23
Biologische Psychologie II Peter Walla Alles in Allem kam bei diesen Untersuchungen letztendlich heraus, dass Gedächtnisfunktionen auf keinen Fall diffus und gleichwertig über das Gehirn verteilt sind, sondern, dass z.B. die medialen Temporallappen für eine Langzeitspeicherung bestimmter Inhalte verantwortlich sind. H.M. hatte offensichtlich eine Störung der Gedächtniskonsolidierung für bestimmte Inhalte (Übertragung von Kurzzeiterinnerungen in einen Langzeitspeicher!) Da H.M. bei sensomotorischen Aufgaben sehr wohl von Erfahrung profitieren konnte, ohne sich aber an diese Erfahrung zu erinnern, wurde die Gegenüberstellung von explizitem und implizitem Gedächtnis eingeführt! Man ist also zur Idee gekommen, dass das Gehirn mehr weiss als es zugibt!

medialen Temporallappen Langzeitspeicherung … · Im Speziellen ist das implizite Gedächtnis für verbales und perzeptuelles ... sensomotorisches Lernen ermöglichen, ... Beispiel:

Embed Size (px)

Citation preview

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Alles in Allem kam bei diesen Untersuchungen letztendlich heraus, dass Gedächtnisfunktionen auf keinen Fall diffus und gleichwertig über das Gehirn verteilt sind, sondern, dass z.B. die medialen Temporallappen für eineLangzeitspeicherung bestimmter Inhalte verantwortlich sind.

H.M. hatte offensichtlich eine Störung der Gedächtniskonsolidierungfür bestimmte Inhalte (Übertragung von Kurzzeiterinnerungenin einen Langzeitspeicher!)

Da H.M. bei sensomotorischen Aufgaben sehr wohl vonErfahrung profitieren konnte, ohne sich aber an dieseErfahrung zu erinnern, wurde die Gegenüberstellung von

explizitem und implizitem Gedächtnis eingeführt!

Man ist also zur Idee gekommen, dass das Gehirn mehr weiss als es zugibt!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Es stellte sich im Folgenden heraus, dass ein solches amnestisches Bild bei mehreren anderen Patienten ebenso auftrat!

Deshalb wurde folgender Begriff definiert:

Mediale Temporallappenamnesie!

In diesem Zusammenhang wurde es wichtig, die intakten impliziten Gedächtnisleistungen zu beurteilen.

Dies geschah (und geschieht auch immer noch!) oft mit Hilfe so genannter Repetition-Priming-Tests! (Was ist „Repetition Priming“?)

Weitere Untersuchungen ergaben, dass eine Unterscheidung von

semantischem Gedächtnis und episodischem Gedächtnis

sinnvoll ist!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Ein weiterer Fall von medialer Temporallappenamnesie ergibt sich oft nach einer cerebralen Ischämie, die nur den Hippocampus betrifft!

Eine genaue Untersuchung eines betroffenen Patientenergab, dass bereits die Schädigung einer ganzspezifischen Region des Hippocampus zu einersolchen Amnesie führen kann!

die Pyramidenzellschicht derCA1-Regiondes Hippocampus!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Amnesie beim Korsakoff-Syndrom:

Neben Gedächtnisstörungen liegen sensorische und motorische Störungen vor, sowie auch Verwirrung, Persönlichkeitsveränderung und mehrere sonstige organische Probleme!

Post-mortem Untersuchungen deuten auf Läsionen des medialen Diencephalons hin, die für die entsprechenden Gedächtnisdefizite verantwortlich sind. (Kurzzeitgedächtnisverlust u. retrograde + anterograde Amnesie).

Speziell die mediodorsalen Kernedes Thalamus sind betroffen und für die gedächtnisdefizite verantwortlich!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Amnesie bei der Alzheimer-Erkrankung:

Zu einer retrograden, anterograden und das Kurzzeitgedächtnis betreffenden Amnesie kommt bei Alzheimer-Patienten noch eine teilweise Störung impliziter Gedächtnisfunktionen dazu!

Im Speziellen ist das implizite Gedächtnis für verbales und perzeptuellesMaterial oft betroffen, während das implizite Gedächtnis für sensomotorisches Lernen meist normal funtionsfähig bleibt!

Acetylcholin-Mangel durch Degeneration des basalen Vorderhirns!

PosttraumatischeAmnesie:

Kommotionssyndrom(Gehirnerschütterung!)

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Nun kommt noch mehr zur Konsolidierung vonGedächtnisinhalten:

Es gibt eine bekannte und einflußreicheTheorie von Donald Hebb:

Erinnerungen werden durch kreisende neuronale AktivitätIn geschlossenen Schaltkreisen aufrechterhalten(so genanntes „reverberatorisches Kreisen“!).

Diese Schaltkreise sind anfällig für Unterbrechungen, wiesie z.B. durch einen Schlag auf den Kopf passieren können!

letztendlich besagt die Theorie weiters, dass reverberatorischesKreisen zu strukturellen Veränderungen an beteiligten Synapsen führt.

diese strukturellen Veränderungen sorgen dann für eine stabile Langzeitspeicherung (Genetik!).

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Eine Möglichkeit, die zeitlichen Aspekte einer Gedächtniskonsolidierung zu untersuchen, ergibt sich mit Hilfe so genannter elektrokonvulsiver Schocks(EKS)!

. . . Ein EKS ist ein intensiver, kurzer, krampf-induzierender Stromstoß!

. . . Ein EKS wird über am Kopf befindliche Elektroden verabreicht!

Idee: ein EKS unterbricht momentane neuronale Aktivität und löscht dadurch „nur“ diejenigen Inhalte, die noch nicht zu strukturellen synaptischen Veränderungen geführt haben!

Die Dauer einer so definierten retrograden Amnesie liefert eine Schätzung der Zeitspanne, die für eine Gedächtniskonsolidierung notwendig ist!

Rattenstudie (1969)!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Durstige Ratten wurden 5 Tage hintereinander für jeweils 10min in eine Box gesetzt, die eine kleine Nische enthielt (Gewöhnungsphase).Am 6ten Tag wurde ein Wasserspender in die Nische gestellt (15min Trinken nachdem der Spender entdeckt wurde!). Lernphase!

Ratten der Versuchsgruppe bekamen dann jeweils einen EKS nach entweder:10sek 1min 10min 1h 3h

Am nächsten Tag wurde das „Aufsuchen“ der leeren Nische gemessen!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Gerne schliessen wir daraus, dass die Konsolidierungsidee von Herrn Hebb für bestimmte Gedächtnisinhalte ausreichend erklärend ist, während andere Inhalte vermutlich durch andere Konsolidierungsprozesse langfristig gespeichert werden!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

In den 70er Jahren wurde der so genannte„delayed-nonmatching-to-sample-Test“ entwickelt.

Dieser diente als Test eines Tiermodells für dieAmnesie nach Läsionen der medialen Temporallappen(siehe H.M.)

Bei Affen, die einer bilateralen mediotemporalen

Lobektomie unterzogen wurden als auch bei Menschenmit Temporallappenamnesie wurden vergleichbareVerhaltensergebnisse gefunden!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Delayed-nonmatching-to-sample-Test für Ratten (die Mumby-Box):

Gesunde Ratten schneiden nach kurzen Verzögerungen genauso gut ab wie gesunde Affen!Erst ab Verzögerungen von mehr als 1m sind Ratten schlechter!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Aufgrund vieler Läsionsstudien verschiedener Teile der medialen Temporallappen betreffend haben Anfang der 90er Jahre einige Forscher die Rolle des Hippocampus für Objekterkennung in Frage gestellt!

Das Ergebnis unzähliger Untersuchungen war, dass die bilaterale Entfernung des rhinalen Kortex zu schweren Defiziten in der Objekterkennung führt!

hingegen

Eine bilaterale Entfernung des Hippocampus alleine führt nur zu einem

mäßigen oder keinem Defizit!

Eine bilaterale Entfernung der Amygdala zeigt überhaupt keinen Effekt!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Der rhinale Kortex spielt also bei der Objekterkennung eine wichtigere Rolle als der Hippocampus!

Welche Rolle spielt denn nun der Hippocampus?

Der Hippocampus spielt eine Rolle beim räumlichen Gedächtnis!

Es wurden die so genannten hippocampalen Ortszellen gefunden:

Ortszellen sind Neuronen, die nur dann feuern, wenn sich das entsprechende Versuchstier an einem bestimmten Ort befindet (Ortsfeld; ähnlich wie „rezeptives Feld“ anderer Neuronen!).

Das geht sogar so weit, dass es über mehrdeutige Raumsituationen, die künstlich geschaffen werden, möglich ist, zu zeigen, dass eine solche Ortszelle durch ihr feuern anzeigt, was eine Ratte „denkt“, wo sie sich befindet und nicht notwendigerweise, wo sie sich tatsächlich befindet!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Auch bei Vögeln wurde die Theorie der Ortszellen im Hippocampus bestätigt!

Vögel, die besonders viele verschiedene Futterverstecke haben, die sie auffinden müssen, haben einen größeren Hippocampus!

Bei Gambelmeisen wurde sogar entdeckt, dass dasVerstecken und Finden von Futter sogar eineVoraussetzung dafür ist, dass derenHippocampus heranwächst!

Bei Londoner Taxifahrern mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung wurde festgestellt, dass diese mehr graue Substanz im posterioren Hippocampusbesaßen als Kontrollpersonen!

es gibt drei nennenswerte Theorien über die Funktion des Hippocampus (im Zusammenhang mit räumlichem Gedächtnis!)

Biologische Psychologie IIPeter Walla

1) Theorie der kognitiven Landkarte von O‘Keefe und Nadel, 1978 (cognitive map theory!):

Nach dieser Theorie besteht die Funktion des Hippocampus darin, Erinnerungenan räumliche Positionen zu speichern. Genauer gesagt soll der Hipocampus ausdem sensorischen Input allozentrische Landkarten der Außenwelt konstruieren.

2) Theorie der konfiguralen Assoziationen von Rudy und Sutherland, 1992 (configural association theory!):

Dieser Theorie zufolge ist das räumliche Gedächtnis „nur“ eine besondereManifestation einer allgemeinen Funktion des Hippocampus.Der Hippocampus soll bei der Erinnerung an die Verhaltensbedeutsamkeit vonReizkombinationen eine Rolle spielen, nicht aber von Einzelreizen.

3) Theorie von Brown und Aggleton (2001):

Der Hippocampus soll demnach wichtig für die Wiedererkennung der räumlichen Anordnung von Objekten sein, deren Wiedererkennung mehr die Aufgabe des rhinalen Kortex ist!

die Suche geht weiter!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Wo sind denn nun Erinnerungen im gesunden Gehirn gespeichert?

Es wurde bereits die Idee erwähnt, dass Erinnerungen im Rahmen der Strukturen gespeichert sind, die an der ursprünglichen Erfahrung beteiligt waren (Hund)!

Wir haben über den Hippocampus und überden rhinalen Kortex gehört (auch über diemediodorsalen Kerne des Thalamus undüber das basale Vorderhirn)!

Welche Strukturen sind noch in welcherForm beteiligt?

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Inferotemporaler Kortex:

Der inferotemporale Kortex entspricht dem sekundärensensorischen Kortex des visuellen Systems!

Der inferotemporale Kortex ist an der visuellen Wahrnehmungvon Objekten beteiligt („Was-Bahn“)!

Er spielt vermutlich eine grosse Rolle bei der Speicherung visueller Erinnerungen!

Eine Studie von Naya et al. (2001) unterstützt diese Idee:

Die Autoren berichten, dass Neuronenaktivitäten im rhinalen Kortex und im inferotemporalen Kortex registriert wurden, während Affen die Beziehung zwischen zwei Objekten in Paaren von Bildern lernten.Beim Lernen war zuerst der inferotemporale Kortex aktiv und dann der rhinale Kortex!Beim Erinnern war zuerst der rhinale Kortex aktiv und dann der inferotemporale Kortex!

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Amygdala:

Die Amygdala ist für die Erinnerung der emotionalenBedeutsamkeit von Erfahrungen wichtig!

Eine Zerstörung der Amygdala führt beispielsweise dazu,dass keine Furcht entstehen kann, die normalerweise beiAngstreizen auftritt!

Präfrontaler Kortex:

Bei Läsionen des präfrontalen Kortex treten Defizite im Gedächtnis für die zeitliche Abfolge von Ereignissen auf, obwohl die Ereignisse an sich meist erinnert werden können!

Ebenso treten Defizite im so genannten Arbeitsgedächtnis auf.Arbeitsgedächtnis bezeichnet die Fähigkeit, relevante Erinnerungen aufrechtzuerhalten, während eine Aufgabe durchgeführt wird!Der präfrontale Kortex ist groß und heterogen und hat deshalb vermutlich mehrere verschiedene Funktionen im Zusammenhang mit Gedächtnis!

Modifiziert nach Nieuwenhuys et al., 1991

Amygdala

Biologische Psychologie IIPeter Walla

Cerebellum und Striatum:

Kleinhirn und Nucleus caudatus + Putamen!

Neben den expliziten Erinnerungen, die bisher imZusammenhang mit bestimmten neuronalen Strukturenbesprochen wurden, muss es natürlich auch Schaltkreise geben, die sensomotorisches Lernen ermöglichen, sowie auch den Abruf solcher Inhalte aus einem entsprechenden Gedächtnissystem!

Beispiel: Untersuchungen bei der klassischen Konditionierung des Lidschlagreflexes von Hasen deuteten daraufhin, dass das Cerebellumsensomotorische Inhalte speichert!

Das Striatum speichert vermutlich Erinnerungen ankosistente Beziehungen zwischen Reizen undReaktionen Gewohnheitslernen!