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Bernard Winkelmann (Hrsg.) Mathematikdidaktische Untersuchungen anhand der Betrachtung des Lernens von Mathematik mit Hypermedia Occasional Paper 171 November 1998

Mathematikdidaktische Untersuchungen anhand der ... · Im Folgenden wird ein Modul herausgegriffen, dessen Struktur und inhaltlicher Aufbau beschrieben und in Hinblick auf einen Einsatz

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Bernard Winkelmann (Hrsg.)

Mathematikdidaktische Untersuchungen anhand der Betrachtung des Lernens

von Mathematik mit Hypermedia

Occasional Paper 171 November 1998

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Vorwort B. Winkelmann

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Chancen und Grenzen eines hypermedialen, experimentellen Zugangs zum Begriff “Ableitung” (anhand von Calculus Connections) E. Schneider

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Didaktische Überlegungen zu ActivStats, einer interaktiven Hypermedia-Lernumgebung für die Stochastik W. Peschek

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Materialien und interaktive Texte im Internet und deren mathematikdidaktische Nutzung: Chancen und Probleme G. Ossimitz

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Möglichkeiten von Computern und interaktiven Hypermedia-Lernangeboten im österreichischen Mathematikunterricht C. Gebhardt, G. Ossimitz, B. Winkelmann

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Der Zugriff auf das Allgemeine durch direkte Manipulation an Beispielen von StudyWorks/Mathcad und dynamischer Geometrie-Software G. Kadunz

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Bernard Winkelmann, IDM Bielefeld

Vorwort Die Entwicklung der Standard-PC-Hardware zu Multimedia-fähigen Systemen mit leistungsfähiger Graphik, Soundkarten, CD-ROM-Laufwerken einerseits, der Internet-Technologie mit dem multimedialen Hypertext-Medium WWW und entsprechend leistungsfähigen Browsern andererseits hat in den letzten drei Jahren zu einer kaum noch zu überblickenden Vielfalt von Ansätzen geführt, interaktive Texte, Multimedia-Lernumgebungen und Hypertext-Lehrtexte auch zur Mathematik zu erstellen. Die entwickelten Produkte zeugen oft von genialer Intuition, sind aber in fachdidaktischer und mediendidaktischer Hinsicht häufig sehr einseitig und unterentwickelt. Durch die Verfügbarkeit von Internet und CD-ROMs auch an Schulen nehmen die Zahl und die Verbreitung interaktiver Hypermedia-Lernprogramme zur Mathematik weltweit sehr rasch zu. Unterrichtliche Erfahrungen sind bislang vor allem aus dem englischsprachigen Raum bekannt, im deutschsprachigen Raum findet man dazu bislang nur vereinzelt Hinweise.

Während meiner Gastprofessur an der Universität Klagenfurt (hauptamtlich Sommersemester 1996 bis Sommersemester 1997, nebenamtlich Wintersemester 1997/98 und Sommersemester 1998) haben die Mitarbeiter der Abteilung für Didaktik der Mathematik des Instituts für Mathematik, Statistik und Didaktik der Mathematik der Universität Klagenfurt (Gert Kadunz, Günther Ossimitz, Werner Peschek, Edith Schneider, Bernard Winkelmann) an einer Sichtung, Analyse und didaktischen Bewertung interaktiver, hypermedialer Wissensrepräsentationen gearbeitet, wobei die inhaltlichen Schwerpunkte in den schulmathematisch relevanten Bereichen Geometrie, Analysis, Lineare Algebra, Statistik, Modellbildung und Anwendungen lagen.

Bisherige Ergebnisse dieser Arbeit sind in verschiedener Form publiziert (siehe unten), z.T. auch in dieser Reihe der Occasional Papers. Mit dem vorliegenden Occasional Paper 171 wird der Übersichtbeitrag von B. Winkelmann im Occasional Paper 167 durch Detail-Analysen ergänzt und weitergeführt.

Die Beiträge von Edith Schneider und von Werner Peschek stellen kritische Untersuchungen von Einzelprodukten dar. Dabei konzentriert sich Edith Schneider auf ein einzelnes Kapitel (Modul), um an der Behandlung des Ableitungsbegriffs detailliert auf die deutlich werdenden Stärken und Schwächen eines bestimmten technologischen Ansatzes eingehen zu können. Werner Peschek bespricht mehr rezensionsartig das Hypermedia-Produkt ActivStats: er verortet es zunächst positiv in einer Landschaft eher vollmundig gepriesener, aber oft hohler Produkte; dann geht er fach- und mediendidaktisch genau besonders auf die neuartigen Ansätze dieses Produktes ein.

In den Beiträgen von Günther Ossimitz und Claudia Gebhardt/Günther Ossimitz/Bernard Winkelmann stehen Fragen der heutigen Medienlandschaft im Bezug auf Mathematikunterricht im Vordergrund. Günther Ossimitz untersucht didaktische und technologische Möglichkeiten der Verbreitung von Unterrichtsmaterialien über das Internet; speziell geht er ein auf Modellsammlungen und interaktive Texte. Der Beitrag von Gebhardt/Ossimitz/Winkelmann stellt eine kleine empirische Untersuchung dar, die

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nachweist, dass Hypermedia-Lernumgebungen auch in dem Sinne Zukunftsprodukte sind, dass die Schulwirklichkeit von ihnen noch kaum Notiz genommen haben. Darüberhinaus ergeben sich aufschlussreiche Einsichten in die Problemsichten der technologischen Elite der Mathematiklehrer Österreichs.

Der abschließende Beitrag von Gert Kadunz befasst sich mit dem Problem, wie es möglich sein kann, durch konkretes Umgehen mit konkreten Repräsentationen das Allgemeine mathematischer Objekte zu erfassen, und gibt dazu theoretische Analysen und schlägt praktische Schritte vor.

Bisherige einschlägige Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe

Kadunz, Ossimitz, Peschek, Schneider, Winkelmann: Mathematikunterricht und Internet, http://www.uni-klu.ac.at/groups/math/didaktik/arb/ihmlum/muuinternet.htm

Winkelmann, Bernard: „Mathematikunterricht und Internet.“ In: Hischer, Horst (Hrsg.): Computer und Geometrie - neue Chancen für den Geometrieunterricht? Bericht über die 14. Arbeitstagung des Arbeitskreises "Mathematikunterricht und Informatik" in der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik e.V. vom 20. bis 23. September 1996 in Wolfenbüttel. Hildesheim: Franzbecker 1997. ISBN 3-88120-281-1. S. 182-188.

Winkelmann, Bernard: „Kritische Vorstellung einiger Hypermedia-Lernumgebungen zur Analysis“, In: W. Fraunholz (Ed.): Third International Conference on Technology in Mathematics Teaching (ICTMT 3) - Koblenz 1997. CD-ROM, Koblenz, Institut für Mediendidaktik der Universität in Koblenz 1998. ISBN 3-00-002330-5. Siehe auch http://euler.uni-koblenz.de/ictmt3/cd-rom/pdf/winkelma.pdf

Winkelmann, Bernard: „Funktionen von Multimedia-Elementen beim Lernen von Mathematik: Theorie und Beispiele aus dem Bereich der Analysis“. IDM Bielefeld, Occasional Paper 167, 1998.

Winkelmann, Bernard: „Wie kann Multimedia das Lernen von Mathematik allgemeinbildend unterstützen?“ Erscheint demnächst in: Kadunz / Ossimitz / Peschek / Schneider / Winkelmann (Hrsg.): Mathematische Bildung und neue Technologien. Stuttgart: B. G. Teubner 1998. Klagenfurter Beiträge zur Didaktik der Mathematik.

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Edith Schneider, Universität Klagenfurt

Chancen und Grenzen eines hypermedialen, experimentellen Zugangs zum Begriff „Ableitung“ (anhand von Calculus Connections)

1. Einleitung In den letzten Jahren sind im Umfeld neuer Computertechnologien zahlreiche interaktive Hypermedia-Lernumgebungen zu verschiedenen mathematischen Inhalten entwickelt und verbreitet worden. Die Produkte sind dabei entweder als CD-ROM, wie etwa Calculus Connections, MultiMedia Math (M3): Functions, Transmath, StudyWorks, Activ Stats oder im WWW, wie z.B. Calculus Modules Online, Connected Curriculum Project, HypersStat Online, Statistics verfügbar. Das Kennzeichen solcher Lernumgebungen ist die Einbettung von multimedialen Elementen wie Sprache, Ton, Text, Bilder, Grafiken Animationen, Filme, Simulationen in eine Hypertextstruktur verbunden mit interaktiven Eingriffsmöglichkeiten. Je nach Produkt werden diese Elemente in unterschiedlicher Konsequenz und Ausprägung eingesetzt. Überlegungen zum didaktischen Nutzen und zur didaktisch-inhaltlichen Qualität solcher interaktiver Hyppermedia-Lernumgebungen sowie möglicher Konsequenzen für das Lernen von Mathematik liegen in publizierter Form noch kaum bis gar nicht vor.

In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nach Möglichkeiten, Chancen und Grenzen für das Lernen von Mathematik exemplarisch anhand eines Produktes zur Analysis (Calculus Connections) und eines für den Schulunterricht zentralen mathematischen Inhalts (Ableitungsbegriff) nachgegangen.

2. Calculus Connections – A Multimedia Adventure Bei Calculus Connections handelt es sich um eine interaktive, hypermediale Lernumgebung zur Analysis, von den Autoren D. Quinney und R. Harding als A Multimedia Adventure bezeichnet (Quinney/Harding 1996).

In einem wenig ausgeprägten Hypertext eingebettet werden die multimedialen Elemente Text, Ton, Bild, Grafik, Film, Simulation und Interaktivität eingesetzt.

Calculus Connections umfasst 3 Bände mit jeweils 8 Kapiteln (Modulen), wobei Band 3 noch nicht erschienen ist, Band 1 seit 1996 und Band 2 seit 1997 zugänglich ist. Band 1 beinhaltet die Kapitel Lines-Functions-Equations, Limits, Rates of Change and Differentiation, Transcendental and Inverse Functions, Applied Maximums and Minimums, Areas as Limits, Fundamental Theorem of Calculus, Mean-Value Theorem for Integrals. Band 2 behandelt die Inhalte Definite Integrals, Rectilinear Motion, Simpson´s Rule, Sequences and Series, Differential Equations, Sperical and Polar Coordintes, Parametric Equations, Mathematical Modeling (siehe dazu Winkelmann 1998). Inhaltlich entsprechen Band 1 und ca. die Hälfte von Band 2 den Lehrplaninhalten eines Mathematikunterrichts an höheren Schulen.

Jeder Band setzt sich zusammen aus einer CD und einem Laboratory Workbook. Das Workbook stellt aus Sicht der Autoren eine Ergänzung zur Software dar, die Hintergrundinformationen liefern, in der Software eingeführte mathematische Ideen vertiefen,

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das Verständnis von mathematischen Konzepten überprüfen und die Anwendung dieses Wissens in neuen Situationen unterstützen soll. Weiters sind im Workbook jeweils zu Beginn eines Kapitels (mathematische) Voraussetzungen für die Behandlung des jeweiligen Kapitels angegeben wie auch die mit dem entsprechenden Kapitel verfolgten (mathematikspezifischen) Lernziele – also Informationen, die auf der CD fehlen – sowie ein Hinweis auf jene Anwendungen, die auf der CD behandelt und z. T. modelliert werden.

Calculus Connections ist von den Autoren für einen Einsatz in Analysis-Einführungskursen gedacht. Die Softwaresprache ist Englisch.

Im Folgenden wird ein Modul herausgegriffen, dessen Struktur und inhaltlicher Aufbau beschrieben und in Hinblick auf einen Einsatz im Mathematikunterricht als hypermedialer, experimenteller Zugang zum Ableitungsbegriff analysiert werden soll.

3. Das Modul Rates of Change and Differentiation Das Kapitel (Modul) Rates of Change and Differentiation ist von den behandelten mathemati-schen Begriffen und Verfahren sowie vom Schwierigkeitsgrad so konzipiert, dass es auch im schulischen Mathematikunterricht eingesetzt werden könnte.

Die Unterkapitel (Sections) des Moduls sind je nach Schwerpunktsetzung einem der drei Bereiche Applications, Concepts oder Exercises zugeordnet. Unter Applications findet man die zwei Anwendungssituationen Car Speed und Hot Air Balloons, die jeweils durch einen Film vorgestellt, thematisiert und mathematisch modelliert werden. Unter Concepts werden jene Unterkapitel aufgelistet, in denen es um die Einführung in mathematische Inhalte (Begriffe, Verfahren, Konzepte) geht, wie etwa Rates of Change and Slope oder Differentiation as Limit oder Differentiation of Functions. Eine Sammlung von ausgewählten inner- und außermathematischen Aufgaben zu den mathematischen Inhalten des Kapitels „Ableitung“ bietet der Bereich Exercises (z.B. Estimating Slopes/Derivatives, Applying the Rules, Lighthouse Searchlight). Ein Aufgabenblock ist dabei CAS Problemen vorbehalten. Die Aufgaben dieses Blocks sollen mit einem Computeralgebrasystem (CAS) bearbeitet werden. Dabei können die Computeralgebrasysteme MathCad, Derive, Maple und Mathematica direkt von Calculus Connections aus aufgerufen werden, und es wird automatisch ein File mit dem Text der jeweiligen Aufgabenstellung im ausgewählten CAS geöffnet. Diese hier beschriebene und in Abb.1 1 exemplarisch für das Modul Rates of Change and Differentiation (inkl. aller Unterkapitel) veranschaulichte strukturelle Gliederung liegt allen Modulen der Software Calculus Connections zugrunde.

1 Die Abbildungen aus Calculus Connections sind im folgenden aus drucktechnischen Gründen im Negativ wiedergegeben. Einzig Abbildung 14 hat die Originalfarben (bzw. positiven Grautöne im Druck).

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Abb. 1

Die Lernenden haben die Möglichkeit die Unterkapitel des Moduls in einer von Calculus Connections vorgeschlagenen Reihenfolge zu bearbeiten („Start Connections“). Dieser vom Programm vorgeschlagene Weg führt quer durch die Bereiche Applications, Concepts und Exercises und zielt auf eine sukzessive Erarbeitung des mathematischen Inhalts „Ableitung“ ab.

Der Einstieg in das Kapitel erfolgt anhand von außermathematischen Anwendungen: Geschwindigkeit eines Autos (als Änderungsrate des Weges in Abhängigkeit von der Zeit) und Sinken bzw. Steigen eines Heißluftballons (als Änderungsrate der Temperatur in Abhängigkeit von der Zeit). Der Begriff der Änderungsrate sowie der Zusammenhang zwischen Änderungsrate und Steigung der Tangente werden in diesem Anwendungskontext intuitiv behandelt, wobei der Weg dahin über Durchschnittsgeschwindigkeiten bzw. Sekantensteigungen führt.

Daran schließt das innermathematische Unterkapitel Differentiation as Limit of Slope of Secants an: Ausgehend von der Untersuchung des Sekantenverhaltens bei (vorgegebenen) Funktionen (ohne Kontextbezug) wird zur Steigung der Tangente übergeleitet und diese als Grenzwert der Sekantensteigungen bei gegen 0 gehender Intervallbreite definiert:

Abb. 2

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Unmittelbar darauf folgt die Einführung des Begriffs „Ableitung“ bzw. „Ableitungsfunktion“:

Abb. 3

Damit ist die Einführung des Begriffs „Ableitung“ und die Begriffserklärung abgeschlossen. Die folgenden Unterkapitel behandeln diverse Ableitungsregeln für elementare und zusammengesetzte Funktionen:

In Differentiation of Elementary Functions werden die Ableitungsformeln für lineare Funktio-nen, Polynomfunktionen zweiten, dritten, vierten und fünften sowie n-ten Grades behandelt, die entsprechenden Funktionsgraphen f und f‘ werden dargestellt (s. Abb. 4). Analoges gilt für die transzendenten Funktionen sin, cos und exp. Keine der angeführten Ableitungsformeln wird hergeleitet.

Abb. 4

Daran schließt das Unterkapitel Rules of Differentiation of Expressions an. In diesem Unter-kapitel werden die Multiplikationsregel mit einer Konstanten, die Additionsregel, die Produk-tregel und die Quotientenregel behandelt, indem die jeweilige Regel anhand von ausgewählten (konkreten) Beispielen grafisch veranschaulicht sowie symbolisch und numerisch dargestellt wird. Die allgemeine Formel selbst wird erst in einer Zusammenfassung angeführt bzw. kann in einem Glossary (verknüpft mit der Textseite) nachgelesen werden. Abb. 5 zeigt die Textseite der Additionsregel.

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Abb. 5

Die Formel der Kettenregel wird in Rule of Chain angegeben und anhand konkreter Funktio-nen grafisch dargestellt.

Abgeschlossen wird dieser vom Programm vorgeschlagene Grunddurchgang mit einigen ausgewählten Beispielen mit folgenden Schwerpunkten:

- „Zeichnen“ der Ableitungsfunktion f‘ zu einer grafisch vorgegebenen Funktion f (durch „Ziehen“ von Punkten – s. Abb. 8a und 8b)

- symbolisches Differenzieren

- Veränderung der Position des Lichtstrahl eines Leuchtturms in Abhängigkeit von der Zeit.

Als Ergänzung bzw. Vertiefung dieses Grunddurchgangs bietet Calculus Connections im Bereich der Concepts einen Abschnitt über Ableitungen höherer Ordnung (Higher Order Derivatives) an, in dem auf die mögliche Existenz solcher Ableitungen hingewiesen wird und einige innermathematische Beispiele vorgeführt und grafisch dargestellt werden. Im Bereich der Exercises werden noch weitere Aufgaben – inner- und außermathematischer Art – ange-boten, zum Teil auch mit direkter Verknüpfung zu den Computeralgebrasystemen Derive, MathCad, Maple bzw. Mathematica (CAS Problems).

Neben diesem von Calculus Connections vordefinierten Durchgang durch das Modul Rates of Change and Differentiation besteht für die Lernenden auch die Möglichkeit, selbst festzulegen, welche Unterkapitel (Sektionen) des Moduls und in welcher Reihenfolge diese bearbeitet werden. Dabei gibt es für die Lernenden vom Programm her keine Einschränkungen bei der Auswahl. Das heißt, es gibt keine Unterkapitel Z, die erst angesprochen werden können, wenn bereits Unterkapitel X oder Unterkapitel Y behandelt wurde. Es gibt umgekehrt für die Lernenden aber auf der CD auch keine Hinweise, welche Voraussetzungen für die Bearbeitung der einzelnen Unterkapitel erforderlich sind bzw. sinnvoll wären. Diese Hinweise müssen im Workbook nachgelesen werden. Es wäre vorteilhaft, wenn auch auf der CD – wie dies im Workbook der Fall ist – zu Beginn jedes

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Kapitels Voraussetzungen für die Bearbeitung des Kapitels und ev. auch allgemeine und mathematikspezifische Lehrziele des Kapitels angegeben wären. Dadurch würde den Lernenden eine Orientierungshilfe angeboten und einem für das Lernen von Mathematik ineffizienten, wahllosen Abarbeiten der einzelnen Unterkapitel vorgebeugt werden. In der derzeit vorliegenden Form sind die von Calculus Connections gebotenen Möglichkeiten, die Reihenfolge der Bearbeitung der Unterkapitel frei zu wählen, für die Lernenden nicht sinnvoll einsetzbar, ohne dass sie Gefahr laufen, schon bald fachlich-inhaltlich an ihre Grenzen zu stoßen und den Ausführungen nicht mehr folgen zu können. Man wird den Lernenden somit empfehlen müssen, – sofern nicht der vom Programm angebotene Durchgang gewählt wird – die Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses der einzelnen Bereiche (Applications, Concepts, Exercises) beizubehalten, also die Unterkapitel linear von „oben nach unten“ abzuarbeiten.

Das Laboratory Workbook ergänzt dieses Modul um Informationen über Vorkenntnisse, die für dieses Kapitel benötigt werden, sowie über Ziele, die mit diesem Kapitel verbunden werden, und es beschreibt und interpretiert die beiden im Zusammenhang mit dem Ableitungsbegriff (auf der CD) behandelten Anwendungssituationen. Weiters werden für ausgewählte Unterkapitel wie etwa Differentiation as a Limit oder Rate of Change and Slope oder Higher Derivatives nochmals die zentralen Aussagen dieser Abschnitte zusammengefasst und an manchen Stellen um Ausführungen auf der algebraischen Ebene ergänzt. So wird z. B. die Ableitungsformel der quadratischen Funktion f: x→x2 oder der kubischen Funktion f: x→x3 hergeleitet oder auch jene der trigonometrischen Funktion f: x→sin(x). An einer anderen Stelle wird etwa die Produktregel oder die Kettenregel an konkreten (innermathematischen) Beispielen angewandt (z. B. Bestimmen der Ableitung von f: x→(x+2)sin(x); f: x→(x+1)10).

Weiters werden im Workbook zusätzliche Aufgaben sowohl zur händischen Bearbeitung wie auch zur Bearbeitung mit dem Computer, insbesondere mit einem CAS, sowie Arbeitsblätter mit Problemstellungen im Kontext der zwei auf der CD behandelten Anwendungssituationen (Geschwindigkeit eines Autos, Ballonflug) angegeben.

In welcher Form das Workbook eingesetzt wird und zu welchem Zeitpunkt – vor Behandlung des CD-ROM Lehrtextes, parallel dazu oder nach Bearbeitung des CD-ROM Lehrtextes bleibt den Benutzern/innen überlassen. Eine Beziehung zwischen CD und Workbook wird nicht expliziert, Querverweise zwischen CD und Workbook findet man bei der Einführung des Ableitungsbegriffs nicht. Ein sinnvolles Zusammenwirken der beiden Softwareteile ergibt sich nicht von selbst.

4. Chancen und Grenzen einer interaktiven, hypermedialen Einführung des Ableitungsbegriffs

4.1 Interaktives Mathematiklernen

Interaktivität spielt bei dem von Calculus Connections vorgegebenen Zugang zum Begriff „Ableitung“ eine bedeutende Rolle. Während bereits die Miteinbeziehung von Computer-algebrasystemen in den Mathematikunterricht die Möglichkeit unterstützt, selbst etwas auszu-probieren, dabei Besonderheiten, Regelmäßigkeiten u. Ä. zu „entdecken“ und so konkrete Erfahrungen mit mathematischen Begriffen zu sammeln, handelt es sich bei Calculus Connections um einen interaktiven Lehrtext. Den Lernenden werden dabei verschiedene

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Möglichkeiten angeboten, aktiv in die Bearbeitung des Lehrstoffes einzugreifen:

Experimentelles Untersuchen von Grafiken

Grafische Darstellungen als Veranschaulichung von mathematischen Konzepten spielen bei Calculus Connections bei der Einführung des Ableitungsbegriffs eine zentrale Rolle. Bei den Grafiken handelt es sich meist um Standbilder, in die von den Lernenden in einer von der Software vorgegebenen Art und Weise eingegriffen werden kann. So kann etwa das Verhalten der Sekanten(steigungen) bei immer kleiner werdender Intervalllänge anhand von Funktions-graphen direkt am Bildschirm untersucht werden. Sowohl die Stelle, die untersucht werden soll, als auch die Intervallbreite können dabei direkt am Bildschirm (in der Grafik) beliebig variiert werden (s. Abb. 6).

Abb. 6

Oder es kann das Verhalten des Funktionsgraphen einer an einer Stelle x0 differenzierbaren Funktion unter dem Funktionenmikroskop, also durch mehrmaliges Vergrößern des entspre-chenden Bereichs, beobachtet werden („Linearisierung von Funktionen“) und mit dem Verlauf der Tangente der Funktion an der Stelle x0 verglichen werden (s. Abb. 7). Der Zoomvorgang kann allerdings jeweils nur 4-mal angewandt werden; ein beliebig oftmaliges Zoomen ist nicht möglich.

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Abb. 7

Ein anderes Beispiel wäre etwa die Möglichkeit, selbst den Graphen der zu einer Funktion f gehörenden Ableitungsfunktion f’ durch „Ziehen” von einzelnen Punkten der Grafik zu zeichnen (s. Abb. 8a und Abb. 8b).

Abb. 8a Abb. 8b

Weiters wird etwa bei der Behandlung der diversen Ableitungsregeln von Calculus Connections empfohlen, die einzelnen Funktionsparameter zu variieren und die jeweiligen Auswirkungen zu beobachten, um so Gesetzmäßigkeiten zu erkunden. Diese vom Programm vorgeschlagenen Interaktionen können allerdings an mehreren Stellen – vermutlich aufgrund eines Programmfehlers – nicht aktiviert werden.

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Lernende bestimmen, welche Funktionen analysiert werden

In einigen Unterkapiteln können die Lernenden aus einer Liste von Funktionen jene auswählen, anhand derer bestimmte Untersuchungen durchgeführt werden sollen bzw. ein bestimmtes Phänomen veranschaulicht werden soll. Eine solche Auswahl durch den/die Lernende/n kann immer nur aus einer von Calculus Connections vorgegebenen Liste getroffen werden, die Eingabe eines Funktionsterm nach freier Wahl ist in diesem Modul nicht möglich.

Für die Untersuchung des Sekantenverhaltens im Unterkapitel Differentiation as Limit of Slope of Secants kann etwa aus der in Abb. 9 dargestellten Liste von Funktionstermen ausgewählt werden.

Abb. 9

Die zu Beginn eines Abschnitts getroffene Funktionsauswahl gilt für den gesamten Abschnitt. Anhand der ausgewählten Funktion werden sämtliche mathematische Begriffe, Beziehungen, die Thema dieses Abschnitts sind, veranschaulicht und erläutert. Im Falle von Differentiation as Limit of Slope of Secants also das Verhalten der Sekantensteigungen (bei immer kleiner werdender Intervallbreite) sowie die Einführung der Begriffe Tangente und Ableitung einer Funktion. Durch „Zurückblättern“ an den Anfang des Unterkapitels (und Neuauswahl eines Funktionsterms) können die Untersuchungen mehrmals hintereinander mit verschiedenen Funktionen wiederholt werden.

Ein weiteres Beispiel: Im Unterkapitel Rules of Differentiation of Expressions werden diverse Ableitungsregeln (Summensatz, Produktregel, Quotientenregel) behandelt, wobei die grafische Darstellungsebene im Vordergrund steht. Den Lernenden wird dabei die Möglichkeit geboten, sich die Funktionen, auf die eine bestimmte Ableitungsregel angewandt werden soll, aus einer „Angebotsliste“ selbst zusammenzustellen. D. h. Termstruktur und Parameterwerte können im Rahmen der vom Programm gebotenen Möglichkeiten für jede (Teil-)Funktion frei gewählt werden (s. Abb. 10).

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Abb. 10

Analog wird bei der Behandlung der Kettenregel (Unterkapitel The Chain of Rule) vorgegangen.

Fragen an die Lernenden

An einigen wenigen Stellen weist Calculus Connections Züge eines fragend-entwickelnden Unterrichts auf. In den Lehrtext sind immer wieder explizit Fragen an die Lernenden eingebaut, die sich auf gerade durchgeführte Untersuchungen beziehen und auf eine Verbalisierung von gemachten Beobachtungen abzielen. Meist sind drei Antwortmöglichkeiten vorgegeben, aus denen durch Anklicken ausgewählt werden kann. So ist etwa am Ende von diversen Experimenten zum Sekantenverhalten die in Abb. 11a dargestellte Frage zu beantworten oder im Zusammenhang mit der Behandlung von Ableitungsformeln die Ableitungsformel einer Polynomfunktion 4. Grades anzugeben (s. Abb. 11b).

Abb. 11a Abb. 11b

Bei der Lösung von Aufgaben können die Antworten meist selbst eingetippt werden (s. Abb. 12). Die dabei anzuwendende Syntax ist allerdings wenig benutzerfreundlich und entspricht

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nicht den von aktuellen Softwarepaketen, insbesondere von CAS, gebotenen Standards.

Abb. 12

Die Lernenden erhalten jeweils unmittelbar nach Beantwortung der Frage eine Rückmeldung. Im Falle einer falschen Lösung wird den Lernenden von Calculus Connections sowohl ein Lösungshinweis (z. B. anzuwendende Ableitungsformel) als auch das sofortige Anzeigen der richtigen Lösung angeboten.

Simulation

Vereinzelt besteht die Möglichkeit, die zu untersuchenden Funktionen durch Simulationen konkreter (Anwendungs-)Situationen zu kreieren. So kann man etwa die Fahrt eines Autos simulieren, in dem man als Benutzer/in selbst die Geschwindigkeit des Autos bestimmt (mehr oder weniger Gas geben, bremsen). Die auf diese Weise simulierte Autofahrt wird vom Pro-gramm übernommen, und die Daten werden direkt in Funktionsgraphen (Zeit-Weg-Funktion, Zeit-Geschwindigkeit-Funktion) übertragen (s. Abb. 13). Diese so erzeugten Funktionen wer-den dann für alle weiteren Untersuchungen des entsprechenden Abschnitts herangezogen.

Abb. 13

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Ein anderes Beispiel ist etwa die Simulation eines Ballonfluges: Durch Festlegung der Temperatur soll die Flugbahn des Ballons beeinflusst werden und ein Ballon an einem vorge-gebenen Punkt zur Landung geführt werden (s. Abb. 14).

Abb. 14

Durch diese beiden Simulationsmöglichkeiten können Auswirkungen von Änderungen (Geschwindigkeit, Temperatur) für die Lernenden direkt erlebbar und experimentell erkundbar werden. Die Modellierungen vereinfachen allerdings in beiden Fällen stark die Realität, und es ist wohl eher die Motivationsidee vorherrschend als die Idee einer Modellierungen von konkreten Anwendungssituationen durch Mathematik.

Direkte Verknüpfung mit Computeralgebrasystemen

Die von Calculus Connections angebotenen Exercises beinhalten auch einen Aufgabenblock, der mit einem Computeralgebrasystem behandelt werden soll. Diese Aufgaben sind im Unter-kapitel CAS Problems zusammengefasst. Die Lernenden können in diesem Fall direkt von Calculus Connections aus eines der Computeralgebrasysteme Mathematica, Maple, MathCad, Derive aufrufen. (Voraussetzung dafür ist allerdings, dass den Lernenden eines der genannten CAS zur Verfügung steht, da keines der CAS in Calculus Connections direkt integriert ist.) Die Aufgabenstellung sowie Lösungshinweise werden dann (automatisch) in das Arbeitsblatt des gewählten CAS übernommen. In Abb. 15 ist ein solches Arbeitsblatt für das CAS Derive dargestellt.

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Abb. 15

Bei den zwei unter CAS Problems angeführten Problemstellungen handelt es sich allerdings um Aufgaben, für deren Lösung das CAS lediglich als „Rechenknecht“ einzusetzen ist (ermitteln der Tangentensteigung an einer Stelle x0 (s. Abb. 15); ermitteln von Änderungsraten in einem Anwendungskontext). Problemstellungen, die etwa ein experimentelles, exploratives Arbeiten erfordern, fehlen. Die interaktiven Möglichkeiten von Computeralgebrasystemen werden nicht genutzt.

Außerhalb dieser explizit als CAS Problems ausgewiesenen Aufgaben kann darüber hinaus eines der genannten CAS zu jedem beliebigen Zeitpunkt aktiviert werden und steht den Lernenden ebenso wie ein in Calculus Connections direkt integrierter Funktionenplotter (zwei- und dreidimensional) und ein Taschenrechner durchgängig als Hilfsmittel zur Verfügung. Bei der Bearbeitung des Moduls Rates of Change and Differentiation tritt allerdings keine Situation auf, wo diese Tools benötigt werden.

Was bedeuten diese interaktiven Möglichkeiten für das Lernen von Mathematik?

Der in Calculus Connections verfolgte Ansatz der Interaktivität stellt eine Form des Umgangs mit mathematischen Inhalten dar, der in traditionellen Unterrichtsmaterialien wie Schulbüchern nicht realisiert werden konnte. Die Lernenden können bei Calculus Connections zwar nicht in den (Lehr-)Text an sich eingreifen und Textpassagen verändern, ergänzen, markieren, sie können aber – wie oben beschrieben – Experimente anhand der angebotenen grafischen Darstellungen durchführen, selbst festlegen, anhand welcher Funktionen bestimmte Untersuchungen durchgeführt werden, etc. Während diese Möglichkeiten auch durch Einbeziehung von Computern und dabei insbesondere von CAS in den Mathematikunterricht gegeben sind (vgl. z. B. Schneider 1997; Peschek 1998), liegt das Neue von Calculus Connections in der direkten interaktiven Verknüpfung von Grafiken und (Lehr-)Text. Die Lernenden werden an verschiedenen Stellen des Textes explizit zu einem experimentellen Vorgehen aufgefordert. Die Experimente können anhand der eingebauten interaktiven Grafiken direkt im Textzusammenhang durchgeführt werden und der weitere

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Lehrtext baut auf diesen Untersuchungs- und Beobachtungsergebnissen auf. (Wobei der Lehrtext auch ohne Durchführung der Experimente bearbeitet werden könnte.) Den Lernenden wird dadurch die Möglichkeit der Veranschaulichung mathematischer Konzepte und der selbstständigen Erkundung von Regel- und Gesetzmäßigkeiten auf einer visuellen Ebene geboten. Dadurch wird der Aufbau eines intuitiven Verständnisses von mathematischen Begriffen, in unserem Fall vom Ableitungsbegriff, unterstützt. Gleichzeitig werden ein aktives Umgehen mit Problemstellungen, die eigenständige Entwicklung von Strategien zur Mustererkennung und zum Erkennen von Beziehungen usw. – also durchaus kreative Fähigkeiten, die der Beschäftigung mit Mathematik und dem mathematischen Verständnis dienlich sein können, – gefördert (vgl. u. a. Weigand 1995).

Dem interaktiven Vorgehen der Lernenden werden von Calculus Connections aber auch deut-liche Grenzen gesetzt, die Interaktionsmöglichkeiten von Calculus Connections bleiben oft hinter denen „traditioneller“ Software, wie etwa eines CAS, zurück. Die Lernenden werden bei ihren Experimenten und Untersuchungen in einem hohen Ausmaß von Calculus Connections geleitet. Die Experimentierschritte werden ebenso wie die zu untersuchenden Funktionen vom Programm vorgegeben (oder können aus einer vom Programm vorgegebenen Liste ausgewählt werden), die Manipulationsmöglichkeiten der Grafiken beschränken sich auf jene Schritte, die direkt zu der gewünschten Beobachtung führen (sollten). Darüber hinaus gehende Manipulationen und Untersuchungen (z.B. mit anderen Funktionen) können nicht durchgeführt werden, lediglich eine Änderung des am Bildschirm dargestellten Ausschnitts des Funktionsgraphen ist in manchen Fällen möglich. Die Begrenztheit der Interaktionsmöglichkeiten kann in vielen Fällen durchaus ein Vorteil sein, da dadurch einerseits die Aufmerksamkeit fokussiert werden kann und andererseits ein orientierungsloses Herumexperimentieren verhindert wird. Umgekehrt können Handlungsmöglichkeiten, die einen nur sehr geringen Spielraum lassen m. E. auch demotivierend sein und das Interesse des Lernenden/der Lernenden an dieser Manipulationsmöglichkeit kann bereits nach einem kurzen Ausprobieren des Effekts auf den Nullpunkt sinken lassen. Viele Manipulationsmöglichkeiten von Calculus Connections verleiten dazu, nach einmaligem „Ausprobieren“ im Text weiterzublättern.

Weiters ist die Auswahl der Funktionen, die zur Einführung des Ableitungsbegriffs herange-zogen werden können und an denen bestimmte Phänomene veranschaulicht und demonstriert werden, sehr einseitig. Es handelt sich ausschließlich um Beispiele für differenzierbare Funk-tionen. Nicht differenzierbare Funktionen werden nicht behandelt. Das heißt, die untersuchten Funktionen bzw. zur Untersuchung vorgeschlagenen Funktionen sind stets Beispiele für ein bestimmtes Phänomen, für eine bestimmte Eigenschaft. Gegenbeispiele werden nicht thema-tisiert und können vom Lernenden/von der Lernenden somit auch nicht untersucht werden bzw. deren Verhalten in bestimmten Situationen kann nicht beobachtet werden. Durch den Verzicht auf Gegenbeispiele kann der Aufbau von einseitigen, unzureichenden Begriffsvor-stellungen unterstützt werden.

4.2 Phänomenologisches Begriffsverständnis

Die Einführung des Ableitungsbegriffs erfolgt bei Calculus Connections auf einer intuitiven Ebene. Der Begriff der Änderungsrate etwa wird über die Steigung von Sekanten bei immer kleiner werdender Intervallbreite eingeführt. Die Lernenden sollen dabei mit verschiedenen Sekantensteigungen experimentieren und beobachten, was im Falle der Differenzierbarkeit

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eintritt, sowie durch Abfahren von Funktionsgraphen beobachten, welcher Zusammenhang zwischen Änderungsrate und Tangentensteigung als Steigung einer Kurve besteht. Der Übergang von der Sekante zur Tangente wird auf intuitiver Ebene behandelt, eine theoretische Fundierung und Begründung des auf grafischer Ebene beobachteten Phänomens erfolgt nicht. Der Aspekt der links- und rechtsseitigen Näherung der Sekanten(steigungen) wird nicht angesprochen, die Begriffe Differenzen- und Differentialquotienten werden nicht eingeführt, die Quotienten werden meist als Sekanten(steigungen), Tangenten(steigungen) oder Änderungsraten bezeichnet.

Im Workbook werden keine weiterführenden Aspekte angesprochen, es erfolgen keine Theoretisierungen.

Querverbindungen zu Inhalten anderer Unterkapitel werden nicht explizit hergestellt (s.u., Kap. 4.4). Bestehende Beziehungen müssen vom Lernenden/von der Lernenden selbst erkannt und hergestellt werden.

Diese bei Calculus Connections festgestellte Konzentration auf die Ebene der Phänomene kann unterstützend für den Aufbau intuitiver Vorstellungen sein. Die Lernenden werden mit Calculus Connections aber kaum über ein phänomenologisches Verständnis vom Ableitungs-begriff hinauskommen. Die mathematische Theorie als Erklärung für (beobachtete) Phänomene ergibt sich nicht von selbst, sondern muss in einem mathematischen Lehrtext explizit thematisiert werden (vgl. Graf/Fraser/Klingen/Stewart/Winkelmann 1992). Auch kann nicht erwartet werden, dass Beziehungen zwischen mathematischen Begriffen von den Lernenden ausschließlich aufgrund von Experimenten und dabei gemachten Beobachtungen erkannt werden. Calculus Connections bietet den Lernenden weder durch die CD noch durch das Workbook diesbezüglich eine unmittelbare Unterstützung.

Die Gefahr, dass dadurch ein eingeschränktes, fehlerhaftes Bild von zentralen Inhalten der Differentialrechnung aufgebaut wird, ist gegeben.

4.3 Anwendungsorientierung

Außermathematische Deutungen des Ableitungsbegriffs sind direkt in das Modul Rates of Change and Differentiation eingebaut. Zwei Anwendungsbereiche, Geschwindigkeit eines Autos und Steigen/Sinken eines Heißluftballons, werden durch kurze Filme vorgestellt. Diese Filme haben Motivationscharakter. Sie stellen den jeweiligen Anwendungsbereich vor und werfen ein Problem auf. Positiv dabei ist, dass die Filme nicht nur eine mögliche außermathe-matische Anwendungssituation vorstellen, sondern dass das im Film angesprochene Problem anschließend mathematisch modelliert, thematisiert und ein erster Lösungsansatz angeboten wird. Die Einführung der mathematischen Begriffe, Verfahren, Konzepte erfolgt dann aber anhand innermathematischer Beispiele, ohne einen Bezug zu den zuvor behandelten Anwendungen herzustellen. Die außermathematische Interpretation von mathematischen Begriffen und die innermathematische Beschreibung dieser Begriffe könnten dadurch von den Lernenden als zwei getrennte, in keiner Beziehung stehende Bereiche gesehen werden. Eine stärkere Verknüpfung dieser Ebenen würde einem Aufbau einer solchen Fehlvorstellung entgegenwirken.

4.4 Hypertext

Rates of Change and Differentiation ist ein abgeschlossenes Modul mit Unterkapiteln, die den

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Bereichen Applications, Concepts und Exercises zugeordnet sind. Eine Verknüpfung des Moduls mit anderen Modulen ist ebenso wenig gegeben wie eine Verknüpfung der einzelnen Unterkapitel. Jedes Kapitel bzw. Unterkapitel ist also für sich abgeschlossen. Jedes Unterkapitel schließt mit einer Zusammenfassung (Summary) der im Unterkapitel behandelten Inhalte ab.

Die Unterkapitel sind linear organisiert. D. h. der Inhalt einer Sektion kann nur in der vorgegebenen Abfolge bearbeitet werden; innerhalb des Kapitels ist nur ein seitenweises Zurück- bzw. Vorblättern möglich. An manchen Stellen der Software kann auch direkt zum Anfang des Unterkapitels gesprungen werden.

Die einzelnen Unterkapitel sind verlinkt mit einem Glossary, so dass einzelne (vom Programm vorgegebene) Begriffe (z. B. secant, tangent, derivative, speed, trancendental functions, linear functions) direkt nachgeschlagen (nachgelesen) werden können. (In Abb. 16 ist dies für den Begriff secant dargestellt.) Vom Glossary aus kann nicht in die Unterkapitel bzw. Module gesprungen werden.

Abb. 16

Eine Typisierung der Links (vgl. Kadunz/Ossimitz/Peschek/Schneider/Winkelmann 1997) ist zwar nicht explizit gegeben, wäre aber auch nicht erforderlich, da als einzige Verknüpfung von Textpassagen der (einseitige) Link ins Glossary gegeben ist.

Inhaltliche Vernetzungen werden in Calculus Connections also kaum explizit durch Verlinkung „sichtbar“ gemacht. Hypertext, als eine neue Strukturierungsmöglichkeit von mathematischen Inhalten, spielt bei der Einführung des Ableitungsbegriffs keine Rolle, die Strukturierung dieses mathematischen Inhalts erfolgt in Calculus Connections auf traditionellem Wege. Es wird nicht versucht, die Möglichkeiten neuer Technologien dahingehend auszunutzen, um die Vernetzung einzelner mathematischer Inhalte (Begriffe, Verfahren, Konzepte) stärker herauszuarbeiten, sei es um so das Erkennen fundamentaler mathematischer Ideen der Ableitung und deren (inner- und außermathematische) Bedeutung zu unterstützen oder auch um das Herausarbeiten lokaler Konzepte des Ableitungsbegriffs und deren Bedeutung in den Vordergrund zu stellen. Calculus Connections scheint diesbezüglich also keine neuen, nicht auch schon bei traditionellen Lehr- und Lernmaterialien

17

möglichen Aspekte in das Lehren und Lernen des Ableitungsbegriffs einzubringen.

Der Sprung ins Glossary kann zwar an manchen Stellen recht nützlich sein, stellt aber auch keine wirkliche Erweiterung der traditionellen Lehrbücher dar. (Das Nachblättern im mathe-matischen Lexikon dauert vielleicht ein bisschen länger, das Resultat ist aber dasselbe). In vielen Fällen wäre es für die Lernenden auch interessanter und hilfreicher nicht nur die Möglichkeit zu haben, eine Kurzbeschreibung eines Begriffs nachzulesen, sondern sich tiefer-gehender über den Begriff zu informieren. Dazu müßte aber ein Sprung vom Glossary in das entsprechende Unterkapitel möglich sein. Hinzu kommt, dass manche Links ungünstig gesetzt sind, andere wiederum fehlen. So ist es etwa nicht notwendig einen Link ins Glossary an jener Stelle zu setzen, wo ein Begriff gerade definiert wird, wie dies z.B. beim Begriff der Ableitung der Fall ist (s. Abb. 17a). Umgekehrt wäre es sinnvoll und hilfreich jene Begriffe mit dem Glossary zu verknüpfen, die bedeutend oder sogar entscheidend für das inhaltliche Verstehen der nachfolgenden Textpassage sind, wie dies etwa im in Abb. 17b dargestellten Textausschnitt für den Begriff differentiable (der im Glossary auch beschrieben ist) der Fall ist.

Abb. 17a Abb. 17b

Vereinzelt findet man auch irreführende Links. So erwartet man etwa von dem in Abb. 18a angezeigten Link linear function eine Beschreibung/Definition der linearen Funktion. Ein Aktivieren des Links liefert aber eine Herleitung der Ableitungsformel für lineare Funktionen (s. Abb. 18b)

Abb. 18a Abb. 18b

Versteht man den Produktnamen Calculus Connections auch als einen Hinweis auf „Verbin-dungen/Verknüpfungen innerhalb der Analysis“, so bleibt das Produkt deutlich hinter den

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damit geweckten Erwartungen zurück. Die durch Hypertextstrukturen eröffneten Chancen des „Sichtbarmachens“ von Beziehungen zwischen mathematischen Begriffen, Konzepten und bestehenden Zusammenhängen von mathematischen Inhalten werden in keiner Weise genützt.

5. Resumé Mit dem untersuchten Modul aus Calculus Connections liegt eine multimediale Lernumgebung für den Ableitungsbegriff vor. Text, Hypertext, Grafiken, Filmsequenzen, Ton sowie Interaktivität sind in die Software integriert, allerdings bleiben einzelne Möglichkeiten der genannten multimedialen Elemente bei der Einführung in den Begriff „Ableitung“ ungenützt.

Obwohl Calculus Connections vorrangig für den nordamerikanischen Raum konzipiert wurde und einige Anwendungssituationen auch unter diesem Aspekt ausgewählt wurden (siehe Parker 1996), kann das Programm auch problemlos in anderen geografischen Regionen eingesetzt werden.

Experimentelles Arbeiten ist mit Calculus Connections zweifellos gut durchführbar, doch sollte man sich gewisser Einschränkungen und damit verbundener Konsequenzen bewusst sein. Ein Einsatz von Calculus Connections bei der Einführung des Ableitungsbegriffs scheint mir als Ergänzung zu einem „herkömmlichen“ Mathematikunterricht denkbar, nicht aber als vollständiger Ersatz. Das durch Calculus Connections erzeugte Bild von Ableitung ist m. E. zu einseitig und eingeschränkt, weshalb mir eine Beschränkung im Mathematikunterricht auf diesen Zugang zum Ableitungsbegriff problematisch scheint. Ein Heranziehen einzelner Teile schiene mir aber als Unterstützung eines experimentell, explorativen Vorgehens zum Aufbau intuitiver Vorstellungen vom Ableitungsbegriff sowie zur Veranschaulichung bestimmter Phänomene sinnvoll. Eine theoretische Begriffsbildung kann davon allerdings nicht erwartet werden und wird durch Calculus Connections auch nicht unterstützt.

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Werner Peschek, Universität Klagenfurt

Didaktische Überlegungen zu , einer interaktiven Hypermedia-Lernumgebung für die Stochastik

1. Zum didaktischen Umfeld von Hypermedia-Lernumgebungen In den letzten zehn Jahren wurden rund um den Computer technologische Möglichkeiten ent-wickelt, verfügbar gemacht und verbreitet, die nachhaltigen Einfluss auf die Konzeption und Gestaltung mathematischer Lernumgebungen und damit auf die mathematische Ausbildung haben (können):

Konnten Taschenrechner noch als ein Werkzeug gesehen werden, das sich weitgehend darauf beschränkte, die Mathematikausbildung vom Drill arithmetischer Operationen zu entlasten, so werden heute durch Tabellenkalkulationsprogramme, Softwareprodukte zur Geometrie, Statistik u. a., vor allem aber durch hochleistungsfähige Computeralgebrasysteme bereits wesentliche Teile der traditionellen mathematischen Ausbildung in der Sekundarstufe II in ihren Zielen, Inhalten, Methoden und Sozialformen ziemlich radikal in Frage gestellt (vgl. etwa Schneider 1997). Weitgehend unangetastet bleibt dabei lediglich die traditionell durch Lehrer/in, Lehrplan, Lehrbuch und Klassenverband determinierte Lernumgebung – auch wenn sich gewisse „Aufweichungen“ hinsichtlich Lehrerzentriertheit, Lehrplaninterpretation, Gestaltung von Arbeitsunterlagen wie auch hinsichtlich unterrichtlicher Sozialformen zeigen (vgl. etwa Schneider 1998).

Interaktive Hypermedia-Lernumgebungen auf CD-ROM oder im Internet scheinen nun aber auch diese letzten Bastionen traditioneller Lernorganisationen anzugreifen: Nicht nur, dass Lehrer/innen und Lehrbücher ihr Monopol als Wissensquelle und als höchste fachliche Auto-rität verlieren, es wird ihnen durch preisgünstige CD-ROMs oder gar frei zugängliche Internet-Angebote scheinbar auch noch die Aufgabe entzogen, ihren Schüler/innen ansprechende Lernumgebungen anzubieten, in denen sich ein angemessener und verständnisvoller Umgang mit Mathematik entwickeln kann. Zugleich wird mindestens implizit, nicht selten aber auch explizit unterstellt,

dass das System Schule und die in ihr tätigen Lehrer/innen dieser Aufgabe ohnehin nicht angemessen gerecht werden:

It seems that formal education lets you get away with a great amount of half digested knowledge (Elshout 1992, S. 15),

Many a student has been frustrated by a professor who simply did not know how to teach (Jones 1992, S. 2),

dass entsprechende Softwareprodukte dieser Aufgabe weit besser gerecht werden (können) als jeder Lehrer und jede Lehrerin und dass jene Mathematik, die man bisher so mühsam und quälend erlernen musste, nun plötzlich ganz „easy“ und sogar „funny“ geworden ist:

Der Computer als Nachhilfelehrer in Sachen Mathematik – besser als einer aus Fleisch und Blut. (Neue Westfälische, 5. 12. 1997, Computerseite)

So macht Mathe Spaß: Maaß und Stöckl haben mit ihren Programmen einen Nach- hilfelehrer geduldigster Natur geschaffen, der außerdem die Fähigkeit hat, Mathe- matik mit einfachen Worten und mit realitätsnahen Beispielen greifbar zu machen.

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Mit Hilfe der Sprachpräsentation und der übersichtlichen Oberfläche verstehen die Schüler auf unterhaltsame Weise nicht nur wie, sondern auch, warum sie rechnen. (Neue Westfälische, 5. 12. 1997, Computerseite)

Als Pluspunkte gegenüber dem herkömmlichen Mathematikunterricht gelten: hohe Motivation .... Offene Lernsoftware, es kann jederzeit etwas hinzugefügt bzw. weg- genommen werden .... Bessere Noten, da schächere Schüler höchst motiviert sind (aus: Erfahrungen mit Maths&Fun, http://www.mathsnfun.ac.at/erfahr.htm)

dass Lehrbücher, aber auch Lehrer/innen und Schule generell, angesichts eines solchen technologischen Angebots zu einem ebenso teuren wie verzichtbaren Anachronismus geworden sind:

Pro CD nicht teurer als zwei bis drei Nachhilfestunden – eine lohnenswerte Anschaf-fung. (Neue Westfälische, 5. 12. 1997, Computerseite)

Maths&Fun ersetzt Mathematiklehrbücher. ... Für eine Schule mit 500 Schülern, in der in einem Computerraum mit 20 PC Maths&Fun unterrichtet wird, belaufen sich die Kosten pro Schüler auf S 72.-. Im Vergleich mit einem Mathematiklehrbuch, ca S 250,-, bedeutet das die Reduktion auf etwa 1/3 der Kosten. (aus: Erfahrungen mit Maths&Fun, http://www.mathsnfun.ac.at/erfahr.htm)

The time has come to insist on the real free enterprise restructuring of the education sector that will deliver lots more bang for lots fewer bucks (Perelman 1992, S. 114)

In the wake of HL (Hyperlearning, Anm.) revolution, the technology called ´school´ and the social institution commonly thought of as ´education´ will be obsolete and ultimately extinct as the dinosaurs (Perelman 1992, S. 50).

Die didaktisch (und verkaufsstrategisch) zentralen Schlüsselbegriffe dieser neuen Technologien sind Interaktivität, Hypertext und Multimedia (und daraus zusammengesetzte bzw. abgeleitete Begriffe wie Hypermedia oder Hyperlearning), hinzu kommen untergeordnete Hilfsbegriffe wie Navigation oder Hyperlink.

Stark vereinfacht, aber für die vorliegende Arbeit ausreichend, versteht man

unter Interaktivität die Möglichkeit, als Benutzer (Lernender) in die vorliegende Situation einzugreifen und damit auf das Folgende (und eventuell auch auf das Vorangegangene) Einfluss zu nehmen;

unter Multimedia den Einsatz verschiedener medialer Formen der Darstellung von Sach-verhalten (akustisch durch gesprochene Worte, Musik, Geräusche etc., optisch durch Text, Tabellen, statische oder auch bewegte Bilder etc.)

unter Hypertext eine Textarchitektur, die es erlaubt, von einer bestimmten, gekenn-zeichneten Textstelle nichtlinear zu einer anderen zu springen, wofür entsprechende Verbindungen, sogenannte Hyperlinks, erforderlich sind; erfolgen die Sprünge nicht nur zwischen Textstellen, sondern auch zu bzw. zwischen medial anders dargestellten Stellen, dann spricht man von einer hypermedialen Lernumgebung, wenn man in solchen Hyper-Umgebungen lernt, dann nennt man das Hyperlearning, und wenn man sich in einer solchen Hyper-Umgebung nicht verlieren will, dann muss man in ihr navigieren können.

Diese Fachtermini entstanden im Kontext neuer Computertechnologien oder erfuhren hier eine Renaissance, die Begriffsinhalte hingegen sind nicht wirklich neu: Interaktivität haben Lehrer/ innen ihren Schülern/innen (oft zu deren Leidwesen) immer schon abverlangt; das

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Inhaltsverzeichnis, das Sachregister, ein Glossary sowie Seitenverweise prägen jedem Lehrtext eine (einfache) Hypertextstruktur auf und jeder Lehrer und jede Lehrerin bemüht sich darum, diese Beziehungsstruktur sinnvoll zu erweitern (wenn die Schüler/innen dabei Navigationsprobleme haben, gilt meist der/die Lehrer/in als sprunghaft oder zerstreut); multimedial und hypermedial ist jede/r noch so traditionelle Lehrer/in und jeder noch so eintönige Unterricht ohnehin, das lässt sich gar nicht vermeiden.

Neu an der Sache ist, dass es technisch möglich geworden ist, (vergleichsweise einfache) Konzepte der Interaktivität, des Hypertexts und der Multimedialität in brauchbarer Weise auf Maschinen zu realisieren und diese für Bildungszwecke einzusetzen. Damit stellt sich an entsprechende Produkte jedenfalls die Frage nach der Qualität

- ihrer Konzepte und deren Implementierung in technologischer Hinsicht (eine entspre-chende Bewertung fällt i. A. in den Aufgabenbereich der Redakteure/innen von EDV-Zeitschriften, vgl. Maaß 1997, S. 340f)

- ihrer Konzepte in mediendidaktischer Hinsicht (wofür Mediendidaktiker/innen, Lern-psychologen/innen und Pädagogen/innen zuständig sind, Fachdidaktiker/innen nicht völlig inkompetent sondern beratend tätig sein sollten) und

- ihrer Konzepte in fachdidaktischer Hinsicht.

(Auch diese Kriterien sind keineswegs neu, sie wurden – teils mit anderen Bezeichnungen und graduell anderem Stellenwert – zusammen mit weiteren Kriterien immer schon zur Bewertung von Lernumgebungen herangezogen.)

Bei interaktiven Hypermedia-Lernumgebungen zur Mathematik wird sich aus mathematik-didaktischer Sicht zunächst die Frage stellen, wie diese Lernumgebungen aufgebaut sind und welche Möglichkeiten sie bieten, ob bzw. wie damit ein verständnisvolles Lernen von Mathe-matik vorstellbar wäre, ob bzw. in welcher Weise dabei mathematikdidaktische Intentionen unterstützt werden (können) und welcher Art die daran lernbare Mathematik ist. In einem zweiten Schritt kann und sollte es dann auch um die Frage gehen, ob heute verfügbare elektronische Lernumgebungen tatsächlich das leisten was zu leisten sie i. A. vorgeben (nämlich verständnisvolles Lernen zeit-gemäßer Mathematik in effizienter Weise zu ermöglichen oder wenigstens zu unterstützen) und ob bzw. in welcher Hinsicht sie dabei traditionellen Lernumgebungen überlegen sind.

In der vorliegenden Arbeit wird einigen dieser Fragen exemplarisch anhand eines Software-produkts zur Statistik nachgegangen, das nach Meinung dreier Rezensenten (Currall/Young/ Bowman, http:// www.stats.gla.ac.uk/cti/activities/reviews/97_11/activstats.htm) wie auch nach eigener Einschätzung technologisch wie mediendidaktisch überdurchschnittlich guten Standard repräsentiert, sodass eine weitergehende fachdidaktische Analyse lohnend erscheint (was ja bei weitem nicht für jedes der am Markt angepriesenen Produkte zutrifft).

2. ActivStats – A Multimedia Statistics Resource Bei dem von P. VELLEMANN (1997) entwickelten Produkt handelt es sich um eine auf CD (für MS-Windows und Macintosh) verfügbare Lernumgebung zur Einführung in die Statistik. Auf der Verpackung der CD-ROM heißt es (wohltuend bescheiden):

ActivStats is a complete statistics tutorial on CD-ROM. It mixes a full range of media to help you to lern and understand statistics concepts – video, simulation, animation, narration, text, interactive tools, Web access. Used in conjunction with Data Desk*6, it serves as a continuing reference for your ongoing work in data analysis.

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Die statistischen Inhalte von ActivStats

Der Kurs umfasst folgende Themengebiete der Stochastik:

Abb. 1

Mit diesen Inhalten bewegt sich der Kurs im wesentlichen im Rahmen schulischer Stochastik, an einigen Stellen wird deutlich verkürzt (vor allem in der Wahrscheinlichkeitsrechnung), an manchen Stellen geht der Kurs aber auch über die in der Schule üblichen Inhalte hinaus (z. B. Vergleich zweier Erwartungswerte, Hypothesentest für Regression).

2.1 Der Aufbau von ActivStats

Das Kernstück von ActivStats ist das Lesson Book, ein in einer symbolischen Ringmappe dargestellter Lehrtext:

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Abb. 2

Auf jeder Seite (die fallweise über eine Bildschirmseite hinausgeht) werden einige wenige stochastische Begriffe (Konzepte) behandelt. Dazu gibt es einen kurzen Einführungstext, unterbrochen von icons, die Hyperlinks zu sogenannten Activities herstellen. Diese Activities sind die für den lernenden Benutzer zweifellos zentralen Teile der Lernumgebung, sie beinhalten kurze Videofilme, von einem Sprecher kommentierte Einführungen (oft mit animierten Grafiken), interaktive Experimente und Kontrollfragen sowie Übungen mit Data

Desk*6. Weiters werden stets ein Link (') zu einschlägigen Literaturhinweisen (Abb. 3) und in Form von Asterisks (ι) oft auch Links zu weiterem Datenmaterial, zu weiteren textlichen Erklärungen (Einführung, Überblick), manchmal auch zu Verständnisfragen angeboten (Abb. 4).

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Abb. 3 Abb. 4

Das Lesson Book selbst ist in dem Sinn interaktiv, als sich der Text nach Abarbeitung einer Activity meist etwas verändert (vgl.dazu etwa den in Abb. 2 angegebenen Text des Lesson Book mit jenem in Abb. 5).

Ein senkrechter Balken auf der rechten Seite des Lesson Book verweist auf die Contents (ein interaktives Inhaltsverzeichnis mit Links zur entsprechenden Seite im Lesson Book), das Glossary (Register mit verlinkten Begriffserklärungen und Definitionen/Formeln), den Index (Links zur Definition im Glossary und zur entsprechenden Seite im Lesson Book) und Marks (eine Art Lesezeichen, das vor allem für Activities, aber auch für Asterisks und Literatur-hinweise gesetzt werden kann).

Im waagrechten Balken oben findet man die Möglichkeit, im Lesson Book vor und zurück zu blättern, auf die Statistik-Software Data Desk*6 überzuwechseln (Lupen-icon), weitere Übungsaufgaben (work; Haus-icon) zu bearbeiten, Projekte (proj; Hammer-icon) durchzu-führen oder sich ins Internet (web; Spinnweb-icon) zu begeben; gelegentlich werden auch weitere statistische Hilfsmittel (tools; Streifen-icon) angeboten.

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Abb. 5

Insgesamt fällt es nicht schwer (leichter als anhand der hier gelieferten Beschreibung vorstellbar), den Aufbau und die Struktur von ActivStats zu erfassen, sich darin zurecht zu finden und nicht den Überblick zu verlieren.

2.2 Die Hyperstruktur von ActivStats

ActivStats bietet durchgängig vielfältige Links unterschiedlicher Art:

- auf jeder Seite im Lesson Book findet man inhaltlich kommentierte Links zu verschie-denen Activities, bei manchen Begriffen findet man Links zur entsprechenden

Erklärung im Glossary, Links zu Literaturhinweisen (') und meist auch Asterisks (ι),

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die i. A. auf weitere erklärende Texte führen. Darüber hinaus kann natürlich auf die zuvor beschrie-benen Angebote im senkrechten bzw. waagrechten Balken zugegriffen werden.

- Von jeder Stelle in den Contents gibt es einen Link zur entsprechenden Seite im Lesson Book.

- Im Index findet man nach dem Anklicken mit der Maus zu jedem Begriff Links zu entsprechenden Seiten im Lesson Book wie auch einen Link zur entsprechenden Stelle im Glossary (mit Erklärung, Definition, Formel).

Abb. 6

- Im Glossary findet man bei den meisten erklärten Begriffen Links zur Glossary-Stelle einiger in der Erklärung verwendeten Begriffe (unterstrichene Begriffe – vgl. Abb. 7):

Abb. 7

In den Contents wie im Lesson Book werden bereits bearbeitete Inhalte bzw. Activities

sichtbar gekennzeichnet (abgehakt“). Diese Kennzeichnung kann – auch individuell von mehreren verschiedenen Benutzern – gespeichert werden.

Abb. 8

Auf zwei spezielle und sehr wesentliche Möglichkeiten der hyperstrukturellen Vernetzung sei

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hier zumindest kurz hingewiesen: Zum einen wird eine permanente Verbindung zur Software Data Desk*6 angeboten und deren Nutzung an vielen Stellen nahegelegt (womit auch gleich die wesentlichsten Grundlagen und Möglichkeiten von Data Desk*6 gelernt werden), zum anderen werden bei jedem Kapitel auch Verbindungen ins Internet aufgebaut, wobei dort jeweils Links zu einschlägigen Internetadressen (Daten, einschlägige Literatur, Hypertexte etc.) angeführt werden.

Beide Möglichkeiten führen weit über ActivStats im engeren Sinn hinaus, hin zu anderen, weiter-führenden Lernumgebungen zur Stochastik.

Pro und contra:

Mit der vollständigen Verlinkung der Contents mit der jeweiligen Seite im Lesson Book, der ausgiebigen Verlinkung des Glossary in sich selbst, mit der Verlinkung der im Index aufge-listeten Begriffe mit den entsprechenden Stellen im Glossary wie auch mit den entsprechenden Seiten im Lesson Book, mit den recht zahlreichen Links vom Lesson Book zu entsprechenden Begriffserklärungen im Glossary sowie zu Erweiterungen, Vertiefungen und einschlägigen Literaturstellen, mit der freien Wahl unterschiedlicher Activities und den optionalen Angeboten von Übungsaufgaben, kleineren Projekten, der Verwendung von Data Desk*6 oder auch der Daten- bzw. Literaturrecherche im Internet, nützt ActivStats alle nur denkbaren Möglichkeiten der hypermedialen Vernetzung der behandelten Inhalte. Das stets sichtbar aufgeschlagene Lesson Book zusammen mit den beiden Balken (und hier vor allem das Inhaltsverzeichnis) helfen recht gut, sich in diesen vielfältigen Verzweigungsangeboten nicht zu verlieren.

Andrerseits orientiert sich der inhaltliche Aufbau ausschließlich an der am Inhaltsverzeichnis er-sichtlichen linearen Abfolge der Inhalte, hyperstrukturelle Möglichkeiten der nichtlinearen Ver-netzung von stochastischen Inhalten werden nicht genützt, sodass eine Unterstützung von Lern-prozessen zur Entwicklung nichtlinearer kognitiver Strukturen kaum gegeben erscheint. Zumindest für einen ersten Durchlauf durch ActivStats empfiehlt es sich jedenfalls, die Inhalte in der durch das Inhaltsverzeichnis vorgegebenen Reihenfolge zu bearbeiten (andernfalls wird man an vielen Stellen die dort verwendeten Begriffe und Symbole nicht verstehen, die eine oder andere inter-aktive Activity vorzeitig abbrechen bzw. sich auf eine mühsame und unabsehbar langwierige Wanderung durch das Glossary beschränken müssen). Danach dürfte sich das Interesse dann aber ohnehin eher weg vom Lesson Book hin zu Data Desk*6 und den mit dieser Software angebotenen bzw. gelernten Möglichkeiten oder auch hin zu Internet-Angeboten verschieben.

2.3 Multimedia-Elemente von ActivStats ActivStats verwendet gesprochene Kommentare, Tonfolgen und Geräusche, geschriebene Texte, algebraische Darstellungen, Grafiken, bewegte Grafiken (Zeichentrickfilm, Anima-tionen, inter-aktive Experimente und Simulationen) sowie einige kurze Videofilme. Hinzu kommen die bereits erwähnten Verbindungen zu Data Desk*6 und zum Internet.

Gesprochene Kommentare, Texte, (bewegte) Grafiken und algebraische Darstellungen werden vor allem bei den Activities oftmals parallel eingesetzt, die folgende Darstellung vermag dies naturgemäß nur sehr eingeschränkt und mangelhaft wiederzugeben:

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Abb. 9

Kurze, aufmunternde Tonfolgen findet man beim Einstieg in die Activities, Geräusche (der Begeisterung oder der Enttäuschung) zum Beispiel nach erfolgreicher bzw. weniger erfolg-reicher Abarbeitung einer Kontrollfrage.

In Videofilmen wird jeweils ein außermathematischer Kontext (etwa Vermessung von Soldaten der US-Army, Schälen von Kartoffeln, Laboruntersuchung von Nahrungsmitteln, Start einer Raumfähre, mit Bildern und Filmsequenzen unterlegte historische Erzählungen etc.) dargestellt, in dem die folgenden stochastischen Konzepte eine Rolle spielen könnten.

Die bereits mehrfach erwähnte Verbindung zu Data Desk*6 und zum Internet bereichert ActivStats natürlich um alle dort verfügbaren multi- bzw. hypermedialen Angebote.

Pro und contra:

Ähnlich wie bei der Hyperstruktur versucht ActivStats auch im medialen Bereich fast alle Möglichkeiten zu nutzen, um die Darstellungen zu variieren bzw. verschiedene Darstellungen parallel einzusetzen. Allerdings beschränkt sich die multimediale Darstellung weitgehend auf die Activities, in denen oft gleichzeitig mit gesprochenen Kommentaren, geschriebenen Texten, mathematischen Symbolen und (bewegten) Grafiken gearbeitet wird; der wechselseitig ergänzende Bezug ist dabei i. A. ausreichend gegeben, die multimedialen Darstellungen haben i. A. große Plausibilität und hohen Erklärungswert.

Gewöhnungsbedürftig hingegen sind die an manchen Stellen eingebauten Tonfolgen und Geräusche (das Zirpen beim Sprung ins Data Desk*6, die Türklingel bei den Übungen, die Hammerschläge bei den Projekten, Töne der Begeisterung oder der Enttäuschung bei richtig bzw. falsch beantworteten Kontrollfragen usw.); diese akustischen Elemente scheinen vorran-

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gig auf infantile Emotionen der Benutzer abzuzielen, deren kognitive Lernprozesse aber eher zu stören als zu fördern. (Eine Möglichkeit, diese Geräusche abzuschalten ohne zugleich auch die durchaus hilfreichen bis unverzichtbaren gesprochenen Kommentare auszublenden, scheint es nicht zu geben.)

Die in den Activities gelegentlich angebotenen, kurzen Videofilme sollen den Benutzer offenbar exemplarisch auf konkrete Anwendungsfelder der Statistik hinweisen und so zum Lernen statistischer Methoden motivieren. Die Filme sind zwar recht nett gemacht, neben der am Monitor eher mäßigen Bildqualität ist es aber vor allem der nur eher lose, wenig konkrete Bezug des filmischen Geschehens zu den nachfolgenden statistischen Inhalten, der ihren (medien-)didaktischen Nutzen fraglich erscheinen lässt. Hinzu kommt eine gewisse Inkonsistenz hinsichtlich der Altersgemäßheit bzw. hinsichtlich des Anforderungsniveaus insofern, als dem Benutzer von ActivStats an vielen Stellen sehr viel mehr an Vorstellungs- und Abstraktionsleistung abverlangt wird als ihm an anderer Stelle durch dieses Filmangebot erleichtert bzw. erspart wird.

2.4 Zur Interaktivität von AktivStats

Mit einer Hyperstruktur sind gleichsam automatisch immer auch interaktive Eingriffsmöglich-keiten (Sprünge zu anderen Stellen) verbunden; die Möglichkeiten sind hier so vielfältig wie dies durch die Hyperstruktur vorgegeben ist.

Hinzu kommt bei ActivStats die Möglichkeit der Einbeziehung von Data Desk*6 (was immer auch interaktives Arbeiten bedeutet) und des Zugriffs auf Angebote im Internet mit den dort vor-findlichen interaktiven Möglichkeiten.

Der im Hinblick auf Interaktivität zweifellos interessanteste Teil von ActivStats liegt in den Activities, wo zu vielen lokalen statistischen Konzepten (etwa Histogramm, Korrelation, Konfidenz-intervall u. v. a. m.) interaktive Experimente bzw. Simulationen angeboten bzw. verlangt werden (an manchen Stellen können die Activities gar nicht weitergeführt werden, solange ein bestimmtes interaktives Experiment nicht erfolgreich beendet wurde!).

Zu erwähnen ist auch, dass sich selbst der zu einer Activity hinführende Text (geringfügig) verändert, nachdem die zugehörige Activity abgearbeitet wurde (vergleiche etwa den Text in Abb. 2 mit jenem in Abb. 5); bei einem Neustart von ActivStats können diese Änderungen beibehalten, aber natürlich auch rückgängig gemacht werden.

Pro und contra:

Eine Stärke elektronischer Lernumgebungen liegt zweifellos in der Möglichkeit der interakti-ven Gestaltung bestimmter Lernabschnitte; in ActivStats wird diese Möglichkeit vor allem durch den interaktiven Eingriff in (bewegte) Bilder bei gleichzeitiger Veränderung interessie-render Parameter an vielen Stellen sehr gut genützt. Hinzu kommen kleine Experimente (z. B. zur Geschicklichkeit der rechten und linken Hand bei der Bedienung der Maus), deren Ergeb-nisse als Datensätze verwendet und in der Folge bei der Einführung weiterer stochastischer Verfahren und Konzepte herangezogen werden (können). Insgesamt ist ActivStats jedenfalls ein Produkt, das seinem Namen in hohem Maße gerecht wird: ActivStats beschränkt sich nicht auf die fachliche Belehrung des Benutzers, sondern verlangt vom Benutzer einen (auch inhaltlich) recht aktiven Umgang mit dem Dargebotenen. Durch die angebotenen Übungen und die vorgeschlagenen Projekte, die immer wieder nahegelegten Verbindungen zu Data Desk*6 und ins Internet wird dieses Anliegen zusätzlich (und in durchaus sinnvoller, weiterführender Weise) verstärkt.

Ein Problem vieler interaktiver Angebote von ActivStats liegt darin, dass dabei eine (nicht

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näher durchschaubare) elektronische Mikrowelt vorgegeben wird, an der durch interaktiven Eingriff zwar bestimmte artifiziell realisierte Phänomene beobachtet, aber in ihren Ursachen und Bedingungen kaum verstanden werden können.

Die Änderung eines einführenden Textes im Lesson Book nach Abarbeitung der folgenden Activity ist ein netter Gag, dessen didaktischen Nutzen man nicht allzu hoch bewerten sollte: Nach Abarbeitung einer Activity wird man wohl nur selten sonderlich motiviert sein, den hinführenden Text nocheinmal zu lesen – zumal die Unterschiede zum ursprünglichen Text meist nicht sehr groß sind. Immerhin wird aber, falls man zu einem späteren Zeitpunkt nocheinmal auf diese Stelle zurück-kommt, (nur noch) der neue Text angeboten (für dessen Verständnis man allerdings Vorwissen aus der zugehörigen Activity benötigt).

3. Lernen mit ActivStats Mit ActivStats liegt zweifellos eine sehr weit entwickelte, durchaus interessante und anregende interaktive Hypermedia-Lernumgebung vor, die hinsichtlich Hyperstruktur, medialer Vielfalt und Interaktivität sehr viel mehr zu bieten hat als viele Konkurrenzprodukte und vor allem auch durch die Einbeziehung von Data Desk*6 und Internet deutlich über die eigenen Grenzen hinausweist und weiterführt. Aus didaktischer Sicht besagt es jedoch noch nicht sehr viel, wenn ActivStats entlang o. a. Kriterien besser zu bewerten ist als viele seiner Konkurrenzprodukte; der didaktisch relevantere Vergleich wird jener mit traditionellen Lernumgebungen sein:

Wenn die Hypertextstruktur auch nicht grundsätzlich über das hinausführt, was in traditio-nellen Lernumgebungen (mit Lehrer/in, Lehrbuch und Statistik-Software) ebenso möglich und üblich ist, so sind hypermediale Sprünge und Verzweigungen in ActivStats doch ungleich einfacher realisier-bar und nachvollziehbar als in traditionellen Lernumgebungen und entspre-chend besser nutzbar (vorausgesetzt man beherrscht die von ActivStats gebotenen Möglich-keiten mit entsprechender Sicherheit).

Die multimedialen Angebote und Möglichkeiten übertreffen kaum das, was in einer traditio-nellen Lernumgebung selbstverständlich ist, in der Regel bleiben sie deutlich dahinter zurück. Eine Ausnahme bilden hier lediglich die bewegten Grafiken (Animationen), die in dieser Form in tradi-tionellen Lernumgebungen wohl kaum realisierbar sind.

Naturgemäß hat es die Elektronik schwer, die grundsätzlich offenen und sehr vielschichtigen Interaktionsmöglichkeiten einer traditionellen Lernumgebung auch nur ansatzweise nachzu-bilden; sinnvollerweise versucht ActivStats die Interaktivität auf jene Stellen zu konzentrieren, an denen statistische Sachverhalte experimentell-phänomenologisch erfasst werden können.

Auch wenn die inhaltliche Auswahl, Schwerpunktsetzung und Anordnung an manchen Stellen etwas ungewöhnlich anmutet (etwa Normalverteilung im Rahmen der Beschreibenden Statistik, Wahrscheinlichkeit weitgehend auf Zufallszahlen reduziert), die lokalen Bedeutungen mancher stochastischer Konzepte oft nicht sehr klar herausgearbeitet werden (etwa Standardabweichung, Wahrscheinlichkeit), globale Ideen der Stochastik kaum angesprochen werden (Hinweise dazu findet man nur sehr sporadisch in den Asterisks) und insgesamt ein nicht weiter hinterfragter bzw. problematisierter Werkzeugcharakter dominiert – auf all diese originär didaktischen Probleme kann hier nicht näher eingegangen werden – kann ActivStats dem Benutzer und Lernenden einen möglichen Zugang zur Stochastik bieten. Dieser Zugang kann kaum einen adäquaten Ersatz für ein gutes Buch darstellen und vermag sicher keine/n gute/n Lehrer/in zu ersetzen (ein schlechtes Buch und eine/n schlechte/n

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Lehrer/in aber allemal). Immerhin bietet der Kurs aber zu manchen lokalen stochastischen Konzepten (medien-)didaktisch und methodisch interessanter Zugänge, die in ähnlicher Form auch in traditionellen Lernumgebungen mit Gewinn eingesetzt werden könnten. Das Problem dabei ist, dass der mit ActivStats angebotene Lehrgang nicht nur sehr konsistent, sondern auch in sich geschlossen ist (eine Öffnung wird erst durch Data Desk*6 und Internet eingebracht) und daher nur als Gesamtkonzept übernommen werden kann – oder eben abgelehnt werden muss.

Aus den hier nur kurz angesprochenen Gründen sind die Einsatzmöglichkeiten von ActivStats weniger in der Stochastikausbildung als in universitären Lehrveranstaltungen zur Didaktik der Stochastik zu finden: Anhand von ActivStats können viele didaktische Anliegen erkannt, Vorschläge für methodisch interessante Zugänge diskutiert, globale Ideen der Stochastik herausgearbeitet und das Bild von Stochastik bzw. Mathematik kritisch hinterfragt werden. Allenfalls könnte ActivStats partiell und begleitend auch dort eingesetzt werden, wo eine Einführung in die Stochastik im Selbststudium erfolgen soll.

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Günther Ossimitz, Universität Klagenfurt

Materialien und interaktive Texte im Internet und deren mathematikdidaktische Nutzung: Chancen und Probleme

Inhalt:

Elektronisch verbreitete Materialien

Materialien für den Mathematikunterricht im Internet

Chancen einer Verbreitung didaktischer Materialien über das Internet

Thematische und softwarespezifische Modellsammlungen

Nutzung und Dokumentation elektronischer Modelle

Interaktive Texte

Möglichkeiten und Zwecke interaktiver mathematische Texte

Recherchen zur Theorie interaktiver Texte

Zusammenfassung:

Das vorliegende Paper beschäftigt sich mit Möglichkeiten der Nutzung und Verbreitung elektronischer Modelle und interaktiver Texte im Internet und untersucht die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Probleme bei einer mathematikdidaktischen Nutzung. Im ersten Abschnitt werden die Besonderheiten elektronischer Modelle und die Wichtigkeit entsprechender Datenstandards sowie geeigneter Software zur Betrachtung / Verarbeitung der Modelle besprochen. In den folgenden Abschnitten werden die didaktischen Möglich-keiten und Rahmenbedingungen elektronischer Modellsammlungen im Internet auf einer eher theoretischen Ebene betrachtet. In den letzten Abschnitten wird auf den speziellen Typus “interaktiver Text” näher eingegangen.

Elektronisch verbreitete Materialien Im Internet sind ausschließlich elektronisch übermittelbare Materialien bzw. Modelle von Interesse. Materialisierte Realmodelle (wie ein Galton-Brett, ein Dodekaeder “zum Angrei-fen”, ein Moebius-Band, ein Globus usw.) lassen sich nicht über das Internet verbreiten. Es können jedoch Abbildungen oder Simulationen derartiger Modelle über das Internet angebo-ten werden. Im einfachsten Fall handelt es sich bei elektronisch übermittelten Modellen um Texte, Bilder oder Animationen, die direkt mit Standardsoftwareprodukten (Internet-Browsern, wie z.B. Netscape oder den Internet Explorer) betrachtet werden können. Leistungsfähigere Modelle benötigen eine spezielle Software, die ein Arbeiten mit diesen Modellen erlaubt. Technisch gesehen sind diese Modelle Dateien, die mit einer entsprechen-den Software verarbeitet werden können. Beispielsweise können dies sein:

- Arbeitsblätter eines Tabellenkalkulationsprogrammes,

- Simulationsmodelle für eine Simulationssoftware (wie Stella, Powersim oder Dynasys),

- elektronische Arbeitsblätter mit geometrischen Konstruktionen mit einer bestimmten Geometrie-Software (Cabri oder THALES)

- Mathematica-Notebooks oder Dateien für eine andere Computeralgebra-Software

- Eingabe-Daten für einen elektronischen Sternenatlas usw.

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Elektronische Modelle sind von ihrem Datenformat her auf ein bestimmtes Softwareprodukt oder auf einen bestimmten Typ von Software zugeschnitten. Standardisierte Datenformate erleichtern dabei die Nutzung der Modelle, weil ein Modell dann mit verschiedenen Softwareprodukten bearbeitet werden kann. So kann z.B. eine in einem Standardformat (z.B. GIF- oder JPG-Format) vorliegende Bilddatei von verschiedensten Grafik- und Bildbetrach-tungsprogrammen und auch mit leistungsfähigen Web-Browsern betrachtet und z.T. auch weiterverarbeitet werden.

Während bei Texten, Bildern, Tabellenkalkulations-Arbeitsblättern bereits eine recht gute Standardisierung der Datenformate erreicht ist bzw. leistungsfähigere Software auch eine Vielzahl von Fremdformaten lesen und schreiben kann, sind insbesondere bei spezielleren mathematischen Softwareprodukten (z.B. Geometriesoftware, Systemdynamik-Software, Computeralgebra-Systemen) noch keine nennenswerten Standardisierungen im Datenformat vorzufinden. Das heute vorherrschende Nebeneinander an Software-Produkten mit zueinan-der inkompatiblen Datenformaten bzw. fehlende Minimalstandards bei den Datenformaten hemmt die Entwicklung umfangreicher Modellsammlungen bzw. deren Verbreitung über das Internet. Beispielsweise können für eine bestimmte Simulationssoftware entwickelte Modelle von anderen Simulationsprogrammen nicht gelesen werden. Damit müßte man bei der Entwicklung einer Sammlung systemdynamischer Modelle jedes Modell in einer eigenen Version für die verschiedenen Systemdynamik-Softwareprodukte entwickeln. Ähnliches gilt für Geometrie-Software oder für Computeralgebrasysteme.

<html><head>

<title>G&uuml;nther Ossimitz: Home-Page</title></head>

<body background="pic/bckgrnd/uniclou.gif" text="#000000" link="#0000ff" vlink="#551a8b" alink="#ff0000" bgcolor="#ffffff">

<table><tr><td><img src="pic/uni.gif" width="109" height="62" align="bottom" VALIGN="top" ></td>

<td ><h2>G&uuml;nther Ossimitz<br>

Home-Page</h2></td></tr></table>

<p align="center"><img src="pic/uniline.gif" width="60%" height="9" align="bottom" ><BR>19. Okt. 1998<P>

<h4>The following english informations are available:</h4>

Abb. 1: HTML-Quelltext (Ausschnitt aus der Homepage von G. Ossimitz)

Das Internet selbst hat einen neuen (de-facto) Standard für Hypertexte, das HTML (HyperText Markup Language) Format hervorgebracht. HTML ist eine Dokumentbeschrei-bungssprache, bei der die endgültige Formatierung des Dokuments erst (aufgrund der in einen ASCII-Text eingefügten HTML-Befehle, vgl. Abb. 1) beim Benutzer erfolgt. So kann der Endbenutzer etwa die Standard-Schriftgröße und Standard-Schriftart für alle empfan-genen HTML-Dokumente festlegen; Zeilenumbrüche und das Design von Tabellen erfolgt ebenfalls erst beim Lesen der Datei durch den HTML-Browser (Programme, die HTML-Dateien anzeigen können, wie etwa Netscape oder der MS-Internet-Explorer) des Benutzers in Abhängigkeit von der beim Benutzer vorliegenden Fensterbreite. Via HTML lassen sich Dokumente auch plattformübergreifend lesen und bearbeiten. So kann etwa eine in einer Unix-Umgebung erstellte HTML-Datei problemlos unter Windows oder auf einem Apple Mac dargestellt oder auch weiterverarbeitet werden. HTML bietet auch umfangreiche Funktionen zur Erstellung von Hyperlinks (elektronische Verbindungen zu anderen

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Dokumenten oder zu anderen Stellen im selben Dokument) und Multimedia-Features (wie etwa die Einbindung von Sound oder bewegten Bildern).

Materialien für den Mathematikunterricht im Internet Man kann für den Mathematikunterricht geeignete elektronische Materialien nach verschie-denen Kriterien kategorisieren: z.B. nach Stoffinhalten, nach Art der Nutzung der Modelle oder nach den didaktischen Einsatzmöglichkeiten. Diese didaktischen Kriterien werden jedoch wesentlich von dem im vorigen Abschnitt diskutierten technischen Kriterium “Datenformat” bzw. “Datenstandard” überlagert bzw. sogar dominiert. Diese Dominanz ergibt sich ganz einfach aus der Tatsache, dass auch das didaktisch ausgereifteste elektro-nische Modell nutzlos ist, wenn der potentielle Anwender/Benützer nicht über die geeignete Software zum Lesen/Verarbeiten dieses Modells verfügt.

Das Internet ist vom Prinzip her ein idealer Rahmen, elektronische didaktische Materialien zu sammeln, anzubieten, zu verbreiten und auszutauschen. Für diesen Zweck sind möglichst standardisierte Datenformate (ASCII-Text, HTML-Text, Bilddateien im GIF oder JPG Format...,Dateien im Acrobat PDF-Format usw.) von Vorteil. Alle diese Datenformate können im wesentlichen mit gratis oder billig verfügbaren Software-Utilities (Texteditoren, Internet-Browser, Acrobat-Reader, Bildbetrachtungsprogramme) betrachtet und z.T. auch weiterverarbeitet werden. Die meisten dieser Datenformate sind jedoch überhaupt nicht auf die Besonderheiten der Mathematik ausgerichtet. Dies beginnt etwa bei den kaum vorhande-nen Möglichkeiten, etwa in Standard-ASCII oder HTML-Texte mathematische Sonder-zeichen oder mathematische Symbole oder gar Formeln oder kompliziertere mathematische Elemente (Integrale, Matrizen usw.) einzugeben. Objekte und Modelle in spezielleren mathematischen Softwareprodukten (z.B. interaktive geometriesche Konstruktionen, die dynamisch verändert werden können, wie etwa in THALES oder in CABRI möglich) erfordern überhaupt spezielle Datenformate, die eng an die jeweiligen Softwareprodukte gebunden sind.

Was bedeutet dies für die Verbreitung bzw. das Angebot mathematischer Modelle im Internet? Die bisherige Entwicklung hat eindeutig gezeigt, dass Modellsammlungen, die ein spezielles Softwareprodukt zur Betrachtung / Bearbeitung benötigen, keine sehr große Verbreitung im Web gefunden haben. Dies gilt für Geometrie-Softwareprodukte gleicher-maßen wie etwa für Simulationssoftware zur systemdynamischen Simulation, aber auch für CAS-Systeme wie Mathematica und sogar für Tabellenkalkulationsmodelle (die etwa in dem weit verbreitetem XLS Format von MS-Excel verbreitet werden könnten). Der Trend im Web geht auch bei mathematikdidaktischen Angeboten eindeutig in Richtung Standard-HTML, wobei man die fehlenden Features für mathematische Symbole, Formeln usw. durch massiven Einsatz von Graphiken zu kompensieren versucht. Das dies einigermaßen möglich ist, beweist etwa das Nachschlagewerk “Desktop Mathematik” von Stöcker, das auf CD erschienen ist und z.T. auch als Web-Site verfügbar ist (bzw. war).

Chancen einer Verbreitung didaktischer Materialien über das Internet Welche Vorzüge bietet nun das Internet bei der Verbreitung von mathematikdidaktischen Materialien? Es ist über das Net möglich, Sammlungen von Beispielen und Modellen zentral aufzubauen und kostenfrei oder auch gegen eine Gebühr an eine große Zahl potentieller Interessenten anzubieten. Diese Modellsammlungen können laufend erweitert, aktualisiert und ausgebaut werden und so auf den aktuellsten Stand gehalten werden. Über das Internet ist es auch relativ einfach möglich, daß verschiedene Nutzer derselben Software Modelle

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austauschen oder einen gemeinsamen Pool an Datenmodellen anlegen. Es können auch Software-Anbieter, Verlage oder andere Einrichtungen größere Archive mit Modell-sammlungen anlegen, die dann allgemein zur Verfügung stehen. Diese Entwicklungen stehen erst am Anfang; es ist jedoch möglich, daß innerhalb der nächsten Jahre eine Vielzahl von Modellen zu verschiedensten Softwareprodukten im Internet angeboten werden.

Thematische und softwarespezifische Modellsammlungen Weiters können für bestimmte Themenbereiche auch die zu den Modellen benötigten Daten über das Internet zugänglich gemacht werden. Ein Beispiel dafür ist das schon erwähnte Projekt “Biosphere2 Global Testbed” (http://www.bio2.edu/), in dem an der Columbia-Universität in Zusammenarbeit mit einigen Schulen und Wissenschaftseinrichtungen u.a. Daten über die Biosphäre der Erde (u.a. Lichteinfall und CO2-Gehalt) erfaßt, aufbereitet und über Internet an die beteiligten Schulen zur weiteren Verarbeitung angeboten werden. Diese Daten können dann mit Hilfe von Simulationsmodellen mit der Software Stella (oder auch mit einem Kalkulationsprogramm oder einer Grafik-Software) weiterverarbeitet werden.

Die breite Verfügbarkeit von Modellen kann allerdings auch dazu führen, dass ein Benutzer, der zu einem bestimmten Thema ein Modell sucht, an der Fülle des ungeordnet vorliegenden Materials scheitert. Sinnvoll nutzbare Modellsammlungen werden daher eine gewisse inhaltliche Bewertung und Katalogisierung der Modelle benötigen, ähnlich wie in einer Bibliothek die Werke nach bestimmten Kriterien thematisch gruppiert und katalogisiert werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Modellsammlungen zu bestimmten Lehr-büchern bzw. Lehrgängen zu entwickeln. Dies verbessert die innere Konsistenz der Modelle (etwa im Hinblick auf die verwendete Syntax), macht es allerdings möglicherweise schwieriger, ein einzelnes Modell unabhängig vom Lehrgang zu bearbeiten.

Nutzung und Dokumentation elektronischer Modelle Die Nutzung elektronischer Modelle beschränkt sich in der Regel nicht auf ein kontempla-tives Betrachten eines Bildes oder auf das Lesen eines Textes. Meist erfordern solche Modelle eine gewisse Bedienung durch den Benutzer. Bei Tabellenkalkulationsmodellen oder bei systemdynamischen Modellen können bestimmte Eingabeparameter variiert oder sogar die gesamte Modellstruktur variiert werden; bei geometrischen Modellen können vielleicht bestimmte Punkte verschoben werden usw. Diese Aktionsmöglichkeiten der Benutzer sind i.a. keineswegs trivial und erfordern neben einer gewissen Kenntnis der dahinterliegenden Modellbildungssoftware eine entsprechende Dokumentation der Aktions-möglichkeiten. Elektronisch verbreitete Modelle sollten daher möglichst ihre eigene Dokumentation und Arbeitsanleitungen enthalten. Dementsprechend bieten z.B. modernere Geometrie-Softwareprodukte immer mehr Möglichkeiten, dass neben Konstruktionen auch erklärender Text und Berechnungen direkt im Modell enthalten sein können. Abb. 2 zeigt ein Beispiel einer Excel-Tabelle mit einem Linearen Optimierungsmodell, bei dem ein erläutern-der Text direkt in die Tabelle eingefügt wurde. Auf diese Weise können Schüler bzw. Studenten das Modell leichter bedienen, ohne dass sie auf eine externe Anleitung zurück-greifen müssen.

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35 15 5,5E-12 0

Menge x1 x2 x3 x4 RS akt. RS maximal

Zielfunktion 5000 8000 6000 0 295000 <---< Zielzelle

NB1: Arbeitszeit 20 40 30 0 1300 1300 NB2: Menge Rüben

0 1 0 0 15 20

NB3: Gesamtfläche

1 1 1 0 50 50

NB4: x3 >=0 0 0 -1 0 -5,542E-12 0

Die großen Zahlen sind einzugeben, die kursiven Zahlen werden errechnet.

Die schraffierten Bereiche sind für den Solver einzugeben, die Nebenbed. sind blau unterlegt.

Zunächst sind in die "veränderbaren Zellen" Startwerte einzutragen. (zB x=1; y=1)

Dann komnen darunter (im doppelt umrandeten Bereich) die Koeff. von ZF und NB.

In Spalte "RS akt" werden die rechten Seiten bei den akt. Mengen der Var. errechnet

In Spalte "RS maximal" kommen die Maximalwerte für die rechten Seiten (=rechte Seiten der NB)

Im vorliegenden Beispiel liefert der Solver ohne NB 4 für x3 eine negative Lösung. Daher wurde die

Nichtnegativitätsbedingung x3>=0 bzw. -x3<=0 als vierte Nebenbedingung aufgenommen.

Abb. 2: Lineares Optimierungsmodell in Excel mit integrierter Erläuterung (Aus der Datei http://www.uni-klu.ac.at/users/gossimit/lv/mbwl/mvo.zip)

Bei Modellsammlungen sollten die einzelnen Modelle möglichst gleichartig aufgebaut sein und sich in einer möglichst gleichartigen Weise bedienen und handhaben lassen. Dies ist je nach Art der Software unterschiedlich leicht realisierbar. Der Aufbau und die Bedienung eines systemdynamischen Simulationsmodells ist etwa wesentlich leichter und klarer strukturierbar als bei einem Tabellenkalkulationsmodell. Bei Tabellenkalkulationsmodellen gibt es viel mehr Möglichkeiten der inneren Konzeption, die für den Benutzer oft nur mit einer entsprechenden Anleitung nachvollziehbar sind. Dementsprechend wichtig ist eine ausführliche Dokumentation der Modelle.

Interaktive Texte Interaktive Texte sind eine Kombination von herkömmlichen Texten und elektronischen Modellen. Elektronische interaktive Texte entsprechen zwar in ihrem Grundaufbau herkömmlichen Texten, erlauben jedoch an gewissen Stellen interaktive Eingriffe des Benutzers (Lernenden), die sich dann direkt auf das weitere Design des Textes und damit auf die weitere Arbeit auswirken können. Solche Texte können auch mit Hypertext-Features ausgestattet sein, durch die der Benutzer den Textdurchlauf interaktiv beeinflussen kann. Es sind aber auch “lineare” interaktive Texte ohne Hypertext-Charakter möglich.

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Die Entwicklung und Nutzung interaktiver Texte erfordert sehr leistungsfähige Software-produkte. Die Leistungsmerkmale einer Modellbildungssoftware (z.B. Geometrie-Software, Computeralgebrasystem) muß mit leistungsfähigen Textverarbeitungsfunktionen (einschliesslich integrierter Grafiken) kombiniert werden. Das Computeralgebrasystem Mathematica erlaubt beispielsweise die Entwicklung von Mathematica-Notebooks als interaktive Texte, indem man die umfangreichen Textgestaltungsfunktionen von Mathematica nutzt.

Der Vorteil interaktiver Texte besteht darin, daß den Lernenenden eine enge Führung bei der Benutzung der Modelle angeboten werden kann. Dafür sind der Entwicklungsaufwand und die Ansprüche an die Software bei interaktiven Texten höher als bei Modellen ohne interaktive Textunterstützung. Eine wesentliche Frage bei der Erstellung interaktiver Texte ist, welche Eingriffsmöglichkeiten dem Lernenden erlaubt werden und auf welche Art und Weise sinnlose Eingaben abgefangen werden. Soll ein Schüler z.B. nur die Koeffizienten einer Polynomfunktion ändern können, um die Auswirkungen auf den Funktionsgraphen, auf Nullstellen und Extremwerte zu studieren. Oder soll man es auch erlauben, daß ganz andere Funktionstypen eingegeben werden können? Fragen dieser Art müssen bei der Entwicklung und bei der Nutzung interaktiver Texte didaktisch analysiert und auch auf der Ebene der Materialgestaltung konkret beantwortet werden.

Möglichkeiten und Zwecke interaktiver mathematische Texte Wo können interaktive Texte eingesetzt werden? Wo sind sie didaktisch sinnvoll? Zunächst einmal setzt ein interaktiver Text ein entsprechendes Medium voraus, das eine Bearbeitung eines solchen Textes erlaubt. Im wesentlichen läuft dies auf das Verfügbar-Sein einer entsprechenden Hardware- und Softwareausstattung beim Benützer hinaus. Diese Bedingung ist zumindest dann, wenn mit interaktiven Texten in einem breiten Ausbildungsrahmen und auf einer regelmäßigen Basis gearbeitet werden soll, sehr schwerwiegend. Dabei ist die Verfügbarkeit einer entsprechenden Software vermutlich die schwerwiegendste Bedingung. Nach dem heutigen Stand erfüllen für die Mathematikausbildung am ehesten die Computer-algebrasysteme Mathematica und Maple die Voraussetzungen, um damit interaktive mathe-matische Texte herzustellen. Wenn auch in Zukunft die Zahl der Softwareprodukte zunehmen wird, welche die Herstellung und Bearbeitung interaktiver mathematischer Texte erlauben, so bleibt doch jeder Text an ein bestimmtes Softwareprodukt gebunden. Wenn man die Erfah-rungen bei anderen Kategorien von Softwareprodukten (Textverarbeitung, Spreadsheets, auch Geometriesoftware) betrachtet, so darf man nicht erwarten, dass es in absehbarer Zeit irgendwelche Standards oder Kompatibilitäten zwischen verschiedenen Softwareprodukten geben wird. Faktisch bedeutet das, dass jeder interaktive Text an ein bestimmtes Software-produkt gebunden und damit in seiner Reichweite beschränkt ist. Damit stehen wir vor einem Dilemma, das bei ausbildungsorientierter Software in vielfältiger Variation auftritt: je leistungsfähiger und anspruchsvoller die Möglichkeiten der Software (und damit der interaktiven Texte), desto eingeschränkter wird der Kreis der möglichen Benutzer sein. Breit verfügbare interaktive Texte werden sich jedoch an breit verfügbaren Standards halten müssen.

Zwei weitere pragmatische Aspekte sind bei der Beurteilung der Möglichkeiten interaktiver mathematischer Texte nicht ausser acht zu lassen:

der relativ hohe Entwicklungsaufwand beim Erstellen eines interaktiven Textes (im Vergleich zum Aufwand bei der Herstellung herkömmlicher Texte)

die Softwareprodukte veralten innerhalb weniger Jahre; dementsprechend sehen auch die damit erstellten Texte innerhalb weniger Jahre recht “alt” aus.

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Beide Aspekte erschweren es sehr, dass interaktive mathematischeTexte mit einer grösseren Breitenwirkung erstellt, erprobt, eingesetzt und verbessert werden.

Insgesamt ergibt diese Analyse ein eher pessimistisches Bild, was die Möglichkeiten interaktiver Texte (etwa im Sinne von Mathematica-Notebooks) für die Mathematik-ausbildung angeht. Auf der Ebene von Web-Browsern (mit Plug-Ins oder Java-Applets) und HTML - Hypertexten erscheint die Entwicklung interaktiver Texte für einen breiteren Benutzerkreis wesentlich erfolgversprechender zu sein. Allerdings gibt es z.Zt. (1998) noch kaum Beispiele für interaktive mathematische Texte auf der Grundlage der Web-Browser-Technologie.

Recherchen zur Theorie interaktiver Texte Erste Recherchen im Internet brachten zwar viele Hinweise auf Hypertexte/Hypermedia, jedoch nur sehr wenige im Hinblick auf interaktive Texte. Der Begriff “interaktiver Text” kommt kaum vor, lediglich einige Male im Zusammenhang mit Mathematica-Notebooks. Einen Hinweis auf eine bestehende Theorie interaktiver Texte konnte ich im Net nicht finden.

Bei meinen Recherchen konnte ich kaum etwas finden, was auch nur annähernd nach einer Definition des Begriffs “interaktiver Text” aussah. Es war lediglich in einigen Dokumenten die Rede von “interaktiven Texten”:

- Eine wesentliche und inhaltlich passende Ressource ist das Interactive Mathematics Text Project (IMTP), erreichbar unter http://archives.math.utk.edu/interactive.texts/. Es werden einige interaktive Texte für Mathematica, Maple, MathCad, MathKit zu verschie-denen Teilgebieten der Mathematik (auf einem Gopher-Server) angeboten. Letztes Update: Mai 96, die inhaltlichen Arbeiten scheinen bereits einige Jahre alt zu sein. Ein interessantes Hintergrundpaper zum Projekt IMTP von Vincent DeBlase und Sharon Wagner ist unter http://www.coe.uh.edu/insite/elec_pub/html1995/068.htm zu finden. In diesem Paper geben die Autoren auch eine kurze Erklärung: “What is an Interactive Text? An interactive text is a computer document within which symbolic, numerical, and graphic tools can be used. All computations can then be pasted into the document so that each learner has an individual record of his or her investigations and discoveries. Students can work through many examples because they can be created immediately with new numbers or new mathematical functions. Students can design their own graphic and calculational investigations with graphs and calculations showing when the student wants them. Students are using an electronic notebook in which they can ask the software for help as needed. Interactive texts can consist of a single module or an entire course in the form of a handbook.” (DeBlase / Wagner, 1995)

- Ein weiteres Paper zu interaktiven mathematischen Texten publizierten Keady, Fowkes und Ward mit dem Titel "Interactive mathematics texts from Computer Algebra Systems: use in teaching engineering students" (http://maths.uwa.edu.au/~keady/PapersHTMLD/-ACEC95d/ACEC95ALL.html). In diesem Paper werden interaktive Texte im wesent-lichen mit Mathematica- bzw. MAPLE-Notebooks gleichgesetzt.

Recherchen unter anderen Stichworten (wie etwa “Math Lab”, Computer Lab” o.ä.) führten auf keine weiteren interessanten Artikel oder Hinweise.

Literatur und Internet-Ressourcen Kaput, James (1994a): The Representaitional Roles of technology in connecting Mathematics with authentic experience. In: R. Biehler - W. Scholz, - R. Sträßer - B. Winkelmann (eds): Didactics of Mathematics as a scientific discipline, pp 379-397. Dordrecht: Kluwer.

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Kaput, James (1992): Technology and mathematics education. In: D. Grouws (ed): Handbook on research in mathematics teaching and learning (pp 515-556) New York: Macmillan.

Ossimitz, Günther (1998): Internet-Ressourcen in einem technologisch orientierten Mathematikunterricht. In: Kadunz. u.a. (Hrsg.): Mathematische Bildung und Neue Technologien. S. 247 - 254. Stuttgart: B.G. Teubner.

Stöcker (1996): Desktop Mathematik. Multimedia-Mathematik Enzyklopädie auf CD-Rom. Frankfurt: Harri Deutsch

Internet-Ressourcen (Stand 5.11.1998):

http://www.uni-klu.ac.at/users/gossimit/home.htm Homepage von G. Ossimitz

http://www.verwaltung.uni-jena.de/html/1_st.htm Erläuterungen zur Syntax der HTML-Seitenbeschreibungssprache

http://www.bio2.edu/ Homepage des Biosphere2 Global Testbeds.

http://www.uni-klu.ac.at/groups/math/didaktik/arb/ihmlum/muuinternet.htm Mathematikunterricht und Internet: Zwischenbericht eines Projekts am Institut für Mathematik, Statistik und Didaktik der Mathematik an der Universität Klagenfurt.

http://archives.math.utk.edu/interactive.texts Interactive Texts Page der Math Archives.

http://www.coe.uh.edu/insite/elec_pub/html1995/068.htm Eine Beschreibung des "Interactive Mathematics Text Project" von Vincent DeBlase und Sharon Wagner, Parkville Center of Mathematics, Science, and Computer Science

41 41

Claudia Gebhardt, Günther Ossimitz, Bernard Winkelmann

Möglichkeiten von Computern und interaktiven Hypermedia-Lernangeboten im österreichischen Mathematikunterricht Ergebnisse einer Fragebogenaktion im Sommer 1998

Einbettungen und Ziele der Fragebogenaktion Diese Fragebogenaktion wurde auf Initiative der Abteilung für Didaktik der Mathematik des Instituts für Mathematik, Statistik und Didaktik der Mathematik der Universität Klagenfurt (W. Peschek, G. Kadunz, G. Ossimitz, E. Schneider, B. Winkelmann) von den Autoren dieser Studie entwickelt und durchgeführt. Das Vorhaben wurde unterstützt durch eine finanzielle Förderung seitens der Forschungskommission der Universität Klagenfurt.

Im Mathematikunterricht an den Höheren Schulen Österreichs (AHS, BHS)1 werden bereits interaktive Hypermedia-Lernangebote verschiedener Art eingesetzt, wie wir aus persönlicher Erfahrung bzw. von einzelnen Schulen wissen; es gab jedoch bislang nur sehr vereinzelt Informationen über die dabei gesammelten praktischen Erfahrungen. Eine adäquate Einordnung der in der Abteilung bisher erarbeiteten Ergebnisse und Erfahrungen zu Hypermedia-Lernangeboten Mathematik machte jedoch auch die Einbeziehung der gegenwärtigen schulischen Situation und der dort gesammelten Erfahrungen wünschenswert. Daher sollte im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchungen auch erhoben werden,

- an welchen österreichischen Schulen interaktive Hypermedia-Lernumgebungen bereits im Mathematikunterricht eingesetzt werden,

- welcher Art diese Lernumgebungen sind und welche unterrichtspraktischen Erfahrungen damit gemacht wurden,

- an welchen österreichischen Schulen Interesse besteht, interaktive Hypermedia-Lernum-gebungen zur Mathematik künftig einzusetzen.

Mit diesen Zielsetzungen wurde von G. Ossimitz und B. Winkelmann ein Fragebogen ent-wickelt und an ausgewählte Mathematiklehrer und -lehrerinnen versandt. Die Auswahl er-folgte anhand des technologischen Interesses der entsprechenden Personen nach Einschät-zung der zugehörigen ARGE-Leiter in den einzelnen österreichischen Bundesländern2. Der Fragebogen sollte grundsätzlich zügig zu beantworten sein, aber auch Möglichkeiten zu freien Äußerungen von Erfahrungen, Hoffnungen und Befürchtungen bieten.

Dabei wurde der Begriff „interaktive Hypermedia-Lernumgebung zur Mathematik” nicht verwendet, da er eine längere Erklärung vorausgesetzt hätte. Stattdessen fragten wir nach

1 AHS = Allgemeine Höhere Schule, Gymnasium; BHS = Berufliche Höhere Schule. Beide Schultypen

führen nach der 12. Jahrgangsstufe zur allgemeinen Hochschulreife. Die BHS teilen sich auf in die wirtschaftlich orientierten HAK (Handelsakademien), in denen Mathematik traditionell weniger gewichtig ist, und die technisch orientierten HTL (Höhere Technische Lehranstalten), in denen Mathematik traditionell ein wichtiges Hauptfach mit entsprechendem Stundenvolumen ist.

2 In den ARGE (Arbeitsgemeinschaften) sind die Lehrer bestimmter Fächer und Schulformen eines Bundeslandes zusammengefasst; in diesem Rahmen werden etwa Fortbildungen organisiert.

42 42

dem Einsatz und den Möglichkeiten von CD-ROMs und Internet (den beiden bisher aus-schließlichen Distributionsmedien) im und für den Mathematikunterricht.

Damit - und mit weiteren Fragen zum Einsatz von Computern und mathematischer Software im Mathematikunterricht - wurde ein gewisses Umfeld mit erhoben, das für die einordnende Interpretation der Antworten als notwendig eingeschätzt wurde. Zugleich sollte damit einer möglichen Frustration der Fragebogenbeantworter durch fast ausschließlich negativ zu beantwortende Fragen und damit einer zu kleinen Rücklaufquote vorgebeugt werden.

Die Betreuung und statistische Auswertung dieser Fragebogenaktion wurde von C. Gebhardt wahrgenommen.

Statistische Auswertung der Fragebögen Insgesamt wurden 130 LehrerInnen, 84 davon per Anschreiben und 46 per Mail auf unseren diesbezüglichen Fragebogen aufmerksam gemacht.

Insgesamt beantworteten 58 LehrerInnen den Fragebogen. Das entspricht einer Rücklauf-quote von 44.6 %. 57 LehrerInnen unterrichten nach ihren Angaben Mathematik und 33 davon gleichzeitig Informatik. Ein(e) Lehrer(in) machte davon Gebrauch, auf keine persön-lichen Fragen einzugehen.

Eine erste Einordnung der befragten LehrerInnen entsprechend ihrer Dienstzeit kann der folgenden Übersicht entnommen werden:

0 | 1334 0 | 5568999 1 | 01222244 1 | 55667788899999 2 | 000011222333344 2 | 556789 3 | 001

Abbildung 1: Stamm-Blatt-Diagramm Dienstzeit

Das heißt, dass hauptsächlich diensterfahrene LehrerInnen unseren Fragebogen beantwortet haben.

Dienstjahre < 10 [10,20) [20, 30) > 30 absolut in (%)

11 19.3

22 38.6

21 36.8

3 5.3

Tabelle 1: Einteilung nach Dienstzeit

Unsere Umfrage sollte u.a. klären, ob es hinsichtlich der Schultypen Unterschiede zum Beispiel bei der Vorbereitung und Durchführung des Mathematikunterrichtes gibt. Dazu teilten wir die LehrerInnen gemäß dem Schultyp, an dem sie derzeit unterrichten, ein:

Typ Anzahl (absolut) Anzahl (in %) Gymnasium HAK HTL

26 21 10

45.6 36.8 17.6

Tabelle 2: Einteilung nach Schultypen

43 43

Bezogen auf alle 57 UmfrageteilnehmerInnen, sind 43.8 % der Schulen im Internet mit einer Homepage vertreten.

Typ Anzahl (absolut) Anzahl (in %) Gymnasium HAK HTL

11 8 6

19.3 14.0 10.5

gesamt 25 43.8

Tabelle 3: Schulen mit Homepage

Aufgeschlüsselt auf die einzelnen Schultypen, ergibt sich folgendes Bild:

Typ Anzahl (absolut) Anzahl (in % des

Schultyps) Gymnasium HAK HTL

11 8 6

42.3 38.1 60.0

Tabelle 4: Relative Anzahl der Schulen mit Homepage nach Schultyp

Abb. 2: Schulen mit Homepage Abb. 3: Schulen mit Homepage geordnet nach Schultyp

Nur auf 28 % (7) der Homepages befinden sich Links zu Servern mit mathematischen Lern-programmen und dgl. Berücksichtigt wurden dabei keine URL's, die auf andere Schulen oder Universitäten hinweisen.

Bei der Auswertung der weiteren Fragen können wir auf 58 Fragebögen Bezug nehmen.

44 44

Frage 1: Sind Sie schon einmal im Internet „gesurft”? Wenn ja, mit welcher Software?

Typ kein

e MS-Explorer beide Netscape Browser unbekannt

Gymnasium HAK HTL

1 4 0

5 5 1

8 8 6

10 3 3

2 1 0

Tabelle 5: verwendete Browser

Abb. 4: Nutzung verschiedener Browser

Frage 2: Können Sie sich vorstellen, eine (selbst gestaltete)

Web-Homepage anzulegen?

Typ nein in [%] vielleicht in [%] vorhanden in [%] Gymnasium HAK HTL

11 13 6

42.3 61.9 60

5 5 3

19.2 23.8 10

10 3 1

38.5 14.3 30

gesamt 30 52.6 13 22.8 14 24-6

Tabelle 6: Web-Homepage

Damit ergeben sich die nachfolgenden Schaubilder:

45 45

Abb. 5: LehrerInnen mit eigener

Homepage Abb. 6: LehrerInnen mit eigener Homepage nach

Schultyp

Frage 3: Welche der folgenden Internet-Dienst haben Sie schon genutzt?

WWW-Seiten E-Mail Newsgroups Download Sonstiges regelmäßig mehrmals probiert nie keine Angabe

31 53.5 % 16 27.6 % 5 8.6 % 5 8.6 % 1 1.7 %

34 58.6 % 7 12.1 % 8 13.8 % 8 13.8 % 1 1.7 %

8 13.8 % 13 22.4 % 12 20.7 % 16 27.6 % 9 15.5 %

17 29.3 % 16 27.6 % 12 20.7 % 10 17.2 % 3 5.2 %

9 15.5 % 6 10.4 % 1 1.7 % 8 13.8 % 34 58.6 %

Tabelle 7: Internet-Dienste

46 46

Abb. 7: Nutzung verschiedener Internet-Dienste

Frage 4: Software/CD-ROMs/WWW in der Unterrichtsvorbereitung

4a) Haben Sie in der Unterrichtsvorbereitung bereits mathematisch orientierte Software-Produkte genutzt?

47 47

Abb. 8: Nutzung von Software zur Unterrichtsvorbereitung

Abb. 9: Nutzung von Software zur Unterrichtsvorbereitung

4b) Haben Sie in der Unterrichtsvorbereitung bereits mathematisch orientierte CD-ROMs genutzt?

Abb. 10: Nutzung von CDs zur Unterrichtsvorbereitung

Mathetrainer WinFunktion Mathematik 8.0 TI-Programmsammlung Bossel-Umweltsimulation Lernsoftware AK Vorarlberg Mathe Tutor Maths & Fun sonstige

7 4 1 1 1 1 1 2

48 48

Tabelle 8: CD-ROMs bei der Unterrichtsvorbereitung

4c) Haben Sie in der Unterrichtsvorbereitung bereits Internet-Dienst genutzt?

nie genutzt schon probiert öfters genutzt regelmäßig genutzt 34

56.6 % 9

15.5 % 8

13.8 % 7

12.1 %

Abb. 11: Nutzung des Internets in der Unterrichtsvorbereitung

Frage 5: Software/CD-ROMs/WWW im Mathematikunterricht 5a) Haben Sie im Mathematikunterricht bereits mathematisch orientierte

Software-Produkte genutzt?

49 49

Abb. 12: Nutzung von Mathematik-Software

Abb. 13: Genannte Softwareprodukte

5b) Haben Sie im Mathematikunterricht bereits mathematisch orientierte CD-ROMs genutzt?

Zwei der befragten Lehrerinnen haben schon probiert, im Unterricht derartige CD-ROMs einzusetzen.

5c) Haben Sie im Mathematikunterricht bereits Internet-Dienst genutzt?

nie genutzt schon probiert öfters genutzt regelmäßig genutzt

44 75.9 %

4 6.9 %

6 10.3 %

4 6.9 %

Abb. 14: Nutzung des Internets im Unterricht

50 50

Auswertung der freien Antworten auf den Fragenkomplex 6 Zum Abschluss der Befragung wurden die LehrerInnen um ihre persönliche Meinung zu nachstehenden Fragen gebeten:

6a) Ich wünsche mir, dass sich der Mathematikunterricht (für meinen Schultyp) in den nächsten Jahren in folgende Richtung(en) entwickelt:

6b) Die Möglichkeiten des Computereinsatzes im Mathematikunterricht für unseren Schultyp sehe ich folgend:

6c) Die Möglichkeiten des Einsatzes von Mathematik-Programmen (Software) im Mathematikunterricht für unseren Schultyp schätze ich folgend ein:

6d) Die Möglichkeiten des Einsatzes von CD-ROMs im Mathematikunterricht für unseren Schultyp sehe ich folgend:

6e) Die Möglichkeiten des Einsatzes von Internet-Ressourcen im Mathematikunter-richt für unseren Schultyp schätze ich folgend ein:

Wie zu erwarten haben die LehrerInnen in sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit und auch mit recht unterschiedlichen Akzentsetzungen auf diese Fragen bzw. Stimuli geantwortet. Wir fassen im folgenden sehr pauschalisierend zusammen; eine Einzelanalyse erschien an dieser Stelle ebenso wie wörtliche Zitate auch aus Persönlichkeitsschutzgründen nicht angebracht.

HAK Ein Teil der HAK-LehrerInnen wünschte sich für den Mathematikunterricht eine Konsolidierung durch Zurücknahme der Stundenkürzungen der letzten Zeit, oder doch zumindest keine weitere Verschlechterung von Stundenzahl, Status oder Niveau. Andere wünschten sich verstärkte Anwendungsorientierung, Modellbildung, Betonung der Zusammenhänge statt des Einübens von Algorithmen oder auch Betonung der Allgemeinbildung statt einer zu unmittelbaren Praxisorientierung.

Für den Computereinsatz wurde grundsätzlich die Möglichkeit des Auslagerns von Rechentätigkeit gesehen, aber fast durchwegs die schlechte Zugänglichkeit von Computer-räumen für Mathematikunterricht beklagt. Einige sahen Einsatzmöglichkeiten in den meisten Teilgebieten des Lehrstoffes, andere eher nur in den Abschlussklassen.

Bezüglich spezifischer Mathematiksoftware war eine Mehrheit wegen der Einarbeitungs-probleme eher skeptisch und plädierte für den Einsatz eines Tabellenkalkulationsprogramms (Excel), das den Schülern schon von anderen Fächern her vertraut ist.

Die Möglichkeiten von CD-ROMs im Mathematikunterricht wurden selten und dann meist recht skeptisch beurteilt: es fehle an geeigneten Produkten, an Laufwerken, an Zeit, an Flexibilität. Dabei wurde - wie auch bei den Antworten auf Frage 4b - deutlich, dass hypermediale Lernumgebungen praktisch nicht bekannt sind und Nachhilfe-Software und Programmsammlungen das Bild von Mathematik-CDs bestimmen.

Die Rolle des Internet wurde ebenfalls selten kommentiert, wenn auch häufiger als die der CDs. Das Internet wurde mehr als Kommunikationsmedium von Lehrern und Schülern untereinander denn als Anbieter etwa von Lernumgebungen gesehen. Zweimal wurde betont, dass zwar hervorragende Schüler vom Internet profitieren könnten, der Durchschnitt aber eher abgelenkt würde.

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HTL Eine große Mehrheit erhofft sich für den zukünftigen Mathematikunterricht einen verstärkten Computereinsatz, insbesondere einen kohärenten, durchgehenden Einsatz von Computeralgebrasystemen (CAS) wie z.B. Derive oder TI-92. Einige erwarten dadurch eine Stärkung von Verständnis und Anwendungsorientierung statt der Betonung algorithmischer Fertigkeiten, andere sehen die Möglichkeit zu anspruchsvolleren Aufgaben.

Computereinsatz setzt die Zugänglichkeit voraus; hier wurden Wünsche nach eigenen Computerräumen für die Mathematik, persönliche Rechner (Laptop, TI-92) für jeden Schüler, oder zumindest Projektionsmöglichkeiten des lehrereigenen Laptops im Mathe-matik-Lehrsaal geäußert. Inhaltlich ging es meist um CAS, aber auch vereinzelt um Simula-tionen und Tabellenkalulation. Eine verstärkte Kooperation mit dem Fach Informatik wurde einmal gefordert.

Damit spezifische Mathematiksoftware wirkungsvoll eingesetzt werden kann, werden wegen des Einarbeitungsaufwandes durchgängige Nutzung in allen Klassenstufen für nötig gehalten, aber auch Unterstützung der Lehrer durch entsprechend gestaltete Lehrpläne, Schulbücher und Aufgabensammlungen.

Die Möglichkeiten von CD-ROMs und Internet für den Mathematikunterricht werden ins-gesamt recht skeptisch gesehen. Hypermediale Lernumgebungen kommen dabei aber nicht in den Blick.

AHS/Gymnasium Eine Mehrheit erhofft sich für den Mathematikunterricht eine Stärkung des formalbilden-den Charakters der Mathematik: einerseits mehr mathematisches Denken und Verständnis, eigenständiges Arbeiten, Experimentieren, Argumentieren, Problemlösen, Betonung fundamentaler Ideen, Modellbildung; und andererseits weniger Stofffülle, Formel-Mathematik, Beispielrechnen. Daneben steht ein Wunsch nach zusätzlichen Unterrichtsthemen wie Vektorprodukt oder Matrizenrechnung. Mehrere sprechen ausdrücklich moderne Medien, Computer und TI-92 als ständig verfügbare Hilfsmittel auch des normalen Mathematikunterrichts an.

Für den Computereinsatz im Mathematikunterricht werden die Probleme des Zugangs häu-fig angesprochen: Computerräume sind zwar oft nutzbar, wenn die Klassen nicht zu groß sind, besser wären aber Laptops für die Schüler (2 Nennungen) oder ein TI-92 für jeden Schüler (8 Nennungen). Man erhofft sich dadurch Entlastung vom Rechnen, vermehrte Visualisierungen, Unterstützungen in der Statistik und bei Funktionsgraphen sowie in der Geometrie, Möglichkeiten zu experimentellem Arbeiten.

An mathematischer Software wird vor allem Derive genannt, aber auch Excel, Sketchpad. Eine Stimme erhofft sich größere Realitätsnähe durch die Messdatenerfassung des TI-92. Andere erwarten, dass die Bedeutung von PCs zurück geht wegen der Taschenrechner, oder monieren den hohen Einarbeitungsaufwand; eine Stimme erwartet Unterstützung des Lehrers durch Beispielmaterial im Internet.

Eine Nutzung von CD-ROMs im Mathematikunterricht liegt den meisten gänzlich fern. Eine Stimme bittet um Informationen, andere sehen technische Probleme: Laufwerke fehlen. Zwei Nennungen haben vielleicht Hypermedia-Lernumgebungen im Sinn, wenn sie die Idee interessant nennen, aber auf die schlechte Qualität vorliegender Beispiele verweisen. Andere nennen die Nachhilfemöglichkeit für eher schwächere Schüler oder sehen nur die Möglichkeit gewisser Demonstrationen im Klassenzimmer.

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Das Internet wird demgegenüber als realistischere Möglichkeit gesehen, insbesondere im Wahlpflichtbereich oder bei Schülerreferaten. Als konkrete Möglichkeiten werden genannt das Arbeiten mit aktuellen Daten, Nutzung von Java-Programmen im Intranet, Austausch von Unterrichtsbeispielen, Modellen, Programmen, aber auch Fernunterricht mit e-Mail-Tutorien.

Fazit Die Antworten auf Frage 4a, nämlich dass 85 % der Befragten (gegenüber geschätzten 10 bis 15 % in der Gesamtpopulation der österreichischen Mathematiklehrer) mathematisch orientierte Software in ihrem Mathematikunterricht einsetzen, zeigen, dass wir die Zielgruppe der technologisch interessierten Mathematiklehrer durchaus getroffen haben. Auch das sorgfältige Auswahlverfahren und die recht ordentliche Rücklaufquote des Fragebogens berechtigen uns zu der Annahme, dass wir mit unserem Fragebogen einen einigermaßen zutreffenden Einblick in die Nutzungsgewohnheiten und Erwartungshaltungen der technologischen Elite der Mathematiklehrer erreicht haben.

Umso bedeutsamer erscheint auf dieser Folie der Befund, dass die uns interessierenden Hypermedia-Lernumgebungen zur Mathematik im realen Mathematikunterricht praktisch nicht existieren. Die unter den Antworten zu 4b) genannten CDs mit Mathematiksoftware repräsentieren ja in der Mehrheit durchaus einen anderen Typ von Lernangeboten: Mathe-Trainer und Mathe Tutor sind als Nachhilfe-Angebote konzipiert, und WinFunktion Mathe-matik, die TI-Programmsammlung und die Bossel-Umweltsimulation sind auch kaum als Hypermedia-Lernumgebungen in unserem Sinne anzusprechen. Lediglich Maths&Fun fällt eindeutig in diese Kategorie; über „Lernsoftware AK Vorarlberg” und „sonstige” können wir keine Aussagen machen.

Es bleibt festzuhalten, dass die in angelsächsischen Ländern zu beobachtende Ausbreitung von Hypermedia-Lernumgebungen zur Mathematik, die auch auf Einsatz im Unterricht ausgerichtet sind, im deutschsprachigen Bereich z.Zt. noch keine Entsprechung besitzt. Hier konzentriert sich das Angebot - entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten, dass im öffentlichen Bereich kaum Finanzmittel für den Kauf solcher Angebote vorhanden sind, im privaten Bereich dagegen durchaus - auf den eher lukrativ erscheinenden Nachhilfemarkt, für den zwar analoge Qualitätskriterien gelten sollten wie für den öffentlichen Bereich, in dem diese Kriterien aber im Moment offenbar leichter unterlaufen werden können, wie der Verbreitungserfolg etwa von Mathe-Trainer belegt.

Umso wichtiger erscheint der Ansatz der Arbeitsgruppe, in sorgfältigen kritischen Analysen die im Unterricht (und gerade auch im Nachhilfebereich) notwendige Qualität aufzuweisen, zu benennen, und einzuklagen.

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Gert Kadunz, Universität Klagenfurt

Allgemeine mathematische Objekte und direkte Manipulation: Beispiele aus StudyWorks/Mathcad und dynamischer Geometrie-Software

„Lesendes Verstehen ist nicht ein Wiederholen von etwas Vergangenem, sondern Teilhabe an einem gegenwärtigen Sinn“ (Gadamer, 1975, S. 370)

Der Beitrag beschreibt die Differenz zwischen sinnlich repräsentierten Objekten und den damit gemeinten mathematischen Objekten. In der didaktischen Literatur drückt sich diese Differenz in Begriffspaaren wie Zeichnung - Figur oder konkret - allgemein aus. Bekannt sind z.B. die Brüche in der Betrachtung von Funktionsgraphen am Papier und einer darauf aufbauenden Erarbeitung der allgemeine Eigenschaften der entsprechenden Funktion, welche ja letztlich Ziel des Mathematikunterrichtes ist. Nach Vorstellung einer theoretischen Basis soll eine Aufhebung dieser Differenz an Beispielen aktueller Unterrichtssoftware dem Leser vorgestellt werden. Um diesem Programm gerecht zu werden, wollen wir in einem ersten Abschnitt eine Folie ausbreiten, welche einen theoretischen Ansatz repräsentiert, der in der Mathematikdidaktik durchaus Anerkennung gefunden hat.

Wenn wir nochmals die Überschrift betrachten, so sind zwei Begriffe wenn schon nicht voll-ständig zu klären, so doch in ihren Bezügen zur Mathematikdidaktik in Ansätzen zu untersu-chen. Als erstes knüpft die direkte Manipulation in Folge die vorliegende Argumentation an Details technischer Natur und muß begleitend zu den Beispielen im notwendigen Umfang erläutert werden. Den allgemeinen mathematischen Objekten ist zuerst die Aufmerksamkeit zu widmen. Was verstehen wir unter dem Allgemeinen, genauer unter dem Allgemeinen in der Mathematik? Wir betrachten hier das Allgemeine als die Allgemeingültigkeit der Begriffe und Sätze innerhalb der Mathematik. Keinesfalls soll an dieser Stelle über den Begriff des Allgemeinen im Zusammenhang eines philosophisches Theoriegebäudes gesprochen werden, obwohl jedes vernünftige Sprechen über das Allgemeine schon zahlreiche Voraussetzungen in sich birgt und so auf seine speziellen Wurzeln in einer Theorie verweist.

Image schema Wie können wir das Allgemeine in der Mathematik, die Begriffe der Mathematik, welche letztlich den Kern der Mathematik beschreiben, für uns festhalten und sie an die jeweils subjektive Sprache und Erfahrungswelt anbinden? Wie können wir einem Gegenüber das uns bereits geläufige mitteilen oder anders gesprochen, dem Gegenüber soweit Lenkung angedei-hen lassen, dass er selbst das Allgemeine in Gestalt einer Definition, eines Satzes oder eines Beweises so zu seinem eigenen macht, dass Mathematik Bedeutung im Subjekt erringt? In dieser zweiten Frage steckt implizit auch schon das Verlangen, uns selbst ein Werkzeug, ein allgemeines Verfahren zur Hand zu geben, welches uns zur Seite steht, wenn wir den Weg des Erwerbes neuer Kenntnisse beschreiben sollen. Dazu benötigen wir ein Modell, das uns

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die Dokumentation dieses Festmachens erlaubt und dabei noch in der zweiten angesproche-nen Frage dienlich ist. Anders formuliert: Wie können wir über die Strukturen des Lernens von Mathematik erfolgreich sprechen?

Eine mögliche Antwort findet man in den Beiträgen von M. Johnson und G. Lakoff (vgl. Johnson, 1987; Lakoff, 1987) sowie den auf diesen Arbeiten aufbauenden weiterführenden Überlegungen, von denen exemplarisch zwei genannt seien (Dörfler, 1991; Krussel, 1995). Lakoff und Johnson versuchen in ihren Überlegungen Modelle kognitiver Prozesse bzw. kognitiver Zustände vorzulegen, welche, stark verkürzt gesprochen, den Erwerb von Begrif-fen und den Aufbau von Bedeutungen von Begriffen so beschreibbar machen sollen, dass ein Rekurs auf ein objektives Wissen im Sinne eines platonisches Weltbildes nicht notwendig erscheint. Johnson verwendet den Begriff des „image schemas“ als Strukturierungs- und Beschreibungmittel für kognitive Modelle. „Image schemas“ sind „recurring dynamic pattern(s) of our perceptual interactions and motor programs that give coherence and structure to our experience“ (vgl. Johnson, 1987 S. XIV). Dabei verstehen wir unter „experience“ auch Erfahrungen, die aus dem Gebrauch von Sprache bzw. Symbolsystemen entstehen. Solche Schemata haben nun nicht die Gestalt eines konkreten Bildes, sondern tragen eine je spezielle Struktur, ein Relationengefüge, ohne selbst nur vollkommen abstrakte Propositionen zu sein. In einem kontinuierlichen Spektrum zwischen abstrakten unanschaulichen Relationen und reichhaltigen konkreten Bildern liegt das „image schema“. „On the one hand, they are not propositions that specify abstract relations between symbols and objective reality. ... On the other hand, they do not have the specificity of rich mental images or mental pictures. They operate on one level of generality and abstraction above concrete, rich images. A schema consists of a small number of parts and relations, by virtue of which it can structure indefinitely many perceptions, images and events. In sum, image schemata operate at a level of mental organization that falls between abstract propositional structures, on the one side, and particular concrete images „ (vgl. Johnson, 1987 S.28-29). Der Träger dieser Struktur, ebenso wie die Struktur selbst, dürfen nicht unabhängig vom lernenden Subjekt gedacht werden, sondern sind stets mit dem Einzelnen und seinen bisheri-gen Kenntnissen, seinem sozialem Umfeld, seiner Lebensgeschichte etc. verknüpft.

Versuchen wir nun Beispiele für „image schemas“ beim Lernen von Mathematik zu finden. Die nachfolgenden Beispiele beschreiben „image schemas“ unter Verwendung von vermit-telnden Transportobjekten, die selbst Bilder sein können. Es kann sich bei ihnen aber auch um sprachliche Formulierungen oder um symbolische Darstellungen handeln. Gemeinsam ist ihnen der Trägercharakter, der es uns dann auch erlaubt, sie für das eigene Denken als strukturgenerierendes Mittel einzusetzen oder wie hier „image schemas“ in Auszügen einem Leser zu versprachlichen. Diese Bilder, Formulierungen etc. sind aber nicht mit „image schemas“ gleichzusetzen. Sie dienen dem sprechen „über“ Relationen, Begriffe, Beweise, Eigenschaften etc.. Mit Bedacht auf die nachfolgenden Bemerkungen stellen wir zwei Realisierungsangebote vor (vgl. Dörfler, 1991):

• Image schema, die an Figuren gebunden sind, sind Schemata, die oft in Verbindung mit geometrischen Begriffen und Eigenschaften stehen (Inzidenzen, Winkeleigenschaften, Parallelitäten etc.), oder Eigenschaften von Funktionen (Monotonie, Nullstellen, Krüm-mungsverhalten etc.). „The cognitive construction of a figurative image schema demands the focussing of the perceptive and cognitive attention of the learner on specific differences, features, qualities, relations etc.“ (vgl. Dörfler, 1991 S.23) Die Unterrichts-

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erfahrung zeigt hier (vgl. Kadunz 1996, Chazan 1993), dass Lernende vorliegende Figuren oft erst durch Erläuterungen und Lenkungen in sprachlicher oder schriftlicher Form (Arbeitsblätter) als Schemata im hier verwendeten Sinn erwerben und erfolgreich bei Beschreibungen und in Argumentationszusammenhängen einsetzen. Im speziellen können Beobachtungen von Eigenschaften in 1 diesen Figuren durch individuell durchführbare Manipulationen (vgl. Kadunz 1996) maßgeblich unterstützt werden.

• Image schema, die durch Operationen vermittelt werden, stehen den figurgebundenen Schemata gegenüber2. Wohl können wir hier auch physische Realisierungen finden, diese erscheinen dem Lernenden aber in einer ersten Konfrontation oft „unanschaulicher“ als die figurgebundenen Varianten. Die wesentliche Aufgabe des Realisates, welches eine Figur oder auch eine sprachlich formulierte Handlungsanleitung sein kann, ist die Offerierung der Möglichkeit von Operationen. Hier können wir z.B. die geometrischen Abbildungen ansiedeln, aber auch Sprachfiguren, die rekursive Zusammenhänge beschreiben (rekursive Definition der Exponentialfunktion). Den Aufbau eines operativen „image schema“ des Ableitungsbegriffes stellt Kirsch beim Einsatz seines bekannten „Funktionenmikroskopes“ vor. Die Differenzierbarkeit einer Funktion wird durch ihre Linearisierbarkeit charakterisiert. Dies kann durch die immer wieder durchführbare Handlung der „Vergrößerung“ einer zu untersuchenden Funktion dem Lernenden vermittelt werden. Nicht ein einzelner Funktionsgraph gibt Auskunft über Differen-zierbarkeit, sondern die durchführbare Handlung des „zoomen“ und die daran angeschlossene Beobachtung, dass das Bild des gezoomten Funktionsgraphen „wie der Graph eine linearen Funktion“ gesehen werden kann. Ein so aufgebautes Schema bedient sich zwar einer Figur, die eigentliche gestaltende Kraft dieses Schemas ist die dynamische aus der Handlung des Zoomen entstandene Einsicht in den Zusammenhang zwischen Differenzierbarkeit und Linearisierbarkeit.

Wir bemerken hier abschließend, dass „image schema“, die erfolgreich kognitive Prozesse strukturieren, nur selten eine eindeutige Kategorisierung erlauben. Vielmehr erscheinen sie oft als Mischtypen. So beinhalten Schemata, die aus der Beschäftigung mit geometrischen Figuren entstehen, neben ihrem Bildcharakter oft dynamische Aspekte. Man denke an Beweisfiguren in der Geometrie, die abbildungsgeometrische Methoden verwenden oder an Konfigurationen, in welchen Invarianzen nach direkter Manipulation an diesen Objekten von Lernenden entdeckt werden.

1 Die hier angesprochenen Eigenschaften treten aus unserer Sicht nicht in den Figuren auf, sie liegen auch nicht

hinterA ihnen, sondern werden vom erkennenden Subjekt in dessen Begriffs- und Erfahrungskontext konstruiert und eingebettet.

2 Eine umfassendere Kategorisierungen von image schema A und deren Verbindung zum Lernen von Mathematik findet man z.B. bei Krussel. (Vgl. Krussel 1995)

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StudyWorks!

Produktbeschreibung StudyWorks (siehe z.B. http://www.mathsoft.com/studyworks/)erscheint dem Benutzer sowohl als Werkzeug für das Lernen von Mathematik als auch als Sammlung von Unter-richtsvorschlägen zur Erarbeitung von Inhalten der S1 und S2. Aus diesem Grunde ist diese Sammlung nicht mit einem Schulbuch vergleichbar, da hier jahrgangsübergreifend Lehr-inhalte angeboten werden. Im Folgenden möchte wir vor allem diese Inhalte exemplarisch betrachten und weniger auf die Gesamtheit der Softwareoptionen von StudyWorks eingehen. Wir erhoffen, dass durch die Beschreibung der Verwendung dieser Beispiele dem Leser auch Einblick in gewisse softwaretechnische Eigenheiten von StudyWorks gewährt werden. Eine erste Einschätzung der Möglichkeiten, die StudyWorks! bietet, stellt ein Vergleich mit Derive bzw. MathCad3 dar, wobei StudyWorks als Sonderfall von MathCad die symbolischen Berechnungsfähigkeiten von Derive nicht erreicht.

Abb. 1 Abb. 2

Abbildung 1 und 2 zeigen, dass Hilfen, Anleitungen, Unterrichtsbeispiele, Verknüpfungen in das WWW sowie eine Lehrerbegleitlektüre (in der hier vorliegenden Version) in einem Resource Center versammelt sind. Wir verzweigen in den Abschnitt Precalculus der Maths Library, um dort die angeführten Inhalte am Beispiel der Trigonometrie zu betrachten. Das Resource Center stellt keine Hypertextumgebung im Sinne des WorldWideWeb dar, weil z.B. Rücksprünge von einem in der Hierarchie tiefer liegenden Seite nur über ein eingeblendetes Menü möglich sind. In den nachfolgend beschriebenen Abschnitten der

3 MathCad wird in Österreich vor allem in höheren technischen Lehranstalten sowohl im MU als auch in technisch orientierten Unterrichtsgegenständen als Numerik- und Veranschaulichungswerkzeug eingesetzt.

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Library wird der Lernende in einem Kurs aus Erläuterungen und Aufgaben geführt.

Abb. 3 Abb. 4

Möchte sich der Lernende mit Fragen im Umfeld der Trigonometrie beschäftigen, so findet er Anleitungen im Abschnitt Precalculus. Die Abbildungen 3 und 4 zeigen Beispiele aus diesem Abschnitt. Nun präsentieren sich die Trigonometrie in StudyWorks und mit ihr auch die restlichen Inhalte nicht als Lernumgebung, mit welcher der Lernende ohne Unterweisung durch einen menschlichen Instruktor Kenntnisse aufbauen kann. In „Basic Trigonometric Relationship“ wird in der Gestalt einer überdimensionalen Formelsammlung, die durch Beispiele angereichert ist, Information angeboten. Dazu zählen die Definitionen der Winkel-funktionen im rechtwinkeligen Dreieck, elementare goniometrische Gleichungen, Berech-nungen im rechtwinkeligen Dreieck sowie schriftliche Erläuterungen zur Verwendung von Bogen- und Winkelmaß in StudyWorks.

Mit größerem Einsatz wurden die nachfolgenden Kapitel gestaltet. „Sinusoidal Functions“ (siehe Abbildung 2) beginnt mit der simulierten Fahrt auf einem Riesenrad und deutet dann in einer Animation die Entstehung des Graphen der Sinusfunktion an. Durch den Einsatz mehrerer Grafiken wird versucht, die Eigenschaften der Sinusfunktion A*Sin(x) bzw. A*Sin(B*x) sowie Sin(x+C) dem Lernenden zu vermitteln. Der Text, die Parameter, die Funktionsgleichung und der Graph der Funktion sind im Resource Center zu einer Einheit verschmolzen. In einem solchen Text kann durch Variation jener Werte, die den Parametern zugewiesen werden, oder durch Tausch der Funktion die Wirkung einer solchen Handlung am Schirm bzw. am vorliegenden elektronischen Arbeitsblatt unmittelbar beobachtet werden. Der vorgestellte Text wird durch so durchgeführte Eingriffe zu einem interaktiven Text.

Weiters können Teile des Inhaltes oder der gesamte Inhalt des aktuell geöffneten Abschnittes des Resource Centers in StudyWorks als Kopie übernommen werden. Damit ist es auch einem nicht versierten Benutzer möglich, die didaktischen Unzulänglichkeiten4 des Resource Centers durch eigene Vorschläge im Rahmen eines elektronischen Arbeitsblattes

4Zu diesen Unzulänglichkeiten zählt die Beschränkung auf rechentechnisch relevante Übungsbeispiele, kaum Anwendungsbezüge, oder auch kaum Fragestellungen, welche zu einer argumentierenden Beschreibung von Sachverhalten führen.

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auszugleichen und gleichzeitig technische Kniffe, wie etwa die Mühe der Erstellung einer umfangreicheren Animation, durch Übernahme der vorgegebenen Animation zu vermeiden. Ein so erstelltes Arbeitsblatt erscheint dem Lernenden ähnlich dem Arbeitsblatt in einer Tabellenkalkulation. Bei Bearbeitung dieses Blattes vermeidet StudyWorks die Eingabe in sichtbare Zellen, wie man es von einer Tabellenkalkulation gewohnt ist. Die beobachtbaren Graphen, Funktionswerte etc. werden in der Reihenfolge ihrer Position am Schirm bzw. dem elektronischen Arbeitsblatt miteinander verknüpft und reagieren entsprechend der Änderung der Werte der sie steuernden Parameter.

Ein Abbildungsschema erwerben:

Kehren wir zur Aufgabenstellung zurück, wie sie im ersten Abschnitt formuliert wurde. Wir wollen einen Begriff der Mathematik mit dem Werkzeug StudyWorks! so bearbeiten, dass der Lernende bei Erarbeitung der strukturbestimmenden Eigenschaften dieses Begriffes unterstützt wird. Die Gesamtheit dieser Eigenschaften werden wir dann unter den Begriff des oben eingeführten image schema zusammenführen.

Als mathematischen Begriff wählen wir die lineare Abbildung aus dem ⎥5 in den ⎥5 und als Materialisierung die Darstellung durch Matrizen. Dazu werden wir mit StudyWorks! ein Arbeitsblatt erstellen, mit dem der Lernende die Auswirkungen von Veränderungen in Matrizen im Zusammenhang mit speziellen Abbildungen (Streckung und Drehung) unter-suchen kann. Diese Abbildungen werden auf geometrische Objekte angewandt. Wir wählen dazu als geometrisches Objekt eine Strecke, deren Endpunkte der Ursprung des Koordina-tensystemes und ein beliebiger Punkt ist.. Zur Vorbereitung des Arbeitsblattes stellen sich folgende Probleme:

• Kennen die Schüler Parameterdarstellungen von Geraden?

• Wie zeichnet StudyWorks! parametrisierte Kurven?

• Wie lenken wir die Konzentration der Lernenden auf die Parameter der Transformations-matrix und nicht auf technische Programmdetails, welche zur Darstellung der Kurve notwendig sind?

Wir bieten als Lösung ein elektronisches Arbeitsblatt an. Es beinhaltet ein funktionsfähige Parameterdarstellung einer Strecke im ersten Quadranten, das Bild der Strecke (siehe Ab-bildung 5) und eine 2x2 Matrix mit frei definierbaren Werten, die zum Zeitpunkt der Weiter-gabe des Arbeitsblattes eine Einheitsmatrix erzeugen (siehe Abbildung 6). Werden nun die Parameter a,b,c,d5 systematisch variiert, so kann am Bild der Strecke die Auswirkung der Veränderung beobachtet werden. Diese Manipulation der Parameter sollte sorgfältig doku-mentiert und besprochen werden. Auch eine Projektion auf eine Leinwand vor einer Gruppe von Lernenden ist sinnvoll. Hier können Voraussagen auf die zu erwartende Änderung der Gestalt bzw. Lage der Strecke getroffen und mit den sichtbaren Folgen der Parameter-änderung verglichen werden.

5 Wir wählen hier vier Parameter schon außerhalb der Matrix, weil bei Notierung „Veränderung von a:...; Veränderung von b:...; etc“ bei Notiz in einem Heft weniger Verwechslungen zu erwarten sind, als bei Verwendung der üblichen Matrizenschreibung m[i,j].

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Abb. 5 Abb. 6

Welches Schema wird durch dieses Vorgehen nun unterstützt bzw. aufgebaut? Das Zusam-menspiel Matrix - Abbildung wird durch die Beobachtungen der Transformationen der Strecke für den Lernenden durchschaubarer. Das elementare Schema „Streckung in Richtung einer Koordinatenachse“, kann am Schirm als Veränderung des Bildes der Strecke wieder erkannt werden. Dieser Änderung zugehörig ist die Variation der Eintragung „a“ in der Abbildungsmatrix. Die Auswirkungen solcher Variationen können bei Einschränkung auf die Parameter „a“ und „d“ auch in einem experimentellen Zugang gefunden werden, weil die anschaulichen Wirkungen leicht den numerischen Änderungen zugeordnet werden können. Durch wiederholtes schriftliches Festhalten, Besprechung des beobachteten Sachverhaltes in der Gruppe und mit dem Lehrenden könnte folgende Formulierung entstehen: „Diese spezielle 2x2 Matrix verhält sich bei Veränderung des Wertes „a“ so, als ob sich die Strecke in Richtung der ersten Koordinatenachse streckt.“

Setzt man diese Variation von „a“ bei anderen geometrischen Figuren ein, so kann ebenfalls die Streckung beobachtet und jeweils die Änderung des Matrizeneintrages „a“ als verantwortlich betrachtet werden. In weiterer Folge wird von einer speziellen geometrischen Figur nicht mehr gesprochen. Das Schema scheint allgemein zu gelten. Die Matrix und mit ihr die Eintragungen „a“ bzw. „d“ sind Träger eines abstrakten „Streckungsschemas“ geworden, welches die Änderung der Parameter mit der bekannten Streckung verknüpft. Durch diese Formulierung wird auch der enge Konnex zwischen dem Begriff der Abbildung und der Darstellung der Abbildung durch Matrizen betont. Matrizen können immer als Abbildungen gesehen werden.

Mehr Vorarbeit verlangt die Unterstützung des Aufbaues eines image schema, welches die Verknüpfung der anschaulich gegebenen Drehung mit der entsprechenden Abbildungsmatrix fördert. Hier ist zuerst die Herleitung der Abbildungsmatrix notwendig, da die zielführende Deutung von vier gleichzeitig veränderbaren Parametern nicht erwartet werden kann.

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Abb. 7

Die vorliegende Entwicklung eines neuen Schemas zur Handhabung und Deutung (Zuwei-sung von Bedeutung) wird durch StudyWorks! in einem zentralen Punkt nicht unterstützt. Am graphischen Objekt selbst können keine Manipulationen vorgenommen werden. Wäre dies möglich und würden die Veränderungen der Strecke auch Veränderungen bei den Matrizeneintragungen erwirken, so wäre das gebildete Schema tragfähiger.

Manipulationen unter Verwendung dynamischer Geometriesoftware Seit mehr als zehn Jahren wird das Lehren und Lernen von Geometrie durch den Einsatz von dynamischer Geometriesoftware unterstützt. Wir verzichten auf eine Darstellung der Eigen-schaften und Besonderheiten der zahlreichen Produkte. Der Leser findet in der zahlreich vorhandenen Literatur entsprechende Ausführungen (vgl. Elschenbroich, 1996; Hischer, 1997, 1998; Kadunz 1996; Henn 1997).

Als zweites Beispiel wollen wir die Spiegelung eines Dreieckes an zwei Achsen untersuchen. Welche Auswirkungen haben die Manipulation der Spiegelungsachsen auf die Lage der gespiegelten Dreiecke? Welche „image schema“ können vom Lernenden konstruiert werden? Mit welchen subjektiven Erlebnissen können diese Schemata verbunden werden?

Wir konstruieren ein Dreieck in beliebiger Lage und spiegeln es an zwei nichtparallelen Spiegelungsachsen. Wie oben kann nun in Gestalt eines Arbeitsblattes ein Auftrag erteilt

werden. Die Spiegelungsachse g> ist um den Schnittpunkt der Spiegelungsachsen zu drehen. Welche Beobachtungen könnte ein Lernender hier notieren?

Die vier nachfolgenden Abbildungen geben die durch das Arbeitsblatt vorgeschlagene Vor-gangsweise wieder. Für vier Augenblicke

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Abb. 8 Abb. 9

Abb. 10 Abb. 11

wurde von der gegebenen bzw. gerade veränderten Konfiguration eine Aufnahme erstellt. Man beobachtet zuerst auf phänomenologischer Ebene. Das Dreieck A``B``C`` beginnt sich bei Drehung der Spiegelungsachse zu bewegen. Wird g` annähernd gleichförmig durch Bewegung der Maus gedreht, so nähert sich das Dreieck A``B``C``, „überholt“ seine Spiege-lungsachse und überdeckt das Ausgangsdreieck ABC genau in dem Augenblick, in dem die Spieglungsachsen aufeinander zu liegen kommen. Der entscheidende Punkt ist hier der Überholvorgang, der durch die manuelle Bewegung durchaus „körperlich“ erfahrbar ist. Die

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langsame Bewegung der Hand, welche die Maus steuert, erzeugt eine wesentlich schnellere Bewegung eines Objektes, das von der Spiegelungsachse und damit von der Maus gesteuert wird.

Mit welchen subjektiven Erlebnissen könnte ein Lernender diese Beobachtungen verknüpfen? Zum einen wird er die Abhängigkeit von Spiegelungsachse und Spiegelbild erkennen. Wichtiger, weil für den Begriff der Spiegelung zentraler, scheint hier die Beob-achtung der Geschwindigkeiten, mit denen Achse und Dreieck ihre Bewegungen ausführen. Warum „überholt“ das Dreieck seine Achse? Zum einen muß das Dreieck A``B``C`` sich mit dem Dreieck A`B`C` decken, um danach ABC zu erreichen. Nun wird aber der Lernende folgendes Phänomen aus seinem Alltag kennen: Steht man vor einem Spiegel und nähert man sich seinem Spiegelbild, so nähert sich das Spiegelbild selbst, da zu jedem Zeitpunkt ein Objekt und sein Spiegelbild gleich weit vom Spiegel „entfernt“ sind. Urbild und Spiegelbild nähern sich somit einander mit der doppelter Geschwindigkeit, mit der sich das Objekt dem Spiegel nähert.

Dies würde ein Beobachter auch schon in einer geometrischen Konfiguration mit nur einer Spiegelungsachse beobachten können. Die zweite Spiegelung in dieser Angabe dient der subjektiven Verstärkung des Eindrucks dieses Phänomens. Der Überholvorgang wird eher mit größerer Geschwindigkeit assoziiert, als ein aufeinander zu bewegen, wie im Falle von einer einzigen Spiegelungsachse. Damit kann eine Beschreibung des beobachteten Sachverhaltes leichter mit der Spiegel- bzw. Überholmetapher 6 erfolgen.

Welches image schema wird durch die Bearbeitung der „Spiegelungsaufgabe“ konstruiert? Ein solches Schema, welches sich an die hier vorliegende Drehungsfigur knüpft, könnte vom Lernenden dann in Situationen eingesetzt werden, in denen Spiegelungen, Drehungen und Winkelgeschwindigkeiten zur Begründung in geometrischen oder kinematischen Problemen benötigt werden. Wenn wir der von der Beobachtung der Geschwindigkeitseigenschaft absehen, so kann die Fragestellung zu einer Verknüpfung der Abbildungen „Spiegelung“ und „Drehung“ führen. Einer Doppelspiegelung entspricht dann eine Drehung um den Schnitt-punkt der Spiegelungsachsen.

6 Zur Verwendung von Metaphern bei der Konstruktion von „image schema“ vgl. Johnson 1987 und Lakoff 1987.

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Abb. 12

Das entwickelte image schema kann nun an eine Figur gebunden gedacht werden. Diese Figur trägt keine speziellen geometrischen Objekte, welche an Achsen gespiegelt bzw. um einen Punkt gedreht werden, sondern sollte die Eigenschaften in einer abstrakten aber nicht symbolischen Darstellung dem Lernenden zur Verfügung stellen. Als Beispiel trägt die Abbildung 12 die hier hervorgehobenen Eigenschaften (Eigenschaft der doppelten Winkel, Spiegelungsachsen und Drehung, symbolisiert durch den größeren Winkelbogen).

Zu beachten ist, dass jeder Lernende seine subjektiv ausgestalteten image schema erzeugen und einsetzen wird. Ist dieses Schema beweglich, so kann auch vor dem „inneren Auge“ eine Veränderung einer Spiegelungsachse „wahrgenommen“, in ihren Auswirkungen auf die restliche schematische Figur beschrieben und zur Bearbeitung von Fragestellungen verwendet werden.

Zusammenfassung Die hier vorgestellten bzw. verwendeten Softwareprodukte sind aus sich selbst nicht in der Lage den Anspruch eines Zugriffes auf das Allgemeine durch Manipulation von Bildschirm-objekten zu erfüllen. Die sorgfältige Planung von Lernsituationen und die wiederholte gemeinsame Deutung der Reaktionen der Lernenden kann diese in die Lage versetzen, Mathematik mit subjektiver Bedeutung zu verknüpfen und so eigene Schemata aufzubauen, welche in neuen Fragestellungen verwendet werden können. Dabei kann der Aufbau von Sinnzusammenhängen (vgl. die Ausführungen zum Abbildungsschema) vor dem Hintergrund einer konstruktivistisch orientierten Kognitionstheorie dann gelingen, wenn Lernende aus ihrer kognitiven Entwicklung ihre Mathematik gemeinsam mit anderen Lernenden und dem Lehrenden erstellen.

Literaturverzeichnis: Dörfler, Willibald: Meaning: image schemata and protocols, Proceedings, Fifteenth PME Conference, Assisi 1991

Elschenbroich, H.-J.: Geometrie beweglich mit EUKLID, Dümmler, Bonn 1997

Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode, J.C.B. Mohr, Tübingen 1990

Henn, Hans-Wolfgang: Schülerarbeitsbuch GEOLOG-WIN, Dümmler, Bonn 1997;

Hischer, Horst (Hrsg): Computer und Geometrie: neue Chancen für den Geometrieunter-richt?, Franzbecker, Hildesheim 1997

Hischer, Horst (Hrsg): Computer und Geometrie - Suchen, Entdecken und Anwenden, Franzbecker, Hildesheim 1998

Johnson, Mark: The Body in the Mind, The University of Chicago Press, Chicago 1987

Kadunz, Gert: Entwicklung und Bewertung von Software für den Geometrieunterricht, Dissertation; Universität Klagenfurt 1996

Krussel, Carolyn: Visualization and Reification of Concepts in Advanced Mathematical Thin-king, Thesis, Oregon State University, 1995

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Lakoff George: Woman, Fire and Dangerous Things, The University of Chicago Press, Chicago 1987