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)riginalarbeiten- Research paper. Mathematische Modellierung in J. getten der Forschung im lngenieurwesen 65 (20oo) 287-294 ~3 Springer-Verlag 2000 Materialtheorie Zusammenfassung In diesem Aufsatz wird die Bedeutung der Mathematischen Modellierung in der Materialtheorie hervorgehoben. Die zentrale Aufgabe besteht darin, Materialgleichungen (constitutive und evolutional equa- tions) aufzustellen. Neben rein ph/inomenologischen Betrachtungen der klassischen Kontinuumsmechanik dfirfen werkstoffwissenschaftliche Gesichtspunkte in einer Materialtheorie nicht fehlen (Mikro-/Makromechanik), d.h., es ist eine Br/icke zu schlagen zwischen Kontinu- umsmechanik und Festk6rperphysik. Dazu soil der vorliegende Aufsatz Anregungen geben. Es wird gezeigt, dass die Darstellungstheorie yon Tensorfunktionen ein unverzichtbares Werkzeug ist, das erst die L6sung yon Randwertaufgaben bei mehraxialer Werkstoffbeanspru- chung unter Berticksichtigung der Anisotropie, der physikalischen und geometrischen Nichtlinearit~iten gestattet. Mathematical modelling in materials science Abstract In this paper, it has been pointed out that ma- terial laws and constitutive theories are the fundamental bases for describing the mechanical behaviour of materials under multiaxial states of stress involving actual boundary conditions and considering the micro structure of the material, the anisotropy, and, furthermore, both physical and geometrical non linearities. In solving such complex problems, the tensor function theory has become a powerful tool as illustrated in this paper. Formelzeichen [-] cr [N/ram 2] ~0 [-1 E [N/mm 2] O'ij [N/mm 2] d,i Is-'] ~'~ij [-] Aijkl [-] Nenndehnung Nennspannung spontane Dehnung Elastizitfitsmodul Koordinaten des Cauchyschen Spannungstensors Koordinaten des Verzerrungsgeschwindigkeitstensors Koordinaten des Sch/idigungstensors Koordinaten des Materialtensors Eingegangen: 10. Mai 1999 J. Betten Lehr- und Forschungsgebiet Mathematische Modelle in der Werkstoffkunde, RWTH Aachen, Templergraben 55, D-52056 Aachen, Germany Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. D. Gross zum 60. Geburtstag gewidmet (P0, ~1, (P2 OHijkh . . . , 2Hijkl skalarwertige Funktionen im isotropen Fall Koordinaten tensorwertiger Funktionen im anisotropen Fall 1 Einleitung Die bedeutenden Werkstoffentwicklungen der letzten Jahrzehnte basieren auf Ergebnisse intensiver Grundla- genforschung. Technischer Fortschritt und industrielle Weiterentwicklungen sind h~iufig nur dann m6glich, wenn die daffir erforderlichen leistungsfiihigen Materialien zur Verfiigung stehen. Ffir diese Schlfisselfunktion neuer Materialien kann man zahlreiche Beispiele aufz/ihlen. Fortschritte in der Luft- und Raumfahrt, im Flugzeug- und Triebwerksbau, im Kraftwerksbau, im Automobil- und Motorenbau etc. sind ohne den Einsatz neuer Materialien nicht m6glich. Neue Materialien k6nnen wesentlich zur Senkung des Energieverbrauchs beitragen, z.B. durch die Verwendung von Keramik in Gasturbinen, yon hochwarmfesten Werkstoffen im Kraftwerksbau oder yon Verbundwerkstoffen im Fahrzeugbau und in der Luft- und Raumfahrt. Beispiele hierzu werden im folgenden ausfiihrlich beschrieben. 2 Kontinuumsmechanik und Tensorrechnung in der Materialtheorie In vielen Industriezweigen werden Ingenieure des Ma- schinenbaus oder des Bauwesens heute mehr denn je und verst/irkt auch kfinftig mit Problemen der Materialtheorie (Mechanik/Werkstoffkunde) konfrontiert. Neben der Ent- wicklung neuer Werkstoffe besteht eine zentrale Aufgabe darin, Materialgleichungen (constitutive und evolutional equations) aufzustellen, die das mechanisch-thermische Verhalten yon realen Stoffen unter Betriebsbedingungen beschreiben. Hierbei wird rein empirisches Vorgehen im- mer mehr abgel6st durch mathematische Modellierung z.B. auf der Basis der Kontinuumsmechanik und der Tensorrechnung. Die klassische Kontinuumsmechanik betrachtet den Werkstoff als Kontinuum, d.h. als eine ,,stetige" Anh~iufung von materiellen Punkten. Als ma- thematisches Hilfsmittel wird die Tensorrechnung benutzt, ohne die wohl kaum ein Einblick in die Grundlagen der modernen Kontinuumsmechanik vermittelt werden kann [4, 5]. Die Tensorrechnung entstand an der Schwelle zum 20. lahrhundert und wurde yon den italienischen Mathematikern Ricci und Levi-Civita [21] begrfindet. Die

Mathematische Modellierung in der Materialtheorie

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Page 1: Mathematische Modellierung in der Materialtheorie

)riginalarbeiten- Research paper.

Mathematische Modellierung in J. getten

der

Forschung im lngenieurwesen 65 (20oo) 287-294 ~3 Springer-Verlag 2000

Materialtheorie

Zusammenfassung In diesem Aufsatz wird die Bedeutung der Mathematischen Modellierung in der Materialtheorie hervorgehoben. Die zentrale Aufgabe besteht darin, Materialgleichungen (constitutive und evolutional equa- tions) aufzustellen. Neben rein ph/inomenologischen Betrachtungen der klassischen Kontinuumsmechanik dfirfen werkstoffwissenschaftliche Gesichtspunkte in einer Materialtheorie nicht fehlen (Mikro-/Makromechanik), d.h., es ist eine Br/icke zu schlagen zwischen Kontinu- umsmechanik und Festk6rperphysik. Dazu soil der vorliegende Aufsatz Anregungen geben. Es wird gezeigt, dass die Darstellungstheorie yon Tensorfunktionen ein unverzichtbares Werkzeug ist, das erst die L6sung yon Randwertaufgaben bei mehraxialer Werkstoffbeanspru- chung unter Berticksichtigung der Anisotropie, der physikalischen und geometrischen Nichtlinearit~iten gestattet.

Mathematical modelling in materials science Abstract In this paper, it has been pointed out that ma- terial laws and constitutive theories are the fundamental bases for describing the mechanical behaviour of materials under multiaxial states of stress involving actual boundary conditions and considering the micro structure of the material, the anisotropy, and, furthermore, both physical and geometrical non linearities. In solving such complex problems, the tensor function theory has become a powerful tool as illustrated in this paper.

Formelzeichen [-]

cr [N/ram 2]

~0 [-1 E [N/mm 2] O'ij [N/mm 2]

d, i Is-']

~'~ij [-] Aijkl [-]

Nenndehnung Nennspannung spontane Dehnung Elastizitfitsmodul Koordinaten des Cauchyschen Spannungstensors Koordinaten des Verzerrungsgeschwindigkeitstensors Koordinaten des Sch/idigungstensors Koordinaten des Materialtensors

E i n g e g a n g e n : 10. M a i 1 9 9 9

J. Betten Lehr- und Forschungsgebiet Mathematische Modelle in der Werkstoffkunde, RWTH Aachen, Templergraben 55, D-52056 Aachen, Germany

Herrn Univ.-Prof. Dr.-Ing. D. Gross zum 60. Geburtstag gewidmet

(P0, ~1, (P2

O H i j k h . . . , 2 H i j k l

skalarwertige Funktionen im isotropen Fall Koordinaten tensorwertiger Funktionen im anisotropen Fall

1 Einleitung Die bedeutenden Werkstoffentwicklungen der letzten Jahrzehnte basieren auf Ergebnisse intensiver Grundla- genforschung. Technischer Fortschritt und industrielle Weiterentwicklungen sind h~iufig nur dann m6glich, wenn die daffir erforderlichen leistungsfiihigen Materialien zur Verfiigung stehen. Ffir diese Schlfisselfunktion neuer Materialien kann man zahlreiche Beispiele aufz/ihlen. Fortschritte in der Luft- und Raumfahrt, im Flugzeug- und Triebwerksbau, im Kraftwerksbau, im Automobil- und Motorenbau etc. sind ohne den Einsatz neuer Materialien nicht m6glich. Neue Materialien k6nnen wesentlich zur Senkung des Energieverbrauchs beitragen, z.B. durch die Verwendung von Keramik in Gasturbinen, yon hochwarmfesten Werkstoffen im Kraftwerksbau oder yon Verbundwerkstoffen im Fahrzeugbau und in der Luft- und Raumfahrt. Beispiele hierzu werden im folgenden ausfiihrlich beschrieben.

2 Kontinuumsmechanik und Tensorrechnung in der Materialtheorie In vielen Industriezweigen werden Ingenieure des Ma- schinenbaus oder des Bauwesens heute mehr denn je und verst/irkt auch kfinftig mit Problemen der Materialtheorie (Mechanik/Werkstoffkunde) konfrontiert. Neben der Ent- wicklung neuer Werkstoffe besteht eine zentrale Aufgabe darin, Materialgleichungen (constitutive und evolutional equations) aufzustellen, die das mechanisch-thermische Verhalten yon realen Stoffen unter Betriebsbedingungen beschreiben. Hierbei wird rein empirisches Vorgehen im- mer mehr abgel6st durch mathematische Modellierung z.B. auf der Basis der Kontinuumsmechanik und der Tensorrechnung. Die klassische Kontinuumsmechanik betrachtet den Werkstoff als Kontinuum, d.h. als eine ,,stetige" Anh~iufung von materiellen Punkten. Als ma- thematisches Hilfsmittel wird die Tensorrechnung benutzt, ohne die wohl kaum ein Einblick in die Grundlagen der modernen Kontinuumsmechanik vermittelt werden kann [4, 5].

Die Tensorrechnung entstand an der Schwelle zum 20. lahrhundert und wurde yon den italienischen Mathematikern Ricci und Levi-Civita [21] begrfindet. Die

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bekannteste Anwendung erfuhr die Tensorrechnung in der Relativitfitstheorie durch Einstein [17]. Weitere Anwen- dungsgebiete sind z.B. die Differentialgeometrie [19] und, wie bereits oben erw~ihnt, die Kontinuumsmechanik [4, 5].

Neben rein ph~inomenologischen Betrachtungen der klassischen Kontinuumsmechanik dfirfen auch werkstoff- wissenschaftliche Gesichtspunkte in einer Materialtheorie nicht fehlen, da ein realer Werkstoff eine Geffigestruktur aufweist und da sich im Werkstoff Schfidigungen aus- breiten (evolutional equations), die beispielsweise durch Bildung von Poren an Korngrenzen und durch Wachsen von feinen Rissen entstehen. Bild 1 zeigt stereomikrosk- opische Aufnahmen der Oberfl~che von Werkstoffproben

Bild 1. Stereomikroskopische Aufnahmen von Werkstoffproben nach dem Bruch

nach dem Bruch in Abh~ingigkeit vonder Probenorien- tierung [10]. Die Rilgverl~ufe sind deutlich zu erkennen.

Trotz dieser realen Gegebenheiten kann die Material- theorie nicht auf die Methoden der Kontinuumsmechanik verzichten. Daher ist es zu begr~tgen, dass die ,,Gesell- schaft ftir Angewandte Mathematik und Mechanik" (GAMM) auf der Jahrestagung in Krakau am 1. April 1991 den GAMM-Fachausschulg ,,Materialtheorie" gegrtindet hat, in den Kontinuumstheoretiker, Werkstoffwissens- chaftler und Festk6rperphysiker berufen worden sind, um durch Vortr/ige, Diskussionen und Erfahrungsaustausch neue Brtickenschl~ige zu versuchen. Zu diesem Zweck sind bisher internationale Tagungen in Stuttgart (Inst. f. Mechanik), Mtinchen (Inst. f. Mechanik) und Aachen (L.u.F. Mathematische Modelle in der Werkstoffkunde) veranstaltet worden.

Die Interdisziplin~ire Aufgabe des GAMM-Fachaus- schusses besteht darin,

,,die physikalisch-chemisch orientierten neuesten Erkenntnisse der Materialwissenschaften fiber die mathe- matischen Methoden der Mustererkennung und der Funktionsanalysis mit den thermodynamisch fundierten Materialgleichungen der Kontinuumsmechanik der Fest- kfrperphase zu verknfipfen. Materialseitig sollen keine Einschrfinkungen getroffen werden, d.h., es werden metal- lische und nichtmetallische Baustoffe und Verbundwerk- stoffe sowie Keramik auf allgemeiner Basis zu behandeln sein. Die Arbeit des Fachausschusses wird darauf gerichtet sein, den stark gesteigerten Rechenleistungen adiiquate Stoffgleichungen moderner Werkstoffe anzupassen. Als wichtiges Nebenprodukt soil in die Lehre der Mechanik diese Abweichung vom Hookeschen KfJrper entsprechend aufbereitet einflieflen" (vom Fachausschutg verfatgter Text).

3 Reversible und irreversible Verformungen Der sogenannte Hookesche K6rper verh~ilt sich I/near- elastisch. Die lineare ElastizitStstheorie kann auf eine mehr als 300 j~ihrige Geschichte zurfickblicken: Im Jahre 1678 machte Hooke die Feststellung ,,ut tensio sic vis", die er bereits zwei Jahre zuvor in Form eines Anagramms (ceiiinosssttuv) traf. Danach sind L~ingen~inderungen (eines Stabes) und Last proportional. Bezieht man die Last P auf die Querschnittsfl/iche A eines Stabes, a = P/A, und die LSngen/inderung auf die L~inge, c. = A I/I, so kann die Hookesche Feststellung dutch das Hookesche Gesetz

= E~; ausgedrtickt werden. Es stellt eine lineare Ver- kntipfung zwischen Spannung a und Verzerrung g dar. Der Proportionalit~itsfaktor E wird Elastizit/itsmodul genannt. Er stellt eine Materialkonstante dar, die man experimentell bestimmen kann.

Das mechanische Verhalten eines K6rpers ist elastisch, wenn seine Verformungen bei Entlastung sofort, d.h. zeitunabh[ingig verschwinden. Man spricht auch yon reversibler Verformung. Das wirkliche Werkstoffverhalten weicht jedoch mehr oder weniger stark yon dieser Ideal- vorstellung ab. Tats~ichlich h~ingt die H6he der Elastizi- t~itsgrenze yon der Beobachtungsgenauigkeit ab. Je feinf/ihliger die Messmethode ist, desto mehr ergibt sich die Elastizit~itsgrenze zu null; denn selbst kleinste

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I. Betten: Mathematische Modellierung in der Materialtheorie

Verformungen sind mit irreversiblen Vorgiingen verbun- den, wie D~impfungsmessungen zeigen (Energieverbrauch infolge Werkstoffdiimpfung, inelastische, thermische Ef- fekte [3]. Nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik ist immer eine geringe Irreversibilit~it des Verformungsvor- ganges zu erwarten, auch wenn diese Abweichung vom streng elastischen Verhalten kaum beobachtet werden kann.

Oberhalb der makroskopischen Elastizit/itsgrenze haben die Verformungen auch einen makroskopisch bestimmbaren irreversiblen Anteil. Dieses inelastische Verhalten kann sich - pauschal gesehen - zeitunabhiingig oder zeitabhiingig zeigen. Im ersten Fall ist nur die Rei- henfolge der Belastungszusfiinde maflgeblich, nicht jedoch die Geschwindigkeit, mit der diese Zust~inde durchlaufen werden. Dieses geschwindigkeitsunabhfingige Verhalten wird plastisch (nach dem griechischen Verb zr2a'aa~tv = formen, gestalten, bilden) genannt. Im zweiten Fall treten ebenfalls bleibende Verformungen auf, die jedoch von der Geschwindigkeit der Zustands/inderungen abhfingig sind. Als Beispiele seien Kriech- und Relaxationsvorgiinge erw~ihnt.

Mithin kann das mechanische Verhalten von festen K6rpern (Werkstoffen) allgemein in drei Kategorien ein- geteilt werden: elastisches, plastisches Verhalten, Kriech- verhalten. Aufschlufl fiber das mechanische Verhalten geben Kriechkurven ~ = g(t). Eine typische Kriechkurve mit der Temperatur T als Parameter ist in Bild 2 skizziert. Man erh/ilt sie aus einem Experiment, bei dem eine Zugprobe mit einer konstanten Kraft belastet wird. Beim Aufbringen dieser Last zum Zeitpunkt t = 0 reagiert diese Probe spontan mit einer Dehnung %, die man in einen elastischen und plastischen Anteil aufspalten kann. Danach f'~ngt die Probe an zu kriechen. Dieser Kriechvorgang ist zeitabh/ingig. Bei vielen Werkstoffen beobachtet man drei Bereiche (I,II,III), die nach Andrade (1910) als primiires, sekundiires und tertiiires Kriechen bezeichnet werden und in denen sich unterschiedliche Mechanismen abspielen.

Die ph/inomenologische Elasto-, Plasto- und Kriech- mechanik sind Teilgebiete der Kontinuumsmechanik, in die auch Flfissigkeiten und Gase (Fluide) eingruppiert werden k6nnen (solids und fluids). Um zum Ausdruck zu bringen, dass alle Stoffe behandelt werden, spricht man auch yon Rheologie, der Lehre vom Flieflen, hergeleitet aus dem Griechischen: panta rhei = alles flie.flt. Auch in der Plastomechanik sind Redewendungen wie plastisches

|

|

E 0

Bruch T=const. ~,~,,

t u I , ', i

I , I I 1 I I t ,, 1 m,,-- t

Bild 2. Typische Kriechkurve eines metallischen Werkstoffs

Fliegen, Fliegbedingung, Flieflfunktion, Fliegregel etc. fiblich. Bingham [13], der Begrfinder der Viskoplastizitfit, spricht vom Flieflen yon Festkfrpern. In der Einleitung zu den Proceedings of the ,,First Plasticity Symposium" in Lafayette College (1924) schreibt er u.a.:

Our discussion of plasticity therefore concerns itself with the ,,flow of solids". The Greek philosopher Heraklitus was literally correct when he said that ,,everything flows" (panta rhei). It is therefore necessary to limit our discussion by excluding the flow of those things which we are accus- tomed to refer to as fluids, i.e., the pure liquids and gases. But the circle of our lives is not concerned principiaUy with the fluids, even air and water, but with plastic materials. Our very bodies, that food we eat, and the materials which we fashion in our industries are largely plastic solids. Investigation leads us to the belief that plasticity is made up of two fundamental properties which have been made ,,yield value" and ,,mobility", the former being dependent upon the shearing stress required to start the deformation and the mobility being propor- tional to the rate of deformation after the yield value has been exceeded.

4 Tensorfunktionen in der Materialtheorie Nach obigen allgemeinen Bemerkungen zur Material- theorie und einigen historischen Hinweisen soll im fol- genden eine Materialgleichung kurz vorgestellt und diskutiert werden. Danach sind ein paar typische An- wendungsbeispiele aus der Ingenieurpraxis zu beleuchten.

Neben der Newtonschen Hypothese (1687), nach der bei viskosen oder z/ihen Flfissigkeiten in den Berfihrungsfliichen der str6menden Teilchen die bewegungshemmenden Schubspannungen der Relativ- geschwindigkeit proportional sind, kann das bereits oben erw~ihnte Hookesche Gesetz ~ = E~; aus dem Jahre 1678 wohl als einfachstes Stoffgesetz angesehen werden. Darin wird die Spannung ~; = P/A in einer einachsig belasteten Zugprobe mit der resultierenden Dehnung a = Al/lo verknfipft. Der Proportionalit~itsfaktor E ist eine Materialkonstante, die vom Werkstoff und der Temperatur abMngt. Sie wird im Labor aus einem Zugversuch gewonnen. In einem wirklichen Bauteil, z.B. Kurbelwelle und Pleuel eines Kolbenmotors oder faserverst~irkte H6chstdruckbeh~ilter oder Brammen und Bleche beim Walzvorgang, ist der Spannungszustand wesentlich komplizierter als in der einachsig belasteten Zugprobe. Mithin reicht eine skalare Grfge ~ = P/A nicht aus zur Beschreibung des Spannungszustandes. Vielmehr muss eine tensorielle Grffle, d.h. ein Spannungstensor (criy) eingeffihrt werden, den man als Matrix mit drei Zeilen (i = 1,2,3) und drei Spalten (j = 1,2,3) darstellen kann. Somit sind insgesamt 9 Spannungen an jeder Stelle im Bauteil zu ermitteln. Aufgrund der Symmetrie aij = c;ji reduziert sich die Zahl jedoch auf 6 voneinander unab- h~ngige Gr6flen: 3 Normal- und 3 Schubspannungen. Der Begriff Tensor ist aus dem Lateinischen abgeleitet: tendere = spannen, tendo = ich spanne, d.h., die Bezeichnung Spannungstensor ist eine Tautologie.

Analog zum Spannungstensor ist auch die Verzerrung allgemein durch einen Verzerrungstensor (r zu ersetzen.

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Stoffgesetze oder Materialgleichungen nehmen dann die Gestalt yon Tensorfunktionen an.

In den oben beschriebenen Kategorien (elastisches, plastisches Verhalten, Kriechverhalten) kann eine Stoff- gleichung im isotropen Sonderfall durch folgende Tensorfunktion (Polynomansatz) dargestelt werden

Yij ~- fij(Xpq) = q)o(~ij + ~91Xi j + q?2Xl; ) (1)

Weitere Potenzen sind fiberfliissig [4, 5]. Mithin setzt sich (1) aus Beitr/igen nullter, erster und zweiter Ordnung, d.h. aus einem konstanten, linearen und quadratischen Anteil zusammen. Der konstante Term wird durch das Kronecker-Symbol 6 0 ausgedrfickt, das fiir i = j den Wert eins annimmt und fiir i ;e j verschwindet. Die Gr6flen Xij und Yq sind die Koordinaten geeigneter Tensoren (Span- nungstensor, Verzerrungstensor, Verzerrungsgeschwindig- keitstensor etc.). In die skalaren Koeffizienten (P0, qh, qo2 gehen experimenteUe Daten ein. An dieser Stelte setzt die Physik ein, d.h., in den Funktionen r ~ol, qh muff die Mikrostruktur des Werkstoffs beriicksichtigt werden [6]. Die unter physikalischen Gesichtspunkten im La- bor gefundenen ,,einachsigen" Stoffgesetze k6nnen mit Hilfe einer tensoriellen Interpolationsmethode in die skalaren Funktionen ~0o, qh, (P2 ,,inplementiert" werden [4, 5].

Die Materialgleichung (1) gilt nur fiir isotrope Stoffe, d.h. wenn fiir jedes Element die verschiedenen r~iumlichen Richtungen mechanisch gleichwertig sind oder, anders ausgedriickt, wenn die mechanischen Eigenschaften rich- tungsunabh/ingig sind. Falls jedoch die mechanischen Ei- genschaften nicht ohne Berficksichtigung der Orientierung beschrieben werden k6nnen, verh/ilt sich der Werkstoff anisotrop, d.h., seine Eigenschaften sind yon der Richtung abh~ingig, in der sie gemessen werden. Die Anisotropie kann durch eine gerichtete Umformung (z.B. Walzen, Ziehen) entstehen: Es bilden sich Vorzugsorientierungen der K6rner aus, so dass der Werkstoff anisotrop wird. Man spricht dann yon Verformungsanisotropie oder Textur. Nur selten/indern sich die Eigenschaften ganz regellos mit der Orientierung. Gew6hnlich lassen sich z.B. Spiegelebe- nen angeben, zu denen die Eigenschafts/inderungen sym- metrisch verlaufen. Existieren drei solcher Spiegelebenen, die aufeinander senkrecht stehen, so nennt man das Ma- terial ,,orthogonal anisotrop" oder abgekiirzt ,,orthotrop". Ein Beispiel ffir diesen sehr h/iufigen Sonderfall der An- isotropie sind gewalzte Bleche; die Spiegelebenen stehen dabei senkrecht auf Walzrichtung, Querrichtung und Blechnormale. Diese Richtungen werden auch Orthotropie- achsen genannt. Segeltuch verh/ilt sich ebenfalls deutlich anisotrop. Beim Holz und Spargel, als weitere Beispiele, sind die Orthotropieachsen durch gewachsene Fasern vorgegeben. Ein Baum besitzt eine Wachstumsrichtung, Jahresringe im Querschnitt und die dazu senkrechten mehr oder weniger geradlinigen Radien. Im Querschnitt des Baumes oder der Spargelstange wie auch im Quer- schnitt eines gezogenen Drahtes beobachtet man aufgrund der Rotationssymmetrie isotropes Verhalten. Dieser Spezialfall der Anisotropie, der auch bei faserverst/irkten Kunststoffen auftritt, nennt man transversale Isotropie, d.h., zu einer Vorzugsrichtung, z.B. Wachstumsrichtung

oder Drahtachse, gibt es eine senkrechte Ebene, in der sich der Werkstoff isotrop verMlt.

Anisotrope Eigenschaften k6nnen nicht durch skalare Gr6flen beschrieben werden. Vielmehr mfissen Material- tensoren eingeffihrt werden, da ihre Komponenten rich- tungsabMngig sind. So ist die ScMdigung, die sich im terti~iren Kriechstadium anisotrop ausbreitet, durch einen symmetrischen Tensor (coij) zweiter Stufe zu erfassen. Hinzu kommt ein weiterer Tensor, Mufig vierter Stufe (Aijkl), der die bereits im schadlosen Ausgangszustand vorhandene Anisotropie charakterisiert.

Somit ist zur Beschreibung des tertiiiren Kriechverhal- tens und des sich anschlieflenden Versagenszustandes eines Werkstoffs die Tensorfunktion (1) entsprechend zu erweitern

Yij = fij (Xpq; Ogpq, apqrs) (2a)

bzw.

dq = fo (apq; COpq, Apqr,) . (2b)

Darin sind dij die Koordinaten des Verzerrungsgeschwin- digkeitstensors und 6pq die Koordinaten des Cauchyschen Spannungstensors, w/ihrend O)pq und Apqrs zus~itzliche Materialtensoren darstellen, wie bereits erw~ihnt. Zur Darstellung der Tensorfunktion (2a, b) wurden am Lehr- und Forschungsgebiet Mathematische Modelle in der Werkstoflkunde einige Computerprogramme entwickelt [5, 8, 9], die imstande sind, vollst/indige Polynomdar- stellungen zu liefern. Allerdings gibt es heute noch keine leistungsf~higen Computer, die dieses Programm voll- st/indig auswerten k6nnen [7]. Zur besseren 0bersicht ist es zweckm/iflig, die Materialgleichung (2b) analog (1) auf die kanonische Form

d o = fij (apq; (2)pq, Apqrs)

= OHijkl Oij q- 1Hijkl rYkl -]- 2Hijkl O-~2/) (3)

zu bringen. Sie besteht ebenfalls wie (1) aus drei Termen, die man als Beitr/ige nullter, erster und zweiter Ordnung im Spannungstensor (aij) deuten kann. Die Einflfisse der Anisotropie ((.Opq und Apqrs) auf die Verzerrungsge- schwindigkeit dij kommen durch die Tensorfunktionen OHijkl,... 2 Hijkl vierter Stufe zum Ausdruck. Von Betten [4, 5] wird gezeigt, wie man diese Funktionen in ge- schickter Weise ohne Computer finden kann. Dieses Ziel ist bisher aUerdings nur fiir die ,,praktischen" F/ille der ,,transversalen [sotropie" und der ,,Orthotropie" erreicht women. Allgemeine F~ille k6nnen mit dem oben erw/ihn- ten Computerpogramm gel6st werden, sofern ein ent- sprechend leistungsf~higer Computer kfinftig entwickelt wird.

Zur Darstellung yon Materialgleichungen in der kano- nischen Form (3) sei folgendes bemerkt.

Man sollte immer nach Darstellungsm6glichkeiten su- chen, die einen groflen ,,Erkl/irungswert" ffir eine Theorie besitzen, wie Becker [1] betont. In diesem Zusammenhang sei auf ein Zitat Diracs [16] hingewiesen: ,,Es scheint mir, dass man auf dem sicheren Weg des Fortschritts ist, wenn man sich um SchOnheit der Gleichungen bemiiht." Dirac meinte, dasses wichtiger sei, Sch6nheit in seinen Glei- chungen zu haben, als sie dem Experiment anzupassen.

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I. Betten: Mathematische Modelierung in der Ma~erialtheorie

Die ,,isthetische Komponente" der Mathematik wird auch yon Davis und Hersch [15] hervorgehoben. Blechmann, Myskis und Panovko [14] sprechen yon ,,isthetischen Forderungen" und vermerken zur Darstellung yon ma- thematischen Ergebnissen, dass man bestrebt sein muss, den Ergebnissen eine leicht iiberschaubare und fiir die Anwendung zweckmitgige Form zu geben. Dies trifft wohl ffir die gewfinschte Darstellung (3) zu. Allerdings wird man f i r beliebige Fi le der Anisotropie die Darstellung (3) heute, an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, noch nicht erzMen k6nnen, wie bereits oben ausgeffihrt.

5 Beispiele zur numerischen Simulation in der Materialtheorie Als technische Anwendungsbeispiele zur ,,Mathema- tischen Modellierung in der Materialtheorie" sollen im folgenden zwei Forschungsprojekte vorgestellt werden, die z.Z. yon der DFG finanziell unterstiitzt werden und die ffir die Lufl- und Raumfahrt, fiir Entwicklungen im Fahr- zeugbau und fiir die Umformtechnik grundlegende Bei- trige liefern sollen.

Zur Verringerung der Umweltbelastung k6nnen Fahr- zeuge, insbesondere LKWs und Busse, mit Gasantrieb ausgerfistet werden. Sie emmitieren weniger Schadstoffe und sind geriuschirmer. Kfinftige gesetzliche Vorschrif- ten, z.B. die kalifornische Forderung nach Emmissions- freiheit, lassen sich mit wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen viet leichter erfiillen als mit konventionellen Kraftstoffen. Ahnlich wie bei batteriebetriebenen Fahrzeugen ist auch bei gasbetriebenen Fahrzeugen die Energiespeicherung problematisch, da man bei konventioneller Bauweise yon Behiltern grofles Bauvolumen ben6tigt, um einigermaflen akzeptable Reichweiten zu erzielen. Es gilt, die Reichweite - also den Energieinhalt des Tanks - zu erh6hen und gteichzeitig das Gewicht und die Gr6fle des Behilters zu reduzieren. Der Energieinhalt kann gesteigert werden, wenn das Gas durch h6heren Druck stirker komprimiert wird. Das Gewicht kann durch die Bauweise, d.h. durch Verbundbauweise aus faserverstiirkten Kunststoffen (FVK) stark reduziert werden. Unter faserverstirkten Kunststof- fen versteht man Glasfasern, Kohlefasern oder Aramid- Fasern, die in eine Matrix aus Polyester-, Epoxid- oder Phenolharz eingebettet sind. Der Werkstoffverbund aus Faser und Matrix ist anisotrop, d.h., die Materialeigen- schaflen sind richtungsabhingig.

Ein ffir den Einbau in Personenkraftwagen geeigneter Behilter, der die Forderung nach geringem Bauvolumen bei gr6tgtm6glicher Gasspeicherung erfiillt, ist in Bild 3 dargestelh. Dieser Behilter hat eine Linge yon 65 cm und einen Durchmesser yon 30 cm. Zur Abdichtung besitzt er einen inneren dtinnen Mantel aus hochfestem Stahl, den sogenannten ,,Liner". Dieser Mantel ist umhfillt mit einem Laminat aus mehreren Schichten yon FVK, der sogen- annten ,,Armierung". Ein Ausschnitt einer solchen Ar- mierung ist in Bild 4 skizziert [20, 12].

Die Aufgabe besteht u.a. darin, eine optimale Wick- lung der Fasern und Versagenskriterien zu finden, so dass die Beanspruchbarkeit des Behilters zuverlissig vorausgesagt werden kann. Zur L6sung dieser Aufgabe sind neue Computerprogramme (Software) zu entwickeln

Kreuzlagen

Bild 3. H6chstdruckbehilter fiir einen gasbetriebenen PKW

t Dickenrichtung

Schichffolge der @ @ | | ~ @ Kreuzlagen @(~Q@@|

~0 |174174 --- Umfangsrichtung

Liner

Bild 4. Auschnitt aus der Laminatschicht des in Bild 3 darge- stellten Hybridbehilters

und umfassende numerische Auswertungen durchzuffih- ren.

Ziel eines anderen Forschungprojektes ist die Herlei- tung yon prozessbeschreibenden Grundgleichungen und die Entwicldung yon numerischen Verfahren (Software) fiir Umformvorginge yon Sinterwerkstoffen. Neben den oben beschriebenen Verbundwerkstoffen werden auch Sinterwerkstoffe aufgrund ihrer besonderen Eigenschaf- ten immer hiufiger im ,modernen" Maschinenbau ein- gesetzt. Mithin ist die Simulation yon Umformvorgingen gesinterter Werkstoffe ffir die Zukunft yon gr61gter Bedeutung.

Wihrend sich Metalle bei der plastischen (bildsamen) Formgebung inkompressibel verhalten (plastische Volu- menkonstanz), beobachtet man bei Sinterwerkstoffen eine starke )~nderung der Dichte p wie aus einer Simula- tionsrechnung des Wfirfelstauchens gemitg Bild 5 her- vorgeht [11, 23].

An den hellgefirbten Stellen ist die Dichte mit einem Wert P0 = 0.8 relativ gering, wihrend an den dunkelsten Stellen der H6chstwert yon fast eins erreicht wird.

291

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Forsch [ngenieurwes 65 (2000)

Prepspg./Y : 0.707 RA/RE : 0.750 DCisenlge. L/RE : 1.300 Dornrad. RD/RE : 0.350 SD-VerhBlfnis : 1.000 Anfangsdichfe : 1.000

292

< 0 . 8 3 8 0 . 8 5 7 0.876 0.895 0.914

i 0.933 0.952 0.971 0.990

Bild 5. Simulation des Wfirfelstauchens bei Sinterwerkstoffen

Im n~ichsten Beispiel ist das Rohrpressen [11, 23] mit einem Dorn simuliert (Bild 6). In die Umformzone hat der Computer ein Gitternetz skizziert und in die Knotenpunkte die berechneten Geschwindigkeiten nach Gr6tge und Richtung eingezeichnet. Die Pfeill/ingen ge- ben die Gr6tge der Geschwindigkeiten in den Gitter- punkten an. Die Pfeilrichtungen tangieren die Stromlinien, die der Computer im unteren Bildteil ge- zeichnet hat. Somit erhfilt man durch Simulation auf dem Computer ein recht anschauliches Bild yon diesem Umformvorgang.

Schlietglich sei noch das Ringstauchen simuliert (Bild 7). Auch in diesem Bild erkennt man recht deutlich die Geschwindigkeiten in den Knotenpunkten nach Gr6tge und Richtung und die Dichteverteilung, und zwar im oberen Bildteil bei 20% und im unteren Bildteil bei 40% Reduktion der anfiinglichen Ringh6he.

Obige Bilder haben gezeigt, dass man durch Simulation des Werkstoffverhaltens und Visualisierung mit Hilfe von leistungsf~ihigen Computern einen tiefen Einblick in komplizierte technische Abl/iufe gewinnen kann. Man muss jedoch betonen, dass ein noch so leistungsf'~ihiger Computer eine ausgereifte Theorie nicht ersetzen kann. Von Hamel (1877-1954), einem berfihmten Wissen- schaftler, der sich um die Entwicklung der Theoretischen Mechanik verdient gemacht hat, stammt der Ausspruch: ,,Nichts ist praktischer aIs eine gute Theorie".

Bild 6. Simulation des Rohrpressens

Theorie heiflt ursprfinglich soviel wie Betrachtung (Oaa~petv = anschauen). Jedoch hat sich die Auffassung des Begriffs ,,Theorie" yon der Antike (Aristoteles) fiber das Mittelalter (Pascal) bis zur Jetztzeit (Bolzano und Tarski [24]) gewandelt. Man unterscheidet den klassischen und den modernen Begriff einer mathematischen Theorie [22].

Diese Begriffe, insbesondere das Wesen einer axioma- tisierten Theorie, und der Begriff des mathematischen Modells im Sinne der mathematischen Logik werden aus- ffihrlich von Betten [2] am Beispiel der Traglasttheorie der Statik er6rtert. Die Traglasttheorie bemfiht sich mit ge- ringem Rechenaufwand um Aussagen fiber das mechani- sche Verhalten yon Tragwerken und Bauteilen. tie gestattet eine einfache Bestimmung der Tragf'~higkeit bzw. der Traglast oder ertragbaren Last und gibt Einblick in den wahrscheinlichen Bruchmechanismus eines Bauteils oder Tragwerkes.

6 Traglasttheorie und Materialtheorie als Mathematische Modelle Das mathematische Modell der Traglasttheorie beruht auf dem Prinzip der virtuellen Verschiebung an der Versa- gensgrenze als Axiom. Daraus lassen sich die Trag- lasts~itze als Derivate ableiten, die eine Eingabelung der gesuchten Traglast durch eine obere und untere Schranke

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J. Betten: Mathematische Modellierung in der Materialtheorie

RoO : 0.80 rn : 1.00 dH/H : 20 7. SD : 1.00

I > 0 .814 ~ -- < 0 .849 < 0.866 < 0 .884

I < 0.902 < 0 .919 < 0 .937 < 0 .955 < 0 .972 < 0 .990

Analog zur Traglasttheorie der Statik [2] kann auch die Materialtheorie im Sinne der mathematischen Logik als mathematisches Modell aufgefaflt werden: Als Axiome werden mechanische Prinzipien und thermodynamische Forderungen zugrundegelegt und daraus Materialgleich- ungen als Derivate abgeleitet [7]. Aufgrund der mathe- matisch komplizierten Zusammenh~inge und des groflen experimentellen Aufwandes war man bisher auf mehr oder weniger grobe Vereinfachungen angewiesen. Im Hinblick auf die Entwicklung immer leistungsfiihigerer Computer wird m a n Schritt fiir Schritt auf gr6bere Vereinfachungen verzichten k6nnen, so dass Simulationen auf dem Com- puter gegenfiber dem Experiment noch mehr in den Vordergrund rficken werden.

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RoO : 0 .80 m : 1.00 dH/H : 40 SD : 1.00

~ i 0 .833 < 0 .864 0 .880 0.896 0.911 0 .927

i 0 .943 0 .958 0 .974 0.99O

Bild 7.

Fliepscheide

-q . . . . w r v

Simulation des Ringstauchens

erm6glichen (Schrankenmethode). Zum mathematischen Modell der Traglasttheorie geh6rt neben dem zugrunde- gelegten Axiom und den daraus ableitbaren Derivaten schliefllich noch die Gruppe der Voraussetzungen, die einerseits fiber den erforderlichen Rechenaufwand zur Ermittlung der Tragf'fihigkeit eines Bauteils entscheidet und andererseits die Gfite des Modells bestimmt. Ein mathematisches Modell ist um so besser, je weniger weit sich die Annahmen und Voraussetzungen yon der Wirklichkeit entfernen. Um bessere Llbereinstimmung mit Messergebnissen (h/iufig mit der Wirldichkeit iden- tifiziert) zu erhalten, k6nnen die in den L6sungen auf- tretenden Parameter bzw. Ansatzfreiwerte korrigiert werden, so dass sie nicht als physikalische Konstanten und Stoffwerte angesehen werden k6nnen. Aus diesem Grunde werden mathematische Modelle immer weiter verfeinert, d.h., man passt die Annahmen immer mehr der Wirklichkeit an, muss aber die dadurch meist auf- tretenden mathematischen Schwierigkeiten in Kauf neh- men. Dieser Aufwand lohnt sich insbesondere, wenn dadurch die eingeffihrten Freiwerte den Charakter eines anpassbaren Parameters verlieren und vielmehr physi- kalische Konstanten und Stoffwerte widerspiegeln. Diese Kennwerte k6nnen dann und nur dann unabMngigen Messungen (Grundversuchen) entnommen und in die gefundenen Beziehungen, z.B. in Materialgleichungen, eingesetzt werden. Die Parameteridentifikation und phy- sikalischen Interpretationen spielen eine zentrale Rolle in der Materialtheorie.

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