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INTERVIEWS 116 grand gtrs Spätestens, wenn jetzt mit „Emily D. & The Evolution“ ein neues Trio- Album des Jazz-Superstars Esperanza Spalding erscheint, dürfte das den endgültigen Durchbruch für den ka- nadischen Gitarristen Matthew Ste- vens bedeuten. Denn der spielt eine tragende Rolle auf dem Werk. Vom zu erwartenden Popularitätsschub dürfte auch „Woodwork“, das erste Solo- Album des 33-Jährigen, der schon so vielen Größen als fabelhafter Sideman diente, profitieren. Text und Bilder von Ssirus W. Pakzad Ein Leben reicht nicht aus Matthew Stevens

Matthew Stevensmattstevensmusic.com/wp-content/uploads/Grand Guitars Sep... · Lenny Breau verbrachte viel Zeit hier, obwohl er nicht aus To-ronto stammt. Dann gab es Ed Bickert

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Spätestens, wenn jetzt mit „Emily D.& The Evolution“ ein neues Trio-Album des Jazz-Superstars EsperanzaSpalding erscheint, dürfte das denendgültigen Durchbruch für den ka-nadischen Gitarristen Matthew Ste-vens bedeuten. Denn der spielt einetragende Rolle auf dem Werk. Vom zuerwartenden Popularitätsschub dürfteauch „Woodwork“, das erste Solo-Album des 33-Jährigen, der schon sovielen Größen als fabelhafter Sidemandiente, profitieren.Text und Bilder von Ssirus W. Pakzad

Ein Leben reicht nicht aus

Matthew Stevens

Das Cover-Foto hat seine Frau geschossen, in einemForst, der zur Farm seines Onkels gehört. Matthew Ste-vens steht zwischen jungen schlanken Bäumen undschaut ganz ernst in die Ferne. Ein Bild mit Symbol-Wert. Eines ist sicher: Dieser Typ sieht den Wald vor lau-ter Bäumen. Ihn interessieren die vielen Einflüsse seinerMusik als Grundbestandteile nur marginal – er hat dasgroße Ganze vor Augen. „Es kann einen schon verrücktmachen, wenn man alles sortieren soll, was einen einstinspiriert hat, und man seine eigene Stimme findenmuss auf dem Instrument, das so viele großartige Stilis-ten hervorgebracht hat“, sagt Matthew Stevens, die Stirnin Falten legend. „Es ist bestimmt ziemlich ungesund,sich damit zu quälen. Als Musiker sollte man ein Gespürdafür entwickeln, was funktioniert und was nicht. Mansollte das eigene Barometer sein. Wir alle sind doch vonirgendwas beeinflusst und das ist auch völlig okay, weilwir von anderen lernen müssen, denn keiner von unshält sich in einem Vakuum auf. Es ist legitim, etwas zuverwenden, was einem im Spiel von anderen Musikerngefällt. Man funktioniert ja quasi wie ein Filter. Das, wasman sich bei Vorbildern abgehört hat, steht durch die ei-gene Persönlichkeit in einem ganz anderen Kontext. Ichfinde es außerdem wichtig, viel zu komponieren, weilman dadurch den Rahmen schafft, in dem man sich derWelt präsentieren will“, sagt der 33-jährige Kanadier.

Das AlbumDieser Aussage entsprechend hat der aus Toronto stam-mende Musiker das ganze Material seines Debütalbums„Woodwork“ selbst geschrieben, abgesehen von einerCover-Version des David-Bowie-Titels „Sunday“. „Ichmöchte, dass die Sachen, die ich komponiere, bei mirdie gleichen Gefühle auslösen, wie es die Musik tut, dieich mir privat anhöre. Wenn man die eigene Musiknicht mit einem gewissen Enthusiasmus betreibt, kannman nicht erwarten, dass sich andere für sie begeis-tern. Allerdings ist Selbstkritik nötig. Ich versucheschon manchmal, einen Schritt zurückzutreten, ummit fast neutralem Abstand herauszufinden, was mei-nen Kompositionen fehlen könnte.“Das, was Matthew Stevens mit dem Pianisten GeraldClayton, dem Bassisten Vicente Archer, dem Schlag-zeuger Eric Doob und dem Percussionisten Paulo Sta-gnaro für seinen Erstling einspielte, tönt sehrdifferenziert, sehr dicht und doch schön offen, mal sehrmodern, mal angenehm altmodisch, mal jazzig, malrockig, lässt sich aber wahrlich nicht auf ein Genre he-runterbrechen und ist manchmal von einer leicht ge-heimnisvollen Note. Das Mysteriöse liegt MatthewStevens, denn es wäre ja noch schöner, wenn man inder Musik immer alles gleich ergründen könnte.

EinflüsseMatthew Stevens kam Anfang 1982 in Toronto als Sohneines aus Liverpool stammenden Vaters und einer ameri-

kanisch-kanadischen Mutter auf die Welt, beide äußerstmusikverrückt. Daddy hatte eine ziemlich stattliche Plat-tensammlung und ermunterte seinen Filius früh, darinzu stöbern. Der Stevens-Sprössling begeisterte sich injungen Jahren für laute Bands wie Soundgarden und Nir-vana – doch sein Papa wollte ihm unbedingt vorführen,wo diese Gruppen ihre Einflüsse herhatten. „Ich erinneremich genau, wie ich zum ersten Mal Jimi Hendrix hörteund wie mich das sofort ansprach. Damals spielte ichnoch Klavier. Meine Eltern versprachen mir, dass sie mireine mexikanische Stratocaster kaufen, wenn ich ihnenzusage, mindestens zwei Jahre weiter Klavierunterrichtzu nehmen. Als ich dann zwölf oder dreizehn war, lag eineGitarre unter dem Weihnachtsbaum.“

Die Pianostunden haben indirekt dazu geführt, dass sichMatthew Stevens für Jazz zu interessieren begann. DerMann seiner Klavierlehrerin, ein Trompeter, gab an derUni von Toronto nämlich Jazzkurse. Die Kassetten, dieder Professor für seinen Sohn Jamie zusammenschnitt,bekam auch Matthew zu hören. „Auf den Tapes warenviele Aufnahmen vom klassischen Miles Davis Quintetund vom Bill Evans Trio. Ich verstand die Musik nicht so-fort, aber sie faszinierte mich und ich wollte sie ergrün-den.“ Dazu ergab sich die Gelegenheit, als er anJazz-Sommerkursen seiner High School teilnahm. „To-ronto ist eine großartige Stadt für Gitarristen. LennyBreau verbrachte viel Zeit hier, obwohl er nicht aus To-ronto stammt. Dann gab es Ed Bickert. Und nicht zu ver-gessen Lorne Lofsky, ein Weltklassemusiker. Erunterrichte bei diesen Workshops an der High School,und ich hatte sogar Einzelunterricht bei ihm.“Zu dieser Zeit ahnte Matthew Stephens bereits, dass erprofessioneller Musiker werden würde. „Ich habe michwirklich nie gefragt, was ich als Erwachsener mal seinmöchte. Es klingt wie ein Klischee, doch es stimmt: DieMusik hat sich mich ausgesucht, nicht umgekehrt. Ichmusste keine Entscheidung treffen. Ich bin dankbar, dasses mir meine Eltern leicht machten und mich unterstütz-ten, wo sie konnten. Wenn es Bedenken ihrerseits gab,haben sie sie für sich behalten. Ich war dann richtig stolz,als ich 18-jährig ein Stipendium am Berklee College ofMusic in Boston bekam. Dass ich dort angenommenwurde, gab mir die Bestätigung, dass auch andere Men-schen als meine Eltern davon überzeugt waren, dass Mu-sizieren eine Berufsoption für mich sein könnte. Manmacht im Leben ja nie etwas im Alleingang. Man ist dasProdukt der Menschen, die einen umgeben, der Freunde,der Familie, von allen, die einen unterstützen und för-dern. Ich bin so froh, dass mir niemand die Illusion nahm,dass es mit der Musik klappen könnte.“

PersonalityDenen, die an ihn geglaubt haben, dankte es Matthew Ste-vens mit großartigen Gitarrenleistungen, die er in Bandsund Projekten der Trompeter Christian Scott und Sean

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So seltsam das klingenmag: Mir war es oftwichtig, das schwächsteGlied in einer Band zusein. Dabei lernt manam meisten.

chen, um alles zu erfassen, zu erlernen, zu wissen und zuprobieren, was einen interessiert. Mir war immer klar, dassdas Lernen ein Prozess ist, der nie aufhören darf. Ich habein den letzten zehn Jahren unendlich viele Gigs mit un-endlich vielen Band-Leadern gespielt. Diese Erfahrung istunbezahlbar. Auf der Bühne lernst du ganz schnell, wasfunktioniert und was nicht. Oft genug war ich in einembestimmten Kontext musikalisch völlig überfordert undwusste nicht, was ich spielen sollte. Irgendwas musst dudann ja abliefern. Ich schwöre, das sind die Situationen,aus denen man den meisten Gewinn zieht. Häufig spieleich mit Musikern, die mir weit überlegen sind, und das istgut. So seltsam das jetzt klingen mag: Mir war es oft wich-tig, das schwächste Glied in einer Band zu sein. Dabei lerntman am meisten.“

PeerlessAber irgendetwas werden die Bandleader, die ihn dau-ernd für Gigs anrufen, schon an ihm finden, etwas Be-sonderes, Persönliches, Einfühlsames, etwas, das sieinspiriert. Sie halten ihn bestimmt nicht für einen Mu-siker, den man mitziehen muss. Im Dezember gehtMatthew Stevens übrigens wieder ins Studio, um denNachfolger für sein Debüt „Woodwork“ einzuspielen.Vielleicht hagelt es dann ja in der Presse wieder Hym-nen wie die, die er für seinen Einstand bekam. Die NewYork Times etwa attestierte ihm, dass er sehr smart unddelikat Jazz und Indierock kreuze. Und der Kritiker von„NPR“ befand: „Von den jungen Gitarristen in NewYork hat keiner so viel drauf wie Matthew Stevens.“ �

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Jones, des Saxofonisten Walter Smith III, des DrummersHarvey Mason, des Pianisten Jacky Terrasson, des BassistenBen Williams oder im Allstar-Ensemble Next Collective ab-lieferte. Schon früh drang die Persönlichkeit des Wahl-New-Yorkers durch seine Single Notes und Akkordfolgen– sein Sound hatte schon damals hohen Wiedererken-nungswert. Er selbst sieht das kritischer. „Ich suche immernoch den Matthew in meinem Spiel“, sagt er süffisant grin-send. Er kam sich allerdings auf die Spur, als er mit Mittezwanzig versuchte, seinem Idol Kurt Rosenwinkel nichtmehr so bedingungslos nachzueifern, auch weil er nachdieser Entscheidung auf die Effektgeräte verzichtete, diemanchmal charakteristisch für das Wirken seines Vorbildswaren. „Ich wollte nur noch meine Gitarre in den Verstär-ker stöpseln. Als ich das tat und plötzlich mit der Reinheitdes Sounds konfrontiert war, fielen mir ein paar Eigenhei-ten im eigenen Spiel auf.“ Mit der neuen puristischen He-rangehensweise entdeckte er sein Instrument ganz neu,entwickelte einen ganz anderen Touch, eine andere Sen-sibilität. Und als ihm in Privatstunden bei Adam Rogersein sehr praktisches Lehrbuch der Gitarrenlegende AndrésSegovia in die Hände fiel, machte er einen weiteren Schrittvorwärts. Das ständige Weiterkommen, das nicht Stehen-bleiben, das an sich Arbeiten ist ihm wichtig. „Wir habenvorhin im Band-Bus darüber gesprochen, wie elementarund befreiend es ist, immer ein Schüler der Musik zu blei-ben“, sagt Matthew Stevens, der zum Zeitpunkt unseresInterviews gerade mit dem Quintett des prämierten Bas-sisten Ben Williams in Europa unterwegs ist. „Ich bindavon überzeugt, dass achtzig Lebensjahre nicht ausrei-

Aktuelles AlbumMatthew Stevens – „Woodwork“

Label: Whirlwind Recordingswww.mattstevensmusic.com