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Bus der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Forschungsgemeinschaftder n&urwissenschaftlchen, technischen und medizinischen Institute Institut fur Angewandte Mathematik und Mechanik (Direktor: Prof. Dr. K. SCHRODER) Mathematische Probleme in der Medizin G. REISSIG Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat die Mathematik standig an Bedeutung gewonnen. Das gilt fur alle Gebiete der Industrie, Wirtschaft und Wissen- schaft und ganz besonders auch fur die Medizin. Noch vor einigen Jahren glaubte man, daB fur einen Mediziner einige Grundkenntnisse in Statistik vollauf geniigen. Heute kann man sich damit nicht mehr zufriedengeben. Das zeigen . auch die entsprechenden Lehrbucher, die in Ietzter Zeit er- schienen sind. I n (3) wird zum Beispiel besonderer Wert auf Differential- und Integralrechnung gelegt und auf die Behandlung von gewohnlichen und partiellin Differentialgleichungen. Wenn man einen Oberblick uber die Gebiete der Mathematik geben will, die fiir den Mediziner von Bedeutung sind, so hat man dafiir verschiedene Moglichkeiten. Man kann von den Arbeitsgebieten des Mediziners ausgehen, also etwa die Methoden anfuhren, die in der Diagnostik, in der Therapie, in der Prophylaxe oder in der Forschung benotigt werden. Das ist jedoch un- befriedigend ; denn die mathematischen Verfahren wiirden sich wieder- holen. Wir wollen daher einen anderen Weg wahlen. Im Deutschen Verlag der Wissenschaften bzw. im Verlag HARRI DEUTSCH ist ein von einem Autorenkollektiv verfaBtes Buch erschienen, das den Titel tragt ,,Mathematik fiir die Praxis". Wir wollen davon ausgehen, dd3 hier unter ,,Praxis" auch das Arbeitsgebiet des Mediziners verstanden wird. Es ist selbstverstandlich, dal3 in einem Handbuch der Mathematik der Medi- ziner sich nur selten direkt angesprochen fuhlt. Trotzdem sind solche Stellen vorhanden (Fieberkurve, Diatproblem, Datenverarbeitung). Das Werk ist in drei Bande gegliedert. Der erste Band enthalt die Teile ,,Zeichnen und Rechnen" und ,,Mathematkcher Vorkurs", der zweite Band die Teile ,,Analysis" und ,,Praktische Mathematik" und der dritte Band den Teil ,,Ausgewahlte Kapitel aus der Angewandten Mathematik" sowie eine Zusammenstellung mathematischer Tafeln und die Losungen der Ubungs- aufgaben. Wir wollen jetzt diese Einteilung zugrunde legen. Unter dem Titel des Teiles sind stets die Kapiteliiberschriften angegeben zur kurzen Orien- tierung iiber den Inhalt. Wir wollen nun zeigen, daB in allen Teilen etwas

Mathematische Probleme in der Medizin

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Page 1: Mathematische Probleme in der Medizin

Bus der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Forschungsgemeinschaft der n&urwissenschaftlchen,

technischen und medizinischen Institute Institut fur Angewandte Mathematik und Mechanik

(Direktor: Prof. Dr. K. SCHRODER)

Mathematische Probleme in der Medizin

G. REISSIG

Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat die Mathematik standig an Bedeutung gewonnen. Das gilt fur alle Gebiete der Industrie, Wirtschaft und Wissen- schaft und ganz besonders auch fur die Medizin. Noch vor einigen Jahren glaubte man, daB fur einen Mediziner einige Grundkenntnisse in Statistik vollauf geniigen. Heute kann man sich damit nicht mehr zufriedengeben. Das zeigen . auch die entsprechenden Lehrbucher, die in Ietzter Zeit er- schienen sind. In (3) wird zum Beispiel besonderer Wert auf Differential- und Integralrechnung gelegt und auf die Behandlung von gewohnlichen und partiellin Differentialgleichungen.

Wenn man einen Oberblick uber die Gebiete der Mathematik geben will, die fiir den Mediziner von Bedeutung sind, so hat man dafiir verschiedene Moglichkeiten. Man kann von den Arbeitsgebieten des Mediziners ausgehen, also etwa die Methoden anfuhren, die in der Diagnostik, in der Therapie, in der Prophylaxe oder in der Forschung benotigt werden. Das ist jedoch un- befriedigend ; denn die mathematischen Verfahren wiirden sich wieder- holen. Wir wollen daher einen anderen Weg wahlen.

Im Deutschen Verlag der Wissenschaften bzw. im Verlag HARRI DEUTSCH ist ein von einem Autorenkollektiv verfaBtes Buch erschienen, das den Titel tragt ,,Mathematik f i i r die Praxis". Wir wollen davon ausgehen, dd3 hier unter ,,Praxis" auch das Arbeitsgebiet des Mediziners verstanden wird. Es ist selbstverstandlich, dal3 in einem Handbuch der Mathematik der Medi- ziner sich nur selten direkt angesprochen fuhlt. Trotzdem sind solche Stellen vorhanden (Fieberkurve, Diatproblem, Datenverarbeitung).

Das Werk ist in drei Bande gegliedert. Der erste Band enthalt die Teile ,,Zeichnen und Rechnen" und ,,Mathematkcher Vorkurs", der zweite Band die Teile ,,Analysis" und ,,Praktische Mathematik" und der dritte Band den Teil ,,Ausgewahlte Kapitel aus der Angewandten Mathematik" sowie eine Zusammenstellung mathematischer Tafeln und die Losungen der Ubungs- aufgaben. Wir wollen jetzt diese Einteilung zugrunde legen. Unter dem Titel des Teiles sind stets die Kapiteliiberschriften angegeben zur kurzen Orien- tierung iiber den Inhalt. Wir wollen nun zeigen, daB in allen Teilen etwas

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zu finden ist, das fiir den Mediziner interessant ist und sich irgendwie in seinem Beruf anwenden la&,

Zeichnen und Rechnen I. Zahlen und Rechengesetze - 2. Rechenhilfsmittel und Hinweise fur die pr&tische Durch- fuhrung von Rechnungen - 3. Funktionen - 4. Rustzeug zur Herstellung graphischer Darstellungen - 5. Darstellende Geometrie

Der Medivner kommt taglich mit Zahlen in Beruhrung. Er zahlt die Puls- schlage in der Minute, er verordnet eine gewisse Menge eines Medikamentes, und er nimmt Zahlenangaben wie Anzahl der Geburten, Lebensalter, Anzahl der taglich verbrauchten Zigaretten in die Krankengeschichte auf. Mit diesen Zahlen werden Rechnungen durchgefuhrt. Zum Beispiel werden Durchschnittswerte berechnet oder die Dauer der Verschleppungszeit fest- gestellt. Im allgemeinen befinden sich in den Kliniken Tischrechen- maschinen, die Iangwierige Rechnungen erleichtern. Meistens wird eine Hilfskraft angelernt, um diese Maschinen zu bedienen. Im Kapitel 2 werden viele praktische Hinweise gegeben, wie Zeit eingespart werden kann und wie Rechenkontrollen durchgefuhrt werden konnen. Wichtig ist auch das naherungsweise Rechnen, das ja in der Praxis eine groBe Rolle spielt. Uber die Genauigkeit eines Resultates miissen unbedingt Angaben gemacht werden, und iiber die Gesetze der Fehlerfortpflanzung mu13 jeder orientiert sein, der mit ungenauen Daten zu arbeiten hat. Fur die Auswertung von umfangreichem Zahlenmaterial werden oft elektronische Rechenanlagen eingesetzt. An Stelle des Dezimalsystems wird dort das Dualsystem oder gegebenenfalls das Oktalsystem verwendet. Wenn auch die Rechenanlage die Urnwandlung selbstandig vornimmt, so sollte doch heute jeder Wissen- schaftler ubcr Dual- und Oktalzahlen Bescheid wissen. Bei den Dualzahlen treten nur die Ziffern 0 und 1 auf. Das entspricht genau dem, was in der medizinischen Fachliteratur als ,,alles-oder-nichts" oder als ,,quantal" be- kannt ist .

Einer der grundlegenden Begriffe der Mathematik ist der Funktions- begriff. Als Beispiel sei die Fieberkurve angefuhrt. Dabei wird die Korper- temperatur in Abhangigkeit von der Zeit aufgetragen, d. h., das Fieber ist eine Funktion der Zeit. Methoden, um die einzelnen MeBpunkte sinnvoll zu verbinden, liefert die Interpolationstheorie. Die monatlichen Geburten- anzahlen hangen yon der Jahreszeit ab. Periodische Erscheinungen in der Natur lassen sich durch trigonometrische Funktionen abbilden. Bei Wachs- tumsvorgangen treten Exponentialfunktionen auf.

Graphische Darstellungen sind fur alle Gebiete der Wissenschaft er- forderlich. In Kapitel 4 findet der interessierte Leser alles, was zur An- fertigung eines Diagramms oder eines Diapositivs wissenswert ist .

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Die darstellende Geometrie beschiiftigt sich mit Pro jektionen. Raumliche Gebilde werden in einer Ebene dargestellt. hnliche Probleme treten in der Medizin haufig a d , z. B. bei der Herstellung einer Rontgenaufnahme. Es ist allgemein bekannt, welche Schwierigkeiten bestehen, um an Hand einer Rontgenaufnahme den Rauminhalt des Herzens oder der Hirnventrikel zu bestimmen.

Mathematischer Vorkurs

6. Kombinatorik - 7. Lineare Algebra - 8. Vektorrechnung - 9. Trigonornetrie - 10. Ana- lytische Geometrie - 11. Komplexe Zahlen - 12. Nomographie

In der Kombinatorik werden Anordnungsprobleme gelost. Bei einem Ver- such kann die Reihenfolge der Behandlungen variiert werden. Bei der Diagnosestellung mussen verschiedene Beobachtungsdaten kombiniert werden, und als Ergebnis mussen verschiedene Moglichkeiten in Betracht gezogen werden, damit die wahrscheinlichste Diagnose angenommen wird. Unter Urnstanden ist eine Maschine dem Arzt uberlegen, weil sie in kiirzester Zeit sehr viele verschiedene Moglichkeiten miteinander kombinieren kann.

Die lineare Algebra befafit sich mit der Losung von linearen Gleiehungen. I m Zusammenhang damit spielen die Begriffe ,,Determinante" und ,,Ma- trix" eine Rolle. Die ,,Matrix der Ubergangswahrscheinlichkeiten" ist wichtig bei stochastischen Modellen, die fiir Epidemien, Tuberkulose- erkrankungen und die Entstehung einer Krebsgeschwulst aufgestellt worden sind. Bei der ,,Lernmatrix" handelt es sich um ein Schema von Kreuzungspunkten von zwei Scharen von Leitungen. Die vertikalen Leitungen signalisieren Eigenschaften, die horizontalen Leitungen kem- zeichnen die Bedeutungen [8]. Lernmatrizen sind fur die Diagnostik ge- eignet.

Die Betrachtungsweise mit Hilfe von Vektoren ist heute in der abstrakten Biologie und in entsprechenden medizinischen Gebieten allgemein ublich. Als einfaches Beispiel sei angefiihrt, dafi in der Psychologie die Ergebnisse von Intelligenzpriifungen als Vektoren von Zufallsveriinderlichen angesehen werden konnen [I 1. In [6] werden interessante Untersuchungen beschrieben, die beim Vorgang des Sehens sogar auf Probleme der nichteuklidischen Geometrie fiihrten.

Mit Hilfe von Nomogrammen kann der Benutzer ohne Rechenaufwand gesuchte Werte aus graphischen Darstellungen ablesen. Dadurch wird Zeit gespart, und es werden Fehlerquellen ausgeschaltet. AuSerdem kann ein Nomogramm von mathematisch ungeschulten Kriiften ausgewertet werden. Speziell fi ir den Mediziner angelegt sind die ,,Graphkchen Tafeln" von S. KOLLER [7]. Sie ermoglichen auf einfache Art und Weise die Beurteilung von Haufigkeitsziffern, Messungsreihen und korrelativen Zusammen-

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hangen. Wie die Gewichtszunahme von Sauglingen mit Hilfe eines einfachen Nomogrammes kontrolliert werden kann, ist in [5] gezeigt.

Analysis

13. Differentialrechnung - 14. Integralrechnung - 15. Unendliche Reihen - 16. Fourier- analyse und -synthese - 17. Differential- und Integralgleichungen

Als Untersuchungsergebnis liegen gelegentlich Kurven vor, die aus- gewertet werden mussen. Von der Schule her ist allgemein bekannt, dal3 die Steigung durch den Differentialquotienten wiedergegeben wird. Auch die Losung einer einfachen Extremwertaufgabe wird keine Schwierigkeiten be- reiten. Differenzieren md3 man auch, um eine Geschwindigkeit - etwa die Stromungsgeschwindigkeit in den GefiBen - oder eine Beschleunigung zu berechnen. Solche medizinisch-mathematischen Betrachtungen sind keines- wegs neu. Die erste mathematische Behandlung des kardiovaskularen Systems erfolgte bereits 1775 durch LEONHARD EULER [a]. - Besonders hin- gewiesen sei auf die Bedeutung der Differentialrechnung fur die Fehler- re chnung .

Die Bestimmung von Flacheninhalten mit Hilfe von bestimmten Inte- gralen wird auch in der Medizin haufig vorgenommen. Ausdrucke wie ,,Integraldosis" und ,,Integralvektor" sind heute in jedem medizinischen Worterbuch erklart.

DaB die Tafeln der elementaren Funktionen, die in jedgr naturwissen- schaftlichen Bibliothek zu finden sind, mit Hilfe von Potenzreihen auf- gestellt worden sind, wird den Mediziner weniger interessieren. Fur ihn sind von den unendlichen Reihen die Fourierreihen die wichtigsten. Viele Er- scheinungen in der Natur sind periodisch, und es liegt daher nahe, zur naheren Untersuchung solcher Vorgange die bekannten Eigenschaften der trigonometrischen Funktionen auszunutzen. Obgleich natiirlich nicht zu er- warten ist, daB ein Vorgang in der Natur exakt einer Sinusverteilung folgt, so 'besteht doch zum Beispiel zwischen dem Verlauf der mittleren Monats- temperaturen und einer Sinuskurve eine erstaudich gute Ubereinstimmung. Bei vielen periodischen Vorgangen sind mehrere Komponenten beteiligt, die nicht alle die gleiche Periodenlange haben. Die einzelnen Komponenten auf- zufinden, ist die Aufgabe der Fourieranalyse. In der biologischen Rhythmus- forschung (Verteilung der monatlichen Geburtenanzahlen, Untersuchungen zum Zyklus der Frau usw.) wird diese Methode gern angewandt.

Bei Untersuchungen von zeitlichen Verladen treten Differential- gleichungen auf. Als Beispiel sei ein Problem der Physiologie angefiihrt, das BERMAN in [2] behandelt. Zu den Aufgaben des Schilddriisensystems ge- hart die Produktion, die Nutzbarmachung und die Regulierung der Schild- 14 Biometr. 2. 8 , 3

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drusenhormone. Die Regelung erfolgt durch ein Ruckkoppelungssystem. Das von BERMAN venvendete, aus n verschiedenen Abschnitten (Zu- standen) bestehende Model1 wird reprasentiert durch einen Satz von Diffe- rentialgleichungen der Gestalt

n

gi = - Aii qi + c A, qi

qi = 2

(i = 1, 2, . . . , n ) j + i

m i t den Losungen n

e-y' (i = I, 2, . . . , nf . j - 1

Dabei bedeutet :

pi Menge des im i-ten Abschnitt verarbeiteten Materials, Aii Summe aller Wahrscheinlichkeiten, daB ein Atom den Abschnitt i verlassen wird, j l i j Vbergangswahrscheinlichkeit vom Zustand j zum Zustand i, aj Eigenwerte der Matrix Aij, Aij Funktionen der Ail und der Anfangsbedingungen des Systems.

Der Mediziner kommt mit vielen Fragestellungen der Physik in Beruhrung. Dsbei sind die Beziehungen zur Msthemstik besonders eng. So ist im Hand- buch als Beispiel fur eine Integralgleichung ein Problem der Warmeleitung angegeben.

Pr a k t is c he Math e ma t i k

18. L6sung von Gleichungen - 19. Numerische und graphische Methoden zur Differentiation und Integration - 20. Mathematische Instrumente - 21. Niherungsverfahren zur Lbsung von Differential- und Integralgleichungen - 22. Digitale Rechenanlagen - 23. Pro- grammierung fur Digitalrechner - 24. Integrieranlagen

Die Vorgange in der Nstur sind so kompliziert, daB sie vom Menschen nur sehr unvollkommen nachgebildet werden konnen. Dss trif€t auch auf die entsprechenden mathematischen Modelle und ihre Auswertung zu. Schon bei algebraischen Gleichungen von hoherem als dem vierten Grade ist es kaum moglich, geschlossene Ausdriicke als Losungen anzugeben. Man ist in allen solchen Fallen auf Naherungsverfahren angewiesen, von denen die wichtigsten in den Kapiteln 18 bis 21 zusammengestellt sind. Oft sind die graphischen und numerischen Verfahren fiir den Praktiker auch noch zu kompliziert. Er benutzt dann lieber mathematische Instrumente, die leicht zu handhaben sind und schnell zum Ziele fuhren - allerdings auf Kosten der Genauigkeit. Allgemein bekannt diirften die Planimeter sein, mit denen man Flacheninhalte ermittelt und zum Beispiel aus Rontgenaufnahmen Aussagen iiber die GroSe des Herzens gewinnt.

Die grol3ten Fortschritte auf dem Gebiet der praktischen Mathematik sind in den letzten beiden Jahrzehnten durch die Entwicklung von elektronischen

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Rechenanlagen entstanden. Den Ausgangspunkt bildeten die elektro- mechanischen Lochkartenmaschinen, die auch in der Medizin schon seit langem fiir statistische Auswertungen eingesetzt werden. Die modernen Rechenautomaten konnen sowohl fur wissenschaftlich-technische Rech- nungen als auch fur umfangreiche Datenverarbeitungsaufgaben verwendet werden. Ihre Bedeutung liegt in der Rechengeschwindigkeit. Automaten, die in der Sekunde 50000 oder 100000 Rechenoperationen durchfiihren, sind heute keine Seltenheit mehr. Sie sind aber nicht nur fiir mathematische Be- rechnungen geeignet, sondern auch zur Diagnosestellung, zur Dokumen- tation, zu Abrechnungen und zu Vbersetzungen. Die Konstruktion der so- genannten ,,lernenden Automaten" ist fur Medizin und Biologie besonders bedeutungsvoll. Wenn man die iO000 bis I00000 Schaltelemente einer Rechenanlage den 15 Milliarden Neuronen des menschlichen Nervensystems gegenuberstellt und bedenkt, daB Lernen hier mit Schaltungsanderungen gleichzusetzen ist, so erkennt man auch hieraus, daB noch vie1 Forschungs- arbeit geleistet werden mul3, um leistungsfahige Algorithmen zur Beschrei- bung von biologischen Prozessen zu erhalten.

Die elektronischen Integrieranlagen arbeiten schneller, aber weniger genau als die mechanischen. Sie werden vor allem zur Losung von gewohnlichen Differentialgleichungen benutzt.

Ausgewiihlte Kapitel aus der Angewandten Yathematik

26. Beschreibende Statistik - 26. Elementare Wahrscheinlichkeitsrechnung - 27. Stich- probenstatistik - 28. Optimierung okonomischer und technischer Prozesse - 29. Mechanik - 30. Kartenentwurfslehre - 31. Weiterfiihrung der Analysis und Anwendung auf einige ProbIeme der Physik

Die ,,Beschreibende Statistik" ist das Gebiet der Mathematik, das dem Mediziner am besten vertraut ist. Schon immer werden in der Medizin Daten gesammelt und beschrieben. Dabei unterschejdet man quantitative Merkmale (Korperlsjlge, Korpergewicht , Geburtenzahl) und qualitative Merkmale (Augenfarbe, Haarfarbe, Geschlecht). Hhfigkeitsverteilungen werden durch Mittelwerte und Streuungsmal3e gekennzeichnet. Die Zu- sammenhange zwischen verschiedenen Merkmalsreihen (ICorpergroBe- Korpergewicht, Bremsweg-Geschwindigkeit) werden durch Korrelations- oder Regressionsbetrachtugen untersucht.

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung ist aus der Beobachtung von Glucks- spielen entstanden. Viele Vorgange in der Natur sind auch ,,zuf&llige Er- eignisse", und so ist die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu einem wichtigen Gebiet fi ir die Naturwissenschaften geworden. Sie liefert die Grundlagen fur die Stichprobenstatistik. Im allgemeinen ist es nicht moglich, ein games Kollektiv hinsichtlich bestimmter Merkmale zu untersuchen. Man ent- 14'

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nimmt eine Stichprobe und schliel3t von den Stichprobenergebnissen auf die Gesamtheit. Damit ist immer ein gewisses Risiko verbunden. In Arbeiten uber die Erprobung eines neuen Heilmittels oder einer speziellen Behand- lungsmethode wird man heute immer Angaben uber die ,,statistische Sicher- heit" bzw. die ,,Irrtumswahrscheinlichkeit" finden.

Bei allen Optimierungsfragen wird unter verschiedenen Moglichkeiten diejenige ausgesucht, die vom okonomischen Standpunkt aus besonders gunstig - d. h. optimal ist. Wenn eine Diat zusammengestellt werden mu13, die gewisse Mengen an EiweiB, Fett, Kohlehydraten usw. enthalten soll, so wird man dabei die Preise der Nahrmittel berucksichtigen, die Trans- portkosten, die Aufbewahrungsmogliclikeiten, die Haltbarkeit und vieles andere. Mit der Methode der linearen Optimierung erhalt man die unter den gegebenen Umstanden beste Losung. Mit entsprechenden Methoden lafit sich auch der giinstigste Platz fur ein neu zu errichtendes Krankenhaus oder die Zentrale der Krankenwagen finden.

Die Mechanik ist die Lehre von den Bewegungen materieller Korper. Be- griffe wie Geschwindigkeit, Beschleunigung, Schwingung, Schwerpunkt, Gleichgewicht sind jedem Mediziner gelaufig.

Kartenentwiirfe sind ebene Bilder von Teilen einer Kugeloberflache. Der Kartograph mu13 sich uberlegen, ob die Abbildung winkeltreu, flachentreu oder liingentreu sein soll. Die gleichen Fragen mu13 sich der Mediziner stellen, wenn er etwa das menschliche Auge dsrstellen will.

Das letzte Kapitel ist am umfangreichsten und - mathematisch gesehen - auch am anspruchsvollsten. Trotzdem wird der Leser auch hierkegungen fur Forschungsarbeiten finden, die niclit unbedingt nur im Zusammenhang mit der Physik stehen mussen. So treten zum Beispiel Stromungsprobleme auch im Kreislaufsystem des Menschen auf, etwa dann, wenn ein Gefa13 an einer Stelle verengt ist . Regelungs- und Stabilitatsfragen kommen uberall vor. Die Regelkreise in der Physiologie waren schon Hippokrates bekannt. Der Hormonhaushalt des'Korpers ist geregelt. Wachstum und Fortpflanzung der Zellen werden gesteuert. So kann die Entstehung einer Geschwulst als Storung eines Regelungsprozesses aufgefaBt werden. Eine Storung im Ruck- koppelungsprozel3 des Sprechens fuhrt zum Vorgang des Stotterns.

DaB fur die Einteilung des Aufsatzes das Buch ,,Mathematik fur die Praxis" zugrunde gelegt wurde, soll keineswegs bedeuten, daD dieses Buch unbedingt fur die Lektiire eines Mediziners geeignet ist. Es sollte nur gezeigt werden, da13 viele Gebiete der Mathematik Beruhrungspunkte mit der Medizin haben und daB es sicher lohnend ware, den mathematischen Me- thoden noch mehr als bisher Eingang in die Medizin zu verschaffen.

Es wird kaum moglich sein, da13 ein Mediziner neben seinem Fachwissen alles das beherrscht, was in dem Handbuch zu finden ist. Sollte er aber

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Interesse an bestimmten Gebieten der Mathematik haben, so ist ihm hier Gelegenheit gegeben, sich die Kenntnisse im Selbststudium anzueignen und sich selbst mit Hilfe der Vbungsaufgaben und der Losungen zu kon- trollieren.

Sicher ist es kein Zufall, dal3 so beruhmte Mathematiker wie BERNOULLI, CARDANO und EULER auch gleichzeitig Mediziner waren!

L i t e ra tu r

[I] ANDERSON, T. W., 1960: Some stochastic process models for intelligence test scores,

[2] BEEMAN, M., 1961: Application of differential equations to the study of the thyroid

[3] DEFARES, J. G., und I. N. SNEDDON, 1960: An introduction to the mathematics of

[4] EULER, L., 1862: Opera Postuma. 11. Principia Pro Motu Sanguinis Per Arterias

[5] FISCHER, J., 1959 : Nomographische Kontrolle der Gewichtszunahme von Siiuglingen.

[6] JONCKHEERE, A., 1958: Gombtrie et perception. La lecture de l’exp6rience. Presses

f7J KOLLER, S., 1953: Grtlphische Tafeln zur Beurteilung statistischer Zahlen. Steinkopff,

[8] STEINBUCH, K., 1965 : Automat und Mensch. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New

Math. Methods social Sci., 1959, Roc. 1st Stanford Symp. 205-220.

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Universitaires de France,lO9-147.

Darmstadt, 3. Aufl.

York. 3. erw. A d .

Eingang des Manuskriptes: 8. 10. 65 Anschrift der Verfasserin : Dr. Gisela ReiBig 108 Berlin 8, MohrenstraSe 39