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Medien und Mobilität Berührungen zweier Systeme: ‹Medien und Kommunikation› – ‹Verkehr und Mobilität› Noah Bubenhofer Lothringerstrasse 89, 4056 Basel, 061 381 44 39, [email protected] Seminararbeit im 7. Semester KMW (Germanistik, KMW, Soziologie) an den Universitäten Basel und Freiburg im Brsg. Eingereicht im Rahmen des Seminars «Medienentwicklung und soziokultureller Wandel» bei Prof. Dr. Klaus Schrape, Universität Basel April 2001

Medien und Mobilität - Noah Bubenhofer · Personenverkehr 1970 noch 2100 Milliarden Personenkilometer (pkm) zurück. 23 Jahre später wuchs dieser auf 4000 Milliarden pkm an (Maurer00:

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Medien und MobilitätBerührungen zweier Systeme:‹Medien und Kommunikation› – ‹Verkehr und Mobilität›

Noah Bubenhofer

Lothringerstrasse 89, 4056 Basel, 061 381 44 39, [email protected] im 7. Semester KMW (Germanistik, KMW, Soziologie) an den Universitäten Basel undFreiburg im Brsg.

Eingereicht im Rahmen des Seminars «Medienentwicklung und soziokultureller Wandel»bei Prof. Dr. Klaus Schrape, Universität BaselApril 2001

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Diese Arbeit ist auch in elektronischer Form erhältlich:

www.bubenhofer.com/publikationen/2001memo/

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Inhaltsverzeichnis

1. Einführung ........................................................................................................................................ 4

2. Medien konstruieren Mobilität .................................................................................................. 5

2.1. Die Konstruktion eines Images ....................................................................................... 5

2.2. Images von Verkehrsmitteln............................................................................................ 6

2.3. Medien beeinflussen die Imagebildung von Verkehrsmitteln............................... 72.3.1. Werbung.................................................................................................................. 72.3.2. Redaktionelle Medien ......................................................................................... 8

2.4. Tendenzen I.........................................................................................................................10

3. Medien konstruieren Problembewusstsein...........................................................................11

3.1. Unsichtbarkeit von Umweltrisiken ..............................................................................11

3.2. Risikokommunikation in den Medien.........................................................................12

3.3. ‹Risikowahrnehmung› bei Experten und Laien ........................................................14

3.4. Nachrichtenwerte, Schweigespirale und Agenda-Setting...................................14

3.5. Tendenzen II........................................................................................................................15

4. Medien konstruieren Problemlösungs-Technologien ........................................................17

4.1. Neue Kommunikationsmittel mit direkter Auswirkung auf Verkehr undMobilität ..............................................................................................................................174.1.1. Verkehrsleit- und Informationssysteme (Planungsanwendungen).....174.1.2. Kontrollanwendungen.......................................................................................18

4.2. Neue Kommunikationsmittel mit indirekter Auswirkung auf Mobilität undVerkehr .................................................................................................................................184.2.1. Weniger Reiseverkehr dank neuen Kommunikationsmitteln?..............194.2.2. Weniger Pendelverkehr mit Telearbeit?.......................................................194.2.3. Auswirkungen des e-Commerce ....................................................................20

4.3. Tendenzen III ......................................................................................................................20

5. Fazit: Medien und Mobilität – Zwillingssysteme ...............................................................22

6. Literatur ...........................................................................................................................................27

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1. Einführung

Im Zentrum dieser Arbeit steht die Frage, inwiefern die Medienentwicklung den

soziokulturellen Wandel im Bereich des Verkehrs und der Mobilität beeinflusst. Unser

Verkehrssystem hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. In Westeuropa legte der

Personenverkehr 1970 noch 2100 Milliarden Personenkilometer (pkm) zurück. 23 Jahre

später wuchs dieser auf 4000 Milliarden pkm an (Maurer00: 23). In der Europäischen

Union entfallen dabei 80% des Personenverkehrs auf den motorisierten

Individualverkehr, in den USA fallen gar über 86% auf diesen Anteil (ebd: 25).

Expertinnen und Experten schätzen, dass der Personenverkehr bis 2020 auf der Strasse

um weitere 30% zunehmen wird. Eine ähnliche Zunahme schätzen sie für den Verkehr

auf der Schiene – der Flugverkehr soll gar um 60% zunehmen (UVEK00: 1).

In einer ähnlich dynamischen Entwicklung steht das Medien- und

Kommunikationssystem. «Die Möglichkeiten von Kommunikation vergrössern sich

evolutionär in der Zeit» (Merten94a: 142). Uns steht eine Vielzahl von

Kommunikationsmitteln zur Verfügung. Innerhalb von 10 Jahren verfünffachte sich die

Anzahl der benutzten Personal Computers (UNESCO99: 31), pro 1000 Personen stehen

heute weltweit 420 Radioempfänger und 250 TV-Geräte zur Verfügung (ebd: 32).

Zwischen 1990 und 97 nahm die Menge der weltweit verfügbaren Telefonlinien um 43%

zu (ebd: 33). In Europa vergrösserte sich die Anzahl der benutzten Mobiltelefone

zwischen 1995 und 98 um 321% (UNESCO00: www). Fokussiert auf die Industrieländer

fallen diese Zahlen noch extremer aus.

Stellt man das Medien- und Kommunikationssystem dem Mobilitätssystem gegenüber,

können diverse Berührungspunkte ausgemacht werden. Drei solcher Punkte sollen in

dieser Arbeit genauer analysiert werden: Das Mediensystem stellt eine breite Palette von

Möglichkeiten zur Verfügung, Wertvorstellungen und Images von Verkehr und Mobilität

zu konstruieren. Verkürzt gesagt, konstruieren Medien Mobilität (Kapitel 2). Auf der

anderen Seite ist das Mediensystem mitverantwortlich beim Wecken von Sensibilität der

Gesellschaft gegenüber Verkehrs- und Mobilitätsproblemen: Medien konstruieren

Problembewusstsein (Kapitel 3). Und letztlich können mit Mitteln des Medien- und

Kommunikationssystems Probleme, die das Mediensystem konstruiert, gelöst – oder

zumindest angegangen werden: Medien konstruieren Problemlösungs-Technologien

(Kapitel 4). Jedes der Kapitel endet mit einem Zwischenfazit, worin ich versuche, die

Tendenzen der weiteren Entwicklung abzuschätzen.

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2. Medien konstruieren Mobilität

Antje Flade und Maria Limbourg gingen 1997 in ihrer Arbeit «Das Hineinwachsen in die

motorisierte Gesellschaft» der Frage nach, welche Faktoren die spätere

Verkehrsmittelwahl von Sekundarschülerinnen und -schülern beeinflussen. Ich möchte

an dieser Stelle nicht auf diese Faktoren eingehen. Stattdessen fällt ein Nebensatz der

Arbeit auf: Nach den Vorstellungen über die künftige Verkehrsmittelwahl im

Erwachsenenalter gefragt, gedenken signifikant mehr Knaben als Mädchen später das

Auto zu benutzen (FlaLim97: 120). 41% aller befragten Knaben gaben an, später selber

Auto fahren zu wollen, während dies nur 34% der Mädchen angaben. In einer weiteren

Frage wurden die Schülerinnen und Schüler nach den Gründen für die zukünftige

Benutzung oder Nicht-Benutzung des Autos befragt. Bei Argumenten wie ‹Zeitgewinn›,

‹Bequemlichkeit› oder ‹Flexibilität› zeigen sich keine grossen Unterschiede zwischen den

Geschlechtern. Hingegen bewerten Knaben das Argument ‹Spass› bedeutend höher als

Mädchen. Und beim Argument ‹Umweltschutz› ist die Gewichtung gerade umgekehrt

(FlaLim97: 90f).

Das Beispiel zeigt, dass Verkehrsmittel nicht einfach emotionslos verwendbare Objekte

sind. Das alte, aber fahrtüchtige Dreigang-Fahrrad der Studentin transportiert und

kommuniziert andere Ideen und Werte wie der graue Mercedes des Konzernchefs. Um

Verkehrsmittel und Fahrzeugmarken können Images aufgebaut werden, auf die spezielle

Zielgruppen ansprechen.

Das hat natürlich zur Folge, dass eine rational begründete Verkehrsmittelwahl kaum

möglich ist. Dies wird auch immer wieder in politischen Entscheiden sichtbar1 .

2.1. Die Konstruktion eines Images

Klaus Merten und Joachim Westerbarkey beklagen sich, dass auch der Begriff des

Images – wie die meisten anderen Begriffe der Medienwissenschaften – zu wenig genau

definiert ist (MeWe94: 206). Sie definieren ‹Image› folgendermassen:

• Das Image ist ein konsonantes Schema kognitiver und emotiver Strukturen,

das der Mensch von einem Objekt (Person, Organisation, Produkt, Idee,

Ereignis) entwirft.

1 Fragen betreffend der Höchstgeschwindigkeiten auf den Strassen werden immer wieder sehr kontrovers diskutiert. Inder Schweiz wurde beispielsweise die Volksinitiative «Für mehr Verkehrssicherheit durch Tempo 30 innerorts mitAusnahmen (Strassen für alle)» am 4. März 2001 mit 80% der Stimmen verworfen.

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• Das Image entsteht entweder direkt durch die Wahrnehmung dieser Objekte

selber, oder aber durch die gezielte, wiederholte Information anderer

Personen oder Medien über das Objekt.

• Images sind subjektive Konstruktionen von Objekten, über die der Mensch

kein direkt zugängliches Wissen, keine unmittelbare bzw. eine zu geringe

Erfahrung verfügt.

• Ein Image unterscheidet sich von einer Einstellung, weil es kein subjektives,

sondern ein soziales Konstrukt darstellt, an dem sich der einzelne

orientieren kann. Es ist daher weder stabil noch objektiv, sondern

veränderbar und selektiv.

• Ein Image lässt sich mit fiktionalen Strukturelementen kombinieren und

konstruieren und antwortet damit in geradezu idealer Weise auf neuzeitliche

Kommunikationsbedürfnisse der Mediengesellschaft. (ebd.)

Vielfältige Instrumente erlauben, Images zu konstruieren: Imagewerbung in Medien,

Pressekonferenzen, direct mailings, Sponsoring, Lobbying und der Einbezug von opinion

leaders.

Images sind nicht der Wahrheit verpflichtet sondern unterliegen «den Gesetzen der

Konstruktion öffentlicher Meinung» (ebd.: 207).

2.2. Images von Verkehrsmitteln

Der ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr) wurde oft als ‹Arme-Leute›-Verkehrsmittel

bezeichnet. In den letzten Jahren scheinen sich teilweise Anzeichen für einen

Imagewandel abzuzeichnen. Peter Pez zeigt in einer verkehrsgeographischen Analyse an

den Beispielen Kiel und Lüneburg, wie sich das Image des ÖPNV verbessert hat (Pez98:

198ff). Auf die Frage, wie die Arbeitskolleginnen und -Kollegen reagieren würden, wenn

sie zu Fuss, mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder dem PKW an den Arbeitsort kämen, zeigt

sich folgendes Bild: Bei der Benützung des ÖPNV, der eigenen Füsse oder – besonders

ausgeprägt – dem Fahrrad, wird eine signifikant positivere Reaktion von den

Arbeitskolleginnen und -Kollegen erwartet, wie bei der Ankunft mit dem PKW (Pez98:

200). Dabei ist weniger relevant, ob die erwarteten Reaktionen in der Realität so

eintreffen würden – die Antworten zeigen vielmehr, an welchen Werten und Idealen sich

die Befragten orientieren.

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2.3. Medien beeinflussen die Imagebildung von Verkehrsmitteln

In Kapitel 2.1 wurde es schon angesprochen: Auch Medien können zur Konstruktion von

Images eingesetzt werden. Allen voran wirkt dabei die Werbung, deren Intention ganz

bewusst mit der Konstruktion von Images spielt.

2.3.1. Werbung

Das ‹zu Fuss gehen› wurde bis heute kaum direkt beworben. Die Fahrrad-Industrie legt

dagegen schon mehr Wert auf Werbung – ähnlich der öffentliche Verkehr. Eine ganz

besondere Rolle nimmt die Werbung jedoch in der Autoindustrie ein. Von 1900 ist eine

der ersten Annoncen erhalten, die auf das Patent des «Motor-Wagen ‹Benz›» aufmerksam

macht (PelSchol94: 25). Während in diesen frühen Annoncen die Qualität und Technik,

teilweise auch die Geschwindigkeit im Vordergrund stand, wurde schon bald die mit

dem Automobil neu gewonnene Freizeit thematisiert. Und in einer Inseratekampagne

von 1929 des Automobilherstellers ‹Horch› finden sich Sätze wie:

«Stilfser Joch... Weit unten bleibt der Wald zurück – dicht treten kahle Wände an die Strasse

heran – unabsehbar windet der Weg sich bergauf... Auf solchen Fahrten erst lernt man den

HORCH 8 richtig kennen: Seine unermüdliche Kraft – seine unübertreffliche Kurvenlage –

seine unfehlbar wirkenden Bremsen.»

(PelSchol94: 45)

Der Werbetext verspricht Glücksgefühle bei übersetzter Fahrt durch die Alpen. Das

nächste Beispiel skizziert die Gesellschaft der Schönen und Reichen, der man als Besitzer

eines Cadillac angehört:

«Gräfin Maria Esterhazy, eine der vielen vornehmen Cadillac-Besitzerinnen. Gräfin Maria

Esterhazy ist die anmutige Gattin des Grafen Esterhazy. – Er ist das Haupt der gräflichen

Linie dieses uralten, historischen Geschlechts. Die reizende junge Gräfin spielt eine

tonangebende Rolle in der vornehmen internationalen Gesellschaft.

Wie so viele distinguierte Persönlichkeiten wählte sie den Cadillac, den für festliche und

repräsentative Anlässe vorzüglich geeignete Wagen. (...)»

(ebd. 47)

Bei einer oberflächlichen Durchsicht von Werbeinseraten der 20er bis 60er Jahre fallen

immer wieder Schlagworte auf wie ‹Eleganz›, ‹Schönheit›, ‹Kultur› und ‹Temperament›,

also höchst menschliche Eigenschaften. Sie sollen die Technik hinter den Karossen

verdrängen helfen und eine emotionale Bindung zum Auto möglich machen. Solche

werblichen Anstrengungen waren bitter nötig, schlug den ‹Motorwagen› zu Beginn des

20. Jahrhunderts in Deutschland doch hauptsächlich Misstrauen entgegen (ebd. 83).

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Bis in die 70er-Jahre konnte dieses Misstrauen natürlich längst abgebaut werden. Eine

Werbung für den Volkswagen aus dieser Zeit nimmt das Gerangel um das Statussymbol

‹Auto› aufs Korn:

«Statussymbölchen.

Für viele Leute ist ein Auto nicht nur ein Auto. Sondern ein Mittel, den anderen zu zeigen,

wer man ist oder was man darstellen möchte.

Das Auto soll Reichtum dokumentieren. Oder Eleganz. Oder Kühnheit. Oder Sex. Es ist, wie

die Psychologen sagen, ein Statussymbol.

In dieser Beziehung gibt der VW wenig her.

Man sieht ihm nicht an, was sein Fahrer ist. Ob er beispielsweise Glück bei Frauen oder an

der Börse hat. Oder sogar beides. Ob er ein Grundstück im Tessin besitzt. In Bonn zur

Prominenz gehört. Platon im Original liest.

Und doch ist auch der VW so etwas wie ein – wenn auch bescheidenes – Statussymbol: Wer

ihn fährt beweist, dass er Vernunft hat und wirtschaftlich denkt. Und dass er vor allem kein

Auto braucht, um jemandem zu imponieren. Was viele bestimmt sehr imponierend finden.»

(ebd. 115)

Eine inhaltsanalytische Untersuchung müsste zeigen, welche Images die diversen

Verkehrsmittel haben. Klar ist jedenfalls, wie wichtig Werbung für die

Automobilindustrie ist. In den Jahren 1997 bis 2000 ist der Automarkt in der Schweiz

jene Branche, die – nach den Medien selber –, am meisten für Werbung in Papier- und

elektronischen Medien, sowie Plakaten ausgegeben hat. Im Jahre 2000 entspricht das

Bruttoinvestitionen von 354'724'000 sFr. Die Verkehrsbetriebe folgen weit abgeschlagen

auf Platz 24 (MTJ00: Focus Nr. 10).

2.3.2. Redaktionelle Medien

Aus der Perspektive der Politik und (Verkehrs-)Planung behandelt Peter Pez die

Möglichkeiten und Wirkungen von Öffentlichkeitsarbeit auf das Verkehrsverhalten und

Mobilitätsbewusstsein der Bevölkerung. Er nennt die üblichen PR-Instrumente wie

Pressemitteilungen, Informationsbroschüren, Plakatwerbung, Veranstaltungen, Vorträge,

Diskussionen etc. als taugliche Mittel, die Probleme des heutigen Verkehrssystems zu

verdeutlichen (Pez98:88f). Pez betont die Wichtigkeit der Vorbildfunktion der

Politikerinnen und Politiker, sowie der Verwaltung.

Natürlich nehmen die Medien die wichtige Scharnier-Funktion zwischen Politik und

Bevölkerung wahr. Solange Medien die Pressemitteilungen nicht abdrucken, nicht über

Ausstellungen und Veranstaltungen berichten, oder die Fahrrad fahrende

Bürgermeisterin portraitieren, sind die Bemühungen von Politik und Planung nutzlos.

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Pez kritisiert in diesem Zusammenhang die Medien, die «zu einem verzerrten Bild der

öffentlichen Meinung tendierten» (ebd: 89): Obwohl 80-90% der Bevölkerung

Massnahmen für den öffentlichen, Rad- oder/und Fussgängerverkehr statt für den PKW-

Verkehr bevorzugten, neigten über 50% der Kommunalpolitiker, Stadt- und

Verkehrsplaner sowie Journalisten zur Annahme, dass die Bevölkerung eher den PKW-

Verkehr bevorzugen wolle. Diese Erwartungs-Erwartung münde in einer verzögerten

Umsetzung von den ÖV bevorzugenden Massnahmen.

Bei einem kooperierenden Mediensystem glaubt Peter Pez an den Erfolg von geeigneten

PR-Bemühungen, um das öffentliche Bewusstsein auf Probleme im Verkehrssystem

aufmerksam zu machen (Pez98: 90). Unbewusst spricht Pez mit seiner Einschätzung

zwei Punkte an, welche die ‹Expertinnen/Experten-Laien›-Problematik umreissen:

1. Wertvorstellungen und Einstellungen zu Verkehr und Mobilität, sowie Images von

Verkehrsmitteln wirken nicht nur direkt, sondern – über die Erwartungs-

Erwartungen – indirekt: Mein Verhalten, beispielsweise bei der Verkehrsmittelwahl,

richtet sich nicht nur nach meinen Einstellungen zum und Imagezuweisungen an

das Verkehrsmittel, sondern nach meinen Erwartungen darüber, welche

Einstellungen andere Menschen gegenüber diesem Verkehrsmittel haben, bzw.

welche Images für sie gelten. Vielleicht habe ich dabei falsche Erwartungen, doch

das ist irrelevant, da ich gemäss meinen Erwartungs-Erwartungen handle. Die

Medienschaffenden in Pez' Beispiel glauben, die Bevölkerung bevorzuge den PKW-

Verkehr – und richten ihre Berichterstattung danach aus.

2. Expertinnen und Experten beklagen sich, die Medien würden die ‹objektiv›

erfassbare Realität nicht richtig abbilden. Der Vorwurf muss differenzierter

betrachtet werden: Medien können und sollen jene Realität, die Expertinnen und

Experten aus ihrer Sichtweise heraus konstruiert haben, nicht deckungsgleich

abbilden. Medien konstruieren ihrerseits Wirklichkeiten, die sich von jener der

Expertinnen und Experten unterscheiden kann. Auf diese Problematik geht Kapitel

3, ‹Medien konstruieren Problembewusstsein›, genauer ein.

Der Wunsch eines ‹kooperierenden Mediensystems› kann daher nicht erfüllt werden. Es

steht quer zum Selbstverständnis des Mediensystems, das unabhängig von anderen

Systemen sein will – selbstverständlich aber nicht zu 100% sein kann. Dieser nur als

Ideal existierender Unabhängigkeitswunsch ermöglicht trotzdem bis zu einem gewissen

Mass wirkungsvolle PR-Bemühungen.

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2.4. Tendenzen I

Es ist nicht zu erwarten, dass sich die grundlegenden Mechanismen des Mediensystems

im Zusammenspiel mit anderen Systemen verändern. Allerdings werden im Bereich der

Werbung und PR immer raffiniertere Strategien zum Erfolg führen. Medien erscheinen

vielfältiger auf immer mehr Kanälen (gedruckt und elektronisch, verzögert/hintergründig

und kontinuierlich/überblickend etc.), wobei interessante cross-mediale Kampagnen

möglich werden. Auch weitere Konzentrationen im Medienbereich führen zu starken

Medienkonzernen, die wirkungsvolle Kampagnen führen können.

Genau so, wie anfangs des Jahrhunderts ein positives Image des Automobils aufgebaut

werden musste, gibt es Chancen, das Image des öffentlichen Verkehrs zu verbessern. Die

Privatisierung der ehemals staatlichen Verkehrsgesellschaften könnten diesen

Imagewechsel beschleunigen, sofern ökonomische Probleme gelöst werden können.

Hingegen wird das Image der individuellen Verkehrsmittel kaum an Glanz verlieren. Es

wird nicht möglich sein, die Faszination und Emotion, die gegenüber Autos entgegen

gebracht wird, auf öffentliche Verkehrsmittel zu übertragen2 .

2 Car Sharing und Car Pooling-Projekte zeigen, wie schwer sich Autofahrerinnen und Autofahrer tun, ihr Auto mitanderen Menschen zu teilen. ‹Choice›, ein Car Sharing-Projekt in Deutschland kämpft mit den libidinösen Beziehungender Menschen zu ihren Autos (Jassner01: 63).

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3. Medien konstruieren Problembewusstsein

Die Zahlen belegen es eindeutig: Um die gegenwärtigen und zukünftigen

Verkehrsprobleme lösen zu können, müssen gewaltige Anstrengungen gemacht werden.

Für die Schweizer Bevölkerung rangiert das Problem ‹Verkehr› aber abgeschlagen auf

Platz 15 des Sorgenbarometers 2000 (GfS/CS00: 16). Nur das etwas diffusere Problem

‹Umwelt› schafft es immerhin auf den 6. Platz. Doch Herr und Frau Schweizer sorgen

sich in erster Linie um ihre Gesundheit und um die AHV (Plätze 1 und 2), und fürchten

Europa, Flüchtlinge und die Arbeitslosigkeit (Plätze 3 bis 5).

Die Gründe für diese aus wissenschaftlicher Perspektive ev. ‹unrealistische› Sichtweise

können in zwei Bereichen gefunden werden. Einerseits in der Problematik der

‹Risikokommunikation in den Medien› und andererseits – damit verquickt – in den

Mechanismen des Agenda-Settings der Medien. Vorab jedoch eine Betrachtung des

‹unterbrochenen Wahrnehmungskreislaufes› bei Umweltthemen.

3.1. Unsichtbarkeit von Umweltrisiken

Bei Themen aus den Bereichen Verkehr und Mobilität handelt es sich oft um sog.

‹Umweltprobleme› – bzw. um Phänomene, die durch die Optik der Umweltbelastung

betrachtet werden können. Dies ist beispielsweise der Fall bei Fragen rund um

Emissionen und Treibstoff, aber auch Land- und Ressourcen-Verbrauch.

Ulrich Beck verweist in ‹Risikogesellschaft› auf die Unsichtbarkeit von

Umweltbelastungen:

«Was die Gesundheit beeinträchtigt, die Natur zerstört, ist häufig für das eigene Empfinden

und Auge nicht erkennbar [...]. Ins Zentrum rücken mehr und mehr Gefährdungen, die für die

Betroffenen oft weder sichtbar noch spürbar sind, Gefährdungen, die u. U. gar nicht mehr in

der Lebensspanne der Betroffenen selbst wirksam werden, sondern bei ihren Nachkommen,

in jedem Fall Gefährdungen, die der ‹Wahrnehmungsorgane› der Wissenschaft bedürfen –

Theorien, Experimente, Messinstrumente –, um überhaupt als Gefährdung sichtbar,

interpretierbar zu werden.»

(Beck86: 35)

Die Brücke zwischen «systemischem (will heissen: im systemischen Zusammenhang

erzeugten) Wissen hin zur lebensweltlichen Öffentlichkeit» (Rey95: 27) bilden die

Massenmedien. Lucienne Rey konstruiert aus dieser Erkenntnis heraus ein ‹einfaches

Modell gesellschaftlicher Wissensvermittlung›, das wie folgt aussieht:

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Abbildung 3.1: Modellvorstellung des Verhältnisses «Individuum» – «Gesellschaft» – «Umwelt».

(nach Rey95: 28)

Nach dem Modell von Rey leisten die Massenmedien den Ersatz für die kaum mögliche

Überwindung der Wahrnehmungsschranke von Umweltrisiken. Allerdings wird durch die

‹Übersetzung› des systemischen Wissens in die Alltagssprache – eine

Komplexitätsreduktion – eine neue mediale Wirklichkeit geschaffen, die sich von der

Wirklichkeit der Expertinnen und Experten unterscheidet. Hinzu kommt die

Selektionswirkung des Mediensystems, das nach verschiedenen Kriterien funktionieren

kann (siehe dazu Kapitel 3.4, ‹Nachrichtenwerte, Schweigespirale und Agenda-Setting›).

Die Problematik des Auseinanderdriftens von System und Lebenswelt wird im folgenden

Kapitel behandelt.

3.2. Risikokommunikation in den Medien

Expertinnen und Experten sind nicht immer glücklich über die Berichterstattung der

Medien über wissenschaftlich untersuchbare Themen. Seien es die Gefahren und

Chancen der Kernenergie, die Umweltverschmutzung oder das Risiko von

Verkehrsunfällen – meistens würden Risiken und Probleme über- oder unterschätzt,

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argumentieren sie. Die Wissenschaft beruft sich auf ihr Instrumentarium, das es

ermöglicht, ‹objektive› Feststellungen und Einschätzungen zu machen. So wird der

Vorwurf laut, dass die Medien «die (durch wissenschaftliche Studien bekannte) ‹objektive

Wirklichkeit› nicht adäquat abbildeten» (Peters94: 331).

Diverse Untersuchungen können diese Differenz der Risikowahrnehmung zwischen

Expertinnen/Experten und Laien bestätigen. Hans Mathias Kepplinger untersuchte

beispielsweise die Technikberichterstattung in deutschen Zeitungen und Zeitschriften zu

den Themen Luftverschmutzung, Wasserverunreinigung, Waldschäden, radioaktive

Niederschläge sowie tödliche Verkehrsunfälle und verglich sie mit den entsprechenden

Messungen und Statistiken des Staates. Er stellte dabei fest, dass die Zunahme der

Berichterstattung über die Verunreinigung der Luft in eine Zeit fiel, «in der alle

verfügbaren Indikatoren eine Stagnation (Stickstoffoxide und organische Verbindungen)

oder aber eine Verringerung der Schadstoffbelastungen (Schwefeldioxid,

Kohlenmonoxid, Staub) anzeigten» (zit. nach Peters94: 332). Ähnlich lautet seine Bilanz

auch bei den anderen Themen.

Trotzdem: Der Journalismus soll und kann nicht einfach ein Abbild der ‹objektiven

Risiken› liefern. Peters fasst drei Gründe dafür zusammen (Peters94: 333):

1. Risiken werden sozial konstruiert und sind somit von der sie umgebenden Kultur

oder Subkultur abhängig. Bei den oben genannten ‹objektiven Risiken› handelt es

sich nur um von Expertinnen und Experten konstruierte Risiken. Daneben haben

alternative Risikokonstruktionen ebenfalls Platz, da es sich dabei um andere

Sichtweisen desselben Problems handelt.

2. Oft kommunizieren die Expertinnen und Experten keinesfalls eine Einigkeit bei der

Einschätzung von Risiken.

3. Das Ziel der Medien kann und soll nicht eine möglichst zutreffende Beschreibung

der ‹Wirklichkeit› (der Expertinnen/Experten) sein, denn daneben existieren weitere

Wirklichkeiten. Die Wirklichkeit des Mediensystems wird beispielsweise durch

Nachrichtenfaktoren beeinflusst. Diese bestimmen den Wert von Nachrichten, wobei

die Gewichtung nicht mit jener der Expertinnen/Experten-Wirklichkeit

übereinstimmen muss.

(nach Peters94: 333f)

Eine unterschiedliche Risikowahrnehmung zwischen verschiedenen gesellschaftlichen

Gruppen muss also hingenommen werden. Allerdings ist dabei von Interesse, die Art der

Unterschiede zu analysieren.

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3.3. ‹Risikowahrnehmung› bei Experten und Laien

‹Risiko› wird von den Expertinnen und Experten sicherheitstechnisch verstanden. D.h.,

dass sich dieser Risikobegriff aus den Faktoren ‹Schadenshöhe› und ‹Wahrscheinlichkeit

des Schadenseintritts› zusammensetzt. Sicherheitstechnisch gibt es so keinen Unterschied

zwischen einem jährlichen Unfall mit 1000 Todesopfern (z.B. einem Flugzeugabsturz)

und 1000 Unfällen pro Jahr mit je einem Todesopfer (z.B. Autounfällen) (Peters94: 338).

Und obwohl diese Unfälle noch gar nicht geschehen sind, können solche Zahlen

prognostisch aus bestehenden Statistiken errechnet werden.

Laien werden hingegen durchaus einen Unterschied zwischen dem jährlichen

Grossereignis ‹Flugzeugabsturz› und dem täglichen ‹Autounfall› machen. Tversky und

Kahnemann erklären dies mit einer so genannten ‹Verfügbarkeitsheuristik›:

«Gefahrenquellen, die besonders gut erinnert werden, [werden] in der Regel überschätzt

[...]; Gefahrenquellen, über die Informationen in der Erinnerung weniger leicht verfügbar

sind, werden dagegen meist unterschätzt» (zit. nach Peters94: 341). Das Grossereignis

‹Flugzeugabsturz› beispielsweise kann wahrscheinlich besser erinnert werden, wie die

vielen einzelnen (und in der Art immer ähnlich ablaufenden) Autounfälle.

Weiter beinhaltet der Risikobegriff der Laien qualitative Elemente. So werden «freiwillig

übernommene Risiken [...] bei gleicher statistischer Verlustrate wesentlich geringer

eingeschätzt als aufgezwungene Risiken. Schliesslich werden auch solche Risiken

vergleichsweise höher eingeschätzt, gegenüber denen man sich hilflos empfindet, weil

keine individuelle Einflussmöglichkeiten gegeben sind» (Peters94: 342).

3.4. Nachrichtenwerte, Schweigespirale und Agenda-Setting

Neben der unterschiedlichen Risiko-Betrachtungsweise von Expertinnen/Experten und

Laien fallen zusätzlich die Nachrichten-Auswahlmechanismen der Medien ins Gewicht.

Denn «die Medien antizipieren zu Recht, dass sich Rezipienten mehr für das

ungewöhnliche als für das Normale interessieren» (Peters94: 334). Mertens ‹Theorie der

Aktualität› nennt die Faktoren ‹Informationswert› und ‹Relevanz für den Rezipienten› als

Faktoren für den Grad der Aktualität einer Nachricht. Der Informationswert wird durch

den «Grad der Überraschung, den eine Nachricht auslöst» (ebd. 334) bestimmt. Unter

Berücksichtigung dieser Überlegungen ist klar, welche Nachrichten aus dem Bereich

Mobilität und Verkehr eine Chance haben, von den Medien aufgenommen zu werden,

und welche nicht. Der tägliche Stau ist alleine als Verkehrsmeldung von Interesse, wenn

er für den Rezipienten relevant ist – sprich: seine Fahrt beeinflussen könnte. ‹Stau› per

se als nationales Thema hingegen hat einen zu kleinen Nachrichtenwert.

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Die Wirkung, welche diese Auswahlmechanismen haben, erfasst der Agenda-Setting

Approach:

«Zwar haben die Massenmedien wenig Einfluss auf (Veränderung) von Richtung oder Stärke

von Einstellungen. Aber es kann unterstellt werden, dass die Massenmedien den Markt (der

Themen) für politische Kampagnen bestimmen, der seinerseits die Stärke von Einstellungen

gegenüber politischen Themen beeinflusst.»

(Mc Combs/Shaw 1972, zit. nach Merten94b: 318)

Gerade die Agenda-Setting-Mechanismen funktionieren gut bei Umweltthemen, die oft

nur latent vorhanden sind und nicht unbedingt an einzelnen Ereignissen sichtbar

werden (siehe dazu auch 3.1, ‹Unsichtbarkeit von Umweltrisiken›). Das ganze Jahr über

werden z.B. die Ozonwerte erfasst. Doch nur im Hochsommer werden sie an bestimmten

Tagen – z.B. wenn sie die Grenzwerte überschritten haben – von den Medien

thematisiert. Nur dann ist die hohe Ozonkonzentration ein Thema für breitere

Bevölkerungskreise. Lucienne Rey konnte nachweisen, dass die Berichterstattung über

Umweltthemen jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen ist: In der deutschweizer

Presse fand sie im Frühjahr und im Herbst besonders viele Artikel zu Umweltrisiken. Im

Sommer und Winter hingegen ging der Anteil der Artikel zurück. Zudem machte sie

Differenzen im Umfang der Umweltberichterstattung zwischen den Landesteilen aus: In

der deutschweizer Presse sind bis zu 10% mehr Umweltartikel zu finden wie in der

Westschweiz und im Tessin (Rey95: 120).

Natürlich können die Unterschiede auch durch besondere politische oder wirtschaftliche

Vorgänge erklärt werden – allerdings liegt es nahe zu behaupten, die Medien

bestimmten zu einem Teil das Ausmass der Thematisierung.

In Kombination mit den Effekten der Schweigespiralen-Theorie konstruieren die Medien

öffentliche Meinung: Diese «Orientierung an andern (meinen, was andere meinen)»

(Merten94b: 321) verstärken die als dominant unterstellten Meinungen weiter, so dass

sie tatsächlich dominant werden.

3.5. Tendenzen II

Diese Überlegungen erlauben nun, Erwartungen zu formulieren, wann und wie

Verkehrs- und Mobilitätsprobleme von der Gesellschaft überhaupt diskutiert und als

solche erkannt werden:

Augenfällige Ereignisse, welche die Lebenswelt des Menschen direkt beeinflussen, haben

die grössten Chancen, thematisiert zu werden. Folgende Prognosen können gewagt

werden:

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• Stau gehört wohl zu jenen Indikatoren, die symbolisch für ‹Verkehrsprobleme›

stehen. Er ist das Hauptargument des ÖV, um Autofahrerinnen und -fahrer zum

Umsteigen zu bewegen. Der Stau muss aber von der Politik oder den Medien zum

Thema gemacht werden, da er ansonsten nur bei Teilen der Gesellschaft als Problem

erscheint. Trotzdem bringt der Stau ein Gefühl der Gemeinschaft bei den

individuellen Autofahrerinnen und -fahrer.

Stauprobleme werden in Zukunft vermehrt auftreten und thematisiert – aber nicht

gelöst werden: «Selbst wenn in Zukunft neunmal so viel und neunmal so schnell

neue Strassen gebaut würden wie bisher, könnten damit die inzwischen

entstandenen Staus und Überlastungen des Strassenverkehrs gerade einmal auf dem

heutigen Level gehalten werden. Es wird davon ausgegangen, dass künftig mit noch

grösserem Stauaufkommen auf den Strassen zu rechnen sein wird» (Maurer00: 102).

So wird das Problem ‹Stau› der Motor der Problembewusstseins-Konstruktion

bleiben.

• Luftverschmutzung wird erst ein Thema, wenn die Auswirkungen sehr gross

werden. Solange in Städten im Freien nicht Luftfilter benutzt werden müssen oder

die Anzahl der Menschen mit Atemproblemen ansteigt, leidet Luftverschmutzung

unter dem Problem der Unsichtbarkeit von Umweltrisiken (siehe Kapitel 3.1). In der

westlichen Welt ist wegen dem hohen Entwicklungsstand der Abgastechnik nicht so

schnell mit diesem Zustand zu rechnen. Anschauungsbeispiele für die Folgen der

Luftverschmutzung liefern aber schon bald Länder wie China, Russland und

Osteuropa.

• Die Kosten der Mobilität sind bis heute noch kaum ein Thema. Mobilität ist billig,

da externe Kosten nicht auf die Benutzerinnen und Benutzer der Verkehrsmittel

überwälzt werden. Allerdings sind vor allem in Europa Bestrebungen im Gang, die

vollen Kosten der Mobilität den Verursachern in Rechnung zu stellen3 . Dieser Trend

wird sich fortsetzen. Wenn auch diese externen Kosten in die Preisbestimmungen

einfliessen, wird der Markt Transport-Alternativen interessant erscheinen lassen.

Geld ist zudem ein Thema, worauf die Gesellschaft sensibel reagieren kann.

3 Vgl. die in der Schweiz neu eingeführte Leistungsabhängige Schwerverkehrs-Abgabe (LSVA), die LKW-Fahrten in derSchweiz je nach Gewicht und Distanz der Fahrt besteuert.

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4. Medien konstruieren Problemlösungs-Technologien

In den vorigen Kapiteln wurden Medien hauptsächlich als Verbreitungsmedien

aufgefasst: Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen, Radio aber auch Werbung, PR-

Instrumente etc. Dieses Kapitel soll das Augenmerk nun auf technische

Kommunikationsmedien richten. Die enorme Entwicklung im Bereich der EDV hat eine

Generation neuer Medien hervorgebracht, die nicht ohne Auswirkungen auf die

Lebenswelt der Menschen bleiben. Nachfolgend werden diese neuen

Kommunikationsmittel genannt und deren Wirkungen auf das Verkehrs- und

Mobilitätssystem analysiert.

4.1. Neue Kommunikationsmittel mit direkter Auswirkung auf

Verkehr und Mobilität

Bei den Kommunikationsmitteln, die direkte Auswirkungen auf Verkehr und Mobilität

haben – und oft auch für diesen Zweck entwickelt wurden, handelt es sich hauptsächlich

um Telematik-Anwendungen. Diese Wortschöpfung aus den Teilen ‹Telekommunikation›

und ‹Automatik› verdeutlicht den Sinn: Einzelne Chips oder ganze Computersysteme

werden verwendet, um Informationen über Distanzen zu übermitteln und teilweise zu

analysieren. Dabei ist auch Zweiweg-Kommunikation üblich.

4.1.1. Verkehrsleit- und Informationssysteme (Planungsanwendungen)

Systeme dieser Art versorgen Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer mit

Informationen zur Verkehrslage. Dabei können solche Systeme auch

Steuerungsfunktionen übernehmen: Verkehrswege werden automatisch vorübergehend

gesperrt, sobald deren Benutzung nicht mehr sinnvoll ist (z.B. bei Stau). Auch im ÖV

übernehmen solche Systeme wichtige Funktionen: Aktive Informationssysteme

errechnen für Fahrgäste die jeweils beste Kombination von Linien um von A nach B zu

gelangen, wobei Fahrpläne und Betriebsstörungen mit einbezogen werden.

Gekoppelt mit geografischen Informationssystemen sind beispielsweise auch

Optimierungen des Güterverkehrs möglich: Dadurch ist eine ausgeklügelte Logistik

möglich, die Leerfahrten vermeiden kann.

Nicht zuletzt sind telematische Hilfsmittel nötig, um Car Sharing und Car Pooling-

Systeme angenehm gestalten zu können. Die Benutzung gemeinschaftlicher Fahrzeuge

kann unkompliziert überwacht und kontrolliert werden.

Auf den ersten Blick scheinen diese technische Innovationen einige der heutigen und

künftigen Verkehrsprobleme zu lösen. Mehrere Studien kommen aber zum Schluss, dass

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«die ungesteuerte und unkoordinierte Anwendung von Verkehrstelematik zu erheblichen

Mehrbelastungen (zum Beispiel der Umwelt) und zu weiteren unerwünschten

Nebeneffekten führen» werde (Mühle00: K-1). Denn durch die Optimierung des

Verkehrsflusses des MIV wird die Attraktivität gesteigert und der Verkehr nimmt noch

stärker zu. Auch der optimierte Güterverkehr zeitigt negative Folgen: Eine ausgeklügelte

Logistik macht grosse Lager unnötig und ermöglicht ‹Just-in-Time›-Lieferungen,

wodurch aber wieder mehr einzelne Fahrten nötig sind.

Interessant sind Telematik-Lösungen im Bereich des ÖV, wenn dieser gegenüber dem

Individualverkehr bevorteilt werden kann.

4.1.2. Kontrollanwendungen

Telematik kann auch zur Kontrolle von Verkehrsaktivitäten angewandt werden: Durch

die Erfassung einzelner Fahrzeuge können z.B. in Abhängigkeit des Fahrzeugtyps

Strassengebühren verrechnet, Geschwindigkeits- und Zufahrsbeschränkungen

durchgesetzt werden. Oder es können Überwachungsfunktionen wahrgenommen

werden: Diebstahlschutz, automatischer Notruf, Pannenhilfe oder Ladungsüberwachung.

Auch im ÖV finden solche Systeme Anwendung: Die schweizerischen Bundesbahnen

testen zur Zeit das ‹EasyRide›-System. Damit kann das Ein- und Aussteigen der

Reisenden auf einer Chipkarte und so die gefahrenen Strecken erfasst werden. Am Ende

des Monats erhält die Kundin eine Rechnung für die benutzten Dienstleistungen (Easy:

www). So soll die Benutzung des ÖV noch angenehmer und unkomplizierter gemacht

werden.

Die Wirkung bezüglich der Umwelt ist bei diesen Anwendungen tendenziell positiv:

«Anwendungen, die den öffentlichen Verkehr fördern sowie Anwendungen, die im

Privatpersonenverkehr zu Kontrollen führen [...] zeigen mehrheitlich für alle

Wirkungsfaktoren (Modalsplit, Umlagerungen, Erhöhung der Netz- und

Fahrzeugeffizienz) positive Einflüsse» (Mühle00: K7).

4.2. Neue Kommunikationsmittel mit indirekter Auswirkung auf

Mobilität und Verkehr

Aus dem Bereich der kommunikationstechnischen Entwicklungen stechen drei

Phänomene hervor: Neue Kommunikationsmöglichkeiten vermindern (Geschäfts-) Reisen

(1), sie machen den (partiellen) Einsatz von Telearbeit möglich (2) und bringen das neue

Geschäftsfeld des e-Commerce hervor (3), von dem Auswirkungen auf Verkehr und

Mobilität zu erwarten sind.

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4.2.1. Weniger Reiseverkehr dank neuen Kommunikationsmitteln?

Besonders in die Geschäftswelt haben neue Kommunikationsmittel wie E-Mail, WWW,

Videokonferenzen, Ferndiagnosen und -wartungen Eingang gefunden. Daraus lässt sich

die Erwartung ableiten, dass vor allem der Geschäftsreiseverkehr abnimmt.

Verschiedene Untersuchungen (z.B. Rang00, BuRoBo00) erwarten jedoch – wenn

überhaupt – nur eine geringe Abnahme des Reiseverkehrs dank diesen

Telekommunikationsmitteln:

«Vor dem Hintergrund einer fortschreitenden internationalen Arbeitsteilung und den

heutigen Randbedingungen, wie niedrige Transportkosten, freie Wahl der Verkehrsmittel, etc.

gehen wir jedoch davon aus, dass abgesehen von Rationalisierungs- und

Substitutionseffekten in einzelnen Bereichen insgesamt die Induktionseffekte durch den

Einsatz und die Möglichkeiten der Telematik überwiegen. Mit anderen Worten, moderne

Kommunikationsmedien erlauben es den Unternehmen, die Anzahl ihrer

Geschäftsbeziehungen zu vervielfachen und über grossräumige Distanzen hinweg mit

Partnern und Konkurrenten zusammenzuarbeiten, wodurch der Geschäftsreise- und

Güterverkehr weiter zunehmen werden.»

(Rang00: K10)

Auch zeigt sich bei der Benutzung neuer Telekommunikationsmitteln ein heterogenes

Bild. Einige Unternehmen implementieren zwar die neuen Kommunikationsmittel

schnell, ersetzen damit aber nicht konventionelle Mittel oder Tätigkeiten (wie

Geschäftsreisen). Besonders kleinere Firmen haben oft nicht die finanziellen

Möglichkeiten, um teure Kommunikationsmittel wie Videokonferenzen etc. zu nutzen

(BuRoBo00: K2f; Rang00: K7).

4.2.2. Weniger Pendelverkehr mit Telearbeit?

Die rapide Digitalisierung von Arbeitsprozessen, kombiniert mit den vielfältigen

Telekommunikationsmitteln, ermöglicht Telearbeit. Die Angestellten arbeiten

hauptsächlich zu Hause, wobei sie via Kommunikationsnetzen auf Ressourcen im

Unternehmen zugreifen und die Früchte ihrer Arbeit zurück ins Unternehmen

transferieren können.

Glaser und Vogt leiteten eine 1998/99 in Deutschland durchgeführte empirische

Untersuchung, deren Leitfrage lautete: Mehrt oder mindert Telearbeit Verkehr?

(GlaVo00) In einer Vorher-Nachher-Untersuchung wurden 80 Beschäftigte analysiert,

die im untersuchten Zeitraum mit Telearbeit begannen.

Allgemein wurde Telearbeit als erhebliche Verbesserung der Lebensqualität bewertet.

Zudem konnte tatsächlich eine Verringerung der Fahrleistungen festgestellt werden. Die

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Autoren argumentieren, dass die Telearbeitenden die Erfahrung machten, nicht mehr

täglich zur Arbeit fahren zu müssen, und dadurch «es zu schätzen [beginnen], überhaupt

weniger zu fahren» (GlaVo00: 8). Die Befragung hätte keinen Hinweis erbracht, dass die

beim Weg zur Arbeit eingesparten Wege durch mehr private Wege wieder ausgeglichen

würden.

Die Studie ergab eine Reduktion der Fahrleistungen der Befragten um 27.2%, was

hochgerechnet eine Jahresersparnis von 2579.5 km pro Person ergibt (ebd.). Weiter darf

mit einer Abflachung der Verkehrsspitzen gerechnet werden, da die Angestellten

weniger an die konventionellen Arbeitszeiten gebunden sind.

4.2.3. Auswirkungen des e-Commerce

Um e-Commerce – Handel mit hauptsächlich elektronischen Hilfsmitteln – betreiben zu

können, ist die Wirtschaft auf einige der oben erwähnten Technologien der

Kommunikation und Information angewiesen: Telekommunikation, um Bestellungen,

Nachrichten und Informationen zwischen Unternehmen (im B2B-Bereich) oder

Unternehmen und Privatkunden (im B2C-Bereich) zu transferieren, sowie elektronische

Informationssysteme, um die komplexe Logistik, die für den Warentransport vor allem

im B2C-Bereich nötig ist, zu bewältigen.

Im Kapitel 4.2.1, ‹Weniger Reiseverkehr dank neuen Kommunikationsmitteln?›, wurden

schon einige dieser Hilfsmittel bezüglich ihrer Auswirkungen auf Verkehr und Mobilität

analysiert. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle weitere Ergebnisse einer Studie zum

Thema zusammenfassen (BuRoBo00):

1. Der umfassende Gebrauch von Telekommunikationsmitteln führt bei vielen

Unternehmen zu einer Zunahme des Personals, da die Anzahl der

Kundenbeziehungen, die Produktivität und somit der Umsatz gesteigert werden

können. In «direkter oder indirekter Weise [läuft dies auf eine Zunahme] des

Warenverkehrs hinaus» (ebd.: K-3).

2. Transportkosten sind schlicht zu billig: Sie spielen für die meisten Unternehmen

keine grosse Rolle bezüglich ihres modus operandi (ebd.: K-5).

3. Der e-Commerce führt eher zu einer Verschiebung statt zu einer Reduktion der

Verkehrsleistungen: Anstelle der Kunden reisen die Waren (ebd.: K-3).

4.3. Tendenzen III

Zwar werden in Zukunft neue Kommunikationstechnologien noch stärker eingesetzt

werden und Berührungsängste verloren gehen, Verkehr wird aber nur sehr marginal

verringert werden können. In den meisten Bereichen ist mit einer weiteren Zunahme zu

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rechnen, bedingt durch die weitere Internationalisierung der Wirtschaft und

Globalisierung der Gesellschaft.

Durch Telearbeit und die weniger schematischen Arbeitszeiten flachen sich Spitzen im

Pendlerverkehr etwas ab.

Intelligente Verkehrsleitsysteme, die den öffentlichen Verkehr bevorzugen und ihn

dadurch besonders attraktiv machen, werden vor allem im Berufsverkehr Verlagerungen

auslösen. Andere technische Errungenschaften lassen die Faszination gegenüber dem

motorisierten Individualverkehr aber bestehen. Hauptsächlich im Freizeitverkehr wird

das Auto Verkehrsmittel Nr. 1 bleiben.

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5. Fazit: Medien und Mobilität – Zwillingssysteme

Medien und Mobilität – auf den ersten Blick scheinen diese beiden Begriffe nicht viel

gemeinsam zu haben. Die Berührungspunkte der beiden Systeme sind aber zahlreich,

wie ich hoffe, in dieser Arbeit ansatzweise habe zeigen können. Zum Schluss möchte ich

aber einen direkten Vergleich der beiden Systeme ‹Medien und Kommunikation› und

‹Verkehr und Mobilität› wagen.

Die Grundlage beider Systeme ist das Netzwerk. Stellt man sich die Struktur eines

beliebigen Netzwerkes vor, könnte das aussehen wie in Abbildung 5.1.

Verschiedenartige Knotenpunkte sind untereinander durch verschiedenartige Wege

verbunden.

Abbildung 5.1

Ohne Schwierigkeiten lässt sich auf dieses Grundkonstrukt eine Folie legen, welche die

Knoten und Verbindungen benennt – und zwar nach dem Muster eines

Kommunikations-Netzwerkes (Abbildung 5.2). Im Zentrum steht ein Server, der

verschiedene Clients bedient. Diese sind über verschiedene Verbindungen untereinander

verbunden. Die Verbindungen unterscheiden sich in Kapazität und Qualität. Die

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physikalisch gleiche Verbindung kann verschieden genutzt werden: Es existieren

mehrere Protokolle, welche die Art der Kommunikationsübermittlung festlegen. Mitunter

kann es zwischen diesen Protokollen zu Kollisionen und Störungen kommen. Zudem

existieren redundante, aber auch filigrane, Ausfall gefährdete Wege. Ergänzen lässt sich

dieses System durch Systeme, die den Inhalt generieren, der über das Netzwerk

transportiert wird. In der Abbildung ist ein solches System mit ‹Content-Generator›

angedeutet. Es liesse sich selbstverständlich noch weiter differenzieren.

Abbildung 5.2

Ebensogut könnte aber auch eine Folie ‹Verkehr und Mobilität› über das grundlegende

Netzwerk gelegt werden, wie Abbildung 5.3 zeigt. Anstelle von Servern und Clients sind

Städte, Stadtteile und Dörfer getreten. Das Weg-Netzwerk besteht aus breiten und

schmalen Strassen, Schienen- und Luftwegen – auch Wasserwege könnten eingezeichnet

werden. Die Verkehrswege werden teilweise von unterschiedlichen Fahrzeugen befahren.

Und wie das obige Beispiel der diversen Protokolle auf einer physikalischen Leitung

zeigt, kann es auch im Verkehrssystem zu Problemen zwischen den Benutzerinnen und

Benutzern kommen. Strassenregeln versuchen die Mobilität zu ordnen, um Kollisionen

aus dem Weg zu gehen. Redundante Wege zeichnen sich dadurch aus, dass mehrere

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Verkehrsmittel für die gleiche Bewegung benutzt werden können. Ist die Strasse wegen

Stau verstopft, kann die U-Bahn benutzt werden.

Abbildung 5.3

Systeme können sich den Bedürfnissen der Benutzerinnen und Benutzer anpassen. Der

Wunsch nach Mobilität stellt an das Kommunikationssystem Forderungen:

Kommunikation sollte nicht örtlich gebunden sein. Von jedem Punkt der Erde muss

kommuniziert werden können. Technische Entwicklungen erweitern das System.

Beispielsweise wird dem System die Möglichkeit der mobilen Kommunikation

implementiert. Wie Abbildung 5.4 zeigt, wird das Kommunikationssystem dadurch zwar

flexibler, aber auch komplexer. Neue Regeln müssen der steigenden Kollisionsgefahr

entgegen wirken. Ähnliche Folgen weist das Verkehrssystem auf, das versucht dem

Bedürfnis nach individuell angepasster und hoch entwickelter Mobilität zu entsprechen

(Abbildung 5.5). Es braucht neuartige Verkehrswege und die bestehenden Verkehrsmittel

müssen die Kapazität erhöhen. Eine Koordination des Verkehrsflusses – bzw. des

Kommunikationsflusses – wird immer schwieriger.

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Abbildung 5.4

Abbildung 5.5

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Diese Demonstration zeigt, wie ähnlich die beiden Systeme – ‹Medien- und

Kommunikationssystem› und ‹Verkehrs- und Mobilitätssystem› – sind. Anstelle des

Kommunikationssystems könnte auch ein reines ‹Mediensystem› gezeichnet werden

bestehend aus Ereignissen, Redaktionen, Rezipientinnen und Rezipienten etc. Die

Ähnlichkeit bedingt auch eine gegenseitige Beeinflussung: Mobilität macht mobile

Kommunikation nötig – neue Kommunikationsmittel verändern die Bedürfnisse

bezüglich der Mobilität der Gesellschaft.

Mit den folgenden Thesen möchte ich diese Analyse abschliessen. Es handelt sich um

Folgerungen aus diesen Similaritätsüberlegungen auf die Einschätzungen im Hauptteil

der Arbeit:

• Systeme der Kommunikation und der Mobilität haben ähnliche Strukturen und

funktionieren häufig gleich. Probleme, die im einen System auftauchen, müssen

auch im anderen System erwartet werden. Wahrscheinlich ähneln sich auch die

möglichen Lösungsansätze.

Beispielsweise findet die Idee der Komprimierung in der Netzwerktechnik auch im

Verkehrssystem Anwendung: Anstelle des Ausbaus einer Bahnstrecke von zwei auf

vier Gleise kann durch technische Hilfsmittel (Sichtsignale am Gleis werden durch

Signale im Führerstand ersetzt) die Frequenz der Züge erhöht werden.

Der Einfluss von Wertvorstellungen macht sich in beiden Systemen bemerkbar.

Images sind für den Verkauf von Mobiltelefonen ebenso wichtig wie für den Verkauf

von Autos.

• Die beiden Systeme beeinflussen sich gegenseitig stark.

Argumente für diese These finden sich in dieser Arbeit: Die Kommunikationstechnik

schafft und löst gleichzeitig Probleme im Verkehrssystem (Kapitel 4). Medien

beeinflussen Wertvorstellungen gegenüber der Mobilität (Kapitel 2) und konstruieren

(mit Hilfe anderer Akteure und Systeme) Probleme des Verkehrssystems (Kapitel 3).

• Einfache Netzwerk-Systeme funktionieren gut, wenn sie zentral organisiert und

gesteuert sind. Bei zunehmender Komplexität ist eine zentrale Steuerung nicht

mehr möglich. Mit Vorteil wird dann eine dezentrale Organisationsstruktur

entwickelt.

Diese Lösung postuliert Maurer für das Verkehrssystem (Maurer00: 150f) und zeigt

z.B. die gut funktionierende Struktur des Internets für das Kommunikationssystem.

Natürlich ist der Vergleich der Systeme ‹Medien und Kommunikation› und ‹Verkehr und

Mobilität› auf der Folie des Netzwerkes eine Konstruktion. Noch vieles könnte durch die

Brille des Netzwerkes gesehen werden. Doch wenn diese Sichtweise die Analyse solcher

Systeme vereinfacht, ist die Konstruktion legitim und sinnvoll.

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