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NACHRICHTEN DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN GOTTINGEN I. PHILOLOGISCH-HISTORISCHE KLASSE Jahrgang 1983 Sanskrit und die Sprachen Alteuropas Zwei Jahrhunderte Nr.5 des Widerspiels von Entdeckungen und Irrtiimern Von Manfred Mayrhofer VANDENHOECK & RUPRECHT IN GOTTINGEN Au"l!'-W'ben April I'IH.I "

Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

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Page 1: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

NACHRICHTEN

DER AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN IN GOTTINGEN I. PHILOLOGISCH-HISTORISCHE KLASSE

Jahrgang 1983

Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

Zwei Jahrhunderte

Nr.5

des Widerspiels von Entdeckungen und Irrtiimern

Von

Manfred Mayrhofer

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GOTTINGEN

Au"l!'-W'ben April I'IH.I

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MANFRED MAYRHOFER

Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

Zwei Jahrhunderte des Widerspiels von Entdeckungen und Irrtiimern

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GOTTINGEN

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Page 3: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

Inhalt

:\bkiirzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Sir William Jones' Urteil iiber das Sanskrit 125 Beeinfluf~t durch Halhed (§ 1.1)? . . . . . 127 Friedrich Schlegels Indier-Buch (§ 2) 127 Schlegels Sanskritozentrik auch beim friihen Bopp; Rask, der die indogermanische

Sprachverwandtschaft ohne Sanskrit erweisen konnte, bleibt ohne EinfluG (§ 2) . . 130 Erste Rekonstrukte; ihre Abhiingigkeit vom Altindischen (§ 3, 3. 1) . . . . . . . . . . . 131 \\.esenszug des altindischen Vokalismus: /a/ fur /e/ - lol - /a/ der Sprachen Alt-

europas. Altindisch /a/ als primiir betrachtet (§ 3. 1) 131 Cberwindung dieser Auffassung durch das Palatalgesetz (§ 3.2) . . . . . . . . . . . 132 Schleichers Stammbaumtheorie: sanskritozentrisch (§ 3. 3) . . . . . . . . . . . 134 D1c Wellentheorie: wertfrei bei Hugo Schuchardt; noch sanskritozentrisch in Johannes

Schmidts erster Darlcgung (§ 3.4) 135

Exkurs: Das Palatalgesetz und seine Entdecker 137 Johannes Schmidt(§ 4. 1) . 13 7 Karl Verner(§ 4.2) 138 Vilhelm Thomsen(§ 4.2.1) 138 EsaiasTegner(§4.2.1) 139 Osthofis Festlegung der Urheberschaft des Gcsetzes auf Tcgner, Thomsen und Verner(§4.3) . . . . . . . . . . . . . . . 139 johannes Schmidts Verteidigung (§ 4. 3.1) 139 Hermann Collitz (§ 4.3.2) . . . . . . . . 140 Ferdinand de Saussure (§ 4. 3.3[.1]) 141 Sechs voneinander unabhiingige Entdecker (§ 4. 4) 142

Das VerschluBlautsystem: am Vedischen orientiert (§ 5) 143 Ferdinand de Saussure 1891: zwciphonemiger Ursprung von /th/ (§ 5. 1) 144 Typologische Einwande gegen das verbleibende Dreicrbiindcl sowie gcgen die geringe

Frequenz von indogermanisch ''"/b/ (§ 6) ....................... 145 Vorschlage zu einer Neukonstruktion des Okklusivsystcms (Gamkrelidze-Ivanov,

Hopper u.a.) [§ 6.1] .................................. 147 Glottalisicrte Tenues an Stelle der traditionellen Medien (§ 6. 1.1- 6. 1.2.3) ....... 148 Beurteilung der Neuvorschliige: keine Andcrung im Ansatz dcr Glcichungen, wohl

aber in den einzelsprachlichen Prozessen (§ 7. 2) 150 Wesentlicher Unterschied zur Laryngaltheorie (§ 7.2.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Zweifel an der Bedeutung typologischer Einwande (§ 7.3) .............. 151 Die Annahme cines veriinderten Okklusivsystems ware die wciteste Abwendung von

der sanskrithaftcn Rekonstruktion; RLickblick auf die Sanskritozt:ntrik dcr friihen Indogermanistik (§ 8. 1.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

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BB BSL CJL IF lzvAN JAOS JIES KZ

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Abkiirzungen

Acta Linguistica Academiae Scientiarum Hungaricae. Budapest. Anzeiger der Osterreichischen Akadcmie der Wissenschatren. Phil.-hist. Klassc. Wien.

[Bezzcnbergers] Beitrage zur kunde der indogermanischen sprachen. Gottingcn. Bulletin de Ia Societe de Linguistique de Paris. Paris. Canadian Journal of Linguistics. Toronto. Indogermanische Forschungcn. Stra~burg u. a., zuletzt Berlin. lzvestija Akadcmii Nauk SSSR, Serija literatury i jazyka .. \l,>skau. Journal of the American Oriental Society. l"ew Haven/Conn. The Journal of Indo-European Studies. Hattiesburg, Miss. [Kuhns] Zeitschrift fi.ir Vergleichende Sprachforschung auf dem Gebicre dcr indogcrmanischen Sprachen. Berlin u. a., zulerzr Gottingen. Voprosy Jazykoznanija. Moskau.

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1. Vor rund zwei Jahrhunderten, am 2. Februar 1786, hielt der Richter am Obersten Gerichtshof in Kalkutta, Sir William Jones 1, die dritte Jahresrede, i.iber die Hindus, vor der von ihm gegri.indeten Asiatischen Gesellschaft 2• In diesem von vielerlei handelndcn Vortrag finder sich das beri.ihmtgewordene U neil i.iber die alte heilige Sprache dcr Inder 3 : , Wie altcrti.imlich das Sanskrit auch sein mag, es hat einen wunderbarcn Bau; es ist vollkommencr als das Griechische, reichhaltiger als das Lateinische und i.ibertrifft beide an erlesener Verfeinerung, wahrend es bezi.ig­lich der Wurzeln der \'\1orter und der grammatischen Formen zu beiden cine star­kere Affinitat aufweist als durch Zufall harte entstehen konnen; diese ist so stark, Ja~ kein Philologe aile drei berrachten konnte, ohne zu glauben, daR diese Spra­chen einer gemeinsamen Quelle entsprangen, die vielleicht nicht mehr existiert".

Wohl jeder junge Indogermanist hat in der Fri.ihzeit seines Studiums diesen Satz als die erste Verki.indigung der indogermanischen Sprachverwandtschaft kennen gelernt und ist auch in der Bewunderung fur die bestiirzcnde Modernitat dieses noch im 18. Jahrhundert abgegebenen Urteils erzogen worden. In unserer ikono­klastischen Zeit 4 hat es freilich mehrere Versuche gegeben, das Dikrurn Jones' in die vorwissenschaftliche Umgebung seiner Epoche einzufiigen und es seiner Origi­nalitat und strengen Methodik zu berauben 5 • Oswald Szemerenyi hat in eincm vor-

1 Aus der reichen LitercJtur iiber Jones se1 nur weniges genannt: sodas schone Buch von Garland Cannon, Oriental Jones (Bombay etc. 1964 ), mit reicher Lit. S. 1% ff.; die \XI[irdi­gungcn Jones' durch Edgerton, Chatterji und Cannon im \XIieder2bdruck bci Thomas E. Se­beok (ed.), Portraits of Linguists Vol. 1 (Bloomington-London 1966) 1 ff.; wei teres in den folgcnden Anmcrkungen.

2 Veroffentlicht in Asia tick Researches 1 ( 1788) 415 ff.- ,The Third Anniversary Dis­course, on the Hindus" ist jetzt Ieicht zugiinglich durch den Wiederabdruck bei Winfred B. Lehmann, A Reader in Ninetenth-Century Historical Indo-European Linguistics (Bloom­ington-London 1967) 10 ff.

3 Asiatick Researches 1, 422f.; der englische Originaltext dieser Passage finder sich viele Male zitiert, so bei Ernst Windisch, Geschichte der Sanskrit-Philolugie und indischen Alter­tumskunde (Stragburg 1917) 24, Cannon, Oriental Jones [o. Anm. 1]141, W. B. Lockwood, Indo-European Philology (London 1969) 22, Helmut Gipper- Peter Schmitter, Sprachwis­senschaft tmd Sprachphilosophie im Zeitalter der Romantik (Tiibingen 1979) 38, etc. etc. -Die deutsche Fassung entnehme ich dcm \~erk von Hans Arens, Sprachwissenscha/t [,] der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart (Freiburg-Miinchen 2 1969) 147.

4 Vgl. Oswald Szemerenyi, \Vege zur Universalienforschung (Beirr(iige] zum 60. Gdmrts­tag von Hansjakob Seiler, Tiibingen 19!W) 151 [zu Jones]: ,Bur in these iconoclastic rimes no one is quite safe on his pedestal".

5 So wird in dem inreressanren Aufsatz von Giuliano Bonfanre, Cahiers d'Histoire Mon­diale 1 ( 1953-54) 696 auf den franzi::isischcn Jesuiren Gaston Laurcnr Ca:urdoux verwiesen, der 1768 a us Indien eine ausfiihrliche hriefliche Mitteilung nach Paris geschickt harte, in der

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126 Manfred M,lyrhofer

trdflichen Artikel die Originalitat Jones' vertcidigt 6 , ohnc zu verschweigcn, da~ ncb~n dcm vorausschauenden Mc:thodikcr Jones auch, in der sc:lben Rcde, dcr

,Mann des 18. Jahrhundcrts" sichtbar wcrde 7 ; in ahnlichcr Weise ri.ihmtc bercits

Friedrich Schlegel Jones, der ,zuc:rst Licht in die Sprachkunde" gcbracht habcH,

vide richtige oder halbrichtige sanskrit-lateinisch/griechische Wortgleichungen (wie sskr. danam = lat. domtlll, sskr. dattam - lat. datum, sskr. vir<~- - lat. vir-tus, sskr. vidhava- = lat. vidua, sskr. nava- = lat. nm•us, etc.) und das Paradigma von sskr. asti = lat. est ange­fiihrt werdcn (vgl. auch Thcodor Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft und orientali­schen Philologie in Deutschland seit dcm Anfange des 19. f,ihrhundcrts mit einem Riickblick auf die friiheren Zeiten [Miinchen 186':1] 341 und Anm. I); wegen dieses Yorgiingers fiigt Bonfante (a.a.O. 696f. Anm. 34) den Namen Jones' nicht in seinen Arrikel ein, da sein ,famous statement ... of 1786 ... does not really add much to what Cceurdoux and others had said before, and brings no demonstration whatever, as the others did ... "). Jedoch abgesehen davon, dal~ Cceurdoux bei seinen Gleichsetzungen von Relikten nach der babylo­nischen Sprachenverwirrung sowie vorgeschichtlichen Lehnbeziehungen ausgegangen war (s. Anthony T. Arlotto, JAOS89 [1969] 416f., Szemerenyi a.a.O. 156, Gipper-Schmitter a. a. 0. 34 ff., mit weitcrer Lit.), blieben seine Beobachtungen deshalb wirkungslos, wei! seine Abhandlung erst 1808 im Druck erschien, als Jones' Diktum und Friedrich Schlegels Buch (u. § 2) bereirs das Interesse der wissenschaftlichen Welt bchcrrschten (s. auch Bonfanre a. a. 0. 696, Ben fey a. a. 0. 341 und Anm. 2). - Angesichts der vcrbreiteten lrrtiimcr iibcr den lnhalt und die tatsachliche Auswirkung von Cccurdoux' Text gd1t: ich diesen - mit freundlichcr Erlaubnis der Pariser Acadhnie des inscriptions et belles-lettres- im An hang (u. S. 154ff.), wieder, wo auch einige weitcre Worte der Erli:iuterung zu finden sind.

6 Szemerenyi a. a. 0. 152 ff. - Ich wiederholc seine Argumcnte gegcn Hoenigswald, Ro­bins und Kispert hicr nicht, ~ondcrn habe nur in Anm. 5 den Fall Cccurdoux niiher dargc­stellt, wei! die Haltung der Wissenschaftsgeschichtc dazu besondcrs bemerkenswert er­scheint: Cceurdoux harte zwar einc Fiille werrvollen Verglcichsmaterials nach Paris ge­schickt, jedoch unter vorwisscnschaftlichen Pramissen. Ein EinfluR dieses Materials auf den sanskritkundigen, aber in scinem nicht primiir linguistischen ,Discourse" nur seine Folge­rungen bringenden .Jones bleibt zudem undenkbar, da jenes erst zwolf Jahre nach Jones' Tod veroffentlicht wurde.- Untcr den eigen;lrtig feindscligen Stimmen gegen Jones ist eine friihe Herabsetzung dem ritterlichen Vertcidiger Jones' offenbar entgangen, die schon Franklin Edgerton (r\bdruck bei Sebeok [o. Anm. 1]17) als ,unfairly" qualifizicrt: Benfey a.a.O. 356 vermutet grundlos, dal; Jones in seine Liste von Verwandten des Sanskrit nur deshalb ledig­lich ,indogermanische" Sprachen aufgenommen habe, wei! er zufallig keine anderen kannte. Jones kannte die wichtigsten semitischen Sprachen, vorweg das Arabische (Edgerton a. a. 0.); eine spiitere AuEerung Jones' (179 I; s. Szemcrenyi a. a. 0. 156) ordnet die scmiti­schen Sprachen (Athiopisch, Arabisch, Hebriiisch) in iihnlicher Weise wic in seinem Sanskrit­Diktum auf Grund ihrer lcxikalischen und grammatischcn Obercinstimmungen als gene­tische Einheit zusammen. Die Vorstellungen seines Satzcs von 1786 waren ihm also 1791 in Fleisch und Blur iibergegangen - ob er diesen iiltercn Satz nun Diskussionen mit seinem bedeutenden Freund Halhcd verdankte oder nicht (s. § 1.1).

7 Szemerenyi a. a. 0. !54; Szemercnyi verweist auf die Schluf~passage des ,Discourse" (Lehmann a. a. 0. 20) und den bei Lehmann a. a. 0. 12 zu findenden Satz von den ,five principal nations ... the Indians, the Chinese, the Tatars, the Arabs, and the Persians", denen er fiinf verschiedene Essays widmen wcrdc, deren letzter das Problem li.iscn solle, , whether they had any common origin ... ".

8 Friedrich Schlegel, Ueber die Sprache zmd Weisheit der Jndier (Heidelberg 1808) 85. Schlegels Buch ist jctzt sowohl als foromechanische Wiedergabe in der ,New edition

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Sanskrit tmd die Sprachen Alteuropas 127

und bedauerte zugleich, daR er ,dem vortrefflichen Manne in diesen Sti.icken nicht [habe] folgen konnen" 9 , wenn er, ,nachdcm er sclbst zuerst die totale Verschieden­hcit des Arabischen und Indischen so schon festgestellt hat, zuletzt doch bloB der Einheit zu Liebe alles aus einem gemeinschaftlichen Urquell herleiten will" 10•

1.1. Etwa gleichzeitig mit Szemerc:!nyis Aufsatz- und ohne gegenseitige Kenntnis - ist cine Studie von Rosane Rocher erschienen, die den beri.ihmten Jones-Satz dem Einfluf~ cines unstreitig bedeutenden Landsmannes und Freundes Sir Williams zuschreibt: Nathaniel Brassey Halhed 11• Die erstaunlichen Einsichten, die dieser Mann 1778 in seiner Bengali-Grammatik i.iber Analogien zwischen Sanskrit und Latein/Griechisch auRertc, warcn bereits bekannt 12 ; die in einem Brief von 1779 an George Costard gei:iuGertcn Ansichten i.iber die Verwandtschaftsverhi:iltnisse des Sanskrit di.irfte, wie Rosane Rocher vermutet, Halhed auch seinem engen Freund Jones mitgeteilt haben 13• Das in dem nicht primar linguistischen Essay von Jones , On the Hindus" eher beiliiufig wirkende, spiiter in isolierter Form so beri.ihmt gewordene Diktum i.iber das Sanskrit soli von Gedanken Halheds ausgehen, die denen des Briefes an Costard glichen 14•

2. Fi.ir unseren Gegenstand- den Versuch, die Geschichte der Indogermanistik als cine allmahliche Entfernung vom Sanskrit darzustellen - bleibt allein wesentlich, daiS Jones' gedruckte AuiSerung, angesichts der i.iberragenden Verdienstc, die sich Jones in seinem kurzen Leben urn die ErschlieiSung und Vermittlung der altindi­schen Literatur crworben hatte 15, unstreitig die aufkeimende Sprachwissenschaft beeinfluiSt hat. Seine Aussagen in der 1788 gedruckten Rede i.iber die Hindus ha­ben, neben Mannern von geringercr Wirkung 16, das Buch eindeutig beri.ihrt, das

prepared by E. F. K. Koerner" (Amsterdam 1977, mit dem entstellten Titel ,Ober die Sprache und die Weisheit der Indier") wie als Neudruck (mit Abdruck der handschrifrlichen Vorar· beiten) in Band VIII der Kritischen Fricdrich-Schlegei-Ausgabe (Miinchen etc. 1975) I 05 ff. zuganglich.

9 Schlegel a. a. 0. 86. 10 Schlegel a.a.O. 85. 11 Vgl. den Hinweis auf Rosane Rochers erste Kongrcg-Mitteilung bei Gipper-Schmitrer

a. a. 0. 40; sod ann ihre Darlegung in Recherches de Linguistique (Hommages a Maurice Leroy, Briissel 1980) 173 ff., sowie den von Halhed, Jones und Lord Monboddo handelnden Aufsatz in fAOS 100 (1980) 12ff.

12 S. etwa das in Deutsche iibersetzte Zitat aus der Einlcitung zu Halheds Grammatik bei Arens a.a.O. 146, wo vom ,Grundbestand der Sprache", den ,Benennungen von Dingen, die schon beim Anfang aller Zivilisation bekannt warcn", ausgcgangen wird; auf S. 126 seiner Grammatik vcrweist Halhed auf die Existenz von -mi-Verbcn im Sanskrit wie im Gricchischcn, womit cr hei Lord Monboddo einen besondcren Eindruck hintcrlids (R. Ro­cher, jAOS 100, 13 b).

13 R. Rocher, Recherches ... Leroy 174; zur Frcundschaft zwischen Jones und Halhed s. auch G. Cannon, Oriental jones [o. Anm. 1]6.

14 R. Rocher a.a.O. 175, 177 und Anm. 13, 179. 15 S. zulctzt die Zusammenstellung bei Szemerenyi a.a.O. 157 (§ 1.5.4.1). 16 Vgl. Fr. Paulinus a S. Bartholomaco, Sidhambam seu Grammatica Samscrdamica

(Rom 1790) 16 mit dcm Jones-Zitat ,The sanscrit language ... "; s. jctzt die ausgezeichnete

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durch den graBen Namen seines Tri:igcrs das Interesse am Sanskrit und an dcr . Sprachvergleichung voll cntfachen so lite: Friedrich Schlegcls , Ueber die Sprache und ·Weisheit der Indier" von 1808 17• Untcr dem Lcitthema dieser Darlegung miisscn wir uns versagcn, auf die erstaunlichen methodischen Ansiitze des linguistischen Teilcs von Schlegels Buch einzugehen 18• Worauf es hicr ankommt, ist, daB nicht

Edition, Obersetzung und Kommentierung durch Ludo Rocher, Pau/inus a S. Bartholomaeo, Dissertation on the Sanskrit Language (Amsterdam 1977), wo auf S. 98 die englische Ober­setzung der betrcffenden Stelle zu finden ist.- Lord Monboddo bezieht sich mit dem wortli­chen Zitat ,more perfect than the Greek" in Antient Metaphysics 4 (1795) 322 auf Jones, nennt aber Halhed und Wilkins als weitere Quellen seiner Oberzeugung von ,Shanscrit, the most perfect language that is, or, I believe, ever was, on this earth" (Rosane Rocher, JAGS 100, 14a).

17 Daran ist kein Zweifel moglich. Schlegels Werk beginnt mit der Nennung von Wilkins und Jones (S. III); der An fang des ersten Buches, , Von der Sprache", ist cine Paraphrase der Satze von Jones (S. 3; ich erwahne nur die Aussagen , ... Sonskrito ... hat die groBre Ver­wandtschaft mit der romischen und griechischen ... Sprache. Die Ahnlichkeit liegt nicht bloB in einer groBen Anzahl von Wurzeln, die sic mit ihnen gemein hat, sondern sic erstreckt sich bis auf die innerste Structur und Grammatik. Die Obereinstimmung ist also keine zufallige ... , sondern cine wesentliche, die auf gemeinsame Abstammung deutet ... ". Von dem dank­baren ,Riickblick auf William Jones", als den ,Indogermanisten", mit gleichzeitiger Distanzierung von dem seiner Zeit verhafteten Jones, der ,zulctzt doch ... a lies a us einem gemeinschaftlichen Urquell herleiten will" (S. 86), war oben § 1 und Anm. 10 schon die Rede. -·Wenn Ursula Struc-Oppenberg in ihrer vorziiglichen Vorrede zur kritischen Ausgabe des Schlegei-Buches (Kritische Friedrich-Schlegei-Ausgabe VIII [o. Anm. 8] CCVIII f.) unter den Vorgangern Schlegels nur wirkungslose Pra-Indologen wie Sasetti, Roth, Schulze, Hanx­leden, nicht aber Jones ncnnt, womit sic sich ein hartes Urteil Szemen!nyis zuzieht (a. a. 0. 159), so ist sie vielleicht von Schlegels Vorrede S. XI ff. abhangig, in welcher er die ihm ,bekannt gewordenen Deutschen an[fiihrt], welche sich mit dem Studium der altindischen Sprache beschaftigt haben"; sic mag dadurch auf Stellen wie Benfey a.a.O. S. 222£., 261, 335 ff. gelenkt worden sein, wo der Zusammenhang Jones-Schlegel nicht so deutlich ausge­sprochen wird (trotz Ben fey a. a. 0. 346ff., 354), wie durch Schlegel selbst (s. o.).

18 Diese sind: Forderung nach , vollige[r] Gleichheit des Wortes zum Beweise der Abstam­mung", mit zwei beachtlichen Ausnahmen: wenn die Wortgeschichte bekannt ist, so daR die Veranderungen vor unseren Augen stattgefunden haben, wie im Faile von lat. dies [via di11rnus]--> giorno (und ,that jour is deducible, through the Italian, from dies" liest man auch in Jones' ,On the Hindus" ed. Lehmann a. a. 0. 11; in dem Buch, das an den Anfangen der Finno-Ugristik sreht, wird dieses evidente Beispiel fiir ,Etymologie durch Wortgeschichte" interessanterweise ebenfalls gebracht: vgl. Samuel Gyarmathi, Affi1zitas Linguae Hungaricae cum Linguis Fennicae Originis Grammatice Demonstrata (Gottingen 1799) 292: ,Aiterum exemplum esto latinum Dies, ex quo Gallorum four, Jouma/, derivari posse primo intuitu dubio absurdum nonnullis videretur ... E:x voce Dies fit Adjectivum: Diurnus ... "); ferner, wenn ,Analogien" wic lat. f = span. h (hijo, fitz und filius nennt auch Jones a.a.O.) oder lat. p = deutsch f ,so oft eintreten", gelte dies ,.auch fiir andere nicht ganz so evidente Faile": Schlegel denkt also in Lautgesetzen, wenn er auch den Ausdruck nicht kennt. Man miisse, so heiflt es weiter, ,die ,\1irrelglieder odcr die allgemeine Analogie historisch nach­weisen konnen" (Schlegel a.a.O. 6f.; daR ,historisch" bei Schlegel und seinen Zeitgcnossen eher als ,empirisch" zu verstehen ist, zeigt der kluge Aufsatz von Zs. T elegdi, ALH 16 [ 1966] 225 ff., bes. 230). Angesichts dessen, was Schlegel unter dicsen strcngen Prinzipien .•

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S,mskrit und die Sprachen Alteuropas 129

nur schon Jones vom Sanskrit gesagt harte, , whatever be its antiquity'', es set ,more perfect than the Greek, more copious than the Latin", sondern daB sich bei Schlegel nun ein Schwanken finder zwischen ,gcmeinschaftlicher Abstammung", wobei sich dem Vergleichcnden ergebe, daf~ ,die indische Sprache die altere sei, die anderen aber jiinger und aus jener abgeleitet" 19, wahrend auf die Frage, woraus denn folge, ,daB die indische unter den verwandten Sprachen gerade die altere und ihr gemeinschaftlicher Ursprung sei" 20, geantwortet wird, es sei zwar ,zu vie! gesagt ... , daG sich das Griechische und Romische ... zum Indischen wieder ver­halre, wie die romanischen Sprachen zur lateinischen" 21 , jedoch sei ,die regel­maBige Einfachheit der indischen Sprache in der gleichen Structur ein untri.igliches Kennzeichen des hoheren Alterthums" 22 ; jedenfalls sei ,die indische Sprache alter als die griechische und ri:imische", und erst die noch ausstiindige Kenntnis der Veden wi.irde das , Verhaltnig, als die alteste der abgeleiteten ... zu der gemein­schaftlichen Ursprache" entscheiden lassen 23 • Im historischen Teil wird sogar vor­geschlagen, ,den Gedanken, daB die gri:igten Reiche und vornchmsten Nationen von einem Stamme ausgegangen, daiS sie ... indische Kolonien seien, nicht zu unge­heuer zu finden" 24• Vom Sanskrit als der Mutter der klassischen Sprachen oder aber als altester Repriisentantin der verlorenen Grundsprache spricht in dieser schwan­kenden Form aber nicht nur das Buch Friedrich Schlegels, fi.ir das ich mich i.ibrigens weigere, es noch unter die vorwissenschaftlichen AuBerungen zur Indogermanistik

nicht nur an vorwiegend richtigen Etymologicn bringt (S. 7ff.), sondern auch an ,Gieichheit der [morphologischen] Structur" (S. 9) bzw. Obereinstimmungen ,bis in die feinsten Einzeln­hcitcn der Strucrur" (S. 36), ist es nur als graduelle Fragc zu betrachtcn, ob man mit Bopps Buch von 1816 oder schon mit dem ,Sprachc"-T eil des Werkchcns von Schlegel die lndoger­manistik beginnen Eifk

19 Schlegel a. a. 0. 3; ,gemeinschaftliche Abstammung" gehort noch zur Paraphrase des Joncs-Satzes, s. o. Anm. 17. - Der Rest des Satzes ist auch im handschriftlichen Enrwud interessant, den die Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabc VIII 14 mitteilt: , ( dal~ die genann­ten Spr.[achen] die ji.ingern seien, die indische ( aber) die altere, ihre gemeinschaitliche Mutter.)".

20 Schlegel a.a.O. 27. 21 Schlegel a. a. 0. 40. 2 2 Schlegel a. a. 0. 41. 23 Schlegel a. a. 0. 66[f.] 24 Schlegel a. a. 0. 174 f., des sen Formulierungen ich nachzulcsen bittc, da ich hier einige

Nuancierungen nicht mitteile. Vgl. dazu noch Ri.idigcr Schmitt, Historiographia Lingttistica 5 (1978) 335.- In seinen dem Indier-Buch vorausliegenden "Vorlesungen iiber Universalge­schichte" ( 1805-1806) sagt Schlegel, i.ibrigens in Bezug auf cine spatere Schrift des Paulin us (vgl. zu dieser Ben fey a. a. 0. 609 und Anm. I), , ... die pcrsische und deutsche wie auch die griechischc und altromische Sprache und Kultur bsscn sich a us der indischen ableiten ·• (Kritische Friedrich-Schlcgel-Ausgabe XIV [Padcrborn 1960] 19). Dcr spatt.:re Schlegel ( 1819) hat sich von seinen zu Migverstiindnisscn An Jag gcbenden Aul~erungcn im lndicr­Buch von 1808 i.ibrigens distaniziert: Vgl. Kritische Friedrich-Schlegei-Ausgabe VIII 514. -Ober Michel Breals Kritik an Schlegels Auffassung, als Riickschritt gegeniiber Jones, s. Hans Aarsleffs Breai-Schleicher-Studie, die ich nur nach Aarsleffs Sammelband From Locke to Saussure (London 1982) 304 zitieren kann.

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130 Manfred Mayrhofer

zu zahlen 25 ; auch in dem als Grundstein unserer Wissenschaft angesehenen Werk von Franz Bopp iiber das Conjugationssystem ( 1816) wird off en gelassen, ob die von ihm verglichenen Sprachen ,von dem Sanskrit oder mit ihm von einer gemcin­schaftlichen !\!utter abstammen" 26• Die Sanskritozenrrik stand also am An fang der lndogermanistik - und das eigentlich durch einen wissenschaftsgeschichtlichen Zufall, denn das schon zwei Jahre vor Bopps Buch bei der Danischen Akademie der Wissenschaften eingereichte, aber erst zwei Jahre nach Bopp erschicnene Werk von Rasmus Kristian Rask beweist, daG man auch ohne Kenntnis des Sanskrit die rich­tige Methode der Sprachvergleichung fin den konnte 27 • lm 17. Jahrhundert harte bereits ein Skandinavier, der Schwede Andreas Jager, ohne Kcnnrnis des Indischen von einer Grundsprache geschrieben, der Persisch, Griechisch, Latein/Romanisch, Keltisch und die germanischcn Sprachen enrstammten 28• Seine richtige Beobach­tung blieb jcdoch ohne geniigende Wirkung auf das Jahrhundert nach ihm 29 •

3. Von der Sanskritozentrik Schlegels und des jungen Bopp wurde die cine Va­rianre, die verwandten Sprachen seien direkte Abkommlinge des iiberlieferten San­skrit, bald als unhaltbar aufgegeben; was fur Jahrzchnte blieb, war die Vorstellung, die prahistorische Vorstufe dieser Sprachfamilie, fur die man alsbald Kunstnamcn wie indogermanisch, indoeuropaisch und ahnliche fand 30, miisse dem Sanskrit sehr

25 S.o. Anm. 18. 26 Vgl. Gunter Neumann, bzdogerma11ische Sprachwissenschaft 1816 zmd 1966 (lnns­

bruck 1967) 11 Anm. 5. 27 So Gipper-Schmitter a. a. 0. 31, mit Lit.; vgl. Neumann a. a. 0. 7 Anm. 1; Ham-Mar­

tin Gauger[- \\'ulf Oesterreicher- Rudolf Windisch], Einflihrung in die romanische Sprach­wissenschait (Darmstadt 1981) 21: ,[Rasks] Arbeit bezog das Sanskrit gar nicht ein, was zeigt, daiS dies nicht wirkliche Voraussetzung fiir verglt:ichcnde Grammatik ist ... ".

28 George J. Metcalf, in: Dell Hymes (ed.), Studies in the History of Li11guistics (Bloom­ington-London 1974) 233; dort wird der Standort Jiigers in einer beachtlichen ,.indoger­manistischen" Tradition im nordlichen Europa des 16. und 17. Jahrhunderrs aufgezeigt. S. noch Szemen!nyi a. a. 0. 153, mit richtigAr Zuriickweisung cines Einflusses Jiigers auf Jones (s. auch Metcalf a.a.O. 252).

29 Dazu .\letcalf a. a. 0. 252; er nennt Jager gleichsam den ,Lei£ Erikson" der Entdck­kung lndogermaniens. Mit dem allgemeineren Bekanntwcrden des Sanskrit beginnt die dauernde, die ,kolumbianische" ErschlieGung dieses Bercichs. - Die geringe Weiterwirkung der von Metcalf dankenswerterweise erschlossenen ,Indo-European Hypothesis in the Sexteenth and Seventeenth Centuries" dokumentiert sich auch darin, dag die inhaltsreichen Biicher von Benfey und Arens den Namen Andreas Jagers nicht zu kcnnen scheincn.

30 Vgl. dazu zuletzt Konrad Koerner, Papers from the 3rd International Conference on Historical Linguistics (Amsterdam 1982) 153ff. [und IF 86 (1981[82]) Iff.], mit der wesent­lichen Literatur; dieser ist nur die Ausfiihrung iiber imlogermanisch etc. anzufiigen, die Wilhelm Wissmann an unerwarteter Stelle veroffentlicht hat (Der Name der Buche [Vor­triige und Schriften dcr Deutschen Akadcmie der Wissenschaftcn zu Berlin, Heft 50], Berlin 1952, ~H.).- Unter den Gegnern des Hinterglicdes -germanisch ist, der Kuriositiit zulicbc, noch Arthur Schopenhauer anzufiihren, dcssen Motive sich grundlegend von denen der iibrigen Kritiker der Priigung indogermanisch unterschciden: ,Nichts aber cmport mich mehr, als der Ausdruck: indogermanische Sprachen,- d. h. die Sprache der Veden unter Einen Hut gebracht mit dern etwanigen Jargon besagter Barcnhiiurcr" (P.1rerga zmd l'arali-

[10]

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S,mskrit zmd die Spr<~chcn Altcumpas 131

:ihnlich gewesen sein. Das war vor aiicm zu erkennen, als man daran ging, den

naheliegendcn Schiut~ aus dcr Oberzeugung von der Entstehung der indogermani­

-,chen Sprachen aus einer verlorenen Vorstufe ZLI ziehcn: namlich Formen dieser

Grundsprache methodisch zu rekonstruieren. Eigenartigerweise fehlt, woran

Gunter :-\eumJ.nn erinnert hat, dieser ,zwcite logische Schritt", nach der metho­Jischen Verglcichung auch Grundforrnen zu erstcllen, noch in dem Erstlingswerk

Franz Bopps, und auch in den Schriftcn des spiiteren Bopp sind Rekonstruktionen

nicht eben haufig 31 • Im Rahmen unscres Thcrnas mi.issen wir den ersten grogen

Indogermanisten also nur kurz nennen und zu jenem eigenartigen ~v1ann der zwei­

ren Generation ubergehen, in dessen Werk crschlossene Formen haufig sind, ja bei

Jem sogar der Versuch cines rekonstruierten kieinen Textes in indogermanischer

Grundsprache erschcint 32 : August Schleicher.

3.1. Bcvor wir die Rekonstrukte Schicichcrs und so gut wie aller IndogermJ.ni­

stcn vor dem Ende der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts auf ihre Ahnlichkeir mit

dcm .-'\ltindischen untersuchcn, mi.issen dcssen Charakteristika bcwuf~t gemacht

\\-erden. Es ist nati.irlich in dicsem knappen Vortrag 33 nicht moglich, aile Zi.ige

cincr groGcn Literatursprache zu beschreiben, dcrcn BehJ.ndlung so manches re­

spektable Lebenswerk ausgefi.illt hat. In einem phonematischen Bereich jedoch, der

die lautliche Struktur des Indoarischen und lndoiranischen auffailcnd gepriigt hat,

pomena !I/2, Kap. 25 [,Ueber Sprache und Wortt:"J § 303a; Sperrung Schopenhauersi. Dicses Crteil des Bcwunderers und 1\lcisters dcr d.:utschen Sprache hangt nattirlich mit st:mer eigenartigcn Gcgncrschaft zum Ausdruck ,Germanisch" zusammcn, wortiber im ,cJben Paragraphen nachzulescn ist (Deutsch ist vi.:lrm:hr ,Gothisch'', und diescs hat m1t der unbc:kannren ,.Barcnhautersprachc" nichts zu tun; irn System dcr ,.heutigt:n Germanisrcn" liege .. mehr Patriommus, als Wahrhcit").

31 Vgl. G. :-.:eumann a. a. 0. 15. - In F. Bopps Vcrgleichender Grammatzk des S,mskrlt, )"ozd. Armenischen, Griechischen, Latemischen, Litauischen, Altslavischen, Gothischen tmd Deutschen (3 .. .\usgabe Berlin 1868) I 26 find<:t man z.B. ,pdiika = 5", I 34 ,s[ansjkr[irj .isva-s (aus dkva-s .. . )". Im Allgemeinen zeigr aber auch dieses Spatwerk nur cin "-'t:benem­andersrellen von Wortform<:n und Paradigmen, ohne Rekonstrukte.

32 Schleichers Text-Rekonstruktion von 1868, ihre rund siebzig Jahre spiitere Neufassung durch Herman Hirt und die wenig gegluckte zcitgcnossische Umserzung in cin "lndogerma­nisch von ca. 2500 v. Chr."- a us dcm, da dort ,Mann' '·ner Iauter, Griechisch, Armenisch, lndo-Iranisch und Phrygisch b.:reits ausgeschi.:dcn sein muGten, die zwingend auf '); 2ner wei sen- fmdct man nun bei [Winfred P. Lehmann undj L1dislav Zgusta, Studies in Diachro­nic, Synchronic, and Typological Studies (Festschrift Oswald Szcmcrenyi, Amsterdam 1979) I 454. Eine modernc (drcilaryngalistische) Fassung des Tcxtcs durch Marrin Peters wird in dcm Buch von Helmut Birkhan, Wortforsclmng III : Etymologie des Deutschen enrhalten >ein, das zur Stunde noch nicht nschimcn ist. - In der Beurteilung der Ernsrhaftigkeit von Schlcich.:rs Text-R.:konstruktion treff<: ich mich mit Konrad Koerner, General Linguistics 22 (1Y82) 24.

J.l Diesc Darstcllung mochtc die Form d.:s Vortragcs nicht verleugnm, den dcr Schrei­bende als neugewiihltcs Mitglied am 3. Dczcmbcr 1982 vor der Gorringer Akadcmie dcr \\.isq:nschaften zu halten die Ehre harte. Nicht nur irn gcsamten FuGnotenapparat, auch irn Tcxrrcrl 1st Jiesc Vorlage sclbstv<:rstandlich gegcnlibt:r den vorgetragencn Ausschnitren dt:s Textt:'i '>tark crwclt<:rt.

[Ill

Page 12: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

132 Manfred Mayrhofer

li:iGt sich knapp darlegen, was das Charaktnistikum des Samkrit- Vokalismus ist: tr

zeigt ein weitmaschiges Phonemsystem, in \velchem den hohen Vokalc:n /i: und lui

lcdiglich /a/ gegeniibersteht. Eindcutige Glcichungen zeigen ferner, da:; die<;err, ;a

im Lateinischen und Gricchischcn /c/, /o/ und /a/ entsprcchen: lat. cquo-s ,Pkrd·

= J.itindisch aSVLl-S; lat. est ,ist', inschnftlich SONT ,sind' = altindi>ch dstr, sinti; daG lat. nasus ,Nasc' 34 mit altindischcm -a- in nds- ,Nase' iibereinstimmte, w:1r

durch die sichthare Glcichheit ohncdies kcin Problem. Abcr auch bci dem haufi­

gcren Abweichen der klassischcn Sprachcn nach /e/ oder /o/ hin konnre man s1ch

jahrzehntelang nicht von der Yorstcllung losen, das /a/ der heiligen Sprache lnd1ens

miiGtc primar scin, die lei und /o/ der wcstlichen Sprachcn seicn ,Entartungen": ,Vcrcli.innung" im Falles des lei, "Verdumpfung" im Faile des /o/; dahei hlieb man,

wiewohl die Ratio dieser ,Spaltungen" nicht erkennbar war und !angst die Ge'>etz­

haftigkeit des Lautwandels zur Grundlage wissenschaftlicher Sprach\·ergkichung

geworden war 35 • Schleichers Grundform fur ,Pferd' ist akvas 3 n, die formen dcr

,indog[ermanischen] urspr[ache]" fur ,est, sunt" sind as-ti, as-anti 37 • Das ist n1cht

mehr altindisch; aber es steht dem Altindischen naher a is allen anderen Sprachen.

3.2. Von diescm Bild eines indogermanischen /a/-Vokalismus trennte man .,ich

erst gegen Endc der 1870cr Jahre, als sechs groGe Gelehrte, voneinander unabhan­gig, cine Beobachtung machten, die, wenn sic aus unserem heutigen \\'isscn heraus

vorgefiihrt wird, an einc Banalitiit zu grenzen scheint; und doch waren ihr Jahr­

zchntc des Verkennens des Materials, war ihr ham: Geistesarbeit vorangegangcn 3 '.

34 LH. -tl- in ntisus, ntisum, ntircs komrnt wohl am dem Nomin:Jtiv de., \X'urzclnomtn5. '''ntis (- altinc.l. ncis-); s. althochdcutsch nasa u. dgl. - Vgl. E. H. Sturtt:vanr. Lan~uage i-J

(1':132) 7, A. Walde- ].B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wiirterhuch Jl Heidelberg 3 1 ':154i 146, A. Ern out - A. Meillet, Dictionnaire ctymologzque de Ia langue latme (l'a~J' "1 ':15':1) 42':1 b. Das Beispiel wurde a us Demonstrationsgrunden gewahlt.

35 Dazu sind die Worte Georg Curtius' in seinen Grundziigen der Criechzschen Ltymolo­gie (Leipzig 185Xff.; ich zitiere nach 5 '879) 151 (,Laurgesetze 'ind die tmZJgt 'ichtre Grund I age a lies vcrstandlichen Erymologisiercns. Eben dcshalb war das von Jacob Crimm entdeckte Lautverschiebungsgeserz fast ebenso epochemachend ... wie d1c Ausbeutung des Sanskrit") und 8':1 (,Denn ausser der Verschiebung begegnet uns auch dJt Spaltung, welchc e1gcntlich nicl1ts anderes als cine particlle Verschiebung z. B .... von ur5prunglichem a thcils zu c, thcils zu o ist ... ") bemerkcnswcrt. Ober Schleicher schrcibt se1n Schuln Johan­nes Schmidt in einem bewcgten Aufsatz: ,Die ganze wissenschaftliche pers6niJChken Schlei­chers ist ohnt: die thcoric dcr ausnahmsloscn lautgt:'>ttze geradt:Zu undc:nkbar·· 1 KZ 28 [1887J 306; dort bcachtliche Zitatc aus Schkichers Schriftcn).- Zu dc:r dirt:kten \\'encrfuh­rung dcr Konzeptc Schleicher> (I S21-186S) durch d1e Generation des En..cheidung'>Jahrt5 1876 s. die wichrigen Angabcn und Aussagcn bci Konrad Kot:rncr, PafJcrs frrJin the 3rd International Conference on Historical Linguistics (Amsterdam 1 ':182; 136ff.

3" Compendizmz der vergleichenden Grammatik der zndugemi<liiiSchen Sprachen I Weimar 3 1871), z.B. 23,161.

37 Schleicher a. a. 0. 708. 38 Nicht ohnc Bcwegung liest man Stellt:n hci den Vorvarern der lndogcrrnanisok, wclche

diese schon in Jer Ni:ihc dcr Erkenntnis des Palatalge'>etzes zcigen. Ganz fruh war .Rudolf von Raumcr (I S3 7) daran, die Entstt:hung von altllld. lei mit Jcr von lat. k- ( < c 1! ~ nalien.

[12)

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Sa11skrit zmd die Sprachen Alteuropas 133

Wic bci wenigcn andcren Erfahrungcn driingt sich Lichtcnbergs Wort ins Gediicht­nis: ,Es ist sonderbar, dag nur auGerordentliche Menschen die Entdeckungen rna­chen, die hernach so Ieicht und simpel erscheincn. Dieses setzt voraus, dag die simpelsten aber wahren Verhaltnisse dcr Dinge zu bemerken, sehr tiefe Kenntnisse notig sind". Ich deute bekanntcs an: Lateinisch quod ,was' und altindlsch kdd ,was' sind offenkundig gleichen Ursprungs. Lateinisches enklitisches -que ,und' mugte dann auch im Altindischen einem Wort mit -a entsprechen, das nach damaliger Ansicht primiir war und im Lateinischen zu -e , verdi.innt" erschicn. \Varurn aber cntsprach in dem Wortchen ,und' im Altindischen, -ca, dem latcinischen qu kein k wie bei quod!kdd, sondcrn ein Palatal, c? Eine Antwort darauf loste diesen und hunderte vergleichbare Faile sofort, wenn man sich, das Oberkommene aufgcbend, zu ihr entschlog: noch nach der Entstehung von k aus ''"k!! (lat. qu) hatten in der Vorstufe des Indischen (Indoiranischen) ''.kr5d und ''·-ke nebcneinander existicrt; vor

dcm vorderen e war palatalisiert worden, vor o nicht, vcrgleichbar lateinischem /ken tum/ ( (centum)), collum zu italienischem cento, colla. Die beiden Form en muG ten '' k6d und * -ce werden, und erst nach diesem .Prozess kam es zu hid, -ca.

c/ -( ~} zu vergleichen. Er wurde jedoch lediglich zu der Annahme hingeiiihrt, da{~ ,den

skr. Palatalen Gutturale zu Grunde zu legen" seien, ohne fiir sie die gleiche Ursache wie im ltalienischen (folgender Vorderzungenvokal) zu erkennen (da die verglichenen Forrnen abwichen: altind. catur- ,vier' - quattuor quattro; s. R. v. Raumer, Gesamme/te sprachwis­senschaftliche Schriften [Frankfurt 1863] 43 ). Analogien wie altitalien. lucere ( < lat. /lu: ke :/) - altind. rocdy- ( < idg. '' loukej-) waren damals noch nicht erfaGbar. - Bopp ver­weist in seiner Vergleichenden Grammatik [o. Anm. 31] I 25 darauf, daB die altinJischen Palatale ,a us der gutturalen [Kiassc] entsprungen seien"; ,altslavische[s] ... {Jet'etJ cr kocht [vergleiche man] mit dem sanskr. pdcati. Das slav .... c ist hier durch den riickwirkenden EinfluB des ... e a us ... k erzeugt ... " [und man denkt eine Stufe weiter: wie somit auch pdcati alteres ''peceti < *pek( w1eti gewesen sein muG]. - Fiir Schleicher a. a. 0. 163 sind altindische (in heutiger Umschrift) c ; ch ;h iz und s ,auR den entsprcchenden gutturalen entstanden ... Das gesetz, nach welch em die gutturalen teils in die palata len iiber gehen, teils bleiben, ist ... noch unerforscht", und er sieht ein Argument fiir die sekundare Entstehung von /c/ aus /k/ u. dgl. in der Verwendung des Palatals bei der Perfektreduplikation (Typus cakar-: der Blick auf durch be-bogx- etc. nahegelegtes ,,. ke-kor- ..... ce-kor- blieb ihm verstellt). - Einen beachtlichen Schritt zur Erkenntnis des ererbten Dreiervokalismus /e/ : /o/ : /a/ tat 1864 Georg Curtius in den Berichten iiber die Verhand/ungen der kg/. siichsischen Gese/1-schaft der Wissenschaften zu Leipzig, phil.-hist. Klasse, 16, 9££., indem er fiir die ,Periode, welche der Aussonderung der orientalischen Zweige ... nachfolgte, die Spaltung" in e und o als Gemeinsamkeit der ,europaischen Zweige" nachwies (da Obereinstimmungen wie ago U.yw : ego iyti>, Unrerscheidungen wie acuo : ow/us, gr. un6 : t'ni nicht der Willkiir von .,Entartungcn" iiberlassen bleiben konnten [a. a. 0. 18 f.]. Freilich bleibt das Sanskrit mit ungespaltcnem ,A-Vocal ... die alterthiimlichste ihrer Schwestern" [a. a. 0. 9]; vgl. bes. Wilbur A. Benware, The Study of Indo-European Vocalism in the 19th Century [Amsterdam 1974] 70 ff.). Gcgen diesc Auffassung wandte sich Johannes Schmidt noch in KZ 23 (I S77 [ = 1876]) 374 (, ... selbst die vocale der worte, welche in allen europaischcn sprachcn tonerhohungen erfahrcn habcn, bcweiscn nichts fiir die annahme einer einhcirlichen europa­ischen ursprache mite ... "); dies kurz, bevor er selbst zu einem der Finder des l'alatalgcsct­zes wurde (u. §§ 4.1, 4.3.1).

[13]

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134 Manfred Mayr/Jofer

Das ,,uralte" /a/ war somit Produkt cines erst spi:itcn Zusammenfalls, cincr Dcpho­

nologisierung dcr Jrci Wcrtc lei /o/ /a/, wic sic die klassischcn Sprachcn nCJch

fortscrzren. Die im damaligcn Wisscn am friihcsten bczeugtc Sprachc war in diesem

Faile nicht Lhc altcrtiimlichste, was inzwischen li:ingst Linguistcn-Erfahrung ist; die

Grundformen dcr klassischen Indogcrmanistik, die scir etwa einem Jahrhundcrt no­

tiert wcrden und auch in viclcn Lchrbiichcrn jungsren Datums fortleben, lautetcn nach dcm Fund des Palatalgcsetzes ,,. ck 'tJo-s fur ,Pfcrd', ,,. est! fur ,ist', ,,. k ''ad fur

,was', '•kYc fur ,und': sic glichcn nicht mchr Jem Altindischen, das seit dem zwci­

tcn Jahrtauscnd vor Christus belcgt isr, sondern weitgchcnd dem Latcinischcn,

dcsscn rcichcre Bczcugung erst wcnige Jahrhundcrtc vor Christus einsetzt.

Obcr die Findung des Palatalgescrzcs, das m:m nicht mit Jcm Namcn cines einzi­

gen Gclchrren verbinden bnn, soli cin Exkurs handcln (u. § 4.1 ff., S. 137ff.).

3.3 Dcr Name August Schleichers ist jedoch mcht nur mit den ersten haufigcren

Rckonsrruktcn vcrbunden, sondern mchr noch mit dcr ihm cigencn Auffassung von

den naheren und ferneren Verwandtschaftsvcrhi:iltnisscn dcr indogermanischen

Sprachen. Mit ihm wird das Bild des Stammbaumcs vornchmlich verknupft. \X1ic­

wohl die Darstellung der Sprachverwandtschaft in Form cines Farnilicndiagrarnms

schon vor Schleicher bestand und dicser offenbar erst sparer sein Konzept als Am­

wirkung des Darwinism us auf die Sprachwisscnschaft ansah JY, bctrifft uns seine

3 " Vgl. Jic Lit. bei T.M.S. Pri<:stlcy, Hrstoriographia Lmguistica 2 (1975) 317 Anm. 4, 5. dazu Henrv ,\ 1. Hocnigswald in Dell Hymes (ed.), St11dics in the History r,f Lmgws:;cs !Bioom1ngton-London J ')74) 351 f., .J.-1-L SchJrf, Festschrift Uschmann ['>. u.j 141, ncue­stcns Konrad Koerner, General Linguistics 22 ( 191::2) 5, 18 f., rnit weltcrn L1r. Koerncr a. 3. 0. 20 f. erinncrt auch an die Verwcisc auf naturwissemchaftliche Mcthodcn bci altcren Lmguisten wic den Brtidcrn Schlegel, Humboldt, Bopp, Crimm und Rask. Vgl. ferner Ekke­hard Horner, Kuntmuiti:it tmd Diskontinuitdt in der Gcschichte der Sprachwissenschaft (Diss. Kicl 1 n 1) 134 f. - Von dcr Linguistik weitgehend ubersehen sind die in eincr Natur­forscher-Akademie vcroffentlichten Arbeiten von .Joachirn-Hermann Scharf, ,August Schlei­cher und moderne 1-rag<:n der Glottologie (Dualisierung und ErgJtivismus) als biologischc Probleme", Beitrdge zur Geschichtc der Natunuissenschaften und dl'r Medizin (Acta flisto­rica Leopoldina 1'\r. 9 [1975] = Festschrift fur Georg Uschmann, Halle/Saale 1975) 137ff., und ,Bemerkt:nswertcs zur Geschichtc der Biolinguistik und des sogenJnntl'n Sprach-Dr\R­Wll\ismus als Einfuhrung in das Thcma ,Aspekte der Evolution menschlichcr Kultur"", Evolution, Vortri:ige anld/5/ich der Jahresversammlung vmn 11. bis 14. Oktober 1')73 zu Halle iSaa/ej [:\·oua Acta Leopoldina N.F. 1'\r. 218, Band 42, 1975J 323ff. £; ist hiichst beachtenswert, wic ein bedcutcnder Naturforscher sprachhistorische Probleme beurteilr. \Viewohl sich dcr Schreibende von dcr einst belicbten Verwerfung Schlcichers ehenso frei weiR wie etwJ Koerner a. a. 0., so ist ihrn die Argumentation fiir d1c Stammbaurntheoril' doch ungewohnt, dicse sci , ... von al!t:n Sprachentwicklungstheoricn ... die einzige, die heure cinwJndfrei mathcmatisierbar ist und die man im Computer simulicrcn kJnn·' (Lvo!u­tion ... 333 ). In Scharfs crstgcnanntcr Arbeit S. 141 wird (unter Bnufung auf Roman Stop3, Structure of Bushman and its Traces in Indo-J:uropean, Krakau 1972) das Ahschatzungs:J.I­ter der indogerrnanischen Sprachen auf 25.000 .Jahre angcsetzt- g<:wiG ein unbedeutender Zeitraum fur Gcologen, Biologen, Anthropologcn, hingcgcn flir cincn Sprachhistorikcr, dem die Einsicht in die UnberechcnbJrkcit des Sprachwandcls und in die Unnkennbarkeit entfernter genew,chcr Zusammcnhangc zu e1gcn ist, einc unvorstcllbarc Angabc. Es i>t

[14J ·•

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Sanskrit und die Sprachen Alteurop<1s 135

vic! diskutierte Theorie :lUch im Rahmen unseres Them as. Wer dem Diagramm 40

cine , wertfreie" Anordnung der Sprachen zu entnehmen meint, wird durch Schlci­chcrs eigenc Wortc aufgcklart: ,Die indogcrmanische ursprachc" 41 - ,leben[d]; wic aile naturorganismen" 42 - habe sich ,durch ungleiche entwicklung" geteilt. Darum: , Je ostlicher ein indogermanisches volk wont, desto mer altes hat seine sprache erhalten" 43 • Das ostlichste indogermanische Volk im damaligen Wissens­stand aber sind die Inder. Wir begegnen der Sanskritozentrik in Schleichers Denk­gebaude also auch an einer Stelle, wo wir sic nicht vcrmutet hatten.

3.4. Die Stammbaumtheorie soli, so lehren uns fast aile Wissenschaftsgeschich­ten, 1872 durch die Wellentheorie von Schleichers Schuler Johannes Schmidt abge­lost worden sein: an die Stelle des Familiendiagramms sci ein Bild getreten, das die Verwandtschaftsverhiiltnisse von dcr Nachbarschaft, nm der fvtoglichkeit zum sprachlichen Austausch zwischen den T ragern genetisch zusammengehoriger .\lund­arten abhiingig mache. Ich lasse ein Zitat sprechen: ,Denken wir uns die Sprache in ihrcr Einheit als ein Gcwasser mit glattem Spiegel; in Bewegung gesetzt wird das­sclbe dadurch, dass an verschiedenen Stellen desselben sich Wellcncentra bildcn, deren Systeme, je nach der Idcntitiit der treibenden Kraft von grosserem oder gcrin­gerem Umfange, sich durchkreuzen". Das ist wahl cine faGiiche Schilderung; nur: sie stammt nicht von Johannes Schmidt. Sic finder sich vier Jahre vor Erschcinen seines Buches im dritten Band des , Vokalismus des Vulgdrlateins" von Hugo Schu­chardt, dem groGen, mit den tatsachlichen Kontakten zmschen lcbendcn Dialcktcn in der unvergleichlichen Sprachenwelt der Romania tid verrrauten Linguisten 44 • In

faszinierend, zu erkennen, wie schwierig cs besonnenen Linguisten werden mul~, mit einem Naturwisscnschaftler von hohcm Rang einc gcmeinsamc Spra~·he i.ih.:r Fragcn dcr Sprachge­schichte zu finden.

40 Etwa in der Zeichnung bei Schleicher, Compendium [o. Anm. 36] 9. 41 Schleicher a.a.O. 7; die Bcnennung der Sprache ist bci Schleicher gesperrt. 42 Schleicher a. a. 0. 2 Anm. *). 43 Schleicher a.a.O. 7. 44 H. Schuchardt, Der Vokalismus des Vulgdr/ateins III (Leipzig 1868) 34 = H11go Sdm­

chardt-Brevier (ed. Leo Spitzer, Halle [Saale] 2 1928 [Neudruck Darmstadt 1976]) 165. Dazu Y. M[alkiel], Romance Philology 9 ( 1955) 31; Maurice Leroy, Les grands courmrts de Ia linguistique moderne (2e ed., huitieme tirage, Bri.isscl 1980) 48 f.- Auch Schuchardt war Schuler Schlcichers; in einem erst 1972 veroffentlichten Brief vom 29. Mai 1917 an Jakob Jud (Edition durch S. Heinimann, Vox Romanica 31 [1972] 4) berichtet er iiber Enmayers Frage, ,ob nicht etwa die Wellentheorie von Joh. Schmidt und meine entsprechende auf Schleicher zuri.ickgingen", worauf er nach einigen Erinnerungen an Schleicher vcrmutet ,ich denkc, ich habc mir die Sachc a us den eigenen Fingern gesogen ... ". Da& anden:rseits Schmidt nicht von Schuchardt abhangig ist, versteht sich aus dcr Verschiedenheit ihrer Konzepte wohl von selbst.- Interessant sind die .Fragen, die A. Morpurgo Davies in T. A. Se­beok (ed.), Current Trends in Linguistics Vol. 13 (History of Linguistics, d.:n Haag-Paris 1975) 649f. aufwirft: so sci ,no attempt ... been made to contrast the positions of these two scholars"; cin Kompromi& der damaligen ,Traditionalistik" mit den neuen Modellen se1 offenkundig nicht im Faile von Schuchardt, wohl aber in dem von Schmidt nachweisbar.

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Ufi Manfred Mayrhofer

Johannes Schmidts Schrift von 1872 4 ' ist zwar auch von dt:r gcographischen Be­dingtheit der Obereinstimmung zwischen Sprachen die Redc, abcr cs solltc nicht iibcrlcsen wcrden, Jag von ,stufcnwcisc[mj continuirliche[m] iibergang von Asicn nach Europa" 46 gcsprochen wird, davon, daf~ ,die indogermanischen sprachen im ganzen und grossen desto mer an urspriinglichkeit cingebiisst haben, jc wciter sic nach westen vorgeriickt sind" 47• An der Stelle, wo er sein Bild der Welle setzt, , wekhe sich in conccntrischen mit dcr entfernung vom mittelpunkte immer schwa­chcr werdenden ringcn ausbn:itet", schlieGt er unmittelbar die Einschrankung an, daf~ ,.unser sprachgcbiet h:incn krcis bildct, sondern hbchstens eincn kreissector, dass die urspriinglichste sprache nicht im mittclpunkte, sondcrn an dem eincn ende des gebietes ligt" und verlaGt das ,bild der wcllc" nach wcnigen Zeilen mit dem Hinweis, ,auch das bild eincr schiefen vom sanskrit zum keltischen in ummterbro­chener linie geneigten ebenc [scheine ihm J nicht unpassend" 4 x. Schmidts beriihmte erstc Darstellung der , Wcllcntheorie" ist also sanskritozentrisch; das muR als wis­senschafrsgeschichtlichcs Faktum cbenso festgehalten werdcn, wie zu wurdigen bleibt, daB Schmidt in seiner spaten:n Verteidigung der Wellenthcorie diese Posi­tion verlassen hat 49, wie er auch als eincr dcr Entdcckcr des Palatalgesetzcs zur Obcrwindung der Sanskritozentrik beitragen so lite ( u. §§ 4.1, 4.3.1 ).

4 -' ]. Schmidt, Die ucrwandtschaftsucrhaltnisse der indogermanischen sprachen. Weimar 1R72.

4 " Schmidt a. a. 0. 24. 47 Schmidt a. a. 0. 26. 4 " Schmidt a. a. 0. 27; Hervorhcbung von mir. - Es ist nicht unintc:ressant, Schmidts

Modell mit einer rund hundert Jahre sparer erschienencn Darstellung zu n:rgleichcn, welche die indogcrmanischcn Sprachcn in einer Riickprojcktion ihrer hi!>tori~chen Sitze ann:iht und dahei natiirlich nicht von dcr zu Johannes Schmidts Zeit ostlichsten Sprache, dem Indoirani­schen, sondcrn vom Baltischen als Zcntrum ausgeht. Nur insoicrn wollen wir sic neben Johannes Schmidts Vcrsuch eines bildlichen Ausdrucks stellen, den an einer urn hundert Jahre an Erfahrungen reichercn Darstellung zu messen nicht gcrecht ware: gemcint ist \'\'. P. Schmid, Indogcrmanistische Modelle und europaische Friihgeschichte (AbhAkadl-.!ainz 1978: 1), bcs. S. 10.

49 Bei Joh. Schmidt, Zur Geschichte des lndogermanischen Vocalismus, 2. Abteilung (Weimar 187 5) 183 fi. finder sich einc Verteidigung gegen seine Kritiker, die den sanskrito­zentrischen Standpunkt nicht mehr zeigt; Schmidt bcruft sich hier auch auf Schuchardt (S. 192 ff.). - Sichcrlich bedeutet die sprachgeographische Betrachtungsweisc (, Wellcntheo­rie") eine Bereichcrung gcgcniibcr einer ausschlieglichcn Stammbaumtheoric (wicwohl sich weiterhin manche Prozesse ,immcr noch am besten nach dem ... Bilde des Stammbaums" erklarcn lassen, wie soeben der kluge Aufsatz von Klaus Strunk, Logos Semantikos [Fest­schrift E. Coscriu, Berlin u. a. 1981] II 159 if., 169 zeigt); eben so ~icher a her wissen wir a us den Erfahrungcn der Dialektologic, dais die Wcllcntheoric nicht in allen Fallen dcr Weisheit lerzrer Schlug ist. Konfessionsunterschiede konnen Sprachkontakte starker beeintrachtigcn als ein groGerer geographischer Ahstand zwischen Sprachtriigergruppen, die einandcr n:gel­maGig zu treffen pflegcn; hei Nomadcnsprachcn vcrsagt jcdc Form von , Wellentheoric", vgl. Gerhard Docrfcr, IF 76 ( 1971[72]) 9.- Dag es Modelle gibt, welchc die Stammbaum­theorie sowie die Wcllenthcorie Schuchardts und des spateren Schmidt zu verfeinern suchen, liegt jenseits des Them as dieser Darsrellung; vgl. die Hinweise bei Strunk a. a. 0. 159 mit Anm. 1-3.

[ 16]

Page 17: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

Exkurs: Das Palatalgesetz und seine Entdecker

l'\cnnen wir deshalb das seiner Her­kunft nach dt.ibiose aber wcrthe Kind cinfach, wie es schon hci!St, ,Jas Pala­talgesetz" und stipulicren wir urn des lichen Hausfriedt:ns Willen die auch fiir dicsen Fall verniinftige Gesetzbestim­mung des Code Napoleon: Ia recherche de Ia patemite est interdite.

Karl Verner 50

4.1. In dem Bestreben,- entgegen dem als Motto gcwahlten Ratschlag cines der gcnialsten Indogermanisten - die , Vater" des Palatalgesetzes zu bestimmen, da die in der neueren Literatur aufscheinenden U rteile 51 cincr Vcrvollstiindigung bcdi.ir­fcn, beginnen wir, an den vorangegangenen Paragraphen anschlie/Send (o. § 3.4), mit Johannes Schmidt. In der keineswcgs fri.ihcsten, aber gri.indlichsten und matc­rialreichsten unter den gedruckten Darstcllungen des ncugefundencn Gesetzes teilt er mit, daiS er ,seit dem mai 1877" den ,i.ibergang der gutturalen in palatalc" vor ,a = europaisch e" in seinen Vorlesungen lehre 52• Er mu{~ an dicser Stelle bercits vier Gclehrte angeben, die vor seinem Aufsatz das Gesetz offcntlich dJrgdcgt hatten: Hi.ibschmann und Osthoff, die den Gedanken von Karl Verner mitgcteilt erhalten hatten (dazu u. § 4.2); ferner Collitz und de Saussure, die von Schmidt- zu Recht - als unabhiingige Entdecker des Gcsetzcs angesehen wcrden (s. u. §§ 4.3.2,

50 Literarisches Centra/blatt iiir Deutschland Jg. 1886, 1710. 51 Hans Arens, Sprachwissenschait (Freiburg/Miinchcn 2 1969) .314 f. ncnnt das Gesetz

,cine Beobachtung, die zuerst F. de Saussure und H. Collitz veroffentlichten ", was in zwi­schen bekannt gewordene Entdecker des Gesetzes, dessen Bedeutung Arens bewugt ist, auRer acht laRt. Walter Porzigs Diktum (Die Gliederung des indogermanischen Spr..zchge­biets [Heidelberg 1954] 27), wonach ,H. Collitz 1879 mit Hilfe der arischen Palatale nachwies, daR der e-Laut ... auch arisch ... gewesen sci", ist gewiR unvollsti:indig und zeit­lich unrichtig, wird aber von Oswald Szemerenyi (Phonetica 17 [I %7] 68 Anm. I) wohl zu hart beurteilt, der Osthoff (u. § 4.3 Anm. 6.3) zu weitgehend folgt [s.u. Anm. 80].- E. F. K. Koerner, JIES 4 ( 1976) 34.3 Anm. 9 beschriinkt sich auf knappe Hinweise; seine Au Horde­rung , The entire study of the authorship(s) of the ,law· deserves a separate treatment ... " versucht der vorliegende Exkurs zu erfiillcn.

52 ]. Schmidt, KZ 25 (1881) 6.3; cine deutliche Vorankiindigung in KZ 24 ( 1879) 319 Anm. 1 (, ... ich in einer demniichst erschcinendcn abhandlung nachzuwl'isen versuchen werde, class der in den etfropaischen sprachen waltende unterschied zwischen a (o) und e (i) urindogcrmanisch ist ... "). Zu Schmidts Verteidigung seiner eigenstiindigen Entdeckung s. u. § 4.3.1.

[17]

Page 18: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

138 Manfred Mayrhofcr

4.3.3). Schon Schmidt a.a.O. kann ,nachtriiglich aus sicherer quelle" mitteilen, daG ,friiher als wir aile dr. Vilh. Thomsen in Kopenhagen auf den gedanken gckom­men" sei (u. § 4.2.1 mit Anm. 60).

4.2. Mit aller Deutlichkeit, auch mit der ihm eigenen Ungeduld hat Hermann Osthoff das Palatalgesetz als ,einen gedanken" bezeichnet, , welch en mir vor etwa 11/ 2 bis 2 jahren herr Karl Verner aussprach" und den zu publizieren ,wol im interesse unserer wissenschaft" sci 53. Mit nicht so deutlicher Erinnerung schreibt Heinrich Hiibschmann das fiir ihn 1879 bereits unbezweifelbare Gesetz ebenfalls Verner zu 54• Verner harte sich durch das ,angeborene wissenschaftliche Epikureer­tum ", dessen er sich sclbst bezichtigt 55 und das ihn fast an der Publikation des epochal en , Vernerschen Gesetzes" gehindert harte 50, nicht zu einer Puhlikation dieser zweiten ,Lex Verner" entschlieGen ki:innen, die er lediglich im Kreise von

Leipziger Kollegen 1876 miindlich auBerte, was in Osthoffs Mitteilung von 1878 und Hiibschmanns Hinweis von 1879 seinen Niederschlag fand. Umso hi:iher ist dem publikumsscheuen Manne anzurechnen, daG cr zwi:ilf Jahre sparer, als ein ,sehr unerquicklicher Streit" urn die Entdeckung entstanden war, zur Feder griff und in einer Darstellung ,Zur Frage der Entdeckung des Palatalgesetzes" wesent­lich zur Kliirung der Prioritiitsprobleme beitrug 57•

4.2.1. Nach Verners Mitteilung war er bercits 1875 bei weitcren Oberlegungen zu seinem Aufsatz tiber die Ablautsfrage 58 auf das Palatalgesetz gestoiSen. Ein Be­such im Sommer 1875 bei Vi/helm Thomsen in Kopenhagen bclehrtc ihn jedoch, daB dieser das Gesetz ebenfalls gefunden und ,die Entdeckung schon in seinen Vorlesungen vcrwerthct harte". Verner lieG, wie es in seiner Mitteilung von 1886 heiSt, daraufhin ,schon vor nunrnehr tiber 11 Jahren [seine J ctwaigen Prioritiitsan­sprtiche ... fahren", machte in scinem Ablaut-Artikel einen Hinweis, der auf cine baldige Veri:iffentlichung Thomsens bezogen werden so lite s<J, und schricb an Adal­bert Kuhn als Herausgeber von KZ einen Brief, worin er das Palatalgesetz als eigene, unabhiingig von ihm aber auch von Thomsen gefundene Li:isung bezeich­nete60.

53 H. Osthoff, Morphologische Untersuchungen auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen I (Leipzig 1878) 116 Anm.

54 KZ 24 ( 1879) 409 Anm. 1 (, ... cine vermuthung, di~:, glaube ich, zuerst V~:rner cinmal ausgesprochen hat"); die Anmerkung ist wegcn weitcrcr Beobachtungcn, wie allcs von Hiibschmann, lesenswert.- Vgl. dazu noch J. Schmidt, KZ 25 ( 1881) 63 Anrn. 1.

55 Vgl. Karl Brugrnann, IF7 (1897) Anzcigcr 269; s. auch Erik Rooth, Das Vernersche Gesetz in Forschzmg zmd Lehre (Lund 1974) 16.

56 Brugmann a. a. 0. 269 f. 57 Erstpublikation in Literarisches Centra/blatt ... (o. Anm. 50) 1707 if.; Wicderabdruck

in Karl Verner, Afhandlingcr og Breve (Kopenhagen-L~:ipzig 1903) 109 ii. und bci Rooth a. a. 0. 17ff.

58 K. Verner, Zur ablautsfrage. KZ 23 ( 1877) 131 ff. 59 Verner a. a. 0. 138. 60 Die Stelle ist abgedruckt bei K. Verner, Afhandlinger ... [o. Anm. 57] 305. Vgl. dazu

die Erklarung von Ernst Kuhn, Litcrarisches Centra/blatt fiir Deutschland ]g. 1886, 1840,

[18]

Page 19: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

Sanskrit zmd die Sprachen Alteuropas 139

Dun:h seine 1876 begonnene Tiitigkeit in Halle kam Verner in haufigen Kontakt

mit dem Lcipziger Indogermanistenkreis. Bei einem dieser Gesprache erwahnte cr

die neue Erkenntnis, die er gleichzeitig Thomsen zuschrieb. ,Ein Mal :lUsgespro­

chen war der Gedanke kein Geheimnis mehr"; es folgten jene Erwahnungen bei

Osthoff und Hi.ibschmann, von denen oben die Redc war(§ 4.2). Verner hatte zwar gehofft, daG Thomsen mit seiner Veroffentlichung diesen Mitteilungen zuvorkom­

men wLirdc. Es kam jedoch anders. Thomsen wurde durch andere Arbeiten von der

Ausarbeitung seiner Studie ,Der arische a-laut und die palatale" abgehalten und

legte sie, als ,schon von verschiedenen Seiten Arbeiten i.iber denselben Gegenstand

angeki.indigt waren ", ad acta; sie erschien erst 1920 im zweiten Band seiner ,Sam­

lede Afhandlinger" 61 •

Noch ein weiterer Skandinavier, Esaias Tegner, harte das Gesetz unabhangig

gcfunden und eine Darstellung vorbereitet, die er zuri.ickziehen muGte. ,Der Druck

cines fur den 14. Band der Lunds Universitets Arsskrift besrimmten Abhandlung

von Es. Tegner De ariska sprdkens pa!ata!er ward abgebrochen, wei! Collitz und

Saussure dem Verfasser zuvorgekommen waren. Tegner hatte das Gesetz 1877 gefunden und in Vorlesungen ausgesprochen. Einsicht in die zuri.ickgezogcne Ab­

handlung verdanke ich Pischel." 62

4.3 So unbestreitbar ist, Jag die drei nordischen Gelehrten c.las Palatalgesetz

gefunden haben, bleibt cs doch eigenartig, wenn Osthoff 63 den Vorschlag macht, es

ki.inftighin ,das Tegner-Thomsen- Verner'sche palatalgesetz" zu nennen; er

will es also nach den drei Forschcrn taufen, die nach\veislich zur Zeit der Kontro­

verse urn das Gesetz keine gedruckte Zeile dazu beigetragen haben, sondern ihre

Oberlcgungen vom Druck zuri.ickgczogcn (Tegner), deren Ausarbeitung hinausgc­

schoben (Thomsen) oder sie viJllig unterlasscn haben (Verner). Osthoffs- cin Jahr­

zchnt nach dem Auftauchen des Gesetzes geschriebene - Abhandlung ist offcnbar

von Gedachtnisli.icken und MiGverstiindnissen geleitet: so war es miJglich, dag cr

den drei Forschern die Urheberschaft am Palatalgesetz absprach, die sich iriih in

Veroffentlichungcn mit dcm neuen Gedanken zu Wort gemeldet hatten: Hermann Collitz, Johannes Schmidt und Ferdinand de Saussure.

4.3.1. Die unangenehmstcn Seiten von Osthoffs Schrift bctreffcn unstrcitig Jo­

hannes Schmidt. Dcssen Bekenntnis, er lehre das Gesetz seit dem 1\bi 1877 in

wonach dieser Brief allein an Adalbert Kuhn gelangt war und Ernst Kuhn ihn ersr im Friih­jahr 1879 zusammen mir dcr drirren Korrektur von KZ 25 dem Mitherausgeber dieser Zcirschrift, Johannes Schmidt, zur Einsichr iibermittelt habc. Schmidts Hinwc1s auf Thom­sen als Finder des Palatalgesetzes stammt aus dieser Kenntnis (o. § 4.1).

'" Vii h. Thomsen, Sam!ede Afhandlinger 11 (Kopenhagen-Kristiania 1920) 305 ff. (mit ciner wichtigen Vorbemerkung).

62 Fritz Bechtel, Die Hauptprobleme der indogermanischen Lautlehre seit Schleicher (Gottingcn 1892) 62 Anm. * ). Ahnlich Verner, a. Anm. 57 a. 0. 1710 = 114 = 20.

63 Hermann Osthoff, Die neueste Sprachforsclnmg und die Erkli:irung des indogermani­schen Ahlautes (Heidelberg 1886) 19f.- Die Schrift ist jetzt in unveriindcrtcr Form wicder zugiinglich bei Terence H. Wilbur, The Lautgesetz-Controversy, A Documentation (Amster­dam 1977).

(19]

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140 Manfred Mayrhofer

seinen Vorlesungcn (o. § 4.1), wird nicht nur prinzipiell einer gehassigen Beurtei­lu~g untcrzogcn ~>4, es wird ihm auch cntgegcngchalten, daB Osthoff im Januar 1877 Johannes Schmidt in Berlin besucht und ibm dabci ,unter nennung des na­mens Verner" mitgctcilt habe, was er von dicscm erfahren hatte, wobei cr ,den eindruck [empfing und behieltj", Schmidt damit ctwas vbllig Ncues gesagt zu ha­ben 65 • Der ,trapveitc des vorhaltes, den [erj Schmidt machc" sei er sich voll be­wuBt66.- Schmidt hat auf diese Vorwiirfe i.ibcrlegen und ohne Erregung gcantwor­tet67. Er erbringt ein Zeugnis fiir eincn weitercn Fall, in dem Osthoff von seincm Gediichtnis im Stich gclassen worden sci, und wcist Jessen MiGverstiindnis nach. Will man jenen groGen Indogcrmanistcn nicht ciner zweifachen Tiiuschung zeihen, muG man Johannes Schmidt untcr die Forschcr rcchncn, die das Palatalgesetz unab­hiingig voneinander gcfunden haben. Dal~ er nicht den Anspruch erhoben hat, als erstcr diese Erkcnntnis gchabt zu habcn, ist uns in Erinnerung (o. § 4.1); er selbst hat - wohl zu Recht- Thomsen diese Wi.irde verlichen 68•

4.3.2 Auch im Faile von Hermann Collitz ist Osthoff offenbar ein Opfer seiner Anim~sitat und eines MiBverstiindnisses geworden- der Annahme niimlich, Collitz habe, hinter seinen Lehrer Schmidt zuri.icktretend, ,frciwillig auf das recht der ersten entdcckerschaft" verzichtet" (Osthoff, a. a. 0. 19). Das hat Collitz keines­wegs getan 69, und cr hatte auch keinen Grund dazu: Schon 1878 hat Collitz das Palatalgesetz mit aller wi.inschenswerten Klarhcit offcntlich ausgesprochen 70 und es ein Jahr sparer ausfi.ihrlicher dargestellt 71 . Dcr Publikation von 1878 war 1876, als noch keine gedrucktc Fassung des Palatalgesctzes vorlag, Collitz' erstc Mitteilung des Gesetzes an Adalbert Bezzcnbergcr und August Fick vorausgegangen, wie diese sparer offentlich bcstatigten 72 • Der Gottinger Student hatte also im Sommcrseme-

64 Osthoff a. a. 0. 12ff.- Zu Osthoffs rauhcm Nature II (obgleich ,.nur das rcinc Strcben nach Wahrheit und die rcine Liebe zur Wahrhcit" seine cigcntliche Tricbfedcr sei) s. G. I. As­coli, Sprachwissenschaft/ichc Briefc (Leipzig 1887) 104 f.

65 Osthoffa.a.0.15. 66 .Osthoff a. a. 0. 17. 67 ]. Schmidt, Deutsche Literaturzeitrmg 7 ( 1886) 1646, 1647. 68 S. auch Schmidt a.a.O. 1647. 69 Vgl. BB 11 ( 1886) 203 Anm. 1; Osthoff, dcr diesc gleichzcitig als selbstandige Schrift

erschienene Studic in scinem Biichlcin hckiimpft, hat Collitz' ,.ziemlich glcichzcitig" [mit ]. Schmidt] als ein Zuriicktretcn hinter Schmidt milsvcrstandcn. S. jedoch H. Collitz, HB 12 (1887) 243ff., der sich gcgcn Osthoff zur Wehr sctzt (,Wahrung meines m:htes"). Beidc Aufsatze Collitz' sind bei \X'ilhur a. a. 0. rcproduziert. - Eine Ankundigung von , Wahrung meines rechtes" hat Collitz auch in das Literarische Centra/blatt fiir Deutschland Jg. 1886, 1808 (a Is , Vorlaufige Erkliirung'') cingcriickt.

70 BB 2 (1878) 305: ,Jurch die ann:1hmc cines grundsprachlichen e lost sich ... das rarscl ... auch ... der arischcn palatalhildung".

71 BB 3 ( 1879) 177 ff.; dort bcrcits 207 Anm. 1 gegen Osthoff. S. auch Anzeiger fiir deutsches Alterthum rmd deutsche Litteratur V, 1 (Januar 1879) 3.36.

72 Vgl. BB 12 (1887) 248. Ein drittcr Zcugc fiir Collitz' Entdeckung von 1876, Thcodor Benfey, war zur Zeit dieser ,.Erkliirung" nicht mchr am Leben.

·. [20]

Page 21: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

S,ms/..:nt zmd die Sprachen :\lteuropas 141

~rcr 1876 das Gcscrz gefundcn; somit cinige Mon~He, bevor Jer Leipziger Kreis

durch Verner von Jessen und Thomsens Entdeckung Kenntnis erhielt.

4.3.3. lrn Faile ferdinand de Saussurcs licgt Osthoffs lrrtum darin, daG er- nach

zehn Jahren, in denen seine Erinnerung getri.ibt worden war, und damals !angst ein

heftigcr Gegner von Saussures Gedanken 73 - den frankophonen Jungstudenten in

den Leipziger Gelehrtenzirkel integriert, der regelmaGig mit Verner zusammentraf.

.\Ian ist versucht, seinen Irrtum an Hand cines Brides Verners mit den Merhoden

dcr Krirninalistik aufzudecken 7 -l. Doch sollte man sich Iieber an Z\vei wesentlichere

Beweissti.icke halten: an de Saussures eigene Aussage und, wichtiger noch, an die

arypische Form jener J ugendschrift, in der Saussure Beispiele fur das Palaralgesetz

dargeboten hat.

4.3.3.1. In seinem schoncn Nachruf auf Ferdinand de Saussure teilt \X'ilhelm

Srrcitbcrg 75 mit, Saussure hiitre ihm auf seine Anfrage ,im Jahre 1903 ausdrucklich

crkbrt, daG cr von Verners Entdeckung bei der Abfassung der Untersuchung keine

Kcnntnis gehabt habe". Gemeint isr dcr dritte Aufsatz des Neunzehnjiihrigen, der,

im ,Novernber-Dezcmber 1876" niedergeschriebcn 76 , 1878 erschien 77 . Streitberg

zcigt auf, wie \veit dicser Aufsatz noch von dem ,Memoire" entfernt sci, daE Saus­

sure in ihm dem Stamrnauslaut der e/o-Bildungen noch zur A-Klasse (- klassisch a, r)) rcchnc und darum zwar richtige Beispiele fur das Palatalgesetz bringe, sich aber

zurn T cil ihr volles Verstiindnis vcrbaue 78 • So ,ergibt sich bei genauerem Zusehn

73 Vgl. Osthoffs Kritik an Saussure bereits in /'v1orphologische Untersuclnmgen c:zuf Jem Celnete der indogermanischen Spraci!Ciz 2 (1879) l25f., 4 (1881) 2l5f. Anm. l, 279, 331 .. radicaler zrrtum''), 346 ff.

7 -' So meznt Verner offenbar die Zus.1mmenkunft in dcr Restauration ,K.1fieebaum'' irn Okrober l876, in der cr Thomsens und scm l'alatalgcscrz den Leipzigern mittcilte, wie er 'ich cntsznnt (Literarisches Centrclfblatt Jg. 1886, 1709), wenn er aus frischer Erinnerung­elm 27. Dczember l ~76- an scinen Vater schreibt: ,Jeg har atter vxrer i Leipzig og kneJper sammen med endnu (/ere professorer i en bekendt historisk knejpe ,Kaffeebaum' ... " (K. Ver­ner, Afhandlinger og Breve [Kopenhagen-Leipzig 1903 J Llll; Hervorhebungen von mir. Deutsche Obersetzung bei Roath a. a. 0. 15). Der im Oktober 1876 in Leipzig angekomrncne blutjunge Genfer (vgl. Cahiers Ferdinand de Saussure 17 [ 1960] 20) diirfte schwerlich unter dicscn ,Professoren" gewesen sein.

75 Indogermanisches jahrhuch ll ( 19l4[1915J) 205 = T.A. Sebeok (ed.), Portraits of Linguists II (Bloomington-London 1966) 103.

76 Strcitberg a. a. 0. 204 Anm. 2 = I 02 Anm. 2. 77 F. de Saussure, Memoires de Ia Societe de Linguistique de Paris 3 ( 1878) 359 ff. =

Recttezl des l'ublications Scientifiques de Ferdinand de Saussure (Genf 1922, ~achdruck 1970) 3 79 ff.

"' Vgl. Saussurc a.a.O. 369f. = 389f.; dort wird zwar richtig cakara aus k 2ak 2 A 2 rA [= KeKoraJ erklart, doch muiS er arciimi mit -c- vor -ar ( = -o·) neben arka- mit -k- vor -A­Iautgesctzlich deuten. Die Beispicle catvtiras = rr£aaugEc;, -ca = -que, /..:a-s - quo-d sind richtig; doch soli quod den Vokal A h~1hcn. In seinem iV/hnoire sur le systcme primitif des vr,yelles dans les langues indo-ettmpeemzes (Leipzig l879 [ = l87~ ], Neudruck Hildcshcim l %~) 2 = Rewezl[o. r\nm. 77] 3 distanzicrt sich Saussure von vie/en Anschauungen dieses .\uknzcs. - An diescr Stelle ist anzuzeigcn, daiS das Palatalisicrungsgcsetz kcineswegs seit ciiH.:rn Jahrhundert ahgcschlosscn ist, sondcrn im Rahmen dcr Abstraktheitsdebatte in dcr

(21]

Page 22: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

142 Manfred Mayrhofer

a us dcm Texte selbst, daiS von einem Einflul5 Verners keine Redc sein kann" 7~. Obwohl die Palatalfi:ille inmitten einer unausgereiften Auffassung vom Vokalismus stehen, sind sic doch unbestreitbar richtig gefunden; durch die Annahmc, daiS ari­sches k vor A (klass. a, o) erhaltcn bleibc, vor a (klass. e/o) aber zu c palatalisiert sci, ,,stellt sich der Neunzehnjahrige zu den Entdeckern des Palatalgesetzes, zu Tegner, Thomsen, Verner, Collitz, Joh. Schmidt. Die Annahme Osthoffs ... , de Saussurcs i Angabcn gingen ... auf Verner zuri.ick, entspricht nicht den Tats:H.:hen" 80•

4.4. Das Palatalgesetz, das um die Mitre der 1870er Jahre offcnbar zur Erkennt­nis hcrangereift war 111 , wurde somit von sechs Forschern unabhi:ingig voncinandcr gefunden. Holger Pedersen ncnnt sie in einem Ri.ickblick, rund cin halbcs Jahrhun­dert nach dicsen Jahrcn der Entdeckungcn 82•

Phonologic neucrdings aufgenommen wurdc. So entwickelte Paul Kiparsky [in einer Studie von 1968/1973, jetzt wicderabgedruckt in Explanations in Phonology (Dordrccht I 982j 133 ff.] Gedanken, die cine entfernte Ahnlichkcit mit den Konzepten des friihen Saussure haben; s. dazu die Kritik von Wolfgang Bliimel, Die aiolis.chen Dialekte (Gottingen 1982; 21.

79 Streitberg a. a. 0. 205 = 103. 80 Streitberg a. a. 0. 205 = 102 f. - Es ist mir nicht ganz versti:indlich, weshalb Oswald

Szemerenyi, dcr in Lingua 13 (I964) 4 Anm. 6 noch die oben mitgeteiltcn Fakten iibn Collitz und de Saussurc anerkennt, sic spi:itcr (Phonetica I 7 [I 967] 68 Anm. I: zugunsten von Osthoffs Darstellung (o. Anm. 63) verwirft.

81 S. Vilhelm Thomsen, Sprogvidenskahernes Historic (Kopcnhagen I902) 83: ,.en opda­gelse, der I 875-76 omtrcnt samtidig fremkom fra flcre sider".

82 Vgl. die englische Fassung seines danischen Buches von 1924: Linguistic Science in the Nineteenth Century (Cambridge/Mass. 1931) 280. - Eine zcitliche Abfolge des Aufblitzens der ncuen, folgenschwcren Erkcnntnis in den einzclncn Kopfen la!st sich zu zcigcn vcrsu­chen: I. Thomsen (o. §4.2.1; vor Verner); 2. Verner (1875; § 4.2[.1]); 3. Collitz (Sommer­semester 1876; § 4.3.2); 4. de Saussurc (Ende 1876 [§ 4.3.3.1]; mit Einschrankung: nicht, wei! er sic- direkt, oder iiber die Leipziger- von Verner habcn konnte, sondern wei! seine Beispiele iiberwiegend richtig sind, seine Auffassung, altind. c sci vor ,a" [klass. e/o], also fallweise auch vor Hinterzungcnvokal, entstanden, nicht ganz das ,Palatalgesetz" ist; dies beweist gleichzeitig seine Unabhi:ingigkeit von Verner); 5. und 6. [ohne daG ich die Abfolge angeben kann]: Schmidt und Tegner (beide 1877; §§ 4.1, 4.2.1, 4.3.1 ).

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Page 23: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

5. Durch das Palatalgesetz war schliissig bewiesen worden, Jagim Vokalismus das Altindoarische (lndo-Iranische) keineswcgs d:1s Alteste bewahrt, sondern sich vielmehr vom Zustand der Grundspr:1che durch einschneidcnde Veranderungspro­zesse entfcrnt harte. Die Darstellungen der klassischen Indogermanistik, die urn

1885 moglich wurden 83 , fi.ihren im Bereich der sonantisierbaren Phoneme Vokal­systeme von der Art der lateinisch-urgriechischen an, dazu die in den Siebzigerjah­ren des 19. Jahrhunderts erkannten silbischen Liquiden und Nasale sowie einen Tcil der Erkenntnisse zu Ablaut, Vokalschwachung und Silbenstruktur, den man dem Mhnoire Ferdinand de Saussures ( 1878) entnommen harte, ohne diesem Buche in allem zu folgen 84• lm Bereich der Konsonanten- wir wah len, da die Dauerlaute fi.ir unsere Fragestellung nicht von Belang sind 85, das Okklusivsystem - blieb das Bild der Grundsprache in den Artikulationsgraden dem des Sanskrit gleich: fi.ir die einzelnen Artikulationsreihen gab es ein Viererbi.indel von Phonemen, z. B. in der dental-alvcolaren Reihe *It!, '' /th/, * /d/, ,,. /dh /, das sich in den vier einphonemigen Wcrten unveriindcrt fortsetzte, \velche die Obcrliefcrung des Altindoarischen durch die Grapheme (t ), (th ), (d), (dh) wiedergibt 86• Das ,klassische" indogerma­nische Lautsystem lids sich durch die Forme! umrei~en: im Konsonantismus folgte es den ari~chen Sprachen, im Vokalismus den iiltesten Sprachen Europas 87•

MJ So crschicn lllS6 die erste Auilage von Band I des Grzmdrisses der \-'ergleichenden Grammatik der Indogermanischen Sprachen von Karl Brugmann; ein Jahr davor war ihr die flir das neue Bild vom Vokalismus wesentliche Untersuchung vorausgegangen: Heinrich Hiibschmann, Das indogermanische Vocals-ystem, Stra!Sburg 1885.

84 Zur Obernahme cines beachtlichen Teils von Saussures Erkenntnissen in die klassische Lchre s. Verf., Nach hzmdert jahren, Ferdinand de Saussures Friihwerk und seine Re::eption durch die heutige lndogermanistik (SbAkHeidelberg, phil.-hist. Kl., 198118) 26 ff.

85 Die Abweichungen im Einzelnen sind bei ,. Is!, den konsonantischen Liquiden und Nasalen sowie den Halbvokalcn fiir das Altindischc unwesentlich. Die Frage nach den Yertretungcn indogermanischer Laryngale in den Einzelsprachen stcllte sich der Mehrheit der Forscher nicht vor !927 (Verf. a.a.O. 29ff., 31, mit Lit.). Ober altind. /Th/ <*IT/+ */h2/

\. gleich obcn im Text. 86 Das Viererhiindel wird von der klassischcn lndogcrmanistik auch Jort vorausgesetzt,

wo. das lnd(oiran)ischc sich durch seine beiden l'alatalisierungsschiibe von der Grundsprache <:ntfernt: in dcr Entwicklung indogermanischcr Palatalc zu Sibilantcn (iJg. * /k'/ .... vcJ. Is/, ~west. lsi) und in den Auswirkungen des Palatalgcsetzes auf indogcrmanische (Labio-)Ve-

larc: * /k 1!!l I .... lei _ [ + Vokal ] + vorne + hoch, mittel .

H? In runJ drci jahrzehntcn war also ins Gcgcnteil vcrkehrt worden, was Franz Bopp noch I SS4 iiber die Grundsprache gelehrt harte ( Vergleichendes Accentuationssystem nebst <'llrer ;;edrdn;;ten Darstellzmg der grammatischen Ubereinstimmun;;en des Sanskrit zmd ( ;riechischen iBerlin 1854] 1 ): ,Das Sanskrit hat sich hinsichtlich des Vocalism us, das

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,..........~~~~------~~~~-~~~~~~-· ---~~

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144 Manfred Mayrhofer

5.1. DaG auch im ,sanskrithaften" indogermanischen VerschluGiautsystcm einc Liicke entdeckt werden wi.irde, deren Konsequenz die Diskussionen der Indogerma­nistik unserer Tage erfiilit, wurde zur Zeit der Feststellung dieser Liicke von dcr

Fachwclt kaum zur Kenntnis genommen; Umfang und Ort der Publikation warcn nicht dazu angetan. In ciner dreizehn Zeilen (!) umfassenden Sitzungsmitteilung, die er in keiner spateren Publikation dargelegt hat, wies Ferdinand de Saussurc

1891 auf folgende Beobachtung hin 88 : Folgten in einer indogermanischen Phoncm­sequenz It!, I'd!- womit er die 1878 erstellten ,coefficients sonantiques" nun selbst benannte 89 - und ein Vokal aufeinander, so resultierte aus t + J ( ___ V) eine Tenuis aspirata; *pita- (: gr. nAa-ra-J.Hi>V) + Suffix -u- ergab ved. p_rth-u- ,weit, breit'; der thematische Prasenstyp ved. pi-bd-a-, auf die schwundstufige Wurzcl­form ''"sta- angewendet, resultierte in *sti-sta-e-, worin wiederum *t-a- V--> -th- V­erschicn: vgl. ved. ti-$(h-a-ti ,steht' 90. Wir wissen nicht, wie sich Saussure - der an Phonetischem wenig interessiert war- den ProzeG vorgestellt hat 91 . De facto war damit die von Spateren ausgebaute Lehre geboren, die vedischen /Th/-Falle mit sicherem Etymon (stha-, path-, P.rthu-, math-, rdtha- usw.) enthielten eine Tenuis aspirata, die zwar im synchronen System des Vedischcn einphonemig ist 92, in dcr indogermanischen Vorstufe aber aus zwei Phonemen - die Notation der meistcn ,Heutigen" ist IT I + /h/- entstanden war.

5.1. 1 Dem ,sanskrithaften" Viercrbiindel stand nun in neuercn Dar5tellungen des Indogermanischen cin Biindel von drei Phonemen, /T I : /D/ : /Dh /, gegen­iiber93. Auf den erstcn Blick schcint damit dcr ,sanskrithafte" Zug des indogerma-

Griechische hinsichtlich des Consonantismus auf einem iiltercn Standpunkt h~.:hauptct" (­,griech. ,.Entartungen" £, o, T], w, bzw. im Altind. ,zwci neue Klassen von Mutis, zwei neue Zischlautc" und dcr Visarga).

88 BSL 7 (1892) cxviij (,Seance du 6 Juin 1891 "); Wiederabdruck in Recueil des publica· tions scientifiques de Ferdinand de Saussure (Gcnf 1922, Reimpression 1970) 603.

89 Eine Au!Serung Saussurcs uher die Griinde des Oberganges zu dicscr Bencnnung ist mir nicht bekannt geworden; es ist auch nicht sicher zu ermittcln, wic es zu dcr Bcnennung dcr mchrfachen ,Cocfiicicnts" (zwci bci Saussure, drei bei Moller und Fick) durch cin cinzigcs ,Schwa" in der klassischen lndogermanistik gckommcn ist: vgl. Verf., 1'\ach hun­dert jahren (o. Anm. 84) 28 (f.) und Anm. 79, 81. Dort Anm. 79 auch ubcr And..:utungen ckr oben gegebenen Erklarung von altind. /th/ bercits im Memoire von 1878.

90 Saussures Gedanken sind nicht wortlich zitiert, sondern in frei..:r Form wiedcrgcgc-ben.

91 In Nach hundert jalm!ll 28 Anm. 79 bckenne ich, daiS ich der Sicherheir von Kollegcn nicht folgcn konne, die cntweder zu wissen vorgcbcn, Saussurc habc an die Elision ein..:s Vokals (a) gedacht oder die davon uberzeugt sind, cr habe in vorvokalischem -,J- cmcn Konsonanten gesehen.

92 Dazu uberzeugcnd Henry M. Hoenigswald in \XI. Winter (cd.), Evidence for Laryngc,ds (denHaagu.a. 1965)91.

93 Am deutlichstcn wird dies in den Arbeitcn von Jcrzy Kurylowicz, im Verlauf von Jahrzehnten, immer wiedcr ausgedruckt: vgl. Etudes indoeuropeennes I (Krakau 1935) 54; L 'apophonie en lndo-Europeen (Brcslau 1956) 375 ff.; II. Fachtagung (iir indogermanische und allgemeine Sprachwissenschaft (lnnsbruck 1962) 108; Proceedings of the Ninth lnterna-

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Sunskrit zmd die Sprachen Alteuropas 145

nischen Konsonantismus nur unwesentlich geschmalen 94 • In Wahrheit war mit Jem Ausfall der indogermanischcn aspirierten Tenues die Saat zu einer der heftig­sten neueren Kontroversen im Bereich der indogcrmanischen Phonologic ausge­streut worden. Sie kann in dem Schlu!Steil dieser Akademie-Vorlage nur angedeutet und abgewogen werden - hier ist gewiB nicht der On fi.ir das Entscheidungsurteil cines Handbuch-Autors. Aber soviet sei angedeutet: Wenn die von bedeutendcn Linguisten gezogenen Konsequenzen a us dcr von Saussures Notiz I 1891) ausgchen­dcn Entfcrnung grundsprachlicher aspirierter Tenues zu akzeptieren sind, dann wird das Phonemsystem des Sanskrit- in den ersten Jahrzehnten der Indogerma­nistik das Vorbild fiir die ,Grundsprache" - dem rekonstruierten Phonemsystem noch weiter entri.ickt werJen als das mancher ji.ingeren und im Typus rezenteren

'>prache. 6. Gegen die Annahme von Drcierbi.indeln des Typs ,stimmlos" (T) : ,.stimm­

:nft" (D) : ,stimmhaft-behaucht" (Dh) erhoben sich Einwandc der universcllen Typologie, die von einem Forscher hochsten Ranges, dem ji.ingst verstorbcnen Roman Jakobson, formuliert wurdcn. Jakobson vcrwies darauf, daiS nach seiner Kcnntnis keine Sprachc vorkomme, die zu einem Paar IT/ - IDI cine stimmhafte :\spirata fi.ige (!Dh/), ohne auch deren stimmloses Gegenstiick zu haben ~ 5 . Obwohl

tiona/ Congress of Linguists (den Haag u.a. !964) 13; Indogermanische Gramnutik II : . .!..kzent, Ablaut (Heidelberg 1968) 339ff.

9~ Es ist an der Zeit, festzustellen, da~ die Charakterisierung einer Sprache naturlich nicht nur in ihrem Phonembestand beschlossen liegt, wie es in dieser Darstellung den Eindruck r:lachen mu~ (dec zudem riiumlichc Grenzen gesetzt Waren); auch nicht im supra~egmentalt:n lkreich, wo an dem hohen Archaismus des vedischen Akzents nach den Aussagen aller fur ,!en ererbten Akzent relevanten Sprachen kein Zweifel bcstehen kann. -Die Rekonstruktion Jes L'rspriinglichcn wird naturgema~ schwieriger, je hoher wir in der sprachlichen Hierar­chic emporsteigen. Das Nomen des Altindoiranischen wirkt, besondcrs in seinen Paradigmcn mit statischen und kinetischen Akzentstellen, hochst altertiimlich und zeigt hier Obereinstim­mungen mit Griechisch und Anatolisch, die angesichts Jer besonders giinstigen Lage der Rekonstruktion des Indogermanischen (s. dazu B. Schlerath, Die Indogermanen [lnnsbruck 1973] 6 § 1.2.1 Nr.3) gewichtig sind; :1Uch im Bereich des Verbums hat sich der EinJruck dcr Urtiimlichkeit durch jiingere Entdeckungen wic die des akrostatischcn Wurzelprasens noch verstarkt. Auch scheint durch cine vertiefte indogcrmanistische Durchforschung des .\natolischen der beliebte Gedanke cines archaischercn, im Anatolischen erhaltenen Verb­Typs, dem gegeniiber das gricchisch-arische Modell Neucrungen zeige, mehr und mehr zu schwinden; die Durcharbeitung cines Buches wie Norbert Oettingcrs Stammbildzmg des hethitischen Verbums (Niirnberg 1979) iUhrt uns auf Bildungsweisen hin, die dem indoirani­schen Verb den Rang der Altertiimlichkeit einraumen.- Im noch komplizierreren Bereich der :\bfolge von Lexemen in Satzen oder Syntagmen sind die richtigen Hinweise von Karl Horst Schmidt, Kratylos 25 ( 1980[81 J) 198 zu beachten. Auch auf diesem Gebict zeigt sich ,Sans­krit" (- Indoiranisch)- andcrs als bei dcr Umgestaltung des l'honemsystems, das den ersten Generationen unseres Faches so viele Schwierigkciten bercitet harte - als cine indogcrma­nische Sprache altertiimlichen Typs.

~ 5 Vgl. R. Jakobson, Typological Studies and Their Contribution to Historical Compara­tive Linguistics (Proceedings of the 8th bztern,ztiunal Congress of Ling11ists [Oslo I 9Sll J

1-fi. =Selected Writings I [den Haag 1962)523ff.); s. dazu das Rcfcrat von O.Szcrnerc-

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146 Manfred Mayrhnfer

auf hohcm linguistischcm Niveau diescm Argument attestiert wurde, es sci ,not ... quite as strong as it appears" 96, hat das Unbchagen gcgeni.iber einem Sy5tem ffl - /DI - /Dh! bei mchrcren Gelehrtcn dcr neueren Zeit verschiedene abwci­chcnde Okklusivsysteme entstehen lassen, die jeweils den miteinander gleichlauten­dcn Phoncmen der altcstcn indogcrmanischen Sprachen ganz abwcichende Aus­gangswerte entgcgcnstclltcn. Ein weiteres Argument gegcn das bishcrige Verschlu~­lautsystem wurdc alsbald den Einwanden Jakobsons hinzugefi.igt: in der traditio­ncllen Rekonstruktion kommt ,,. /b/ vor, das zwar im rckonstruierten Corpus nicht viillig fchlt 97, abcr zweifellos nur in schr wcnigcn sicheren Gleichungen nachweis­bar ist 9 H. Hier lehrt wicderum die ,universally valid typology", da~ ein /b/ ,emer-

nyi, Phonetica 17 (1967) 88; P. Kiparsky, in S.R. Hamad u.a. (ed.), Origins and b•olution of Language and Speech (New York 1976) 99; Karl Horst Schmidt, Der Sprachvergleich (lnnsbruck 1977) 16, nach dem die Funktion der diachronen Typologie , ... in der Kontrolle der Wahrscheinlichkeit von Rekonstrukten, die den logischen, statistischen und induktiven Ergebnissen der Typologie nicht widersprechen diirfen", liege; derselbe, in H. Liidke (ed.), Kommunikationstheoretische Grundlagen des Sprachwandels (Berlin-New York 1980) 27. lm Rahmen dieser wissenschafrsgeschichtlichcn Abhandlung sollte an den Ausspruch Jakob­sons (a. a. 0. 23 = 528) iiber [Friedrich] ,Schlegel, the anticipator of comparative linguistics and rypology" erinnert werden, dessen beriihmtes Wort vom Historiker als riickwiirts ge­kehrtem Prophetcn sich hier in der ,predictive power" bewiihre, welche ,reconstruction gains from rypological studies".- Natiirlich ist cine gcnerellc typologische Aussage jederzcit urnstiirzbar, wenn zu der gro~en Zahl der untersuchtcn Sprachcn cine wcitere hinzukommt. So lesen wir in einer Darstellung von Robert A. Blust iiber den Bano-Diah:kt der austronesi­schcn Sprache Kclabit, dal~ er ,three series of srop phonemes" habe: /p/ /t/ /k/, /b/ /d/ /g/, /bh/ /dh/ /gh/ (papers in linguistics, published by LINGUISTIC RESEARCH, Inc. 7: 3-4 [fall-winter 1974] 315); Blust versichert, ,.that Bario Kelabit bh, dh, g" represent the first reported case of ,true voiced aspirates', and that ... they constitute an exception to a beha­vioral implicational universal of phonology proposed by Jakobson ... " (a. a. 0. 322). Durch die Existenz einer solchen Sprache (oder weniger weirercr) andert sich jedoch nichts an der Selrenheit des Typus IT!, IDI, ID"I des lnC:ogermanischen (nach AusschluG der traditionellen Tenues aspiratae) und damit an der Wichtigkeit der Oberlegungen, die hier referiert wer-den. ·

96 W. S. Allen, Linguistic Studies Offered to joseph Greenberg II (Saratoga/Calif. 1977) 238.

97 Vgl. etwa ]. B. Hooper, C]L 25 ( 1980) 24, nach welch em das lndogermanische ,seems to lack a * b, although *p and ,,_ bh are present".

98 Ich glaube nach wie vor an die Richtigkcit der von viclen Sprachcn furtgesetzten \'Cur­zel *bel- ,Kraft, kriiftig' in vcd. bd/a- n. ,Kraft', gr. 13Ei.Tiwv, lat. de-bi/is, altbulgar. bo/ii1, (Literatur- auch iiber Ersatzdeutungcn, die nicht von * b- ausgehcn- in mcinem Etym. \'i"b. des Altind. II [ 1963] 416ff.; Manu Leumann, Lateinische Laut- zmd Formenlehre ( = Latcin. Grammatik 1], Neuausgabe Miinchen 1977, 153). Andere traditionelle '"-b-Ansatzc bctreffen meist nur cine kleinere Zahl von Vergleichssprachen, wic lat. baculum < * bak-tlom - gr. WtxTQov (Leumann a.a.O. 153); lat. trabs, osk. triibzim,dornum'- nhd. Dar(; lat.liibriws­nhd. schliipfen; gr. ).EI()w ,gief~e Trankopfer aus' - lat. /ibiire; lit. dubiis ,tief' - got. diups ,tief'; lit. slabnas ,schwach' - mnd. slap ,schlaff'. K. F. Johansson, KZ 36 ( 1900) 342 ff. bietcr zwar cine reichh::dtige Listc von * -b-Etyma, doch isr diese drastisch einzuschriinken. - An diescr Stelle ist freilich mit Michael Back, KZ 93 ( 1979) 183 und Anm. 11 darauf hinzuwci-

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Sanskrit zmd die Sprachen Alteurop,zs 147

ges as a functionally strong, unmarked member of the voiced series" 99, wonach cine hiiufige Repriisentanz von idg. ,,_ /b/ zu erwarren ware. Weitere Einwande gegen das traditionelle System werden uns in der folgenden Darstellung begcg­ncn.

6.1. Eine betriichtliche Zahl von Forschcrn hat sich in den letzten Jahren, vor­nehmlich aus den oben erwiihnten Einwanden, fi.ir eine Anderung der bisherigen Rekonstruktion dcr Verschlumautreihe cingesetzt. Ihre Namen und aile ihre Arbei­ten zu ncnnen, ist angestrebt, wird jedoch schwerlich gelingen; leichte Abweichun­gen der Systeme untereinander anzufi.ihren wird nur in Ausnahmefallcn moglich sein. Unsere Darstellung geht vor allem von den mehrfach geaui;erren Thesen des sowjetischen Linguisten T.[V.] Gamkrelidze (zum Teil in Verbindung mit V.[V.] Ivanov) wo aus und nennt in zweiter Linic den gleichzeitig mit der fri.ihesten Arbeit von Gamkrelidze-lvanov sich iiu~ernden, von ihnen also unabhangigen P. J. Hop­per 101 • Es wird versucht, die Autorcn iihnlicher Theorien, seien sic von den genann­ten Gelehrten abhangig oder unabhiingig, und ihre Arbeiten zu nennen 102•

sen, daiS z. B. Lifu (Loyalty Islands) /b/ nur in fremdwortern kennt, daf~ also diescs Phonem Jener Sprache primiir fehlte (wiihrend /p/ existiert) und nach den !\.lerhoden des ,filling of gaps" eingefiihrt wurde; s. M.H. Lenormand. \Y/ord 8 (1952) 256.

99 T.V. Gamkrelidze, Stztdies ... Greenberg [o. Anm. 96] II 403. Gamkrelidze bezieht sich auf einen Lehrsatz des Jubilars dieser Festschrift, des Pioniers der Univers<!lienforschung (J.H. Greenberg, Language Universals with special reference to feat11re hierarchies [d.:n Haag-Paris 2 1976] 14: ,In general the unmarked category has higher frequency than the marked").

100 Vgl. die erste Darstellung von Gamkrciidz.:-lvanov, ['honctic<J 27 ( 1973) 150 ff.; von heiden Forschern stammen auch die D.trlcgungen in Vfa 1 ':180/4, 21 fi. und in /::vAN 40 ( 1981) 119ff. Vgl. von Gamkrelidze all<:in: Studies Greenberg [s.o.] II 399ff.; ['rocccdings of the 12th International Congress of Linguists (Innsbruck 1978) 480ff.; Studies in Di<J­chronic, Synchronic, and Typological Linguistics (Festschrift 0. Szemerenyi, Amsterdam 1979) I 283 ff. Besonders ausfi.ihrlich: Bono Homini Domon (Gedenks.:hrift J. A. Kerns, Amsterdam 1981) 571 ff.

101 P.J.Hopper, glossa 7 (1973) 141ff.; s. auch Orhis 26 (1977) 57f.; Bono Homini Donum (o. Anm. 100] 133ff.

102 A.-G. Haudricourt, Melanges linguistiques offerts <l Emile Benveniste (Louvain 1975) 267ff. (5. 267: , ... j'arrivai a considercr l'armenien classique ... com me representant de stade proto-indo-curopeen"; Haudricourt scheint Gamkrelidze-lvanov 1973 und Hopper 1973 noch nicht zu kennen); F. Kortlandt, Studia Caucasica 4 ( 197H) 1 ff., IF 83 ( 1978(79]) 107 ff. [auf weiterc Arbeiten von Kortlandt wird im Verlauf dcr Darlegung noch eingegan­gcn]; T. D. Griffen, Porum Linguisticum 4 ( 1979-80) 26 ff. [fiir cin idg. Konsonantcn-Sy­stcm, das dem des Gcrmanischrn iihneltc]; H. Birnbaum, Linguistic Reconstruction (JIES­.\1onograph 2, 1977) 20ff., mit Lit.;].]. Ohala, Papers from the l'arasession on Language and Behavior, Chicago Linguistic Society May 1-2, 191! 1, 195; ]. Colarusso, Bono Ilomini Dmmm [o. Anm. 100] 478f. - Die weitcren Namen habcn gcmeinsam, Jaf; die Systcrne dicscr Forscher (zusammen mit denen von Gamkrelidze-lvanov und Hopper) an ciner Ieider wenig zugiinglichen Stelle vergleichend vorgestellt werden: bei G. Klyckov, Vestnik obScest­vennych nauk [Ercvanj 1980/1! (452], 1!7ff., s. die Tabelle S. 96. Hier finden sich folgende :-.:amen genannt: J. Emonds, in M. K. Brame (ed.), Contributions to gener<Jtive phonology

(27] ·•

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148 Manfred Mayrhofer

6.1.1. Das Refcrat dieser - ich wiederhole: nicht einhcitlichen - Tend~:nzen zu einer Neu-Rekonstruktion des indogermanischen VerschluJSlautsystems orientiert sich vornehmlich an Gamkrelidzes Arbeiten.

6.1.2. Da /b/ funktionsstark ist und somit cine haufigc Reprasentation crwarten lieGe, da zudem nach Greenberg ,, ... a decisively greater over-all frequency for non­glottalized over glottalizcd consonants" universell zu beohachten ist 10-\ entspricht es den Forderungen der Typologie, fur die Medien-Reihe der traditionellen lndo­germanistik- /b/, /d/, /g/ 104 - glottalisierte Tenues anzusetzen: /p'/,- Jessen Seltenheit (o. § 6 und Anm. 97, 98) erklart ware- It'/ und /k'/; fur die Reihe der Mediae aspiratae werden Mediae mit moglicher allophoner Behauchung (bib" usw.), fUr die Tenues wird cine analoge Serie (pip" usw.) angesetzt. Dcr behau­chende Laryngal (/h2/) hat zur Folge, daG das behauchte Allphon phonematisch wird (t<M + h2 = /th/). Dem typologischen Einwand, eine Sprache konne nicht /Dh/ ohne gleichzeitiges /Th/ haben, ist damit aus dcm Weg gegangen 105 •

6.1.2.1. Die neue Auffassung kann einige weitere bisher bestehende Schwicrigkei­ten beseitigen. So war die Unmoglichkeit der indogerinanischen Wurzelstruktur t ged- unverstandlich; bei dcr Annahme von k' -t' finder sie Parallelen, z.B. in der Unvereinharkeit der Abfolge glottalisierter Phoneme in kaukasischen Sprachen.

6.1.2.2. In einer neuindoarischcn Sprache von bekannter Altcrturnlichkeit, Sindhi, werden altindoarische i\1edien durch glottalisicrte VcrschluGiaute forrge­setzt ('g, 'j, 'q, 'b), wie R.L. Turner schon 1924 festgestellt hat. Sic stehen in Oppo­sition zu einfachen b, q, g usw., die als Dissimilationsfolgen aus urspriinglich<:n Mediae aspiratae entstanden waren (vgl. bathi ,quiver' - altind. bhistrcl, ~ii!hiJ

(London 1972) 108 ff. (non vidi; nach Klyckov a. a. 0. ersetzt er traditionelb ,,. tl"" dr dh durch ''th!""t/"·dh); ]. E. Rasmussen, Haeretica hzdogermanica (Kopenhagcn 1974) I() ff.; A. R. Bomhard, Orb is 2S ( 1979) 66 ff., 73 ff., JIES 9 ( 1981) 332 ff., Bono Homini Drmum [o. Anm.100] 354ff., General Linguistics 21 (1981) 174; R.Normier, KZ 91 (1977[7S]) 171 ff. - Zu beach ten sind auch die Hinweise auf altere Lit. hei Bomhard, J I F.S 9 (I YH I) 334. [Kritik sowjetischer Gelehrter an Gamkrelidze-lvanov ist jiingst erhohen worden: vgl. I.M. Diakonoff, Vestnik drevnei istorii 1982/3, 3 ff. (5. 30: , ... that the reconstruction hv ... Gamkrelidze and ... Ivanov of ''·p', ''"(, ,,. k' ... instead of the traditional .:· !J, ,,. d, ''·g . .".

reflects a state which, if it ever existed, must have done so at a level pr~:ccding l'roto-1.-E. "); fcrner L.A. Lelckov, ebenda 31 ff.].

103 Greenberg a. a. 0. [o. Anm. 99] 17; dort z. B. das Verhiiltnis in Hausa: '12.2 nichtglot­talisiert gegen 07.8 glottalisiert.

104 Die Existenz von Palatalcn nebcn (Labio-)Vclarcn kann hci Jics<.:r Argumentation beiseite gelassen werdcn.

105 Mein Versuch, das traditiondle /D/-/Dh/-/T/-Systcm durch die Annahmc zu rcttcn, der durch vorgeschichtliche Prozesse eingctretene Zustand diescr atypischcn Rcihc sci schon im lndogermanischen durch typischc ,Fiillungs"-Mittcl - Entlehnungcn, Onomaropoctika, Expressiva- auf dem Wcge gewcsen, sich durch /Th/ zu ergiinzcn, kann zu wcnig Matt:ri.II beibringen (A0A\\'l117 [1981]361 Anm.4; Nach hundert Jahren [o. Anm. ~4j17 §4.2.1). In diesem Zusammenhang ist auf A. R. Bomhard, JIES 9 ( 1981) 334 f. hinzuwciscn, flir den , voiceless aspirates ... were found in words of onomatopoetic origin and ... also used for emphasis", darin aber ,nonphonemic variants" von /T/ sieht.

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S,mskrrt 1111d die Sprachen Alteuropas 149

,bold'- altind. dh!sta [tiber ''~.fhitho], gtlh" ,fodder'- altind. ghas,i- [in Opposition zu ·g,lh" ,bait', altind. grclsa- ]). DaiS die traditionelle Schrift fur die nichrglottalisier­ten neuen /G/ keine Grapheme geschaffen hat, sondern sic wie (g) = /'g/ bezeich­net, legt die Altertumlichkeir von /'g/ usw. nahe w 6 •

6.1.2.3. Trifft Werner Winters These zu, daiS im Baltischen und Slavis'chen - in den en nach traditioneller Lehre /D/ und /Dh/ zusammengefalkn warcn - /VI vor

traditionellem /Dh/ erhalten bleibe, vor /D/ aber zu /V/ gelangt werde 107, so lagt sich dies nach Kortlandt toll aus dem glottalisierten Charakter von ,; D.o'' ( = IT'!)

am einfachsten erkliiren. 6.1.2.4. Nati.irlich ist hier nur ein andeutendes Referat moglich, dJ.s die Lekture

der Originalarbeiten nicht ersetzen soil. In ihnen finden sich noch weitere Vorteile der neuen Lehren angefuhrt, deren Oberzeugungsgrad verschicden groG ist 1u9 •

7. Es bleibt zu untersuchen, ob die Umformung des trJ.ditionellen Okklusiv­

systems durch Gamkrelidze und andere Gelehrte Einwanden begegnet, die schwerer wiegen als die - verstandliche - Abneigung gegen die Abkehr von Gewohntem.

7.1 Eine Widerlegung der ,glottalisierten" Systeme ist offenbar nicht moglich. DaiS sic mit einer wesentlich gro!Seren Zahl von Sprachsystemen vergleichbar sind als das gJ.nz - oder fast ganz - unparallelisierte traditionelle System. mag man

106 S. die wichtige Arbeit von F. Kortlandt, Indo-Iranian Journal 23 ( 198 1) 15 fl. 107 \X!. Winter in j. Fisiak (ed.), Recent Development in Historical Phonolu:.,'J' (den Haag

u.a. 1978) 431 ff.; Beispiele sind etwa lit. iisti, altbulgar. jasti ,fressen' geg~:ni1ber Itt. uesti, altbulgar. ~·esti ,lcitcn', lit. pedas ,FuR' gegcni.ibcr lit. medtis, altbulgar. medc. .Honig· (n:d. mddlm-), u. a.

108 Baltistica 13 ( 1977) 319 f. 109 lnren:ss:111t ist Hoppers Feststellung (glossa 7 [ 1973] 141 ), cs sci cin tvpologischcs

Charakteristikum, wonach ,glottalized stops ... are excluded from inflectional suifixes"; in dcr Tat sind Suffixe mit traditionellem '' -d- ( = -t'-) im lndogermanischcn bum existent und >tchcn produktiven '' -t-Suffixen ('' -ti-, ,. -tu-, ,,. -tor-) gegeni.iber.- Barrholomaes Gesetz soli <.lurch die Annahme der ,distinction between the glottalic and the aspirated stop" Ieichter crklarbar werden (F. Kortlandt, IF 83 (1978(79)] 117f.; iihnlich T.V. GamkreliJze, Bono Homini Donum [o. Anm. 100] 608); ebenso wird Grassmanns Gcsetz als Beweis fi.ir die Allophonic in Wurzcln wie ,b11eydh-" ( = be!jdh-!b 11eljd-) herangezogen (Gamkrelidze a. a. 0. 607 f.). - Schwicrigkeiten be rei ten mir vorerst A. Lubotskys r\nsiitzc von Wurzeln des Typs (C)CEHD-, deren Nebenformen (C)CED- (- ved. bhiigd-: bhdga-) durch den SchwunJ von H vor D = 'T erkliirbar sein sollen (Miinchener Studien zur Sprachwisscnschaft 40 : 1981] 133 ff.). Ein Tcil seines Materials blcibt bcdenkenswcrt; vcrmutlich sind nicht aile hille nach cincm einzigen Prinzip erkliirbar. WLinschenswert wiire dit: Darlt:gung seiner laryngalistischen Ansichten gewcsen; cr schcint nicht an primiircs iJg. ,,. -,z- zu glauben, wic t:5 rn.E. in gr. Cty-LOc; - ved. yaj-, "ij- durchaus vorliegt (ebcnso wie in den Primiirwurzeln

kap-, k'as- etc.), dcnn er setzt ofienbar nur wcgen gricch. /a/ cin ''iel-1 2Jf- an. S. u. 7.3 und Anm. 125. - Die von Kortlandt, IF 83, 117 in die Argumentation aufgenommene ,Lach­mannsche Regel" ist wahrscheinlich nicht als laurmechanistischer Vorgang zu dcuten [so noch eingcschriinkt F. Sommer - R. Pfister, Handlmch dcr lateinischen Laut- tmd Formen­lr:hre !4 (Heidelberg 1977) 10 I]; vgl. K. Strunk, Laclmranns Ncgel fiir das Llternische (Giit­tingcn 1976), mit Lit., dazu M. Peters, Sprache 23 ( 1977) 67 a ff.

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Page 30: Mayrhofer - Sanskrit und die Sprachen Alteuropas

150 Manfred Mayrhofer I allenfalls verschieden gewichten ( u. § 7.3); auf keinen Fall aber sprcchen die typolo- \I

gischen Vorteile gegen die Neuinterpretation. 7.2. Die gesicherten Glcichungcn bleiben auch in der neuen Notation bcste- \

hen 110• Dadurch wird die Situation gleichzeitig entscharft: aus Hunderten von I Fallen ist erwiesen worden, daG infolge ihrer phonematischen, semantischcn und morphologischen Obercinstimmung etwa die Gleichung griech. b£xu = lat. decem = ved. ddsa = got. /tehun/ ( ( taihzm)) ,zchn' richtig sci; sic bleibt auch richtig, wenn die Obereinstimmungsformcl nicht mehr als '' /dek'm/, sondern a us den o. § 6.1 [.1 ff.] erwahnten Gri.inden als * /t'ck•<h>m/ angesetzt wird 111 • Mit einem i.iberzeugten Anhanger der ,Glottalisierungstheorie" 112 teile ich zudem die Mei­nung, daiS man gleichzeitig an typologisch korrektes ''"/t'ek'(hJm/ oder dgl. glau­

ben 113, sich aber- nicht zuletzt der weiteren Verstiindigung unter den Indogermani­sten zuliebe- erlauben darf, ,(to J stick to the traditional transcription" 114•

7.2.1. Es mu!S mit Nachdruck darauf verwiesen werden, da~ hierin ein wesentli­cher Unterschied zur Laryngaltheorie besteht. Diese beschrankt sich nicht darauf, das klassische System umzuschreiben, sondern ihrc Erke~ntnisse schlie!Scn einige bisherige Gleichungen aus und crzwingen neue. Ein Beispiel: einige semantische Parallelen legen nahe, daiS die in vor-laryngalistischer Umschrift formgleichen Rekonstrukte •·ster- ,Stern' und ''ster- ,ausstreuen' etymologisch zusammengehoren konnten. Nach der Laryngalthcorie ist hingegen, wenn einem 0- der i.ibrigen Spra­chen hethitisch h-, griech. armen. a- entsprechen, ''"11 2- anzusetzen: ,Stern" ist also (wegen griech. <iati]Q, arm en. astl, heth. (ba-as-te-er-za)) •· h2ster- 115 • Andererseits ist star- ,ausbreiten, streuen' im Vedischcn eine eindeutige Ser-Wurzel (vgl. stir!ui-, str,iriman-), die nach dem Zeugnis von griech. ~:OTOQEOct, a-rgun6; im Indogcrmani­schen auf den dritten Laryngal ausging 116• Idg. ''"l12ster- ,Stern' und ''.sterh3- ,a us-

1 w Die von K.H. Schmidt, Kratylos 25 (1980[81]) 198 erwahnten Diskrepanzcn in dcr Lautung armenischer Wortcr scheincn mehr mit der noch nicht voll aufgcklartcn l'honemge­schichte des Armenischen im allgemeinen zu tun haben als mit den neuen Thescn. Zu ep'em - griech. E1j!W ,koche' etwa hiitte man gerne cine ausfi.ihrlichere Darlegung Schmidts gelesen, da die giingigen Hilfsmittel dazu sehr wenig Klarheit bicten.

111 Auf einem anderen Blatt steht, daiS die einzelsprachlichen Prozesse dadurch jeweils andere Dauer und lntensitat erhaltcn als fri.iher: der Weg von * /t'ek'(hJm/ zu got. /tehun/ ist einfacher, der zu griech. bt'xa ist komplizierter geworden als im Falle des tradi­tionellen Ansatzes. - DaiS die vom ,glottalisierten Modell" ausgehendc.:n einzclsprachlichen Prozesse komplizierter scicn als im Fall des traditionellen Modells, bildet eincn Tcil dcr Kritik von Michael Back, KZ 93 (1979) 187ff.

112 F. Kortlandt, Jf83 (1978[79]) 107. 113 Das Rekonstrukt Kortlandts, der von Gamkrelidze Ieicht abweicht, ware, wenn ich ihn

recht verstehe, * /t'ek : m/. 114 Kortlandt a. a. 0. 115 Vgl. zuletzt die Lit. bei Verf., Festschrift f. Giinter Neumann (lnnsbruck 1982) I S7

und Anm. 32; dazu N. Oettinger, KZ 94 (1980) 51 Anm. 25. 116 Jch glaube, dies auch noch als die Meinung F. 0. Lindcmans in seinem schwer n:r­

stiindlichcn Buch The triple representation of Schwa in Greek and some related problems of

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Sanskrit tmd die Sprachen Altcuropas 151

streuen' sind somit zwei verschiedene Gebilde, zwischen denen kein crymologischer Zusammenhang hergestellt werden kann 117•

7.3. Man kann gegen die aus typologisch-universellen Grunden erstellten Sy­steme einwcnden, daR das Gewicht typologischer Argumente geringer sci als von den Schopfern glottalisierter Neu-Systeme angenommen. Hierzu haben ~1ichael

Back 118 und George Dunkel 119 interessante Beitri:ige geliefert. Beide Autoren stim­men darin i.iberein, daB man Seltenheit nicht mit Abwescnheit verwechseln di.irfe (ctwa im Faile von idg. * /b/) 120 und daB die Typologie mit der generischcn Sprach­wissenschaft in der Anerkcnnung des Faktors Zufall i.ibcreinstimmen salle 121 ;

zwischen statistischen Methoden (in dcnen extrem seltenc Phi:inomene ignoriert werden) und linguistischen Methoden (in denen wir die Beachtung einzclner .-\no­rnalien, die Anerkennung von Phonemen auf Grund cines einzigen Minimalpaares, und dergleichen, kennen) sollte unterschieden werden 122 • Back wie Dunkel be­fi.irchten Generalisierungen: wenn auch die i.iberzeugenden Fi:ille von ved. /th/ ( = Brugmanns ,,. /th/) a us ''It/ + '' /h2/ kornmen, di.irften nicht prinzipiell indo­germanische einphonemige Tenues aspiratae anderen Ursprungs ausgeschlossen wer­den 123• In den erstcn Seiten scheint mir Dunkels lesenswerter Artikel i.ibrigens tiberholt: es ist noch vom Kampf des Typologen Jakobson gegen einen ,straw man" die Rede, ni:imlich gegen die fi.ir cine Periode der Laryngalrheorie kennzeich­nende Annahrne cines Ein-Vokai-Systems irn Indogermanischen 12.;. Ich hoffe, daG heute die meisten Indogermanisten einem nati.irlichen Vokalphonernsysrern zustirn­rnen, das /e/, /ol, Ia/, /i/, lui und dazu noch mindestens /e/, /6/, 15.1 als nicht-laryn­galbedingte Vokalwerte kannte und das man auch im fri.ihwerk des oft verkannten Ferdinand de Saussure nachweisen kann 125• Dag Jakobson gegcn eincn Schemaris­mus Sturm lief, der a lies Indogermanische auf Primiirwurzeln des Typs * CuC-

Indo-European phonology (Oslo usw. 1982) 52ff. zu erkennen. Der Ansarz '''sterhr ist in Jcr laryngalistischen Literarur unumstritten, s. die Lit. in meincm Altind. etymolog. \'\'ortcr­buch III (Heidelberg 1976) 518; dazu N. Oettinger, Die Stammbildrmg des hethitischen Verbums (Niirnberg 1979) 169 Anm. 85.

117 Mit einer andcren Akzentuicrung stellt dicsen Sachverhalt auch ~L Back, KZ 93 (1973) 184 fest (die glottalisierten Madelle wiirden ,im Gcgcnsatz ctwa zu den Laryngalcn ... nirgends zwingcnd erfordert ... , urn das belegtc Sprachmatcrial zu vcrsrehen").

118 A.a.O. 179ff. 119 Bono Homini Domun [o. Anm. 100]559ff.; in dcr selbcn Gedcnkschrift S. 140f. wird

Dunkels Beitrag iibrigens von P.J. Hopper scharf angegriffcn. 120 Back a.a.O. 182; Dunkel a.a.O. 567. 121 So v.a. Dunkel a.a.O. 562,563 und Anm. 16. 122 Dunkel a.a.O. 565. 123 Dazu Back a.a.O. 185, dessen Argumentation mir an dicser Stelle schwach crschcint;

Dunkel a. a. 0. 561. - Ich habe obcn § 6.1.2 Anm. 105 darauf hingcwiesen, dal~ ich sclbsr ~ysrematisch nach solchcn ,Liickenfiillcrn" in Gestalt indogermanischcr cinphonemiger Tcnues ;J~piratae gcsucht und mich friiher fiir ihrc Existenz ausgesprochen habc. Ich kann hcute mcin Material nicht mehr als ausreichend cmpfinden.

124 Vgl. Dunkel a.a.O. 560. ii~ bazu Verf., Nach hundert jahrcn [o. Anm. 84] 20ff., mit Lit.

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152 A1anfred Mayrhofer

zuri.ickfi.ihrtc, entw<.:rtet nicht di<.: lkrechtigung seiner Einwande gegen ein System

''.It! ''/d/ ''./dh/, d3s sich n3ch einn maGvollen Anwendung der Laryng3ltheorie zu

ngcb<.:n schi<.:n und dem sich in den T 3Usenden von untersuchren Phonemsystcmcn !

dn Erdc keine odcr minimal wcnigc P3r31lelsystcme zur Scire srellen lassen. DaiS

die Zahl der Parallclsyst<.:me cinmal hoher gewcscn sein mag und d3G sich Jurch

Verlustt: oder ausstandigc Untersuchungen einigc Systcme unserer Kenntnis (noch)

vcrbergen, ist Dunkel natiirlich zuzugeben.

8. Es ist schwcrer, sich auf Grund typologischer Envagungcn zu entscheiden als

aus den Aussagen der Rckonstruktion 126 ; diese geht ja der T:·pologie voraus, die

dcm Rekonstruktionsvorschlag dann als , \Varnlampc" dienen mag, , wenn rekon­

struiert wird, W3S noch nirgends n3chgewicsen werden konntc" 1 ~ 7 • \Ver Kekon­

struktionsresulwte nicht 3nerkennt, wie das Palatalgesetz, die Sonantentheorie oder

die L3ryngalrheorie, bnn dies nur run, indem er vor einer Fulle erklarbarcn Mate­

rials die Augen vt:rschlicf~t 128• Die typologische Untersuchung wird durch das Ma­

terial der genetischen Vcrgleichung nicht beri.ihrt (o. § 7.2[.1)), sondern ver­

gleicht 12Y erst die Rekonstruktc, die sich a us der systcmatischcn Erstellung von

Formeln fi.ir die genetische Identitat des Einzelgutes verwandter Sprachen ergeben,

mit den ,universally valid synchronic norm[s]" L10; werden diese verletzt, sollte das

Rckonstrukt anders formuliert werden.

8.1. Es wurdc schon darauf hingewiescn, daiS dieser Vortrag kcine Entschcidung

zu diesen hagen abzugcbcn plant; der Schreibendc wird sich in eincr vorgcsehenen

Handbuchdarstcllung friih genug vor diese Notwendigkeit gestellt sehcn. Heurc sci

nur angcdemct, daG die typologischen Argumente fi.ir das ,glottalisierte" Okklusiv­

svstem d01:h zu i.iberwi<.:gcn schcinen und daG ihnen bisher Z\\·Jr Einwiindc, aber

kcmc \Vidcrlegungen gcgen iiberstt:hen.

1\.1.1. Besinnen wir UIIS auf unser wissenschaftsgeschichtliches Thema: Durch

einen historischen Zufall war das Sanskrit zu Anfang dcr Indogcrmanistik in cine

dominierende Position gclangt, welche Generationen die Sicht versrellen sollte.

Harre man Andreas J:igcrs Stimme angehorr, ware die von Rask fri.iher hiirbar

gcworden- die Rekonstruktion harte vielleicht einen (ebenso i.iberwindungswi.irdi­

gcn) germanozentrischen Zug erh:1lten. So wurden Schlegel und Bopp die erstcn

126 , Typology versus Reconstruction" ist der Titcl des Auisatzes \'Oil Dunkel a. a. 0. 55'1 H.

127 So J\1. Back a. a. 0. 186. 12" Diese Praxis ist moglich durch den Hinweis auf J\1ateriJ!, das tats:ichlich- infolge von

Vcrlust odcr Ersatz- sprachgcschichtlich unerklarbar geblicbm ist. Sie wird von Antilaryn­galistcn gerne angewandt.

129 Auf die Gcfahr, die in der verschiedrncn Vrrwendung von ,.comparative" in dcr Linguistik gegeniibt:r anderen \X,.issenschaften (Religionswissenschaft, Literaturwisscnschaft) licgt (wo comparison dem linguistischen typology cntsprechc), weist Dunkel a. a .0. 55'1 hill.

uo J. Greenberg, Memorandum concerning Language Universals, Unir·ersals of Language ( 1966) xxiii.

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Sanskrit und die Sprachen Alteuropas 153

lndogermanisten, und cs gelang ihnen erst allm~ihlich, nicht gleil:h die Ursprache selbst am Ganges zu suchcn. An der sich wandelnden phonemischen Gestalt der Rekonstruktion !aRt sich der mi.ihevolle Weg ablesen, sich vor der Fixierung an Jiese alte, aber nicht unbedingt primare Sprache zu li:isen: Indogermanisch ''·ari!''u = sanskrit a!ilu galt bis in das spate achte Jahrzehnt des 19. Jahrhun-· derts, ehe eine Fi.ille von Beispielen die Herleitung von sanskrit a a us ,,. er ol''· a erzwang; idg. ''"t/""th!*d!*dh =sanskrit t!th!d!dh steht in noch verwendeten Kom­pendien, darunter auch in solchen, die erst in unserer Lebenszeit entstanden sind. An idg. ''.tl""d!""dh als Vorstufe der Sanskritwerte, aber an sekundaren Ursprung von sanskrit th a us idg. '' t + •· h2 glauben viele, - nicht aile- die sich Laryngalisten nennen. Der letzte Schritt ware die Umformung aus typologischen Gri.inden: Idg. ''·t<h>rJ<h>rt' (oder ein ahnliches System) als Vorstufe von altindoarischem t(h)!dh!d- damit ware dcr weiteste Abstand erreicht, der uns von Friedrich Schle­gels Oberzeugung trennen kann, ,da{? die indische Sprache die altere sei, die ande­ren aber ji-inger zmd a us jener abgeleitet".

[33] · .. ·.