenablauf in technischen Informationssystemen

Abtastung: Das bedeutet, dass der Rechner die Vorgänge in seiner Umgebung nicht

kontinuierlich beobachten und verfolgen kann, sondern sich nur „hin und wieder“ zu diskreten

Zeitpunkten über seine Messperipherie eine „Momentaufnahme“ seiner Umwelt verschafft.

Diese zeitdiskrete Informationsbeschaffung heißt Abtastung und ist für Rechner typisch. Der

Rechner kann also auch zeitkontinuierliche Signale aus seiner Umgebung nur in Form von

zeitdiskreten Signalen (Zahlenfolgen) wahrnehmen und muss deshalb als zeitdiskretes System

behandelt werden.

Zykluszeit. Die Dauer eines Dreiphasenzyklus wird bei Rechnern Abtastperiode T und bei

Steuerungen und Reglern Zykluszeit T genannt. Veränderungen im Prozess nimmt der

Rechner erst zu Beginn des nächsten Zyklus beim Einlesen des Prozessabbildes wahr, im

ungünstigsten Fall also mit einer Verzögerung von T. Leistungsfähige Steuerungen und

Prozessrechner verfügen über Hardware- und Softwaremechanismen, um auch während eines

laufenden Zyklus auf Veränderungen im Prozess reagieren zu können.

Abtaster

x(t) y(t)

Bild 3.1_20: Durch Abtastung des Signals x(t) entsteht das Signal y(t)

Informationsverlust: In den mehr oder weniger langen Zeiträumen zwischen den

Abtastzeitpunkten kann der Rechner keinerlei Veränderungen in seiner Umwelt erkennen. Der

größte Teil aller im zeitkontinuierlichen Signal enthaltenen Information geht daher bei der

Abtastung verloren. Dieser Informationsverlust ist bei großer Abtastperiode T (d. h. kleiner

Abtastfrequenz bzw. langsamer Abtastrate) besonders gravierend.

D

D

D

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53

Abtastung eines kontinuierlichen Signals durch den Rechner

x(t)

Bild 3.1_30: Aus einem zeitkontinuierlichen Signal entsteht durch Abtastung ein zeitdiskretes

Signal

Die Folgen dieses Informationsverlustes im Zeitbereich sind plausibel, da durch die

Abtastung bisher existierende Signalanteile verloren gehen. Betrachtet man dieselbe

Erscheinung im Frequenzbereich, so äußert sich der Informationsverlust paradoxerweise

dadurch, dass neue Signalanteile in höheren Spektralbereichen hinzukommen.

Faltungs-, Aliasing-, Stroboskop-Effekt: Wird ein kosinusförmiges Signal der Frequenz f

einer Abtastung mit der Abtastperiode T = 1/fa unterzogen, so werden weitere Kosinus-

Signale mit folgenden Alias-Frequenzen fal erzeugt:

al af f n f .

Bild 3.1_40: Auftreten von Aliasingfrequenzen bei Vielfachen der Abtastfrequenz fa

Während der Rechner nach der Abtastung nun mit den zeitdiskreten Signalen arbeitet, entsteht

das entgegengesetzte Problem, sobald er seine Ergebnisse wieder als Signal an die Umgebung

zurückgeben will. Diese kann mit zeitdiskreten Signalen wenig anfangen und erwartet, dass

sie in zeitkontinuierliche Signale zurückgewandelt werden. Will man die Qualität dieser

Rückwandlungs-Algorithmen bewerten, so lässt man ein gerade erst abgetastetes Signal sofort

wieder wandeln. Bei korrekter Arbeit müsste dabei wieder das ursprüngliche,

zeitkontinuierliche Signal entstehen.

Betrachtet man den Abtastvorgang im Zeitbereich, wird intuitiv sofort klar, welche Art von

Algorithmen ihn rückgängig machen können. Hierzu sind Glättungs-Algorithmen notwendig,

die zwischen den Abtastwerten interpolieren. Eine Betrachtung im Frequenzbereich zeigt,

dass diese Algorithmen alle neu hinzugekommenen Spektralanteile wieder entfernen müssen.

Dies sind zwei verschiedene Sichten auf dieselbe Eigenschaft. Tiefpässe erfüllen diese

Anforderungen.

D

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54

Rückgewinnung des Eingangssignals:

Anschluss eines Tiefpass-Filters an den Rechner-Ausgang: nur Grundfrequenz

durchlassen

das ideale Tiefpass-Filter ist nur theoretisch möglich, da nicht kausal

Einfaches Tiefpass-Filter:

Bild 3.1_50: Beispiel eines Tiefpassfilters für elektrische Signale

Erklärung im Zeitbereich: Tiefpass stellt Zwischenwerte durch Interpolation der

Abtastwerte wieder her

Erklärung im Frequenzbereich: Kondensator „vernichtet“ alle neuen, hohen

Frequenzanteile, indem er sie „kurzschließt“

Dem Tiefpassfilter gelingt es, alle bei der Abtastung verloren gegangenen Zwischenwerte des

ursprünglich kontinuierlichen Signals wieder zurückzugewinnen. Obwohl der größte Teil der

im ursprünglichen Signal enthaltenen Informationen in den langen Pausen zwischen den

Abtastzeitpunkten nie vom Rechner wahrgenommen wurde, kann der Tiefpass diese später

exakt bestimmen. Diese „hellseherischen Fähigkeiten“ sind aber nicht grenzenlos.

Abtasttheorem. Wird ein kosinusförmiger Signalverlauf der Frequenz f mit einer

Abtastperiode T abgetastet (Abtastfrequenz fa), so ist im Ergebnis der zeitkontinuierliche

Originalverlauf weder eindeutig erkennbar noch durch Tiefpassmethoden wieder

rekonstruierbar, sobald f die halbe Abtastfrequenz übersteigt. Informationsverluste dieser Art

(Aliasing) sind somit nur vermeidbar, solange f die folgende Bedingung erfüllt:

aff2

1 .

D

F

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55

3.2. Primärverarbeitung der Signale

Nach der Abtastung müssen die nunmehr zeitdiskreten Signale zunächst auf elementare Weise

aufbereitet werden.

zeitdiskretes

lineares System

Bild 3.2_10: Primärverarbeitung der Signale nach Abtastung und Wandlung

Diese Primärverarbeitung hat unter anderem folgende Aufgaben:

Anti-Aliasingmaßnahmen (Tiefpassfilterung vor der Abtastung),

flexible Messwerterfassung (Umrechnung Messbereich, Maßeinheit, stoßfreie

Parameterumschaltung),

Plausibilitätsprüfung durch Nutzung von Aprioriwissen; statisch (Grenzwerte) und

dynamisch (Anstiege),

Fehlerkorrektur: statisch (Begrenzung, Verstärkung, Offset, Linearisierung) und

dynamisch (Glättung),

einfache Auswertung und Datenreduktion (Grenzwertalarm, Berechnung abgeleiteter

Größen, Spitzenwerte),

Filterung (Trennung von Signalanteilen, Isolierung von Störungen),

qualifiziertes Speichern in universellen Datenstrukturen gemeinsam mit wirksamen

Verarbeitungsparametern.

ADU Primärverarbeitung Sensor

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56

Nachfolgend ist an Beispielen aus verschiedenen Branchen dargestellt, welchen Nutzen z. B.

das Einfügen eines Softwareobjekts mit einer geeigneten, statischen Kennlinie bringt.

Branche MIN

MAX

MUL

SCAL

NLIN

Wissenschaft/

Forschung

Messbereichsgrenze Messbereichsauswahl Korrekturrechnung

Industrie/Sensor Elektromotoren:

Drehzahlbegrenzung

Waagen-Sensor:

Eichung

Waagen-Sensor:

Kennlinienkorrektur

Nachrichten-/

Datentechnik

Elektroakustik:

Schallpegel-

begrenzung

Telefon:

Lautstärkeregler

Telefon:

Kompression/

Dekompression

Rundfunk/

elektronische Medien

Aufnahme:

Übersteuerungsschutz

Tonstudio:

Lautstärkemischpult

Endverstärker:

Entzerrer

Versorgungstechnik Druckbehälter:

Sicherheitsventil

Gaszähler:

Eichung

Gaszähler:

Mengenkorrektur

Verkehrstechnik ABS:

Bremskraft-

begrenzung

Tempomat:

Eichung

Motorsteuerung:

Kennfeld

medizinische Geräte EKG, EEG:

Bereichsgrenze

EKG, EEG:

Eichung

Infusion:

Korrektur

Konsumgüter Magnetband:

Übersteuerungsschutz

Videogerät:

Helligkeitsregler

Magnetband:

Magnetisierungs-

kennlinie korrigieren

Umwelttechnik Emission:

Begrenzung

Analyse:

Eichung

Analyse:

Korrektur

Raumfahrt Druckbehälter:

Sicherheitsventil

Empfangsverstärker:

Empfindlichkeit

Empfangseinheit:

Kompression/

Dekompression

Tabelle 3.2_10: Algorithmen zur Beeinflussung der statischen Kennlinie und ihre Anwendung in

verschiedenen Branchen:

- Begrenzung der Signalamplitude auf ein Minimum (MIN) bzw. Maximum

(MAX)

- Verstärkung (MUL) bzw. Skalierung (SCAL) der Signalamplitude

- Einfügen einer nichtlinearen (NLIN) Kennlinie y = f(x)

Eine Auswahl der Vielzahl an Signalvorverarbeitungsalgorithmen aus der Bibliothek des

Werkzeugs sign ist in den nachfolgenden beiden Bildern angegeben.

T

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Bild 3.2_10: Signalvorverarbeitungsalgorithmen in sign (Teil 1)

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Bild 3.2_20: Signalvorverarbeitungsalgorithmen in sign (Teil 2)

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59

3.3. Filteralgorithmen

Filter. Ein Filter ist ein Gerät oder ein Berechnungsverfahren, das aus einem Signal

Information nach bestimmten Kriterien gewinnt. Es muss so entworfen sein, dass es die

gewünschte Information weiterleiten und die unerwünschte zurückhalten kann.

Die in der Praxis am häufigsten eingesetzten Filter arbeiten als spektrale Filter. Sie dienen

dazu, harmonische Signalbestandteile mit definierten Frequenzen weiterzuleiten und die

anderen Teilsignale mit den übrigen Frequenzen zurückzuhalten. Dieses spektrale

Filterverhalten kann anschaulich durch die Frequenzabhängigkeit der Übertragungsfunktion

G(f) beschrieben werden:

)(

)()(

fX

fYfG .

Aus dieser Beschreibung leiten sich auch die gebräuchlichen Filterbezeichnungen ab. Sie

unterscheiden, ob das Filter tiefe Frequenzen (Tiefpass), hohe Frequenzen (Hochpass) oder

ein bestimmtes Band benachbarter Frequenzen (Bandpass) passieren lässt bzw. ein solches

Band zurückhält (Bandsperre).

Bild 3.3_10: Klassifizierung der Filter nach ihren spektralen Übertragungseigenschaften

Filter mit solchen Eigenschaften sind nicht nur für die Signalverarbeitung im Rechner

interessant. Um derartige Filtereffekte in der Praxis zu erreichen, wenden andere Branchen

sehr erfolgreich auch eigene, sehr unterschiedliche physikalische, mechanische oder

elektrische Konstruktionsprinzipien an. So versucht die Elektrotechnik, Filtereffekte durch

definierte Zusammenschaltung elektronischer Bauelemente zu erzeugen, die Mechanik durch

Feder-Dämpfungs-Anordnungen (z. B. im Automobil-Fahrwerk). Trotz aller Unterschiede

handelt es sich dabei stets um zeitkontinuierliche, lineare Systeme, welche auf die bisher

dargestellte Weise beschrieben und modelliert werden können.

Im vorliegenden Falle interessieren eher Softwareobjekte mit Filtereigenschaften. Auch hier

ist es empfehlenswert, sich auf Algorithmen mit linearen Systemeigenschaften zu

beschränken. Da sie auf dem Rechner implementiert werden, weisen diese Algorithmen

jedoch zeitdiskretes Systemverhalten auf. Ohne die Allgemeinheit zu beschränken, wird es

sich also stets um allgemeine, lineare Abtastsysteme handeln. Die dafür bereits bekannte

Differenzengleichung beschreibt also auch alle jemals denkbaren Filteralgorithmen.

D

F

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60

Allgemeines lineares Digitalfilter: Benutzt man ein allgemeines, lineares Abtastsystem zur

Realisierung von Filteraufgaben, so nennt man diese Algorithmenklasse auch „allgemeines

lineares Digitalfilter“.

))((...))2(())1((

))((...))2(())1(()()(

21

210

TniyaTiyaTiya

TmixbTixbTixbiTxbiTy

n

m

Bild 3.3_20: Datenflussgraph eines allgemeinen linearen Digitalfilters

Alle in der Praxis zu Filterzwecken benutzten Software-Algorithmen sind stets nur

Spezialfälle, die aus der allgemeinen Differenzengleichung bzw. aus dem allgemeinen

Datenflussgraphen durch Weglassen bestimmter Terme hervorgehen. Zur Untersuchung

konkreter Filtereigenschaften benutzt man nicht die allgemeine Gleichung, sondern muss die

Strukturen und das Verhalten dieser Spezialfälle studieren und klassifizieren.

D

F

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61

Filterklassen und ihre Eigenschaften

Filterklassen. In Rechnern implementierte Filteralgorithmen sind meist Spezialfälle des

allgemeinen linearen Abtastsystems, wobei zwei Filterklassen unterschieden werden (siehe

nachfolgende Tabelle). Die nichtrekursiven Filter werden auch MA (Moving Average) oder

FIR (Finite Impulse Response) genannt, die rekursiven auch AR (Auto Regressive) oder IIR

(Infinite Impulse Response). Einfache Praxisbeispiele sind der gleitende

Mittelwertbildner (FIR) und das T1-System (IIR).

Koeffizienten Namen Signalflussgraph Impulsantwort

alle ai = 0 moving average (MA)

finite impulse response (FIR)

nichtrekursive Filter

zyklenfrei endlich

mindestens ein ai 0 auto regressive (AR)

infinite impulse response (IIR)

rekursive Filter

enthält Zyklen unendlich

Tabelle 3.3_10: Struktur- und Verhaltenseigenschaften der beiden wichtigsten Filterklassen

Beispiel für MA-, FIR- bzw. nichtrekursive Filter: Mittelwert-Algorithmus als

Bandsperre

Der folgende Algorithmus ist weithin bekannt, da er häufig auch zur Bildung des gleitenden

Mittelwertes benutzt wird:

1 1 1 1

( ) ( ) ( 1) ( 2) ( 3)4 4 4 4

y i x i x i x i x i .

Da er jedoch auch zur Klasse der FIR-Algorithmen gehört, sollen im Folgenden seine

Filtereigenschaften untersucht werden. Dazu wird am Eingang ein Kosinus-Signal x(t) der

Frequenz 0,25 Hz angelegt, welches der Rechner mit einer Abtastperiode T = 1 Sekunde

abtasten soll.

x(t) y(t)

Bild 3.3_40: Signalflussgraph des FIR-Filters

Unter den vorliegenden Bedingungen liefert der Algorithmus stets ein Ausgangssignal

y(t) = 0, weil sich positive und negative Signalanteile im Filter gegenseitig auslöschen. Auch

eine zeitliche Verschiebung von x(t), d. h. eine andere Phasenlage des Eingangssignals, ändert

nichts daran, dass der Algorithmus Frequenzen von 0,25 Hz vollständig zurückhält.

Würde sich das Eingangssignal aus einem Gemisch verschiedener Frequenzen

zusammensetzen, so könnten alle anderen Frequenzen das Filter mehr oder weniger

ungehindert passieren, während das Filter den Signalanteil von 0,25 Hz total sperrt. Dieses für

genau eine Frequenz wirksame Sperrfilter wird in der Praxis zur Beseitigung eines Störsignals

aus gemessenen Signalgemischen benutzt, wenn sich die Störung exakt auf eine Frequenz

beschränkt und deren Wert bekannt ist. Üblicherweise werden nach diesem Prinzip Störungen

bekämpft, die durch die Netzfrequenz (50 Hz) eingestreut wurden.

Mittelwertbildner

T

D

B

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62

Beispiel für AR-, IIR- bzw. rekursive Filter: T1-Algorithmus als Tiefpass:

Der T1-Algorithmus ist ebenfalls aus den früheren Kapiteln bekannt, da T1-Modelle zur

Nachbildung vieler in der Praxis wichtiger dynamischer Systeme geeignet sind:

( ) (1 ) ( ) ( 1)y i x i y i .

Da er jedoch auch zur Klasse der IIR-Algorithmen gehört, sollen im Folgenden seine

Filtereigenschaften und deren Abhängigkeit vom Parameter untersucht werden. Dazu

werden zwei Extremfälle betrachtet:

a) Im ersten Fall sei 0, wobei die Wirkung des Algorithmus näherungsweise durch

y(i) x(i) beschrieben werden kann.

Da der vom letzten Abtastzeitpunkt aufbewahrte Wert y(i-1) keinen Beitrag mehr zum

Ergebnis y(i) liefert, wird dieses ausschließlich vom aktuellen Eingangswert x(i)

bestimmt, welcher somit ungehindert zum Ausgang gelangt. Das Filter ist also

wirkungslos. Auch im nachfolgenden Bild sind bei 0 Eingangs- und Ausgangssignal

völlig identisch.

b) Im zweiten Fall sei 1, wobei die Wirkung des Algorithmus näherungsweise durch

y(i) y(i-1) beschrieben werden kann.

Da hier der aktuelle Eingangswert x(i) beinahe keinen Beitrag mehr zum Ergebnis liefert,

wird dieses fast ausschließlich durch den vom letzten Abtastzeitpunkt aufbewahrten Wert

y(i-1) bestimmt. Das Filter hat extrem große Wirkung auf das Ergebnis y(i), welches sich

im Laufe der Zeit nur noch träge bzw. gar nicht mehr ändert. Auch im Bild sind bei 1

nur noch träge Veränderungen am Ausgangssignal erkennbar: alle hochfrequenten

Signalanteile werden vom Filter zurückgehalten (Tiefpass-Verhalten).

Eingangssignal x(t)Nutzsignal + Störungen

Wirkung eines Exponentialfilters

erster Ordnung:

Der Parameter hat die Werte 0, 0,5,

0,9, 0,95, und 0,98.

Für kleine Werte folgt die

Filterausgabe den wirklichen

Signaländerungen ziemlich genau,

aber der Störpegel ist groß.

Für hohe Werte von wird das Filter

langsamer, aber die Störungen

werden deutlich gedämpft.

Für = 0 ist die Filterausgabe gleich

der Eingabe.

Bild 3.3_70: Anwendung eines T1-Algorithmus als Tiefpassfilter. Der Programmierer kann die

Stärke der Tiefpasswirkung durch den Parameter gezielt beeinflussen.

B

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63

Beispiel für AR-, IIR- bzw. rekursive Filter: Modifizierter D-Algorithmus als Hochpass:

Auch der D-Algorithmus ist aus den früheren Kapiteln bekannt, wo er in ähnlicher Form zur

Modellierung dynamischer Systeme genutzt wurde. Hier wird eine Modifikation desselben

betrachtet, die zusätzlich y(i-1) berücksichtigt:

( ) ( 1) ( ) ( 1)y i y i x i x i .

Der Algorithmus fügt also zum jeweils „alten“ Ausgangswert y(i-1) die Differenz x der

letzten Eingangswerte hinzu:

( ) alty i y x .

Da er jedoch auch zur Klasse der IIR-Algorithmen gehört, sollen im Folgenden seine

Filtereigenschaften und deren Abhängigkeit vom Parameter untersucht werden. Dazu

werden zwei Extremfälle betrachtet:

a) Im ersten Fall sei 0, wobei die Wirkung des Algorithmus näherungsweise durch

y(i) x beschrieben werden kann.

Da der vom letzten Abtastzeitpunkt aufbewahrte Wert y(i-1) keinen Beitrag mehr zum

Ergebnis y(i) liefert, wird dieses ausschließlich vom Differenzialquotienten (Anstieg) des

aktuellen Eingangssignals x(i) bestimmt, welcher somit ungehindert zum Ausgang

gelangt. Das Filter wirkt als reines Differenzierglied und lässt nur hohe Frequenzen

passieren. Im Bild wird vor allem der starke Anstieg in der Flanke des Sprungs als Impuls

an den Ausgang weitergegeben. Für niedrige Frequenzen (x(t) bleibt annähernd konstant,

x = 0) wirkt es als Sperre (y = 0).

b) Im zweiten Fall sei 1, wobei die Wirkung des Algorithmus näherungsweise durch

( ) alty i y x , mit anderen Worten y(i) = x(i), beschrieben werden kann.

Da das Ergebnis y(i) ausschließlich vom aktuellen Eingangswert x(i) bestimmt wird,

gelangt dieser somit ungehindert zum Ausgang. Das Filter ist also wirkungslos. Auch im

Bild werden bei 1 Eingangs- und Ausgangssignal zunehmend identisch.

B

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64

y

= 0

x

0

0,5

1

Zeit

y

= 0,95

Eingangssignal x (t) Nutzsignal + Störungen

0 50 100 150 200

0

0,5

1

Zeit

0

0,5

1

Zeit0 50 100 150 200 0 50 100 150 200

Wirkung eines Hochpassfilters auf ein

Eingabesignal mit überlagerten Störungen:

Das obere Bild zeigt die (ungefilterten)

Originaldaten.

Das Bild unten links zeigt die Filterausgabe für

= 0.

Das Bild unten rechts zeigt die Filterausgabe

für = 0.95.

Bild 3.3_80: Anwendung eines modifizierten D-Algorithmus als Hochpassfilter. Der

Programmierer kann die Stärke der Hochpasswirkung durch den Parameter gezielt

beeinflussen.

Branche typische Filter-Anwendung

Wissenschaft/Forschung Messungen:

Messwert-Glättung

Industrie/Handel Waagen:

Dämpfung

Nachrichten-/Datentechnik digitales Telefon:

Antialiasing-Filter

Rundfunk/elektronische Medien Tontechnik:

Klangregler

Versorgungstechnik Gasverteilnetz:

Messwertglättung

Verkehrstechnik Airbag:

Vermeiden von Fehlauslösungen

Auto-Fahrwerk:

rechnergesteuerte Dämpfung

medizinische Geräte EKG, EEG:

Filtern von Messstörungen

Konsumgüter Tontechnik:

Klangregler

Umwelttechnik Analyse:

Messwertglättung

Raumfahrt Funksignalerkennung:

Korrelationsfilter

Tabelle 3.3_20: Filter und ihre Anwendung in verschiedenen Branchen zur Beeinflussung des

dynamischen Systemverhaltens

T

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65

3.4. Signalprozessoren

Signalprozessoren. Durch ihre besondere RISC-Architektur sind Signalprozessoren auf die

schnelle Berechnung des für allgemeine lineare Abtastsysteme üblichen Gleichungstyps

zugeschnitten: Ein spezielles Rechenwerk kann die ständig rekursiv wiederkehrende

Grundoperation (eine Multiplikation und eine Addition) in einem Zyklus ausführen. Eine

erweiterte Harvard-Architektur enthält drei Bussysteme (für Programm, Daten x(i), y(i) sowie

Koeffizienten an, bm). Für Daten und Koeffizienten ist ein großer On-Chip-RAM vorgesehen,

der geringe Zugriffszeiten ermöglicht. Damit ist eine Signalverarbeitung bei hohen

Abtastfrequenzen (zeitdiskretes Signal) realisierbar (Sprach- und Bildverarbeitung,

Mobilfunk).

Wenn der Signalprozessor die bekannten Differenzengleichungen für allgemeine lineare

Abtastsysteme berechnen soll, also z. B. für folgendes FIR-Filter:

0 1 2( ) ( ) ( 1) ( 2) ... ( )my i b x i b x i b x i b x i m ,

so addiert er schrittweise einen Term nach dem anderen, indem er jeweils rekursiv folgenden

Ausdruck berechnet:

[ ] [ ]neu alty b m x i m y .

Müsste dieser Ausdruck in einer Hochsprache notiert werden, dann würde seine Abarbeitung

zu viel Zeit beanspruchen. Um die Berechnung dieses Terms zu beschleunigen, ist er in den

Signalprozessoren als schneller Maschinenbefehl direkt auf dem Chip implementiert. Das

Skalarprodukt des FIR-Filters kann jetzt durch eine Folge dieser Maschinenbefehle ausgeführt

werden, also z. B.:

0

[ ] [ ]

[2] [ 2]

[1] [ 1]

[0] [ 0]

alt

neu alt

neu alt

neu alt

neu alt

y

y b m x i m y

y b x i y

y b x i y

y b x i y

Da die Speicherzugriffe im von-Neumann-Rechner sequenziell ausgeführt werden müssen,

würde die Abarbeitung jedes Maschinenbefehls nacheinander folgende Einzelschritte

erfordern:

1. Befehl aus dem Speicher holen

2. b[m] aus dem Speicher holen

3. x[i-m] aus dem Speicher holen

4. multiplizieren

5. yalt aus dem Speicher holen

6. addieren

7. yneu im Speicher ablegen.

D

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66

Um noch mehr Zeit zu sparen, führt der Signalprozessor mehrere dieser Aktivitäten parallel

aus. Das ist nur möglich, wenn die betreffenden Daten in getrennten Speichern liegen und

diese durch getrennte Bussysteme mit dem Prozessor verbunden sind. Die erweiterte Harvard-

Architektur der Signalprozessoren hat deshalb getrennte Speicher und Busse für das

Programm (Befehle), die Koeffizienten (b[m]) und die Signaldaten (Abtastwerte x[i-m]).

Während das Programm in einem üblichen Speicherbaustein (extern) neben dem Prozessor

abgelegt ist, sind die Speicher und Busse für Koeffizienten und Signaldaten direkt auf dem

Chip des Prozessors abgelegt. Dadurch benötigen diese Zugriffe besonders geringe

Zugriffszeiten, so dass die besonders häufig auszuführenden Aktivitäten (2. und 3.) nochmals

beschleunigt werden.

Insgesamt ist damit ein Geschwindigkeitsgewinn von etwa zwei Zehnerpotenzen erreichbar,

so dass auch extrem schnelle Signalverarbeitung möglich wird, z. B. für:

Messtechnik (Filter, Radar, Sonar)

Automobiltechnik (Sicherheitssysteme)

Medizintechnik (Sprachverarbeitung)

Bildverarbeitung (schnelle Antriebsregler)

Telekommunikation (Modem, Sender/Empfänger, Entzerrer, Mobiltelefone)

Regelungstechnik

Audiotechnik (Filter, adaptive Geräuschunterdrückung, Ton-/Musikerzeugung).

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Kapitel 4 – Objekte und Systeme in geschlossenen Signalzyklen

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67

4. Objekte und Systeme in geschlossenen Signalzyklen

Nachdem im letzten Kapitel die Primärverarbeitung der Signale an der Schnittstelle zwischen

Prozess und Rechner diskutiert wurde, sollen beide Teile jetzt endgültig zu einer funktionellen

Einheit verbunden werden.

Bild 4_10: Verbindung von Rechner und Prozess

Dabei entstehen häufig geschlossene Zyklen in den Signalflüssen zwischen Objekten und

Systemen. Darunter soll ein geschlossener Zug von Signalkanten mit einheitlicher

Signalflussrichtung (Pfeilrichtung) verstanden werden.

objektorientiert

Schnittstelle:

(Botschaft)

Schnittstelle:

(Signale)

systemorientiert

Bild 4_20: Geschlossener Signalzyklus zwischen Objekten und Systemen

Grundsätzlich sind Algorithmen mit rein beobachtenden Aufgaben (open loop) einfacher

handhabbar, während ein steuernder Eingriff stets einen über Aktoren geschlossenen

Signalzyklus (closed loop) erfordert. Aus der Vielzahl der Aufgaben werden im Folgenden

diejenigen herausgehoben, die auf einem für technische Informationssysteme typischen und

theoretisch abgesicherten Algorithmenbestand aufbauen.

Objekt

System

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68

Bild 4_30: Prozessbeobachtung und Prozesssteuerung

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69

4.1. Steuerung

Offene Steuerung (open loop). Bei einer offenen Steuerung wirken eine oder mehrere

Eingangsgrößen (Stellgrößen y) auf einen Prozess nach bekannten und diesem Prozess

eigenen Gesetzmäßigkeiten mit dem Ziel ein, das Verhalten anderer Ausgangsgrößen x in

gewünschter Weise zu beeinflussen. Kennzeichnend sind offene Wirkungswege bzw. offene

Signalflusswege, d.h. alle Teile des Systems sind rückwirkungsfrei in Reihe oder parallel

geschaltet und der Signalflussgraph ist zyklenfrei. Dabei ist die Stellgröße y Ausgangsgröße

der Steuereinrichtung und zugleich Eingangsgröße des Prozesses.

Bild 4.1_10: Offene Steuerung

Die offene Steuerung kann in mehreren Varianten implementiert werden. Bei der

Führungssteuerung wird der Steueralgorithmus von einem externen Signal

(Führungsgröße w) geführt, deren Zeitverlauf vorher nicht bekannt ist.

Beispiel:

Die Innentemperatur x eines Raumes soll trotz veränderlicher Außentemperatur auf

angenehmen Werten gehalten werden. Dazu wird die jeweilige Außentemperatur w an der

Hausfassade gemessen. Daraus, aus der Heizungsleistung sowie weiteren Parametern ermittelt

der Rechner die jeweils notwendige Position y des Heizventils.

Der Zeitverlauf der Stellgröße y einer Zeitplansteuerung ist durch einen Zeitplan y(t)

festgelegt, der im Speicher des Rechners abgelegt und diesem daher langfristig bekannt ist.

Beispiel:

Aus langjähriger Erfahrung ist der ungefähre Heizbedarf zu jeder Tageszeit bekannt und kann

aus der Uhrzeit abgeleitet werden. Im gleichen Sinne gibt es Erfahrungen zum jahreszeitlich

schwankenden Heizbedarf, der für jeden Kalendertag einzeln festgelegt werden kann. Aus

Uhr und Kalender wird der Zeitplan y(t) für die jeweilige Position y des Heizventils festgelegt

und als Tabelle im Rechner gespeichert.

D

B

B

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70

Nachteile der offenen Steuerung:

a) Die Algorithmen erfordern eine sehr genaue Kenntnis aller im System wirkenden

Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten zwischen den Größen w, y und x. Sind diese

falsch oder ändern sie sich im Laufe der Zeit, erreichen die Algorithmen ihre Ziele nicht

mehr.

b) Wirken im System zusätzliche, dem Algorithmus unbekannte Störgrößen, so kann er diese

nicht berücksichtigen. Auch in diesem Fall erreichen die Algorithmen ihre Ziele nicht

mehr. Sind z. B. im Raum die Fenster geöffnet, strahlt die Sonne an manchen Tagen stark

ein oder wirken elektrische Geräte unerwartet als zusätzliche Heizquellen, so versagt die

offene Steuerung.

c) Der Algorithmus gibt einen definierten Wert der Stellgröße y vor, muss aber darauf

vertrauen, dass das Stellglied diese auch exakt verwirklicht. Er hat keine Möglichkeit, die

Einhaltung seiner Vorgaben zu kontrollieren (z. B. durch Messung und Rückmeldung der

tatsächlichen Position y). Weicht z. B. das Ventil durch mechanische Fehler unerlaubt

vom vorgegebenen Positionswert y ab, so wird das Gesamtergebnis im gleichen Maße

schlechter und die Temperatur x genügt nicht mehr den Ansprüchen.

Branche Beispiel Aktor

Wissenschaft/

Forschung

Chemikalien-Zufuhr Drosselventil

Industrie/Sensor Durchsatz in einer

Paketsortieranlage

inkrementeller Drehzahlmesser am

Förderband

Nachrichten-/

Datentechnik

Datenaufkommen im

lokalen Netz

Sperrzeit beim LAN-Zugriff

Rundfunk/

elektronische Medien

Bandgeschwindigkeit

Studiotechnik

Motordrehzahl

Versorgungstechnik Gas-/Wasser-Durchfluss Ventile, Schieber

Verkehrstechnik Fahrzeugfluss an einer

Kreuzung

Dauer der Ampel-Grünphase

medizinische Geräte Infusion von Blut/

Medikamenten

Drosselventil

Konsumgüter Kaffeemaschine Drosselventil

Umwelttechnik Durchsatz einer

Müllsortieranlage

Drehzahl des Motors am Förderer

Raumfahrt Treibstoffzufuhr zum

Triebwerk

Drosselventil

Tabelle 4.1_10: Durchfluss-/Flusssteuerungen und ihre Aktoren

T

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Branche Zeitplansteuerung

Wissenschaft/

Forschung

Experimente: Materialprüfung:

Ablaufsteuerung Rütteltische/Dehnung

Industrie/Sensor Chargenprozesse:

Ablaufsteuerung

Nachrichten-/

Datentechnik

Telefon:

Signaltöne, Kennsignale

Rundfunk/

elektronische Medien

Radar:

Kennimpulse, Freund/Feind-Kennung

Versorgungstechnik Klimaanlage:

Nacht-Programm

Verkehrstechnik Verkehrsampel:

Tag-Nacht-Programm

medizinische Geräte Therapie:

Reizstromimpulsgeräte (Burst)

Konsumgüter Audio: Fernsehen:

Synthesizer Bildmustergenerator

Umwelttechnik elektrische Messtechnik:

Signalgenerator (Sinus-, Rechteck-, beliebige Funktionen)

Raumfahrt Funktechnik:

Kennsignalerzeugung

Tabelle 4.1_20: Anwendung von Algorithmen zur Zeitplansteuerung in verschiedenen Branchen

T

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72

4.2. Regelung

Alle Nachteile der offenen Steuerung kann man beseitigen, wenn man die interessierende

Ausgangsgröße x direkt misst und den Algorithmus so umgestaltet, dass er seine

Entscheidungen y in erster Linie von dieser Größe x ableitet. Das führt zwangsläufig zu einem

geschlossenen Signalzyklus und bietet in der Praxis zunächst zahlreiche Vorteile. Erst später

wird sich zeigen, dass damit wieder neue Probleme verbunden sind.

Regelung (closed loop). Die Regelung ist eine Methode, einen Prozesszustand in der Weise

zu ändern oder aufrecht zu erhalten, dass trotz gewisser Störeinwirkungen (Störgrößen z) der

aufgabengemäß gewünschte Zustand erreicht wird. Kennzeichnend sind geschlossene

Wirkungsabläufe und zyklische Signalflussgraphen (Regelkreis). Die Größe, welche zur

Darstellung des vorgeschriebenen Prozesszustandes bzw. -ablaufes verwendet wird, heißt

Regelgröße x.

Die einfache Regelaufgabe im Bild besteht darin, die Strömungsgeschwindigkeit VS im Rohr

trotz eventueller Störeinflüsse auf einen vorgegebenen Wert w zu bringen. Dazu wird diese

durch einen Sensor gemessen und dem Regelalgorithmus im Rechner zugeleitet. Dieser

berechnet die notwendige Schieberposition PS des Ventils, welches den Querschnitt des

Rohres soweit einengt, dass sich die gewünschte Strömungsgeschwindigkeit einstellt.

Eingabe-Peripherie (z.B. Tastatur)

Meß-Peripherie(z.B. Sensoren)

Stell-Peripherie(z.B. Aktoren)

Ausgabe-Peripherie (z.B. Bildschirm)

Rechner

Aöffnen

Zschließen

MElektromotor

100 %

0 %

Schieber-position

Durchfluß

Strömungs-geschwindigkeit VS

Sensor(Fotozelle)

Lampe

Flügel-rad

Informations-Verarbeitung

I-Eingabe I-Ausgabe

I-Nutzung I-Gewinnung

Bild 4.2_10: Regelkreis zur Einhaltung einer gewünschten Strömungsgeschwindigkeit

D

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73

Will man diese Aufgabe ohne Vorkenntnisse mit einem Rechner lösen, führt das z. B. zu dem

im folgenden Bild gezeigten Algorithmus. Er entspricht dem im Kapitel 3.1 bekannten

Dreiphasenablauf und tastet am Sensor den Signalverlauf der Strömungsgeschwindigkeit ab.

Für die konkreten Größen und Signale im Beispiel sind in der Literatur einheitlich allgemeine

Bezeichnungen und Formelzeichen gebräuchlich:

Größe Bezeichnung in der Regelungstechnik

Rohr (Prozess) Regelstrecke

Soll-Durchfluss w – Führungsgröße

Ist-Durchfluss x – Regelgröße

Differenz Soll-Ist e – Regeldifferenz, -abweichung (e = w – x)

Schieberposition y – Stellgröße

Störeinflüsse z – Störgröße

Tabelle 4.2_10: Übliche Bezeichnungen in der Regelungstechnik

feststellen des gewünschten Soll-Durchfluß-Wertes

messen des tatsächlichen Ist-Durchfluß-Wertes

wie groß ist die Differenz zwischen Soll- und Ist-Durchfluß ?

wenn Soll-Durchfluß > Ist-Durchfluß ,dann Schieber ein Stück weiter öffnen

wenn Soll-Durchfluß < Ist-Durchfluß ,dann Schieber ein Stück weiter schließen

Regelung des Durchflusses

Bild 4.2_20: Einfacher Algorithmus für den Rechner der Strömungsregelung

T

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74

4.2.1. Statische Betrachtung

Strebt man eine allgemeingültige Lösung an und abstrahiert deshalb jeweils vom konkreten

Beispiel, dann sieht der Signalflussgraph des Regelkreises immer gleich aus:

Regelkreis

e

w

y = GR · e x‘

y

x

+ z

x = GS · y

Bild 4.2.1_10: Regelkreis mit den üblichen Signalbezeichnungen

Zunächst soll der Einfachheit halber angenommen werden, dass sowohl Regler als auch

Regelstrecke lineare und statische Systeme sind. Dann werden ihre Eigenschaften vollständig

durch die statischen Übertragungsfaktoren GR und GS beschrieben. Damit ergibt sich:

Regelkreisverstärkung: e

xG 0

Betrachtung des offenen Regelkreises: vorübergehendes Öffnen der Kanten e und x

0 R S

y xG G G

e y

Betrachtung des geschlossenen Regelkreises: Schließen durch e = w - x und x‘ = x + z

'

'

'0

xw

zx

xw

x

e

xG

0 ( ') 'G w x x z

0 0' 'x G x G w z

0

0 0

1'

1 1

Gx w z

G G

Regler

GR

Regelstrecke

GS

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75

Die in dieser statischen Gleichung repräsentierten Zusammenhänge sollen durch die

Betrachtung von zwei Spezialfällen einzeln untersucht werden:

1) Zunächst soll angenommen werden, dass keine Störsignale vorhanden sind (z = 0). Dann

besteht die Aufgabe des Regelkreises darin, die Regelgröße x‘ möglichst nahe an den

Wert der vorgegebenen Führungsgröße w heran zu führen; das Idealziel lautet also x‘ = w.

Der Führungsübertragungsfaktor ist ein Maß dafür, wie gut dieses Ziel erreicht wurde: er

hat im Idealfall den Wert 1.

Für z = 0 bleibt von der statischen Gleichung nur ein Term übrig: x‘ = w

0

0

'1

Gx w

G

0

0

1

':

G

G

w

xfaktorertragungsFührungsüb

1

1

GO

½

x´= w

bleibendeRegelabweichung

x´w

Bild 4.2.1_20: Abhängigkeit des Führungs-

übertragungsfaktors von G0

Untersucht man die Abhängigkeit des Führungsübertragungsfaktors von G0, dann erkennt

man, dass das Idealziel (x‘ = w) um so besser erreicht wird, je größer die

Regelkreisverstärkung G0 ist. Während die Eigenschaften der Strecke (GS) als gegeben

hingenommen werden müssen, sollte der Programmierer die Verstärkung des Reglers GR

also möglichst groß wählen. Jedoch kann so das Ideal x‘ = w niemals vollkommen erreicht

werden: es bleibt immer ein kleiner Rest übrig – die bleibende Regelabweichung

e = w – x‘.

2) Jetzt soll angenommen werden, dass zwar Störsignale z vorhanden sind, aber die

Führungsgröße unverändert beim Wert Null bleibt. Dann besteht die Aufgabe des

Regelkreises darin, die Regelgröße x‘ trotz beliebiger Störgrößen z möglichst nahe am

vorgegebenen Wert der Führungsgröße w = 0 zu halten; das Idealziel lautet also x‘ = 0.

Der Störungsübertragungsfaktor ist ein Maß dafür, wie gut dieses Ziel erreicht wurde: er

hat im Idealfall den Wert 0.

Für w = 0 bleibt von der statischen Gleichung nur ein Term übrig:

0

1'

1x z

G

01

1':

Gz

xfaktorertragungsStörungsüb

x´z

1

1

GO

½ bleibendeStörung

Bild 4.2.1_30: Abhängigkeit des Störungs-

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76

übertragungsfaktors von G0

Untersucht man die Abhängigkeit des Störungsübertragungsfaktors von G0, dann erkennt

man, dass das Idealziel (x‘=0) um so besser erreicht wird, je größer die

Regelkreisverstärkung G0 ist. Während die Eigenschaften der Strecke (GS) wieder als

gegeben hingenommen werden müssen, sollte der Programmierer auch hier die

Verstärkung des Reglers GR möglichst groß wählen. Jedoch kann so das Ideal x‘=0

niemals vollkommen erreicht werden: es bleibt immer ein kleiner Rest übrig – die

bleibende Störungswirkung x‘.

Wichtige Beispiele für Regelkreise aus dem nichttechnischen Bereich sind alle Kreisläufe der

Natur (z. B. Umwelt) sowie der Wirtschaft (z. B. Markt):

Steuern und Subventionen als Führungsgröße w beeinflussen die Marktgrößen x

die Marktmechanismen gleichen eine schwankende Nachfrage (Störgröße z) schnell aus

marktgerechte Preise y halten an der Börse Angebot x und Nachfrage z im Gleichgewicht

wechselnde Berufsaussichten y beeinflussen Bewerber- und Absolventenzahlen x der

Universitäten und sorgen dafür, dass der Bedarf an Neueinstellungen (Führungsgröße w)

im Mittel gedeckt wird.

Berufsaussichten y

Absolventenzahlen x

Branche Beispielprozess Regler für

Wissenschaft/

Forschung

Teilchenbeschleuniger Magnetfeldstärke,

elektrische Feldstärke

Industrie/

Sensor

Roboter Lage jeder Achse

Nachrichten-/

Datentechnik

Satelliten-Funk Nachführung der Antennen

Rundfunk/

elektronische Medien

Rundfunkempfänger Automatic Frequency Control (AFC)

Versorgungstechnik Klimaanlage Temperatur, Luftfeuchtigkeit

Verkehrstechnik Schiff, Flugzeug Kurs-Zielführung, Autopilot

medizinische Geräte Computertomograph Lage bei der Bildaufnahme

Konsumgüter Video-Bildröhre,

Laserdrucker/Kopierer

Strahlhelligkeit, Belichtungsstärke

Umwelttechnik Ölkraftwerk Verbrennungsgüte

Raumfahrt Satelliten-Bahnkorrektur Triebwerke

Tabelle 4.2.1_10: Anwendung von Regelalgorithmen in technischen Branchen

B

Wirtschaft

Universität

T

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77

4.2.2. Dynamische Betrachtung

Bisher wurde vereinfachend angenommen, der Prozess (die Systeme der Regelstrecke) und

die Softwarealgorithmen (die Objekte im Regler) hätten statische Eigenschaften und könnten

deshalb durch einfache Übertragungsfaktoren GS und GR beschrieben werden. In den meisten

praktischen Anwendungsfällen ist diese Annahme nicht gerechtfertigt, weil man dort

dynamische Systeme vorfindet. Im Folgenden werden die Untersuchungen daher für den

dynamischen Fall wiederholt. Fast alle bereits eingeführten Grundprinzipen und

Bezeichnungen sind aber weiterhin gültig.

Regelstrecke. Der Prozess, dessen Zustand geregelt werden soll, wird auch Regelstrecke

genannt. Es handelt sich dabei fast immer um zeitkontinuierliche Systeme, deren Modelle

durch Messung oder Berechnung gewonnen werden müssen.

Eine Regelstrecke wird nunmehr also alle in Kapitel 2.2 dargestellten Systemeigenschaften

aufweisen. Ist sie (näherungsweise) linear, kann ihr Verhalten vollständig und hinreichend mit

den bekannten, komfortablen Methoden beschrieben werden (Gewichtsfunktion g(t),

Übertragungsfunktion G(f)).

Regelabweichung. Grundprinzip aller Regelverfahren ist auch hier wieder die Berechnung

der Differenz zwischen der gewünschten Führungsgröße w und der tatsächlichen Regel-

größe x‘, welche als Regelabweichung oder Regeldifferenz e bezeichnet wird (e = w – x‘). Der

berechnete Wert e wird dem eigentlichen Regelalgorithmus zugeführt.

Neu ist nur, dass alle Signale jetzt zeitabhängig sind und mit w(t), x‘(t), e(t), y(t), x(t), z(t)

usw. beschrieben werden müssen.

Auch für die Regelalgorithmen (Software-Objekte) entfällt nun die Einschränkung auf

statische Eigenschaften. Sie dürfen jetzt beliebiges dynamisches Verhalten aufweisen. Für

ihre Gestaltung sollen zunächst fast alle Freiheiten erlaubt und nur wenige Einschränkungen

festgelegt werden:

sie sollen lineare Systemeigenschaften haben, weil ihre mathematische Behandlung dann

leichter ist

sie müssen zeitdiskrete Systemeigenschaften haben, da sie auf einem Rechner

implementiert werden sollen.

y(t) e(t)

Bild 4.2.2_10: Regelalgorithmus als Softwareobjekt

Ohne die Allgemeinheit zu beschränken, wird es sich also stets um allgemeine, lineare

Abtastsysteme handeln. Die dafür bereits bekannte Differenzengleichung beschreibt also auch

alle jemals denkbaren Regleralgorithmen.

D

D

Regler

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78

Allgemeiner lineaer digitaler Regler. In Rechnern werden fast ausschließlich

Regelalgorithmen nach dem Vorbild des allgemeinen linearen Abtastsystems implementiert,

welche die Regelabweichung e als Eingangsgröße benutzen.

0 1 2

1 2

( ) ( ) (( 1) ) (( 2) ) ... (( ) )

(( 1) ) (( 2) ) ... (( ) )

m

n

y iT b e iT b e i T b e i T b e i m T

a y i T a y i T a y i n T

Bild 4.2.2_20: Datenflussgraph allemeiner linearer digitaler Regler

Alle in der Praxis zu Reglerzwecken benutzten Software-Algorithmen sind stets nur

Spezialfälle, die aus der allgemeinen Differenzengleichung bzw. aus dem allgemeinen

Datenflussgraphen durch Weglassen bestimmter Terme hervorgehen. Zur Untersuchung

konkreter Reglereigenschaften benutzt man nicht die allgemeine Gleichung, sondern muss die

Strukturen und das Verhalten dieser Spezialfälle studieren und klassifizieren.

D

F

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79

P/I/D-Regler und ihre Eigenschaften

Die zahlreichen Freiheitsgrade zur Gestaltung von Spezialfällen des allgemeinen linearen

digitalen Reglers werden in der Praxis kaum genutzt. Etwa 95% der tatsächlich eingesetzten

Algorithmen sind vom PID-Typ, bestehen also aus einer Parallelschaltung der elementaren

Systemtypen P, I und D in verschiedenen Variationen. Wenn nachfolgend deren

Eigenschaften genauer untersucht werden, so bereitet dies den Informatiker auf den Standard-

Einsatzfall in seiner beruflichen Praxis vor.

Bild 4.2.2_30: Regelalgorithmus vom PID-Typ

Vorbetrachtungen

Die Verhaltenseigenschaften aller Varianten des PID-Typs sollen miteinander verglichen

werden, indem die gleiche Regelaufgabe an einer einheitlichen Regelstrecke gelöst wird. Als

einfache und zugleich repräsentative Strecke wird ein T1-System gewählt. Es wird

angenommen, dass der Regelkreis vorher (bis zum Zeitpunkt t = 0) in Ruhe war, d. h. alle

Größen w(t), x‘(t), e(t), y(t), x(t), z(t) usw. sind für alle Zeiten t < 0 gleich null. Dann gibt es

nur zwei unabhängig von außen einwirkende Signale, welche den Regelkreis aus diesem

Gleichgewicht bringen können: Dies sind z(t) und w(t), denn alle anderen sind nur abhängige

Größen. Je nach dem hauptsächlichen Ziel der Regelaufgabe unterscheidet man folgerichtig

auch die zwei zugehörigen Betriebsarten: Führungs- (w(t)) und Störungsbetrieb (z(t)).

Führungsbetrieb. Beim Führungsbetrieb spielen Störungen und deren Ausregelung eine

untergeordnete Rolle (z = 0). Stattdessen ändert sich die gewünschte Führungsgröße w

signifikant, und der Regler soll die Regelgröße x entsprechend ändern. Als Testsignal eignet

sich ein Sprung der Führungsgröße w(t) mit anschließender Messung der

Führungssprungantwort x(t).

Störungsbetrieb. Beim Störungsbetrieb (Festwertbetrieb) muss ein fester Soll-Zustand

aufrecht erhalten werden, weshalb die Führungsgröße w konstant ist. Üblicherweise ändert

sich die Störgröße z, und der Regler muss diese Störung ausregeln. Als Testsignal zur

Messung der Qualität des Reglers (Regelgüte) eignet sich ein Sprung am Störgrößeneingang

z(t), wobei man das Zeitverhalten der Regelgröße x(t) beobachtet (Störungssprungantwort).

P

I

D

D

D

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80

P-Regler

Als Regelalgorithmus wird zuerst ein Proportional-System benutzt:

Bild 4.2.2_40: Proportional-System

e(t)

w(t)

y(i) = KP · e(i) x‘(t)

y(t)

x(t)

+ z(t)

x(i) = (1 - ) · y(i) + · x(i - 1)

Bild 4.2.2_50: Regelkreis mit P-Regler

1. Fall: Führungsbetrieb (z(t) = 0 für - < t < )

t t t

w(t)

w

x(t)y(t)

yB

eBw

KPW

Bild 4.2.2_60: Reaktion des P-Regelkreises auf einen Sprung der Führungsgröße w(t)

Am Anfang des Regelvorganges setzt sich der sprungartige Anstieg von w(t) wegen x‘(t) = 0

schnell im Verlauf der Regelabweichung e(t) fort, so dass auch die Stellgröße y(t) zunächst

sprungartig ansteigt. Erst allmählich reagiert am Streckenausgang auch x(t) auf diesen

Stelleingriff und wächst in der für T1-Systeme üblichen Art langsam an. Dadurch wird jedoch

schrittweise e(t) wieder reduziert, so dass auch y(t) langsam wieder zurückgeht.

Am Ende des Regelvorganges wird ein Gleichgewichtszustand erreicht, bei dem die

Regelgröße x(t) die Führungsgröße w(t) fast erreicht hat. Die verbleibende Regelabweichung

e(t) ist zwar gering, reicht aber aus, um die notwendige Stellgröße y(t) aufrecht zu erhalten.

Ein Nachteil des P-Reglers besteht also darin, dass er die gewünschte Führungsgröße w

niemals vollständig erreichen kann.

Regler

P

Prozess

T1

P

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81

Bleibende Regelabweichung. Als bleibende Regelabweichung bezeichnet man diejenige

Regelabweichung eB eines P-Reglers, die zur Aufrechterhaltung seiner Stellgröße yB = KP . eB

erforderlich ist.

2. Fall: Störungsbetrieb (w(t) = 0 für - < t < )

t

t t

z(t)

z

x(t)y(t)

yB

eB

- z- KPz

Bild 4.2.2_70: Reaktion des P-Regelkreises auf einen Sprung der Störgröße z(t)

Vorteile Nachteile

- schnelle Reaktion am Anfang (+) - bleibende Regelabweichung am Ende (-)

Tabelle 4.2.2_10: Eigenschaften des P-Reglers

Beispiel: Dimensionierung des P-Reglers, um minimale Regelabweichung zu erzielen

Am Ende des Regelvorganges hat sich ein Gleichgewichtszustand mit einer konstanten,

bleibenden Regelabweichung eB eingestellt, der wieder eine mathematische Betrachtung mit

den statischen Gleichungen zulässt. Bereits bei der Untersuchung des statischen Regelkreises

im Kapitel 4.2.1 wurde ermittelt, wie man das Ziel e = (w - x‘) = 0 möglichst gut erreicht.

Analysiert man die Abhängigkeit des Führungsübertragungsfaktors von G0, dann erkennt

man, dass das Idealziel (x‘ = w) um so besser erreicht wird, je größer die

Regelkreisverstärkung G0 ist. Während die Eigenschaften der Strecke (GS) als gegeben

hingenommen werden müssen, sollte der Programmierer die Verstärkung des Reglers GR also

möglichst groß wählen. Jedoch kann so das Ideal x‘ = w niemals vollkommen erreicht

werden: es bleibt immer ein kleiner Rest übrig – die bleibende Regelabweichung eB.

0

0

'1

Gx w

G

0

0

'1

Gw x w w

G

0

0 0

11

1 1B

Ge w w

G G

1

1

GO

½

weB

Bild 4.2.2_80: Abhängigkeit der bleibenden Regelabweichung eB von der Regelkreisverstär-

kung G0

D

B

T

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Eine Vergrößerung von KP bzw. G0 verringert nicht nur eB, sondern verbessert auch die

Wirksamkeit des P-Reglers am Anfang des Regelvorganges weiter. Die Stellgröße y(t)

erreicht größere Werte (starker Regeleingriff) und zwingt die Strecke zu einem schnelleren

Anstieg von x(t). Die Manipulation von KP ist jedoch kein Allheilmittel, um die Eigenschaften

des P-Reglers beliebig zu verbessern. Eine zu starke Vergrößerung von KP schießt stattdessen

über das Ziel hinaus, denn sie führt zum Schwingen des Systems (Instabilität).

X

t Bild 4.2.2_90: Instabilität (Schwingen) eines P-Regelkreises infolge zu starken Regelein-

griffs (KP)

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I-Regler

An Stelle des P-Reglers wird jetzt ein Integral-System als Regelalgorithmus benutzt:

Bild 4.2.2_100: Integralsystem

e(t)

w(t)

y(i) = T · KI · e(i) + y(i - 1) x‘(t)

y(t)

x(t)

+ z(t)

x(i) = (1 - ) · y(i) + · x(i - 1)

Bild 4.2.2_110: Regelkreis mit I-Regler

Führungsbetrieb (z(t) = 0 für - < t < )

t t t

w(t)

w

x(t)y(t)

w

Bild 4.2.2_120: Reaktion des I-Regelkreises auf einen Sprung der Führungsgröße w(t)

Am Anfang des Regelvorganges setzt sich der sprungartige Anstieg von w(t) wegen x‘(t) = 0

schnell im Verlauf der Regelabweichung e(t) fort. Anders als beim P-Regler steigt die

Stellgröße y(t) jedoch nur langsam an, weil der I-Algorithmus seine Eingangswerte e(t)

schrittweise integriert. Ebenso allmählich reagiert am Streckenausgang auch x(t) auf diesen

Stelleingriff und wächst in der für T1-Systeme üblichen Art langsam an. Dadurch wird jedoch

schrittweise e(t) wieder auf null reduziert, so dass am Ende der Integrationsvorgang zum

Erliegen kommt und y(t) daraufhin konstant bleibt.

Am Ende des Regelvorganges wird ein Gleichgewichtszustand erreicht, bei dem die

Regelgröße x(t) die Führungsgröße w(t) exakt erreicht hat. Die Regelabweichung e(t) wird

exakt null, es gibt also keine bleibende Regelabweichung. Die notwendige Stellgröße y(t)

wird vom Integralanteil aufrecht erhalten, der im Regelalgorithmus gespeichert bleibt.

Regler

I

Prozess

T1

I

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Ein Vorteil des I-Reglers besteht also darin, dass er die gewünschte Führungsgröße w

tatsächlich vollständig erreichen kann.

Vorteile Nachteile

- keine bleibende Regelabweichung am Ende

(+)

- langsame und träge Reaktion am Anfang (-)

Tabelle 4.2.2_20: Eigenschaften des I-Reglers

Beispiel: Dimensionierung des I-Reglers, um minimale Regelabweichung zu erzielen

Auch beim I-Regler verbessert eine Vergrößerung von KI die Wirksamkeit am Anfang des

Regelvorganges weiter und reduziert damit generell die Regelabweichung e(t). Die

Stellgröße y(t) erreicht größere Werte (starker Regeleingriff) und zwingt die Strecke zu einem

schnelleren Anstieg von x(t).

Die Manipulation von KI ist jedoch auch hier kein Allheilmittel, um die Eigenschaften des

I-Reglers beliebig zu verbessern. Eine zu starke Vergrößerung von KI schießt stattdessen über

das Ziel hinaus, denn sie kann zum Schwingen des Systems führen.

PI-Regler

Da P- und I-Algorithmus genau komplementäre Vor- und Nachteile haben, liegt es nahe,

durch geschickte Kombination die Vorteile beider Algorithmen auszunutzen. Tatsächlich

addieren sich durch die Parallelschaltung von P- und I-Regler die Vorteile beider

Algorithmen, während zugleich die jeweiligen Nachteile beseitigt werden.

Bild 4.2.2_130: PI-System

Am Anfang des Regelvorgangs ist ausschließlich die schnelle Reaktion des P-Anteils

wirksam, während der I-Anteil erst langsam mit der Integration beginnt. Sobald der P-Anteil

am Ende des Regelvorgangs langsam seinen Gleichgewichtszustand erreicht, überwiegt die

Wirkung des I-Anteils, welcher nun schrittweise die bleibende Regelabweichung beseitigt.

Vorteile Nachteile

- schnelle Reaktion am Anfang (+)

- keine bleibende Regelabweichung am Ende (+)

Tabelle 4.2.2_30: Eigenschaften des PI-Reglers

B

T

P

I

T

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85

D-Regler

An Stelle des I-Reglers wird jetzt ein Differenzial-System als Regelalgorithmus benutzt:

Bild 4.2.2_140: Differenzialsystem

e(t)

w(t)

y(i) = KD / T · (e(i) + e(i - 1)) x‘(t)

y(t)

x(t)

+ z(t)

x(i) = (1 - ) · y(i) + · x(i - 1)

Bild 4.2.2_150: Regelkreis mit D-Regler

Führungsbetrieb (z(t) = 0 für - < t < )

Am Anfang des Regelvorganges setzt sich der sprungartige Anstieg von w(t) wegen x‘(t) = 0

schnell im Verlauf der Regelabweichung e(t) fort. Da der D-Algorithmus die 1. Ableitung von

e(t) berechnet, führt die Flanke des Sprunges zu einer extrem großen Stellgröße y (theoretisch

unendlich). Durch die Trägheit der T1-Strecke bleibt jedoch die Regelgröße x(t) zunächst noch

klein, so dass sich e(t) im nächsten Moment kaum ändert. Deshalb ist die 1. Ableitung von

e(t) im nächsten Moment wieder null und die Stellgröße y(t) geht zurück.

Als Vorteil ermöglicht diese Eigenschaft dem D-Algorithmus am Anfang des Regelvorganges

eine extrem schnelle Wirkung. Da er auf die Änderungsgeschwindigkeit de/dt reagiert, führt

er bereits einen starken Stelleingriff y(t) aus, auch wenn der eigentliche Wert der

Regelabweichung e selbst noch gering ist. Wie ein „Hellseher“ berücksichtigt er

gewissermaßen „vorausschauend“ den Umstand, dass bei hoher Änderungsgeschwindigkeit in

Kürze auch ein hoher Wert der Regelabweichung zu erwarten sein wird.

Von Nachteil ist, dass der D-Algorithmus keine Stellgröße mehr erzeugt (y=0), sobald e(t) aus

irgendeinem Grunde konstant bleibt. Er gibt sich also mit jedem noch so großen Wert von e(t)

zufrieden, wenn nur die 1. Ableitung de/dt gleich null wird. Deshalb ist von einem

D-Algorithmus kaum zu erwarten, dass er die Regelgröße x(t) zielgerichtet an die Vorgabe

der Führungsgröße w(t) heranführt. Ein reiner D-Algorithmus ist deshalb praktisch

unbrauchbar. Man kann seine Reaktionszeit-Vorteile jedoch in Kombinationen mit anderen

Algorithmen ausnutzen.

Regler

D

Prozess

T1

D

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Folgende Rechnung zeigt, dass die Führungsgröße w(t) überhaupt keinen Einfluss mehr auf

die Arbeit des D-Algorithmus (d. h. die von ihm erzeugte Stellgröße) mehr hat, solange sie

konstant bleibt (z. B. nach einem Führungssprung):

( ) D

dey t K

dt

( ) ( ) ( 1)DD D

Ke ey i K K e i e i

t T T

( ) ( ) ( ) ( 1) ( 1)DKy i w i x i w i x i

T

Damit verschwindet bei konstanter Führungsgröße w(i) = w(i - 1) wegen

( ) ( 1) ( )DKy i x i x i

T

die Führungsgröße w vollkommen aus der Gleichung und bleibt somit ohne jeden Einfluss auf

die Stellgröße y.

Vorteile Nachteile

- extrem schnelle Reaktion am Anfang (++) - gibt sich am Ende mit jedem Wert von x(t)

zufrieden, solange nur de/dt = 0 ist (--)

Tabelle 4.2.2_40: Eigenschaften des D-Reglers

PD-Regler

Da der P-Algorithmus alleine bereits praktisch arbeitsfähig ist und der D-Anteil zusätzlich

„vorausschauende“ Eigenschaften aufweist, liegt es nahe, durch geschickte Kombination die

Vorteile beider Algorithmen auszunutzen. Tatsächlich addieren sich durch die

Parallelschaltung von P- und D-Regler die Vorteile beider Algorithmen, während zugleich die

jeweiligen Nachteile beseitigt werden.

Bild 4.2.2_160: PD-System

T

P

D

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Am Anfang des Regelvorgangs ist ausschließlich die extrem schnelle Reaktion des D-Anteils

wirksam, während unmittelbar darauf der P-Anteil für den Rest des Regelvorganges

verantwortlich ist. Am Ende wirkt also nur der P-Regler, der nunmehr wieder eine bleibende

Regelabweichung zurücklässt.

Vorteile Nachteile

- extrem schnelle Reaktion am Anfang (++) - bleibende Regelabweichung am Ende (-)

Tabelle 4.2.2_50: Eigenschaften des PD-Reglers

PID-Regler

Beim PID-Algorithmus wird versucht, die Vorteile aller drei Einzelkomponenten zu

kombinieren, indem man sie in einer Parallelschaltung zusammenfügt.

Bild 4.2.2_170: PID-System

Am Anfang des Regelvorganges kann die extreme Reaktionsgeschwindigkeit des D-Anteils

ausgenutzt werden. In der Mitte wird hauptsächlich der P-Anteil wirksam. Am Ende beseitigt

der I-Anteil die bleibende Regelabweichung.

Vorteile Nachteile

- alle Vorteile der P-, I- und D-Algorithmen

(++)

- es müssen drei Parameter KP, KI und KD

optimal dimensioniert werden (-)

Tabelle 4.2.2_60: Eigenschaften des PID-Reglers

T

P

I

D

T

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Vergleich der Eigenschaften aller Regler vom PID-Typ. Fast 95% aller derzeit

implementierten Regelalgorithmen leiten sich aus den einfachen Spezialfällen des

allgemeinen linearen digitalen Reglers ab und gehören deshalb zur sogenannten PID-Gruppe.

Die folgende Tabelle beschreibt die im üblichen Führungsbetrieb bzw. Störungsbetrieb

jeweils erreichbare Regelgüte. Der P-Regler reagiert anfangs schnell (+), es bleibt aber auf

Dauer eine prinzipbedingte, bleibende Regelabweichung bestehen (-). Der I-Regler reagiert

zunächst träge (-), lässt jedoch keine bleibende Regelabweichung zurück (+). Kombiniert man

beide in einer Parallelschaltung, so vereinigt der resultierende PI-Regler beide Vorteile in

sich. Der D-Regler kann anfangs zwar besonders schnell auf jede Änderung reagieren (++),

gibt sich später jedoch mit jedem beliebigen stabilen Endzustand zufrieden (--) und ist deshalb

in reiner Form als Regler unbrauchbar. In einer Parallelschaltung als Bestandteil des PD-

Reglers wird dieser Nachteil durch den P-Anteil ausgeglichen, während der Vorteil des D-

Anteils erhalten bleibt. Der PID-Regler vereinigt alle Vorteile und kann daher fast alle

praktischen Regelungsprobleme lösen.

Erreichbare Regelgüte am

Regler Anfang Ende

des Regelvorganges

P + -

I - +

PI + +

D ++ --

PD ++ -

PID ++ +

Tabelle 4.2.2_70: Vorteile (+) und Nachteile (-) üblicher Regler bei typischen Regelvorgängen

(Störungssprungantwort, Führungssprungantwort an T1-Strecke)

T

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89

4.2.3. Analyse durch Rechner-Simulation

Reglerentwurf. Der Entwurf eines Reglers erfolgt meist in zwei Stufen. Zunächst wird aus

den verschiedenen Reglertypen eine geeignete Reglerstruktur ausgewählt (Strukturierung),

danach müssen die dort enthaltenen Koeffizienten (Parameter a, b) festgelegt werden

(Parametrierung).

Strukturierung. Zur Vorbereitung der Strukturauswahl muss durch Messungen an der

Regelstrecke festgestellt werden, zu welchem Modelltyp sie gehört. Dabei führt man ihr

übliche Testsignale zu und zeichnet ihre Antworten auf. Die folgende Tafel stellt die für den

jeweiligen Streckentyp empfehlenswerten Reglertypen dar.

Verhalten der Strecke(Sprungantwort)

Reglertyp empfehlenswert?P I PI PD PID

Totzeit

Totzeit und Verzögerung1. Ordnung

Verzögerung 1. Ordnung

I-Verhalten

n j j n n

n j j n j

j n j j j

j n j j j

Bild 4.2.3_10: Geeignete Regelalgorithmen für häufig vorkommende Regelstrecken

Parametrierung. Aus dem gemessenen Streckenverhalten (z.B. Sprungantwort) lassen sich

weitere Kenngrößen ablesen (Totzeiten, Verzögerungszeiten, Anstiege). Die Literatur hält

zahlreiche Einstellregeln in Form von Tabellen bereit, mit deren Hilfe man aus diesen

Kenngrößen die Parameter a, b des Regelalgorithmus berechnen kann. Liegt sogar das

zeitdiskrete Modell der Regelstrecke vor, so bieten CAD-Werkzeuge die Möglichkeit, den

geschlossenen Regelkreis auf einem Entwurfsrechner zu simulieren (Regleranalyse) und

durch Anwendung numerischer Optimierungsverfahren die Parameter des Reglers

automatisch entwerfen zu lassen (Reglersynthese).

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90

Die Benutzung von Simulationswerkzeugen hat viele Vorteile:

Untersuchungen können beginnen, wenn die reale Anlage noch gar nicht existiert.

Das Studium auch extremer Situationen ist ohne Gefährdung der realen Anlage möglich.

Die Erprobung verschiedenster Reglervarianten vollzieht sich ohne Störung des Prozesses

(Produktionsausfall).

Durch sorgfältigere Reglergestaltung verbessert sich die Regelgüte. Dabei kann das

Regelkreisverhalten auch nach anderen Kriterien beurteilt werden, als sie beim Entwurf

(z.B. Einstellregeln) zunächst zugrunde gelegt wurden (z.B. durch andere

Eingangssignale).

Das Verhalten des Regelkreises kann auch beim Vorhandensein von Regelkreisgliedern

untersucht werden, die beim Entwurf nach Einstellregeln nicht berücksichtigt werden

konnten (z.B. Nichtlinearitäten, Struktur- und Parameterabweichungen im

mathematischen Streckenmodell).

Es sind zeitgeraffte Untersuchungen möglich, besonders bei Prozessen mit großen

Zeitkonstanten und kompliziertem Verhalten.

Es besteht jederzeit ein problemloser Ein- und Überblick über den Verlauf aller im Kreis

vorkommenden Größen sowie komfortable Protokollmöglichkeiten. Dies erfordert in der

Praxis vor allem bei räumlich verteilten oder schwer zugänglichen Anlagenelementen

mitunter großen Aufwand.

Einfluss einer Strecken-Totzeit

Sobald Regelstrecken nennenswerte Totzeiten enthalten, bereiten sie in geschlossenen

Signalzyklen besondere Probleme.

t t

x x

95%

Tt

Tt

TtTu

Tu

Tu

Tg

T95

T95

= Ausgleichszeit= Verzugszeit

= Totzeit

= Einschwingzeit bis auf 95% des Endwertes Bild 4.2.3_20: Antwort typischer Regelstrecken auf einen Stellgrößen-Sprung (Übergangs-

verhalten)

Links: Strecke mit Ausgleich

Rechts: Strecke ohne Ausgleich

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Durch die Totzeit wird die Aufgabe für den Regler schwieriger, da er die Wirkung seiner

Stelleingriffe y(t) erst mit großer „Verspätung“ am Ausgang x(t) der Strecke messen kann.

Die Regelbarkeit der Strecke wird umso schlechter, je mehr Totzeit Tt im Größenvergleich

mit den übrigen Zeitkennwerten an Bedeutung gewinnt:

Bei 10 ut

g

TT

T ist die Strecke gut regelbar.

Bei 3 ut

g

TT

T ist die Strecke schlecht regelbar.

Beispiel aus dem technischen Bereich:

Bei der Dusche wird mit einem Stellventil heißes und kaltes Wasser so gemischt, dass eine

angenehme Temperatur entsteht. Die Laufzeit des Wassers in der Zuleitung zum Brausekopf

wirkt als Totzeit und ist die Ursache für ständige Schwingungen (Instabilitäten) in diesem

Regelkreis.

Beispiel aus dem nichttechnischen Bereich:

Wechselnde Berufsaussichten y beeinflussen Bewerber- und Absolventenzahlen x der

Universitäten und sorgen dafür, dass der Bedarf an Neueinstellungen (Führungsgröße w) im

Mittel gedeckt wird. Die Ausbildungszeit in den Universitäten wirkt als Totzeit (Tt > 5 Jahre)

und ist Ursache für ständige Schwingungen (Instabilitäten) in diesem Regelkreis.

Berufsaussichten y

Absolventenzahlen x

Bild 4.2.3_40: Instabiler Regelkreis des Stellenmarktes für Absolventen

B

B

Wirtschaft

Universität

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92

4.2.4. Synthese durch Rechner-Optimierung

In den vorangegangenen Kapiteln wurden Möglichkeiten gezeigt, gefundene Hard- und

Softwarelösungen durch Simulation, Test usw. zu analysieren und damit zu prüfen, inwieweit

sie sich zur Erfüllung der ursprünglich gestellten Automatisierungsaufgabe eignen. Will man

möglichst gute Ergebnisse erreichen, so wird sich an eine solche Analyse meist eine

Überarbeitung der entwickelten Algorithmen, Programme usw. anschließen. Dieses mehr oder

weniger zielgerichtete Einarbeiten von Änderungen wird sehr stark von der Intuition des

Ingenieurs geprägt, welcher dabei oft um gewisse Formen des "systematischen Probierens"

nicht umhinkommt. Viele ingenieurmäßige Entwurfsmethoden nutzen dabei das Prinzip der

Synthese durch iterative Analyse aus (siehe Bild 4.2.4_10). Dabei wird jede Lösung durch

den Ingenieur entsprechend der konkreten Aufgabe analysiert, Änderungen am Entwurf

vorgenommen und deren Ergebnisse durch eine erneute Analyse überprüft. Dieser Prozess

wird gegebenenfalls mehrfach wiederholt, wobei manche Änderungen auch rückgängig

gemacht werden müssen, wenn sich die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllen.

Die bereits dargestellten rechnergestützten Analyseverfahren erleichtern diese

Vorgehensweise, indem durch Simulation, Emulation oder Test der Einfluss von Änderungen

auf das Gesamtergebnis sehr schnell überprüft werden kann. So können Untersuchungen des

geschlossenen Regelkreises nicht nur an der konkreten Anlage, sondern auch durch

Simulation am Rechnermodell stattfinden.

Über diese Analyse hinaus werden bei der rechnergestützten Optimierung nunmehr auch die

Entwurfsänderungen von einer mathematischen Optimierungsstrategie gesteuert, welche die

im Analyseteil ermittelte Güte des Entwurfs auswertet. Am weitesten entwickelt ist diese

Vorgehensweise beim Entwurf von Mikrorechnerreglern, weshalb im Folgenden

vorzugsweise auf diese Anwendung Bezug genommen wird. Ausgehend vom mathematischen

Regelkreismodell und einem durch den Nutzer eingebrachten Anfangsentwurf kann der

Entwurfsrechner jetzt also die Reglerkennwerte selbstständig derart abändern, dass die

geforderte Regelaufgabe von Optimierungsschritt zu Optimierungsschritt zunehmend besser

erfüllt wird. Über die Analyse hinaus ist damit auch eine rechnergestützte, iterative

Dimensionierungssynthese des Reglers möglich. Ein ähnliches Vorgehen ist auch in anderen

Bereichen der Elektronik üblich, z. B. beim Entwurf von Schaltungen oder Bauelementen.

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93

1. Formulierung der funktionellen Anforderungen,

Beurteilungskriterien, Wünsche und Randbedingungen

2. theoretische Analyse der Strecke

3. praktische Messungen an der Strecke

4. Bildung eines mathematischen Prozessmodells

5. Nachbildung des Modells am Rechner

6. Annahme einer Regelstruktur (Kaskade, Störgrößenaufschaltung)

7. Auswahl eines Regelalgorithmus

8. vorläufige Dimensionierung des Reglers (z.B. Einstellregeln)

9. Simulation des geschlossenen Regelkreises

am Rechner

10. Bewertung der Regelgüte Optimierung

11. Festlegung notwendiger Änderungen

12. Erprobung des Reglers an der realen Strecke

13. Bewertung der Regelgüte

Bild 4.2.4_10: Entwurf (Synthese) durch iterative Analyse am Beispiel eines Mikrorechner-

Reglers. Einzelne Punkte können dabei gegebenenfalls übersprungen oder

(iterativ) mehrmals durchlaufen werden. Für fast alle Punkte ist Rechner-

unterstützung möglich.

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94

Variable und Gütekriterien

Soll der Ingenieur durch gezielte Entwurfstätigkeit die Eignung des Reglers verbessern, so

muss er die Möglichkeit haben, bestimmte Eigenschaften und Größen nach seinen Wünschen

zu variieren. Neben den P-, I- und D-Anteilen sowie der Tastzeit bei quasistetigen Reglern

könnten dies beispielsweise auch Schaltschwellen, Größen der Messwertverarbeitung

(Filterkoeffizienten) usw. sein. Diese der zielgerichteten Veränderung zugänglichen Größen

sollen Variable Xi genannt werden. Dabei kann der Ingenieur im einfachsten Falle zunächst

jeder Variablen nach seinem Ermessen einen beliebigen Wert geben. Stehen ihm mehr als

eine Variable zur Verfügung, so erhöht sich die Vielfalt der Möglichkeiten, da zunächst auch

beliebige Kombinationen X der Variablenwerte X1, ..., Xn denkbar sind,

X = (X1, X2, ..., Xn).

Ist die Zahl der Variablen gleich zwei (z.B. P, I in Bild 4.2.4_20), so sind als Kombinationen

alle Punkte der durch die Koordinatenachsen P und I aufgespannten Ebene möglich, weshalb

die Variablen X1, ..., Xn häufig auch als Komponenten eines „Vektors“ X im „Variablenraum“

bezeichnet werden. Der Ingenieur weiß, dass nicht alle Kombinationen sinnvoll sind, weil

z.B. viele Werte praktisch gar nicht realisiert (eingestellt) werden können (Restriktionen).

G

x = K1 P

x =K2 I

G

x = K1 P

x =K2 I

Bild 4.2.4_20: Gütegebirge (Gütekriterium G) als Funktion zweier Variabler am Beispiel eines

quasistetigen PI-Reglers

links: räumliche Darstellung

rechts: Höhenliniendarstellung (Projektion)

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95

Eine rationale Entscheidung zwischen verschiedenen Entwurfsvarianten setzt einen

Bewertungsmaßstab voraus, ein Gütekriterium, gemäß dem die eine Lösung als besser, die

andere als schlechter klassifiziert werden kann. Mitunter ist die klare Definition des Güte-

kriteriums der schwierigste Abschnitt beim Optimieren. Sollen mehrere Teilziele verfolgt

werden, so muss man die einzelnen Kriterien relativieren, sie gewichten. Oft widersprechen

sie sich, so dass Kompromisslösungen gefunden werden müssen. Die dem

Regelungstechniker bekanntesten Kriterien sind z.B. die absolute und quadratische

Regelfläche:

0

( )G e t dt

absolute Regelfläche

2

0

( ( ))G e t dt

quadratische Regelfläche

In jedem praktischen Anwendungsfall wird dabei auf andere Eigenschaften Wert gelegt, so

dass unterschiedliche Formulierungen nebeneinander üblich sind:

- Kennwerte der Übergangsfunktion/Sprungantwort: Anstiegszeit, Ausregelzeit,

Überschwingweite;

- Integralkriterien: Lineare Regelfläche, betragslineare Regelfläche, quadratische

Regelfläche

- Kennwerte der Stellgröße: maximale Stellgröße, Stellgrößenfläche,

Änderungsgeschwindigkeit der Stellgröße als Maß für die Stellgliedbeanspruchung.

Alle Reglervarianten müssen dabei unter geeigneten und jeweils identischen

Betriebsbedingungen simulativ untersucht werden, wobei der Regelkreis meist mit einem

Führungs- oder Störgrößensprung beaufschlagt wird.

w

ideale Sprungantwort

reale Sprungantwort

Bild 4.2.4_30: Definition der absoluten Regelfläche bei einer Führungsantwort

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Die Fähigkeit des Reglers, Führungs- und Regelgröße dabei in Übereinstimmung zu halten,

ist an der entstehenden Regelabweichung e ablesbar und wird im Gütekriterium

„Regelfläche“ auf verschiedene Weise quantifiziert. Bei der digitalen Simulation ist nur eine

endliche Zahl N von Werten ei zu diskreten Zeitpunkten ti verfügbar, was zu nachfolgenden

Formeln führt:

N

i

ieG0

2

1 )( .

Ein optimal entworfener Regler wird, bezogen auf eine definierte Zahl N von Zeitstützstellen

T1, diese Summe G1 möglichst gering halten. Durch die Quadrierung wird verhindert, dass

sich positive und negative Abweichungen gegenseitig aufheben.

Auch die Beanspruchung des Stellgliedes beim Regelvorgang ist ein weiteres Gütekriterium,

weil hierdurch unmittelbar dessen Lebensdauer in der Anlage bestimmt wird. Deshalb wird

aus der Abweichung yi des Stellgliedes von seiner stationären Endstellung y im

eingeschwungenen Zustand eine Stellfläche G2 definiert:

2

2

0

( )N

i

i

G y

mit i iy y y

Auch das Testsignal muss definiert vereinbart werden, wobei meist eine Sprungfunktion

verwendet wird. Um den Regler bezüglich des Führungsverhaltens zu optimieren, gibt man

also einen Sollwertsprung auf den Reglereingang, bei der Optimierung des Störverhaltens

muss ein Störgrößensprung auf den Prozess gegeben werden. Da die Reglerkenngrößen für

optimales Führungsverhalten meist andere sind als für optimales Störverhalten, sind

Kompromisse notwendig.

Die gewichtete Verwendung mehrerer Teilkriterien im Rahmen eines kombinierten

Kriteriums läuft in der Regel auf einen Kompromiss zwischen diesen hinaus, da die im

einzelnen erhobenen Forderungen infolge der inneren Zusammenhänge des Regelkreises

einander widersprechen:

2 2

0

( )N

i

i

G e r y

Der Stellaufwand (Stellfläche) ist hier gegenüber der Regelfläche durch den Faktor r

gewichtet, d.h. je größer r gewählt wird, desto mehr muss der Stellaufwand beim Entwurf

bestraft werden und desto ruhiger wird deshalb das Regelverhalten. So kann durch

Verringerung des Reglereingriffes (z.B. Reduzierung der Verstärkungen KP; KI) ein immer

gedämpfteres Regelverhalten erreicht werden. Sorgt man durch stärkere Beachtung des

Wichtungsfaktors r für geringere Stellgliedausschläge, so behindert man aber zwangsläufig

die Möglichkeiten des Reglers, durch Stellaktivitäten die Regelabweichung klein zu halten,

weshalb sich dann in gleichem Maße die Regelfläche erhöht. Durch die Bestrafung von

Abweichungen y wird mit wachsendem r der Stellgrößenverlauf einem Sprung auf y immer

ähnlicher, so dass der Regelgrößenverlauf x(t) sich der Sprungantwort annähert. Es besteht

also ein Zusammenhang zwischen der erreichbaren Regelfläche und dem dazu erforderlichen

Stellaufwand (Stellfläche). Allerdings erreicht man bei immer stärkerem Reglereingriff

irgendwann eine Grenze, ab der nur noch geringe Verbesserungen der Regelfläche durch eine

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relativ dazu immer größer werdende Stellfläche erkauft werden müssen, so dass sinnvolle

Kompromisse spätestens an dieser Stelle unbedingt erforderlich sind.

Die Beiträge zur Regelfläche werden in den Praxis für jede Zeit-Stützstelle aus den jeweiligen

Regeldifferenzen e gebildet und sukzessive aufsummiert. Mit den Elementen der Fachsprache

können bei der digitalen Regelkreissimulation jedoch auch andere Größen gebildet und

problemlos als Gütekriterien verwendet wenden. Es ist möglich, das Gütekriterium als

Summe mehrerer dieser Größen zu bilden, welche dann sinnvoll untereinander gewichtet

werden müssen, beispielsweise durch Einsatz von Multiplikationsoperatoren der Fachsprache.

Das angestrebte Optimum kann ein Minimum sein, wenn das Gütekriterium z.B. die

Regelfläche beinhaltet, oder es ist im Falle anderer Kriterien ein Maximum.

Systematische Suche

Da der Zusammenhang zwischen den unabhängigen Variablen und den davon abhängigen

Gütewerten durch das entwickelte mathematische Modell (bei der Regelkreissimulation z. B.

aus Fachsprachmodulen) implizit wiedergegeben wird, kann man durch systematisches

Probieren einen gewissen Überblick gewinnen. Liegen Regelstreckenmodell und Testsignal

(z.B. Sprung) fest, und gibt es nur eine einzige Variable (z.B. P-Regler), so kann der in Frage

kommende Wertebereich schrittweise durchsucht und aus der jeweils simulierten

Sprungantwort der zugehörige Gütewert berechnet werden (Bild 4.2.4_40). Dabei hängt es

vom Aufwand (z.B. Suchschrittweite) ab, ob man neben lokalen Extremwerten auch das

globale Optimum findet (Sicherheit) und wie präzise diese Stelle lokalisiert wenden kann

(Genauigkeit).

G

x =K1 P

23 4

5

67

8

91

Bild 4.2.4_40: Gütekriterium (Regelfläche) in Abhängigkeit von einer Variablen X1 = KP.

Eingezeichnet sind die bei einer systematischen Suche ermittelten Punkte.

Analog zum Beispiel mit zwei Variablen (Bild 4.2.4_20) steigt der Suchaufwand mit

zunehmender Variablenzahl immer mehr an. Jede Variablenkombination (Reglereinstellung)

entspricht hier einem Punkt der Ebene. Es ergibt sich ein dreidimensionales Gebirge

(Gütegebirge), dessen Oberfläche die Zuordnung zwischen der Gütefunktion G und den

Variablen darstellt. Aus dieser dreidimensionalen Vorstellung und den daraus abgeleiteten

zweidimensionalen Projektion werden Begriffe wie Gipfel, Höhenlinie, Anstieg (Gradient),

Plateau usw. entlehnt und in ihrer Bedeutung auf den mehrdimensionalen Fall ausgedehnt,

obwohl Fälle ab drei Variablen kaum noch Anschaulichkeit besitzen.

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Deterministische Verfahren

Die im vorigen Kapitel erkennbaren Parallelen zur Extremwertproblematik der

Differenzialrechnung legen zunächst nahe, die dort entwickelten Methoden direkt zu

übernehmen. Leider lassen sich nun wenige Probleme analytisch fassen, wobei meist

Gleichungssysteme entstehen, die ihrerseits schwer lösbar sind. Gewisse Denkweisen werden

jedoch beim Einsatz sogenannter deterministischer Verfahren übernommen. In der

englischsprachigen Literatur gibt es dafür den treffenden Begriff „Hill-Climbing-Strategien“

(engl. hill climbing = einen Hügel erklimmen), da ihre Herangehensweise bei der Suche nach

einem Optimum (Maximum) der intuitiven Art eines (blinden) Bergsteigers entspricht, der

sich von einem Startpunkt aus schrittweise bis zum höchsten Gipfel eines Gebirges

emportastet. Im Falle der Minimumsuche kehrt sich lediglich der Richtungssinn der

Bewegungen um. Ausgehend von einer Anfangs-Variablenkombination werden die Variablen

also in kleinen Schritten zielgerichtet derart verändert, so dass Schritt für Schritt ein immer

besserer Gütewert erreicht wird.

Die zahlreichen bekannten Verfahren unterscheiden sich meist vor allem dadurch, wie sie die

Schrittweite sowie die Schrittrichtung der Variablenänderung in Richtung einer

Güteverbesserung festlegen. Einfache Verfahren verändern „probehalber“ jeweils nur eine

Variable (Suchschritt in Koordinatenrichtung) und prüfen in einem Simulationslauf, ob die

neue Variablenkombination den Gütewert verbessert. Ist dies nicht der Fall, wird die

Änderung rückgängig gemacht und der nächste Suchschritt in Richtung der nächsten

Koordinate (Variablen) vollzogen.

Gradientenverfahren ermitteln (z.B. durch Suchschritte) die partiellen Ableitungen der

Gütefunktion G nach den Variablen Xi, also die Werte G/ Xi. Daraus kann der Gradient,

also die Schrittrichtung hin zur bestmöglichen Verbesserung der Gütefunktion, bestimmt

werden. Wählt man die Schrittweite zu klein, so sind auf Grund der größeren Schrittanzahl

sehr viele Simulationsläufe notwendig, wodurch sich die Rechenzeit erhöht. Bei großer

Schrittweite besteht andererseits die Gefahr, das Optimum zu verfehlen. Allgemeingültige

Aussagen zur günstigsten Wahl der Schrittweite lassen sich kaum treffen.

Die Anfangslösung (Startpunkt), von der ausgehend der Rechner dann allein das Optimum

findet, muss wiederum intuitiv vom Ingenieur festgelegt werden, z.B. nach Erfahrungswerten

oder Einstellregeln. Das Optimum wird dann als erreicht angesehen, wenn die vom Ingenieur

festgelegte Abbruchbedingungen erfüllt sind. Mögliche Abbruchgründe können sein, dass der

Gütewert durch viele aufeinanderfolgende Iterationen kaum noch verbessert wird, dass sich

die Werte der Variablen kaum noch ändern oder dass Rechenzeitgrenzen überschritten

werden.

Nach Erreichen des Optimums kann sich ein erneuter Optimierungslauf anschließen, um

gegebenenfalls ein anderes lokales Optimum zu finden, wobei man sinnvollerweise von

anderen Startpunkten ausgeht und eventuell auch die Anzahl und Art der Variablen, die

Gewichtung der Teil-Gütekriterien usw. ändern kann.

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Zufallsverfahren

Das einfachste Zufallsverfahren sucht blind und rein zufällig Variablenkombinationen heraus

und berechnet durch einen Simulationslauf den jeweiligen Gütewert. Aus diesen

gleichverteilten Stichproben wird die beste als Optimum ausgewählt. Zur Realisierung dieser,

auf Grund ihrer Ähnlichkeit mit dem Roulettespiel auch als „Monte-Carlo-Verfahren“

bezeichneten, Optimierungsstrategie wird im Rechner ein sogenannter Zufallsgenerator

implementiert. Diese Strategie ist durch den hohen Anteil erfolgloser Stichproben meist

wenig effektiv, da sie weder aus Erfolgen noch aus Misserfolgen zu lernen in der Lage ist.

Deshalb sind zahlreiche Strategien zur Verbesserung des Kompromisses zwischen

Zufälligkeit und Determiniertheit vorgeschlagen worden, wofür nachfolgend ein besonders

einfaches Beispiel ausgewählt wurde.

Die Entstehung von Optimalstrukturen ist auch eine Eigenschaft der biologischen Evolution.

Die folgenden Betrachtungen werden zeigen, dass Evolutionsprinzipien eine sehr effektive,

auch unter schwierigen Bedingungen zuverlässige sowie hinsichtlich der Zahl der

notwendigen Mutationsschritte vorteilhafte Optimierungsstrategie liefern.

Allerdings umfasst ein solches Minimalkonzept nur die zur Merkmalverbesserung unbedingt

erforderlichen Komponenten des biologischen Prinzips, spiegelt also nur in sehr

unvollkommener Weise die Vorgänge der natürlichen Evolution wider. Vom Standpunkt des

Biologen geht es unter anderem von folgenden einschränkenden Annahmen aus:

Die Populationsstärke bleibt stets konstant und besteht lediglich aus zwei Individuen.

Selektion wird auf den Überlebenskampf dieser beiden Individuen gegeneinander

reduziert.

Ein Individuum unterliegt keiner Alterung und kann im Falle seiner selektiven

Überlegenheit unendlich viele Nachkomnen auf ungeschlechtliche Weise erzeugen.

Zwischen Genotyp und Phänotyp gibt es keinen Unterschied.

Die Umwelt und die durch sie bestimmten Kriterien der Lebensfähigkeit bleiben konstant.

Mutationen sind zwar auch in der Natur als zufällige, ungerichtete Ereignisse anzusehen,

treten dort aber in anderer Weise auf als am Rechner.

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Es existiert nur ein einziges Eltern-

Individuum.

MUTATION

Das Individuum erzeugt einen

Nachkommen, dessen Erbeigenschaften

sich geringfügig von den elterlichen

unterscheiden. Die Abweichungen

betreffen die einzelnen Gene, sind zufällig

und voneinander unabhängig.

Beide Individuen sind aufgrund dieser

Unterschiede bei gleicher Umwelt

unterschiedlich lebensfähig.

SELEKTION

Nur eines der beiden Individuen darf

weitere Nachkommen erzeugen, nämlich

das mit der besseren Lebensfähigkeit. Es

wird zum Eltern-Individuum der nächsten

Generation.

Bild 4.2.4_50: Einfachstes Prinzip einer

Evolutionsstrategie (links)

Es existiert nur ein Regler, der durch einen

Satz von Einstellparametern festgelegt ist.

MUTATION

Aus dem vorhandenen entsteht ein neuer

Regler, dessen Eigenschaften sich

geringfügig vom ursprünglichen

unterscheiden. Die Abweichungen

betreffen die einzelnen Einstellparameter

des Reglers, sind zufällig und voneinander

unabhängig.

Beide Regler sind aufgrund dieser

Unterschiede zur Regelung der

vorliegenden Regelstrecke unterschiedlich

geeignet (Gütekriterium).

SELEKTION

Nur einer der beiden Regler bleibt weiter

bestehen, nämlich der mit dem besseren

Gütewert. Der überlegenere Regler wird

zum Ausgangspunkt der nächsten

Generation, während den unterlegene „in

Vergessenheit“ gerät.

Umsetzung der Evolutionsstrategie beim

Entwurf von Reglern (rechts)

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Zur rechentechnischen Umsetzung der Evolutionsstrategie bietet die Literatur eine Auswahl

leistungsfähiger Algorithmen an, die das natürliche Vorbild mit unterschiedlicher Detailtreue

nachahmen. Reduziert man den Algorithmus auf seine elementaren Grundzusammenhänge, so

verbindet sich damit für den eingangs angesprochenen Anwenderkreis der Vorteil relativ

einfacher und durchschaubarer Software, welche auch die Implementierung durch den

Praktiker möglich werden lässt. Dies geschieht freilich im Vergleich zu komfortableren

Lösungen um den Preis reduzierter Genauigkeit, geringerer Sicherheit sowie geringerer

Konvergenzgeschwindigkeit.

Vor dem Start der Optimierung wählt der Bediener die Zahl der Zeit-Stützstellen, die später

bei jedem Simulationslauf zur Bildung der Gütefunktion herangezogen werden müssen.

Weiterhin sind unter Beachtung der in Bild 4.2.4_30 dargestellten Möglichkeiten jene Größen

im Regelkreis festzulegen, die jeweils Beiträge zum Gütewert liefern sollen. Der Bediener

bestimmt auch zu Beginn, welche unter den Parametern des Regelkreises für eine Variation

im Sinne einer Mutation freigegeben werden.

Die Schrittweite, also Betrag und Vorzeichen bei der Veränderung einer Variablen, trägt

Zufallscharakter. Dazu wird ein einfacher Software-Zufallsgenerator implementiert. Die

Häufigkeitsverteilung größerer und kleinerer Schrittweiten muss jedoch in Abhängigkeit vom

Evolutionsverlauf reguliert werden. Ein Programm zur Schrittweitensteuerung bestimmt diese

Häufigkeiten aus dem Verhältnis der erfolgreichen Versuche zur Gesamtzahl der Mutationen.

Jede erfolgreiche Mutation wird vom Rechner protokolliert, so dass der Bediener an diesem

Entwicklungsprotokoll den Fortgang der Optimierung beobachten kann.

Bild 4.2.4_60 Einfachste programmtechnische Realisierung einer Evolutionsstrategie am

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Beispiel des Reglerentwurfs

Eine Entscheidung zum Abbruch der Optimierung erscheint dann sinnvoll, wenn die

Ergebnisse darauf hindeuten, dass sich keine oder keine wesentliche Verbesserung mehr

erzielen lässt. Überlässt man, wie im vorliegenden Falle, die Entscheidung einem Mikro-

rechner, so muss im Voraus, vom Programm her, festgelegt werden, wann die Iterationenfolge

abzubrechen ist. Das benutzte Konvergenzkriterium besteht darin, die Suche zu beenden,

wenn keine Verbesserung des Gütekriteriums mehr erfolgt. Praktisch ist ein Abbruch nach

einer bestimmten Anzahl ohne Unterbrechung stattfindender Misserfolge angezeigt. Da die

Fortschrittsgeschwindigkeit im Mittel um so langsamer ist, je mehr Variable am Problem

beteiligt, d.h. zur Veränderung freigegeben sind, muss auch die Festlegung der

Abbruchgrenze problemangepasst erfolgen. Bild 4.2.4_80 zeigt die Veränderungen dreier

Parameter im Laufe einer Optimierung sowie den sich dabei ständig verringernden Gütewert.

Die Rechenzeiten T0 bis zum Erreichen des Optimums bzw. bis zum Abbruchprotokoll liegen

im Minutenbereich und sind von drei Faktoren abhängig:

VSS NNTT 0

Die Zeit TS zur Berechnung einer Zeit-Stützstelle hängt von Anzahl und Charakter der

Befehle ab, die z.B. als Fachsprachtext, das Regelkreismodell beschreiben und anlässlich

jeder Stützstelle genau einmal abgearbeitet werden.

Die Stützstellenzahl NS bestimmt das Zeitintervall des Regelvorganges, welches der

Rechner für seine Optimierungsentscheidungen zugrunde legt.

Die Zahl der Versuche NV bis zum Abbruch hängt wesentlich von der Zahl der zur

Variation freigegebenen Variablen ab.

Der Rechner findet auch von unterschiedlichen Startwerten in den meisten Fällen zum selben

Optimum. Das vorzeitige Steckenbleiben bei günstigen Zwischenwerten (lokalen Optima)

kann durch Modifikation der Schrittweitensteuerung umgangen werden. Allerdings geht

größere Sicherheit bei jedem Optimierungsverfahren grundsätzlich zu Lasten der Konvergenz

(Rechenzeit), so dass praktische Kompromisse notwendig sind.

Die Eigenschaften verbesserter Zufallsverfahren kommen im Allgemeinen durch einen

Verzicht auf gleichverteilten Zufall zustande, das heißt also durch Wiedereinführung eines

höheren Grades von Determiniertheit bei der Suche.

Man geht also beispielsweise davon aus, dass die Suchrichtung, die im letzten Schritt

erfolgreich war, mit großer Wahrscheinlichkeit auch für den darauffolgenden Suchschritt

erfolgreich sein wird. Selbstverständlich dürfen zu diesem Zweck bei Zufallsverfahren nur die

statistischen Eigenschaften des Zufallsgenerators modifiziert werden. Dies können für jede

Variablenrichtung z.B. Mittelwert und Varianz der zufälligen Suchschritte sein. Dazu sind die

zurückliegenden Erfahrungen über die Erfolgsrichtung auszuwerten, welche von Schritt zu

Schritt erneuert werden müssen:

positive Erfahrungen aus zurückliegenden Erfolgen (positives Lernen),

negative Erfahrungen aus zurückliegenden Misserfolgen (negatives Lernen),

schrittweise Reduzierung des Einflusses älterer Erfahrungen (Vergessen).

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Bewertung und Anwendungsvielfalt

Deterministische Verfahren, besonders Gradientenverfahren, sind heute am meisten

verbreitet. Zufallsverfahren finden gegenwärtig zunehmende Beachtung, da sie in

verschiedenen Situationen Vorteile aufweisen. So können deterministische Verfahren bei

bestimmten Formen von Gütegebirgen Konvergenzschwierigkeiten nur vermeiden, indem sie

zusätzliche Informationen einholen. Zufallsverfahren, die nicht auf die Struktur des

Gütegebirges zugeschnitten sind, erfordern auf Grund uneffektiver Einzelschritte ebenfalls

mehr Aufwand, sind aber meist allgemeiner anwendbar, einfacher im Aufbau, störunanfällig

und flexibel.

In der Literatur wird eine ständige Diskussion um Vor- und Nachteile einzelner Verfahren mit

dem Ziel geführt, eine qualitative Bewertung und letztendlich die Aufstellung einer gewissen

Rangfolge für die Auswahl zu ermöglichen. All diese quantitativen Untersuchungen müssen

ein konkretes Spektrum definierter Aufgaben zugrunde legen, um die einzelnen Verfahren

exakt vergleichen zu können. Die Resultate sind deshalb auch stets vor dem Hintergrund

dieses ausgewählten Problemkatalogs zu interpretieren und lassen sich nur bedingt

verallgemeinern.

0

10

20

20

30

40

40 60 80

Start

Optimum

X1

X2

Bild 4.2.4_70: Suchverlauf (Spur) eines deterministischen, achsparallelen Suchverfahrens

(Gauß-Seidel) im Höhenlinienbild einer Gütefunktion von zwei Variablen X1, X2.

Bei ausreichender Kenntnis des Funktionsprinzips einer bestimmten Optimierungsstrategie

lässt sich einerseits immer ein spezielles Problem konstruieren, bei dem diese versagt, und

andererseits lassen sich Probleme finden, wo diese anderen Verfahren gegenüber überlegen

ist. Der Wunsch des Praktikers nach einem universellen Verfahren, das alle Aufgaben effektiv

zu lösen vermag, kann allgemein nicht erfüllt werden, so dass heute die verschiedensten

Verfahren gleichberechtigt und jeweils mehr oder weniger effektiv zum Einsatz kommen.

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Die problemangepasste Auswahl einer geeigneten Optimierungsstrategie stellt ihrerseits

wieder ein Optimierungsproblem dar, wofür perspektivisch ebenfalls Rechnerunterstützung

denkbar ist.

REGLEROPTIMIERUNG NACH EVOLUTIONSSVRATEGIE

ENTWICKLUNGSPROTOKOLL

Versuch Fehlersumme PAR.1 PAR.2 PAR.3

000 18106 18 10 08

004 17518 16 11 08

007 16421 14 12 08

008 14775 14 0F 0A

010 13338 12 10 0A

018 12996 15 0C 0F

027 12189 16 0A 12

028 12174 15 0A 0F

032 11203 13 0B 0F

035 10155 11 0C 0F

036 9183 11 09 11

037 9081 12 09 14

053 2990 00 FE 1C

184 883 00 9D 1E

200 659 00 AA 14

208 618 00 AB 12

Tabelle 4.2.4_10: Entwicklungsprotokoll zu Bild 4.2.4_80

50 100 150 200

100

200

50 100 150 200

Versuche

Versuche

Versuche

Versuche

Parameter 3

Parameter 2

Parameter 1

Gütewert

50 100 150 200

50 100 150 200 Bild 4.2.4_80: Entwicklung dreier Variabler (Parameter) und des resultierenden Gütewertes G

während eines Optimierungslaufes (Entwicklungsprotokoll)

T

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Optimierungsverfahren stellen eine große Hilfe beim Entwurf dar, führen aber nicht in jedem

Falle automatisch zu Ergebnissen, die den Entwerfer sofort zufriedenstellen. Das liegt an der

bereits erwähnten Schwierigkeit, die Gesamtheit des Entwurfsziels in Form von Gütekriterien

zu fassen. Zwar lässt sich eine einzelne Eigenschaft (geringe Regelfläche, geringe

Stellbewegungen) in gewissem Maße erzwingen, geht aber auf Grund der inneren Zusam-

menhänge des Regelkreises stets zu Lasten anderer Eigenschaften, so dass nach einer

günstigen Kompromisslösung gesucht werden muss.

Das Problem besteht also darin, die verschiedenen Entwurfsziele untereinander zu wichten

und ein sinnvolles Gesamt-Gütekriterium zu formulieren. Das gelingt nicht immer und

erfordert wieder eine gewisse Bereitschaft zum Probieren, wenngleich auf höherer Ebene.

Neben dem Reglerentwurf wird die Optimierung beispielsweise auch zur Entwicklung von

Streckenmodellen aus empirischen Messreihen benutzt. Dabei werden die Messwerte

tabellarisch durch einen Funktionsgenerator vorgegeben, und der Rechner entwickelt die Pa-

rameter des Streckenmodells, bis die Modellresultate von den Messwerten nur noch minimal

abweichen. Auch die Kopplung mit Netzwerkanalyseprogrammen zur Entwicklung

elektronischer Schaltungen wird seit langem praktiziert.