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Medizin Ideologie und Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion 27. Jahrgang 1/2005 Einzelpreis 4,- B13915 05 1 /

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Medizin Ideologieund

Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion

27. Jahrgang 1/2005 Einzelpreis 4,- B13915

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Medizin und Ideologie2 1/05

1/2005WIR

Jeder Beitrag zählt

Bankverbindungen:

Deutschland:Sparkasse UlmKonto-Nr. 123509, BLZ 63050000Österreich:RAIKA Ramingstein - ThomatalKonto-Nr. 00 014 555, BLZ 35 050

Selbstverständlich ist Ihre Spende auch weiterhinsteuerlich abzugsfähig. Um unnötige Kosten zuersparen, besteht für die österreichischenMitglieder seit kurzem auch die oben angegebeneBankverbindung in Ramingstein.

Da unsere gemeinsame Arbeit auch weiterhin nurvon den Spenden unserer Mitglieder und Freundegetragen wird, kommen wir nicht umhin, auch fürdie Zukunft um Spenden und Unterstützung zubitten. Wir wollen dies aber nicht tun, ohne gleich-zeitig für alle bisherige Unterstützung zu danken.Besonders danken möchten wir auch jenen, dieuns ihre tiefe Verbundenheit und ihren Beistanddurch testamentarische Verfügung über ihreneigenen Tod hinaus versichert haben. Wir werdenihr aller Vertrauen rechtfertigen.Am einfachsten und kostengünstigsten wäre es,wenn Sie uns eine Einzugsermächtigung erteilenwürden, die Sie jederzeit widerrufen können.

ist eine gemeinnützige Vereinigung von Ärztenund Nicht - Ärzten. Sie wurde 1975 in Ulm vonHerrn Dr. Siegfried Ernst mit der Zielsetzunggegründet, die Achtung des menschlichen Lebensvom Beginn der Zeugung bis zu seinem natürli-chen Tod in allen medizinischen und gesellschaft-lichen Bereichen zu fördern.

Die rasant zunehmenden Möglichkeiten derMedizin lassen immer neu die Frage aufkommen,ob das medizinisch Machbare wünschenswert undletztendlich auch menschenwürdig ist. Der Menschdarf nicht Objekt von Machbarkeitsstreben sein,sondern er muß in seiner Gesamtheit, in denDimensionen von Körper, Geist und Seele verstan-den werden, wie es im christlichen Verständnis desMenschen beispielhaft zum Ausdruck kommt.

Unsere Zeitschrift „Medizin und Ideologie" bietetBeiträge von Autoren verschiedener Disziplinen zuden vielfältigen bioethischen und anthropologi-schen Fragestellungen. Denn diese betreffen nichtnur die Medizin und die Ärzte, sondern dieGesellschaft insgesamt. Und ihre Einschätzungund Lösung braucht sowohl fachliches Wissen wie

eine stimmige geistige Orientierung.

Dabei gibt der Name „Medizin und Ideologie"immer mal wieder Anlaß zur Nachfrage, dennhäufig versteht man unter „Ideologie" eine eherwillkürliche, sachlich nur teilweise begründete undverzerrte Wahrnehmung und Interpretation derRealität. Doch der Begriff „Ideologie" bedeutetwörtlich die „Lehre von den Ideen" und dieAusformung einer konkreten weltanschaulichenPerspektive im Sinne eines schlüssigenIdeensystems. Und so dient diese Zeitschrift demAnliegen, die medizinisch-ethischen Grenzfragenim Kontext der sie beeinflussenden weltanschauli-chen Ideen darzustellen und zu verstehen.

Vereinsvorstand der Europäischen Ärzteaktion:Dr. med Bernhard Gappmaier

Dr. med Birgitta StübbenDr. med Alfred HäusslerProf. Dr. Hans Schieser

Die Europäische Ärzteaktion ist als gemeinnütziganerkannt. Sie ist Mitglied der World Federation ofDoctors who Respect Human Life.

Die Europäische Ärzteaktion

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3Medizin und Ideologie 1/05

1/2005 THEMEN

Serie: Ist die christliche Kultur Europas 4noch zu retten? (1.Teil)von Dr. Alfred Häußler

Forschung: Der Wert des Lebens - 9Hirntod und Organtransplantationvon Prof. Dr. Wolfgang Waldstein

Kongress: Das Ja zum Leben 16beginnt in der Familievon Dr. Bernhard Gappmaier

Aktuell: Salzburg, du Stadt auf dem Berg. 20Zum aktuellen Abtreibungskampf in Salzburgvon Manfred M. Müller

Abtreibungen in den Salzburger 21Landeskliniken aus rechtlicher Sicht.von Prof. Dr. Wolfgang Waldstein

Rezension: Neue Bücher von Gabriele Kuby 30und Stephan Baier

Portrait: Die hl. Ärztin G. B. Molla 32

Impressum

Herausgeber, Redaktion und Vertrieb:

EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION in den deutschsprachigen

Ländern e.V. / Postfach 200 5010 A-5010 Salzburg

Telefon: +43(0)650 - 22 80 002

E-Mail: [email protected]

Internet: www.aerzteaktion.de

Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Bernhard Gappmaier

Redaktion: Dr. med. Alfred Häussler; Mag. Manfred M. Müller;

Dr. Eva Salm

Gestaltung: Manfred M. Müller. Satz: Jakob Sproski

Druck: Salzburger Druckerei. 5020 Salzburg

Telefon: +43(0)662 - 87 35 07

Medizin und Ideologie erscheint viermal pro Jahr

Einzelausgabe: 4 Euro / Jahresabo: 16 Euro.

Auf Wunsch senden wir 2 Ausgaben als Probenummern zu.

Hinweise für Autoren

Die Zusendung von Artikeln, Kommentaren, Kurzinfos etc. zu bio-ethischen und anthropologischen Fragestellungen aus denBereichen der Medizin, Rechtswissenschaften, Theologie,Philosophie, Pädagogik und anderen ist erwünscht; gleichfallsHinweise zu einzelnen Fragestellungen und Publikationen, die fürdie Zeitung geeignet erscheinen. Der Umfang der Artikelbeiträgesollte in der Regel 2-6 Seiten betragen (Seite zu 5.500 Buchstabenmit Leerzeichen). Ausnahmen sind in Einzelfällen möglich, gege-benenfalls ist eine Darstellung in Folgeform anzustreben. LängereBeiträge sollten einleitend mit einer kurzen Zusammenfassungversehen werden, Artikel, Kommentare und Rezensionen eventu-ell mit einer kurzen biographischen Notiz. Die Beiträge sind ingedruckter Form und als Datei eines Standardprogrammes (z.B. Word) zu übersenden, nach telefonischer Absprache ist auchdie Übersendung als e-mail möglich.

Medizin und Ideologie ist urheberrechtlich geschützt.

Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die

Ansicht des Herausgebers wieder.

Die Europäische Ärzteaktion wünscht allen Freunden, Förderern und Abonnentenein gesegnetes Neues Jahr 2005.

ein guoein guot selt selig jorig jor

Bild: Christuskind und Kreuz. Holzschnitt um 1490.

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Schon im Jahre 1923 gründete der ungarischeKommunist Georg Lukács mit Mitgliedern derDeutschen Kommunistischen Partei in Frankfurtam Main das „Institut für Marxismusforschung“,welches später als „Frankfurter Schule“ bekanntwurde. Der Zeitpunkt für diese Gründung war sehrgeschickt gewählt. Denn das Jahr 1923 war einesvon den vielen dramatischen Jahren der deut-schen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Das Jahr 1923 war nämlich in Deutschland dasJahr der Geldentwertung und der Inflation. WeiteTeile der deutschen bürgerlichen Gesellschaft wur-den mittellos und verarmten. Sie verloren Habund Gut. Bis schließlich am 15. November 1923die Einführung der neuen „Rentenmark“ die deut-sche Wirtschaft wieder einigermaßen stabilisierte.Doch kurz zuvor versuchte ein bis dahin unbe-kannter und keiner Arbeit nachgehender AdolfHitler am 8./9. November 1923 in München durcheinen Putschversuch die Macht an sich zu reißen.Wäre besagter Hitler bei diesem Putschversuchums Leben gekommen, es wäre Deutschland undder Welt viel Unheil erspart geblieben! Doch demwar nicht so!

Wir können also feststellen: Das Jahr 1923 war einhistorisch bedeutendes Jahr! Nicht nur weil es dasJahr der Geldentwertung und der Inflation war.Denn es war vor allem das Geburtsjahr zweiergeschichtlich so wirkungsmächtiger und verhäng-nisvoller sozial-politischer Neugründungen: Derlinksradikalen Frankfurter Schule und des rechts-extremen Nationalsozialismus.

Georg Lukács wurde am 13.4.1885 in Budapestgeboren. Er starb auch dort am 4.6.1971. Währendder ungarischen Räterepublik im Jahre 1919 warLukács Volkskommissar für das Unterrichtswesen.

Danach war er bis zu seiner Übersiedlung nachFrankfurt in Ungarn Philosophieprofessor undLiteraturhistoriker. Von Lukács stammt das Buch„Geschichte und Klassenbewußtsein“, welches1923 auch in deutscher Sprache erschienen ist. Inden Jahren 1933 bis 1938 und dann 1942 bis 1945war Lukács auch Mitarbeiter am philosophischenInstitut in Moskau. Seine Biographie kann daherals eine klassische Biographie kommunistisch-sozialistischer Prägung gelten!

So war es kein Wunder, dass das Frankfurter„Institut für Marxismusforschung“ von Anfang andem Moskauer „Marx-Engels-Institut“ nachgebil-det war. Doch schon bald nach der Gründung des„Institutes für Marxismusforschung“ in Frankfurtkamen Lukács und seine Mitarbeiter zu der Über-zeugung, dass der Name des Institutes für viele zuherausfordernd sein könnte. Man fürchteteWiderstand gegen diese Institutsgründung.Deshalb nannte man das Institut zunächst einfach„Institut für Sozialforschung“. Aber kurze Zeitdanach wurde das Institut nur noch unter demNamen „Frankfurter Schule“ bekannt. Als solcheserlangte das Institut allerdings in Westeuropa undvor allem in den Vereinigten Staaten vonNordamerika insbesondere während des Vietnam-Krieges einen hohen Bekanntheitsgrad.

Am 24.1.1931 besetzte schließlich MaxHorkheimer den Lehrstuhl für Sozialphilosophiean der Universität Frankfurt am Main und über-nahm gleichzeitig auch die Leitung des Institutesfür Sozialforschung, eben die Frankfurter Schule.Die Frankfurter Schule war von Anfang an abereine Stiftung und keine Einrichtung derUniversität Frankfurt. Doch es war üblich gewor-den, dass der Lehrstuhlinhaber fürSozialphilosophie an der Universität Frankfurt

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Ist die christliche Kultur Europas noch zu retten?

Der Niedergang der christlichen Kultur, seine Ursachen, seine Folgenund seine Überwindung

von Dr. Alfred Häußler

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auch Direktor der Frankfurter Schule wurde.

Max Horkheimer wurde am 14.2.1895 in Stuttgartgeboren. Er starb am 7.7.1973. Horkheimer kanndurchaus als ein Dissident der reinen Lehre desMarxismus bezeichnet werden. Denn man kannihn nicht für einen ganz „in der Wolle eingefärb-ten Kommunisten“ halten, wie dies für GeorgLukács gelten dürfte. Dafür war Horkheimer vielzu ambivalent! Er vermochte es durchaus, aucheine von der reinen Marxismus-Lehre abweichen-de Meinung zu vertreten.

Max Horkheimer war vor allem deswegen einDissident der reinen Lehre des Marxismus, weil erzur Überzeugung kam, dass Karl Marx sich geirrthabe, als er sich die Arbeiterklasse als Trägerineiner Revolution gegen das Bürgertum erdachthatte. Im Gegensatz zu Marx war nämlichHorkheimer der Auffassung, dass die Arbeiternicht mehr zu einer Revolution bereit sind, da sieselbst im Laufe der Zeit durch den technischenFortschritt in den Industrieproduktionsabläufen zueinem Teil des Bürgertums geworden waren.

Der weitgehend vollzogene Übergang von reinerHandarbeit zur Überwachung von technisch hoch-entwickelten Maschinen und nur noch zurEinstellung vollautomatischer Produktionsanlagenstellten den Arbeiter immer mehr auf die Stufeeines Angestellten. So glichen sich auch dieUnterschiede in der Bezahlung immer mehr an.In Amerika sind mittlerweile die sogenannten„White Collar-Berufe“ die schlechter bezahltengeworden.

In dieser Überzeugung, dass Arbeiter für eineRevolution nicht zu gewinnen sind, hat sichHorkheimer tatsächlich nicht geirrt. Dies zeigtesich gerade im Jahr der Kulturrevolution von1968. Denn im Jahr der Kulturrevolution 1968blieb die Arbeiterschaft vollständig immun gegen-über den Forderungen der radikalisiertenStudenten. Die Studentenrevolten im Jahr 1968und in der Zeit danach blieben ganz auf dieStudenten, die Jungakademiker und die Schülerder oberen Gymnasialklassen beschränkt.

Max Horkheimer, seit Januar 1931 Institutsleiterder Frankfurter Schule, erkannte früh den gesell-

schaftlichen Wandel der Arbeiterschaft zu einemTeil des Bürgertums. Er wusste, dass es demArbeiter viel zu gut ging, um ihn für eineRevolution zu gewinnen. Dehalb gab Horkheimerals Leiter der Frankfurter Schule den Rat, denMarxismus neu zu definieren und zwar in kulturel-len Begriffen als Neo-Marxismus.

Jetzt auf einmal war der Marxismus nicht mehr,wie seit Karl Marx immer gelehrt wurde, der Feinddes Kapitalismus, sondern von jetzt ab der Feindder abendländischen Kultur im weitesten Sinn desWortes. Von da ab vertrat man die Auffassung, dassder Weg zur Macht und zur Regierungsverantwor-tung nicht mehr im Sturz einer bestehendenRegierung zu sehen sei wie bei der französischenRevolution 1789 und auch nicht wie bei der bol-schewistischen Revolution 1917 in Petrograd, son-dern nur noch gewaltlos durch beharrlicheWühlarbeit über viele Jahrzehnte hinweg.

Man wusste auch, durch wen die Kultur desAbendlandes, die Kultur Europas, überJahrhunderte hindurch geprägt und bestimmtwurde, nämlich durch das Christentum. Deshalbwar man überzeugt davon, dass ein Sieg des Neo-Marxismus nur möglich sein wird, wenn der christ-liche Glaube in den Herzen der Menschen abge-storben sei.

Um dies zu erreichen galt es den Apologeten desNeo-Marxismus als vordringlichste Aufgabe, dieInstitutionen der Medien, der Kultur und derErziehung mit Anhängern des Neo-Marxismus zubesetzen. Und wohl auch zur Tarnung führte manden Begriff „Kritische Theorie“ für den Neo-Marxismus ein.

So plante man nicht mehr den gewaltsamenUmsturz mit Hilfe der Arbeiterschaft, sondernman versuchte die Übernahme aller kulturellenEinrichtungen zu erreichen wie Rundfunk,Fernsehen und Presse. Und man war vor allembestrebt, Einfluss zu gewinnen in Schulen undHochschulen. Dass dies weitgehend gelungen ist,wird wohl niemand bestreiten können. Denn gera-de die Lehrerschaft, besonders in Grund- undHauptschulen, aber auch darüber hinaus, ließ sichvon den Lehren der Frankfurter Schule infizieren!

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Die Taktik der Kulturrevolutionäre derFrankfurter Schule war von Anfang an eine subver-sive, eine schleichend infiltrierende. Und sie warfast generalstabsmäßig vorbereitet! Schleichendversuchte man die Infiltrierung des Volkes mitantichristlichen Wertvorstellungen zu durchsetzenund dies vor allem bei der heranwachsendenJugend, insbesondere aber bei Studenten als künf-tigen Entscheidungsträgern in der menschlichenGesellschaft.

Die Kulturrevolutionäre wussten aber auch vonLenin, wie man am raschesten politische Machtgewinnt. Lenin sagte nämlich: “Man zerstöre dieMoral der Jugend durch Versexualisierung, dannbekäme man diese am raschesten und am leichte-sten in die Hand.“ Und auch Sigmund Freud lehr-te in übertriebener Weise die Bedeutung derSexualität in der psychischen Entwicklung desMenschen. Deshalb setzte man in derKulturrevolution von 1968 zu allererst auf dieForderung nach sexueller Freizügigkeit!

Max Horkheimer war jedoch in Wirklichkeit weni-ger ein Anhänger von Karl Marx, als vielmehr desfranzösischen Schriftstellers de Sade. De Sade for-derte in seinen Romanen das Recht des Menschenauf absoluten Egoismus. Auf de Sade, der von1740 bis 1814 lebte und von Napoleon von 1803bis zu seinem Tod 1814 in einer Irrenanstalt fest-gehalten wurde, geht der Begriff des Sadismuszurück. Sadismus ist Lustbefriedigung durchQuälen des Opfers.

Mit der Forderung nach sexueller Freizügigkeit,durch die Lehren von Sigmund Freud, dass psychi-sche Krankheiten auch durch unterdrückteSexualitätsausübung entstehen könnten, wurde dieSexualrevolution eingeleitet. In dieser Hinsichtwidersprach Freud aber sich selbst, da er es war,der den Begriff der „Sublimierung“ sexuellerTriebe in die Psychologie einführte. Aber erstdurch die Einführung der „Pille“ zurEmpfängnisverhütung im Jahre 1962 in ganzWesteuropa wurde dann in Westeuropa und inNordamerika die Sexualrevolution entgültig gebo-ren.

Dass Sigmund Freud auch lehrte, dass sexuelleTriebregungen durch Umsetzung in kulturelle,

geistige und künstlerische Höchstleistungengesteigert werden können, davon war auf einmalnicht mehr die Rede! Denn diese Lehre Freudswäre ja eine Anerkennung des Wertes der zölibatä-ren Lebensform gewesen! Und auch diese galt eszu bekämpfen.

Während früher die Ausübung der Sexualitätstreng auf die Ehe beschränkt blieb, wurde sie jetztvon den Kulturrevolutionären für die heranwach-sende Jugend propagiert. Die Frankfurter Schulewusste nur zu gut von Lenin selbst, wie leicht manüber den Weg der Versexualisierung der heran-wachsenden Jugend diese vom christlichenGlauben und von den Werten jahrhundertlangerabendländischer Kultur abbringen konnte.

Deshalb wurde auch der Sexualunterricht, früherdem Elternhaus vorbehalten, in den Schulen ein-geführt. Und dies in immer jüngerenSchulklassen! Dieser Unterricht, oft mit prakti-schen Übungen zur Anwendung von Kondomenverbunden, wurde meist mit eingehendenBilddarstellungen ausgestattet, die weit über dasaltersentsprechend Notwendige hinausgingen.Nicht einmal Medizinstudenten in den erstenSemestern wurden früher mit solchen Bildernunterrichtet, die man heute Kindern imSexualunterricht vorführt!

Die Zukunft der christlichen Religion in unseremLand und in ganz Westeuropa ist also, wenn keinWunder geschieht, eine sehr ungewisse, sogaräußerst bedrohte, zumal der Islam mit seinemGeburtenreichtum ganz Europa zu überschwem-men droht! Man bedenke eines: In den islami-schen Ländern ist die Hälfte der Menschen unter18 Jahre alt! Dies ist die größte Gefahr für ganzEuropa, wo nur noch 1,3 bis 1,4 Kinder pro Frauzur Welt kommen. 2,1 bis 2,4 Kinder pro Frauwären aber zur Erhaltung der Bevölkerungssub-stanz notwendig! Doch Europa ist seit Einführungder „Pille“ und seit der gesetzlich weitgehendstmöglich gewordenen Abtreibung ein sterbenderKontinent geworden! Das müssen wir nicht nurwissen. Wir müssen auch darüber reden, immerund überall!

Schon kurz nach Übernahme des Institutes fürSexualforschung, der Frankfurter Schule, durch

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Max Horkheimer am 24. Januar 1931 schlossensich fast zur gleichen Zeit der MusikkritikerTheodor Wiesengrund-Adorno, der PsychologeErich Fromm und der Soziologe Wilhelm Reichdem Institut als Mitarbeiter an. Auch ein Studentnamens Herbert Marcuse kam an das Institut.Dieser besaß allerdings schon einen akademischenGrad einer amerikanischen Universität.

Doch als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, warfür die Mitarbeiter der Frankfurter Schule keineExistenzberechtigung mehr gegeben, zumal diemeisten von ihnen nicht nur Marxisten, sondernauch Juden waren. Allerdings waren diese keinegläubigen Juden, sondern nur säkulare Juden!Wirklich gläubige Juden sind gegenüber den säku-laren Juden überall in der Welt in der Minderheit.Dies ist auch in Israel der Fall, wo man schätzt,dass nur acht Prozent der Bevölkerung orthodoxeJuden sind. Die Mehrzahl der Juden fühlen sichnur als Juden der ethnischen Herkunft nach.

Doch wenn auch Horkheimer, Adorno undMarcuse nur säkulare Juden waren und Juden nurder ethnischen Herkunft nach, so waren sie dochalle Marxisten und wie so viele Marxisten vorallem seit Darwin wohl auch Atheisten. Darwineben war es, der bei so vielen Menschen seit dem19.Jahrhundert den Glauben an Gott als denSchöpfer alles Geschaffenen erschüttert hat!Besonders die Mitglieder der sozialistischen undkommunistischen Parteien waren meist Anhängerdes Darwinismus und damit sehr häufig Atheistengeworden.

Durch die neuesten Forschungen der Biochemie,der Mikro- und Molekularbiologie und derGenetik wurde in der zweiten Hälfte des vergan-genen Jahrhunderts allerdings die Lehre Darwins,der Darwinismus, mit seiner Lehre der Selektionschwer erschüttert. Wir Christen müssen daranfesthalten, dass Gott jede einzelne Menschenseeleerschaffen hat. Also Kreatianismus stattEvolutionismus!

Horkheimer, Adorno und Marcuse mussten, weilsie jüdischer Abstammung waren, Deutschland imsogenannten Dritten Reich verlassen. So siedeltedas Institut für Sozialforschung, die FrankfurterSchule, 1933 kurzfristig nach Genf um. Doch mit

Unterstützung der Columbia-Universität ließ sich1934 das Institut in New York nieder. Damit war inAmerika eine neue Frankfurter Schule gegründet.Aber schon 1940 siedelte das Institut nachKalifornien über, bis 1950 die Frankfurter Schulemit Unterstützung der amerikanischenBesatzungsregierung wieder nach Frankfurtzurückkehrte.

Auch in Amerika entfaltete die dortige FrankfurterSchule eine ganz intensive Wirksamkeit weit in dieamerikanische Gesellschaft hinein. Besonders derVietnam-Krieg von 1965-1973 mobilisierte inAmerika wie auch in Deutschland die Anhängerder Frankfurter Schule zu gewaltigenAntikriegsdemonstrationen. In Amerika erschienauch das wohl bedeutendste Werk der FrankfurterSchule mit dem Titel „Dialektik der Aufkärung“.Dieses Buch wurde in den letzten Kriegsjahren des2. Weltkrieges von Horkheimer und Adornogemeinsam verfasst.

Das Buch „Dialektik der Aufklärung“ erschienaber erst 1947 zum ersten Mal im Druck. Es kannals eine Abkehr von der reinen Lehre von KarlMarx gelten. Denn dieser hoffte noch auf dieArbeiterschaft als Trägerin einer Revolution gegendas Bürgertum. Horkheimer und Adorno warenjedoch überzeugt davon, dass nur durchVeränderung der bisher geltenden bürgerlichenKultur eine Gesellschaftsveränderung erreichtwerden kann. Und dies könne nur durch eineEmanzipation von allen autoritärenHerrschaftsformen möglich werden.

Emanzipation, Befreiung des Menschen von jederAutorität wurde gefordert! Auch in denVereinigten Staaten von Amerika versuchte dasdortige Institut der Frankfurter Schule die Kulturdes Gastlandes zu untergraben.Und dies ist ihrsogar weitgehend gelungen! Die GesellschaftAmerikas wurde vielerorts eine andere. Sie hat sichemanzipiert!

Schon kurz nach Kriegsende kehrte MaxHorkheimer 1949 wieder nach Frankfurt zurückund übernahm erneut die Leitung des neugegründeten „Institutes für Sozialforschung“. Zudieser Neugründung gaben die amerikanischenBesatzungsbehörden ihre sehr wohlwollende

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Unterstützung.

Horkheimer und sein wohl bedeutendster SchülerTheodor W. Adorno gelten als die eigentlichenBegründer der „Kritischen Theorie“, ein Begriff,unter dem die Lehren der Frankfurter Schulezusammengefasst sind.

Doch die „Kritische Theorie“ der FrankfurterSchule ist, wie der Historiker Golo Mann sagt:„nichts anderes als ´Marxismus für feine Leute`,also für Intellektuelle“. Gerade dies ist aber derGrund dafür, dass die „Kritische Theorie“ so gutbei den Studenten ankam und überhaupt nicht beiden Arbeitern!

Theodor W.Adorno, der von 1903 bis 1969 lebte,war jedoch nicht nur Philosoph und Soziologe,sondern auch Musikwissenschaftler. Und er warauch Komponist und Pianist. Denn von seinerMutter erbte er eine gute musikalische Begabung.Sie war Opernsängerin.

Was besagte nun der Begriff „Kritische Theorie“?Der Name hört sich zunächst harmlos an. Dies ister aber nicht! Denn hinter dem so harmloserscheinenden Namen verbirgt sich die destrukti-ve Kritik an allen Erscheinungsformen der euro-päischen und abendländischen Kultur! Sie allelehnt man nicht nur ab, man bekämpft sie. Diesaber nicht offen! Denn das wäre gefährlich undwürde möglicherweise Widerstand hervorrufen.Die Taktik der „Kritischen Theorie“ ist daher einesubversive!

Man schleuste mit dem „Marsch durch dieInstitutionen“, wie man so schön sich tarnendsagte, die Apologeten des Neo-Marxismus unterdem verharmlosenden Namen „Kritische Theorie“in die Medien, in Rundfunk und Fernsehen undauch in die Presse ein. Aber auch die Schulen, dieUniversitäten, sogar Gerichte, selbst Parteien undauch die Kirchen mit ihren Organisationen werdenunterwandert! Dabei versucht man subversiv allehierarchischen Strukturen, die Moral, jedeTradition, die Familie, die Ehe als Institution,jeden Konservatismus, jeden Patriotismus, alleüberkommenen Gebräuche, vor allem dasChristentum und die christlichen Kirchen, ihreLehren und vor allem ihre Gebote in Frage zu stel-

len.

Emanzipation wird gefordert! Emanzipaion vonallen Geboten und Verboten. Jeder kann tun undlassen, was er will. Vor allem jede übergeordneteAutorität muss abgelehnt werden! Auch die patri-archalische Familie mit dem Vater als Oberhauptder Familie muss abgeschafft werden. Statt dessengilt es Wohngemeinschaften zu bilden, in die jederkommen und gehen kann, wie er will. Die antiau-toritäre Erziehung war eine pädagogischeForderung! Die Ergebnisse der Pisa-Studie zeigen,wohin wir damit gekommen sind. Jetzt beklagtman den Bildungsnotstand! Diesen hat man aberselbst verschuldet.

Dass in den letzten 36 Jahren seit 1968 inDeutschland, im übrigen Westeuropa und inNordamerika durch die Anhänger der FrankfurterSchule und ihrer Lehre der "Kritischen Theorie"nur zu Vieles im negativen Sinne sich geänderthat, wird jeder Beobachter des Zeitgeschehenszugeben müssen. Eine Reise in frühereOstblockstaaten, in Länder, die sich gegenüberdem Kommunismus behauptet haben und diegegenüber der "kritischen Theorie" immer immungeblieben sind, macht jedem sofort sichtbar, wiesehr sich die Gesellschaft Westeuropas, aber auchNordamerikas verändert hat. Was wir seit 1968 inWesteuropa, aber zum Teil auch in Nordamerikaerlebt haben, ist nichts anderes als eine unblutige,nahezu gewaltfreie Revolution, eineKulturrevolution im vollsten Umfang diesesWortes!

(Ende des ersten Teils.Fortsetzung in der nächsten Ausgabe 2/2005)

Medizin und Ideologie8 1/05

1/2005SERIE

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Der Wert des Lebens ist seit jeher als einHöchstwert für den Menschen angesehen worden.Der Schutz, den bereits antike Strafrechtsordnun-gen diesem Werte bieten, macht dies deutlich.Strafdrohungen sind ja nie ein Selbstzweck. Siedienen vielmehr dem Schutz eines Wertes, den diemenschliche Gesellschaft zu schützen verpflichtetist. Der Staat hat kaum eine andere Möglichkeit,dieser Verpflichtung zu entsprechen, als für denFall der Verletzung eines solchen Wertes Strafeanzudrohen. Je höher der Wert ist, desto schwererdie Strafe für seine Verletzung. Daher kann manauch vom angedrohten Strafausmaß auf die Höhedes geschützten Wertes zurückschließen.

In unserer Zeit müssen wir erleben, daß derStrafrechtsschutz des Wertes des menschlichenLebens aus verschiedenen Gründen einer rasantzunehmenden Erosion unterliegt1. Bei derBehandlung meines Themas werde ich mich aufden rechtlichen Aspekt beschränken müssen. Ichwill jedoch auch, soweit der gegebene Rahmen eserlaubt, mir zugängliche Stellungnahmen kompe-tenter Mediziner anführen, die auch für dasVerständnis der rechtlichen Beurteilung wichtigsind. Diese sind mir nur im englischen Originalzugänglich. Die Kongreßleitung hat mir gestattet,sie im Originaltext zu zitieren. Im Folgendenmöchte ich erstens kurz darstellen, wie der Wertdes Lebens in der rechtlichen Erfahrung gesehenwird. Hierauf sind zweitens die Probleme aufzuzei-gen, die sich im Zusammenhang mit diesem Wertaus der Transplantationsmedizin ergeben.

I. Der Wert des menschlichen Lebensim Rechtsbewußtsein

Das menschliche Leben ist, wie schon bemerkt, seitder Antike im Rechtsschutz als ein Höchstwert

angesehen worden. Dies gilt ungeachtet derTatsache, daß es in der antiken Kriegsführungfurchtbare Grausamkeiten gab. Es gab sie freilichin der ganzen Geschichte der Menschheit und gibtsie bis in unsere Gegenwart. Immerhin gibt esZeugnisse dafür, daß die naturrechtliche Grund-lage dieses Wertes auch unter den damaligenVerhältnissen sogar im Krieg nicht ganz wirkungs-los war2. Der große römische Staatsmann undPhilosoph Cicero legt in seinem Werk über dieGesetze (De legibus) die grundlegende Bedeutungdes Naturrechts für eine gerechte menschlicheOrdnung dar. Ich kann hier aus der Fülle wichtigerEinsichten und Aussagen nur eine herausgreifen.Sie steht im Zusammenhang mit der Feststellung:„Das vollends ist am allerdümmsten, zu glauben,alles sei gerecht, was in den ... Gesetzen beschlos-sen sei“. Als Beispiel für ein ungerechtes Gesetzführt er ein in Rom beantragtes an, wonach „derDiktator (Sulla), wen er wolle von den Bürgern,ganz ohne Verteidigung ungestraft töten könne“.Cicero sagt dann: „Es gibt nämlich ein einzigesRecht, durch das die Gemeinschaft der Menschengebunden ist und das ein einziges Gesetz begrün-det, ... Wer dieses nicht kennt, der ist ungerecht,ob es irgendwo geschrieben ist oder nirgendwo“ 3.Hier wie überall geht Cicero selbstverständlichdavon aus, daß dieses Recht schon durch diemenschliche Vernunft einleuchtend und daher fürjeden erkennbar ist. In seiner Schrift über denStaat (De re publica) spielen diese Erkenntnisseebenfalls eine entscheidende Rolle. Ich kann auchaus dieser Schrift nur einen Text anführen, derspeziell für die hier gestellte Frage wichtig ist.Cicero sagt: „Das wahre Gesetz ist gewiß die richti-ge, mit der Natur in Einklang stehende Ordnung,die über alle ausgebreitet ist, unwandelbar undewig (constans, sempiterna), ... Diesem Gesetzetwas von seiner Gültigkeit zu nehmen, ist Frevel,ihm irgendetwas abzudingen, unmöglich, und es

9Medizin und Ideologie 1/05

1/2005 FORSCHUNG

Der Wert des Lebens – Hirntod und Organtransplantation

Vortrag von Prof. Dr. Wolfgang Waldstein,

gehalten beim Kongreß Mut zur Ethik in Feldkirch, 03. 09. 2004

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kann ebensowenig als Ganzes außer Kraft gesetztwerden. Wir können aber auch nicht durch denSenat oder das Volk von diesem Gesetz gelöst wer-den, ..., noch wird es in Rom ein anderes Gesetzsein, ein anderes in Athen, ein anderes jetzt, einanderes später, sondern alle Völker und zu allerZeit wird ein einziges, ewiges und unveränderli-ches Gesetz beherrschen und einer wird dergemeinsame Meister gleichsam und Herrscheraller sein: Gott! Er ist der Erfinder dieses Gesetzes,sein Schiedsrichter, sein“ Gesetzgeber (lator mußim gegebenen Zusammenhang so verstanden wer-den), „wer ihm nicht gehorcht, wird sich selberfliehen und das Wesen des Menschen verleugnendwird er gerade dadurch die schwersten Strafenbüßen, auch wenn er den übrigen Strafen, die mandafür hält, entgeht“4.

Der Mensch wurde immer als fähig erkannt, mitdem natürlichen Licht der Vernunft dieseOrdnung zu erkennen. Auf dieser Grundlagekonnte auch das österreichische Allgemeine bür-gerliche Gesetzbuch (ABGB) von 1811 im § 16sagen: „Jeder Mensch hat angeborene, schondurch die Vernunft einleuchtende Rechte“.

Auf der Grundlage all dieser, seit der vorchristli-chen Antike gewonnenen Erkenntnisse konnteauch Papst Johannes Paul II. in seiner EnzyklikaEvangelium vitae Nr. 2 feststellen: „Selbst inSchwierigkeiten und Unsicherheiten vermag jederMensch, der in ehrlicher Weise für die Wahrheitund das Gute offen ist, im Licht der Vernunft undnicht ohne geheimnisvollen Einfluß der Gnade imins Herz geschriebenen natürlichen Gesetz (vgl.Röm 2, 14 – 15) den heiligen Wert des menschli-chen Lebens vom ersten Augenblick bis zu seinemEnde zu erkennen und das Recht jedes Menschenzu bejahen, daß dieses sein wichtigstes Gut inhöchstem Maße geachtet werde. Auf derAnerkennung dieses Rechtes beruht das menschli-che Zusammenleben und das politischeGemeinwesen.“. In der Nr. 70 präzisiert der Papst:„Grundlage dieser Werte können nicht vorläufigeund wechselnde Meinungs »mehrheiten«5 sein,sondern nur die Anerkennung eines objektivenSittengesetzes, das als dem Menschen ins Herzgeschriebenes6 »Naturgesetz« normgebenderBezugspunkt eben dieses staatlichen Gesetzes ist.Wenn infolge einer tragischen kollektiven Trübung

des Gewissens der Skeptizismus schließlich sogardie Grundsätze des Sittengesetzes in Zweifel zöge,würde selbst die demokratische Ordnung in ihrenFundamenten erschüttert, da sie zu einem bloßenMechanismus empirischer Regelung der verschie-denen und gegensätzlichen Interessen verkäme.“Leider ist das inzwischen weitgehend traurigeRealität.

In diesem Zusammenhang müssen Art. 2 Abs. 1der Europäischen Konvention zum Schutze derMenschenrechte und Art. 2 Abs. 2 des deutschenGrundgesetzes gesehen werden, in dem es heißt:„Jeder hat das Recht auf Leben und die körperli-che Unversehrtheit.“ In Verbindung mit Art. 1Abs. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantast-bar“, wird „das menschliche Leben alsHöchstwert“ der Verfassung anerkannt7.

II. Hirntod undTransplantationsmedizin.

Im Jahre 2000 ist eine eingehende Untersuchungder mit dem Hirntodkriterium zusammenhängen-den Fragen von Ugo Tozzini unter dem Titel:„Mors tua vita mea“ mit einer reichenBibliographie erschienen8. An den Untertitel:„Espianto d’organi umani“ (Entnahme menschli-cher Organe) ist die Frage angefügt: „Ist der Todeine Ansichtssache?“ (un’opinione). ImUmschlagtext wird gesagt, daß die Ergebnisse sei-ner Untersuchungen zu der Frage, ob der Hirntodden wirklichen Tod des Menschen bedeute, nega-tiv sind, „not politically correct“, aber sehr gutdokumentiert. Als Eindringling zwischenNaturwissenschaften und Moral fordert Tozziniwenigstens den Aufstand des gesundenMenschenverstandes, der, wie Manzoni bemerkt,existiert, auch wenn er oft aus Furcht vor der allge-meinen Meinung sich verborgen hält9. Ich kannhier die sorgfältigen Analysen natürlich nicht wie-dergeben. Sie bestätigen aber all das, was ich vonkompetenten Medizinern weiß, besonders vondem amerkanischen Spezialisten Alan Shewmon,dessen Werke Tozzini eingehend benützt hat.

Eine neuere Analyse zum Thema „DerHirntodbegriff und der Tod des Menschen“ hatProf. Ralph Weber von der Universität Rostock

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beigetragen10. Diese außerordentlich fundierte,reich dokumentierte und klare Analyse klärt diewichtigsten Fragen konzis. Den „Kernpunkt derKritik“ sieht Weber im „Abgehen vom biologi-schen Todesbegriff “. Er stellt dann fest: es „mussder Tod als Endpunkt des biologischen Lebens ...eine biologische Größe bleiben, weil es zwischenTod und Leben keinen dritten Zustand gebenkann. Tertium non datur. Eine Todesdefinition,die sich nicht an der physischen Existenz orien-tiert, sondern dem Menschen aufgrund desFehlens bestimmter kognitiver Fähigkeiten dasRecht ..., auf sein Leben abspricht, ist schon des-halb mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar.Das bedeutet, dass der Tod des Menschen nur underst bei einem Funktionsverlust beider wesentli-cher Systeme, des Bewußtseins und des physischenOrganismus, eintritt; der irreversible Ausfall nureines dieser Systeme reicht nicht aus, um vomTodeseintritt zu sprechen“11.

Im Abschnitt: „In dubio pro vita“ (Im Zweifel fürdas Leben)12 zieht er die Folgerungen aus der vor-ausgehenden Analyse und sagt: „Zumindest lässtsich aus alledem gerade deshalb, weil das Lebenangesichts der Fortschritte der modernenIntensivmedizin zu einem ‚sumpfigen Teich miteinem breiten Ufersaum schattenhafter und vagerGrenzen’ geworden ist, als Minimum ableiten, dassdie Richtigkeit des Hirntodkriteriums mit vernünf-tigen naturwissenschaftlichen und von der herr-schenden Lehre nicht widerlegten Erkenntnissenangezweifelt werden kann. (In)13 diesem ‚Zwielichtdes Zweifelhaften’, dem festzustellenden Verlust anKlarheit über die Grenzen von Leben und Todaber ist eingedenk der Tatsache, dass jede rechtli-che Normierung da Entscheidungen trifft und‚wirklich Maßgebliches’ festlegt, wo Theologenund Philosophen noch Thesen aufstellen und dis-kutieren können, mit der Vermutungsregel des ‚indubio pro vita’ zu begegnen. Gerade hier gilt esdas ‚menschliche Leben als Höchstwert unsererVerfassung’ zur Geltung zu bringen.“ Und er sagtweiter: „Dementsprechend sind namhafteVerfassungsrechtler inzwischen zu dem Ergebnisgelangt, ‚dass der hirntote Mensch imGrundrechtssinne lebt’ und das Hirntodkriteriumdaher nicht den Tod eines Menschen, sondern nurdie Irreversibilität und damit die Endgültigkeit sei-nes Sterbens dokumentiert“14.

Dies wird inzwischen in zunehmendem Maße auchbesonders von amerikanischen Ärzten bestätigt.Besonders eindrucksvoll hat dies Prof. AlanSchewmon, M.D.15, in zahlreichen Publikationenzeigen können16. In einem Vortrag an derInternationalen Akademie für Philosophie inLiechtenstein hat er in bewegender Weise gezeigt,wie er als junger Mediziner automatisch dasHirntodkriterium gelernt hat. In einer Begegnungmit Josef Seifert wurde er mit ernsten Bedenkengegen dieses Kriterium konfrontiert. Nach länge-rem Ringen um die Wahrheit in dieser Frage undnach inzwischen gemachten klinischenErfahrungen ist er zu der Überzeugung gekom-men, daß der sogenannte „Hirntod“ in der Tatnicht den Tod des Menschen bedeuten kann. Dieswird aus einem mir zugänglich gewordenenSchreiben von Dr. David M. Hargroder vom 26.Februar 2003 besonders deutlich. NachdemHargroder selbst durch viele Jahre Organtrans-plantation praktiziert hatte, sind ihm zunehmendeZweifel am wirklichen Tod des „Hirntoten“gekommen. Denn bei der Entnahme etwa desHerzens eines „Hirntoten“ für die Transplantationmuß das noch schlagende Herz entweder durcheine Injektion oder durch Abschalten der künstli-chen Beatmung zum Stillstand gebracht werden.Diese Maßnahmen haben ihn offenbar an der„moralischen Gewißheit“ des Todes des Patientenzweifeln lassen und vielmehr davon überzeugt, daßer bei diesen Maßnahmen eine Tötung vornimmt.Der gängige Terminus: „Heart Beating CadaverDonors“ vermochte nicht mehr die Realität derTötungshandlung zu verschleiern.

Paul A. Byrne, M.D., Clinical Professor ofPediatrics, Medical College of Ohio17, der sichebenfalls eingehend mit den Problemen desHirntodkriteriums befaßt hat, sagt in einer zusam-menfassenden Stellungnahme dazu: „Are we notbeing asked to accept two medically distinguisha-ble situations as legally equivalent? To say that apatient with a beating heart, normal pulse, normalblood pressure, normal color, and normal tempe-rature is ‘dead’ is a lie. The force of law will notmake it true. Great care must be taken not to decla-re a person dead even one moment before deathhas occurred. Death should be declared only after,not before the fact. To declare death prematurely isto commit a fundamental injustice. A person is

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living even a moment before death and must betreated as such. Every time a heart is taken fortransplant, it is a beating heart that is stopped bythe surgeon just prior to excision. It takes about anhour of surgery to remove the heart. During thistime, it is common for the so-called ‘donor’ to begiven a paralyzing drug, but not an anesthetic. Ithas been reported that when the incision is madeto take the organs, there is an increase in heart rateand blood pressure. Could this occur if the personwere dead? The answer is no. A doctor or othermedical personnel must never impose death on apatient. Imposed death in Greek is (epivalothana-sia, das Wort ist in griechischen Lexika in dieserForm nicht auffindbar). It is easy to move one’s emotions with images oforgan recipients resuming ‘normal lives’ after theyhave received a heart, but what about the life of thedonor? Was the donor in fact dead? If there is anydoubt about the fact of death, may one carry outan action that will impose death on another? Whosheds tears for the victims of utilitarian euthana-sia?”18

Robert Spaemann hat bei einem “Convegno inter-nazionale sul tema ‘Ai confini della vita’”, Rom 25.und 26. Oktober 2002, ebenfalls festgestellt, daßder Begriff des Hirntods ein gefährlichesKriterium ist, weil es die Medizin in eine Formmaskierter Euthanasie (eutanasia mascherata)treibt19.

In diesem Zusammenhang spielt der Apnœa Test(meist geschrieben: apnea) eine wichtige Rolle. Beidiesem wird die künstliche Beatmung bis zu 10Minuten abgestellt. Wenn in dieser Zeit die spon-tane Atmung nicht einsetzt, gilt der „Hirntod“ alssicher. Paul A. Byrne, Walt F. Weaver, M.D.,F.A.C.C.20 und Mercedes Arzú Wilson, LLD, habeneinen mir zugänglich gewordenen Text zumProblem “The Cruelty of the Apnea Test“ verfasst.Sie konnten sich dabei unter anderem aufUntersuchungen der amerikanischen NeurologenJeret und Benjamin, veröffentlicht in Archives ofNeurology 1994, und von C. G. Coimbra stützen,die 1999 erschienen ist21. Die Autoren stellenzunächst fest: “While Jeret and Benjamin werepublishing their study about the consequences ofthe ‘apnea test’, two groups of neurosurgeons (onefrom Heidelberg, Germany, and the other from

Japan) simultaneously reached the same results,demonstrating that 70% of victims of severe headtrauma in deep coma not submitted to apnea testcould be recovered to NORMAL DAILY LIFE iftheir bodies were cooled down to 33 degreesCelsius for 12 to 24 hours (‘short-term moderatehypothermia’).The methods, including the ‘apnea test’ for dia-gnosing ‘brain death’ have been officially establis-hed by many neurologists for the sole purpose ofproviding ‘healthy’ vital organs for transplantati-on. The physicians involved in these proceduresusually refuse to discuss the fundamental ethicalissue of whether such patients are alive either inpublic or during medical meetings.The ‘apnea test’ is part of the ‘diagnostic’ protocolbeing used in accordance with the proceduresadopted in many countries. The donor’s ability tobreath must be tested prior to organ removal (noone would accept as dead an individual whobreathes – and breathing during the removal ofvital organs would legally characterize the surgicalprocedure as murder, and the transplant surgeonas the murderer).By turning off the respirator for up to TEN min-utes at the very beginning of deep coma, the pro-ponents of the ‘brain death’ diagnostic protocolrisk killing an unknown percentage of comatosepatients to harvest ‘healthy’ vital organs. Thesecomatose patients might otherwise resume sponta-neous breathing and survive if treated longenough. According to the transplantation sur-geons, if the vital organs were not removed earlyenough, a possible deterioration of the donor’scondition could damage the transplantableorgans, and THAT was and remains their majorconcern. They are not concerned about ensuringfull chances of recovery to the potential donor”22.

Der ganze Text würde es verdienen, hier wiederge-geben zu werden, um die Probleme umfassendererkennen zu können. Ein Problem muß ich hierjedoch hervorheben, weil es gerade junge und ansich gesunde Menschen, vor allem auch Kinder,betrifft, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlittenhaben. Weil deren Organe besonders wertvoll sind,ist das Interesse an deren „Hirntod“ besondersgroß. Wenn nun bei diesen gleich der ‘apnea test’angewandt wird, um schnell an ihre Organe kom-men zu können, ist eine mögliche Rettung ausge-

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schlossen. Dazu sagen die Autoren: “There isample scientific evidence that the apnea test indu-ces irreversible arrest of the blood supply to thebrain, no patient is expected to breathe during the‘apnea test’. The conclusion is that the ‘apnea test’is not an ethical procedure because it is done wit-hout the consent of the family and without antici-pation of any benefit for the defenseless comatosepatient. The ‘apnea test’ can only contribute toand cause the patient’s ‘brain death’ (and someti-mes even true death. Evidently, because the testinduces irreversible arrest of the blood supply tothe brain, no patient is expected to breathe duringthe apnea test). What would be the outcome if the‘apnea test’ would be replaced by short-termmoderate hypothermia to ensure full chances ofrecovery to the defenseless comatose patient?”23

Dann folgt eine Aussage, die das ganze Ausmaßder Dramatik des Apnea Tests deutlich macht:“Outspoken critics of ‘brain death’ can relate dra-matic incidents of desperate mothers who havebeen told that their child was a victim of severehead trauma, and had been diagnosed ‘braindead’. The mother despairs when she is asked bythe physician to sign a written agreement for organdonation. These mothers discover later throughthe Internet that treating a patient with hypother-mia is a successful treatment for those who havesuffered severe head trauma. The mother mustinquire whether or not her child was given the‘apnea test’. Usually this ‘test’ has already beengiven without familial consent, and therefore thehypothermia treatment would be useless. Thesemothers almost consistently then declare that theyhave been praying to the Virgin Mother, who alsolost Her Son, for She certainly understands thedeepness of their pain. This terrible tragedy couldbe prevented so mothers would not lose their sonsor daughters who fall victim to the ambition ofphysicians who are unworthy of their title. Most of the patients who are diagnosed ‘braindead’ are considered ‘potential donors’ (as soon asthey are admitted into the public hospitals and‘enrolled in the national transplant system’). Theyare particularly young people, victims of severehead trauma, with the most desirable younghealthy vital organs. Those victims of severe headtrauma are precisely those who could benefit fromthe treatment with short-term moderate hypother-

mia”24.

Angesichts schon dieser wenigen Aussagen zweifel-los kompetenter Mediziner werden die Aussagenvon Weber verständlicher, mit denen er aus seinenvorher gewonnenen Ergebnissen die„Konsequenzen für die Transplantationsmedizin“aufzeigt. Ich muß hier zunächst daran erinnern,daß die im Jahre 1968 von einem ad hoc Komiteeder Harvard Medical School25 eingeführteAnnahme des Hirntodes als ausreichendesTodeskriterium ersichtlich den ausschließlichenZweck hatte, die Entnahme vitaler Organe desSterbenden zu ermöglichen. Weber sagt dazu: „»Sorein« das Interesse an der Organerhaltung zurRettung anderer Leben an sich auch sein mag, sobeeinträchtigt diese Zielgerichtetheit doch denVersuch einer objektiven Definition des Todes; ergerät vielmehr im Interesse der Transplantations-medizin zur Verhandlungssache – und das kannund darf nicht sein. Daher muss die Berechtigungdes Hirntodkonzepts unabhängig von denMöglichkeiten der Organverpflanzung beantwor-tet werden“26.

Das deutsche Transplantationsgesetz bestimmt in§ 3 Abs. 1 mit Z 1: „Die Entnahme von Organenist, soweit in § 4 nichts Abweichendes bestimmt ist,nur zulässig, wenn der Organspender in dieEntnahme eingewilligt hatte.“ Im § 4 wird gere-gelt, wie vorzugehen ist, wenn „weder eine schrift-liche Einwilligung noch ein schriftlicherWiderspruch des möglichen Organspenders“ vor-liegt. In so einem Fall kann ein Angehörigerzustimmen. Über die „Opferung der Reststreckeseines Lebens“, wie Weber sagt, kann jedoch, wennüberhaupt, nur der opfernde Organspender per-sönlich verfügen. Weber sagt daher mit Recht:„hier kann es keine erweiterte Zustimmungslösungin Gestalt einer Drittentscheidung der Angehöri-gen über das Leben eines anderen geben, denn‚menschliche Organe sind nicht sozialpflichtig’und ‚der Mensch verliert sein Leben nicht auf-grund einer Hirntod-Definition’. ... Auch hier darf‚die gute Absicht’, das lobenswerte Ziel die rechtli-che Fragwürdigkeit der einzusetzenden Mittelnicht beiseite schieben; auch hier kann der Zweckdie Mittel nicht heiligen. Dies gilt es einem frag-würdigen Zeitgeist entgegenzusetzen“27.

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Weber diskutiert dann die Frage, ob die„Freiwilligkeit des Schutzverzichts auf das eigeneLeben“ die Tötung durch Entnahme von vitalenOrganen „aus dem Anwendungsbereich des § 216auszunehmen“ vermag, der die Tötung aufVerlangen unter Strafe stellt. Auch wenn man dieTötung bei Einwilligung zur Organentnahme nach§ 216 von der Strafe ausnimmt, sagt Weber, „mussman sich ungeschönt klarmachen, dass dieseZulassung des Einwilligungsvorbehalts bei derAuseinandersetzung um das Hirntodkriteriumunmittelbar auch den bioethischen Bereich vonSterbehilfe und Euthanasie berührt“. Er weist dar-auf hin, dass nicht „völlig zu Unrecht ... auch eineenge Zustimmungslösung im Transplantations-recht als eine ‚zweckspezifische Tötungslizenz ingesellschaftlichem Auftrag’ bezeichnet“ wird.Dann sagt Weber: „Selbst ein Peter Singer, der dasLeben durchaus als verfügbare Größe begreifenwill, stellt nüchtern fest, dass das Hirntodkriteriumwohl deshalb seinen Siegeszug antreten konnte,weil Hirntote selbst nichts gegen ihreTodeserklärung einwenden können und alle ande-ren an diesem Tod profitieren, sei es durch entfal-lende Pflegemühen, sei es als aktueller oderpotenzieller Organempfänger, sei es alsMaßnahme der Kostenreduktion in Krankenhäu-sern und gesetzlichen oder privaten Kostenträ-gern“. Weber zitiert dann einen Satz desPhilosophen Hans Jonas, wonach „dasVerscheiden eines Menschen von Pietät umhegtund vor Ausbeutung geschützt sein sollte“28.

Inzwischen hat der Bonner Strafrechtler GüntherJakobs, der, wie Robert Spaemann mir mitteilte,das Hirntodkriterium durchaus ablehnt, denGesichtspunkt der Kostenersparnis direkt auf dieEuthanasie angewandt. Bei einem Symposion überdas Thema: „Sterbehilfe in der Industriegesell-schaft“ hat er festgestellt, daß die „Euthanasieauch als Beitrag zur Sanierung des Gesundheits-systems“ unvermeidlich sei. Dies entsprechebereits der Auffassung der Mehrheit sowohl derStrafrechtler als auch der Gesellschaft. Er stellteauch gleich klar: „seine ‚Generation’ werde ‚es sichnicht gefallen lassen’, dass eine religiöseMinderheit der Gesellschaft vorschreiben wolle,was sie tun und lassen dürfe“. Dies klang „nacheiner Mitteilung, welche Sieger den Besiegtennach verlorener Schlacht zustellen lassen“29. Von

„unverletzlichen und unveräußerlichenMenschenrechten als Grundlage jeder menschli-chen Gemeinschaft“ (Art. 1 Abs. 2 GG) wird dannin einer solchen Gesellschaft nicht mehr die Redesein können.

Am Ende seines Beitrages zitiert Weber denChirurgen Peter Röttgen mit folgender Aussage:„Ich bin dagegen, dass man nur das, was nun wirk-lich mausetot ist, als tot feststellt. Damit ist demTotengräber geholfen, aber nicht dem Chirurgen,wenn er wirklich transplantieren will“. Weberbemerkt dazu: „Ein solcher Gedanke, es müsse fürdie Medizin einen anderen Todesbegriff geben alsfür Bestattungsunternehmen, bleibt abzulehnen.Denn ‚Leben und Tod sind einstellige, nicht rela-tionale Begriffe’“30.

III. Zusammenfassung

Zusammenfassend darf ich daran anknüpfen, dassich hier schon wiederholt über den Einfluss fal-scher Theorien sprechen musste. DasHirntodkriterium ist zweifellos, bei allen damitverbundenen guten und humanen Absichten, einweiteres Beispiel für die buchstäblich tödlichenFolgen falscher Theorien. Es muß leider imZusammenhang mit einer gewaltigen „Erdrutsch“-Bewegung gesehen werden, in der die „unverletz-lichen und unveräußerlichen Menschenrechte alsGrundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“ imNamen des Fortschritts der Wissenschaft und derNützlichkeit zunehmend hinweggefegt werden.Martin Kriele hat klargestellt: „Menschenrechtesind Naturrecht.“ Daraus folgt: „Menschenrechtegelten zeitlich gesehen ewig, räumlich gesehenüberall in der Welt; sie sind in der Natur oder inGottes Schöpfung verwurzelt, sie haben denCharakter der Heiligkeit und Unver-brüchlichkeit“31. Kriele mußte feststellen, dassDeutschland „mit dem Zusammenbruch von 1849... aus der gemeineuropäischen Naturrechtstradi-tion vollends“ herausfiel. Zur Entwicklung derWeimarer Republik hat er folgendes sagen müs-sen: „Der Verlust der Naturrechtstradition wirktewie ein gewaltiger Strudel, der die politischeVernunft und die in Ansätzen vorhandenen ver-nünftigen Institutionen mit sich in die Tiefe riß“32.

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Wir stehen zweifellos wieder vor einem ähnlichenVorgang. Bereits in vorchristlicher Antike wurdeerkannt, dass auch die Demokratie beiMißachtung grundlegender Rechte in ihreEntartung umschlägt, die Polybios als ochlokratiabezeichnet hat. Man kann das mit Tyrannis derMasse übersetzen. Der rasanten Entwicklung indiese Richtung entgegenzuwirken erscheint,menschlich gesprochen, bereits fast als aussichtslo-ses Bemühen. Dennoch muß alles getan werden,was unter den gegebenen Bedingungen möglichist. Eine der wichtigsten Aufgaben wird es jeden-falls sein, das Bewußtsein davon zu erneuern, wasin Art. 1 Abs. 1 und 2 GG gesagt wird: „(1) DieWürde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achtenund zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichenGewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darumzu unverletzlichen und unveräußerlichenMenschenrechten als Grundlage jeder menschli-chen Gemeinschaft, des Friedens und derGerechtigkeit in der Welt.“ An dieses Bekenntnis,das damals von ganz Europa und der Welt geteiltwurde, muß man heute erinnern. Wir stehen zwei-fellos vor der akuten Gefahr, daß nunmehr ganzEuropa „aus der gemeineuropäischen Natur-rechtstradition vollends“ herausfällt und damit ineinem neuerlichen gewaltigen „Strudel ... in dieTiefe“ gerissen wird. Es wird großer gemeinsamerAnstrengungen bedürfen, Europa vor einer sol-chen Zukunft zu bewahren.

1 Ich erinnere mich, in meiner Schule in der NS-Zeit unter denan den Wänden der Gänge angebrachten Sprüchen einen ausSchillers »Braut von Messina« gesehen zu haben, der lautet:„Das Leben ist der Güter höchstes nicht, Der Übel größtes aberist die Schuld“. In der damals wiedergegebenen Fassung warjedoch das letzte Wort „Schuld“ durch das Wort „Angst“ oder„Furcht“ ersetzt. Eine für den Nichtkenner des Textes unmerk-liche aber höchst folgenschwere Veränderung mit klar politi-scher Absicht. Die deutsche Jugend sollte mit der AutoritätSchillers zur Tapferkeit mit der Bereitschaft zur Hingabe desLebens geleitet werden. Der Text machte damals auch auf micheinen starken Eindruck. Damals zählte menschliches Leben nurso viel, wie es den Machthabern nützte.2 Eine überaus aufschlußreiche Begebenheit schildert Liv. 5,27, 1 – 14.3 Cic. leg. 1, 42.4 Cic. rep. 3, 33; Übersetzung des 1. Teiles (bis zur 1.Klammer) von mir, des zweiten von Karl Büchner, SammlungTusculum, Artemis Verlag München/Zürich 41987, 205. Beider Übersetzung des Wortes lator mit „Antragsteller“ konnteich Büchner nicht folgen.5 Im Original ist das erste Anführungzeichen verkehrt gesetzt:«mehrheiten«. Im lateinischen Originaltext sind «maiores par-tes» unter Anführungszeichen, weshalb es richtig ist, nur denTeil „mehrheiten“ unter Anführungszeichen zu setzen.

6 Im Original: „geschriebene“.7 Vgl. Ralph Weber, Der Hirntodbegriff und der Tod desMenschen, Zeitschrift für Lebensrecht (künftig abgekürztzitiert: ZfL) 11 (2002) 103 mit Hinweis auf Steiner in derAnm. 184.8 Grafite Editrice, Napoli 2000.9 Das eindrucksvolle Umschlagbild zeigt den gefesseltenPrometheus von Peter Paul Rubens, dem der Adler gerade dieLeber zerfleischt.10 ZfL 11, 94 – 106.11 ZfL 11, 97. 12 ZfL 11, 103. 13 Das „In“ ist im Hinblick darauf wohl irrtümlich stehenge-blieben, daß sich „zu begegnen“ am Ende des Satzes dochwohl auf das „Zwielicht des Zweifelhaften“ bezieht, dem „zubegegnen“ ist.14 ZfL 11, 103.15 Professor and Chief, Pediatric Neurology, UCLA MedicalCenter, 14445 Olive View Drive, North Annex, Sylmar CA91342-1495 – USA; Tel.: 001-818-364-3242, Fax: -3268, E-mail: [email protected] Zahlreiche Publikationen sind in dem oben bei Anm. 8angeführten Buch von Tozzini in der Bibliographie aufgeli-stet.17 Anschrift: 577 Bridgewater Drive, Oregon, Ohio 43616,Tel.: (419) 698-8844.18 S. 2 der Stellungnahme.19 Corrispondenza romana n. 783, 26. Oktober 2002, S. 3.20 Kardiologe und Prof. für Medizinische Ethik, Anschrift:2850 Sheridan Blvd. Lincoln, NE 68502, Tel.: (402) 435-2232, Fax: -6494, e-mail: [email protected] Brazilian Journal of Medical and Biological research (1999)32: 1479-1487. Anschrift des Autors: Laboratório deNeurologia Experimental, Universidade Federal de São Paulo,Rua Botucatú, 862, Ed. Leal Prado 04023-900 São Paulo, SP,Brasil. Fax: +55-11-539-3123/573-9304; E-mail:[email protected] S. 2 f.23 S. 6 f.24 S.7 f.25 Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School toExamine the Definition of Brain Death, A definition of irre-versible coma, JAMA, August 5, 1968, vol 205, 6: 85-88.26 ZfL 11, 104. Vgl. dazu auch R. Spaemann, Ars longa, vitabrevis, in: Ethics of Biomedical Research in a Christian Vision,Proceedings of the Ninth Assembly of the Pontifical Academyfor Life, Edited by Juan de Dios Vial Correa and Elio Sgreccia,Libreria Editrice Vaticana 2004, 169: “It would be contrary toall experience of life to claim that the definition of deathwould purely by chance coincide with the new possibilities oforgan transplantation. Transplantation surgeons who like towork with a good conscience, should therefore refuse to play apart in the forming of judgements on the question of braindeath. Precisely bebause their interest objectively coincides insuch an immediate way with the interest of charity – can therebe a nobler thing than an organ donor saving someone alse’slife? – it can weaken all counter-arguments right from thestart.”27 ZfL 11, 104.28 ZfL 11, 105 f.29 Die Tagespost vom 27. 04. 04, S. 9.30 ZfL 11, 106.31 Einführung in die Staatslehre, 51994, 132. Vgl. dazu aus-führlich W. Waldstein, Naturrecht in der modernenStaatsphilosophie, in: Staatsphilosophie und Rechtspolitik,Festschrift für Martin Kriele zum 65. Geburtstag, Beck,München 1997, 903 - 923.32 Einführung 330.

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Ein Mann und eine Frau, die miteinander verhei-ratet sind, bilden mit ihren Kindern eine Familie(2202 KKK). So einfach und selbstverständlichwird im Katechismus der katholischen Kirche dieNatur der Familie festgelegt. Ebenso vertraut sinddarin die Ausführungen über den Zusammenhangvon Familie und Gesellschaft:

Die Familie ist die Urzelle des gesellschaftlichenLebens. Sie ist die natürliche Gemeinschaft, in derMann und Frau zur Hingabe der Liebe und zurWeitergabe des Lebens berufen sind. Die Autorität,die Beständigkeit und das Gemeinschaftslebeninnerhalb der Familie bilden die Grundlagen vonFreiheit, Sicherheit und Brüderlichkeit innerhalbder Gesellschaft. Die Familie ist die Gemeinschaft,in der man von Kind auf lernen kann, die sittli-chen Werte zu achten, Gott zu ehren und dieFreiheit richtig zu gebrauchen. Das Familienlebenist eine Einübung in das gesellschaftliche Leben.Die Familie soll so leben, dass ihre Mitglieder ler-nen, sich um Junge und Alte, um Kranke,Behinderte und Arme zu kümmern und sich ihreranzunehmen...

Die katholische Glaubenslehre bekräftigt somit,was vielen von uns als selbstverständlich erscheint.Es ist die Familie, die wir natürlich zuerst mit

Kindern in Verbindung setzen. Und das heisstauch, sie ist der Ort, wo sich - wie nirgendwo sonst- menschliches Leben entfaltet. Dagegen abersteht, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit offen-sichtlich nicht mehr diesem Selbstverständnis ent-spricht. Mediale Schlagworte beschreiben dieVeränderungen unserer Lebenskultur und auchdie dramatischen Folgen lassen sich nicht ver-schweigen: nicht mehr Familie auf Dauer, sondernunverbindliches Zusammenleben von Jugend an;Lebensabschnittspartnerschaften, hohe Scheid-ungsraten, gleichgeschlechtliche homosexuelleLebensgemeinschaften mit ebensolchen Rechts-ansprüchen, wie sie für Familien gelten, ein-schließlich Adoptionsrecht von Kindern; besorg-niserregend niedrige Geburtenraten; Überalte-rung; Pensionsreformen; Kostenexplosion imGesund-heitswesen, ...

Die wiederkehrenden Stichworte haben unserBewusstsein längst ermüdet. Bereits im erstenDrittel des vergangenen Jahrhunderts hatte derösterreichische Marxist Wilhelm Reich gefordert,dass die "Dauerehen" oder, wie er die traditionelleEhe auch nennt, die "Zwangsehen" abgeschafftwerden müssen, wolle man eine kommunistischeGesellschaft aufbauen. Mann und Frau würden imReproduktionsprozess eingegliedert werden,wodurch die Familie praktisch überflüssig würde.Und die Kinder würde man im Kollektiv derKinderkrippen von klein an zu von der patriarcha-lischen Familie und ihrem Autoritätsprinzip befrei-ten Menschen erziehen.

Um die Revolution zum Erfolg zu bringen und dieFamilie zu zerstören, ist es demnach für WilhelmReich notwendig, die Jugend früh zu sexualisieren,denn so würde sie eheunfähig werden: "Es ist alsovöllig klar; sexuelle Freiheit der Jugend bedeutetUntergang der Ehe!" Das aktuelle gesellschaftspo-litische Verständnis hat sich seitdem, wie demBüchlein "Angriff auf die Familie" von Mathias vonGersdorff zu entnehmen ist, ideologisch verfei-

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1/2005KONGRESS

Das Ja zum Leben beginnt in der Familie!

Vortrag von Dr. Bernhard Gappmaier,

gehalten am Ersten Tiroler Familienkongreß in Sterzing, 30. 10. 2004

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nert: "Wir definieren Familie weiter als Sie es tun.Das wird der Realität einfach gerecht. Familie wirdheute in vielfältiger Form gelebt. Damit respektie-ren wir, dass Alleinerziehende oder auf Dauerangelegte nichteheliche Lebensgemeinschaftenmit Kindern Familien sind.... Für uns zählen - ichsage Ihnen das, weil Sie so sehr auf denWertebegriff abstellen - Fürsorge füreinander undVerantwortung zwischen den Generationen. DieseWerte wollen wir politisch unterstützen, und dieseWerte werden eben auch in den unterschiedlich-sten Familienformen gelebt. Das ist die Realität;Aber mit der Realität haben Sie sich ja schonmanchmal schwer getan!" Die ideologischeUmformung dürfte allerdings noch nicht wirklichgelungen sein, wenn man sich an die wiederholtenUmfrageergebnisse zu den persönlichen Wertenund Sehnsüchten der Menschen, vor allem auchder jungen Menschen erinnert, wo der Wunschnach Geborgenheit in der Familie immer noch anvorderster Stelle rangiert.

Allerdings zeigt die aktuelle politische Diskussionzugleich, in welch besorgniserregenderEntwicklung wir stehen. Tatsächlich ist die Ehe,sind die vertrauten Grundwerte als eigentlicheVoraussetzungen unseres menschenwürdigenZusammenlebens nicht mehr selbstverständlich,nicht mehr unantastbar. Wer wie ButtiglioneStellung bezieht, wird die Macht derer erfahren,die angetreten sind, eine neugeschaffene Moraleinzufordern. Dem vermeintlich Schwachen, amRande Stehenden gegenüber werden wir zur unbe-dingten Toleranz verpflichtet. Wehe aber denen,die es noch wagen etwas dagegen zu halten! DieToleranzdiktatur wird es mit Hilfe ihresAntidiskriminierungsgesetzes nicht dulden!

Das Thema erfordert eine Betrachtung aus ver-schieden Blickwinkeln: philosophisch, historisch,demographisch, soziologisch, psychologisch undselbstverständlich insbesondere theologisch istzum Verständnis der Familie hier viel beizutragenund zu klären. Aus ärztlicher Sicht regt der allge-mein assoziierte Begriff der Familie als Urzelle derGesellschaft zu einer Beobachtung und Diagnosean: wenn die menschliche Gesellschaft als komplexgeordneter Zellverband betrachtet wird, in wel-chem der Familie einem allgemein vernünftig ein-sehbaren, natürlichen Gesetz entsprechend die

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Diese Gemeinschaft der Liebeund Familie geht jederAnerkennung durch die

öffentlichte Autorität voraus,sie ist ihr vorgeben. Man muß

sie als die normaleBeziehungsgrundlage

betrachten.

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grundlegende Bedeutung einer Urzelle des gesell-schaftlichen Lebens zukommt, dann bedeutet diejetzt wahrzunehmende Entwicklung mit demAnspruch auf eine Autonomie diverser Lebens-und Beziehungsformen eine ernsthafteErkrankung, vor deren Diagnose sich der Einzelneaufgrund des Wissens um die Zerstörungskraftund begrenzte Heilbarkeit für gewöhnlich zurechtfürchtet!

Unverkennbar ist unsere Kultur des Lebens durcheine (Un-)Kultur des Todes in grosse Gefahrgebracht worden. Woher aber gründet derAnspruch, dass die Familie die Urzelle des gesell-schaftlichen Lebens ist? Wieder ist die Antwort ein-fach und zugleich gegen alle ideologischenManipulationsversuche wahr.

Diese Gemeinschaft der Ehe und Familie gehtjeder Anerkennung durch die öffentliche Autoritätvoraus, sie ist ihr vorgegeben. Man muss sie als dienormale Beziehungsgrundlage betrachten, vonder aus die verschiedenen Verwandtschaftsformenzu würdigen sind. Indem Gott Mann und Frauerschuf, hat er die menschliche Familie gegründetund ihr die Grundverfassung gegeben. IhreGlieder sind Personen gleicher Würde!

Ehe und Familie sind auf das Wohl der Gatten,sowie auf die Zeugung und Erziehung von Kindernhingeordnet. Die Liebe der Gatten und dieZeugung von Kindern lassen zwischen denFamilienmitgliedern persönliche Beziehungenund grundlegende Verantwortung entstehen! Dieaus dem Katechismus der katholischen Kirche wie-dergegebenen Ausführungen machen es verständ-lich, dass sich Ideologien mit gesellschaftspolitischanderen Interessen davon provoziert sehen. DieFamilie als Schule der Liebe und als Schule derZukunft unserer Gesellschaft! Mit gutem Recht istdaher die Feststellung zu treffen: Das Ja zumLeben beginnt in der Familie!

In der ehelichen Gemeinschaft sind Mann undFrau wesenhaft auch besonders durch ihregeschlechtliche Vereinigung zur gegenseitigenHingabe als ihnen vorbehaltenes Zeichen undAusdruck der Liebe berufen!

Dass Mann und Frau als Abbilder Gottes geschaf-

fen sind, durch die Ehe in besonderer Weise dazuberufen, mitzuwirken an seiner Schöpfung, unddamit selbst unmittelbar zu erfahren, wie aus ihrerliebenden Begegnung neues menschliches Lebenentsteht, ist eine Dimension, deren gedanklicheErschließung dem jetzigen hl. Vater, PapstJohannes Paul II, zu danken ist (Brief PapstJohannes Paul II an die Familien; Familiaris con-sortio; Die menschliche Liebe im göttlichenHeilsplan; Die Familie - Zukunft der Menschheit;Die Erlösung des Leibes...) Es ist ein Geheimnis!Aber gerade diesem Geheimnis verweigern sichviele Familien in unseren westlichenGesellschaften sehr offensichtlich. Es ist erschüt-ternd, welchem Zwang zur Verhütung sich heuteMenschen aussetzen, um ja kein Leben aufkom-men zu lassen, welche Entscheidungen Menschentreffen, um ein Kind im Mutterleib zu vernichten!Wenn in Österreich zwischen 40.000 und 100.000Kindestötungen jährlich im Mutterleib seitEinführung der Fristenlösung 1974 von Ärzten (!)durchgeführt werden, dann dürfen wir unsereAugen vor diesem Kriegsschauplatz desTodeskampfes wehrloser Kinder nicht nur nichtverschließen, sondern wir müssen dagegen mit allunseren Kräften antreten!

Papst Paul VI hat 1968 vor dem Hintergrund derdrängenden Fragen in Bezug auf die Weitergabedes Lebens die Enzyklika "Humanae vitae" veröf-fentlicht. Bis heute erregt sie Widerspruch - insbe-sondere auch in der katholischen Kirche selbst!

Es wird verständlich, dass dieses Dokument überdie Weitergabe menschlichen Lebens zum Zeichendes Widerspruchs für viele werden musste, wennman das Schreiben gelesen hat und das Anliegendes Papstes vor dem Hintergrund der gebotenenProblemstellungen und der sich heute bietendenSituation in unserer Gesellschaft mit gutem Willensich zu erkennen bemüht!

Im Kapitel "Achtung vor dem Wesen und derZielsetzung des ehelichen Aktes" wird Folgendesfestgehalten: "Indem die Kirche die Menschen zurBeobachtung des von ihr in beständiger Lehreausgelegten natürlichen Sittengesetztes anhält,lehrt sie nun, dass "jeder menschliche Akt" von sichaus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hin-geordnet bleiben muss. Diese vom kirchlichen

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Lehramt oft dargelegte Lehre gründet in einer vonGott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der bei-den Sinngehalte - liebende Vereinigung undFortpflanzung -, die beide dem ehelichen Aktinnewohnen. Diese Verknüpfung darf der Menschnicht eigenmächtig auflösen. Wie Erfahrung lehrt,geht tatsächlich nicht aus jedem ehelichen Verkehrneues Leben hervor. Gott hat ja die natürlichenGesetze und Zeiten der Fruchtbarkeit in seinerWeisheit so gefügt..."

Aus heutiger Sicht ist diese Enzyklika wohl als eineMagna Charta, eine Urfassung, zum Schutze dermenschlichen Liebe und des Lebens zu bezeich-nen. Und sein späterer Nachfolger im Petrusamt,Papst Johannes Paul II, hat mit seiner Enzyklika"Evangelium vitae" 1995 an alle Menschen gutenWillens auf der Welt eine Frohbotschaft des Lebensüber den Wert und die Unantastbarkeit desmenschlichen Lebens vorgelegt, ein Schreiben, dasdie weithin abgelehnte Enzyklika seinesVorgängers, Paul VI, bestätigt, vertieft und fortge-setzt hat. Als Arzt bestätige ich aus vielen persönli-chen Erfahrungen mit jungen Menschen undPatientinnen die Unfehlbarkeit des Lehramtes derPäpste in der katholischen Kirche und ist mir dasLehramt eine hilfreiche Richtungsweisung für einLeben in Fülle geworden. Wenn seit mehrerenJahrzehnten fast alle europäischen Staaten nurnoch Geburtenraten von etwa 1,0 Kindern (+/-)aufweisen, dann heisst dies, dass in unseremkatholisch geprägten abendländischen KulturkreisMann und Frau in einer Familie durchschnittlichnur noch ein bis zwei Kinder während ihresgemeinsamen Ehelebens zur Welt bringen.

Die Promotoren der Verhütungsideologie habenab etwa 1960 den Anspruch erhoben, "den Sex vonder Last des Gebärzwanges der Frauen zu befrei-en." (Carl Djerassi - der "Vater der "Pille"). In derPraxis wird also das u. a. auf das natürlicheSittengesetz begründete Lehramt der katholischenKirche in der Fragestellung der Liebe undWeitergabe des Lebens - wie es in "Humanae vitae"dargelegt ist - insbesondere von den getauftenGläubigen selbst nicht mehr angenommen!

Das heisst, viele Christen haben offensichtlich dievon Gott begründete unlösbare Verknüpfung derbeiden dem ehelichem Akt innewohnenden

Sinngehalte - liebende Vereinigung undFortpflanzung - eigenmächtig aufgelöst!

Nicht anders ist die festzustellende Verweigerunggegenüber der bejahenden Bereitschaft zu kinder-reichen Familien anhand der Statistiken zu erklä-ren! Es ist daher mit Sorge zu hinterfragen, ob dieKultur des Todes nicht auch schon die Familie - dieUrzelle der Gesellschaft - in gefährlicher Weiseinfiziert hat?

Wenn die Familie heute bedroht ist, dann fangenwir an, ihren wunderbaren Wert, - weil von Gottselbst gestiftet -, wieder zu entdecken und sie wieeinen Schatz auch gegen alle Angriffe zu verteidi-gen! Denn von Gott sind wir als Mann und Fraugeschaffen, Abbilder des Vaters und abbildhafthinein genommen in das Geheimnis seiner drei-faltigen Liebe, die darin gipfelt, in der Zeugungmenschlichen Lebens zu Mitwirkenden seinesSchöpfungsplanes berufen zu sein! UnfassbaresGeheimnis!

Das Ja zum Leben ist den Familien wirklich in her-ausragender Weise anvertraut! Die mithin verlok-kend dargestellten Konzepte alternativerBeziehungsformen in unserer Gesellschaft verfüh-ren zu Lebensweisen, die uns um unsere kostbareBerufung zu täuschen versuchen. Sie bringen nichtwirkliches Glück und Erfüllung, und sie richtensich in ihren Konsequenzen - auch bereits gesell-schaftspolitisch erkennbar - letztendlich selbst!

Wir sind dazu berufen, Zeichen des Lebens zu set-zen! Schlafen wir nicht in der Bedrängnis! NurMut! Wir wissen um den eigentlichen Ursprungunserer Berufung, die Quelle allen Lebens...

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Salzburg hat es geschafft. Das Thema Abtreibungist seit dem Jahr 2004, und dies nicht nur inSalzburg, sondern tatsächlich österreichweit, zumDauerthema avanciert. Vermutlich hatte sichLandeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) allesanders vorgestellt. Nach der gewonnenen Wahl imvergangenen Frühjahr hatte sie, zum Schock ihresKoalitionspartners ÖVP (in etwa das österreichi-sche Pendant der deutschen CDU), sogleich roteFarbe bekannt: in den Landesspitälern Salzburgssollte nach dem Willen der Landeschefin dieAbtreibung eingeführt werden. Selbst so mancherangestammte SPÖ-Wähler rieb sich nicht schlechtdie Augen. Auf den Wahlplakaten der SPÖ hatteFrau Burgstaller einen neuen Frühling angekün-digt und jedermann zugelächelt mit demDauerslogan Eine von uns. Was nun? War plötzlichdie Eiszeit ausgebrochen? War unsere Gabi "einevon uns" lediglich für Radikalfeministinnen, nichtjedoch für ungeborene Kinder? DieLandeshauptfrau, soviel zeichnete sich zuneh-mend ab, hatte die Rechnung offensichtlich ohnedie mündigen Bürger gemacht. Denn diese wehr-ten sich.

Eben dies ist das Erstaunliche der letztenSalzburger Monate. Es hat sich Widerstand for-miert, beträchtlicher Widerstand. Nicht nur, dassdie neuernannte Familienlandesrätin desKoalitionspartners ÖVP gleich zu Beginn derDeabtte öffentlich bekannte, sie sei radikal gegenAbtreibung, dass ihr Parteifreund, Landeshaupt-mannstellvertreter Dr. Haslauer, ein entschiedenesVeto gegen die Abtreibungspläne des Regierungs-partners aussprach und dass die katholischeKirche in einem klaren Statement von ErzbischofKothgasser die Vorgehensweise der Landeshaupt-frau verurteilte. Es geschah mehr. Die SalzburgerBürger gingen auf die Straße. Zuletzt im Advent,als an die dreihundert Lebensschützer einemAufruf von Jugend für das Leben folgten und unterAnwesenheit von Weihbischof Laun vor demLandeskrankenhaus in einer friedlichenLichterkette für das Leben demonstrierten. In denMonaten zuvor hatte die neugebildete SalzburgerGebetsinitiative (www.leben-in-fülle.com) an denMarienfesten jeden Monat große Gebetsveransta-ltungen ins Leben gerufen, um die letztjährigeMariazeller Botschaft der mitteleuropäischen

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Salzburg, du Stadt auf dem Berg

Zum aktuellen Abtreibungskampf in Salzburg

von Manfred M. Müller

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Bischöfe zu beherzigen sowie die Bitte des Papstesaus Evangelium vitae (Nr. 100) in die Tat umzuset-zen: "Es bedarf dringend eines großangelegtenGebetes für das Leben (…) um zu erreichen, dassdie Kraft, die vom Himmel kommt, die Mauernaus Lüge und Betrug zum Einsturz bringt."Darüber hinaus schlossen sich an die dreihundertSalzburger Ärzte in einem überregionalen Forumzusammen (www.salzburgeraerzteforum.com) undvotierten eindeutig für den Schutz des Lebens vonseinem Anfang bis zu seinem natürlichen Ende.Und der Widerstand geht weiter, auch 2005.

Dies ist um so erstaunlicher, da die Medien, wiegehabt, seit Monaten vehement und nahezu uniso-no pro Abtreibung Stimmung machen. Das Kind,das bei jeder Abtreibung getötet wird, kommtweder in den Schlagzeilen noch in derBerichterstattung vor, es ist die quantité négligeable,längst abgetrieben, bevor es faktisch abgetriebenist. Und einer plappert die zeitgeistigen Phrasendes anderen automatengleich nach: Abtreibung seidas geringere Übel, Abtreibung im Spital sei dasklinisch einwandfreie Mittel der Wahl und natür-lich müsse man, um die Abtreibung einzudäm-men, die Verhütungspropaganda forcieren sowiedie Sexualaufklärung noch mehr fördern. Kaumein Wort über das längst dokumentierte Post-Abortion-Syndrom (PAS, s. www.afterabortion.com)und den evidenten Konnex zwischen Verhütungund Abtreibung, geschweige denn eine öffentlicheReflexion über die sogenannte Rechtsstaatlichkeiteines Eingriffs, bei dem ein Kind getötet wird (vgl.dazu anschließenden Artikel von Prof. Waldstein).

Das Bild von David gegen Goliath legt sich nahe.Was läßt sich, so mag manch ein resignierterZeitgenosse fragen, schon ausrichten gegen dieÜbermacht der globalen Desinformation und derUnkultur des Todes. Salzburg antwortet darauf:Steh auf. Mach es wie David. Das Kleine siegt,eben deswegen, weil es klein ist.

Johannes Paul II. hat es längst gewusst. 1998, beiseinem dritten Pastoralbesuch in Österreich, wieser im Dom zu Salzburg explizit darauf hin, dassSalzburg, als Sitz des Primas Germaniae, providen-tiell eine außerordentliche Aufgabe innehat.Wörtlich: "Salzburg, du Stadt auf dem Berg gebaut(…) Denk an das Erbe, das dir die Vergangenheit

vermacht hat: das Salz der Heilsbotschaft in dasumliegende Gebiet hinauszutragen. Du Sitz desPrimas Germaniae, die Geschichte hat dir eine ArtVorsitz in der Mission übertragen (…)." Salzburg2005 übernimmt diese Mission, es kämpft für dasLeben. Und man darf prognostizieren: WennSalzburg den Kampf gewinnt, wird diesSignalwirkung haben. Man sollte daher die Stadtauf dem Berge mit allen Mitteln großzügig unter-stützen. Salz ist schließlich lebensnotwendig.

Abtreibungen in denSalzburger Landesklinikenaus rechtlicher Sicht.Vortrag, gehalten in der Juridischen

Fakultät Salzburg, 26. Jänner 2005

von Prof. Dr. Wolfgang Waldstein

Bevor ich auf die Frage eingehe, was aus unsererRechtsordnung für das hier zu erörternde Problemfolgt, muß ich kurz auf die allgemeine Frage einge-hen, ob es überhaupt möglich ist, festzustellen, wasobjektiv unserer Rechtsordnung entspricht. Mitanderen Worten: Ist der objektive Sinn derNormen erkennbar, die in unserer Rechtsordnunggelten? Kann man daher erkennen, was diesenNormen entspricht und was ihnen nicht entsprichtund daher normwidrig ist? Wenn ich hier ein aktu-elles Problem aus rechtlicher Sicht beleuchten will,stellt sich vor allem die Frage, ob dieRechtswissenschaft zu dieser Erkenntnis etwas bei-tragen kann. Diese Frage mag zunächst merkwür-dig erscheinen. Seit jeher hat dieRechtswissenschaft ihre Aufgabe darin gesehen, zuklären, was der objektiven Rechtslage entspricht.Wer würde etwa daran zweifeln, daß der verfas-sungsrechtliche Grundsatz des Art. 18 Abs. 1 BVG:„Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur aufGrund der Gesetze ausgeübt werden“, eindeutigerkennen läßt, was damit gemeint ist? Dies würdebei Anwendung der seit der antiken römischenRechtswissenschaft allgemein geltenden

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Auslegungsregeln niemand bezweifeln.Gleichwohl muß ich darauf hinweisen, daß es einein Österreich und heute weit darüber hinaus maß-geblich wirksame Theorie der Auslegung gibt, diedies völlig anders sieht. Weil diese Theorie auchdas Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs überdie Fristenlösung möglich gemacht hat, mit dembehauptet wurde, daß die Fristenlösung unsererVerfassung nicht widerspreche, ist sie alles andereals eine bloße Theorie. Sie hat vielmehr praktischeFolgen, die buchstäblich tödlich sind. Daher mußich zunächst 1. auf die Interpretationstheorie derReinen Rechtslehre kurz eingehen, 2. ist die Fragezu erörtern, ob in Österreich die Weisung einerLandeshauptfrau, in öffentlichen Landeskranken-anstalten Abtreibungen durchführen zu lassen, mitArt. 18 Abs. 1 BVG vereinbar oder nicht vereinbarund damit verfassungswidrig ist. 3. sind dieFolgerungen kurz darzustellen, die sich ergeben,falls sich eine solche Weisung als verfassungswidrigerweisen sollte.

I. Zur Interpretationstheorie der Reinen Rechtslehre

Ich habe mich mit dieser Theorie mehrfach inPublikatonen auseinandergesetzt1. Hier kann ichnur die wesentlichsten Punkte hervorheben, diebesonders von Kurt Ringhofer, einem prominen-ten ehemaligen Mitglied unserer Fakultät und desVerfassungsgerichtshofs, klargestellt wurden.Ringhofer hat sich dabei mit Ausführungen vonFranz Bydlinski kritisch auseinandergesetzt, derdie Folgen der Interpretationstheorie der ReinenRechtslehre mit zwingender Logik aufgezeigthatte2. Ringhofers Ausführungen laufen daraufhinaus, nachzuweisen, daß Bydlinskis Kritik aufeinem Mißverstehen des Wesens des Rechts undder Interpretation überhaupt beruhe. Eine zentra-le Rolle spielt dabei die von Kelsen vorausgesetzte„Mehrdeutigkeit der Entscheidungsgrundlage“,also der Norm. Diese „Mehrdeutigkeit“ ist jedochkein das Gericht einengender Rahmen. Es gehtnicht etwa nur darum, daß für das Gericht eine dermehreren möglichen Deutungen verbindlich wäre.Denn letzten Endes kommt es dazu, daß nicht diegeltende Rechtsordnung für die Entscheidungmaßgeblich ist, sondern die „moralisch-politischeAnschauung des Gerichts“3. Bei der Darstellung

dessen, worum es bei der Interpretation geht, sagtRinghofer im Sinne Kelsens folgendes:

„Daß die Norm mehrere Deutungen ermöglicht,daß sie mehrere Möglichkeiten der Lösung desRechtsfalles anbietet, heißt nun aber gar nichtsanderes, als daß alle diese mehreren Lösungen inder Norm enthalten, ihr gemäß und also rechtmä-ßig sind. Die Vorstellung, man könne durchInterpretation eine einzige, nämlich die schlechthinrechtmäßige4 Lösung finden, beruht daher aufeinem Denkfehler, sie verkennt die primäreVoraussetzung jeglicher Interpretation, denn siewiderspricht der Annahme: daß die Norm mehr-deutig ist, mehrere Lösungen erlaubt. Unter ebendieser Annahme kann jene von den mehrerenmöglichen, weil der Norm entsprechenden undalso rechtmäßigen Deutungen, die derEntscheidung des Rechtsfalles zugrunde gelegtwerden soll, nicht erkannt, sondern nur bestimmt5

werden. Und das bedeutet nicht mehr Erkenntnisbereits vorgegebenen, sondern Setzung neuenRechtes; ... Das aber, so meint die Reine Rechtslehre,fällt in die Kompetenz des Richters und nicht injene der Wissenschaft, es ist Normschöpfung undsomit mehr als wissenschaftlich geleistet werdenkann“6. In der Anmerkung zu diesen Aussagenfügt er betreffend diese Lösung des konkretenRechtsfalles noch hinzu: „Wie sie im einzelnen aus-fällt, bestimmt sich also ... nur nach den ‚subjekti-ven, moralisch-politischen Anschauungen’ desRechtserzeugungsorgans. Mit Recht sagt daherKelsen, Reine Rechtslehre2, S. 253: ‚Tritt an Stelleder moralisch-politischen Anschauung desGesetzgebers die des Richters, dankt derGesetzgeber zugunsten des Richters ab’.“7 Damithat Ringhofer das Ergebnis, zu dem Bydlinski beiseiner Analyse gelangt ist, nicht widerlegt, sondernkompetent bestätigt. Denn dies alles bedeutet inder Tat, wie Bydlinski feststellt, daß „man bei derUnmöglichkeit endet, auch nur die Geltung einereinzigen objektiv, und das heißt doch wohl auchfür das entscheidende Organ, verbindlichen Normauszusagen“8. Bydlinski sagt dann treffend weiter:„Es beruht gewiß nicht auf ‚Mißverständnissen’,wenn die Jurisprudenz im allgemeinen diePrämissen nicht akzeptiert, aus denen solcheErgebnisse folgen“9. Karl Larenz hat in seinerMethodenlehre der Rechtswissenschaft zu KelsensBeschränkung der Auslegung auf „das Aufzeigen

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der dem Wortsinn nach möglichen Bedeutungen,unter denen der Anwender dann eine zu wählenhat“, festgestellt: „Mit der Funktion derRechtsprechung im Verfassungsstaat verträgt sichdiese Auffassung schlecht. Es fehlt denn auch nichtan kritischen Stimmen“10. In einer früherenAuflage hatte Larenz noch gesagt: „Eine solcheBeschränkung der Auslegung widerspricht allem,was die Rechtswissenschaft allenthalben und jeder-zeit tut“11. Man kann hier hinzufügen, daß sie diesseit der klassischen römischen Rechtswissenschaftin der gesamten Rechtstradition Europas auchimmer getan hat, solange es um Erkenntnis desobjektiv bestehenden Rechtes ging. Sobald esjedoch um die Durchsetzung ideologischer Zieleunter dem Deckmantel des Rechts ging, durftenRechtsnormen keinen dem ideologischen Ziel imWege stehenden Sinn haben. Dies hat ein kompe-tentes Mitglied des Verfassungsgerichtshofs imZusammenhang mit dem Erkenntnis zurFristenlösung in dankenswerter Offenheit klarge-stellt. Wilhelm Rosenzweig hat in seinem Beitragzur Festschrift für Christian Broda12 offen ausge-sprochen, daß für den VfGH nicht seine verfas-sungsmäßig zugeordnete Aufgabe maßgeblich war,die Entscheidung einer einfachen Parlaments-mehrheit an der Verfassung zu messen, sondernmaßgeblich war vielmehr jene „politischeWillensentscheidung“, die von der aus dem„Kampf um ihre Programme“ siegreich hervorge-gangenen Partei getragen ist. Rosenzweig sagtdann wörtlich:

„Diese Form der Demokratie darf nicht dadurchbedeutungslos gemacht werden, daß sich dieWähler sagen, daß letzten Endes die Entscheidungnicht von ihnen, sondern vom Verfassungsgerichtgetroffen wird“13.

Peter Pernthaler hat dazu treffend festgestellt: „dasist ein Vorgang, den man zurecht als‚Verfassungsverdrängung’ bezeichnet hat und derauf kaltem Wege die normativ objektivierendeFunktion des Verfassungsrechts außer Kraftsetzt“14. Ein solcher Vorgang konnte das behaupte-te Ergebnis nicht rechtfertigen, wonach dieFristenlösung verfassungsmäßig sei. Objektiv ist siezweifellos verfassungswidrig, auch wenn daszuständige Höchstgericht nach seiner „subjekti-ven, moralisch-politischen Anschauung“ das

Gegenteil behauptet. Für diese Behauptung warerklärtermaßen nicht die Verfassung maßgeblich,sondern die politische Willensentscheidung einerpolitischen Partei. Felix Ermacora hat in seinemBuch Grundriß der Menschenrechte in Österreich fest-gestellt: „Es gibt keine sachliche Rechtfertigungfür dieses Erkenntnis eines Höchstgerichtes inMitteleuropa mit jenen Traditionen, die derPräambel der EMRK verpflichtet sind. DasErkenntnis hat gesellschaftsänderndenBestrebungen einer einfachenParlamentsmehrheit Rechnung getragen.Waldsteins Kritik ist in dieser Hinsicht voll zuzu-stimmen. Die Kritik gegen das Erkenntnis und dieArt der Rechtsfindung ist umfassend gewesen“15.

Inzwischen hat die SPÖ auf ihrem Parteitag imNovember vorigen Jahres einstimmig dieForderung nach „Herausnahme der Regelung desSchwangerschaftsabbruches aus demStrafgesetzbuch“ beschlossen. Damit soll der straf-rechtliche Schutz für ungeborene Kinder bis zurGeburt völlig aufgehoben werden. Auf diesemHintergrund muß auch die Weisung derLandeshauptfrau Gabi Burgstaller gewürdigt wer-den, der ich mich nun zuzuwenden habe.

II. Ist die Weisung, in öffentlichenLandeskrankenanstalten Abtreibungen

durchführen zu lassen, mit Art. 18 Abs. 1 BVG vereinbar?

Art. 18 Abs. 1 lautet: „Die gesamte staatlicheVerwaltung darf nur auf Grund der Gesetze ausge-übt werden“. Die klaren Worte „darf nur“ lassenkeinen Raum für die „Annahme: daß die Normmehrdeutig ist, mehrere Lösungen erlaubt“.Welche anderen Lösungen sollte die Norm erlau-ben, als die von der eindeutigen Norm ausgesag-te? Dürfte etwa ein oberstes Verwaltungsorganeines Bundeslandes die Worte „darf nur“, weil sieihm unbefriedigend erscheinen, rechtmäßig nachseinen „subjektiven, moralisch-politischenAnschauungen“ dahin verstehen, daß in diesemFall auch ohne gesetzliche Grundlage gehandeltwerden darf? Ich kann nicht glauben, daß dies einJurist, der sich ehrlich um die Erkenntnis desobjektiv geltenden Rechts bemüht, ernsthaftwürde behaupten können. Daher stellt sich die

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erste entscheidende Frage: Gibt es für dieDurchführung von Abtreibungen in denLandeskrankenanstalten im Rahmen derFristenlösung eine gesetzliche Grundlage? DieseFrage ist eindeutig zu verneinen. Die Frage, wie esbei Fällen nach § 97 Abs. 1 Z. 2 und 3 StGB sowienach Abs. 2 bei „einer unmittelbar drohenden,nicht anders abwendbaren Lebensgefahr“ derSchwangeren zu beurteilen ist, braucht hier nichterörtert zu werden, weil es bei der hier zu beurtei-lenden Weisung klarerweise um die Durchsetzungder Fristenlösung geht. Für die Durchführung vonAbtreibungen im Rahmen der Fristenlösung gibtes jedoch nicht nur keine gesetzliche Grundlage,sondern sie ist klar gesetzwidrig, wenn auch nichtstrafbar. Gesetzwidriges Handeln und Weisungenzu gesetzwidrigem Handeln sind jedoch nach Art.18 Abs. 1 BVG klarerweise unerlaubt und damitverfassungswidrig.

Daß die Abtreibung im Rahmen der Fristenlösungeindeutig gesetzwidrig ist, geht schon aus § 22ABGB hervor, der bekanntlich lautet: „Selbstungeborene Kinder haben von dem Zeitpunkteihrer Empfängnis an einen Anspruch auf denSchutz der Gesetze. Insoweit es um ihre und nichtum die Rechte eines Dritten zu tun ist, werden sieals Geborene angesehen“. Lange bevor so etwaswie die „Fristenlösung“ überhaupt für denkbargehalten wurde, hat der damalige Vizepräsidentdes VfGH, Karl Wolff, im Klang-Kommentar zumABGB im Hinblick auf die Fassung des § 22 festge-stellt: „Der Schutz erschöpft sich ... nicht in derWahrung der Vermögensrechte der Leibesfrucht.Jede Verletzung oder Vernichtung ihres Lebens istrechtswidrig“16. Die jeder RechtsstaatlichkeitHohn sprechende Auffassung, daß § 22 tatsächlichnur Vermögensrechte schütze, führt zu der absur-den Konsequenz, daß für das ungeborene Kindzwar der Schutz des Eigentums nach Art. 5 StGGgelte, nicht aber der Schutz des Lebens. Was nütztder grundrechtliche Schutz des Eigentums, wennman den Träger des Rechtes ungestraft töten unddamit den Grundrechtsschutz buchstäblich„gegenstandslos“ machen darf? Der VfGH hatzudem behauptet, daß Art. 2 der MRK für dasungeborene Kind nicht gelte. Die SalzburgerLandesregierung hatte in ihrer Stellungnahmevom 9. September 1974 zur Äußerung derBundesregierung vom 21. Mai 1974 im

Zusammenhang mit der Anfechtung derFristenlösung wegen Verfassungswidrigkeit folgen-des ausgeführt: „Wie die Bundesregierung selbsterklärt, wird sich die Auslegung der MRK stetsauch an den in den Mitgliedsstaaten geltendenRechtsordnungen orientieren müssen“. In der wei-teren Argumentation stützt sich dieStellungnahme auf die Tatsache, „daß die österrei-chische Rechtsordnung seit jeher die Leibesfruchtunter staatlichen Schutz gestellt hat. Wenn manalso die MRK nicht losgelöst von der österreichi-schen Rechtsordnung interpretieren will, so wirdman den Art. 2 MRK nur im Sinne derEinbeziehung der Leibesfrucht in denSchutzbereich dieses Artikels verstehen können.Völlig unverständlich wäre es auch, den nasciturusin vermögensrechtlicher Hinsicht in jeder nurmöglichen Weise zu schützen (insb. durch die §§22, 217 und 274 ABGB und das HD vom 12. Mai1845, JGS. NF. 888), ihn aber hinsichtlich seinerphysischen Existenz während einer bestimmtenEntwicklungsperiode völlig schutzlos zu lassen undeiner willkürlichen Tötung auszuliefern. EineInterpretation des Art. 2 MRK im Sinne der öster-reichischen Rechtsordnung muß daher zu einerAblehnung der angefochtenen Strafrechtsbestim-mung führen. Zu welch untragbarenKonsequenzen die FL in erbrechtlicher Hinsichtführen kann, mag nur folgendes Beispiel zeigen:Während der ersten drei Monate derSchwangerschaft einer Frau stirbt ihr Ehemannohne Hinterlassung einer letztwilligenAnordnung. Um nicht mit dem Kind den Nachlaßteilen zu müssen und sich das gesamte Vermögendes Ehemannes zuzuwenden, tötet die Frau dasKind während der 3-Monatfrist“17. Die Reaktiondes VfGH auf diese und viele andere Argumentezeigt klar, daß gegen bestehende „subjektive,moralisch-politische Anschauungen“ vonPersonen, die entschlossen sind, sie um jeden Preisdurchzusetzen, sachliche Argumente nichts vermö-gen. Hannes Tretter hat in seiner „Übersicht zurRechtsprechung der Höchstgerichte“ die Fragedes Schutzumfanges des Art. 2 MRK nochmalsausführlich dargestellt. Er zitiert unter anderemaus dem Antrag der Salzburger Landesregierungvom 15. März 1974 die folgenden Aussagen:„Überblickt man die Literatur, so läßt sich feststel-len, daß die überwiegende Zahl der Autoren denSchutz des Lebens der Person sei es nach Art. 2 der

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MRK, sei es nach Art. 2 Abs 2 des GG schon derLeibesfrucht angedeihen läßt. Soweit die österrei-chische Literatur diese Frage im Hinblick auf dieMRK behandelt, ist sie einhellig der Auffassung,daß Art 2 MRK auch das Leben des Noch-Ungeborenen in seinen Schutzbereich einbezieht“.Im Hinblick auf die Bezugnahme der Präambelder MRK auf „ein gemeinsames Erbe an geistigenGütern“ wird weiter gesagt: „Und diesesGemeinsame war zum Grund- und Freiheitsrechtdes Lebens, eben, daß ein Entzug des menschli-chen Lebens nur deshalb, weil es eine bestimmteAltersgrenze noch nicht überschritten hatte, denVertragsstaaten fremd und daher ausgeschlossenwar. Daß unter den Begriffen des Art 2 ‚everyone’,‚toute personne’, ‚jeder Mensch’ nach dem in derPräambel angerufenen gleichen Geist, von demdie Vertragstaaten beseelt sind, und gemeinsamenErbe an geistigen Gütern, politischen Überliefe-rungen, Achtung der Freiheit und Vorherrschaftdes Gesetzes der Noch-Ungeborene alsGeschützter verstanden war, weist die Überein-stimmung in der Rechtslage der Vertragsstaatennach. Nicht nur diesem Geist der EuropäischenMenschenrechtskonvention, sondern mithin derenfestgelegtem Inhalt widerspricht die neueRegelung des § 97 Abs 1 Z 1 StGB.“ Soweit der vonTretter wiedergegebene Text18. Abgesehen vonalledem ist es nach seit der Antike anerkanntenGrundsätzen der Interpretation vollkommenunbestreitbar, daß jedes spezielle Grundrechtselbstverständlich den Schutz des Lebens voraus-setzt. Wenn man das nicht anerkennt, ist die Folgeunausweichlich, daß jedes Grundrecht nach will-kürlich festgelegten Kriterien, sei es für ungebore-ne Kinder oder für alte, kranke oder behindertePersonen gegenstandslos gemacht werden kanndurch Tötung des Rechtsträgers. Dies ist bereits inBelgien und den Niederlanden durch dieEinführung auch der Euthanasie geschehen. DerDruck der „Alterspyramide“ auf die Finanzierungder Pensionen wird die Entwicklung in dieseRichtung weitertreiben. Nur ein politischer Wille,der „die Anerkennung der allen Mitgliedern dermenschlichen Familie gleichen und unveräußerli-chen Rechte“19 verweigert, kann behaupten, daßes dieses Recht in bestimmten Fällen nicht gäbe.Mit solchen Behauptungen wird jedoch das Rechtselbst nicht aufgehoben, es wird vielmehr mißach-tet und verletzt.

Das StGB von 1974 hat mit § 96 den„Schwangerschaftsabbruch“ grundsätzlich mitStrafe bedroht und damit seine grundsätzlicheRechtswidrigkeit klargestellt. § 97 regeltAusnahmen von der Strafbarkeit. Mit der„Fristenlösung“ nach § 97 Abs. 1 Z. 1 ist die grund-sätzliche Rechtswidrigkeit des „Schwangerschafts-abbruches“ eindeutig nicht aufgehoben. DieAbtreibung ist lediglich nicht strafbar. DiethelmKienapfel erklärt dazu: „Wichtig! Strafaufhebungs-und Strafausschließungsgründe wirken nur adpersonam, d.h. nur zugunsten dessen, der ihreVoraussetzungen erfüllt (= persönlicheStrafaufhebungs- bzw. Strafausschließungsgrün-de)“20. Die rechtliche Problematik eines solchen„Schwangerschaftsabbruches“, ein Tarnwort fürdie Tatsache der Tötung eines Kindes, wird durchdas Gesetz noch ausdrücklich dadurch unterstri-chen, daß § 97 Abs. 2 sagt: „Kein Arzt ist verpflich-tet, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwir-ken, es sei denn, daß der Abbruch ohne Aufschubnotwendig ist, um die Schwangere aus einerunmittelbar drohenden, nicht anders abwendba-ren Lebensgefahr zu retten. Dies gilt auch für dieim Krankenpflegefachdienst, in medizinisch tech-nischen Diensten oder im Sanitätsdienst tätigenPersonen.“ Im Abs. 3 wird ausdrücklich betont:„Niemand darf ... wegen der Weigerung, einen sol-chen Schwangerschaftsabbruch durchzuführenoder daran mitzuwirken, in welcher Art immerbenachteiligt werden.“

Mißt man die Realität an den angeführtenBestimmungen der Verfassung und maßgeblicherGesetze, so wird klar, daß eine Weisung, die in sichrechtswidrig ist und in ihrer Folge rechtswidrigesHandeln der von der Weisung betroffenenPersonen anordnet, nach Art. 18 Abs. 1 BVG auchverfassungswidrig ist. Ein staatliches Organ, wie esdie Landeshauptfrau ist, verläßt den Boden derRechtsstaatlichkeit, wenn es eine politischeMachtposition dazu mißbraucht, Rechtswidrigesdurchzusetzen, nur, weil es von der betreffendenpolitischen Partei gewünscht wird, die gerade dieMacht hat. Wie bereits seit der vorchristlichenAntike klar erkannt wurde, schlägt auch eineDemokratie in ihre Entartung um, wenn die politi-schen Machtträger, im Falle der Demokratie dieMehrheit, objektiv Rechtswidriges mit Hilfe ihrerMacht durchsetzen. Die Demokratie schlägt dann,

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wie der griechische Historiker Polybios im 2. Jh. v.Chr. es formuliert, in die Ochlokratie um, in dieTyrannis der Masse. Nur totalitäre Systeme erlau-ben es sich, das Recht dort zu ignorieren, wo esihnen im Wege steht.

Aus einem am 20. Dezember bekannt gewordenenBrief von Angestellten der Landeskrankenanstal-ten geht zudem hervor, daß noch ein weitererSchritt der Rechtswidrigkeit getan wird, indemschon bei Einstellungsgesprächen gefragt wird, obBewerber um eine Stelle mit der Abtreibung„Schwierigkeiten“ haben. Damit sollen offensicht-lich Bewerber ausgeschlossen werden, die solcheSchwierigkeiten bekennen, was eine klar gesetz-widrige Benachteiligung bedeutet, die gemäß § 97Abs. 3 StGB verboten ist. Mit solchen Maßnahmensoll offenbar der Widerstand gegen gesetzwidrigeAnordnungen für die Zukunft beseitigt werden.Wenn schon rechtswidrig, dann aber gründlichund auf allen Ebenen. Das entspricht der innerenLogik des beschrittenen Weges. Das hat nichts mitDemokratie zu tun. Es ist vielmehr ungeschminkteDiktatur einer Partei, die gerade die Mehrheit hat.Im übrigen ist hier nicht auf die Frage einzugehen,was sich aus der rechtlichen Verfassung derLandeskrankenanstalten selbst als GesmbH für dieDurchführung der Weisung ergibt. Es ist bishernicht bekannt geworden, ob der Aufsichtsrat dieDurchführung der angeordneten Maßnahmengenehmigt hat.

Auch für den Gebrauch öffentlicher Einrichtungenund den Einsatz öffentlicher Mittel imZusammenhang mit rechtswidrigen Handlungengilt das Gesagte. Es ist rechtswidrig und nach Art.18 Abs. 1 BVG nicht erlaubt. Eine politische Partei,die rechtswidrige Handlungen wie das Tötenungeborener Kinder im Schutz der Straflosigkeitdurchführen will, muß es auf eigeneVerantwortung in eigenen Einrichtungen auf eige-ne Kosten machen. Sie darf die öffentlichenEinrichtungen und die von allen Bürgern beizu-bringenden Steuermittel dafür nicht mißbrau-chen. Weder Land noch Bund dürfen rechtswidri-ge Unternehmungen finanziell unterstützen, wennsie nicht mit Art. 18 Abs. 1 BVG in Konflikt gera-ten wollen. Daß dies, wie behauptet wird, praktischandernorts geschieht, macht die Sache nicht bes-ser. Andernorts begangenes Unrecht berechtigt

nicht dazu, es auch in Salzburg einzuführen.

III. Folgerungen aus derVerfassungswidrigkeit einer Weisung

Für „Angelegenheiten der mittelbarenBundesverwaltung“ bestimmt Art. 142 Abs. 1 BVG:„Der Verfassungsgerichtshof erkennt über dieAnklage, mit der die verfassungsmäßigeVerantwortlichkeit der obersten Bundes- undLandesorgane für die durch ihre Amtstätigkeiterfolgten schuldhaften Rechtsverletzungen gel-tend gemacht wird.“ Im Abs. 2 wird gesagt: „DieAnklage kann erhoben werden:“ nach Lit. „d)gegen einen Landeshauupmann, ... wegenGesetzesverletzung ...: durch Beschluß derBundesregierung“.

Wir hatten dafür vor nicht langer Zeit ein Beispiel,als eine solche Anklage gegen den verstorbenenfrüheren Landeshauptmann Haslauer im Jahr1984 erhoben wurde. Den Anklagerhebungsbe-schluß hat die damalige sozialistischeBundesregierung gefaßt. Es ging damals darum,daß der Landeshauptmann die ihm vomBundesminister für Soziale Verwaltung imRahmen der mittelbaren Bundesverwaltung erteil-te Weisung vom 26. November 1984 nicht befolgthat“. Die Weisung hätte den Landeshauptmannverpflichtet, eine von ihm erlassene Verordnung,„mit der für den 8. Dezember 1984 dieGewerbeausübung und Ausnahmen von derArbeitsruhe zugelassen werden, abzuändern bzw.aufzuheben, soweit sie aufgrund des § 13 Abs 1und 2 des Arbeitsruhegesetzes ... am 8. Dezember1984 in bestimmten Betrieben die Beschäftigungvon Arbeitnehmern zuläßt“21. Der VfGHbeschränkte sich damals „auf die Feststellung ...,daß eine Rechtsverletzung vorliegt.“

Damals ging es nicht um das Leben ungeborenerKinder, sondern „nur“ um Ausnahmen vomArbeitsruhegesetz für einen bestimmten Tag unddarum, dem Land die Nachteile zu ersparen, diedurch den Einkauf am Feiertag im benachbartenBayern entstanden wären. Hier geht es jedochdarum, daß durch eine rechtswidrige Weisung dasTöten einer unabsehbaren Zahl ungeborenerKinder in einem öffentlichen Krankenhaus durch-

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gesetzt werden soll. Damit geht es um dieMißachtung des grundlegendsten Menschenrechtsauf Leben, das erste unter den „gleichen undunveräußerlichen Rechten“, die in derAllgemeinen Erklärung der Menschenrechte feier-lich festgeschrieben wurden, „da Verkennung undMißachtung der Menschenrechte zu Akten derBarbarei führten, die das Gewissen derMenschheit tief verletzt haben“22. Dieses Recht istfür das ungeborene Kind schon im § 22 ABGB ver-ankert. Der § 22 steht im systematischenZusammenhang mit dem Persönlichkeitsrecht desvorausgehenden § 16, der lautet: „Jeder Menschhat angeborene, schon durch die Vernunft ein-leuchtende Rechte, und ist daher als eine Personzu betrachten“. § 22 ABGB bestimmt hinsichtlichder ungeborenen Kinder: „Insoweit es um ihreund nicht um die Rechte eines Dritten zu tun ist,werden sie als Geborene angesehen“, und zwar, wieder § 22 vorher sagt: „von dem Zeitpunkte derEmpfängnis an“. Felix Ermacora sagt in seinemHandbuch der Grundfreiheiten und derMenschenrechte zu § 16: „Da das ABGB. in seinenfundamentalen Bestimmungen den Charaktereines Grundrechtskataloges hat (vgl. Kap. V, §1),kommt auch diesem Satz Grundrechtscharakterzu. Der Satz ist durchaus vergleichbar mit dem imArt. 1 Abs. I GG anerkannten Rechtsprinzip derMenschenwürde“23. Es kann wohl keinem Zweifelunterliegen, daß diese Bestimmungen zu jenenGesetzen gehören, die gemäß Art. 18 Abs. 1 BVGdie zwingende Grundlage für die Ausübung dergesamten staatlichen Verwaltung sind.Handlungen, die mit § 22 ABGB im Widerspruchstehen, sind daher zweifellos „Gesetzesverletzung“im Sinne von Art. 142 Abs. 2 lit. d), und zwar unab-hängig davon, ob man den § 22 als Bestandteileines Grundrechtskataloges ansieht oder nicht.Dazu kommen jedoch die formellen verfassungs-rechtlichen Normen, wie vor allem Art. 2 EMRK.Ermacora sagt begründet, die Entscheidung desVfGH, „daß Art. 2 EMRK nur das geborene, nichtaber das ungeborene Leben schütze, ist verfehlt24,weil unzulänglich“25. Die authentischen Texte inEnglisch und Französisch, die, wie bereits erwähnt,„everyone“ und „toute personne“ sagen, widerle-gen diese Meinung des VfGH. Aber auch das Wort„Mensch“ in der nicht authentischen deutschenFassung kann die Meinung des VfGH nicht stüt-zen, weil § 22 ABGB ausdrücklich sagt, daß unge-

borene Kinder „insoweit es um ihre ... Rechte zutun ist, ... als Geborene angesehen“ werden. DerVfGH müßte dann auch bestreiten, daßGeborenen die Qualität Mensch zukommt.

Angesichts des Ranges der durch die Weisung zurDurchführung von Abtreibungen verletztenGesetze wäre wohl eine Ministeranklage gegen dieLandeshauptfrau weit mehr begründet als seiner-zeit gegen Landeshauptmann Haslauer. In diesemFalle geht es jedoch leider nicht um eineAngelegenheit der mittelbaren Bundesverwaltung.Daher ist Landeshauptfrau Burgstaller nur demLandtag verantwortlich. Solange der Landtag dieRechtsverletzungen deckt, muß das grundlegendeVerfassungsprinzip des Art. 18 Abs. 1 BVG zumfaktisch wirkungslosen Relikt vergangenerRechtsstaatlichkeit werden. Dann muß dieVorstellung aufgegeben werden, daß die grundle-gendsten Voraussetzungen einer rechtsstaatlichenOrdnung in diesem Lande noch bestehen. Wir ste-hen dann vor der Tatsache einer Diktatur der poli-tischen Macht, der in der gegebenen politischenKonstellation in der Tat niemand mehr wirksamentgegentreten kann. Nur bei Veränderung derpolitischen Kräfteverhältnisse könnte ein neuerLandtag die Landeshauptfrau für die begangenenGesetzesverletzungen noch zur Verantwortung zie-hen.

Angesichts der weittragenden Folgen der Weisungvon Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, die ihrselbst vielleicht nicht bewußt waren, möchte ichhoffen, daß sie das weitere Beschreiten diesesWeges sich noch einmal überlegt und zurRechtmäßigkeit gemäß Art. 18 Abs. 1 BVG zurück-kehrt. Wenn sie aber das verfassungsrechtlichePrinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltungbewußt mißachtet, bleibt nur die Hoffnung, daßdie politischen Kräfteverhältnisse sich in derZukunft so ändern, daß eine Rückkehr zurRechtsstaatlichkeit wieder möglich wird.

Zur Zeit trauert die gesamte Welt über den Todvon wohl weit über 150.000 Menschen bei derFlutkatastrophe um den indischen Ozean. EinBericht über die dramatische Situation derWissenschaftler im Tsunami-Zentrum auf Hawailegt dar, daß ihre Analyse der Situation zunächstfalsch war. Als das wahre Ausmaß der bevorstehen-

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den Katastrophe erkannt wurde, konnten sie beiden Bemühungen, eine Warnung hinauszugeben,meist nur automatische Anrufbeantworter und nurwenige Adressaten ihrer Warnung erreichen. DieErreichten haben dann ihrerseits die Warnungenauch noch nicht ernstgenommen. Ich möchte ausdem Schuß des Berichtes einen kurzen Absatzzitieren, der eine Aussage eines derWissenschaftler wiedergibt, die, wie ich meine,auch für unser Problem wichtig ist. Es heißt dort:„Die Katastrophe in Südostasien hat sie alle tiefgetroffen hier im Warning Center. McCreerysAugen füllen sich mit Tränen, am Ende einer lan-gen, fast schlaflosen Woche. ‚Enschuldigen Siemeinen Gefühlsausbruch’, sagt er: ‚ich denkeimmer noch, vielleicht hätten wir ein einziges Kindretten können’“. Als ich das las, stand mir unsereSituation hier vor Augen: „vielleicht hätten wir eineinziges Kind retten können“! Angesichts dieserAussage darf wohl nicht vergessen werden, daßnach den vermuteten jährlichen Zahlen vonAbtreibungen allein in Österreich insgesamt weitmehr als 2 Millionen ungeborene Kinder seitEinführung der Fristenlösung nicht durch eineFlutkatastrophe, sondern durch bewußte und pro-fessionelle Tötung ihr Leben verloren haben, unddies trotz ihres verbrieften Anspruches auf denSchutz der Gesetze. Wenn wir heute dazu schwei-gen, müssen wir mit den gleichen Fragen unsererNachfahren rechnen, die nach den früheren„Akten der Barbarei“ an die damaligen Juristenund an sonstige Verantwortliche mit Recht gerich-tet wurden. Die Schuld für das damaligeSchweigen vieler Juristen, das ihnen jetzt vorge-worfen wird, möchte ich nicht jetzt auf mich laden.Als Romanist weiß ich, daß auch römische JuristenTyrannen zu widerstehen wagten, selbst wenn siedamit ihr Leben aufs Spiel setzten. Manche habenes auch verloren, wie etwa der berühmte JuristPapinian, der um 212 n. Chr. auf Befehl desKaisers Caracalla hingerichtet wurde, weil er nichtbereit war, den Mord an des Kaisers Bruder undMitkaiser Geta juristisch zu rechtfertigen. Heutedroht dem, der Widerstand leistet, bisher wederder Tod noch das KZ. Freilich gibt es bereits ande-re Formen der „Ausschaltung“ von Dissidenten.Das prominenteste Beispiel ist der Fall RoccoButtiglione, der durch Intervention der sozialisti-schen Abgeordneten des EU-Parlaments wegenseiner religiösen Überzeugungen, trotz der auch in

der EU-Menschenrechts-Charta feierlich verkün-deten Religionsfreiheit und desDiskriminierungsverbots, nicht als EURatsmitglied zugelassen wurde. Auch wenn wirnoch nicht ganz so weit sind, wie es in den totalitä-ren Systemen war, sind rechtwidrige und insofernetotalitäre Akte mit Hilfe der gerade verfügbarenMacht für eine Demokratie der Beginn ihrerEntartung. Daher möchte ich der Jugend für dasLeben besonders für Ihren hochherzigen undopferbereiten Einsatz für das Leben unschuldigerund hilfebedürftigster Menschen danken. Es istein Einsatz für die Grundlagen der Demokratieund die Rechtsstaatlichkeit.

Ich möchte mit einem denkwürdigen Wort schlie-ßen, das am Ende eines denkwürdigenErkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofs steht,in dem es gegen damalige totalitäre Versuche, eingrundlegendes Menschenrecht zu verweigern,darum ging, das objektive Recht durchzusetzen.Der Verwaltungsgerichtshof stellte fest: „Es stehtim Rechtsstaat kein Mensch über dem Recht undkeiner außerhalb des Rechtes“26. DiesesErkenntnis hat damals, wie Hans Klecatsky tref-fend formuliert hat, wahrhaftig „die Wut derMacht“27 hervorgerufen. Ich möchte doch hoffen,daß dieses Wort des VwGH noch zu bewirken ver-möchte, daß unzählige Kinder zumindest in denLandeskrankenanstalten nicht außerhalb desRechtes stehen werden und LandeshauptfrauBurgstaller sich doch noch entschließen könnte,nicht über dem Recht stehen zu wollen.

1 Vgl. nur: Das Menschenrecht zum Leben (= Schriften zumÖffentlichen Recht Bd. 423), Berlin 1982, 28 – 36; Teoriagenerale del diritto, Dall’antichità ad oggi (= Studia etDocumenta, Sectio Iuris Romani et Historiae Iuris – 6),Pontificua Università Lateranense, Roma 2001, 145 – 193.2 Gesetzeslücke, § 7 ABGB und die „Reine Rechtslehre“,Gedenkschrift Franz Gschnitzer, hrsg. von Ch. Faistenbergerund H. Mayrhofer, Veröff. der Universität Innsbruck, 1969,101 ff.3 Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 21960 (unv. Nachdruck1967) 253 f.4 Im Original gesperrt hervorgehoben.5 Im Original gesperrt hervorgehoben.6 Festschrift für H. Kelsen zum 90. Geburtstag, 1971, 205.7 FS Kelsen 210.8 GedGschn 115.9 GedGschn 115.10 Methodenlehre, 61991, 80.

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11 Methodenlehre, 41979, 86.12 Hrsg. von M. Neider, 1976.13 FS Broda 265.14 JBl 97 (1975) 317.15 Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Wien 1988,55 mit weiteren Hinweisen.16 Klang-Kommentar I [21964] 155.17 Abgedruckt bei W. Waldstein, Das Menschenrecht zumLeben, Berlin 1982, 168 f.18 In: Ermacora/Nowak/Tretter (Hrsg), Die EuropäischeMenschenrechtskonvention in der Rechtsprechung der öster-reichischen Höchstgerichte, Ein Handbuch für Theorie undPraxis, Wien 1983, 93; der ganze Text des Antrags derSalzburger Landesregierung bei Waldstein, Menschenrecht(vorige Anm.) 131 – 149.19 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Präambel Abs.1.20 Strafrecht Allgemeiner Teil, Wien 1985, S. 88.21 VfGH Erkenntnis vom Datum: 19850628,Sammlungsnummer 10510, aus dem „Spruch“. 22 Vgl. die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,Präambel Abs. 1 und 2 sowie Art. 3.23 Handbuch der Grundfreiheiten und der Menschenrechte,Wien 1963, 39.24 Hervorhebung im Original.25 Grundriß der Menschenrechte in Österreich, Wien 1988,54.26 Erk. des VwGH vom 24. 5. 1963, VwSlgNF 6035 (1963)506.27 JBl 87 (1965) 544. Dazu Waldstein, Menschenrecht 63 –66.

Das Referat von Prof. Dr. Wolfgang Waldstein fandstatt auf Einladung von Jugend für das Leben.

Jugend für das Leben, von der ÖsterreichischenBischofskonferenz anerkannt, setzt sich auf derGrundlage der Enzyklika Evangelium Vitae vonJohannes Paul II. für den Schutz der ungeborenenKinder ein. Nähere Information unter: www.youthforlife.net

Biographie

von Prof. Dr. Wolfgang Waldstein

Prof. DDr. h.c. em. Wolfgang Waldstein lehrte von1965 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1992Römisches Recht an der Universität in Salzburgund ist Gründungsdekan der Rechtswissenschaft-lichen Fakultät. Im Jahr 1968/69 war er Rektor derUniversität Salzburg.

Zum Zeitpunkt der Anfechtung derFristenregelung durch die SalzburgerLandesregierung 1974 war Waldstein Teilnehmerim Beratungsteam von LandeshauptmannLechner. Als Spezialist des Römischen Rechtes hater die Fragen der historischen Rechtswidrigkeitder Abtreibung gegenüber der österreichischenVerfassung untersucht.

1992 wurde ihm das "Große GoldeneEhrenzeichen für die Verdienste um die RepublikÖsterreich" verliehen, am 8. Oktober 1993 das"Goldene Ehrenzeichen des Landes Salzburg".Prof. Waldstein ist Ehrenmitglied der Österreichi-schen Juristenkommission. Seit 31. Mai 1994 ist erMitglied der Päpstlichen Akademie für das Lebenund seit 1999 Mitglied des Consiglio Direttivo die-ser Akademie. 1996-98 war Waldstein Ordinariusan der Zivilrechtlichen Fakultät der päpstlichenLateran Universität in Rom.

Seit 1952 ist Wolfgang Waldstein verheiratet mitMarie Therese geb. Froeheher. Der Ehe entstam-men sechs Kinder.

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Auf !Zum neuen Buch von

Gabriele Kuby

„Warum gibt es so wenig Widerstand?“ Diese Fragesteht in der Mitte von Gabriele Kubys neuem BuchAusbruch zur Liebe. Die Frage ergeht an uns alle. Andie Väter, Mütter, Lehrer, Erzieher, Priester,Politiker. Die Frage ist um so drängender, da diegesellschaftliche Diagnose, die Kuby stellt, anDeutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Wervielleicht noch immer blauäugig meint, der Krise,in der wir kontinuierlich absacken, sei durch einpaar flankierende Maßnahmen beizukommen, derlese einfach die Handvoll Seiten, die Kuby überdie Strategien des deutschen Gesundheits- undFamilienministeriums schreibt, dem die„Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“untersteht. Jede Blauäugigkeit wird einem dagründlich vergehen. Kuby zeigt, dass derWahnsinn, der uns umgibt, Methode hat. IhreBeispiele sind schlüssig und schwarz auf weißnachprüfbar. Kuby selbst gesteht: „Dachte ich bis-her, die staatliche Sexualisierungspolitik beginnemit dem Sexualkundeunterricht, so erweist sichdies als Naivität.“ Es bleibt die Frage: Warum gibtes so wenig Widerstand?

Kuby steht auf. Der Untertitel ihres Buches lautet:Für junge Leute, die Zukunft wollen. Denn darumgeht es ihr: Junge Menschen zu erreichen, umihnen den alltäglichen Terror derSexualisierungsindustrie und Meinungsmacheraufzuzeigen und sie zugleich davor zu beschützen.Es wäre müßig, die Diagnose zu stellen und dar-aufhin in apokalyptisches Gejammer auszubre-chen. Auch dies hat heute Hochkonjunktur, nochmit Katastrophen lässt sich kapitalreich wirtschaf-ten. Kubys Ernst bewährt sich dagegen geradedarin, dass sie Wege aus der Krise aufzeigt, indemsie für die Jugendlichen von heute, aber auch fürderen Eltern und alle verantwortungsvollenErzieher, in einer Sprache von heute über dieFundamente spricht, die zählen: Familie,Mannsein und Frausein, Theologie des Leibes,Unterscheidung der Geister, Berufung,Gottebenbildlichkeit. Hier spricht kein biedererMoralapostel, kein Möchtegernverkündiger. Hierspricht eine Mutter von drei Kindern und eine

Zeitzeugin der 68er Generation, die sich nicht bluf-fen lässt von den wohlfeilen emanzipatorischenSlogans selbsternannter Radikalfeministinnen,ebenso wenig wie von den humanitären Phrasender Verhütungs- und Abtreibungsdemagogen.Und hier endlich ergreift eine Christin ihreVerantwortung und kämpft - für die Kultur desLebens.

Was Kubys Engagement dabei trägt, ist eine unver-wüstliche Hoffnung, die, so ist zu wünschen, wei-terzündet. Die Hoffnung nämlich, dass sich unterden Jugendlichen eine neue Bewegung der Liebebildet, die den Mut zur Tugend hat, den Mut zurKeuschheit. Es wäre für Kuby Täuschung, zu mei-nen, die Spaß- und Abtreibungsgesellschaft wärezu kurieren durch Rezepte, die gleichsam nichtskosten. Vokabeln wie Verzicht, Treue, Enthaltsamkeitvor der Ehe sind den Jugendlichen zuzumuten, jaim Grunde warten die Jugendlichen darauf, mitder ganzen Wahrheit konfrontiert zu werden. Dennnur die Wahrheit, die nicht amputiert ist, machtfrei und gibt letztlich Antwort auf die tiefsteSehnsucht der jungen Menschen. Darum auch istfür Kuby der Begriff Sehnsucht zentral. In derSehnsucht artikuliert sich der tiefe, durch nichts zulähmende Schrei des Jugendlichen nachErfüllung. An den Erwachsenen liegt es, diesenSchrei – noch dann, wenn er nahezu entstellt ist -zu hören und ehrlich zu beantworten. Wird diesversäumt, so liefern andere die falschenAntworten, die manipulierten Antworten, die ver-logenen Antworten. An uns ist es, zu unterschei-den und sich zu entscheiden. Mit Halbheiten odergar seichten Nettigkeiten ist niemand gedient.Kuby warnt den Leser: „Du brauchst Mut, um dasBuch zu lesen.“ Ihre Methode ist die klassischeMethode jeder wahren Pädagogik: die Wahrheitdem Leser zuzumuten. C. S. Lewis sagte seinerzeit:„Wir wollen Blau nicht Gelb nennen denen zuGefallen, die durchaus Gelbsucht haben wollen.“Gabriele Kuby nennt die Dinge beim Namen: Gelbgelb, blau blau. Das klärt.

Manfred M. Müller

(Gabriele Kuby: Ausbruch zur Liebe. Für Junge Leute,die Zukunft wollen. fe-Verlag, Kisslegg 2004, 239Seiten. ISBN 3-928929-69-0. 12,80 Euro).

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S.O.S.Stephan Baiers Zwischenruf

„Kinder bekommen die Leute immer“, soll einstBundeskanzler Konrad Adenauer gesagt haben.Das dem nicht mehr so ist, weist Stephan Baier inseinem kürzlich erschienen Buch Kinderlos nach.In allen europäischen Staaten liegt dieFertilitätsrate unter 2,1 Kindern pro Frau.Innerhalb des 20. Jahrhunderts nahmen inDeutschland die Geburten um 72 % ab, währenddie Lebenserwartung um 83 % stieg. DieAlterspyramide steht Kopf. Europa fehlen heutejene Kinder, die in den zurückliegenden Jahrenabgetrieben wurden. Selbst International PlannedParenthood Federation – die Organisation, dieweltweit Abtreibungsprogramme massiv propa-giert – spricht von jährlich 46 MillionenAbtreibungen. Im Klartext: „Tag für Tag werden inDeutschland rund 30 Schulklassen abgetrieben –einschließlich Samstag und Sonntag.“ Europadroht ein Greisenkontinent zu werden. In allenKulturen der Weltgeschichte bedeuteteKinderreichtum Alterssicherung. Die Idee desSozialstaates, Alte und Kranke zu versorgen undnebenbei uns auch gleich die Hälfte desErwerbertrages abzunehmen, sei ziemlich jung,stellt Baier fest.

Daß homosexuelle Partnerschaften, die von einererfolgreichen Homolobby kolportiert werden,nichts zum Fortbestand der Gesellschaft beitragen,liegt wohl auf der Hand („Sie sind für dieGesellschaft wertlos“, Zitat Bernhard Görg, ÖVP).Wen wundert es da, dass schließlich die Tötungalter und behinderter Menschen die probateLösung zu sein scheint: „die allgemeineEuthanasie ab einem gewissen Erkrankungsgradoder Lebensalter liegt allzu sehr in der Luft einerwohlstandsverwöhnten und zugleich immer rapi-der vergreisenden Gesellschaft.“

Doch Baier hat dem Zeitgeist gegenüber ‚skanda-löse“ Verbesserungen entgegenzuhalten: er plä-diert für eine gezielte und effiziente Aufwertungder Familie, der Keimzelle des Staates. SeineVorschläge beginnen mit einer Warnung: „Bittenehmen Sie jetzt allen Mut zusammen, denn esfolgt eine These, die alle ihre Kräfte fordern wird.“

Für Kinder sei es das Beste, mit Vater und Mutteraufzuwachsen. Familien- und Erziehungsarbeit sollbezahlt und anerkannt werden. Karrieren ab 40,arbeiten bis 80. Einführung des Kinderwahlrechts.Und last but not least geht es auch umVerantwortung, die sich im Füreinander-Daseinbeweist. Denn, wie Baier folgert, „Menschen, dieim familiären Bereich bewiesen haben, dass sieVerantwortung für andere übernehmen wollenund können, sind auch in der res publica vertrau-enswürdig.“

Eva Salm

(Stephan Baier: Kinderlos – Europa in der demographi-schen Falle. MM Verlag, Aachen 2004, 210 Seiten.ISBN 3-928272-16-0. 18 Euro).

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1/2005PORTRAIT

Am 4. Oktober 1922 kommt Gianna als zehntesvon 13 Kindern in der Nähe von Mailand zur Welt.Der Bruder Giannas beschreibt das Zuhause so:Wir haben den Glauben schon in unserem Elternhauseingeatmet durch das Verhalten und die Worte derEltern, noch bevor wir ihn durch Bücher undReligionsunterricht kennen lernten. Sie setzten sichdafür ein, dass wir dem Herrn begegneten und spürten,wie nahe er uns ist, uns beizubringen, ihm betend zu ant-worten mit Worten, die ganz spontan aus dem Herzeneines jeden Kindes kommen.

Die Eltern gehören dem 3. Orden des heiligenFranziskus an. Sie besuchen jeden Tag die HeiligeMesse, die Eucharistie ist der Mittelpunkt ihresLebens. Keiner war gezwungen, jeden Tag in die Messezu gehen, aber die Mutter hatte eine gewisse sanfte Artuns zu wecken, dass sie uns dabei ermutigte, nicht aufdas Gebet zu vergessen. Sie war schon früher aufgestan-den, um zur Messe zu gehen, und wer von uns schon fer-tig war, ging mit. Am Abend wurde der„Familienrosenkranz“ gebetet: Die größeren Kinder stan-den bei Papa, bei der Muttergottesstatue, die auf demKlavier stand, die kleineren schliefen für gewöhnlich ein.

Eine Bilderbuchidylle? Nein, es gibt Meinungs-verschiedenheiten und Auseinandersetzungenund äußerst schmerzvolle Zeiten: 5 der 13 Kindersterben, ihr Tod schlägt tiefe Wunden bei Elternund Geschwistern. Die Zwischenkriegsjahre sindfür die kinderreiche Familie wirtschaftlich nichtleicht zu tragen und verlangen von ihnen vieleVerzichte. Doch Gott ist der Mittelpunkt derFamilie und deshalb herrscht im Elternhaus eineAtmosphäre der Liebe und des Friedens.Besonderen Wert legen die Eltern auf dieAusbildung und Förderung der Kinder. AlleKinder - auch die Töchter, was für die damaligeZeit durchaus ungewöhnlich ist - besuchen dieUniversität.

„Seien wir ehrlich, Ärzte aus demGlauben heraus.“

Von ihren Mitschülerinnen wird Gianna als sensi-bles Mädchen beschrieben, die allen wohlwollendbegegnet. Ihr Glaube war ansteckend, sodass dieMenschen, die mit ihr in Kontakt standen, sich bald vonder Kirche angezogen fühlten. Sie liest viel und hatbesondere Freude am Schönen und an der Natur.Auch malt sie gerne und so sieht man sie imUrlaub oder bei Ausflügen meist mit Pinsel undFarbe ausgerüstet.

Im Alter von 15 Jahren nimmt sie an Exerzitienteil, die für ihren Weg entscheidend sind: Siespricht ihr persönliches Ja zu Gott. Nach dieserErfahrung schreibt sie in ihr Tagebuch: Um Gott zudienen, will ich nicht mehr ins Kino gehen, wenn ichnicht im voraus weiß, dass der Film sehenswert undweder skandalös noch unmoralisch ist. (...) Ich will ehersterben als eine schwere Sünde zu begehen. Sie beginnttäglich eine kurze Meditation zu halten und behältes ihr Leben lang bei. Zwischen denSchulaufgaben und dem Freizeitprogrammbesucht sie das Allerheiligste in der nahegelege-nen Kirche.

1942 stirbt überraschend die Mutter, wenigeMonate darauf der Vater. Gianna ist tief getroffenvon diesem Verlust und später erzählt sie, welchgroße, schmerzliche innere Leere sich nach demTod der Eltern in ihr auftat.

Im selben Jahr beginnt sie in Mailand das Studiumder Medizin, das sie 1949 abschließt. Von ihremBeruf hat sie eine sehr hohe Auffassung. Am Endeihrer Ausbildung notiert sie einige Punkte, denensie treu bleiben will: Mach es so gut wie möglich. Bleibauf der Höhe der Wissenschaft und renn nicht dem Geldnach, wie es heute Mode ist (...) Seien wir ehrlich, Ärzte

Gianna Beretta Molla (1922 – 1962)

Am 16. Mai 2004 hat Papst Johannes Paul II. Gianna Beretta Molla in Gegenwart von deren 92-jährigemEhemann Pietro heiliggesprochen. Heilige sind Vor-Bilder. In einer christlichen Anthropologie heißt dies: anihnen zeigt sich als leuchtende Spur, was mit der Rede vom Menschen als Imago Dei gemeint ist. GiannaBeretta Molla - Ehefrau, Mutter, Ärztin, Christin. In einer Zeit, in der das Leben, zumal das ungeboreneLeben, massiv attackiert und ausgelöscht wird, legt die neue Heilige Zeugnis ab für das wunderbare Geschenkdes Lebens und für die Schönheit der christlichen Familie.

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aus dem Glauben heraus. Habt Feingefühl! Seid liebevollim Umgang mit den Kranken. Jesus sagt: Wer dieKranken besucht, hilft mir. Wie der Priester Jesus berüh-ren kann, so berühren wir Ärzte Jesus in den Kranken,ob arm ob reich, alt oder jung. Sie bietet über denärztlichen Dienst hinaus den Patienten ihre Hilfean: Dem einen sucht sie eine Arbeit, für anderesucht sie um Sozialhilfe an, bedürftigen Patientenbesorgt sie Lebensmittel - Wenn ich einen Krankenheile, der nichts zu essen hat, wofür dient die Medizin?- und erlässt ihnen die Behandlungskosten.

„Die Wahrheit sichtbar machen“

Der Mensch lässt sich durch Worte allein nicht leichtgewinnen. Gut zu reden genügt nicht, man mussBeispiele vorweisen. Wir müssen lebendige Zeugen vonder Größe und Schönheit der christlichen Berufung sein.In unserer eigenen Person muss die Wahrheit sichtbarund anziehend sein. Dieses „Programm“ verwirklichtGianna in ihrem Engagement in der KatholischenAktion. Ihre Aufgabe ist es jungen Menschen denGlauben weiterzugeben. Sie arbeitet mitJugendgruppen, veranstaltet Exerzitien,Gruppenwochen, Bergtouren und Theaterspiele.Eine Freundin erzählt über sie: Gianna konnte gutauf die Jugendlichen eingehen, auch auf ihre geistlichenBedürfnisse. Sie ließ die guten Seiten des Lebens auf-strahlen, alles was schön und frohmachend war. In derKraft Gottes überwand sie ihre Schüchternheit. Sie ver-mittelte ein überzeugendes, nicht süßliches Christentum.Durch ihre Art zu leben und zu handeln wurde sie fürviele ein Vorbild.

Giannas Leben war nicht gespalten in einen weltli-chen und einen geistlichen Teil. Sie lebte einfachmit und für Gott in allem was sie tat. Und das spür-ten alle, die sie umgaben. Sie gründete eigeneGruppen, die besonders vom Geist des Gebetesund der Innerlichkeit geprägt waren und derenMitglieder sich zu einem intensiven geistlichenLeben verpflichteten.

Ihre tiefe Liebe zu Gott führt sie zu echter Freudeam Leben. Pietro, ihr späterer Mann, charakteri-siert sie so: Gianna verstand es im guten Sinn desWortes, das Leben zu genießen und zwar in den großenund in den kleinen Freuden, die Gott uns schon auf die-ser Erde gibt. Sie war eine wunderbare, aber absolut nor-male Frau. Sie war schön, intelligent, gut. Sie lächelte

gern. Sie war auch eine moderne Frau. Sie fuhr Auto,liebte die Berge, das Schifahren, die Blumen, die Musik.

„Was will der Herr von mir?“

Gianna ist über 30 Jahre alt, sie hat einen Beruf,der ihr Freude macht. Was will der Herr von mir?Drei ihrer Geschwister haben sich bereits für denPriester- oder Ordensberuf entschieden. Ist dasauch ihr Weg? Ihre Brüder haben in Brasilien einKrankenhaus gebaut. In einer Gegend, die medizi-nisch kaum versorgt war, wo viele Kinder verhun-gerten. Könnte sie nicht dort viel Gutes wirken?Mehr als in Italien? Die Sehnsucht in die Missionzu gehen wächst. Ihrem Bruder schreibt sie: ...ichsoll im November zu dir fahren. Ich lerne schon einwenig portugiesisch, denn so Gott will, würde ich gernekommen. Bete, dass alles gut geht. Aber ihreUmgebung ist dagegen, denn Giannas Gesundheitist nicht dazu angetan, das tropische Klima zuüberleben. Sie hat keine robuste Konstitution und nachein paar heißen Tagen macht sie schlapp, äußert sichihr Bruder. Gianna betet zum Herrn um Licht fürihre Entscheidung. Schließlich, nach viel Gebetund Nachdenken, gibt sie ihren Missionsplan aufund wartet, was der Herr ihr zeigen würde...

Am 8. Dezember 1954 lernt sie den IngenieurPietro Molla bei einer Primizfeier kennen. Siehaben sich früher schon einige Male gesehen,denn Pietro wohnt bei seiner Familie genau gegen-über Giannas Ordination. Ich wusste in diesen Jahrenschon, dass du eine in jeder Hinsicht wunderbare jungeFrau bist. Ich wusste auch, wie sehr dich die Krankenschätzen, wird Pietro ihr später schreiben. DiesesZusammentreffen am 8. Dezember ist kein unver-bindliches Treffen mehr, diesmal wurde es „ernst“.Beide spüren „das Besondere“ dieser Begegnung.Einen Tag später schreibt Pietro in sein Tagebuch:Ich fühle eine große innere Ruhe, die mir die Sicherheitgibt, dass mir gestern die Begegnung des Lebensgeschenkt wurde. Die Unbefleckt Empfangene ist mir bei-gestanden. Die beiden treffen sich, gehen miteinan-der aus und merken im Laufe der Zeit, dass sie gutzusammenpassen und sich sehr gut verstehen: Jemehr ich Gianna kennen lerne, desto mehr bin ich über-zeugt, dass Gott mir keine bessere Frau hätte zuführenkönnen. Und Gianna: Pietro, könnte ich dir nur sagen,was ich für dich empfinde! Aber ich kann es nicht –ergänze es selber! Der Herr hat mir Gnade erwiesen,

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denn du bist der Mann, dem ich begegnen wollte. (...)Ich bitte dich um etwas, Pietro, von heute an: Wenn dusiehst, dass ich etwas tue, was nicht recht ist, dann sag esmir, bitte. Ich werde dir immer dankbar sein.

Es gibt natürlich Meinungsverschiedenheiten undReibereien und beide müssen Wünsche undVorstellungen aufgeben um sich füreinander zuöffnen. Gleichzeitig wächst in der Zeit derVerlobung ihre Liebe und ihre Freude auf die bal-dige Hochzeit: Ich kann dem Herrn für unsere großegegenseitige Liebe nur danken – Es fehlen nur noch 20Tage, dann bin ich Frau Molla!

„Ich bin glücklich.“

Am 24. September 1955, Gianna ist 33 Jahre alt,findet die Trauung statt. Die Hochzeitsreise führtnach Rom. Die Tage unserer Hochzeitsreise hätten nichtfroher, schöner und glücklicher sein können. Jeden Taghaben wir wie unseren Hochzeitstag mit dem eucharisti-schen Segen abgeschlossen.

Im November 1956 kommt ihr erstes Kind,Pierluigi, zur Welt. Die Freude ist groß: Jeden Tagwird Pierluigi schöner und lebhafter. Ich bin glücklich.Die beiden nächsten Schwangerschaften gehen andie Grenze von Giannas Belastbarkeit:Magenschmerzen, Erbrechen, Fieber...: IhremMann, der aus beruflichen Gründen viel unter-wegs ist, schreibt sie: Pietro, unsere Kleinen schlafenschon wie zwei kleine Engel. Du müsstest ihrenGesichtsausdruck sehen! Wir müssen dem Herrn wahr-haft danken für unsere Kinder, sie sind ein Geschenk (...)Lieber Pietro, ich hätte mir nie vorgestellt, dass mansoviel aushalten muss, wenn man Mutter wird. Ich woll-te die Kinder immer schön sehen, ohne jede Störung, diesie belasten könnte, aber stattdessen gibt es mir jeden Tageinen kleinen Stich .. Welch ein Glück, dass du mir Mutmachst. Sonst wäre meine Stimmung fast immer beiNull.

Die Grundsätze in der Erziehung sind für GiannaLiebe, Güte und klare Konsequenz. Jeden Abendmacht sie gemeinsam mit den Kindern einenRückblick und weist sie auch sanft auf begangeneFehler hin. Glaubst du, dass Jesus sich darüber gefreuthat, möchtest du ihn nicht um Verzeihung bitten? Sie lei-tet die Kinder auch an für andere zu beten, dennihrem Gebet schreibt sie große Kraft zu.

„Das Kreuz trägt uns.“

Im August 1961 kündigt sich das vierte Kind an.Doch diesmal vervielfältigen sich die gesundheitli-chen Probleme. Schon im 2. Monat entdeckt maneine Geschwulst an der Gebärmutter, das raschwächst und das Wachstum des Kindes gefährdet.Die Ärzte müssen eingreifen und legen Giannaverschiedene Operationsmöglichkeiten vor. Sieentscheidet sich, entgegen den Ratschlägen derÄrzte, für den Weg, der das Leben des Kindes amwenigsten gefährdet. Was immer mit mir geschehenmag, ich bin mit allem einverstanden, wenn nur dasKind lebt. Der Eingriff gelingt und das Kind lebt.Aber die Ärzte lassen keinen Zweifel darüber, dasses gefährliche Folgeerscheinungen geben könnte.Gianna und ihre ganze Familie beten viel für dasLeben des Kindes und für ihr eigenes Leben. Sievertraut darauf, dass Gott die Macht hat, ihr bei-der Leben zu erhalten. Der Herr wird das tun, wasfür meine Familie am besten ist. Er weiß, dass wir mitdiesem Kind vier Kinder haben werden. Er wird sicherdaran denken.

Wenige Wochen vor der Geburt ist Pietro unter-wegs nach Paris. Es gab einen kleinen Vorfall, der michsehr bewegte: Ich (Pietro) musste das Haus verlassen.Gianna stand angelehnt an ein Möbelstück imVorzimmer – ich glaube sie noch so zu sehen. Sie neigtesich zu mir und flüsterte: Pietro, ich bitte dich: wenn ihrzwischen mir und dem Kind entscheiden müsst, so ent-scheidet euch für das Kind. Nicht für mich. Ich bitte

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darum!Zu einer Freundin sagt sie: Bete viel für mich,ich habe Angst. Bete, dass ich den Willen Gottes guterfülle.

Am 21. April schließlich kommt eine Tochter zurWelt, für die Pietro den Namen Gianna Emanuelaauswählt. Die Erleichterung über die gute Geburtwährt nur kurz, denn schon wenige Stundendanach verschlechtert sich der Zustand vonGianna zusehends. Das Fieber steigt, der Puls istkaum zu spüren. Außerdem treten heftigeSchmerzen im Bauchraum auf. Offenbar war einseptisches Fieber als Komplikation aufgetreten.Pietro lässt seine Frau nicht einen Augenblickallein. In den folgenden sieben Tagen kämpfendie Ärzte um das Leben der Mutter, doch ihrZustand verschlimmert sich. Zu ihrer Schwestersagt sie: Wenn du wüsstest, wie schmerzlich es ist, ster-ben zu müssen und ganz kleine Kinder zurück zu lassen... Was wäre, wenn uns die Wunden Jesu nicht tröstenwürden. Wenige Tage vor ihrem Tod sagt sie zuPietro: Pietro, ich bin schon geheilt. Ich war schon imJenseits. Wenn du wüsstest, was ich gesehen habe, einesTages werde ich es dir sagen. Am 28. April stirbtGianna.

(Freundliche Übernahme eines Artikels aus „Feuer und Licht“,

Nr. 111, mit geringfügigen redaktionellen Änderungen)

Literaturhinweis:

Hildegard Brem OCist, In der Freude der Liebe -Gianna Beretta Molla. Maria Roggendorf 1998.120 Seiten, 10 Abbildungen. ISBN: 3-901297-10-3

Kontaktadresse für weitere Informationen:

Gebets- und Freundeskreis Gianna Beretta MollaSekretariat, Postfach, CH-8730 Uznach(Tel. +41 55 / 280 39 52, Fax: +41 55 / 280 29 36,PC 87-117717-8) Internet: www.heilige-gianna.chUnter dieser Adresse kann eine 24-seitige DIN-A4Broschüre über das Leben und dieHeiligsprechung von Gianna Beretta Molla, sowieweiteres Informationsmaterial bezogen werden.

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