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medium gas Das Magazin für die Kunden und Partner der VNG-Gruppe | 19. Jahrgang | 3. Ausgabe | Oktober 2010 Energie mit Zukunft – Zukunft mit Energie Interview „Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass jeder Haushalt ein Mikro-BHKW im Keller stehen hat“ Seite 26 Trendforschung 2020 So leben wir in der Zukunft Seite 38

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medium gasDas Magazin für die Kunden und Partner der VNG-Gruppe | 19. Jahrgang | 3. Ausgabe | Oktober 2010

Energie mit Zukunft – Zukunft mit EnergieInterview„Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass jeder Haushalt ein Mikro-BHKW im Keller stehen hat“Seite 26

Trendforschung 2020So leben wir in der ZukunftSeite 38

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Inhalt

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Impressum

medium gas Das Magazin für die Kunden und Partner der VNG-Gruppe | VNG – Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft | Braunstraße 7 | 04347 Leipzig | Postfach 24 12 63 04332 Leipzig | Tel. 0341 443 - 0 | Fax 0341 443 - 2057 | www.vng.de | Redaktion Unternehmenskommunikation | Verantwortliche Redakteurin Mandy Nickel Tel. 0341 443 - 2045 | [email protected] | Redaktionsbeirat Winfried Becker, Mike Diekmann, Christian Dubiel, Tino Falley, Carina Fiedler, Madlen Geyer, Bernhard Kaltefleiter, Siegbert Ketelhut, Kerstin Kietzke, Dr. Stephan Krein, Heinz Möller, Olaf Schneider, Jan Schuster, Lydia Schuster, Susann Surma Redaktionsschluss für diese Ausgabe 16.10.2010 | für die nächste Ausgabe 22.11.2010 | Auflage 4 200 | Gestaltung, Herstellung | Militzer & Kollegen GmbH Reproduktion und Druck Scan Color Leipzig GmbH | Fotos wenn nicht anders angegeben VNG | Foto Titelseite Dirk Brzoska.

Aktuell

Markt

Schwerpunkt

AKTUELL

4 Aktuelle Nachrichten

aus der Energiewirtschaft

und Energiepolitik

6 Führungswechsel bei VNG vollzogen

8 Interview: „Es ist für uns wichtig,

unsere Produktion langfristig und

nachhaltig aufzubauen“

MARKT

12 Ardagh Glass

Ein Werk mit glasklaren Aussichten Germersheimer Firma ist größter

Hersteller von Verpackungsglas in

Europa.

18 Erdgastechnik

Zwei in einem Mit den Wärmepumpen von Buderus

steht neue Erdgastechnik in den

Startlöchern.

22 VNG bündelt

Trainingsprogramme

22 Referenzobjekte gesucht

für Feldtestversuche

mit Gaswärmepumpen

23 Termine

SCHWERPUNKT: ENERGIE MIT ZUKUNFT – ZUKUNFT MIT ENERGIE

26 Interview

„Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass jeder

Haushalt ein Mikro-BHKW im Keller stehen hat“ Diesen Wunschgedanken

hegt Robert Scheler vom

VNG-Technologie-Center.

32 Zukunftsenergie

Von der Vision zur Wirklichkeit Bioerdgas ist Brückentechnologie

für die Energiewende – wird aber

noch eingebremst.

36 Nachgefragt

Mit Gas die wirtschaftlichen Effekte deutlich steigern und gleichzeitig die Umwelt schonen

VNG-Vorstand Uwe Barthel weiß um die

Vorteile von Erdgas und Bioerdgas.

38 Trendforschung 2020

So leben wir in der Zukunft! Der Ausblick auf die kommenden

Jahre ist technologisch – nicht nur für

die Energieversorgung.

41 Illustration

42 Innovation

Erdgas als Schiffstreibstoff – Experten erwarten LNG-Zeitalter auf Hoher See LNG soll bald auch in der Frachtschiff-

fahrt zum Standardkraftstoff für die

Schiffsmotoren werden.

UMSCHAU

44 WEC-Kongress

Energiebranche und Politik diskutieren über Versorgungssicherheit

und weltweiten Klimaschutz In Montreal ging es um die

zukünftigen Herausforderungen

der Energieversorgung.

Unser Titelmotiv:

Dipl.-Ing. Marcus Reger ist der „Chefkonstrukteur“ für

das Kirsch HomeEnergy microBHKW L 4.12. Das Gerät

wurde von VNG und der Firma Kirsch gemeinsam ent-

wickelt und in Trier auch auf Herz und Nieren geprüft.

Das neuartige Mini-BHKW wird ein Baustein in der

Energieversorgung der Zukunft sein – so zumindest

propagiert es auch die Bundesregierung. Foto: Dirk Brzoska

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3 medium gas | 2010.3Editorial

Bernhard Kaltefleiter,

Leiter Unternehmenskommunikation

47 EU-Energiepolitik

Die neue Erdgasversorgungs- sicherheits-Verordnung – Ergebnis der Verhandlungen auf EU-Ebene und Ausblick Neue Verordnung soll zukünftig

Gaslieferengpässen in Europa

vorbeugen.

50 Nachgefragt

Ein Fall für Charlotte Honigbiene Charlotte –

das Maskottchen der VNG Norge –

beantwortet Ihre Fragen zum

E&P-Geschäft.

52 Russland

2009 – das Jahr der Heraus- forderungen und Möglichkeiten Gazprom stellt Geschäftszahlen

vor und gibt Ausblick.

FEATURE

54 10 Gründe, die ukrainische Haupt-

stadt Kiew zu besuchen

56 Olympiastützpunkte im sportlichen

Wettstreit

57 Berliner Band und Feuerwehr-

kapelle rockten in Leipzig

58 Painted in Cracow – Junge polnische

Malerei aus Krakau

Umschau

Feature

Ihr Bernhard Kaltefleiter

Erdgas und die Zukunft

Liebe Leserinnen und Leser,

welche Rolle wird Erdgas in den kommenden

Jahrzehnten spielen? Hellseherei bringt uns der

Antwort nicht näher, ein Blick auf das im Sep-

tember veröffentlichte Energiekonzept schon

eher. Ehrgeizige Ziele sind darin festgeschrie-

ben: Ausbau der erneuerbaren Energien, Energieeinsparung sowie Minderung

der Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahre 2050. Das deutliche Bekenntnis zu

Solar, Biomasse und Co. ist deshalb eine folgerichtige Entscheidung.

Allerdings lässt das Konzept noch wichtige Fragen zum Einsatz von Erdgas offen.

So bleiben marktgerechte und effiziente Technologien wie Kraft-Wärme-Kopplung

im Energiekonzept ebenso unberücksichtigt wie die Vorzüge von Erdgas im

Hinblick auf seine niedrigen Schadstoffemissionen.

Es ist unverkennbar, dass die politischen Rahmenbedingungen – wenn sie so

bleiben – für den Energieträger Erdgas eine große Herausforderung darstellen.

Umso wichtiger ist es, Politikern und Verbrauchern weiterhin die Vorzüge von

Erdgas zu zeigen, gemeinsam mit anderen Erdgasunternehmen und Marktpart-

nern das Produkt konsequent zu fördern, aber auch die bisherigen Aktivitäten

in Richtung zukunftsweisende Energieversorgung fortzuführen.

VNG hat sich schon lange auf diesen Weg begeben. Bioerdgas ist längst ein

Thema, ebenso neue Technologien bei der Speicherung. Zusätzlich unterstützt

VNG den Einsatz von KWK mit einem eigenen Anreizprogramm, führt Feldtest-

studien durch und entwickelt gemeinsam mit Herstellern neue Heizgeräte. Seit

vielen Jahren gehen wir diese Schritte nicht alleine, sondern zusammen, auch

mit unseren kommunalen Partnern.

Für uns sind die Aktivitäten jenseits vom eigentlichen Verkaufsgeschäft in

zweierlei Hinsicht bedeutungsvoll. Zum einen ist es wichtig, die Innovations-

fähigkeit unseres Produktes ständig auszubauen. Zum anderen wollen wir

damit natürlich auch deutlich machen, welches Potenzial im Energieträger

Erdgas steckt. Erdgas ist leistungsstark und flexibel, es bietet vielfältige und

effiziente Anwendungsmöglichkeiten und es lässt sich ideal mit erneuerbaren

Energien kombinieren.

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Azubis füllen SchultütenZum 20. AG-Jubiläum von VNG hatten die VNG-Azubis eine

besondere caritative Idee. Sie veranstalteten einen Kuchen-

basar, um mit den Erlösen die Aktion „Zuckertüte“ der Stiftung

„Bürger für Leipzig“ zu unterstützen. Knapp 700 Euro kamen

an einem Nachmittag zusammen – ausreichend für 30 mit

Schulmaterial und Stiften gefüllte Zuckertüten.

Weitere Informationen: www.buerger-fuer-leipzig.de

VNG handelt Erdgas in GroßbritannienSeit September dieses Jahres ist VNG als Händler am National

Balancing Point (NBP) des britischen Netzbetreibers National

Grid registriert. Damit weitet VNG seinen Spot- und Terminhan-

del auf den bedeutendsten Handelsmarkt für Erdgas in Europa

aus. „Die Registrierung ist ein weiterer wichtiger Schritt in der

Intensivierung der Gashandelsaktivitäten von VNG in Europa“,

sagte Michael Ludwig, Vorstand Gasbeschaffung von VNG.

Das Leipziger Unternehmen war bisher an den kontinental-

europäischen Gashandelsmärkten in Deutschland (GASPOOL

und NCG), Belgien (Zeebrugge Hub), den Niederlanden (TTF),

Frankreich (PEG Nord, PEG Sud), Österreich (Baumgarten Hub)

und diversen europäischen Im- und Exportpunkten aktiv. 2009

bezog VNG 22 Prozent des Erdgases über den europäischen

Spot- und Terminhandel, doppelt so viel wie 2008.

In Birkenwerder fließen 20 % Bioerdgas in den Tank

Die VNG-Erdgastankstellen

GmbH erhöhte im Septem-

ber an ihrer Erdgasstation

in Birkenwerder die Bioerd-

gas-Beimischung von 10 auf

20 Prozent. Die in unmittel-

barer Hauptstadtnähe gele-

gene Tankstelle ging 2008

in Betrieb. Der monatliche

Absatz ist seitdem von 3 000

auf über 15 000 Kilogramm

Erdgas im Juli dieses Jahres gestiegen. Derzeit baut die VNG-T

in Berlin an der TOTAL-Tankstelle in der Chausseestraße eine

weitere Erdgastankstelle. Im Herbst 2010 soll die Zapfsäule

ebenfalls mit einem Bioerdgas-Anteil von 20 Prozent in Be-

trieb gehen.

Friedeburg/Etzel

Jemgum

VNG baut Kapazitäten zur Erdgas-speicherung aus

VNG erweitert ihre Aktivitäten zur Erdgasspeicherung und

engagiert sich erstmals mit dem Ausbau der Untergrundgas-

speicher in Etzel und Jemgum auch bei Projekten im Nordwesten

Deutschlands. VNG wird dazu eine dreistellige Millionensumme

in die Speicherausbauprojekte investieren. Aktuell ist VNG mit

vier Speichern im mitteldeutschen Raum und einer Gesamt-

kapazität von rund 2,6 Milliarden Kubikmetern der drittgrößte

Speicherbetreiber in Deutschland.

Weitere Informationen zu den Speicherstandorten von VNG unter www.speicherportal.vng.de

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Angela Merkel (re.) und Toralf Michaelsen, Director Market Supervision bei der EEX.

VNG erhält IT-Sicher-heitszertifizierungDas Prozessinformationszentrum von VNG erfüllt die Anforde-

rungen an die ISO 27001-Norm. Das wurde dem Unternehmen

jetzt auch von offizieller Seite durch den TÜViT bestätigt. Die

Zertifizierung setzt voraus, dass ein Informationssicherheits-

management-System existiert, welches die Voraussetzungen

für eine umfassende, unternehmensweite Informations- und

Datensicherheit schafft.

Einigkeit über Verordnung zur GasversorgungssicherheitDas EU-Parlament und die EU-Mitgliedstaaten konnten eine

Einigung über die Ausgestaltung der Verordnung zur Gewähr-

leistung der sicheren Erdgasversorgung erzielen. Für Bundes-

wirtschaftsminister Rainer Brüderle ist die neue Regelung ein

klares Signal, dass man in der EU bei zukünftigen Lieferunter-

brechungen gemeinsam und solidarisch handeln werde. „Die

Verordnung wird wesentlich zur Vorsorge und Bewältigung

möglicher Gasversorgungskrisen beitragen“, so Brüderle.

Lesen Sie dazu auch einen Beitrag auf Seite 47 in dieser Ausgabe.

Zunehmend Erdgasautos in Ostdeutschland unterwegs

Auf den Straßen im Freistaat Sachsen und Sach-

sen-Anhalt fahren immer mehr Erdgasautos. Die

Zulassungszahlen würden von Jahr zu Jahr stei-

gen. Das gab der Initiativkreis Erdgasfahrzeuge

Sachsen/Sachsen-Anhalt bekannt. So seien derzeit jeweils

in Sachsen und Sachsen-Anhalt etwa 2600 Erdgasfahrzeuge

angemeldet, in ganz Deutschland seien es knapp 90 000. Ende

2004, als sich der Initiativkreis in Mitteldeutschland gründete,

seien im Freistaat nur 860 Erdgasfahrzeuge zugelassen gewe-

sen, in Sachsen-Anhalt 850 und deutschlandweit etwa 27000.

Bundesregierung stellt Gesetz zur CO2-Speicherung vorZur Erreichung der Klimaschutzziele will die Bundesregierung

in den nächsten Jahren die unterirdische Speicherung von

Kohlendioxid vorantreiben. Das Bundeswirtschaftsministerium

und das Bundesumweltministerium verständigten sich auf

Eckpunkte, die die Erprobung der sogenannten CCS-Technologie

in den nächsten Jahren ermöglichen sollen. Sie sehen unter

anderem vor, dass die jährliche Speichermenge an CO2 bundes-

weit acht Mio. Tonnen nicht überschreiten darf. Jeder Speicher

darf maximal drei Tonnen CO2 pro Jahr aufnehmen. Betroffene

Kommunen sollen einen finanziellen Ausgleich erhalten.

Merkel will Leipzig als EU-Handelsplatz für EnergieBundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich dafür ein, dass die

Europäische Energiebörse (EEX) in Leipzig zur zentralen Platt-

form für den Energiehandel in der Europäischen Union wird.

Sowohl beim Strom-, Gas- und Zertifikatehandel für Treibhaus-

gase sei der Standort sehr gut platziert, betonte Merkel bei

ihrem Besuch in der Messestadt. „Es ist wünschenswert, dass

Leipzig eine sehr dominante Rolle hat.“ Beim Strom helfe die

enge Zusammenarbeit mit Frankreich dabei, dass Leipzig einen

wesentlichen Beitrag für die Energiepolitik in Europa leiste.

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Führungswechsel bei VNG vollzogen

Von Thomas Stein, freier Journalist

Wenn nach zwanzig Jahren der Vorstandsvorsit-

zende eines renommierten Unternehmens sei-

nem Nachfolger Platz macht, interessiert das

nicht nur Gesellschafter, Kunden und Mitarbeiter,

sondern eine breite Öffentlichkeit. Mit entspre-

chender medialer Aufmerksamkeit ist deshalb

Anfang September die Staffelstabübergabe von

Prof. e. h. Dr.-Ing. Klaus-Ewald Holst an Dr. Karsten

Heuchert registriert worden. Es war ein Wechsel,

der lange und gründlich vorbereitet worden war.

Die Mühe hat sich gelohnt, der Übergang wurde

mit Kontinuität vollzogen.

Dr. Karsten Heuchert ist VNG seit langem eng

verbunden. Er verweist darauf, dass er sich be-

reits im Jahr 1990 zu ersten Gesprächen mit

Dr. Karsten Heuchert (li.) übernahm Anfang September die Amtsgeschäfte von seinem langjährigen Vorgänger Dr. Klaus-Ewald Holst. Foto: Dirk Brzoska

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seinem späteren Nachfolger getroffen habe. Der

promovierte Jurist war zunächst Mitarbeiter, dann

Leiter der Rechtsabteilung in der Wintershall.

1994 entsandte Wintershall ihn zum ersten Mal

in den Aufsichtsrat von VNG. Das Mandat nahm

er zunächst bis 1997 und dann wieder von 2001

bis 2009 wahr. In der Zeit zwischen Mai 2007

und September 2009 war er Vorsitzender des

Aufsichtsrats und stand VNG beim Erhalt der Ei-

genständigkeit zur Seite. Damals waren es nicht

zuletzt die kommunalen Anteilseigner, die sich

in dieser Auseinandersetzung engagiert hatten.

Heute kann Dr. Heuchert sagen: „Die kommunale

Verankerung von VNG durch die ostdeutschen

Städte und Gemeinden, die inzwischen wieder

gewährleistet ist, trägt dazu bei, dass Ruhe in

das Unternehmen einkehrt.“

Der neue Vorstandsvorsitzende hat gleich in sei-

ner ersten öffentlichen Stellungnahme deutlich

gemacht, welche Schwerpunkte er setzen will. In

einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“

stellte Dr. Heuchert klar: „Unser Kernmarkt ist und

bleibt Ostdeutschland.“ Zudem habe sich VNG in

den zurückliegenden Jahren international aufge-

stellt und sei in die Exploration und Förderung

von Erdgas und Erdöl eingestiegen. „Auf dieser

Strategie möchte ich aufbauen und möchte sie auch

ausbauen“, erklärte Dr. Heuchert. Es gehe nicht um

einen Expansionskurs, sondern um „profitables

Wachstum“. „Umsatz ist keine Zielgröße – schon

wegen der Preisbindung an das Erdöl. Wir schauen

mehr auf den Absatz.“

VNG sei zwar ein Unternehmen, das wie jedes

andere nach den Gesetzen des Marktes handele.

Für ihn spiele aber auch die emotionale Seite eine

wichtige Rolle: „VNG und Leipzig sind immer eine

Herzensangelegenheit für mich gewesen.“ Die

vielen Glückwünsche, die er aus dem Haus und von

außerhalb zu seinem Amtsantritt entgegennehmen

konnte, werden den neuen VNG-Chef darin bestärkt

haben, mit Leipzig den richtigen Ort und mit VNG

das passende Unternehmen gewählt zu haben.

Nach den Worten von Dr. Heuchert ist VNG ein

„hervorragend aufgestelltes Unternehmen“, das

für ihn eine große Herausforderung bedeute. Sei-

Thomas Stein ist seit Jahrzehnten als Journalist für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten

tätig. Seine Schwerpunkte sind Politik und Wirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern.

Seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bearbeitet er auch regelmäßig energie-

wirtschaftliche Themen.

Unser Autor

nen Dank sprach Dr. Heuchert vor allem seinem

Vorgänger Prof. e. h. Dr.-Ing. Klaus-Ewald Holst

aus, der großen Anteil daran habe, dass VNG so

gut im Markt positioniert ist.

Dessen Verabschiedung in den Ruhestand, nach

20 Jahren an der Spitze des Konzerns, war so-

gleich auch Anlass für manche Erinnerung an

bewegte Zeiten, an sein couragiertes Handeln

und seinen offenbar nie versiegenden Humor

auch in schwierigen Situationen. Ein besonderes

Lob erteilte aus der Ferne Dr. Klaus Liesen, 1990

Vorstandsvorsitzender der Ruhrgas AG und bis

heute einer der legendären Wirtschaftsführer

in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Sein

Unternehmen wurde mit 35 Prozent der erste

Großaktionär von VNG. Man habe damals kurzzei-

tig daran gedacht, selbst die Führung bei VNG zu

übernehmen, erzählt Dr. Liesen in der Erinnerung.

Dann aber habe man sich dafür entschieden,

VNG als eigenständiges Unternehmen am Markt

agieren zu lassen.

Bei der offiziellen Verabschiedung von Dr. Holst

drückte der Aufsichtsratsvorsitzende von VNG,

Dr. Rainer Seele, aus, was viele noch aus eigener

Anschauung miterlebt hatten: Klaus-Ewald Holst ist

einer, „der Geschichte geschrieben hat“. Dr. Seele

ordnete dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden

drei zentrale Eigenschaften zu, die sein Denken

und Handeln bestimmt hätten: „Courage, Kom-

petenz, Kollegialität“. Alle, die ihn auf seinem

erfolgreichen Weg begleiteten, wissen, dass diese

Beschreibung absolut zutreffend ist – aber kei-

neswegs vollständig.

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Interview

„Es ist für uns wichtig, unsere Produktion langfristig und nachhaltig aufzubauen“

Herr Ludwig, 2006 ist VNG mit einer eigenen

E&P-Gesellschaft in Norwegen gestartet, 2009

wurde die Endeavour Energy Norge AS (EEN)

übernommen, damit der Einstieg als Produzent

besiegelt. Auf der ONS 2010 hat das Unternehmen

nun das nächste Upstream-Kapitel eingeläutet –

einen Lizenzerwerb auf dem Dänischen Kontinen-

talschelf. Was bedeutet dieser Schritt für VNG?

Zunächst ist die Gründung der VNG Danmark ApS

(VNG Danmark) mit Sitz in Kopenhagen und der

Erwerb von Lizenzanteilen auf dem Dänischen

Kontinentalschelf ein weiterer Meilenstein für

unser angestrebtes Wachstum im E&P-Geschäft.

Der Schritt, die Suche nach Kohlenwasserstoffen

nun auch auf den Dänischen Kontinentalschelf

auszuweiten, lag nahe, da sich das bisherige

Fokusgebiet der VNG Norge AS (VNG Norge) in

unmittelbarer Nähe befindet. Wir ergreifen damit

die Chance zu einer ersten geografischen Diver-

sifizierung unseres E&P-Geschäftes. Das erhöht

unsere Erfolgschancen und vermindert gleichzeitig

die strategischen Risiken.

Zwei Projekte verfolgt die Tochter der VNG Norge

bereits. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?

Hierbei handelt es sich um unsere Anteile an den

Lizenzen DK 4/98 und DK 3/09 mit der Svane-

Gasentdeckung und dem Solsort-Ölprospekt,

die für uns geologisch und wirtschaftlich sehr

attraktiv sind. Beide Lizenzen liegen im Zentrum

eines hochprospektiven, aussichtsreichen Be-

Ende August fand in Stavanger die weltweit zweitgrößte Messe für Öl und Gas – die Offshore Northern Seas (ONS) – statt. Anlässlich dessen verkündete VNG die Gründung der VNG Danmark ApS und den neuesten Lizenzerwerb im Nachbarland Dänemark. medium gas sprach mit Beschaffungsvorstand Michael Ludwig über die Upstream-Geschäfte von VNG.

Michael Ludwig,

Vorstand Gasbeschaffung bei VNG

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reiches der Dänischen Nordsee mit zahlreichen

Gas- und Ölentdeckungen. Wir gehen von einem

großen Potenzial für weitere Untersuchungen und

mögliche Funde aus.

In Norwegen haben sich die Explorationskosten

für VNG im vergangenen Jahr stark erhöht. Das

Lizenzportfolio der VNG Norge ist von acht auf

25 Lizenzen gestiegen und es wurden sieben

Bohrungen abgeteuft. Auch in Dänemark werden

weitere Kosten entstehen. Kann Deutschlands

Top-3-Importeur diese Kosten stemmen?

Der Aufbau eines E&P-Geschäfts ist immer mit

hohen Anfangsinvestitionen verbunden, die sich

erst nach einiger Zeit auszahlen. Unternehmen

brauchen hier den sprichwörtlich langen Atem.

Im Erfolgsfall lassen sich aber hohe Erlöse er-

zielen. Damit lohnen sich auch die anfänglichen

Investitionen wieder.

Die Herausforderung besteht darin, die richtigen

Entscheidungen zu treffen und die vorhandenen

finanziellen Mittel klug und bedachtsam einzu-

setzen. Der oberste Grundsatz ist aber: Wir

müssen uns die Investitionen immer auch leisten

können.

Wie hat es die VNG Norge geschafft, in den ver-

gangenen vier Jahren so schnell und doch so

strukturiert und nachhaltig zu wachsen? Dafür

braucht es ja nicht nur den finanziellen Zuschuss

aus Leipzig, sondern auch qualifizierte Mitarbei-

ter vor Ort.

Das kann ich mit Stolz betonen: Grundlage für

unser erfolgreiches und nachhaltiges Wachstum

bilden unsere Mitarbeiter. Ohne ihr ausgezeichne-

tes Know-how, ihre Kreativität und ihren Einsatz

wäre die positive Entwicklung in den letzten Jahren

nicht möglich gewesen.

Im Durchschnitt hat jeder der heute rund 50 VNG-

Norge-Mitarbeiter 16 Jahre Berufserfahrung. Damit

sind wir in Norwegen gut aufgestellt. Weiterhin

haben wir in Leipzig ein erfahrenes Team von

Upstream-Experten, das sehr eng mit den norwe-

gischen Kollegen zusammenarbeitet. Der große

Erfahrungsschatz aller Mitarbeiter kommt uns bei

unseren E&P-Aktivitäten sehr zugute – und hat

uns schon jetzt weit vorangebracht. VNG Norge

ist bereits heute ein anerkanntes, wenn auch

kleines Unternehmen der E&P-Branche auf dem

Norwegischen Kontinentalschelf.

2009 war für VNG in Norwegen ein positives Jahr,

immerhin konnte ein großer Fund im Agat-Feld

gefeiert werden. Ist schon sicher, ob die Funde

wirtschaftlich sind, um ausgebaut zu werden?

Ende letzten Jahres konnten wir im Agat-Feld mit

der Cyclops-Bohrung einen Fund nachweisen, der

Hoffnung macht. Nach vorläufigen Berechnungen

weist das Agat-Feld mittlere, bedingte Gasreserven

in Höhe von rund 8 Mrd. Sm³ auf.1 Gegenwärtig

laufen die Auswertungen der Bohrung. Die gestal-

ten sich jedoch zeitaufwändiger als wir zu Beginn

angenommen haben, sind aber notwendig, um

fundierte Aussagen über die geologischen Ge-

gebenheiten treffen zu können und die Lage für

eine Erweiterungsbohrung zu bestimmen. Erst mit

dieser weiteren Bohrung werden wir genau sagen

können, wie aussichtsreich eine wirtschaftliche

Entwicklung des Feldes ist.

In einer norwegischen Zeitung war zu lesen, dass

VNG Norge ihre Anteile am Agat-Feld teilweise

veräußern will. Warum dieser Schritt, wenn das

Feld so erfolgversprechend ist?

Es ist üblich im E&P-Geschäft, Anteile von ge-

ringerer Höhe an Produktionslizenzen zu halten.

Dies, um geologische und finanzielle Risiken zu

verringern. Der derzeitige mit 85 % verhältnismäßig

hohe Anteil der VNG Norge an der PL 270 ist auf

den Erwerb der EEN in 2009 zurückzuführen. VNG

Norge ist daher bestrebt, einen Teil der Anteile zu

veräußern. Der Veräußerungsprozess soll noch in

diesem Jahr starten.

1 Anmerkung der Redaktion:

Auf VNG Norge entfallen derzeit 85 % dieser Mengen

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Was geschieht mit den anderen Lizenzen in Nor-

wegen und Dänemark, bei denen Entdeckungen

gemacht wurden?

Neben dem Gasfund im Agat-Feld ist VNG Norge

an zwei weiteren Entdeckungen auf dem Norwe-

gischen Kontinentalschelf beteiligt, allerdings

nur mit geringen Anteilshöhen. Hierbei handelt

es sich um die Gasentdeckung Noatun C in der

PL 107 und die Ölentdeckung Gygrid in der

PL 348. Auf dem Dänischen Kontinentalschelf

ist VNG Danmark mit 15 % an der bedeutenden

Gasentdeckung Svane beteiligt. Eine Erweite-

rungsbohrung ist in den nächsten anderthalb

Jahren geplant. Erst dieses Ergebnis wird uns

fundierte Aussagen über die Größe des Gas-

fundes liefern.

In der Vergangenheit wurde von 1,5 Milliar-

den Sm3 Erdgas, die VNG ab dem Jahr 2017 aus

dem Upstream-Geschäft gewinnen möchte,

gesprochen. Bleibt es bei diesem ehrgeizigen

Ziel?

Mengenvorgaben und bestimmte Produktions-

erwartungen dienen der Orientierung. Vor einer

Bohrung weiß man allerdings nie genau, ob und

wie viel Erdgas oder Öl sich im Gestein darunter

befindet und ab welchem Zeitraum wie viel da-

von zu wirtschaftlichen Bedingungen gefördert

werden kann. Das von Ihnen genannte Produk-

tionsziel könnten wir relativ schnell erreichen,

wenn wir bereits entwickelte Reserven oder

produzierende Felder kaufen würden. Das ist

jedoch nicht in unserem Interesse, weil dieses

anorganische Wachstum in der Regel kaum

Wertschöpfung bietet und man die schnellen

Erfolge und Erlöse womöglich sogar teuer be-

zahlen muss.

Das heißt im Umkehrschluss: VNG setzt eher auf

ein langsames und konstantes Wachstum?

Richtig. Es ist für uns wichtig, unsere Produktion

langfristig und nachhaltig aufzubauen und über den

Erwerb von Produktionslizenzen zu wachsen, die

sich in einem Explorations- bzw. Pre-PDO2-Stadium,

kurz in einem frühen Stadium, befinden. Dabei

streben wir ein ausgewogenes Lizenzportfolio an,

um die Produktionsrate konstant halten zu können.

Unser vorrangiges Ziel ist es, unsere Upstream-

Aktivitäten als einen stabilen Geschäftsbereich

innerhalb der VNG-Gruppe aufzubauen. Dieser soll

sich langfristig selbst tragen und nicht dauerhaft

von der finanziellen Unterstützung der VNG abhän-

gig sein, sondern einen wesentlichen Beitrag zum

Unternehmensergebnis leisten.

Angesichts eines Überangebotes an Erdgas im

europäischen Markt stellt sich die Frage: Lohnt

die Eigenproduktion heute überhaupt noch?

Wir sagen ganz klar Ja zur Eigenproduktion, da

eigene Produktionsmengen unser klassisches

Handelsgeschäft absichern und zur Portfolioop-

timierung beitragen können. Natürlich standen

Angebot und Nachfrage nach Erdgas im ver-

gangenen Jahr in keinem Verhältnis; die Preise

waren entsprechend niedrig. Wir sehen die Ur-

sachen in den Auswirkungen der Wirtschafts-

krise und einem Überangebot an LNG. Auch in

dieser Situation haben wir mit unserer laufenden

Produktion aus den Feldern Njord und Brage

Geld verdient. Das macht deutlich, wie wichtig

kluge und bedachtsame Investitionsentschei-

dungen sind. Dessen ungeachtet zeigen die

Preise an den Spot- und Terminmärkten derzeit

aber auch wieder nach oben, der Markt regelt

sich ständig neu.

Fortsetzung von Seite 9

„Es ist für uns wichtig, unsere Produktion langfristig und nachhaltig aufzubauen“

2 PDO = Plan of Development

and Operations

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Mit der Suche und Förderung von Erdgas verfolgt VNG seit dem Jahr 2006 ein zentrales Vor-

haben der weiteren Diversifizierung des Bezugsportfolios. Sie ist ein wichtiger Eckpfeiler

für die Versorgungssicherheit unserer Kunden in Deutschland und Europa. VNG besitzt über

die in Stavanger und Oslo ansässige VNG Norge AS (VNG Norge) Anteile an vierundzwanzig

Produktionslizenzen (Stand: 31. August 2010) zur weiteren Exploration und Entwicklung bis

hin zur Förderung von Gas und Öl und agiert als Betriebsführer auf dem Norwegischen Kon-

tinentalschelf. Im Bereich des Dänischen Kontinentalschelfs ist VNG über die VNG Danmark

ApS an zwei Lizenzen beteiligt.

Die rund fünfzig Mitarbeiter der VNG Norge verfügen über besondere Qualifikationen in den

Bereichen Exploration, Gaslagerstättenevaluierung, Bohrvorbereitung und -durchführung

sowie Produktion. Dabei werden sie von E&P-Spezialisten der VNG fachlich unterstützt.

Exploration und Produktion ist für VNG ein Eckpfeiler der Versorgungssicherheit

www.vng.de | www.vng.no

VNG ist im Sommer 2006 mit der Gründung der E&P-Tochtergesellschaft VNG Norge AS (VNG

Norge) in das Upstream-Geschäft auf dem Norwegischen Kontinentalschelf eingestiegen.

Wenig später hatte das norwegische Öl- und Energieministerium der VNG eine Präqualifi-

zierung erteilt, die zum Erwerb von Förderlizenzen berechtigt. Nur ein Jahr später, im Juli

2007 erhielt die VNG Norge die ersten Lizenzen vom norwegischen Staat.

Ein erster Meilenstein im Upstream-Geschäft wurde im April 2009 besiegelt, als VNG die

Endeavour Energy Norge AS (EEN) erwarb. Die VNG Norge vergrößerte damit ihr Lizenz-

portfolio auf über 20 Lizenzen, wurde Betriebsführer in einigen dieser Lizenzen und

erhielt erstmals Anteile an produzierenden Feldern (Brage und Njord). Die Integration

und Verschmelzung von VNG Norge und EEN zur heutigen VNG Norge mit den Standorten

Stavanger und Oslo verlief erfolgreich.

Ein weiterer Meilenstein ist die Gründung der VNG Danmark ApS (VNG Danmark) als

100%-ige Tochtergesellschaft der VNG Norge. VNG Danmark wird für die E&P-Aktivitäten

der VNG im dänischen Teil der Nordsee zuständig sein. Die Gesellschaft hat vorläufig kein

eigenes Personal, da die geologischen und operativen Arbeiten von der VNG Norge auf

Grundlage entsprechender Dienstleistungsverträge durchgeführt werden.

VNG Norge AS und VNG Danmark ApS

Grundsätzlich gilt: Erdgas ist und bleibt eine wich-

tige Säule im Energiemix. Da Erdgas als fossiler

Energieträger der Menschheit nur in begrenztem

Maße zur Verfügung steht, gleichzeitig aber der

weltweite Energiebedarf ansteigt, gehen wir lang-

fristig von einem steigenden Preis aus.

Eine letzte Frage nach dem Ausblick: Wie geht

es in den kommenden Jahren weiter? Wird VNG

in naher Zukunft den Lizenzerwerb in Russland

verkünden oder sogar ins Upstream-Geschäft im

Nahen Osten einsteigen?

Unternehmen sind im E&P-Geschäft langfristig

nur erfolgreich, wenn sie sich auch auf Länder

bezogen breit aufstellen. So können regionale

Risiken vermindert und Abhängigkeiten verhin-

dert werden. Wir werden aber einen Schritt nach

dem anderen machen. In den kommenden Jahren

werden wir uns darauf konzentrieren, die begon-

nenen Aktivitäten auszubauen und die VNG Norge

in Norwegen sowie den angrenzenden Gebieten

der Nordsee weiter zu stärken. Ein erster großer

Erfolg war hier zweifelsohne die Gründung der

VNG Danmark und die Erweiterung des Lizenz-

portfolios durch Lizenzen auf den Dänischen

Kontinentalschelf. Soweit es den Britischen und

den Niederländischen Kontinentalschelf betrifft,

beobachten wir diese und prüfen Optionen, von

denen wir ausgehen, dass sie in unser Portfo-

lio und zu unserer Strategie passen könnten.

Dabei können wir uns auch Kooperationen mit

interessierten Partnern aus der Energiebranche

vorstellen. Verschiedene Gespräche wurden

bereits geführt.

Was die Upstream-Aktivitäten in anderen geo-

logisch attraktiven Regionen wie Russland, Nord-

afrika oder dem Mittleren Osten anbelangt, liegen

diese aus den von mir genannten Gründen noch in

einiger Ferne. Das darf uns aber nicht davon ab-

halten, auch diese Regionen genauer zu beobach-

ten, denn das E&P-Geschäft ist ein langfristiges

Geschäft, welches auch einer nicht unerheblich

langen Anlaufzeit bedarf.

Herr Ludwig, vielen Dank für das Gespräch.

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Ardagh Glass-Niederlassung in Germersheim

Ein Werk mit glasklaren AussichtenDer Auftrag, erneut einen Industriekunden von VNG vorzustellen, machte den Fotografen Christian Schneider und mich von

Anfang an doppelt neugierig. Ein großer Glasproduzent und noch dazu etwa 500 Kilometer vom Leipziger VNG-Stammsitz

entfernt. Unser Ziel: Die Ardagh Glass-Niederlassung in Germersheim im Bundesland Rheinland-Pfalz. In unmittelbarer

Katzensprung-Nähe befinden sich die bekannte Domstadt Speyer und Ludwigshafen, nur ein wenig weiter das französische

Strasbourg.

Von Helmut Rosan, freier Redakteur (Text)

und Christian Schneider (Fotos)

Unsere Visite gründlich vorbereitet hat Björn Bode,

der für den Industriebereich des Düsseldorfer

VNG-Büros zuständig ist. Der 38-jährige Bode ist

ledig, ein sportlich agiler Typ. Seit Beginn der Libe-

ralisierung des Gasmarktes ist er in verschiedenen

Positionen und Regionen im Verkaufsbereich des

Gasgeschäfts tätig, seit dem 1. November 2009

bei VNG. Hier hat er über 300 potenzielle Kunden

zu betreuen. Ein weites Feld, das keine Zeit lässt,

körperlich und geistig Fett anzusetzen. In der

knappen Freizeit kocht er gern für Freunde und

betreibt Fitness-Training.

Zu Gast bei Ardagh Glass

Gemeinsam fahren wir zur Ardagh Glass-Produkti-

onsstätte am Rand von Germersheim. Hier werden

wir von Dirk Rademacher, dem Operations- Mana-

ger, erwartet. Rademacher zählt 43 Jahre, ist von

Ardagh Glass aus der Vogelperspektive.

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13 medium gas | 2010.3

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freundlich zupackender Art und lässiger Eloquenz.

Er stellt uns mit kurzen und bündigen Sätzen das

Unternehmen vor.

Seit der Gründung als „Irish Glass Bottle Company“

1932 hat sich die jetzige Firma Ardagh Glass zu

einem der größten Hersteller von Verpackungsglas

in Europa entwickelt. Rund 6 500 Mitarbeiter

sind in diesen Betrieben beschäftigt und mehr

als 13  Milliarden Glasbehälter werden jährlich

hergestellt. Der Gesamtumsatz betrug im Vorjahr

ca. 1,35 Mrd. Euro.

Die deutsche Tochtergesellschaft ist Ardagh Glass

GmbH mit Stammsitz in Nienburg (Niedersach-

sen). Das Unternehmen bietet seinen Kunden ein

vielfältiges Behälterglas-Sortiment: vom Marme-

ladenglas über Bier- und Weinflaschen bis hin

zu Glasverpackungen für die Pharmaindustrie.

Darüber hinaus ist Ardagh Glass ein Spezialist

bei der Produktion von Leichtglasbehältern, die

bereits über 50 Prozent der Produktion ausmachen.

Zur Ardagh Glass gehört auch HEYE International

GmbH, ein Anbieter von Maschinen und Ausrüs-

tungen für die Behälterglasindustrie mit Sitz in

Obernkirchen. Hier hat auch die Schaumburger

Formenbau GmbH ihren Sitz, die Zubehör für die

Glasindustrie liefert.

Ergänzt wird die Produktpalette durch ein umfang-

reiches Dienstleistungsprogramm in Europa. Es

um fasst Glasveredelungen, Beschichtungen sowie

verschiedene Dekorationstechniken.

Ardagh Glass GmbH produziert an acht Standorten

mit ca. 2 000 Mitarbeitern. Dazu zählen die Werke

in Nienburg, Obernkirchen, Bad Münder (jeweils in

Niedersachsen), Lünen (Nordrhein-Westfalen), Ger-

mersheim (Rheinland-Pfalz), Wahlstedt (Schleswig-

Holstein) sowie in Drebkau und Neuenhagen in Bran-

denburg. Dirk Rademacher betont mit sichtlichem

Stolz: „Ardagh Glass ist wegen der ausgezeichneten

Qualität bei der Glasherstellung weltweit bekannt

und deshalb für viele der international bedeutenden

Lebensmittel- und Getränkemarken der bevorzugte

Lieferant.“ Rademacher ist seit 24 Jahren bei Ardagh

Glass beschäftigt und seit anderthalb Jahren in

leitender Position hier in Germersheim, wo seit

1970 Glas hergestellt wird. Am hiesigen Standort

sind 245 Mitarbeiter tätig. Pro Jahr werden für die

Produktion 550 Mio. kWh Erdgas benötigt. Seit dem

1. Oktober 2010 wird dieser umweltfreundliche

Energieträger von der Leipziger VNG geliefert.

Besichtigung vor Ort

Dirk Rademacher bittet uns zum Betriebsrundgang.

Vorher werden wir gemäß den strengen Arbeits-

schutzbestimmungen mit einem Helm, Schutzbrille,

einem Paar Ohrstöpsel und Arbeitsjacke ausgerüs-

tet. Auf dem Weg vom Verwaltungsgebäude zur rie-

sigen Produktionshalle sind auf einem großflächigen

Foto, das die ganze rechte Wandseite einnimmt, die

fröhlich lächelnden Gesichter etlicher Mitarbeiter

abgelichtet. Starke Unternehmenskultur wird bild-

lich demonstriert. Dass dem hier tatsächlich so

ist, erleben wir wenig später auf Schritt und Tritt.

Überall werden wir freundlich lächelnd gegrüßt,

Rademacher wird häufig mit festem Handschlag

empfangen. Kein abgehobenes Boss-Gehabe, der

Mann gehört spürbar fest zur Mannschaft.

Auf einer Produktionsstrecke von etlichen hun-

dert Metern, die ein wenig an ein kurvenreiches,

überdimensionales Fließband erinnert, werden

aus den Ausgangsstoffen über die verschiedenen

Bearbeitungsstufen (z. B. die Schmelzwanne) so-

zusagen an einem Stück und bis zum so genannten

„Kalten Ende“ die Glasprodukte gefertigt. Dirk Rademacher (re.) und Björn Bode im Gespräch.

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Fortsetzung von Seite 13

Ein Werk mit glasklaren Aussichten

Draußen erfreuen uns hochsommerliche Tempera-

turen, hier drinnen ist es für uns Ungeübte nun nicht

gerade höllenheiß, aber zumindest empfinden wir

die Hitze als tropisch. Moderne Technik inklusive

Computersteuerung und Bildschirmüberwachung

verbietet zwar Höllenlärm, aber recht lautstark

geht es dennoch zu. Die Ohrstöpsel sind also

vollkommen berechtigt, die akustische Verstän-

digung etwas kompliziert.

An unserem Besuchstag sehen wir Tausende

Flaschen jedweder Größe. Vor allem Wein- und

Champagnerflaschen werden produziert.

Die übergroße Anzahl der 245 Beschäftigten

arbeitet ohne Produktionsstopp rund um die

Uhr. Tag für Tag. Monat um Monat. Jahr für Jahr.

Das ist schon eine sehr beeindruckende Leistung

und für uns Laien ein überwältigendes Erlebnis.

Hut – pardon: Schutzhelm – ab! Wir sehen bei

unserem Rundgang nur eine junge Frau. Sie ist

klein und zierlich, macht aber dennoch einen

resoluten Eindruck. Sie arbeitet ausschließlich

in der Tagschicht. Außer ihr sind hier nur weitere

drei Damen in der Verwaltung beschäftigt. Wohl

nicht nur Dirk Rademacher findet diesen Umstand

sehr bedauerlich, zeigt aber Verständnis. Schicht-

arbeit ist mal eben – trotz aller organisatorischen

Möglichkeiten – nicht besonders frauen- und

familienfreundlich.

Der Fotograf ist rundum fasziniert und bienen-

fleißig auf Motivsuche, Björn Bode verabschiedet

sich zu seinem nächsten Termin und ich ziehe

mich in ein ruhiges Zimmer im Verwaltungstrakt

zurück und mache mir beim Genuss eines ange-

nehm kühlen Mineralwassers erste Notizen über

das eben Erlebte. Eine gute halbe Stunde später

Die Glasschmelze wird per Computer überwacht. Die Produktionsstrecke erinnert an ein überdimensionales Fließband.

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15 medium gas | 2010.3

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kommen mit erhitzten Gesichtern Rademacher

und der Fotograf zurück. Nach kurzer Absprache

verabschieden wir uns voller Dankbarkeit für

die Gastfreundschaft von Dirk Rademacher und

seiner Mannschaft. Wir geben am Einlass unsere

Besucherkarten ab, stehen am Parkplatz vor dem

Werkstor und sind bereit für eine Entdeckungstour

durch Germersheim.

Ein Blick in die Geschichte von Germersheim

Die Stadt liegt direkt am linken Rheinufer (in der

Rheinebene), zwischen Ludwigshafen/Mann-

heim und Wörth am Rhein, ca. 15 km südlich

von Speyer. Auf der anderen Rheinseite liegt

Philippsburg. Die Gemarkung erstreckt sich auf

die rechtsrheinische Insel Elisabethenwörth. Im

Gegensatz zu den meis ten Städten, die an einem

Grenzfluss liegen, ist die Stadtgebietsgrenze,

die in diesem Fall auch die rheinland-pfälzische

Grenze zu Baden-Württemberg ist, nicht in der

Flussmitte, sondern erstreckt sich auf das rechts-

rheinische Ufer. In Germersheim leben derzeit

knapp 22 000 Einwohner.

Zur Zeit der Eroberung Galliens durch Gaius Julius

Caesar lebten in der Region Germersheim die

Volksstämme der Triboker oder Wangionen. Nach

der Eroberung bildet die Provinz Germania Superior

mit dem Rhein die Grenze des römischen Reiches

gegen Germanien. Später wurden noch kleinere

Teile östlich des Rheins erobert und zur römischen

Provinz Agri decumates. Nachdem fränkische und

alemannische Stämme diese Provinz bedrängten,

wurde sie im Jahr 276 aufgegeben und der Limes

an den Rhein zurückverlegt. Die Römer errichteten

am Ort des heutigen Germersheims ein befestigtes

Soldatenlager zur Sicherung dieser Grenze. Nach-

dem im Jahre 405 die Ostgoten in Italien eingefallen

waren, wurden 406 die römischen Truppen aus

der Pfalz abgezogen.

Kaiser Konrad II. ließ am Hochufer des Rheins an

der Stelle des heutigen Germersheims eine Burg

bzw. ein Schloss errichten. Der Name Germers-

heim wird das erste Mal 1090 in der Sinsheimer

Chronik als „Germaresheim“ („Heim des Speer-

mächtigen“) urkundlich erwähnt. Der Ort erhielt am

18. August 1276 durch König Rudolf von Habsburg

die Stadtrechte verliehen. Mit diesem Akt wurde

die Geschichte der Stadt nachhaltig beeinflusst.

Nach den großen Katastrophen des ausgehenden

Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, nach

Pest und Dreißigjährigem Krieg, war die Bevölke-

rung auf wenige Familien geschrumpft. Weitere

Zerstörungen erfuhr die Stadt im Rahmen des

Französisch-Niederländischen Krieges durch fran-

zösische Truppen im Jahre 1674, die auch das von

Konrad II. errichtete Königsschloss zerstörten.

Lediglich die Krypta und die Grundmauern der

katholischen Kirche widerstanden dem Feuer. 1699

siedelten sich die Franziskaner in Germersheim

an und blieben bis 1793. Bei Germersheim fand

am 5. Juli 1793 eine Schlacht des französischen

Revolutionskrieges statt. Die österreichischen

Truppen schlugen dabei das französische Heer

zurück und vereitelten damit den Entsatz von Mainz.

In den Jahren 1921 und 1922 wurde die Festung,

wie im Versailler Vertrag festgelegt, geschleift. Le-

diglich kleine Teile der eigentlichen Festungsanlage

blieben erhalten. Bis 1930 die Siegermächte des

Ersten Weltkrieges ihre Besatzungstruppen aus

Deutschland zurückzogen waren in Germersheim

französische Truppen stationiert. Glasbruch, der wieder verwendet wird.

Vitrine mit Produkten von

Ardagh Glass.

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Schon 1936 wurde Germersheim erneut Garni-

sonsstadt. Im Zweiten Weltkrieg waren Teile der

berüchtigten Strafdivision 999 hier stationiert.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden wieder

Truppen stationiert, zuerst amerikanische, später

auch deutsche Einheiten. In Germersheim gab es

fünf Kasernen der Bundeswehr. Heute beherbergt

Germersheim ein Bataillon der Luftwaffe. Das Ende

des Warschauer Pakts führte zu einer merklichen

Reduzierung der amerikanischen und deutschen

Truppen in Deutschland und besonders in der

Pfalz, die auch Germersheim betraf.

Germersheim bietet Interessantes

mit perfekter Gastfreundschaft

Die Stadt beherbergt das Deutsche Straßenmu-

seum. Das Stadt- und Festungsmuseum Germers-

heim dokumentiert vor allem die Geschichte der

Stadt, aber auch die der ehemaligen Festung

und Garnison. Neben der Geschichte des Militärs

in Germersheim werden ebenfalls zivile Aktivi-

täten dargestellt, wie z. B. Ziegelindustrie, Rhein-

fischerei, Tabakverarbeitung, Schnapsbrennen,

Schuhmacherei, Druckerei und Buchbinden sowie

Emailschilder-Fabrikation.

Auf der Insel Grün betreibt die Daimler AG mit dem

Global Logistics Center das weltweit größte Lager

der Automobilbranche.

Germersheim ist Hauptsitz der Nolte-Gruppe.

Die Nolte-Möbel GmbH & Co. KG ist einer der be-

deutendsten Hersteller von Schrank- und Schlaf-

zimmerprogrammen. Auch ansässig ist die Nolte

Holzwerkstoff GmbH & Co. KG. Hier befindet sich

des Weiteren ein Produktionsstandort der Smurfit

Kappa, das Wellpappenwerk Germersheim, der

Zentralversand der Kosmetik-Firma Yves Rocher

für Deutschland und etliches mehr.

Das Stadthaus ist eines der ältesten noch bestehen-

den Gebäude der Stadt. Es wurde 1740 errichtet.

Ab 1815 war es Garnisonskommandantur, wurde

Fortsetzung von Seite 15

Ein Werk mit glasklaren Aussichten

Eingang zur ehemaligen Festung.

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17 medium gas | 2010.3

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jedoch 1892 zum Offizierskasino umfunktioniert.

1972 wurde es zum Rathaus, behielt jedoch, wohl

aus Unterscheidungsgründen zum Alten Rathaus

in der Marktstraße den Namen Stadthaus. Noch

heute kann man Teile der alten Festung Germers-

heim besichtigen.

Entlang einiger ehemaliger Festungsanlagen be-

finden sich öffentlich zugängliche Grünflächen,

denen die Stadt ihr insgesamt sehr grünes Er-

scheinungsbild verdankt.

Auf den Straßen, Plätzen und Parks sind auffällig

viele Mitbürger mit Migrationshintergrund sowie

Ausländer zu sehen. Viele davon studieren am

hiesigen Fachbereich Angewandte Sprach- und

Kulturwissenschaft der Johannes-Gutenberg-

Universität Mainz.

Nach Werksbesichtigung, Verschnaufpause am

Strand des hier herrlich breiten Rheins mit starker

Strömung und einem Stadtrundgang sind wir

rechtschaffen erlebnissatt, leicht fußmüde und

ob der Hitze auch durstig. Also pausieren wir im

Gartenlokal unseres Hotels. Es ist ziemlich ruhig.

Außer uns nur zwei US-amerikanische Monteure

und zwei Paare mit verdächtig sächsischem Idiom,

die zu Abend essen. Wir kommen schnell und

herrlich unkompliziert mit unserem Wirtspaar,

Herrn und Frau Schleicher, ins Gespräch. Er schon

67 Jahre, ein gelernter Koch, trotz der örtlichen

Militärtraditionen sei er keineswegs mit dem

berüchtigten, erzkonservativen General von

Schleicher verwandt, eher schon mit „Schmidt-

chen Schleicher“. Sie um etliches jünger, eine

ehemalige Krankenschwester, quicklebendig.

Lebhafte Gespräche mit rheinischem Frohsinn

und sächsischem Optimismus über Gott und die

Welt, die deutsche Einheit und wie wir sie erleben.

Sie geben eine Runde, wir geben eine Runde. Wir

verstehen uns prächtig. Die Zeit vergeht und bevor

die Fußball-Weltmeisterschaft an den riesigen

Flachbildschirm ruft, ist der Fotograf Christian

Schneider so begeistert, dass er die Schleichers

spontan zum Besuch Leipzigs einlädt. Dieser

Einladung schließe ich mich an. Sie wollen es sich

überlegen. Auch das sind glasklare Aussichten.

Der Rhein bei Germersheim.

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Erdgastechnik

Zwei in einemDie Nachfrage nach effizienten Wärmeerzeugern wächst. Die Ursachen

sind ein größeres Umwelt bewusstsein sowie langfristig deutlich

steigende Energiekosten. Vor allem Wärmepumpen profitieren von

dieser Entwicklung – mit der Gas-Wärmepumpe steht eine innovative

Lösung in den Startlöchern.

Von Peter Kuhl, Buderus

Ein Grund für den Boom von elektrisch betriebenen Wärmepumpen:

ihre hohen Arbeitszahlen von etwa drei bis vier. Je nach Wärmequelle

stellen sie drei- bis viermal so viel Heizwärme bereit, wie sie elek-

trische Arbeit zu deren Gewinnung benötigen. Der Wirkungsgrad bei

der Herstellung von Strom beträgt etwa 36 Prozent. Bei einer mittleren

Jahresarbeitszahl der Elektro-Wärmepumpe von 3,5 ergibt das im Mittel

einen Wirkungsgrad von 125 Prozent. Die Wärmepumpentechnik lässt

sich jedoch hinter noch effizientere Energieträger schalten.

Beispiel Gas-Wärmepumpe: Sie ist zwar noch im Entwicklungsstadium,

nutzt aber – wie auch die Elektro-Wärmepumpe – durch Verdampfen und

Kondensieren die Aggregatzustandsänderung eines Stoffes zur Anhebung

des Temperaturniveaus. Der Verdichter wird bei der Gas-Wärmepumpe je-

doch nicht elektrisch angetrieben, sondern thermisch mittels Gasbrenner.

Außer dem Kondensator dient auch der Gasantrieb als Wärmequelle und

ermöglicht ein relativ hohes Temperaturniveau. Die aktuellen Geräte sind

160 Kilogramm schwer, so groß wie ein Kühlschrank (520 x 520 x 2000 mm,

L x B x H) und produzieren stufenlos modulierend 4 bis 10 kW Wärme

beziehungsweise Warmwasser. Der Clou: Das System funktioniert

ohne bewegte Teile. Deshalb ist diese Technik besonders wartungs-

arm, wirtschaftlich und langlebig. Darüber hinaus arbeiten die Gas-

Wärmepumpen äußerst geräuscharm und eignen sich besonders für

die Aufstellung im Wohnbereich.

Die Gaswärmepumpe von

Buderus soll Ende 2011 auf

den Markt kommen.

Effizienzvergleich unterschiedlicher Wärmeerzeugungsmöglichkeiten.

Heizung mit Primär-energie-einsatz

Primärenergie (kWh/a) bei Jahresheiz-

energiebedarf von 10 500 kWh/a

Spezifische CO2-Emissionen

(kg CO2/kWh Primärenergie)

CO2-Emissionen (kg CO2/a)

Strom 278 % 29 190 0,20 5 838

Heizöl EL 117 % 12 285 0,26 3 194

Erdgas 109 % 11 445 0,20 2 289

Strom-WP 84 % 8 820 0,20 1 764

Gasabsorptions-WP 84 % 8 400 0,20 1 680

Gasmotor-WP 67 % 7 035 0,20 1 407

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19 medium gas | 2010.3

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Wirkungsgrad von bis zu 135 Prozent

Das größte Plus von Gas-Wärmepumpen ist ihre

hohe Energieeffizienz. Gut ausgelegte Anlagen re-

duzieren mit ihrem deutlich höheren Wirkungsgrad

von bis zu 135 Prozent den Erdgasverbrauch – und

damit auch die Kosten – um bis zu 30 Prozent ge-

genüber einem modernen Gas-Brennwertkessel.

Gleichzeitig reduzieren Gas-Wärmepumpen den

CO2-Ausstoß und erfüllen so klimapolitische An-

forderungen. Durch Kombination mit erneuerbaren

Energien, beispielsweise Solarwärme, lässt sich

die Energieeffizienz in Verbindung mit Gas-Wär-

mepumpen weiter verbessern.

Konstruktionsbedingt haben Gas-Wärmepumpen

geringere Arbeitszahlen als Elektro-Wärmepum-

pen – rund 1,5. Für 10 kW Wärme muss der

Gasbrenner also gut 6 kW leisten. Allerdings

ist die Wärmeerzeugung mit Gas wesentlich

effizienter als mit Strom. Damit ist der Wirkungs-

grad der Gas-Wärmepumpe unterm Strich einige

Prozentpunkte höher als beim Elektro-Pendant.

Durch den hohen Anteil des Gasbrenners an der

Wärmeerzeugung lassen sich Vorlauftempera-

turen von bis zu 70 Grad Celsius wirtschaftlich

realisieren. Dadurch kann man in viel mehr Fällen

außer einem hohen Warmwasserkomfort auch

das vorhandene Wärmeverteilsystem inklusive

herkömmlicher Heizflächen im Bestand beibehal-

ten. Mit Luft als Wärmequelle sind so selbst im

Winter bei niedrigen Außentemperaturen noch

hohe Wirkungsgrade und eine effiziente Heiz-

lastabdeckung möglich. Das ist wichtig, wenn

beispielsweise Grundwasser und Erdreich im Be-

stand als Wärmequelle nur schwer anzapfbar sind.

Im Falle einer Bohrung bieten Gas-Wärmepum-

pen ebenfalls Vorteile, denn die Sondenlängen

Schematische Darstellung der Funktionsweise einer Wärmepumpe

Die CO2-Emissionen im Vergleich: Gas-Wärmepumpen schneiden

am besten ab.

CO2-Emissionen Normnutzungsgrad in %

Quelle: www.asue.de

Umstellbrand-und Wechsel-brandkessel

70

Gas-Wärmepumpe

190

Brennwert-kessel

110

Nieder-temperatur-

kessel

95

Öl-/Gas-Spezialkessel

(Konstant-temperatur-

Kessel)

85

Grundlage: Enquete-Kommission | Quelle: www.erdgas.ch

200

150

100

50

0

400

300

200

100

0

Steinkohle-Ofen

392

Öl-brennwert

304

Gas-brennwert

219

Gas-Wärmepumpe

150

Wärmezufuhr von Wärmequelle,z. B. Erde

75 %

Antriebsenergie(Strom)

25 %

Wärmeabgabean Heizungsanlage

100 %

+ 2 °C Verdampfer – 2 °C Kompressor + 27 °C Kondensator + 35 °C

0 °C (2,8 bar) 88 °C (23,5 bar)

– 4,5 °C (2,8 bar) 50 °C (23,5 bar)

Expansionsventil

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20 Aktuell | Markt | Schwerpunkt | Umschau | Feature

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Eine Buderus Gas-Wärmepum-

pe bei geöffneter Verkleidung.

können um rund 50 Prozent geringer ausfallen

als bei Elektro-Wärmepumpen.

Bei Gas-Wärmepumpen – wie bei jeder anderen

Wärmepumpenanlage auch – ist die Energieeffi-

zienz von der jeweiligen Quelle für Umweltenergie

abhängig. Erdwärmesonden oder Erdkollektoren

erreichen die höchste Effizienz. Diese nimmt über

Solarkollektoren bis hin zur Energiequelle Luft

stetig ab. Allerdings sind die Unterschiede auf-

grund des geringeren Anteils von Umweltenergie

an der Gesamtleistung kleiner als bei der Elektro-

Wärmepumpe. Aus diesem Grund und wegen

ihrer durchschnittlichen Leistung von bis zu 9 kW

modulierend eignen sich Gas-Wärmepumpen

ebenso für den Einsatz im energetisch moderni-

sierten Altbau.

Zuverlässig und betriebssicher

Mit mehr als 15 000 Betriebsstunden im Feld

und 40 000 Betriebsstunden unter praxisnahen

Bedingungen im Labor konnte die Zuverlässigkeit

und Betriebssicherheit der Gas-Wärmepumpe der

1. Generation nachgewiesen werden. Es ist keine

nennenswerte Verringerung der energetischen

Effizienz im Langzeittest aufgetreten. Über alle

Anlagen hinweg wurde eine mittlere Jahresarbeits-

zahl von 1,16 im reinen Heizbetrieb gemessen.

Unter Einbindung einer solarthermischen Anlage

konnte bereits mit diesen Vorseriengeräten (Ab-

sorptionswärmepumpe mit Blasenpumpe) der

Grenzwert des EEWärmeG (Jahresarbeitszahl von

1,2) eingehalten werden.

Zweite Generation erreicht Jahresarbeitszahl

von mehr als 1,2

Unter Federführung der Anfang 2008 gegründeten

Initiative Gas-Wärmepumpe (IGWP) – einer Verei-

nigung der führenden deutschen Energieversorger

und Heiztechnik-Hersteller – läuft die Entwicklung

der zweiten Gerätegeneration. Ziel ist die Erhöhung

der Anlageneffizienz, speziell die Verbesserung

Fortsetzung von Seite 19

Zwei in einem

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21 medium gas | 2010.3

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Peter Kuhl ist Produkt-

manager Wärmepumpen

bei Buderus Deutschland

Bosch Thermotechnik in

Wetzlar.

Unser Autor

des Wirkungsgrades der Warmwasserbereitung.

Denn mit sinkenden spezifischen Heizlasten

schlägt dieser überproportional zu Buche. Die

neue Generation unterscheidet sich von der ersten

Generation durch einen zusätzlichen integrierten

Kondensator zur Anhebung der Heizleistung,

eine Speichererhöhung von 120 auf 200 Liter

und die Einführung der Schichtenladespeicher-

Technologie für Gas-Wärmepumpen. Die Geräte

der 2. Generation erreichen die geforderten Werte

des EEWärmeG (Jahresarbeitszahl von 1,2) auch

ohne zusätzliche Maßnahmen wie die Einbindung

einer solarthermischen Anlage.

Integrierter Brennwert-Heizkessel

nicht nötig

Deshalb entfiel bei der neuen Gerätegeneration von

Buderus, die zur ISH 2009 vorgestellt wurde, der in-

tegrierte Brennwert-Heizkessel. Er ist nicht mehr nö-

tig, weil die Gas-Wärmepumpe seine Funktionen –

modulierender Betrieb, Trinkwassererwärmung und

Abdeckung der Spitzenheizlast – übernimmt. Vor

allem bei der Erwärmung des Trinkwassers arbeitet

die neue Gas-Wärmepumpe damit wirtschaftlicher

als die 1. Generation. Diese Fortschritte in Sachen

Leistung und Anlageneffizienz ermöglichen auch

den Einsatz von Gas-Wärmepumpen im Bestand.

Das bietet sich insbesondere wegen der zu errei-

chenden Vorlauftemperaturen von bis zu 70 Grad

Celsius an.

Derzeit laufen weitere umfangreiche Feld- und

Labortests. Die Technologie kann sich zu einer

echten Alternative für Ein- und Zweifamilienge-

bäude entwickeln. Denn sie stellt eine Symbi-

ose aus effizienter Gas-Brennwerttechnik des

Brenners der Gasabsorptions-Wärmepumpe und

aktueller Wärmepumpentechnik mit all ihren

Vorteilen dar.

Die Energie aus dem Boden kann über einen Erdwärmekollektor oder eine Erdwärmesonde gewonnen werden.

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VNG bündelt TrainingsprogrammeVNG bündelt ab sofort seine Trainingsprogramme für Führungskräfte, Energieverkäufer und Marketing-

mitarbeiter in Energieversorgungsunternehmen unter dem neuen Label „ENERGIE.training“. Damit führt

das Unternehmen die bisherigen Veranstaltungen von ERDGAS.training und Vertrieb.Consult zusammen.

Die ersten Veranstaltungen 2010/2011 stehen bereits fest:

Referenzobjekte gesucht für Feldtestversuche mit Gas-Wärmepumpen

VNG sucht im Rahmen von umfassenden Feldtest-

versuchen Referenzobjekte für den Einsatz von

Gas-Wärmepumpen. EVUs und ihre Endverbrau-

cher erhalten somit die Möglichkeit, moderne und

hocheffiziente Heiztechnologie als erste zu nutzen

und entsprechende Erfahrungen zu sammeln.

Die Gebäude sollten im erdgasversorgten Gebiet

liegen und möglichst ein Neubau sein bzw. einen

niedrigen Energiestandard aufweisen. Das heißt,

der Wärmebedarf des Objektes sollte bei etwa

10 kW(therm) liegen. Optimal wäre ein monova-

lenter Heizbetrieb mit überwiegender Fußboden-

oder Flächenheizung.

Weiterführende Informationen zu diesem Thema finden Sie unter www.verbundnetzplus.de

(Produktkommunikation › Kampagnen)

EVUs wenden sich bei Interesse bitte an Herrn Sandro Pautz, Telefon 0341 443-2370 | E-Mail [email protected].

Endverbraucher sollten direkt auf ihren Versorger zugehen.

Für Fragen und Anmeldungen zu den Veranstaltungen wenden Sie sich bitte an:

Kerstin Tümmler, Leiterin Dienstleistungsvertrieb bei VNG, Telefon: 0341 443-2998 | E-Mail: [email protected]

oder Ulrike Otto, Hauptreferentin Marketingkommunikation, Strategisches Marketing, Telefon: 0341 443-2832

E-Mail: [email protected]

Weitere Informationen auch unter: www.verbundnetzplus.de

Führungskräfte und Mitarbeiter Energiewirtschaft/Technik

ENERGIE.training „Smart Metering “

30.11.2010 Leipzig, VNG

Führungskräfte und Mitarbeiter Energiewirtschaft/Technik

ENERGIE.training „Erdgas + Erneuerbare Energien – Modelle für die Zukunft“

01.03.2011 Leipzig, VNG

Führungskräfte (GF/Leiter Marketing und Vertrieb)

ENERGIE.training „Social Media“

17.03.2011 Berlin, Zentrum

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23 medium gas | 2010.3

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Handelsblatt Jahrestagung EnergiewirtschaftDie 18. Handelsblatt Jahrestagung Energiewirt-

schaft 2011 findet vom 18. bis 20. Januar 2011

in Berlin statt.

Die Veranstaltung richtet sich an energiewirtschaft-

liche und energiepolitische Entscheidungsträger

in Deutschland.

26. bis 28. Oktober 2010erdgas 2010 – 16. EUROFORUM-JahrestagungBerlinwww.erdgas-forum.com

26. bis 27. Oktober 20106. ICG Branchentreffen NetzeBerlin

28. Oktober 2010Vertrieb.Consult „Die Wohnungswirtschaft“Leipzigwww.vertrieb-consult.de

04. November 2010Absolventenmesse LeipzigLeipzig

04. bis 05. November 2010Kommunikationstreffen der PR- und Marketing-verantwortlichen der VNG-KundenLeipzigwww.vng.de

05. bis 06. November 2010Azubi- und Studententage Leipzig

14. bis 16. November 2010Erdgas Marketing TreffLeipzig

23. bis 24. November 201011. ICG-Stadtwerkekongress Multitalent StadtwerkMünchen

25. November 2010Vertrieb.Consult „Interaktives Intensivtraining“Leipzigwww.vertrieb-consult.de

30. November bis 01. Dezember 2010gat 2010 – Gasfachliche AussprachetagungStuttgartwww.gat-dvgw.de 30. November bis 02. Dezember 20107. Oldenburger GastageOldenburgwww.oldenburger-gastage.de

11. bis 13. Januar 2011Biogas-FachmesseLeipzigwww.biogastagung.de

17. bis 22. Januar 2011Bau 2011Münchenwww.bau-muenchen.de

18. bis 20. Januar 201118. Handelsblatt JahrestagungEnergiewirtschaft 2011Berlinwww.euroforum.de

21. bis 30. Januar 2011Internationale Grüne Woche BerlinBerlinwww.gruenewoche.de

25. bis 27. Januar 2011TerraTec – Internationale Fachmesse für Umwelttechnik und -dienstleistungenLeipzigwww.terratec-leipzig.de

25. bis 27. Januar 2011enertec 2011 – Internationale Fachmesse für EnergieLeipzigwww.enertec-leipzig.de

8. bis 10. Februar 2011E-world energy & water 2011Essenwww.e-world-essen.de

24. bis 27. Februar 2011Haus 2011Dresdenwww.baumesse-haus.de

Aktuelle Termine im nächsten Quartal

Die gat 2010 findet vom 30. November bis 1. De-

zember in Stuttgart statt.

Die Messe ist die wichtigste Veranstaltung der

Erdgasbranche in Deutschland. Sie bildet jedes

Jahr ein erstklassiges Forum zum brancheninternen

Austausch über alle technik- und innovations-

bezogenen Themen.

VNG auf der gat 2010:

Halle 4

Stand 4C51

Page 24: medium gas 2010.3

Energie mit Zukunft – Zukunft mit EnergieWie sieht die Zukunft der Energieversorgung aus? Wie lange reichen die fossilen Energie träger

noch, wann wird es nur noch Strom und Wärme vom Acker geben? Wie muss ein heutiger Energie-

versorger im Jahr 2050 aufgestellt sein? Fragen über Fragen, die wir in dieser Ausgabe von

medium gas sicher nicht gänzlich beantworten können. Aber lassen Sie uns doch mal träumen –

und ein Bild von der Energiewelt schaffen, wie sie in 30 oder 40 Jahren aussehen könnte.

24 Aktuell | Markt | Schwerpunkt | Umschau | Feature

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Page 25: medium gas 2010.3

„Zukunft fängt mit Engagement an.“ Das müssen sich VNG und die Firma Kirsch gedacht haben, als

sie vor rund einem Jahr mit der Entwicklung eines neuartigen Mikro-BHKWs begonnen haben. Kirsch

arbeitet eigentlich vorrangig in der Entwicklung, der Fertigung und dem Vertrieb von Stromerzeu-

gern, mit dem Bau des Mikro-BHKWs betritt das Trierer Traditionsunternehmen aber nicht unbedingt

Neuland. Denn ein BHKW ist nichts anderes als ein Stromerzeuger, bei dem die Abwärme für die

Heizung und Warmwasserbereitung genutzt wird. Mittlerweile wurden übrigens die ersten Geräte auf

Herz und Nieren geprüft und der Bau der ersten 150 Feldtestgeräte gestartet. Noch in diesem Jahr

werden sie in der gesamten Republik eingebaut, ab kommendem Frühjahr soll es die Mikro-BHKWs

auch für Jedermann zu kaufen geben. Foto: Dirk Brzoska

25 medium gas | 2010.3

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„Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass jeder Haushalt ein Mikro-BHKW im Keller stehen hat“

Interview

Bei VNG beschäftigt sich ein ganzes Team an Experten mit der Forschung und Entwicklung von

innovativen Lösungskonzepten für neue, effiziente und umweltfreundliche Technologien auf dem

Gebiet der Erdgastechnik sowie der Energieumwandlung und -anwendung. medium gas sprach mit

Robert Scheler, Leiter Technologie Center bei VNG, über das, was uns zukünftig in der Energie-

versorgung alles erwarten könnte.

Herr Scheler, sind neue innovative Technologien

wirklich der Schlüssel zur Energieversorgung

der Zukunft?

Ich denke schon. Sie sind aus meiner Sicht eine

wichtige Möglichkeit, das Streben der Menschheit

nach immer mehr Luxus mit Bezahlbarkeit oder

Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen. Wir brauchen

Technologien, um zum Beispiel die Effizienz der

Anwendungen zu verbessern, um neue Energie-

quellen zu erschließen oder das Energiesystem in

Teilen von fossilen Energieträgern auf eine neue

Basis umzustellen. Energietechnologien sind damit

ein wichtiger Baustein für die Zukunft.

Aber längst nicht der einzige?

Nein. Ein anderer Schlüssel wäre zum Beispiel der

intelligentere Umgang mit Energie. Gedanklich

und argumentativ sind die Menschen schon im

Wasserstoffzeitalter, aber im Alltag verschwen-

den wir Energie an jeder Ecke. Nehmen wir das

Beispiel Tanken: Wenn man nicht krampfhaft

versuchen würde, noch mühsam einen halben

Liter „dazuzuklickern“, erspart man der Pumpe

in der Zapfsäule den hohen Anlaufstrom, den sie

für jeden Neustart braucht. Das ist ganz einfach

umsetzbar und spart Energie.

Kein schlechtes Beispiel, auch wenn es nicht

Ihrer Arbeitswelt entspringt. Ihr Technologie

Center beschäftigt sich ja eher mit innovativen

Erdgasprojekten.

Ja und nein. Natürlich arbeiten wir an Innovations-

projekten – angefangen bei neuer Wärmetechnik

über CO2-Speicherung bis hin zu Kraftwerkstech-

nologien. Aber das macht nur einen Teil unserer

Arbeit aus. Hauptsächlich beschäftigen wir uns

mit Themen wie Untergrundspeichern, der Zu-

standserfassung des Transportnetzes, Gasche-

mie, Biogaseinspeiseanlagen und allgemeinem

Projektmanagement für die VNG-Gruppe.

Aber gerade diese Mischung aus Praxis und For-

schung macht das Besondere bei uns aus; daraus

ergeben sich oft interessante Ansätze und Ideen,

die nicht vollkommen losgelöst von der Realität

sind.

Page 27: medium gas 2010.3

Warum engagiert sich VNG so stark für Forschung

und Entwicklung und überlässt die Arbeit nicht

einfach den Spezialisten?

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen wollen wir

nicht auf die Lösungen anderer warten, wenn wir

ein technisches Problem sehen oder eine eigene

Idee haben. Das dauert uns oftmals viel zu lange

oder kommt gar nicht. Da formulieren wir den

Lösungsvorschlag und die Projektskizze lieber

selber und suchen uns dann einen kompetenten

Spezialisten. Zum anderen glaube ich, dass die

Praxistauglichkeit eines Energieunternehmens

in den sich schnell ändernden Märkten zukünftig

stärker von seiner Technologiefähigkeit abhängen

wird. Außerdem – das darf man auch nicht ver-

nachlässigen – haben Wirtschaftsunternehmen

eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung.

Gerade weil Forschungseinrichtungen und Uni-

versitäten über immer weniger Mittel verfügen,

sollte sich die Wirtschaft auf dem Forschungs- und

Entwicklungsfeld stärker einbringen.

Dieses Forschungsfeld ist durchaus sehr groß.

Allein die Bundesregierung weist sechs Themen-

schwerpunkte1 der nicht-nuklearen Energiefor-

schung aus. Wo sehen Sie derzeit den größten

Handlungsbedarf?

Ich würde jetzt nicht ein Thema gegen das andere

aufwiegen. Alle sind wichtig. Persönlich sehe ich

aber bei der effizienteren und emissionsärmeren

Stromerzeugung und der Energiespeicherung den

größten Handlungsbedarf.

Warum?

Effiziente Stromerzeugung heißt für mich emis-

sionsärmere Stromerzeugung. Wenn man mal

konzentriert den Stern-Report 2 liest, bekommt

diese diffuse Angst vor Klimawandel eine durchaus

erschreckende und reale Komponente, die sich

sogar in Euro beziffern lässt. Wir müssen wirklich

aufpassen, dass wir unseren Kindern nicht große

Probleme hinterlassen.

Energiespeicherung sehe ich dagegen als wich-

tig an, weil wir immer mehr erneuerbare Energie

einsetzen. Je mehr ich auf volatile Energie aus

Wind und Sonne setze, desto mehr muss ich für

den Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage

sorgen. Die Speichertechnik ist sozusagen ein

strategisches Schlüsselelement, es sei denn, ich

schaffe große Überkapazitäten, was diese Energien

unnötig verteuern würde. Die Unternehmen der

Erdgaswirtschaften haben bei der Speicherung

von Energie großes Know-how, das kann zukünftig

ein großer Vorteil sein.

Das Technologie Center ist der zentrale Bereich für die strategische und techno-

logische Weiterentwicklung der Anlagen- und Verfahrenstechnik bei VNG sowie

in Dienstleistung für Dritte. Der Bereich tritt beratend und projektbegleitend für

die Unternehmensgruppe sowie für externe Unternehmen auf und erstellt und

bewertet Analysen, Konzepte und Machbarkeitsstudien zu neuen Vorhaben.

Diese Projekte werden derzeit unter anderem im Technologie-Center bearbeitet:

– Koordinierung von 23 F&E-Projekten der VNG AG

– CCS-Aktivitäten der VNG

– Koordinierung Wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit VNG/GAZPROM

– Mitarbeit bei der Initiative Gaswärmepumpen (IGWP)

– Mitarbeiter am Callux-Programm (Brennstoffzellen)

– Entwicklung von Mikro-BHKW sowie Begleitung der Demophase

– Technische Begleitung von Kraftwerksprojekten

– Projektmanagement im Bereich von Bioerdgasanschlüssen sowie deren

technische Prüfung

– Untersuchung und Zustandsermittlung von Rohrleitungen

– Prüfung neuer Speicherprojekte

– Unterstützung Speicherausbau- und Reparaturprojekte

1 1. Moderne Kraftwerkstechnologien, 2. Kraft-Wärme-Kopplung, Fernwärme 3. Brennstoffzelle, Wasserstoff 4. Effiziente Stromnutzung, Speicher 5. Energieoptimiertes Bauen 6. Energieeffizienz in Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen

2 Der Stern-Report (englisch Stern Review on the Economics of Climate Change) ist ein am 30. Oktober 2006 veröffentlichter

Bericht des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen und jetzigen Leiters des volkswirtschaftlichen Dienstes der britischen Regierung

Nicholas Stern. Der im Auftrag der britischen Regierung erstellte rund 650 Seiten starke Bericht untersucht insbesondere die

wirtschaftlichen Folgen der globalen Erwärmung.

Page 28: medium gas 2010.3

Fortsetzung von Seite 27

„Wenn ich mir etwas wünschen könnte ...“

Beim Einsatz fossiler Energieträger wie Erdgas

dominiert derzeit das Thema Mini-Blockheiz-

kraftwerk. Eine ausgereifte Technik, die jeder in

seinem Haus stehen haben sollte?

Wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann, dass

jeder Haushalt ein solches Gerät im Keller stehen

hat. Warum soll eine Heizung nicht auch als „Abfall-

produkt“ Strom produzieren? Wirtschaftlicher und

effizienter kann man Erdgas doch nicht einsetzen.

Und ja – die Technik ist ausgereift. Das Prinzip kennt

man schon so lange wie es Verbrennungsmotoren

gibt. Letztlich ist ein BHKW nichts anderes als

ein Auto ohne Räder – durch Verbrennung eines

Brennstoffs wird mechanische Energie und Wärme

für Heizzwecke gewonnen.

Warum klaffen Wunsch und Wirklichkeit beim

BHKW im Haushalt dann noch so weit auseinander?

Weil die Geräte derzeit noch zu teuer gegen-

über herkömmlichen Heizungssystemen sind. Für

Gaswirtschaft und Gerätehersteller geht es jetzt

darum, die Lösung so preisgünstig wie möglich

zu produzieren. Hier bin ich besonders stolz auf

die Eigenentwicklung von VNG, die den Zielen mit

intelligenten Lösungen Rechnung trägt. Wir haben

in den vergangenen 10 Jahren einen Geräteprototyp

entwickelt und getestet, den die Firma Kirsch in

weniger als zwei Jahren zum Seriengerät gemacht

hat. Das neue Mikro-BHKW verwendet Industrie-

komponenten, ist damit auch deutlich preiswerter

als andere Geräte. Außerdem spart unser Mikro-

BHKW in einem Einfamilienhaus ungefähr 5 Tonnen

CO2 pro Jahr im Vergleich zu einer herkömmlichen

Heizung. Das kann sich sehen lassen.

Ein anderes Thema sind Brennstoffzellen. Die wer-

den als Energiequellen der Zukunft angepriesen,

weil sie mit Wasserstoff statt Erdgas laufen und

Wirkungsgrade jenseits der 95-Prozent-Marke

haben sollen. Sind solche Geräte noch ein weiter

Traum – oder werden sie bald zur Wirklichkeit?

Sie sind bereits Wirklichkeit – und laufen über einen

Reformprozess auch mit Erdgas. Im Rahmen des

Projektes Callux beteiligt sich VNG mit anderen

Energieversorgern und Geräteherstellern an einem

groß angelegten Feldtest. Wir haben erst kürzlich

in Weißenfels in Sachsen-Anhalt zusammen mit

den dortigen Stadtwerken eine Brennstoffzelle

in einem Einfamilienhaus eingebaut. Das Gerät

nutzt den Brennstoff Erdgas zu mehr als 90 % aus.

Das microBHKW L 4.12 ist ein autonomes stromerzeugendes Gas-Heizungs-

system. Schon das sehr kompakte Format und das niedrige Gewicht setzen neue

Maßstäbe. Es ist konzipiert für den Einsatz in Ein- oder Zweifamilienhäusern

mit einem Gesamtjahreswärmebedarf von 25 000 bis 30 000 kWh – und richtet

sich dabei explizit an ältere Gebäude mit technischem Sanierungsbedarf. Auch

Neubausiedlungen mit mehreren Niedrigenergiehäusern können zentral mit

einem microBHKW L 4.12 effektiv und kostengünstig versorgt werden.

www.kirsch-homeenergy.de

Das Kirsch HomeEnergy microBHKW L 4.12

Page 29: medium gas 2010.3

Das klingt ja optimistisch. Trotzdem hört man von

vielen Problemen beim Brennstoffzellen-Projekt.

Es gibt derzeit aus meiner Sicht zwei große, noch

zu lösende Probleme. Zum einen sind die Pro-

duktionskosten für die Brennstoffzelle noch viel

zu hoch. Zum anderen können die benötigten

Mengen Wasserstoff noch nicht wirtschaftlich

hergestellt werden. Man bräuchte alleine 130 000

Windräder mit 1 MW, um über Elektrolyse die En-

ergiemenge an Wasserstoff zu erzeugen, die VNG

jährlich als Erdgas absetzt. In ganz Deutschland

ist gegenwärtig noch nicht mal ein Viertel dieser

Menge installiert.

Lassen Sie uns den Blick in die weitere Zukunft

werfen: Gibt es in zwanzig Jahren noch den Brenn-

wertkessel oder stehen in jedem Haus Mini-BHKWs

und Brennstoffzellen?

Ich denke, es gibt Brennwertthermen gekoppelt

mit Solaranlagen, BHKWs, Brennstoffzellen und

Wärmepumpen. Es wird ein Mix von Systemen

sein. Ich glaube aber, dass die Abrechnung in

Echtzeit laufen wird, dass die Systeme im Haus

intelligent verknüpft sind und viele Wohngebäude

klimatisiert sind. Außerdem werden die stromer-

zeugenden Heizungen zusammengeschaltet, so

dass die ersten virtuellen Kraftwerke existieren.

Und in 50 Jahren – wird es dann ganz andere,

heute noch nicht bekannte Technologien geben?

Das ist schwer zu beantworten. Es wird sicher

Entwicklungen geben, die wir heute noch nicht

voraussehen. Wer hätte 1960 schon den Mobilfunk

und die damit verbundenen Entwicklungen voraus-

gesagt? Selbst Gottlieb Daimler meinte, dass die

weltweite Nachfrage nach Kraftfahrzeugen nie die

Grenze von einer Million überschreiten würde –

schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.

Dann müssen wir uns wohl überraschen lassen.

Herr Scheler, ein anderes Stichwort sind Kraft-

werke der Zukunft. Schon heute haben moderne

GuD-Kraftwerke einen Wirkungsgrad von 58–59 %.

Im Vergleich zu Kohlekraftwerken mit nur knapp

40 % Wirkungsgrad ist das zwar eine deutliche

Steigerung, trotzdem muss doch auch hier noch

eine deutliche Verbesserung möglich sein?

Gas- und Dampf-Kombikraftwerke gehören heute

zu den effizientesten konventionellen Kraftwerken.

Noch dazu wenn man bedenkt, dass sie nur 37 %

der CO2-Emissionen eines Braunkohlekraftwerkes

erzeugen. Trotzdem lassen sich auch GuDs noch

verbessern.

Steigerungsmöglichkeiten sehe ich vor allem

im materialtechnischen Bereich. Je heißer der

Dampfprozess ist, desto höher die Energieaus-

beute. Einziger Wermutstropfen: Die verbauten

Materialien müssen diese Temperaturbelastungen

auch aushalten können. Werkstoffe mit hohem

Nickelanteil werden aber einiges möglich machen.

Callux ist der bundesweit größte Praxistest von Brennstoffzellen-Heizgeräten für das Eigenheim. Das Projekt wird gemeinsam von Partnern aus der Energiewirtschaft und Heizgeräteindustrie mit Unterstützung des Bundesminis teriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) verfolgt. VNG ist Praxispartner im Feldtest. www.callux.net

Callux

Page 30: medium gas 2010.3

Fortsetzung von Seite 29

„Wenn ich mir etwas wünschen könnte ...“

Sie haben das Thema CCS – die CO2-Abscheidung

in kohlebefeuerten Kraftwerken – gerade ange-

sprochen. Wie weit ist der Stand der Technik?

CO2-Transport und -Speicherung sind erprobte

Techniken. In Norwegen, Algerien und Kanada wird

das Gas seit Jahren in den Untergrund gepumpt,

in den USA existiert seit Anfang der 1970er Jahre

sogar ein über 5000 km langes CO2-Pipelinenetz.

Auch Vattenfall betreibt in Schwarze Pumpe schon

erfolgreich eine 30-MW-Demoanlage mit Oxyfuel-

Verfahren. In der EU werden 6 Projekte mit ins-

gesamt 1 Mrd. Euro gefördert, die ersten werden

ab 2015 die Gesamtkette von Abscheidung bis

Speicherung abbilden.

Die Technik ist vielversprechend und praxiser-

probt. Warum tut man sich in Europa trotzdem

so schwer damit?

Das hat viele Gründe. In den USA wird CO2 nicht

aus Klimaschutzgründen eingepresst, sondern zur

Erhöhung der Ölausbeute. Das Verfahren nennt

man Enhanced Oil Recovery.

Durch das Einpressen sinkt die Viskosität des

Erdöls, es kann mehr aus der Lagerstätte gefördert

werden. Eine gewisse Ironie besteht darin, dass

zum Einpressen Kohlendioxid aus überwiegend

natürlichen Quellen eingesetzt wird, um mehr Öl

zu fördern, welches dann wiederum für neue

Emissionen sorgt. Das CO2-Einspeiseprojekt auf

der Norwegischen Plattform Sleipner liegt offshore

und auch die Region in Salah in der algerischen

Wüste ist relativ unbewohnt. Europa ist dagegen

sehr dicht besiedelt. Das erhöht natürlich das

Konfliktpotenzial. Außerdem darf man nicht die

volkswirtschaftliche Komponente vergessen. Die

CO2 -Speicherung ist mit hohen Kosten verbunden.

Wenn aber nur die Unternehmen in Europa ihre

Emissionen reduzieren müssen, es jedoch keine

weltweiten Ziele für alle gibt, wandern energiein-

tensive Industrien und damit Arbeitsplätze einfach

ab. Die Gefahr besteht, dass wir unsere Emissionen

letztlich nur in andere Länder „exportieren“ und

in Europa gleichzeitig noch die höheren Preise

für nachhaltige Energien bezahlen. Das macht

für mich wenig Sinn.

In vielen Zeitungen und Zeitschriften liest man

derzeit vom „Smart Grid“ – dem intelligenten

Stromnetz, das Erzeugung, Speicherung und

Verbrauch miteinander vernetzt und steuert. Ist

das Modell auch auf die Gasnetze übertragbar?

Partiell sicherlich. Vor allem die vielen dezentralen

Einspeisepunkte zum Beispiel für Bioerdgas werden

zu Veränderungen führen. Auch die Rückspeisung

bei Überangebot an Bioerdgas in lokalen Netzen

in die Fernverteilerstufe wird zu prüfen sein.

Vielleicht wird es in Zukunft auch vollkommen

neue Produkte geben, die dem Kunden den Abruf

selbst erworbener Gasmengen zu jedem Zeitpunkt

ermöglichen. Unsere Gasinfrastruktur muss und

kann solche Visionen in Zukunft bewerkstelligen.

Die intelligente Speicherung von großen Strom-

mengen ist derzeit noch nicht wirklich möglich,

beim Erdgas aber schon. Kann die Gaswirtschaft

den „Stromern“ hier Hilfe anbieten?

Auf jeden Fall. Die Gasinfrastruktur ist schon

jetzt einer der größten Energiespeicher. Allein in

Deutschland sind es 217 Terawattstunden, das

Stromnetz kann gegenwärtig nur 0,07 Terawatt-

stunden (hauptsächlich mittels Pumpspeicher-

werken) speichern. Mit ihr könnten theoretisch

Schwankungen ausgeglichen werden, die bei

der Stromerzeugung durch erneuerbare Energien

– Gottlieb Daimler war der festen Überzeugung, dass die weltweite

Nachfrage nach Kraftfahrzeugen nie die Grenze von einer Million

überschreiten würde – schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren.

2007 gab es weltweit rund 918 Millionen Fahrzeuge*.

– Erstmals 1927 erscheint in einem Katalog der Firma Junghans eine Arm-

banduhr. In Fachkreisen beurteilt man es als „Modenarrheit, die Uhr an

der unruhigsten und den größten Temperaturschwankungen ausgesetz-

ten Körperstelle zu tragen.“ Die Experten prophezeien, dass die Armband-

uhr nur eine kurzfristige Modeerscheinung sei.“* Quelle: Wikipedia

Zwei markante Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass es schwierig

ist mit Prognosen für die Zukunft:

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Berufsausbildung Bohrfacharbeiter mit Abitur, VEB Erdöl Erdgas

Grimmen | Studium Bohrtechnik & Fluidbergbau, TU Bergaka-

demie Freiberg | 1996–2004 Projektingenieur/Testingenieur

Untertagespeicher, UGS GmbH Mittenwalde | 2004–2006 Fach-

verantwortlicher Speichertechnik, VNG AG | seit 2006 Leiter

Technologie Center | seit 2009 Geschäftsführer Erdgasspeicher

Peissen GmbH

Unser Gesprächspartner

zwangsläufig entstehen. Ohne eine Lösung für das

Speicherproblem können erneuerbare Energien

auch bei intelligenter Netz- und Verbrauchersteue-

rung einen gewissen Anteil an der Stromerzeugung

nicht überschreiten.

Der langfristige Ersatz fossiler Energieträger

durch erneuerbare Energien steht außer Frage,

wenngleich der Zeitpunkt noch vage ist. Welche

Perspektiven und welches Potenzial sehen Sie

bis 2050?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Die Prognosen

für Deutschland reichen – zumindest bei der Strom-

erzeugung – von 100 % Erneuerbaren in 2050 bis

30 % Marktanteil. Ich tippe auf 60 % Erneuerbare,

der Rest wird durch fossile Energieträger gedeckt.

Energieforschung heißt eigentlich nicht nur, nach

neuen Erzeugungs- und Nutzungspfaden für Ener-

gie zu suchen, sondern auch die Energieeffizienz

zu fördern. Was tut sich hier aktuell am Markt?

Die Effizienz der Anwendungen hat sich in den

vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich erhöht

und wird es auch weiterhin tun. Die Entwicklungen

werden aber teilweise wieder konterkariert – vom

Streben nach Komfort und Luxus.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir das Beispiel Kraftfahrzeugsektor.

Was hier mittlerweile bei geringen Hubräumen

und Verbrauch an Fahrleistungen möglich ist,

wäre vor 30 Jahren noch unvorstellbar gewesen.

Die eigentliche Einsparung wird aber durch neue

Anwendungen wieder verbraucht, etwa durch

Klimaanlage oder Fensterheber. Beides gab es

früher nur vereinzelt, heute gehören sie zum

Standard. Anderes Beispiel ist die Erhöhung der

Motorleistung. Der Golf 1 mit 50 PS wurde längst

durch das Einsteigermodell mit 80 PS ersetzt,

bei vielen anderen Autos gilt das gleiche Prinzip.

Und was lernen wir daraus? Dass wir auf Luxusgut

verzichten sollten – der Umwelt zuliebe?

Ganz so drastisch würde ich es nicht formulieren.

Wir haben nun mal einen Lebensstandard, den

wir auch nicht wieder verlieren und sogar erhö-

hen wollen. Das geht mir nicht anders. Ich setze

persönlich aber stärker auf eine nachhaltigere

Energieerzeugung und einen bewussteren Um-

gang mit diesem Gut Energie. Immerhin können

wir als Anwender und Nutzer selbst die Effizienz

beeinflussen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Smart Grid

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32 Aktuell | Markt | Schwerpunkt | Umschau | Feature

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Zukunftsenergie

Von der Vision zur Wirklichkeit

Von Mandy Nickel, Redaktion

3 Kühe pro Haushalt – und die Wohnung

ist warm

Eine Kuh erzeugt täglich 80 Liter Gülle und rund

fünf Kilo organische Trockensubstanz. Das ent-

spricht dem Energiegehalt von 0,9 m3 Erdgas.

Nach diesem Rechenbeispiel vom Deutschen

Institut für Landmaschinentechnik und Regene-

rative Energien bräuchte ein durchschnittlicher

Haushalt mit 90 m2 Wohnfläche und 3 m3 Erdgas-

verbrauch drei Kühe, um den täglichen Heizungs-

und Warmwasser bedarf aus „100 Prozent Bio“

zu decken.

Die Vorstellung, dass jeder – oder zumindest

fast jeder – Haushalt sein eigenes Bioerdgas aus

Kuhmist produzieren kann, klingt witzig. Aber

erstens wird Bioerdgas nur zu einem kleinen Teil

aus Gülle erzeugt; der größere Anteil stammt

von nachwachsenden Rohstoffen. Und zweitens

sind wir von dieser Vision generell noch zu weit

entfernt.

Vision und Wirklichkeit klaffen noch

auseinander

In Deutschland waren nach Angaben des Bun-

desverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft

(BDEW) und des Deutschen Bauernverbandes

(DBV) im vergangenen Jahr 35 Biogasanlagen an

das Erdgasnetz angeschlossen. Rund 190 Millio-

nen Normkubikmeter Bioerdgas (ca. 2 Mrd. kWh)

hätten sie zwischen Januar und Dezember 2009

eingespeist. Im Vergleich zu den 891 Mrd. kWh,

die die Deutschen im vergangenen Jahr an Erdgas

verbraucht haben, scheint diese Zahl noch ver-

schwindend gering. Allerdings prognostizieren

Bioerdgas ist zwar keine Vision mehr, sondern längst Realität geworden. Um die Zielvorgaben der Bundesregierung bis 2030 zu erfüllen, müssen aber noch einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden.

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beide Verbände, dass 2010 weitere 30 Anlagen

hinzukommen und sich die gesamte Einspeise-

kapazität auf rund 380 Millionen Normkubikmeter

jährlich verdoppeln würde. Tendenz in den nächsten

Jahren weiter steigend.

Dem Ziel der Bundesregierung kommt die Branche

damit zwar näher, wenn auch nur in kleinen Schrit-

ten. In der kürzlich novellierten Gasnetzzugangs-

verordnung (GasNZV) fordert die Bundesregierung

eine Einspeisung von sechs Milliarden Kubikmeter

Bioerdgas bis 2020 und zehn Milliarden bis 2030

von der Energiewirtschaft. Bisher sind drei Prozent

der Menge erreicht.

Die Frage nach dem Warum steht damit zwangsläufig

im Raum. Wurden die Ziele unrealistisch aufgestellt?

Scheitert es am Willen der Energiebranche oder an

den Landwirten? Oder ist das Produkt einfach nicht

wettbewerbsfähig, weil gesetzliche Regelungen zu

komplex sind und Fördergelder nur eingeschränkt

vorhanden sind?

Politische Rahmenbedingungen

sind Hemmnis

Fakt ist: Der Großteil der rund 4 500 Biogasanlagen

in Deutschland erzeugt heute Ökostrom, ohne die

dabei anfallende Wärme zu nutzen. Dabei wären

die zentrale Nutzung in Form der Kraft-Wärme-

Kopplung oder die dezentrale Nutzung durch die

Einspeisung von Bioerdgas ins Leitungsnetz um

ein Vielfaches effizienter.

Andreas Jung, Geschäftsführer der Deutschen

Energie-Agentur (dena), ist sich sicher, dass vor

allem die gesetzlichen Regelungen auf Bundes-

ebene ein Hemmnis für den Anschluss der Anlagen

an das Erdgasnetz darstellen. In einem Interview,

das er dem Energie-Informationsdienst im Mai

dieses Jahres gegeben hat, nannte er zwei Faktoren:

Zum einen könne Bioerdgas nur in Verbindung mit

KWK zur Erfüllung der Gesetzespflicht geltend

gemacht werden, zum anderen beziehe sich das

Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG)

nur auf den Neubausektor. Allenfalls in Baden-

Württemberg sieht die gesetzliche Landschaft

biogasfreundlicher aus, da auch im Wohnungs-

bestand eine Nutzungspflicht für zehn Prozent

erneuerbare Energien vorgeschrieben sei.

Bioerdgas für den Wärmemarkt

Nicht nur Jung kritisiert damit einen Tatbestand,

der das eigentlich große Potenzial von Bioerdgas

derzeit noch auf Sparflamme köcheln lässt. Auch

die Erdgasbranche macht seit Langem deutlich,

dass Bioerdgas mehr könne als ausschließlich

in KWK-Anlagen genutzt zu werden. Unter allen

erneuerbaren Energien ist es am vielseitigsten

verwendbar, beständig verfügbar und damit auch

grundlastfähig. Ein weiterer Vorteil: es kann ins

Erdgasnetz eingespeist, transportiert und wie

normales Erdgas unabhängig vom Produktions-

ort verwendet werden. Damit lässt Bioerdgas

viele Pfade offen: Es eignet sich für die Strom-

und Wärmeerzeugung in Blockheizkraftwerken,

kann zur reinen Wärmeerzeugung für Industrie-,

Gewerbe- und kommunale Betriebe sowie für

Privatkunden genutzt werden oder auch als Kraft-

stoff in Erdgasfahrzeugen dienen. Besser kann

man Energie nicht einsetzen, so das einheitliche

Credo der Branche.

Bioerdgas muss für vielseitige

Nutzungspfade offen sein

Umso deutlicher unterstreichen Unternehmen und

Branchenexperten ihre Forderungen, die tech-

nologischen Einsatzmöglichkeiten auszuweiten

und die Nutzungspfade für Bioerdgas zu öffnen.

Grünes Erdgas brauche einen Nachfragemarkt

und der könne – wie im Fall von erneuerbarem

Strom – ausschließlich durch politische Anreize

geschaffen werden. So müsse die Nutzung von

aufbereitetem Biogas in der Kraft-Wärme-Kälte-

Kopplung ebenso gefördert werden wie der Ein-

satz im Verkehrsbereich und in effizienten Heiz-

kesseln.

Ohne die Belebung des Wärmemarktes für Bio-

erdgas sieht sich die Erdgasbranche kaum in die

Lage versetzt, die politischen Mengenvorgaben der

Bundesregierung umzusetzen. Das betonte der

Branchenverband BDEW jüngst. „Aufgrund der

stagnierenden Nachfrage kommt es derzeit

zu keinem signifikanten Zubau von Bioerdgas-

Einspeiseanlagen. Wenn die politischen und recht-

lichen Rahmenbedingungen in der derzeitigen

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Form bestehen bleiben, werden die Mengenziele

nicht erreicht!“, hieß es in einem Positionspapier

an die Politik.

Baden-Württemberg geht mit

gutem Beispiel voran

Bisher hat die Branche nur Gehör in Baden-Würt-

temberg gefunden. Dort gilt sowohl im Neubau

also auch bei der Modernisierung im Bestand

eine Nutzungspflicht für erneuerbare Energien.

Im Bestand ist die Beimischung für Bioerdgas

bei Erdgasbrenngeräten und der Einsatz in KWK-

Anlagen erlaubt, im Neubau darf Bioerdgas in

KWK-Anlagen genutzt werden. Seit der Einführung

des regionalen Wärmegesetzes betont Baden-

Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner

immer wieder, dass es ein Erfolgsmodell sei. Es

ermögliche Landwirten, ein zweites Standbein

aufzubauen und trage dazu bei, dass erneuerbare

Energien marktfähig würden.

Dass die gesetzlichen Bestimmungen im Land

der „Häuslebauer“ durchaus greifen, zeigt allein

schon ein Blick auf die Entwicklung der Biogas-

branche. Aufgrund der Technologieoffenheit und

der klaren Förderpolitik sprießen die Anlagen

sprichwörtlich wie Pilze aus dem Boden. Auch

die Versorger spüren das deutliche Anziehen des

Nachfragemarktes. Eine Vielzahl von ihnen hatte

bereits im vergangenen Jahr eigene Vermarktungs-

offensiven für Bioerdgas gestartet, mittlerweile

bieten fast alle Versorger ein „grünes“ Produkt

für ihre Kunden an.

Bundespolitik ist uneinig

Nachdem das Gesetzesmodell in Baden-Würt-

temberg so erfolgreich verläuft, diskutiert man

auch in Berlin, Bremen und im Saarland über

vergleichbare regionale Wärmegesetze. Bisher

aber weitgehend ergebnisoffen. Die Meinungen in

der Bundespolitik gehen derweil auseinander. Es

wird eine Biomethan-Quote diskutiert, aber auch

eine bundesweite Regelung des Gebäudebestands

im EEWärmeG. Der wirtschaftspolitische Sprecher

der CDU/CSU, Dr. Joachim Pfeiffer, schlug sogar

vor, das Landes-Wärmegesetz Baden-Württemberg

für den Bund weiterzuentwickeln. Im Entwurf zum

neuen Energiekonzept der Bundesregierung sichert

die Bundesregierung hingegen lediglich eine

erneute Prüfung einer technologieoffenen Neu-

regelung des EEWärmeG zu. Gleichzeitig werden

die Vorzüge von Bioerdgas explizit erwähnt und

vor allem der Kraftstoffbereich als Nutzungspfad

hervorgehoben.

Wirtschaftlichkeitsbetrachtung ermöglicht

Marktperspektive für Bioerdgas

Obwohl man in Berlin noch Diskussionen über die

Veränderung der gesetzlichen Regelungen führt

und sich die Branche mit neuen Anschlussprojekten

zurückhält, können und wollen die Unternehmen

der Gaswirtschaft die Vermarktung von Bioerdgas

nicht gänzlich ausschließen. Immerhin sei der En-

ergieträger sehr umweltfreundlich – und deshalb

schon ausbaufähig. Bestes Beispiel ist VNG. Das

Unternehmen beschafft Bioerdgas unter anderem

im Rahmen einer langfristigen Liefervereinbarung

mit dem weltgrößten Produzenten NAWARO Bio-

Energie Park „Güstrow“ GmbH. Auch über die

Biogastochter BALANCE VNG Bioenergie GmbH

(BALANCE) ist der Leipziger Erdgasimporteur im

Biogasgeschäft aktiv.

Bei VNG ist man überzeugt: Bioerdgas mag viel-

leicht aufgrund seiner Produktionskosten preislich

höher sein als herkömmliches Erdgas. Wenn man

allerdings die Wirtschaftlichkeit für seine Anlagen

richtig berechnet und die Förderpolitik ausnutzt,

lohnt sich der Einsatz. Das Erneuerbare Energien

Gesetz (EEG) ermöglicht BHKW-Betreibern bei der

Nutzung von Bioerdgas höhere Erlöse als bei der

Stromeinspeisung. Gerade bei Bestandsanlagen,

deren Förderung nach KWK-Gesetz (KWKG) ausläuft

oder bereits ausgelaufen ist, stellt die Umstellung

Fortsetzung von Seite 33

Von der Vision zur Wirklichkeit

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auf Bioerdgas häufig eine lohnende Alternative

dar. Dies betrifft „neue Bestandsanlagen“, wel-

che bereits seit Ende 2009 nicht mehr gefördert

werden sowie „modernisierte“ und „neue kleine

Anlagen“, die noch bis Ende 2010 eine Förderung

nach KWKG erhalten.

Herkunftsnachweis soll Förderanträge und

Handel vereinfachen

Pauschalisieren lasse sich diese Förderfähigkeit

allerdings nicht. Denn um die Fördergelder für

Biogas oder Bioerdgas in Anspruch zu nehmen,

die unter anderem im EEG, im EEWärmeG oder im

Biokraftstoffquotengesetz verankert sind, müs-

sen die Eigenschaften des Gases dokumentiert

werden. Bei der Verwendung von Bioerdgas im

Blockheizkraftwerk muss der Anlagenbetreiber

dem Stromnetzbetreiber etwa nachweisen, dass

er tatsächlich eine wärmeäquivalente Menge Bio-

erdgas mit den entsprechenden Eigenschaften

eingespeist hat. Zu allem Überfluss regeln die

Gesetze und Verordnungen diese Nachweispflicht

nur in geringem Maße. Einheitliche Standards

fehlen.

Abhilfe soll ein neues bundesweites Biogasre-

gister schaffen, das die dena gemeinsam mit

Unternehmen der Biogasbranche aufgebaut hat.

Auf der internetbasierten Plattform sollen die

Produzenten von Biogas und Bioerdgas noch ab

diesem Jahr einen Herkunfts- und Eigenschafts-

nachweis führen können.

Branche hofft auf positive Signale

Bei der dena zeigt man sich zwar überzeugt davon,

dass das neue Biogasregister die Vermarktung von

Bioerdgas erleichtern werde. Gänzlich verbessert

werden könne sie aber nur durch eine gesetzliche

Gleichstellung von Bioerdgas mit anderen erneu-

erbaren Energien. „Mit gezielten Maßnahmen

kann die Bundesregierung dem Biomethan-Markt

wieder neuen Schwung geben“, betonte Stephan

Kohler, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung.

„Das Ziel, bis ins Jahr 2020 sechs Milliarden

Kubikmeter Erdgas durch Biogas zu ersetzen,

wäre dann wieder realistisch. Biogas gehört zu

den Multitalenten unter den erneuerbaren Ener-

gien und ist ein wichtiger Faktor im Energiemix

der Zukunft. Der Ausbau muss daher eine hohe

Priorität haben.“

Die Gaswirtschaft steht als Marktpartner für Bio-

erdgas in den Startlöchern. Sie hofft derzeit auf

positive Signale aus der Politik. „Bioerdgas muss

auch in Brennwertkesseln zum Einsatz kommen

dürfen und nicht nur, wie derzeit im Erneuer-

bare-Energien-Wärmegesetz festgelegt, bei der

Kraft-Wärme-Kopplung. Wir brauchen hier mehr

Technologieoffenheit im Sinne der Verbraucher“,

fordert auch die BDEW-Vorsitzende Hildegard

Müller für ihre Branche.

Bleibt also nur noch abzuwarten, wie – und vor

allem wann – die Regierung in Berlin eine Neuaus-

richtung der Bioerdgasförderung vornehmen wird.

Zwischen Biogas und Bioerdgas-Gasen besteht ein erheb-

licher Unterschied. Biogas ist aus anaerober Vergärung

von Biomasse erzeugtes Gas, Bioerdgas ist dagegen auf

Erdgas-Qualität aufbereitetes Biogas. Dazu wird Biogas in

einer Aufbereitungsanlage von Kohlendioxid, Wasser und

Schwefelwasserstoff gereinigt und somit der Methangehalt

angehoben. Im aufbereiteten Zustand erfüllt das Biogas die

Anforderungen des DVGW Regelwerks, v. a. die Vorgaben

der G 260 und G 262 sind hier als relevante Punkte zu

nennen und kann somit in das Netz der allgemeinen Ver-

sorgung eingespeist werden. Eines eint Biogas und seinen

veredelten Verwandten allerdings: Sie sind weitgehend

CO2-neutral. Denn bei ihrer Verbrennung wird nur so viel

Kohlendioxid freigesetzt, wie die Energiepflanzen zuvor

während ihres Wachstums aus der Atmosphäre entnommen

und gespeichert haben.

Biogas und Bioerdgas

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Nachgefragt

Mit Gas die wirtschaftlichen Effekte deutlich steigern und gleichzeitig die Umwelt schonen

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Herr Barthel, welche Chancen sehen Sie für Erdgas

und Bioerdgas am Markt?

Erdgas und sein grünes Pendant Bioerdgas

sind Grundpfeiler der Energieversorgung und

bleiben es auf längere Sicht. Die Gründe dafür

„Handelsplattform

für Bioerdgas soll Schwung

in den Markt bringen“

sind evident: Erdgas ist umweltfreundlich und

ein leistungsstarker Energieträger mit hohem

Wirkungsgrad. Es kann sowohl im Wärmemarkt

als auch in der Stromerzeugung und im Kraft-

stoffsektor genutzt werden. Eine erst kürzlich

erschienene Studie von Greenpeace bescheinigt

Uwe Barthel,

Vorstand Gasverkauf/Technik bei VNG

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unserem Produkt Erdgas, dass es eine wichtige

Brückenfunktion auf dem Weg zur Versorgung

mit erneuerbaren Energien einnimmt. Zugleich

gewinnt Bioerdgas an Boden. Es hat den großen

Vorteil, dass es die hervorragenden energetischen

Eigenschaften von konventionellem Erdgas be-

sitzt und obendrein nahezu CO2-neutral ist. Wir

können es gut speichern. Es ist grundlastfähig,

plan- und regelbar, im bestehenden Erdgasnetz

transportierbar und problemlos mit der vorhan-

denen Anwendungstechnik zu nutzen. Keine

andere erneuerbare Energie vereint in dieser

Komplexität so viele Vorteile.

2007 hat sich VNG dem „Bio-Stempel“ verpflichtet

und nachhaltige Projekte eingeleitet. Wie sehen

die Ergebnisse jetzt, drei Jahre später, aus?

Die Leistungen können sich sehen lassen. VNG

ist im Biogasgeschäft außerordentlich aktiv. Zum

einen beschafft VNG Bioerdgas, vor allem im

Rahmen einer langfristigen Liefervereinbarung

mit einem der weltgrößten Produzenten, der

NAWARO BioEnergie Park „Güstrow“ GmbH. Zum

anderen konzentriert sich unser Tochterunter-

nehmen BALANCE VNG Bioenergie GmbH auf die

Produktion von Biogas für die erzeugungsnahe

Verstromung sowie die eigene Bioerdgasproduk-

tion und -einspeisung.

Erfolgsbeispiele sind etwa die 2009 errichtete

Biogasanlage Hof/Saale und die Biogasanlage

Popperode, die im August dieses Jahres in Betrieb

gegangen ist und in Kürze den Volllastbetrieb er-

reichen wird. Die Entscheidung zur Aufnahme der

Aktivitäten hat sich als richtig erwiesen.

Dem Entwurf des Energiekonzeptes der Bundes-

regierung zufolge soll Biogas bzw. Bioerdgas

insbesondere bei der Stromversorgung verstärkt

angewendet werden. Außerdem soll geprüft wer-

den, ob das EEWärmeG klarer technologieoffen

gestaltet und Bioerdgas somit als erneuerbare

Energie im Wärmemarkt anerkannt wird. Wenn ja,

resultiert daraus logischerweise eine steigende

Nachfrage nach Bioerdgas.

Wie bezieht VNG Kunden in eine grüne Energie-

versorgung ein?

Ganz klassisch bieten wir Bioerdgas in verschie-

denen Beimischungsstufen an. So können unsere

Kunden das gute Produkt Erdgas weiter veredeln

und ihrerseits ein nachhaltiges Produkt weiterver-

kaufen. Dabei nutzt VNG ihre Speicher zur Struktu-

rierung von Bioerdgas. Mit mehreren Stadtwerken

und Regionalversorgern führen wir auch konkrete

Biogasprojekte – von der Anlagenerrichtung bis

hin zur Vermarktung der Mengen durch.

Unlängst haben wir eine Aktion ins Leben gerufen,

um Stadtwerke, die ein BHKW betreiben, über

wirtschaftliche Vorteile durch den Einsatz von

Bioerdgas zu informieren. Sowohl beim Neubau

als auch bei bestehenden Anlagen eröffnet sich

mit Bioerdgas eine vielversprechende Alternative.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ermöglicht es

BHKW-Betreibern, bei der Nutzung von Bioerdgas

für die Stromeinspeisung bis zum Vierfachen

der bisherigen Erlöse zu erzielen. Wir haben ein

Berechnungsmodell entwickelt, mit dem sich

anhand einer individuellen Wirtschaftlichkeits-

betrachtung die mögliche Kosteneinsparung

ermitteln lässt.

Vor kurzem hat VNG unter Mitwirkung der MITGAS

die erste deutschlandweite Biogashandelsplatt-

form eröffnet. Was hat es damit auf sich?

Wir schaffen einen Online-Marktplatz für Bio-

erdgas. Das ist eine herausragende Innovation

für ganz Deutschland. Auf der Handelsplattform

können registrierte Marktteilnehmer virtuell zu-

sammenkommen und Bioerdgas in beliebigen

Mengen kaufen und verkaufen – und zwar an

allen virtuellen Handelspunkten in den deutschen

Gasmarktgebieten. Grundlage der Geschäfte zwi-

schen den Handelspartnern ist ein standardisierter

Liefervertrag. Wir wollen auf diesem neuen Weg

starke Impulse geben, damit der marktorientierte

Handel mit Bioerdgas in Schwung kommt. Das tun

wir, obwohl die gesetzlichen Regelungen das grü-

ne Gas bislang gegenüber anderen erneuerbaren

Energien leider noch benachteiligen.

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„Deutschlands innovativster Trendforscher“ skizziert, wie die Zukunft der Energie auch unsere Wohnungen des Jahres 2020 prägen wird.

Von Sven Gábor Jánszky

Der Morgen des 1. September 2020 wird kein

besonderer sein. Von der Sonne ist noch nichts

zu sehen, als Peter Seedorf ins Bad schlurft. Ein

kurzer Blick in den Spiegel sagt ihm, dass es kurz

nach 6 Uhr ist. Während Peter den Rasierer ansetzt,

schaltet er den Badspiegel an. Sofort erscheinen die

üblichen Programme: Die wichtigen Börsenkurse,

das Wetter in Leipzig. Auch sein Energieassistent

meldet sich mit einem gelben, blinkenden Punkt

im Spiegel.

Bei seinem Umzug vor ein paar Wochen hat Peter

festgestellt, dass Wohnungen in seiner Preisklasse

nur noch mit diesen „Smart Mirrors“ angeboten

werden. Wie in Schrankwänden, Betten und Kühl-

schränken sind auch in Badspiegeln verschiedene

Monitore integriert, die über WLAN vom Zentral-

computer der Wohnung versorgt werden. Auch

die alten, weißen Rauhfasertapeten gibt es nicht

mehr in den neuen Wohnungen. Stattdessen

hängt hier jetzt eine neuartige Lichttapete, die

aus Textilfasern besteht. Diese Textilien kann man

zum Leuchten bringen, wenn man sie elektronisch

ansteuert. Damit werden nicht nur Helligkeit und

Raumatmosphäre gesteuert, sondern auch der

TV-Screen ist in der Tapete integriert.

Noch bevor Peter mit dem Rasieren fertig ist, fes-

selt ihn die Übertragung des Tokio-Marathons, die

ihm jemand, anstelle des normalen Nachrichten-

zusammenschnitts, in den Hauptmonitor seines

Spiegels gebracht hat. Präsentiert von GilletteTV!

Woher weiß sein Spiegel, dass er Marathon mag?

„Manchmal übertrifft Rob sich selbst“, denkt Peter

dankbar über die Aufmunterung.

2020:

So leben wir in der

Zukunft!

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Rob ist nichts weiter als eine Software. Vor ein

paar Jahren haben sich die Fernsehsender und

die Betreiber der Electronic Program Guides (EPG)

mit den Internet-Technologen der Behavioral-

Targeting-Anbieter zusammengesetzt und Rob

entwickelt. Rob beobachtet und analysiert über

Wochen und Monate hinweg die Gewohnheiten

seines Besitzers. Nach einer kurzen Zeit kennt er

dessen Bedürfnisse und stellt ihm aus den Millio-

nen Text-, Audio- und Video-Angeboten im Internet

sein persönliches Fernsehprogramm zusammen,

sowohl zuhause in Wohnzimmer, Bad und Küche,

unterwegs in Auto und Sonnenbrille oder im Büro

und Konferenzraum.

Lebenswelten 2020: Virtuelle Welten

Weiterhin bestimmt die Technologie das Schrittmaß

der Entwicklungen. Wenn Chiphersteller heute

davon sprechen, jeden Chip mit einer Antenne

auszustatten, wenn eine flächendeckende Breit-

bandverbreitung realisiert wird, wenn Computer

kleiner und in Alltagsgegenstände eingebaut

werden, dann bekommt jeder Gegenstand eine

IP-Adresse und ist individuell ansteuerbar. Schritt

für Schritt wird in den kommenden Jahren die

heute bereits bestehende Internetlogik auf alle

Bereiche des gesellschaftlichen Lebens überge-

stülpt. Das ganze Leben in Form von iPhone-Apps

und doch ist das iPhone nur ein Zwischenschritt.

Bildanalyse, Bilderkennung und beobachtende

Interfaces sorgen dafür, dass Alltagsgegenstän-

de das Verhalten ihrer Benutzer beobachten, die

Realwelt-Daten mit virtuellen Daten kombinieren

und bedürfnisgerechte Angebote in den Alltag der

Nutzer einspielen. Wir werden 2020 nicht nur die

physischen Gegenstände als Teil unserer Wohnung

empfinden, sondern ebenso alle virtuellen Infor-

mationen und Bilder, die über die verschiedensten

Geräte in unser Heim eingespielt werden. Grenzen

zwischen Realität und Virtualität verschwinden.

Die Devaluation des Expertentums

Für die Lebenswelten der Menschen steigt damit

die Komplexität ins Unbeherrschbare. Wir werden

von Informationsfluten umgeben sein, die kein

Mensch verwalten kann und will. Wesentliche Ge-

schäftsmodelle der Zukunft werden Aggregatoren

und intelligente Filter sein, die die Überfülle der

Informationen nach individuellen Vorlieben und

situativen Bedürfnissen vorfiltern. Augmented

Reality Applikationen werden zum Filtern und zum

Ein- und Ausschalten von Informationen genutzt.

Dies ist nichts Ungewöhnliches, denn Filtersysteme

kennen wir in unserem Leben bereits. Auch heute

verlassen wir uns schon auf Informationsfilter,

unsere so genannten Experten: Lehrer, Redak-

tionen, Makler, Trainer, Einkäufer, Reiseführer,

Marken und Berater. Deren Geschäfte basieren auf

der asymmetrischen Verteilung von Informationen.

Das heißt: Sie haben exklusivere Informationen

als ihre Kunden oder sie haben die Informationen

eher als ihre Kunden – also einen Informations-

vorsprung. Doch mit diesem Expertentum könnte

es 2020 vorbei sein.

Zukunft

elektronischer Energieassistenten

Facebooks, Twitters & Co

individueller Energietarif

smart metering

symmetrische Informationsverteilung

Aggregatoren

Informationsfluten

Realwelt

iPhone-Apps

Internetlogik

Electronic Program Guides

SoftwareLichttapete

Zentralcomputer

WLANSmart Mirrors

Zukunft

Zukunft

2020

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Fortsetzung von Seite 39

2020: So leben wir in der Zukunft!

Sven Gábor Jánszky (37) ist Trendforscher und Leiter

des 2b AHEAD ThinkTanks. Auf seine Einladung treffen

sich bereits seit neun Jahren jährlich 250 CEOs und

Innovations-Chefs der deutschen Wirtschaft zum

innovativsten Business-ThinkTank Deutschlands.

Unter Jánszkys Leitung entwerfen sie ein Szenario

für das Leben in 10 Jahren und entwickeln Ideen für

die Geschäftsmodelle der Zukunft. Als Berater und

Trainer coacht Jánszky Manager und Unternehmen in

Prozessen des Trend- und Innovationsmanagements,

führt und moderiert Kreativprozesse zu Produktent-

wicklung und Geschäftsmodellen der Zukunft.

Unser Autor

Auf dem Weg zur ‚Profigesellschaft‘

Die symmetrische Informationsverteilung in den

Lebenswelten des Jahres 2020 versetzt jedermann

in die Lage, zu jeder Zeit auf alle Informationen

zugreifen zu können. Denn diese werden durch

intelligente Assistenten situationsgerecht in den

Alltag eingespielt: Jeder Amateursportler trainiert

mit Profimethoden, jeder Kunde hat das Wissen

des Fachberaters und jeder Fernsehzuschauer

bekommt sein individuelles Programm. Menschen

und Kunden werden sich Schritt für Schritt daran

gewöhnen, dass sie ihre Alltagsdinge künftig mit

einer Professionalität tun, die bislang nur Profis

nutzen konnten. Ob das der Hobbysportler ist, der

per Herzfrequenz, aerober Zone und intelligentem

Assistenten in jeder Sekunde seines Joggings

gecoacht wird oder der Hausbesitzer, der mittels

Smart Metering und intelligentem Assistenten

seinen Stromverbrauch nicht nur steuern kann,

sondern sekundengenau kaufen und verkaufen,

wie früher nur die Trader an der Strombörse. Doch

wie verhalten sich Energieversorger, wenn ihre

Kunden zu Energieprofis geworden sind?

Aus Flexibilität wird Adaptivität

Der Energie-Profi-Kunde der Zukunft wird daran

gewöhnt sein, dass er in allen Bereichen seines

Lebens seine Produkte selbst gestalten kann. Es

wird selbstverständlich für viele von uns sein,

dass unser individueller Energietarif nach der

persönlichen Nutzung gestaltet ist und durch

den elektronischen Energieassistenten täglich

unseren Nutzungsänderungen angepasst wird.

Die Herausforderung für Produkte der Zukunft

heißt also nicht mehr Flexibilität, sondern Adap-

tivität! Der Unterschied ist einfach: Flexibel sind

Produkte, die innerhalb eines bei der Produktion

vorgedachten Rahmens veränderbar sind. Adap-

tiv dagegen sind Produkte, die neue Nutzungs-

szenarien adaptieren können, auch wenn diese

nicht vorhergesehen und vorhergeplant wurden.

Energieversorger werden überlegen müssen, wie

sie ihre Produkte adaptiv machen.

Ihre Aufgabe: Schneller als Echtzeit!

Strategisch bringt diese Entwicklung für Ener-

gieunternehmen einen neuerlichen Paradigmen-

wechsel mit sich: Kaum haben wir uns an den

Gedanken gewöhnt, dass mit dem Web2.0 und

seinen Facebooks, Twitters & Co. die Echtzeitkom-

munikation mit dem Kunden zum Standard wird,

steht nun ein neuerliches Umdenken bevor. Denn

Echtzeit ist nicht mehr schnell genug! Wir werden

erleben, dass die Energieversorger der Zukunft

als neues Paradigma ausrufen, schneller zu sein

als Echtzeit. Dies bedeutet: Wenn der Kunde per

elektronischem Energieassistenten Kontakt auf-

nimmt, dann werden die Energieversorger künftig

bereits wissen, was der Kunde von ihnen will. Wenn

Peter am Morgen des 1. September 2020 auf den

kleinen gelben Punkt des Energieassistenten im

Badezimmerspiegel tippt, wird er sich sicher sein,

dass dieser Assistent seine persönliche Energie-

situation analysiert hat und ihm empfiehlt, was er

tun soll: Etwas Energie aus dem Wohnungsspei-

cher verkaufen, weil der Verkaufspreis günstig

ist! Etwas zukaufen, weil der Marktpreis gering

ist! Den Stromtarif für die nächsten 6 Stunden

wechseln, weil ein neues Sonderangebot eines

Versorgers vorliegt!

Wenn Peter mit dem Rasieren fertig ist, wird er

den Energieassistenten auf ‚Automatik‘ stellen.

Er hat heute keine Lust, sich mit Strompreisen

zu beschäftigen. Er vertraut seinem Energie-

assistenten. Doch die entscheidende Frage ist:

Wessen Energieassistent wird Peter nutzen? Wem

wird er vertrauen? Dem von Google, SAP, den

Stadtwerken, oder, oder, oder? Die Frage über

die Energie in der Wohnung der Zukunft ist eine

Vertrauensfrage!

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Innovation

90 Prozent der globalen Warenströme werden über die Weltmeere transportiert. Angetrieben werden die Schiffsmotoren

von Dieselkraftstoff oder Schweröl. Schon in fünf Jahren könnte die Frachtschifffahrt nach Expertenschätzungen auf eine

umweltfreundlichere Alternative zurückgreifen: LNG (Liquefied Natural Gas).

Volle Fahrt voraus – ab 2015 sollen mit

LNG betriebene Schiffe auch über die

Weltmeere schippern. Davon geht

zumindest das Unternehmen

Germanischer Lloyd aus.

Von Ralph Müller, freier Journalist

Die Motoren dazu sind längst in der Praxis erprobt:

Seit dem Jahr 2000 werden in Norwegen Fähren mit

reinem LNG-Antrieb eingesetzt. Der norwegische

Staat unterstützt die

umweltfreundliche

Alternative mit staat-

licher Förderung und

macht den LNG-An-

trieb zur Bedingung für die Erteilung von Konzes-

sionen an die Fjordfähren-Betreiber. Doch nicht

nur Fähren auf dem Fjord, auch LNG-Tankschiffe

auf den Weltmeeren nutzen das saubere Flüssig-

gas für den Antrieb und die Stromerzeugung zu-

sätzlich zu den konventionellen Kraftstoffen.

Als die „Glutra“ im Jahr 2000 vom Stapel lief,

schrieb sie Seefahrtsgeschichte. Die Fähre ist

das Pionierschiff für den reinen LNG-Antrieb und

gehört der Fährreederei Fjord 1 MRF AS, eine

der größten regionalen Verkehrsgesellschaften

in Norwegen. Das 95 Meter lange und 16 Meter

breite Schiff kann 300 Passagiere transportieren

und in seinen Spezialtanks rund 32 000 Liter LNG

aufnehmen. Mittlerweile fahren weitere Fähren in

norwegischen Umweltschutzgebieten mit dieser

LNG (auch verflüssigtes Erdgas oder Flüssigerdgas genannt)

wird auf –164 bis –161 ̊ C abgekühlt. Es weist lediglich 1/600stel

des Volumens von Erdgas auf.

LNG (Liquefied Natural Gas)

Erdgas als Schiffstreibstoff – Experten erwarten LNG-Zeitalter auf Hoher See

Foto: aboutpixel.de/Reiner Pflamminger

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Technologie. Vom Fjord geht es jetzt in großem Maß-

stab auf die Weltmeere. Bis einschließlich Mai 2010

durften nur LNG-Tanker Gas als Schiffsbrennstoff

nutzen. Doch seit dem 1. Juni gilt eine Interims-

Richtlinie der Weltschifffahrtsorganisation IMO

(International Maritime Organization), nach der

auch andere Handelsschiffe mit dem LNG-Antrieb

auf internationale Fahrt gehen dürfen.

Damit sind die Weichen für eine Erfolgsgeschichte

des Liquefied Natural Gas in der Seefahrt ge-

stellt. Hilfreich für den Durchbruch von LNG ist

die Beschränkung der NOx (Stickstoffoxid) und

SO2 (Schwefeldioxid)-Emissionen durch die

UN-Schifffahrtsorganisation IMO und die Dis-

kussion über die Reduktion des CO2-Ausstoßes.

Gute Zeiten für verflüssigtes Erdgas: Denn LNG

als primärer Kraftstoff für Seeschiffe reduziert

den CO2-, NOx- und Partikel-Ausstoß und beseitigt

die SO2-Emissionen fast ganz.

Auf einer Expertentagung in Hamburg mit dem Titel

„Erdgas als Schiffstreibstoff – Status und Trends“

erklärte Håkan Werner, dass LNG langfristig die ent-

scheidende Alternative zu Schweröl oder Schiffs-

dieseltreibstoff sei. Werner ist der Vice-President

der norwegischen Reederei I.M.Skaugen SE, die

sich auf den Gas-Transport spezialisiert hat. LNG

überzeuge mit optimalen Emissionswerten, so der

Vice-President. Das ist auch wichtig, weil Werner

damit rechnet, dass künftig auch die Schifffahrt mit

einer Art von Klimaschutzabgabe belastet werde.

Ein sauberer Treibstoff wie LNG würde dann nur

entsprechend gering taxiert werden. Die Antriebs-

technik stehe bereits zur Verfügung, erklärte der

Vice-President. Für die Zukunft sei der Ausbau

einer weltweiten Infrastruktur zur Versorgung mit

dem Flüssiggas eine große Herausforderung. Hier

seien Investitionen in Höhe von Milliarden Euro

nötig, sagte Werner.

Ort der Tagung, auf der Spezialisten aus dem

In- und Ausland 130 Zuhörern einen Überblick

über das bereits Erreichte gaben

und in die Zukunft blickten, war

die Unternehmenszentrale der

Schiffsklassifizierungsgesell-

schaft Germanischer Lloyd (GL).

Dessen Leiter Strategische For-

schung, Pierre Sames, rechnet

damit, dass LNG in der kom-

Das Fährschiff fährt auf der Route Seivika–Tømmervåg. Es

ist knapp 95 Meter lang und 16 Meter breit und hat Platz

für 300 Passagiere und 100 Fahrzeuge. Im Jahr ihrer Fertig-

stellung wurde die M/F Glutra zum Schiff des Jahres gewählt.

Angetrieben wird es durch einen Gasmotor, Treibstoff bilden

die rund 32 000 Liter LNG in den Spezialtanks.

Die M/F Glutra

Foto: Fjord1/Harald M. Valderhaug

merziellen Frachtschifffahrt in gut fünf Jahren in

größerem Stil als alternativer Schiffstreibstoff zum

Schweröl oder Diesel eingesetzt werde.

50 Millionen Euro für LNG-Terminal

Für den schwedischen Hafen Göteborg beginnt das

LNG-Zeitalter für die Schifffahrt voraussichtlich

ab 2013. Bis dahin will der örtliche Energiean-

bieter Göteborg Energi ein eigenes LNG-Terminal

errichten. Die Investitionen belaufen sich auf

rund 50 Millionen Euro. Linda Sahlén, Projektmit-

arbeiterin bei Göteborg Energi, erklärte zu dem

stadtnahen Terminal, dass die „Akzeptanz in der

Bevölkerung für das Projekt vorhanden“ sei. Nicht

nur für das Land, auch für die Hohe See laufen

intensive Planungen für das LNG-Zeitalter. Die

Schiffsbau- und die Schiffszulieferer-Industrie

sind längst auf das Thema eingestiegen. So ent-

stehen Entwürfe für Containerschiffe mit 1200 TEU.

TEU bedeutet „Twenty feet Equivalent Unit“ und

ist ein Maß für die Lade- oder Transportkapazität

von Containerschiffen. Gemeint sind damit 20-Fuß-

Container, die 6,10 Meter lang, 2,60 Meter hoch

und 2,44 Meter breit sind. Aber auch RoPax-Fähren

(Roll On/Roll Off-Schiffe mit Passagierkabinen),

Mega-Yachten (Lürssen-Werft) und Passagierfäh-

ren (Meyer Werft) sind in Planung.

Dabei wird sich nach Meinung von Experten für

einen Übergangszeitraum zunächst ein Kombina-

tionsantrieb aus herkömmlichem Diesel und LNG

durchsetzen. Denn noch seien einige wichtige

technische Details für den Großeinsatz zu lösen

und die Arbeiten an international gültigen und

verbindlichen Vorschriften seien nicht abgeschlos-

sen. Doch für die Zukunft spricht noch aus einem

zusätzlichen Grund alles für LNG. Denn während

Öl vom „Peak Oil“ und damit von Verknappung

bedroht ist, kann Erdgas noch über Jahrzehnte

den absehbaren Bedarf decken.

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WEC-Kongress

Energiebranche und Politik diskutieren über Versorgungssicherheit und weltweiten KlimaschutzMehr als 7000 Delegierte diskutierten beim 21. Weltenergiekongress die Heraus-forderungen des Energiesektors. Sandra Biesel war live dabei und berichtet über die fünftägige Tagung in Montreal.

Von Sandra Biesel, VNG

„Responding now to global challenges“ lautete das

Motto des 21. Weltenergiekongresses, der vom

12. bis 16. September 2010 in Montreal, Kanada,

stattfand. Im Rahmen des weltweit größten Forums

zum Thema Energie diskutierten mehr als 7000

Teilnehmer aus 137 Ländern die vier brisantesten

Energiethemen – die vier A’s: Accessability (Zu-

gang), Availability (Verfügbarkeit), Acceptability

(Akzeptanz) und Accountability (Verantwortung).

Der Kongress findet turnusmäßig aller drei Jahre

statt.

In seiner Eröffnungsrede betonte Pierre Gadonneix,

Vorsitzender des Weltenergierates, dass wir bei

der Bewältigung der vor uns liegenden Heraus-

forderungen zusammenarbeiten sowie Vielfältig-

keit, Austausch und innovatives Denken fördern

müssen. Gleichfalls hob er die Einzigartigkeit

des Kongresses hervor. Er biete die Möglichkeit,

Visionen, Ideen und Best-Practice-Beispiele mit-

einander zu teilen und Optionen zu diskutieren,

wie Markt und Regulierung ins Gleichgewicht

gebracht werden können. Gadonneix sprach sich

dafür aus, dass die Erarbeitung eines sinnvollen

regulatorischen Rahmens auf der Agenda ganz

oben stehen sollte, um nachhaltiges Wachstum

zu ermöglichen.

Der Zeitpunkt des 21. Weltenergiekongresses

ist mehr als passend: Neun Monate nach dem

Scheitern der 15. UN-Klimakonferenz in Kopen-

hagen und nur wenige Monate vor dem nächsten

G8-Gipfel in Kanada. Die Energiewirtschaft sucht

nach Lösungen, um angemessen und nachhaltig

auf die internationalen Herausforderungen der

nächsten Jahre reagieren zu können. Dabei fordert

die augenblickliche Lage ein noch nie da gewesenes

Maß an Kooperation zwischen Energieunternehmen

und Staaten, vor allem auch vor dem Hintergrund

der Energienachfragen in den Entwicklungs- und

Schwellenländern.

Langfristig angelegte Rahmenbedingungen

fördern Investitionen und unterstützen Wachstum

Um die Herausforderungen des Nachfragewachs-

tums zu bewältigen, bedarf es weiterhin ein Mehr

an Investitionen. Grundvoraussetzungen dafür

sind langfristig angelegte Rahmenbedingungen.

Insbesondere Industrienationen haben Bedenken

und fürchten die fehlende Erholung nach der

Sandra Biesel arbeitet bei

VNG im Bereich Gasbeschaf-

fung. Von Juli 2009 bis März

2011 ist sie vom Unternehmen

zum World Energy Council

(WEC) nach London entsandt

worden. Dort ist sie im Stu-

dienbereich tätig, auch den

Kongress in Montreal hat sie

mit vorbereitet.

Unsere Autorin

MO N T R E A L

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Wirtschaftskrise, steigende Arbeitslosenzahlen

und das Risiko einer Double-Dip Rezession.

Dadurch agieren die Entscheidungsträger noch

immer vorsichtig, wenn es um langfristige Inves-

titionen geht.

Während staatliche Anreizprogramme rechtmäßig

und notwendig waren, stellen die entstandenen

öffentlichen Defizite nun die Kraft nationaler

Politiken infrage, vor allem die, die saubere

Technologien auf nationaler und internationaler

Ebene unterstützen. Die Folge: Man distanziert

sich von langfristigen Strategien, greift zu kurz-

fristigen und eher kostengünstigen Lösungen

und lässt die umweltfreundlichen Alternativen

dadurch vielleicht außen vor. Eine verheerende

Entwicklung, insbesondere in einer Zeit, in der

Investitionen in die Zukunft zwingend notwendig

sind.

Das einheitliche Credo aus Montreal lautete da-

her: Die Balance zwischen Markt und Regulierung

muss jetzt hergestellt werden und langfristige

politische Maßnahmen müssen zeitnah entwickelt

und implementiert werden. Und man müsse die

notwendigen Investitionsentscheidungen unter-

stützen, die eine nachhaltige Energieversorgung

gewährleisten.

Klimawandel weiterhin auf

der Energieagenda

Im Dezember 2009 verpflichteten sich die Teil-

nehmerstaaten in der Kopenhagen-Vereinbarung

(„Copenhagen Accord“), die globale Erwärmung

auf weniger als zwei Grad Celsius zu begrenzen.

Diese konkreten Reduktionsziele, die zum da-

maligen Zeitpunkt noch nicht genannt wurden,

haben fast 80 Länder bis April 2010 als Selbst-

verpflichtungen verbindlich eingereicht. Diese

Länder verursachen immerhin rund 80 Prozent

der weltweiten Emissionen. In Montreal ist man

sich jedoch sicher: Das Zwei-Grad-Ziel durch die

CO2-Reduktion wird nicht erreicht. Stattdessen

wird ein Anstieg der globalen Mitteltemperatur

um mehr als drei Grad Celsius noch in diesem

Jahrhundert prognostiziert.

Warum diese krasse Diskrepanz? Weil nach wie

vor die – mitunter legitimen – Bedenken über

die Kosten beim Übergang in eine CO2-arme

Wirtschaft, der Einfluss dieser Kosten auf das

Wirtschaftswachstum und die Zusammenfüh-

rung von Wachstum und Umweltschutz überwie-

gen. Die Diskussionen in Montreal zeigen, dass

nach Auffassung der Energiewirtschaft Gesetze

Vom 12. bis 16. September 2010 war er zentraler Treffpunkt der weltweiten Energieexperten: der Palais des Congrès de Montréal.

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benötigt werden, die die verschiedenen, bereits

vorhandenen Technologien berücksichtigen, die

Potenziale sowie Vor- und Nachteile selbiger

bewerten und die Kosten unter verschiedensten

Rahmenbedingungen bedenken.

Energiewandel akzeptabel und

verantwortlich gestalten

Nichtzuletzt wurden in Montreal auch die exis-

tierenden sozialen Bedenken bestätigt. Der En-

ergiewandel müsse akzeptabel für alle sein, hieß

es von den Teilnehmern. Sonst würde der Wandel

gar nicht stattfinden. Und es dürfe auch niemand

außen vor gelassen werden. Immer mehr Menschen,

insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenlän-

dern, ziehen vom Land in die Stadt, um von den

Vorteilen der bestehenden Infrastrukturen zu profi-

tieren. Hier müsse sich der gesamte Energiesektor

mit seinen Investitionen und Dienstleistungen

anpassen. In Montreal ging man sogar noch einen

Schritt weiter: In zahlreichen Diskussionsrunden

forderten die Teilnehmer, dass die Akzeptanz ge-

genüber den Infrastrukturen in der Bevölkerung

erhöht werden müsse. Keine Technologie sei

fehlersicher und jeder Unfall könne uns betreffen.

Fortsetzung von Seite 45

Energiebranche und Politik diskutieren über Versorgungssicherheit und weltweiten Klimaschutz

Der Weltenergierat (World Energy Council – WEC) wurde 1923 mit Sitz in London gegründet.

Ihm gehören heute beinahe 100 nationale Komitees an, darunter staatliche Einrichtungen,

Energie- und Industrieunternehmen sowie zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen. Als

nichtstaatliche, gemeinnützige Organisation bildet er ein weltweites Kompetenznetz, das

in Industrieländern, Schwellenländern und Entwicklungsländern aller Regionen vertreten

ist. Als einziges energieträger-übergreifendes globales Netzwerk dieser Art verfolgt er das

Ziel, die nachhaltige Nutzung aller Energieformen voranzutreiben. Dabei umfassen seine

Aktivitäten das gesamte Spektrum der Energieträger – Kohle, Öl, Erdgas, Kernenergie

und erneuerbare Energien – sowie die damit verbundenen Umwelt- und Klimafragen. Der

nächste Weltenergiekongress findet 2013 in Deagu, Korea statt.

Weltenergierat: www.worldenergy.org

Weltenergierat – Deutschland: www.worldenergy.org/dnk

Weltenergiekongress 2010: www.wecmontreal2010.ca

Deshalb müsse der Dialog zwischen Energiewirt-

schaft und Öffentlichkeit dauerhaft gefördert

werden. Energieinfrastrukturen, deren Sicherheit

sowie deren Einfluss auf die Umwelt müssen

mit der Zivilgesellschaft öffentlich diskutiert

werden. Die Energieunternehmen zeigen sich

dafür verantwortlich, zuzuhören, zu informieren,

zu erklären und wo notwendig anzupassen und

nachzubessern.

Bild oben: Der Chefökonom der Internationalen Energieagentur

(IEA), Fatih Birol, sprach sich auf dem Weltenergiekongress

für den Ausbau von alternativen Energien aus. | Bild unten:

Pierre Gadonneix, Vorsitzender des Weltenergierates, fordert

Vielfältigkeit, Austausch und innovatives Denken.

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EU-Energiepolitik

Die neue Erdgasversorgungssicherheits-Verordnung – Ergebnis der Verhandlungen auf EU-Ebene und Ausblick

In Reaktion auf die Gaskrise zwischen Russland und der Ukraine im Winter 2008/2009 schlug die Europäische Kommission am 16. Juli 2009 eine neue Verordnung vor. Sie soll zukünftig Gas-Lieferengpässen in Europa vorbeugen.

Von Dr. Ralf Pastleitner, VNG-Büro Brüssel

Am 18. März 2010 stimmte der im EU-Parlament

zuständige Industrieausschuss – das EU-Parla-

ment ist bei diesem Gesetzesvorschlag neben

dem Rat der EU mitentscheidungsberechtigt –

seinen Bericht zum Kommissionsvorschlag

mit zahlreichen Änderungen ab. Unmittelbar

darauf begannen die informellen Trilogver-

handlungen zwischen EU-Kommission, Rat

der EU sowie EU-Parlament, um – nicht zuletzt

aufgrund der Dringlichkeit des Gesetzesvorha-

bens – einen tragfähigen Kompromiss noch vor

der ersten Lesung im Plenum des EU-Parlaments

zu erzielen.

Die EU-Institutionen konnten sich nach zähem

Ringen schließlich Ende Juni 2010 auf eine ge-

meinsame Formulierung einigen. Der gefundene

Kompromisstext wurde am 21. September vom

Plenum des EU-Parlaments bestätigt und wird

aller Voraussicht nach noch im November 2010

auch vom Rat der EU endgültig beschlossen.

Abhängig von der Einhaltung dieser provisorischen

Zeitschiene könnte die neue Verordnung dann

Ende 2010 in Kraft treten.

Aus Sicht von Gaswirtschaft und VNG sind eini-

ge Punkte im neuen Gesetzeswerk besonders

bedeutsam.

1. Einrichtung von strategischen Speichern

Die Verpflichtung zur Einrichtung von strategischen

Speichern findet sich im Kompromiss nicht wieder.

Nur im Anhang zur Verordnung wird für den Notfall

die Nutzung strategischer Speicher als mögliche

nicht-marktbasierte Maßnahme aufgelistet. Somit

ist klar, dass auch weiterhin der kommerzielle Spei-

chermarkt grundsätzlich

nicht angetastet wird. Es liegt letztlich

beim einzelnen Mitgliedstaat, ob er auf seinem

Gebiet die Errichtung strategischer Speicher für

Versorgungsengpässe als notwendig oder sinnvoll

erachtet. Deutschland zeigt sich bisher skeptisch

gegenüber der Errichtung strategischer Speicher.

2. Reverse flow

Reverse flow, also die Möglichkeit, Erdgas in

einer Pipeline in beide Richtungen zu transpor-

tieren, soll nach dem vorliegenden Kompromiss

durch die nationalen Fernleitungsnetzbetreiber

eingerichtet werden. Längstens binnen 3 Jah-

ren ab Inkrafttreten der Verordnung sollen sie

an allen grenzüberschreitenden Interkonnek-

toren zwischen den Mitgliedstaaten eingerichtet

werden.

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nicht angetastet wird. Es liegt letztlich

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Interkonnektoren zu Produktionsstätten, LNG-

Einrichtungen sowie zu Verteilernetzen sind von

der Regelung explizit ausgenommen.

Weitere Ausnahmen können unter bestimmten

Umständen und auf Antrag eines Fernleitungs-

netzbetreibers gewährt werden: Etwa wenn eine

Verbesserung der Versorgungssicherheit durch

Reverse flow nachweislich nicht gegeben ist oder

die Kosten den Nutzen deutlich übersteigen wür-

den. Damit wurde der Forderung betroffener In-

dustrien Rechnung getragen, die um Prüfung der

wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit einzelner Reverse-

flow-Verbindungen vor deren Einrichtung gebeten

hatten.

Der Verordnungstext bestimmt auch, wie die betei-

ligten Mitgliedstaaten die Kostentragung bei der

Einrichtung von Reverse flow regeln sollen. Zum

einen werden die nationalen Regulierungsbehör-

den in der Verordnung verpflichtet, die bei den

Unternehmen durch die Einrichtung von Reverse

flow anfallenden Kosten bei der Genehmigung

der Tarife angemessen zu berücksichtigen.

Zum anderen kommt es bei der Einrichtung

von Reverse-flow-Kapazitäten, die nicht durch

die Marktsituation bedingt sind, und die Investiti-

onen in mehreren Ländern oder in einem Land zum

Vorteil eines anderen erfordern, darauf an, welcher

Mitgliedstaat wie stark von einer solchen Reverse-

flow-Verbindung profitiert. In einem solchen Fall

müssen vor einer Investitionsentscheidung zu-

nächst die nationalen Regulierungsbehörden der

beteiligten Mitgliedstaaten eine Einigung über die

Kostentragung erzielen. Damit wurde einer auch von

den betroffenen Industrien unterstützten Forderung

nach Prüfung der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit

einzelner Reverse-flow-Verbindungen vor deren

Einrichtung Rechnung getragen

3. Grenze für die Ausrufung des EU-Notfalls

Die ursprünglich im Verordnungstext vorgese-

hene Aussage über die Grenze für die Ausru-

fung des EU-Notfalls (20 % Ausfall der gesamten

EU-Gasimporte) ist gänzlich gestrichen worden.

Stattdessen kann die Kommission auf Antrag

einer Regulierungsbehörde, welche den nati-

onalen Notfall ausgerufen hat, den EU-Notfall

oder einen regional begrenzten Notfall ausrufen.

Fortsetzung von Seite 47

Die neue Erdgasversorgungssicherheits-Verordnung ...

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Sollten zumindest zwei Regulierungsbehörden

den nationalen Notfall ausgerufen haben und

diese Notfälle miteinander in Verbindung stehen,

so muss die Kommission den EU-weiten Notfall

oder einen regionalen Notfall ausrufen.

Wann ein nationaler Notfall ausgerufen wird,

hängt vom Eintreten bestimmter, in der Ver-

ordnung definierter Krisenstufen ab, auf denen

die Notfallpläne der einzelnen Mitgliedstaaten

aufbauen müssen.

4. „Geschützte Kunden“-Begriff

Der Kompromiss enthält grundsätzlich einen en-

gen, auf reine Haushaltskunden beschränkten

„geschützte Kunden“-Begriff. Dabei handelt

es sich um jene Kunden, deren Versorgung mit

Erdgas im Notfall für eine bestimmte Zeitspanne

sichergestellt werden muss. Allerdings kann dieser

Begriff durch die Mitgliedstaaten bei Bedarf

erweitert werden, und zwar auf bestimmte

„notwendige soziale Einrichtungen“ (z. B.

Krankenhäuser) sowie auf kleine und

mittlere Unternehmen (KMU), die an ein

Gasverteilernetz angeschlossen sind.

Der Gesamtverbrauch dieser zusätzlichen

geschützten Kunden darf aber nicht mehr als 20 %

am gesamten Gasendverbrauch ausmachen. Die

Begrenzung soll gewährleisten, dass es nicht zu

einer Erweiterung des Kreises der in einem Mit-

gliedstaat geschützten Kunden auf ein nicht mehr

zu versorgendes Maß kommt.

Ebenfalls als geschützte Kunden können Fernwär-

meeinrichtungen vorgesehen werden, sofern sie

Haushaltskunden, KMUs oder „notwendige soziale

Einrichtungen“ versorgen.

5. Dreistufigkeit der Verantwortlichkeiten

im Notfall

Es bleibt bei der seitens der Industrie geforderten

klaren Dreistufigkeit der Verantwortlichkeiten

im Notfall. Das bedeutet, dass bei einem Versor-

gungsengpass zunächst die Erdgasunternehmen

mit ihrer ausgewiesenen Expertise bei der Sicher-

stellung der Erdgasversorgung tätig werden, dann

die Mitgliedstaaten und erst als letzte Option die

Europäischen Institutionen.

6. Stärkung der Stellung der

Gas Coordination Group

Es bleibt überdies bei einer Stärkung der Stel-

lung der Gas Coordination Group im Rahmen

der Verordnung. Dieser Gruppe gehören unter

anderem Vertreter der Mitgliedstaaten, der na-

tionalen Regulierungsbehörden, der betroffenen

Industrieverbände sowie von ACER und ENTSO-G

an. Sie wird bei wesentlichen Entscheidungen

im Rahmen der Verordnung beratend hinzu-

gezogen.

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gezogen.

7. Marktbasierte und nicht-marktbasierte

Maßnahmen

Generell findet sich an mehreren Stellen im vor-

liegenden Kompromiss das seitens der Industrie

geforderte klare Bekenntnis zum Vorrang markt-

basierter Maßnahmen zur Lösung eines Versor-

gungsengpasses vor nicht-marktbasierten, also

reinen Solidaritätsmaßnahmen.

Eine endgültige Bewertung des Verordnungsvor-

schlages kann derzeit aufgrund des darin vorgese-

henen Gestaltungsspielraumes der Mitgliedstaaten

noch nicht abschließend getroffen werden. Es

bleibt abzuwarten, wie die einzelnen Mitglied-

staaten – und hier insbesondere Deutschland –

ihre Spielräume, etwa in Bezug auf die Definition

der „geschützten Kunden“ ausnutzen werden.

Dr. Ralf Pastleitner arbeitet

als Leiter im Brüsseler Büro

von VNG. Der aus Österreich

stammende Jurist war zuvor

bereits Leiter eines Abgeord-

netenbüros im Europäischen

Parlament und als Senior

Consultant bei einem Brüs-

seler Beratungsunternehmen

beschäftigt.

Unser Autor

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Nachgefragt

Ein Fall für CharlotteDas Explorations- und Produktionsgeschäft von Erdöl und Erdgas ist in jeder Hinsicht ein komplexes

Unterfangen, egal ob es um seismische Messungen und Interpretationen oder technische Raffinessen

einer Tiefseebohrung geht.

Charlotte, die fleißige Honigbiene der VNG Norge, beantwortet in jeder Ausgabe von medium gas

Fragen zum norwegischen E&P-Geschäft.

Wo liegen die Unterschiede zwischen einer Bohr-

plattform und einer Förderplattform?

In der Offshore-Industrie unterscheidet man

zwischen Bohr- und Förderplattformen. Eine Bohr-

plattform dient dazu, Bohrungen abzuteufen und

damit vermutete Erdöl- oder Erdgasvorkommen

nachzuweisen. Wenn die Bohrungsphase erfolg-

reich beendet werden konnte – sprich technisch

und wirtschaftlich förderbare Kohlenwasserstoffe

nachgewiesen wurden – wird die Bohrplattform

entfernt und eine Förderplattform über dem

Bohrloch platziert. Bei größeren Entdeckungen

kann die Förderplattform eine Bohrvorrichtung

enthalten, da während der Entwicklung und

Ausbeutung solcher Lagerstätten weitere Ab-

grenzungs- bzw. Förderbohrungen abgeteuft

werden müssen.

Wie werden Plattformen „verankert“?

Bohr- und Förderplattformen können

fest auf dem Meeresboden stehen,

mit einem Sockel aus Beton oder

Stahl. Sie werden an Land gebaut

und später mit Schleppern zum

Feld transportiert. Eine weitere

Bauart ist die Hubbohrinsel

(Jack-up rig). Diese Plattformart steht auf

Gerüstbeinen auf dem Meeresboden und

kann vertikal bewegt werden. Beide Platt-

formen sind auf Grund ihrer Konstruktion

in Tiefwassergebieten nicht einsetz-

bar. Dagegen können Halbtaucherplattformen

(semi-submersible rig), die auf Pontons im Meer

schwimmen und eine der mobilsten Arten von

Bohrinseln darstellen, auch in großen Wasser-

tiefen eingesetzt werden. VNG Norge hat bei ihrer

ersten Bohrung als Betriebsführer im vergangenen

Jahr diese Art von Bohrinsel eingesetzt (Bredford

Dolphin). Daneben gibt es noch die so genannte

TLP (Tension leg platform), bei der eine Halbtau-

cherinsel mit vertikal verlaufenden Stahltrossen

über das Bohrloch gehalten wird. Diese Form der

Bohrplattform wird häufig als Produktionsplatt-

form verwendet. Nicht zuletzt können auch mit

Hilfe von Bohrschiffen Bohrungen niedergebracht

werden – vorzugsweise in sehr großen Tiefen.

Wem gehören die Plattformen?

Bohrinseln werden üblicherweise im Rahmen eines

Bohrkonsortiums, in dem mehrere operierende

Firmen vereinigt sein können, für eine gewisse

Zeitspanne gemietet (sog. Rig slot). Kommt es

zur Feldentwicklung, gibt der Betriebsführer des

jeweiligen Feldes den Bau einer Förderplattform

in Auftrag.

Stimmt es, dass die größten noch nicht gefundenen

Felder im Offshore-Tiefwasser liegen?

Einer gängigen Meinung folgend liegt das größte

Potenzial für Neufunde im Offshore-Tiefwasser-

Bereich der großen Ozeane, wie die gigantischen

Ölentdeckungen der letzten Jahre vor der Küste

werden müsüsüsüssesesesen.

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Sie wollen wissen, wie Kohlenwasserstoffe in der Erdkruste entstehen, wie viel Zeit zwischen Fund und Förderung vergeht oder wie eine

Bohrplattform auf hoher See arbeitet? Schreiben Sie Ihre Frage per E-Mail an [email protected] oder per Post an VNG – Verbundnetz Gas AG,

Öffentlichkeitsarbeit/Interne Kommunikation, Braunstraße 7, 04347 Leipzig.

Brasiliens gezeigt haben. Die Auffindung und

Entwicklung solcher Lagerstätten ist allerdings

mit völlig neuen Herausforderungen an Mensch

und Technik verbunden.

Wie groß ist eigentlich ein Bohrloch im Gestein,

aus dem letztlich Öl und Gas gefördert wird?

Nicht besonders groß. Der Durchmesser ist ver-

gleichbar dem einer Flasche oder eines kleinen

Kochtopfes, oft zwischen 10 und 20 cm. Klingt

leider ziemlich unbeeindruckend. Interessanter

wird es, wenn man sich einmal anschaut, wie

das „Loch“ aufgebaut ist; es ist nämlich kein

einfaches Loch, so wie wir es mit einem Bohrer

in die Wand bohren würden, sondern es besteht

aus mehreren Elementen.

Welche Elemente sind das?

Zum einen ist da das eigentliche Bohrloch, das der

Bohrer im Untergrund hinterlässt. Dieses Loch hat

keinen konstanten Durchmesser, sondern sieht

ähnlich aus wie ein Teleskop. An der Erdoberfläche

beginnt es mit einem recht großen Durchmesser

(ca. 75 bis 90 cm), um dann ab einer bestimmten

Tiefe enger zu werden. Warum? Weil das offene

Bohrloch in Abständen gesichert werden muss,

ähnlich wie eine Baugrube mit Spundwänden

gegen das drückende Gestein außerhalb der

Grube gesichert wird. Im Falle einer Tiefbohrung

werden keine Wände eingezogen, sondern Rohre

in das Bohrloch eingeführt, die dann mit Hilfe

von Zement fest mit dem umgebenden Gestein

verbunden werden. Dieser Vorgang wird als

„Verrohren“ bezeichnet. Um jetzt aber in die-

sem verrohrten Loch weiter in die Tiefe bohren

zu können, muss der nächste Bohrer (genauer:

der Kopf des Bohrers) einen kleineren Durch-

messer haben als der erste, weil er ansonsten

nicht mehr in das verrohrte Loch passen würde.

Dieser Vorgang wiederholt sich einige Male, bis

die Bohrung in dem Bereich angekommen ist, in

welchem (hoffentlich) Erdgas oder Öl im Gestein

gespeichert ist. Auch dort wird die Bohrung in

der Regel verrohrt und zementiert.

Wenn es verrohrt ist, kann doch kein Öl oder Gas

mehr nach oben strömen?

Richtig. Durch das Zementieren hat man das, was

man eigentlich produzieren möchte, ausgesperrt.

Um die Produktion von Öl oder Gas zu ermöglichen,

sind jetzt noch mindestens zwei Schritte notwen-

dig. Zuerst muss ein Zugang geschaffen werden,

durch den Öl oder Gas die Bohrung wieder

erreichen können. Dafür wird das zementierte

Rohr in genau festgelegten Positionen (dort,

wo Öl oder Gas im Speichergestein vorhanden

sind) „perforiert“, also gelocht. Danach wird ein

spezielles Rohr in die Bohrung eingeführt und mit

so genannten „Packern“ gegen die eigentliche

Verrohrung abgetrennt. Bei dieser Bohrung sind

wir endlich bei den 10 –20 cm Durchmessern

angekommen. Das Rohr, auf deutsch „Steigrohr“,

auf englisch „tubing“ genannt, bringt letztendlich

das Gas oder Öl vorbei an den verschiedenen

Sicherheitsventilen bis an die Oberfläche. Der

Sinn hinter diesem zusätzlichen Rohr ist im We-

sentlichen, den Inhalt des Öl- oder Gasspeichers

kontrolliert und sicher produzieren zu können.

Wenn der Durchmesser des Loches jetzt nicht

beeindruckender klingt als zu Beginn, dann kann

man versuchen, sich vorzustellen, dass das Loch

eine Länge von bis zu über 7 km haben kann.

bis

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Russland

2009 – das Jahr der Herausforderungen und MöglichkeitenUnter diesem Motto stand die diesjährige Jahreshauptver-

sammlung der Aktionäre der OAO „Gazprom“. Unsere Autorin

war live dabei – und berichtet über die Geschäftsaktivitäten

und zukünftigen Pläne des russischen Erdgaslieferanten.

Von Dr. Tatjana Bandlowa

In seinem Bericht betonte der Vorstandsvorsitzende

Alexej Miller, wie der Konzern den veränderten

Bedingungen der Finanz- und Wirtschaftskrise,

vor allem dem verminderten Erdgasabsatz und

damit den verminderten Einnahmen entgegen-

wirkte. Noch im Jahre 2008 ist eine Antikrisen-

Strategie ausgearbeitet worden. So wurden 2009

die Finanzinvestitionen um 17 %, die materiellen

Investitionen um 30 % gekürzt, wobei von der

Reduzierung die Vorrang-Projekte und auch die

Sozialleistungen unberührt geblieben sind.

Im Ergebnis konnte die Erdgasvorratsbasis (Ka-

tegorie A+B+C1) auf 33,6 Bill. m³, was 20 % der

Welterdgasvorräte entspricht, erhöht werden.

Neben der aktiven Erkundungstätigkeit in Russland

hat Gazprom in Usbekistan eine Erdgaslagerstätte

und auf dem Schelf Vietnams eine Erdgaskondensat-

lagerstätte entdeckt. Gazprom erkundet Erdöl- und

Erdgas-Lagerstätten in Indien, Venezuela, Kuba,

Libyen, Algerien, Kirgistan und Tadshikistan sowie

Erdöllagerstätten in Ecuador, Guinea und Irak.

Die Erdgasförderung von OAO „Gazprom“ lag 2009

mit 461,5 Mrd. m³ um 16 % unter dem Niveau

von 2008. Die Lieferungen nach Europa sanken

gegenüber 2008 um 8,8 % auf 152,8 Mrd. m³. In

der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2009 stieg die

Förderleistung wieder über das Vorjahresniveau.

Im Jahre 2013 wird mit einer Erdgasförderung in

Höhe von 565,5 Mrd. m³ gerechnet.

Alexej Miller sprach die Überzeugung aus, dass die

Nachfrage nach russischem Erdgas zukünftig weiter

steigen wird. Deshalb konzentriert sich Gazprom

auf eine Reihe vorrangiger Projekte, insbesondere

auf das Megaprojekt JAMAL. Begonnen wurde mit

dem Aufschluss der gigantischen Lagerstätte

BOWANENKOWO. Aktiv wird der Ferne Osten

(Halbinsel Kamtschatka) und der Arktische Schelf

(Lagerstätte STOCKMAN) erschlossen. Die Erdgas-

förderung aus den tiefer liegenden und geologisch

äußerst kompliziert gebauten Atschimow-Schich-

ten in Urengoi ist bereits aufgenommen worden.

Im weltgrößten Erdgastransportsystem mit mehr

als 160 Tkm wurden 2009 589,7 Mrd. m³ Erdgas

transportiert. Das waren 100 Mrd. m³ weniger als

im Vorjahr. Bis zum Jahre 2030 wird neben der Mo-

dernisierung des vorhandenen Transportsystems

ein Transportsystem der neuen Generation für

die Bedingungen des Hohen Nordens (Klima und

Baugrund) errichtet. Die Pipeline wird für einen

Betriebsdruck von 120 bar und einen jährlichen

Durchsatz von 300 Mrd. m³ ausgelegt. Das erste

Jamal-Erdgas wird im Jahre 2013 fließen.

Gazprom hält an der Diversifizierung der Erd-

gastrassen fest. Im April 2010 ist die erste Un-

Tatjana Bandlowa absolvierte

die Moskauer Gubkin-Hoch-

schule für Erdölchemie und

Gasproduktion als Diplom-

Geologin. An der gleichen

Hochschule promovierte sie

in der Fachrichtung Erdgas-

geologie zum Dr. rer. nat.

Frau Dr. Bandlowa arbeitete

mehr als 30 Jahre als Wissen-

schaftlerin im Zentralen Geo-

logischen Institut zu Berlin

und nach der Wiederverei-

nigung in der Bundesanstalt

für Geowissenschaften und

Rohstoffe Hannover, Außen-

stelle Berlin.

Sie ist seit 1998 für die VNG

beratend tätig.

Unsere Autorin

Ende Juni fand in Moskau die jährliche Hauptversammlung von

Gazprom statt. Im Bild unten: Alexej Miller, Vorstandsvorsit-

zender von Gazprom (li.) und Viktor Subkow, Vorsitzender des

Direktorenrates der OAO „Gazprom“ und erster stellvertretender

Vorsitzender des Ministerrates Russlands. Fotos: Gazprom

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terwasser-Schweißnaht für die Ostseeleitung

„Nord Stream“ gelegt worden. Zur Realisierung der

Erdgasleitung „South Stream“ sind Verträge mit

Bulgarien, Ungarn, Griechenland, Serbien, Slowe-

nien, Kroatien und Österreich abgeschlossen und

inzwischen vier Projekt-Organisationen gebildet

worden. Der Bau von „South Stream“ soll 2013

beginnen und das erste Erdgas im Jahre 2015 Rich-

tung Europa fließen. Über „Nord Stream“ werden

auch 4 Mrd. m³, d. h. 7 % der Leitungskapazität,

nach Großbritannien transportiert.

Generell bleibt Gazprom beim Prinzip „erst das

Gas verkaufen, dann fördern und transportieren“.

Perspektivisch verbindet Gazprom die Erhöhung

des Erdgasexportes u. a. auch mit dem Einsatz von

„Erdgas als Treibstoff“ in Europa, wozu allerdings

standardisierte Ausrüstungen unabdingbar sind.

Zielstrebig erhöht Gazprom die UGS-Kapazitäten

im eigenen Land, aber auch gemeinsam mit den

führenden europäischen Erdgasunternehmen

in den ost- und westeuropäischen Ländern. In

Russland befinden sich 25 Objekte mit einem Ak-

tivgasvolumen von 65,2 Mrd. m³ in Betrieb. Neue

Objekte werden auch in Salzkavernen errichtet.

Im Ausland ist Gazprom an UGS in Deutschland,

Österreich, Großbritannien und Frankreich betei ligt.

Geplant sind weitere gemeinsame UGS-Projekte in

Deutschland, Serbien, Ungarn, den Niederlanden,

Großbritannien, Italien, Rumänien, der Türkei,

Tschechien, der Slowakei und anderen Ländern.

Bis zum Jahre 2016 soll das Aktivgasvolumen im

Ausland auf 6,5 Mrd. m³, die Ausspeiseleistung

auf 80 Mio. m³ pro Tag gesteigert werden.

Zur Diversifizierung der Exporterlöse richtet Gaz-

prom seine Tätigkeit auf die Lieferung von Erdgas

und LNG in die Staaten der Region Asien–Stiller

Ozean aus. Mitte 2009 begannen der Bau der

Erdgasleitung Sachalin–Chabarowsk–Wladiwostok

und auch die LNG-Lieferungen aus dem Projekt

„Sachalin-2“. Die Verträge laufen bis 2028.

Die Verhandlungen über Erdgaslieferungen nach

China werden aktiv geführt. Unverändert führt

Gazprom seine Politik fort, weitestgehend alles

Erdgas aus den zentralasiatischen Ländern auf-

zukaufen.

Gearbeitet wird an einer Vereinigung von OAO „Gaz-

prom“ und NAK „Naftogaz Ukraina“. Konkret betrifft

das die Schaffung eines gemeinsamen Betriebs,

in den Gazprom bis 1 Bill. m³ Erdgasvorräte ein-

bringen will.

Der Binnenmarkt bleibt für Gazprom künftig der

wichtigste Markt, der durch die Realisierung der

Regierungsprogramme der Gasifizierung (derzei-

tiger Stand 61 %) ständig erweitert wird. Angestrebt

ist ein Angleichen der Binnen- und Exportpreise

(Export minus Transitgebühr). Dennoch wird diese

Phase noch einige Jahre in Anspruch nehmen.

Mit der Zielstellung, einer der größten vertikal

integrierten Energiekonzerne der Welt zu wer-

den, entwickelt OAO „Gazprom“ aktiv seinen

Erdöl- und Energiebereich. Angestrebt wird eine

Erdölförderung von 100 Mio. t im Jahre 2020. In der

Elektroenergie-Erzeugung zählt Gazprom bereits

heute zu den Top-10-Unternehmen der Welt.

Hochinteressant war die anschließende Presse-

konferenz. Die wichtigsten Aussagen waren:

Strategische Schwerpunktgebiete der künftigen

Tätigkeit von Gazprom sind die Halbinsel Jamal,

der Arktische Schelf und der Ferne Osten Russ-

lands.

Geprüft wird eine Zusammenarbeit mit den USA

bei Förder- und Transportprojekten auf Alaska, da

Russland über reiche Erfahrungen der Tätigkeit

im Hohen Norden verfügt.

Gazprom ist wichtiger Player auf dem globalen

Energiemarkt und will eine führende Position

erreichen.

VNG importiert seit 1973 russisches

Erdgas auf Grundlage langfristiger

Verträge. Zwei Transportrouten

stehen für das russische Erdgas zur

Verfügung: die Importpipeline über

Tschechien und die Jamal-Europa-Trasse über Polen. Wegweisend für die Versorgungs-

sicherheit der VNG-Kunden ist der im Jahr 2006 mit dem deutsch-russischen Vertragspartner

Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH (WIEH) abgeschlossene langfristige Importvertrag.

Er sieht die Lieferung von 90 Milliarden Kubikmetern Erdgas zwischen dem Jahr 2014 und

dem 1. Januar 2031 vor. VNG kooperiert seit 1998 mit Gazprom und ihren Tochtergesell-

schaften auf dem wissenschaftlich-technischen Gebiet. Beide Unternehmen zielen vor

allem auf den zuverlässigen, wirtschaftlichen und umweltgerechten Betrieb, die Wartung,

Instandhaltung und Rekonstruktion von Gastransportsystemen und Untergrundgasspeichern.

Zusätzlich engagieren sich VNG, Gazprom export, GAZPROM Germania und die langjährigen

Hochschulpartner von VNG und Gazprom im Deutsch-Russischen Rohstoff-Forum für ein

nachhaltiges Rohstoffmanagement. Über sein Tochterunternehmen Gazprom Germania

hält Gazprom 10,52 Prozent der Anteile an VNG.

VNG und Gazprom

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10 Gründe, die ukrainische Hauptstadt Kiew zu besuchen

Seit 1973 transportiert das ukrainische Unternehmen Ukrtransgas zuverlässig

russische Erdgasmengen nach Westeuropa, darunter auch die Gasmengen für

VNG. An der Ferngastrasse und ihrer Infrastruktur haben deutsche Monteure mit-

gearbeitet. Seit 1995 arbeiten die Dispatcherorganisationen von Ukrtransgas

und VNG auf vertraglicher Basis eng zusammen – ein besonderer Grund, sich mal

in Kiew umzusehen. Die Hauptstadt der Ukraine liegt am Ende der Verlängerung

der alten Via Regia (Frankfurt–Leipzig–Breslau–Kiew).

2012 wird die Drei-Millionen-Metropole einer der Austragungsorte der Fußball-

europameisterschaft sein – und hoffentlich unserer Nationalauswahl ein weiteres

„Sommermärchen“ erleben lassen.

1. Kirchen und Klöster

Die Skyline der Stadt wird durch die vielen Türme und Zwiebelkuppeln der

Kirchen und Klöster bestimmt. Das erklärt auch den Beinamen der Stadt,

Jerusalem des Nordens. Alle christlichen Konfessionen sind hier zu Hause.

Die prägnantesten Bauwerke sind das Höhlenkloster Kijewo Petscherska

Lawra und die St. Andreas Kirche im alten Stadtteil Podil. Podil wird seit

einigen Jahren behutsam saniert und beherbergt mittlerweile eine bedeu-

tende Künstlerszene. Die Sophienkathedrale ist der älteste ostslawische

Kathedralbau und hat in der Hagia Sophia (Heilige Weisheit) in Byzanz/

Istanbul sein Vorbild. Die Klosterkirche St. Michael wurde unter Stalin

abgerissen, um einen Paradeplatz zu schaffen, zu Beginn des neuen

Jahrtausends wiederaufgebaut, präsentiert sich die Klosterkirche heute

in den Nationalfarben der Ukraine, gold und blau.

Stadtansichten

Von Dr. Reinhard Böhm

2. Chreschtschatyk Boulevard und Majdan Nesaleschnosti

Mitten im Zentrum der Stadt befindet sich der Pracht-

boulevard Chreschtschatyk mit seinen Zuckerbäcker -

bauten der Nachkriegszeit. Er entstand aus den Ruinen des

Krieges. Als die deutsche Wehrmacht Kiew 1941 besetz-

te, zündete die Rote Armee Fernsprengsätze und die alte

Innenstadt brannte großflächig ab. Nach dem Krieg wurde

dieser Boulevard mit deutschen Kriegsgefangenen aufge-

baut und um 2000 restauriert. Die Kastanienbäume geben

dem Boulevard eine besondere Atmosphäre und machen

ihn zum Festplatz für Stadtfeierlichkeiten an den letzten

Maiwochenenden. Dann

stehen die Kastanien in

voller Blüte. Der Majdan

(Unabhängigkeitsplatz)

bildet den Mittelpunkt

des Boulevards, dort

fanden auch die macht-

vollen Demonstrationen

der orangenen Revolu-

tion statt.

3. Folklore

Zu Feiertagen ist es nach wie vor

üblich, dass landestypische Kleidung

getragen wird. Junge Mädchen prä-

sentieren sich ganz stolz, insbeson-

dere, wenn eine Kamera zuschaut.

4. Besarabischer Markt

An einem Ende des Chreschtschatyk befindet sich der

Bes arabische Markt. In der Markthalle können allerlei

Lebensmittel gekauft werden, unter anderem der viel-

gerühmte ukrainische Speck, roter und schwarzer Kaviar,

Fisch, Fleisch, Obst, Gemüse und Gewürze aller Art. Es ist

auf regend, hier zu schauen, zu probieren und um den Preis

zu feilschen – wie auf einem echten orientalischen Basar.

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Kiew

5. Dnepr und Hydropark auf der Dneprinsel

Der dem Schwarzen Meer entgegen strömende Dnepr

mit seinen Brücken und Inseln prägt die Stadt. An

seinen Ufern, in den grünen Hügeln und auf der Insel

im Hydropark kann man sich wunderbar von der Groß-

stadt erholen und in Restaurants und auf Restaurant-

schiffen ukrainische Köstlichkeiten genießen.

6. Architektur

Trotz der Kriegs-

zerstörungen und

der Zeit des Sozi-

alismus sind noch

viele Baudenkmale

aus vergangenen

Jahrhunderten vor-

handen, prächtige

Paläste des Adels,

reiche Bürgerhäuser

und Wirtschafts-

bauten. Zwei Bauten sind besonders prachtvoll: Das Gebäude

der Ukrainischen Nationalbank aus dem frühen 20. Jahrhundert

mit orientalischen Stilelementen und das Haus der Chimären

unweit des Präsidentenpalastes.

7. Mutter Heimat

Nach dem 2. Weltkrieg wurden

auf einem Hügel der Stadt, auf

dem Gelände einer alten Zaren-

festung, ein mächtiges Denkmal

(Frau mit Schwert), ein See der

Tränen und eine ewige Flamme sowie ein Militärmuseum

errichtet. Das Denkmal symbolisiert den Ruf der Mutter Heimat

und erinnert an die Schlacht um Kiew. Die begehbare Statue

ist 62 m hoch und steht auf einem 40 m hohen Granitsockel.

Sie wurde in den 1980er Jahren noch unter Breschnew ein-

geweiht. Die Stadt erhielt den Ehrentitel Heldenstadt.

Ein weiterer Memorial für die Opfer des 2. Weltkrieges und der

stalinistischen Gewaltherrschaft befindet sich in dem grünen

Hügel neben dem Petschera Lawra Kloster.

8. Gastlichkeit und Restaurants

In der Nähe des

Denkmals „Mutter

Heimat“ befindet

sich ein gemüt-

liches Nationali-

tätenrestaurant,

das in keinem

Stadtführer fehlt.

Ob nun in diesem

oder einem der

zahlreichen ande-

ren Restaurants – die ukrainische Küche bietet eine Vielzahl

an Köstlichkeiten. Dazu zählen beispielsweise marinierter

Knoblauch, frisches knackiges Gemüse, Kaviar, verschie-

dene Sorten (grünen und roten) Borschtsch, Schaschlyk und

Fisch- und Fleischgerichte aller Art. Übrigens können die

Ukrainer auch gutes Bier brauen und keltern hervorragende

Weine (zum Beispiel aus dem Tokaier Weinanbaugebiet).

Auch der Krimsekt braucht keinen weiteren Kommentar.

9. Bogen der Verbundenheit des ukrainischen mit dem russischen Volk

In den grünen Hügeln über

dem Dnepr wurde in der

Breschnew-Ära ein Bogen

von 50 Metern Durchmesser

aus Titan errichtet. Dieser

Bogen der Superlative, der

an die vertraglichen Ver-

bindungen durch Bogdan

Chmelnitzki mit Russland

und die „ewige Verbundenheit“ auch nach dem 2. Weltkrieg

erinnern soll, wird heute Breschnews „letzte Rache“ genannt

und ist mittlerweile von beträchtlichem Schrottwert.

Die Kiewer haben zur „Verschönerung“ vor einigen Jahren

Neonbeleuchtung installiert, damit das Bauwerk nachts

wie ein Regenbogen strahlt.

10. Universität Taras Schevtschenko

Neben dieser bedeutenden Universität mit

Tradition hat Kiew weitere Hoch- und Fach-

schulen zu bieten. Zum Elektrotechnischen

Institut hat die HTWK Leipzig schon jahrzehnte-

lange partnerschaftliche Verbindungen.

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5. Erdgas-Challenge Day

Olympiastützpunkte im sportlichen WettstreitAbseits vom Wettkampfstress und Trainingsalltag trafen sich am 4. Juni Athleten aus den acht ostdeutschen Olympiastützpunkten zum Erdgas-Challenge Day in Oberhof.

Von Marcus Kunath, VNG

Dieser besondere Wettstreit, der jedes Jahr im

Rahmen des „Verbundnetz für den Sport“ von

einem anderen Olympiastützpunkt ausgerichtet

wird, fand im thüringischen Oberhof statt und

stand ganz im Zeichen der Winterspiele. Acht

gemischte Mannschaften aus geförderten Nach-

wuchstalenten, Trainern und den prominenten

Projektpaten – unter ihnen Jens Weißflog, Frank-

Peter Rötsch und Sven Ottke – wetteiferten bei

strahlend blauem Himmel und sommerlichen

25 Grad in der minus 4 Grad kalten Skisporthalle

um den Sieg. Die Mannschaften stellten ihr Können

unter anderem beim Rodeln, Bob-Anschieben und

einer Pendelstaffel auf Sprungski unter Beweis.

„Bei den Wettbewerben steht vor allem der gemein-

same Spaß und das Kennenlernen untereinander

im Vordergrund“, sagte Dr. Bernd Neudert, Leiter

vom Olympiastützpunkt Thüringen.

Der Ehrgeiz, der bei Leistungssportlern nie ausge-

schaltet werden kann, sorgte für lustige Zwischen-

fälle in teilweise sehr fantasievollen Disziplinen.

„Dass vor dem Startschuss die Konkurrenz mit

Siegesparolen verunsichert wird und die Teams

auch sonst mit allen Mitteln kämpfen, gehört hier

zum guten Ton“, erklärte Projektleiter Bernhard

Bock. Nach einem harten Zweikampf mit der

Mannschaft aus Thüringen siegte das Team aus

Sachsen-Anhalt um OSP-Leiter Helmut Kurrat,

Frank-Peter Rötsch und Turnstar Matthias Fahrig.

„Wir freuen uns, dass wir bereits zum zweiten Mal

gewinnen konnten und hoffen, dass wir nächstes

Jahr in Berlin wieder genauso erfolgreich sind“,

sagte Helmut Kurrat.

Abschließender Höhepunkt des Tages war traditi-

onell das Fußballspiel, bei dem sich die „Verbund-

netz-Kicker“ knapp mit 6:3 den „Oberhof-Allstars“

geschlagen geben mussten.

Das Verbundnetz für den

Sport ist eine 2004 ge-

gründete Initiative der

VNG – Verbundnetz Gas

Aktiengesellschaft mit

dem Ziel, junge sport-

liche Talente auf ihrem

Weg an die Weltspitze zu

begleiten.

Verbundnetz für den Sport

Weitere Informationen:

www.verbundnetz-fuer-den-sport.de

Team des Olympiastützpunktes Sachsen-Anhalt (v. l. n. r.): Matthias Fahrig, Helmut Kurrat,

Matthias Grünewald, Frank-Peter Rötsch, Florian Jeglinski, Max Thape, Erik Neudert.

Teams der Olympiastützpunkte vor der Skihalle in Oberhof.

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Verbundnetz für Demokratie und Toleranz

Berliner Band und Feuerwehr-kapelle rockten in Leipzig

Rock trifft Feuerwehr

Über ein Jahr vor dem eigentlichen Auftritt

startet das durchaus sehr ungewöhnliche Projekt.

In Leipzig, so das ehrgeizige Ziel, sollten die

Berliner Band THE ROOVERS und die Feuerwehr-

Schalmeienkapelle Malchin zusammen auftreten.

Motto des Auftrittes: „Rock für Demokratie und

Toleranz“. Dafür schrieben die Berliner und Mal-

chiner einen gemeinsamen Song für Freiheit und

Toleranz, probten an vielen Wochenenden inten-

siv – und stimmten dabei ihre unterschiedlichen

Musikinstrumente aufeinander ab.

Musik für Demokratie

Warum aber die Mischung aus Rockband und

Feuerwehrkapelle? Die Idee stammt von der

VNG-Initiative Verbundnetz für Demokratie und

Toleranz. „Demokratie und Toleranz wird er-

lebbar und verbreitet sich durch gemeinsames

Musizieren“, erklärte es Heino Kalkschies. Der

Vorsitzende des Landesfeuerwehrverbandes

Mecklenburg-Vorpommern und Kooperations-

partner der Initiative Verbundnetz für Demokratie

und Toleranz in diesem Bundesland präzisierte

die Aussage sogleich: „Der Landesfeuerwehrver-

band möchte dem erklärten Bestreben der NPD in

Mecklenburg-Vorpommern, in zivilgesellschaft-

lichen Organisationen und Vereinen, und damit

auch in den Freiwilligen Feuerwehren, ihr Gedan-

kengut zu verbreiten, etwas entgegensetzen.

Den jungen Leuten in den Jugendfeuerwehren

soll durch die Projektangebote die Gelegenheit

gegeben werden, sich mit den demokratischen

Grundwerten unserer Gesellschaft sowie Tole-

ranz, Freiheit und Menschenwürde auseinan-

derzusetzen.“

Premiere in Leipzig

KOMMT ZUSAMMEN – so lautete der Titel des ge-

meinsam komponierten und einstudierten Songs.

Zusammen kamen dann auch wirklich alle – und

lauschten dem Duett bei der großen Festveranstal-

tung zum Abschluss der Feuerwehrwoche. Auf der

großen Aktionsbühne in der Leipziger Innenstadt

spielten die Berliner Rocker und die Malchiner

Schalmeienkapelle vor einem begeisterten Pub-

likum zum ersten Mal öffentlich. Der Auftakt des

Band-Projektes war, da sind sich alle Projektpartner

einig, ein riesiger Erfolg.

Zum Abschluss entstehen eine CD mit dem Mit-

schnitt des Auftritts sowie eine Foto-CD zum

Projekt. Das ungewöhnliche Duett aus Rockband

und Feuerwehrkapelle soll im Übrigen nicht ihren

ersten und einzigen gemeinsamen Auftritt in

Leipzig gehabt haben. Sie planen schon damit,

auf weiteren Anlässen im Rahmen der Initiative

Jugendfeuerwehren für Demokratie und Toleranz

gemeinsam aufzutreten.

www.the-roovers.com | www.verbundnetz-fuer-demokratie-und-toleranz.de

Mehr als 150 000 Menschen lockte der 28. Deutsche Feuerwehrtag und die parallel

stattfindende Weltleitmesse „Interschutz – Der Rote Hahn“ nach Leipzig.

Das Verbundnetz für Demokratie und Toleranz war mit einem Auftritt der besonderen Art dabei.

Gemeinsamer Auftritt in Leipzig: THE ROOVERS und die Feuerwehr-Schalmeien-

kapelle Malchin.

Sie wollen die CD mit dem Mitschnitt des Auftrittes bestellen? Bitte schreiben

Sie eine E-Mail an [email protected], Kennwort

Mitschnitt Feuerwehrtag.

Foto: Sebastian Höhn

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Kunst

Painted in Cracow – Junge polnische Malerei aus Krakau

Michal MISIAK „S-29“, Öl auf Leinwand

Im November und Dezember gastiert eine Ausstellung unter dem Motto „Painted in Cracow – Junge polnische Malerei

aus Krakau“ in der Firmenzentrale von VNG in Leipzig. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Berliner Galerie von

Dorota Kabiesz organisiert.

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Werke dieser jungen polnischen

Künstler werden in der Ausstellung

zu sehen sein:

Rafal Borcz

Mikolaj Malek

Michal Misiak

Julita Malinowska

Kinga Nowak

Marta Sala

Katarzyna Skrobiszewska

Malgorzata Wielek-Mandrela

Die Künstler

Oben: Marta SALA „Kasia 1“, Öl auf Leinwand | Unten: Rafal BORCZ „Schlangenbucht“. Öl auf Leinwand

Von Krzysztof Stanislawski,

Kunstkritiker, freier Kurator

Projektzyklus seit 2008 auf Tour durch Europa

Das Projekt „Junge polnische Malerei“ wurde 2008

als Zyklus gestartet. Jährlich werden seither zwei

Präsentationen von jungen Absolventen jeweils

aus einer Region in Polen vorgestellt. Die Idee

des Zyklus stammt von Dorota Kabiesz, einer

Galeristin, Kulturmanagerin und unermüdlicher

Promoterin der polnischen Kunst. Sie hat auch

das Kuratorium des Projektes übernommen. In den

Jahren 2008 und 2009 wurden die ersten drei Teile

des Zyklus („Junge polnische Malerei– Kunst aus

Schlesien“, „Junge polnische Malerei– Kunst aus

Großpolen“ und „Junge polnische Malerei– Kunst

aus Niederschlesien“) präsentiert. In diesem Jahr

sind zwei weitere Präsentationen geplant: „Painted

in Cracow“ (Junge Künstler aus und um die Kunst-

akademie Krakow) und „Farben der Vorkarpaten“

(Junge Künstler aus der Region Vorkarpaten).

Weltberühmte polnische Kunstakademie

„Painted in Cracow“ stellt – so deutet es bereits

der Titel an – die Malerei von jungen Künstlern aus

Krakau vor. Sie alle sind Absolventen der Krakauer

Kunstakademie. Die Hochschule ist die älteste

polnische Kunstakademie (gegründet 1818) und

gehört heute zu den wichtigsten Kulturzentren in

Polen. In ihrer 180-jährigen Geschichte hat sie viele

polnische Künstler hervorgebracht, unter ihnen so

bekannte Namen wie Jan Matejko (1838–1893),

Mojzesz Kisling, Andrzej Wroblewski und Tadeusz

Kantor. Auch die jüngsten Weltberühmtheiten –

Wilhelm Sasnal und Rafal Bujnowski – genossen

ihre Ausbildung an jener Kunstakademie in Krakau

und haben damit die Entwicklung der Bildenden

Kunst in Polen entscheidend beeinflusst.

Krakow selbst ist künstlerisch eine sublimierte,

selbstbewusste, aber auch sehr differenzierte

und traditionelle Stadt. Sie ist allerdings nicht

nur eine Stadt, die Erinnerungen an eigenen Ruhm

und Gloria pflegt. Krakow ist ein sehr lebendiges

und faszinierendes Kunstzentrum. Hier stöbern

Kuratoren seit eh und je nach neuen Tendenzen

und Individualitäten. Und das besonders im Be-

reich Malerei, den man als Krakauer Spezialgebiet

betrachten kann.

„Das Morgen“ von jungen Künstlern

Acht junge Künstler, alle nicht älter als 35 Jahre –

stehen im Fokus der Ausstellung. Teilweise sind es

schon anerkannte Künstler, teilweise Assistenten

von der Kunstakademie, teilweise sind es aber auch

frische Absolventen, die ihr Diplom gerade erst

in der Tasche haben und deren Karrieren gerade

erst beginnen. Gerade letztere haben bisher nur

einige wenige Ausstellungen und Auszeichnungen

auf dem Konto, sie repräsentieren aber das, was

man als „das Morgen in der Kunst aus Krakow“

nennen kann. Soweit nämlich die Leistungen der

„Älteren“ schon verifiziert sind, warten die Arbeiten

der „Jüngeren“ auf ihre Beurteilung.

Es trifft sich daher gut, dass diese Bewertung auch

mit Hilfe des europäischen Publikums während den

Ausstellungen in Deutschland stattfinden kann.

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medium gas | 19. Jahrgang | 3. Ausgabe | Oktober 2010

Sie suchen ein sehr flexibles Speicherprodukt?

Mit einer kurzen Laufzeit und einer

hohen Ein- und Ausspeiseleistung?

Unser Mikrospeicherpaket bietet

Ihnen im kleinsten Leistungszeit-

raum von einer Woche:

Arbeitsgasvolumen von 50 000 m³,

Einspeiseleistung von 500 m³/h sowie

Ausspeiseleistung von 1 000 m³/h.

Das Mikrospeicherpaket von VNG – klein, flexibel und mit hoher Leistung

Diese Leistungen werden auf unterbrechbarer Basis für die Speicherstandorte Bernburg und Bad Lauchstädt

angeboten. Die maximale Ein- und Ausspeiseleistung ist füllstandunabhängig. Wir erhöhen Ihre Planungs-

sicherheit, indem wir die Unterbrechungswahrscheinlichkeit der Mikrospeicherpakete mit speziellen

Algorithmen ermitteln und diese wöchentlich im Speicherportal www.speicherportal.vng.de veröffent-

lichen. Schnelligkeit wird belohnt: Das zuerst gebuchte Mikrospeicherpaket wird zuletzt unterbrochen.

Weitere Informationen:

Telefon: 0341-443 2404 | E-Mail: [email protected] | www.speicherportal.vng.de