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Stefan Wolf: Geschäftsführer der Peter Gläsel Stiftung, Detmold „Unser Leben ist dramatischen Veränderungsprozess- en ausgesetzt. Die Zukunftsfragen sind global und komplex. Das setzt voraus, dass wir Kindern und Jugendlichen eine Bildung ermöglichen, die einen handlungsorientierten und kreativen Umgang mit Herausforderungen nahe bringt. Dafür setzten wir uns als Peter Gläsel Stiftung ein.“ Vorstellung: Stefan Wolf ist Stiftungsmanager und Stiftungsberater (DSA) und evangelischer Theologe. Er hat sechszehn Jahre als Pfarrer in Deutschland und Toronto/Kanada gearbeitet. Seit 2007 ist er Ge- schäftsführer der Peter Gläsel Stiftung in Detmold, die von einem Familienunternehmer gegründet wurde und sich mit der Schaffung von Bildungsnetzwerken und Bildungsinnovationen in Nordrhein-Westfalen einen Namen gemacht hat. Josef Köhler: Bildungskünstler, Inhaber des Instituts für Bildungskunst „Ein Baustein für eine soziale und zukunftsfähige Gesellschaft liegt in dem neuen Verständnis von Partizipation und Zivilgesellschaft und der Beziehung zu unseren Kindern. Wenn wir es schaffen, die Welt der Kinder anzuerkennen, wenn wir Formen finden, Kinder gestärkt in diese Welt hineinwachsen zu las- sen, dann haben wir ein sinnstiftendes Stück Weg in Richtung Zukunft beschritten. Wir als Erwachsene können ihnen dabei behilflich sein, neue Strukturen zu bauen.“ Vorstellung: Mit seinem Institut für Bildungskunst setzt Josef Köhler sich bundesweit für die Transformation und Innovation von Bildung mit Hilfe künstlerischer Strategien und Methoden ein. Josef Köhler hat die Bildung sowie die Kunst um das Thema Bildungskunst erweitert. RAUM Worum geht es in der neuen Schule der Peter Gläsel Stiftung? Was ist die Idee? Wie sieht ein Schultag in der Peter Gläsel Schule aus? Stefan Wolf: Wir haben als Peter Gläsel Stiftung gute Erfahrungen damit gemacht, Kinder in allen wichtigen Fragen ihres All- tags direkt einzubeziehen. In unserer Kin- dertagesstätte Pöppenteich in Heidenolden- dorf haben wir ein solches auf Partizipation aufbauendes pädagogisches Konzept seit 2008. Das hat uns deutlich gezeigt, dass Kinder mehr entscheiden und lernen kön- nen, als wir denken. Die Kitaeltern wünsch- ten sich eine darauf aufbauende Grund- schule – das war der entscheidende Impuls, sich damit zu beschäftigen, eine zu grün- den. Allerdings sollte sie maximalen Frei- raum für das Lernen im Leben bieten, Freude am Miteinander und am gemeinsa- men Lernen. Der Alltag ist entspannt. Es gibt keine Stunden, keine Fächer, keinen Gong. Es gibt Zeit, eine ausgezeichnete Bezie- hungskultur und Ruhe, sich in die Dinge zu vertiefen, die man interessant findet. Josef Köhler: Wir haben mit dieser Schule einen Ort für Kinder und Erwachsene ge- schaffen, an dem man sich zu allererst wohl fühlen kann. Es ist ein Lern- und Lebensort, an dem Kinder und Erwachsene gemeinsam und voneinander lernen. Nicht mit Druck, sondern mit Begeisterung lernen. Wir ha- ben zuerst die Klingel abgeschaltet. Die Kinder kommen ab sieben Uhr in die Schule und werden in der Regel um 15 Uhr wieder abgeholt. Wir bieten darüber hinaus eine Betreuung bis 17 Uhr an. Wir blicken nun auf neun Monate Schulerfahrung zurück. Die Schulranzen bleiben meistens in der Schule, weil wir beschlossen haben, dass die Kinder ihre Aufgaben innerhalb der Schulzeit erledigen können. Wichtig ist es, zu begreifen, dass wir unsere Lernprozess- kultur stetig weiter entwickeln und dass wir uns immer an den Bedürfnissen der Kinder orientieren. Insofern verändert sich unser Schulalltag entlang der Bedürfnisse aller Beteiligten. Im Augenblick sind wir auf dem Weg über Lernwerkstätten das fächerver- bindende und erfahrungsbezogene Lernen immer weiter zu entwickeln. Dabei sind die Kinder maßgeblich beteiligt. Auch die El- Wie eine neue Lernkultur entsteht Im Gespräch mit Bildungskünstler Josef Köhler und Stefan Wolf, Geschäftsführer der Peter Gläsel Stiftung, Detmold Mehr Raum für Kinder

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Stefan Wolf: Geschäftsführer der Peter GläselStiftung, Detmold„Unser Leben ist dramatischen Veränderungsprozess-en ausgesetzt. Die Zukunftsfragen sind global undkomplex. Das setzt voraus, dass wir Kindern undJugendlichen eine Bildung ermöglichen, die einenhandlungsorientierten und kreativen Umgang mitHerausforderungen nahe bringt. Dafür setzten wiruns als Peter Gläsel Stiftung ein.“

Vorstellung: Stefan Wolf ist Stiftungsmanager undStiftungsberater (DSA) und evangelischer Theologe.Er hat sechszehn Jahre als Pfarrer in Deutschland undToronto/Kanada gearbeitet. Seit 2007 ist er Ge-schäftsführer der Peter Gläsel Stiftung in Detmold, dievon einem Familienunternehmer gegründet wurdeund sich mit der Schaffung von Bildungsnetzwerkenund Bildungsinnovationen in Nordrhein-Westfaleneinen Namen gemacht hat.

Josef Köhler: Bildungskünstler, Inhaber desInstituts für Bildungskunst„Ein Baustein für eine soziale und zukunftsfähigeGesellschaft liegt in dem neuen Verständnis vonPartizipation und Zivilgesellschaft und der Beziehungzu unseren Kindern. Wenn wir es schaffen, die Weltder Kinder anzuerkennen, wenn wir Formen finden,Kinder gestärkt in diese Welt hineinwachsen zu las-sen, dann haben wir ein sinnstiftendes Stück Weg inRichtung Zukunft beschritten. Wir als Erwachsenekönnen ihnen dabei behilflich sein, neue Strukturenzu bauen.“

Vorstellung: Mit seinem Institut für Bildungskunstsetzt Josef Köhler sich bundesweit für dieTransformation und Innovation von Bildung mit Hilfekünstlerischer Strategien und Methoden ein. JosefKöhler hat die Bildung sowie die Kunst um das ThemaBildungskunst erweitert.

R A U M

Worum geht es in der neuen Schuleder Peter Gläsel Stiftung? Was ist dieIdee? Wie sieht ein Schultag in derPeter Gläsel Schule aus?Stefan Wolf: Wir haben als Peter GläselStiftung gute Erfahrungen damit gemacht,Kinder in allen wichtigen Fragen ihres All-tags direkt einzubeziehen. In unserer Kin-dertagesstätte Pöppenteich in Heidenolden-dorf haben wir ein solches auf Partizipationaufbauendes pädagogisches Konzept seit2008. Das hat uns deutlich gezeigt, dassKinder mehr entscheiden und lernen kön-nen, als wir denken. Die Kitaeltern wünsch-ten sich eine darauf aufbauende Grund-schule – das war der entscheidende Impuls,sich damit zu beschäftigen, eine zu grün-den. Allerdings sollte sie maximalen Frei-raum für das Lernen im Leben bieten,Freude am Miteinander und am gemeinsa-men Lernen. Der Alltag ist entspannt. Es gibtkeine Stunden, keine Fächer, keinen Gong.Es gibt Zeit, eine ausgezeichnete Bezie-hungskultur und Ruhe, sich in die Dinge zuvertiefen, die man interessant findet.

Josef Köhler: Wir haben mit dieser Schuleeinen Ort für Kinder und Erwachsene ge-schaffen, an dem man sich zu allererst wohlfühlen kann. Es ist ein Lern- und Lebensort,an dem Kinder und Erwachsene gemeinsamund voneinander lernen. Nicht mit Druck,sondern mit Begeisterung lernen. Wir ha-ben zuerst die Klingel abgeschaltet. DieKinder kommen ab sieben Uhr in die Schuleund werden in der Regel um 15 Uhr wiederabgeholt. Wir bieten darüber hinaus eineBetreuung bis 17 Uhr an. Wir blicken nunauf neun Monate Schulerfahrung zurück.Die Schulranzen bleiben meistens in derSchule, weil wir beschlossen haben, dassdie Kinder ihre Aufgaben innerhalb derSchulzeit erledigen können. Wichtig ist es,zu begreifen, dass wir unsere Lernprozess-kultur stetig weiter entwickeln und dass wiruns immer an den Bedürfnissen der Kinderorientieren. Insofern verändert sich unserSchulalltag entlang der Bedürfnisse allerBeteiligten. Im Augenblick sind wir auf demWeg über Lernwerkstätten das fächerver-bindende und erfahrungsbezogene Lernenimmer weiter zu entwickeln. Dabei sind dieKinder maßgeblich beteiligt. Auch die El-

Wie e ine neue Lernkul tur ents tehtIm Gespräch mi t Bi ldungskünst ler Jose f Köhlerund S te fan Wol f , Geschäf ts führer der Peter Gläse l S t i f tung, Detmold

Mehr Raumfür Kinder

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P R O M O T I O N

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geschaffen, mit dem wir den Herausfor-derungen der Zukunft angemessen begeg-nen können. Wenn man so will ist es einBetriebssystem für das Lernen der Zukunft.

Das prritti®-Bildungsmodell ist neu. Ichmöchte im Folgenden gerne noch einmaldie Vorzeichen und Kernveränderungen desModells verdeutlichen.

prritti® • setzt das Erleben in den Vordergrund -nicht die Information • setzt seinen Fokusauf den Lernprozess - nicht auf dasErgebnis • begreift Lernen in Aktivität undin permanenter Bewegung - nicht als passi-ves Konsumieren einer Ware • bewahrt diekomplexen Zusammenhänge des Lernensund trennt nicht zwischen Fächern • nimmtKinder als Experten in eigener Sache wahr• ermöglicht Vermittlungsprozesse alsgegenseitige Gestaltungsprozesse • befasstsich mit Themen der Zukunft • ist ein kom-positorisches, künstlerisches Lernmodell.

Diese Punkte lassen sich fortführen. Ent-scheidend ist, dass hier ein Sinnsystem ver-ändert wird, das sich an den Bedürfnissender Menschen orientiert. Es erfasst jedeLebenswirklichkeit. Stefan Wolf und ichschreiben an einem gemeinsamen Buch,indem wir herleiten, wie wir dazu gekom-men sind, prritti® als Bildungsmodell derZukunft einzusetzen.

Wie habt Ihr Euch kennengelernt?Stefan Wolf: Beim Tanzen! (lacht!) Ichhabe einen Kongress der Yehudi MenuhinStiftung besucht, bei dem der ChoreographRobert Salomon einen Bewegungs- undTanzworkshop angeboten hat, bei dem esvornehmlich um Achtsamkeit ging. Josefwar mein „Tanzpartner“. Das hat sich so er-geben, aber Zufall war es aus meiner Sichtnicht. Daraus ist eine intensive und produk-tive Zusammenarbeit und Freundschafterwachsen. Wir verstehen uns inzwischenintuitiv. Er bringt immer wieder den künst-lerischen Ansatz ein, ich bringe eineStruktur, die der Peter Gläsel Stiftung mit.Beides ist nötig, um solche Vorhaben, wiedie Errichtung einer Schule zu schultern.

Josef Köhler: Ja, das war der Zukunfts-kongress „Das Curriculum des Unwäg-

baren“ der Yehudi Menuhin Stiftung, imJuni 2009 in Essen auf der Zeche Zollver-ein. Der Fachkongress hatte das Ziel, aufzu-zeigen, wie künstlerisch/kulturelle Bildungsowie künstlerisches Handeln im Kern vonBildung verankert werden kann. Ich wardamals der künstlerische Berater dieserStiftung und hatte schon sehr viel von dertollen Arbeit der Peter Gläsel Stiftunggehört, vor allen Dingen von dem Tanzpro-jekt ResiDance. Stefan Wolf und mich ver-bindet seit unserem ersten Treffen eine in-zwischen langjährige und intensive Verbin-dung. Bis heute ist diese Zusammenarbeitzu einer festen Kooperation zwischen demInstitut für Bildungskunst und der PeterGläsel Stiftung gewachsen.

Wie geht das, „einfach“ eine Schule zugründen? Stefan Wolf: Puh! Es ist für mich eines derkomplexesten Vorhaben gewesen, die ich jedurchgeführt habe. Aber nicht allein! Es gabein Entwicklungsteam, und eine intensiveMitarbeit meines Stiftungsteams. DerWunsch nach Veränderung im Bildungs-wesen reicht m.E. nicht aus. Idealismusallein würde die Anforderungen, die dasSchulministerium und die Bezirksregierungan die Gründung einer Schule stellen, nichterfüllen können. Es waren zwei JahreVorarbeit, dann die Entwicklung eines völligneuen, eigenständigen und innovativenKonzepts mit allen Nachweisen, dass wirden Anforderungen des Schulgesetzes NRWgerecht werden. – Wir kennen Vorhaben,die gescheitert sind. Das hat uns sehr auf-merksam für die inhaltlichen, organisatori-schen und rechtlichen Fragen werden las-sen. Ich weiß nicht, ob ich Eltern empfeh-len kann, eine Grundschule zu gründen. Ausmeiner Erfahrung ein schwieriges Unter-fangen – aber es ist geglückt. Das verdanktsich sicherlich der gründlichen Vorarbeit.

Josef Köhler: Wer glaubt, eine Schule zugründen, sei einfach, der irrt. Es ist auf kei-nen Fall eine leichte Aufgabe und dennochsollte man es probieren, weil es Sinn macht,sich daran zu beteiligten Bildung auch indieser intensiven Form mitzugestalten. Wereine Schule gründet, sollte sich darüberbewusst werden, dass es eine allumfassendeAufgabe ist, die sehr viel Zeit und Wissen

tern werden zunehmend ins Boot geholt.Das künstlerische Angebot der Schulewächst. Neben einer Theaterwerkstatt, einerKunst- und Philosophiewerkstatt, haben wirauch nun eine Tanzwerkstatt sowie eineWerkstatt für Religion und Verantwortung.In der Übungszeit vertiefen die Kinder ihregewonnenen Kenntnisse, und üben sich imLesen, Schreiben und Rechnen. Einen Fron-talunterricht gibt es nicht. Die Kinder sitzennur wenn es notwendig ist. Sie unterstützensich gegenseitig bei der Wissensbildung, sit-zen dazu im Kreis oder an den Tischen inverschiedenen Gruppen oder auch allein,ganz so wie sie es für sich brauchen. ZurZeit arbeiten die Kinder u.a. an einem Thea-terstück, an einer Ausstellung der besonde-ren Art und einem Konzert für Flüchtlinge,das sie in Detmold geben wollen. Wir sindsehr gespannt, wie es in den nächsten Jah-ren weitergeht. Wir sind auf einem sehrguten Weg. Im August kommen 23 Kinderdazu. Wir freuen uns auf sie.

Was ist das prritti®-Bildungsmodell?Stefan Wolf: Josef Köhler hat die Ur-sprungsidee des Modells mitgebracht. Daswar genau der richtige Zeitpunkt und genaudie richtige Idee, weil wir auf dieser Grund-lage gemeinsam ein Modell entwickelnkonnten, dass grundschultauglich ist und dieProzesse der Partizipation mit dem Lernen,um das es ja schließlich in der Schulegehen muss, verbindet. Am Anfang steht dieErfahrung, die Entdeckung, der Impuls. Vonda aus entwickelt sich alles mit einer natür-lichen Geschwindigkeit, getrieben von derLernlust und der Neugierde der Kinder.

Josef Köhler: prritti® ist ein Bildungs-modell, das seine Wurzel in der künstle-risch/kulturellen Bildung hat. Die Künste,adäquat vermittelt, sind in der Lage, fürviele der aktuellen Herausforderungen vonSchule – und damit auch von Gesellschaft –Antworten zu liefern, die über den her-kömmlichen Fächerkanon nicht abgedecktwerden können. Intuition, Empathie, Phan-tasie, das Achten von Vielfalt, der Umgangmit Scheitern und Gelingen, Toleranz sowiedie Übernahme von Verantwortung sindbasale Qualifikationen für das Zusammen-leben in einer zunehmend „flexiblen“ Welt.Mit prritti® haben wir ein Bildungsmodell

W i e e i n e n e u e L e r n k u l t u r e n t s t e h t

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und auch Ressourcen erfordert. Man solltesich von Anfang an professionell beratenlassen. Wir hatten bei der Gründung unse-rer Schule das Glück, dass alle Kompeten-zen durch unser Gründungsteam abgedecktwaren. Dennoch haben wir von der Idee biszur Genehmigung etwa drei Jahre gebrauchtund das ist eine wirklich kurze Zeit.Außerdem haben wir mit prritti® ein neuesBildungsmodell ins Leben gerufen, was dieSchulgründung nicht leichter machte.

Welchen Stellenwert hat der ganzheit-liche Ansatz? Naturverständnis, Verant-wortung, Selbstwert, Bewusst sein...Stefan Wolf: Menschen sind ganzheitlich!Ich weiß gar nicht, wie man auf die Ideekommen konnte, dass dies beim Lernenaußer Acht gelassen werden kann, indemman Fächer und Schulstunden eingeführthat, und den Zusammenhang des Lernensfragmentarisiert und verstümmelt hat.Lernen darf ruhig komplex, anspruchsvollund mehrdimensional sein. So ist das Le-ben. Kinder haben auch damit kein Pro-blem. Und wenn Gelerntes zugleich alleSinne anspricht, wird es, das wissen wir ge-sichert, viel besser im Gehirn abgespei-chert. Wir brauchen in Zukunft kreativeTeamplayer. Das bedeutet, dass wir durchgeeignete Herausforderungen die Lösungs-kompetenz und Kreativität der Kinder erhal-ten müssen. Schwierig ist kein Problem,langweilig, unverständlich, sinnlos schon!

Josef Köhler: Ganzheitlicher Ansatz, dassind vielbeschworene Worte. Wir gehen inunserer Schule davon aus, dass Bildung dieKomplexität des Lebens aufgreifen muss.Dazu ist zeitgemäße Bildung notwendig. Wirbegreifen unser Bildungsmodell prritti®somit auch nicht als Ideologie, sondern alsChance sich zeitgemäß zu bilden, um sichimmer wieder neu auf die Themen derZukunft einzustellen. Unsere Kinder sinddiese Zukunft und wir wissen heute sehrgenau, dass sie den Herausforderungen die-ser Zukunft am besten gewachsen sind,wenn sie sich ihrer ganzen Kreativität bedie-nen können und auch wissen was sie wol-len. Die Zukunft erfordert situative und kre-ative Lösungsstrategien für jeden Einzelnen, damit er sich in der Welt von morgen gutzurecht findet. Einen Menschen darauf vor-

zubereiten heißt, seine Stärken zu stärkenund seine Schwächen zu schwächen. Des-halb ist unser Bildungsprinzip leicht zu ver-stehen. Wir lassen die Kinder ganzheitlichlernen, denn wir zerstückeln unser Lernennicht in „kleine Häppchen“ und 45 MinutenEinheiten und „zerfächern“ es auch nicht.

So bleibt es tatsächlich ganzheitlich. DieNatur spielt eine große Rolle, wie auch dieKultur und die Kunst, denn wir als Men-schen kommen aus der Natur, haben unseine Kultur und Kulturtechniken geschaffen.Die Kunst verhilft uns zu neuen Erkenntnis-sen, diese Kultur weiter zu entwickeln. Unddas geht nur gemeinsam mit unserenKindern. Deshalb sind sie an unserer SchuleBildungspartner, wir lernen mit ihnen,durch sie als Experten in eigener Sache undvon Ihnen, denn sie bringen das immerNEUE in diese Welt. Wir bestärken sie darin,was sie können und zeigen ihnen Wege auf,

sich auszuprobieren. Wir verstehen uns alsLernbegleiter, die Möglichkeiten schaffen.

Kann Schule helfen, gesündere Men-schen auf den Weg zu bringen? Rausaus dem Schulddenken... ach dukannst das nicht...Stefan Wolf: Das Schlimmste ist, wennman Kinder entmutigt. Wir haben mitKindern zu tun, denen man nach drei Wo-chen die Schule so verleidet hat, dass siesich ein ganzes Schuljahr hindurch gequälthaben, keine Lust mehr hatten, zur Schulezu gehen. Wir sprechen hier von Sechsjäh-rigen. Wie hätte dies weitergehen sollen? –Man kann nur mutmaßen, aber das klingtnach einer sehr langen, anstrengendenSchulzeit, wenn es in der Peter Gläsel Schu-le nicht die Möglichkeit eines Neustarts ge-geben hätte. Kinder sind „lern-gesünder“, wenn sie sich wohl fühlen, wissen, dass sie

wertgeschätzt werden und sich jemandernsthaft für sie interessiert. Wir haben fan-tastisches Personal, denen dies das wich-tigste Anliegen ist. Das merken Kinder. Lob,Ermutigung, Unterstützung, echtes Interes-se, Hilfe, wenn es einmal nicht so läuft. Ichdenke, dass sollte man erwarten können,als Kind, als Eltern, als Gesellschaft.

Jörg Köhler: Die Trennung von Lernenund Lernorten, die Aufgliederung desLernens in Disziplinen erschwert den ge-samten Prozess des Lernens. Lernen fin-det überall und zu jeder Zeit statt, es istdem Menschen innewohnend und ist einimmerwährender Prozess im Wandel vonForm und Gestalt. Die Komplexität unsererWahrnehmungsfähigkeit übersteigt unserjetziges Bildungssystem um ein Vielfaches.Das Zerlegen und Isolieren von Wissenführt dazu, dass unsere angeborene Fäh-igkeit komplexe Sachverhalte im Zusam-menhang zu begreifen kaum weiterent-wickelt wird. Das bedeutet gleichzeitig dieVerhinderung von ganzheitlicher, gesunderund sinnhafter Lebensgestaltung. Kreati-vität und individuelles Gestaltungsvermö-gen sind nahezu unterbunden. Will man fürdas Lernen von morgen, Kunst und Gestal-tungsfähigkeit in seinen elementaren undm. E. zentralen Bedeutungen nutzen undwill man insbesondere Schulentwicklungs-prozesse damit beflügeln, braucht es sehrviele Gestaltungsspielräume. Und Kinderwollen spielen. Sie eignen sich die Welt derErwachsenen spielerisch an.

Kinder sind ernst zu nehmen undhaben das Recht, ihre eigenen Persön-lichkeit zu entwickeln, raus aus derUniformität in die Individualität... Stefan Wolf: Es gibt Kinderrechte. Diesegelten. Die Frage ist also nicht, ob wir diesverwirklichen, sondern letztlich nur, wiewir ihre Umsetzung garantieren. Das ist dereine Pol. Jede und jeder, der sich ernsthaftmit Grundschülerinnen und Grundschülernbeschäftigt weiß zudem, dass in einer Klasseetwas sechs unterschiedliche „Lernalter“versammelt sind, d.h. dass es Kinder gibt,die eventuell in ihrem Verständnis einerSache sechs Jahre auseinanderliegen. Zu-dem verzichten wir auf den einen Unter-richt, sondern gestalten das, was Kinder

Josef Köhler

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Bilder mittig positionieren

nach den Lernplänen lernen müssen, indivi-duell. Es gibt Kinder, die rechnen wieSechstklässler, andere lesen wie Erwach-sene, andere wiederum erarbeiten sichZahlen und Texte. Das ist in jeder Grund-schule so. Deshalb gibt es nur einen Weg,nämlich jedes Kind so weit wie möglichindividuell zu fördern, ohne dabei den Sinnfür Gemeinschaft dieser Individualität zuopfern. Alle Kinder unterstützen sich, könen zusammenarbeiten, schätzen sich,erkennen ihre Unterschiede und könnendamit umgehen, ohne dass sich einer überden anderen stellt. Das ist ein sehr„erwachsenes“ Verhalten, oder?

Josef Köhler: Es ist einfach, wenn manwie im prritti®-Bildungsmodell die Vorzei-chen alle konsequent umdreht und Kindermit ihren Bedürfnissen ernst nimmt. Es istwichtig, Kinder als Subjekte zu begreifen,nicht als Objekte eines Diskurses. Sie habenkeine Defizite, sie wollen einfach nur ler-nen. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnenheißt, sich tatsächlich in ihre Lage zu ver-setzen. Ihnen dabei zu helfen, unbeschadetund selbstbewusst in die Erwachsenenwelthineinzufinden ist eine unserer Aufgaben.

Eine Schule ohne Noten, ist das mög-lich? Eine Schule ohne Angst undPrüfungsdruck?Stefan Wolf: Wir wollen es so. Außerdemfinde ich es sonderbar, dass wir Kindernnicht zutrauen, dass sie ja etwas wissen undZiele erreichen wollen. Wir haben keineMotivationsprobleme. Kinder wissen, wasman von ihnen erwartet. Sie wollen zeigen,dass sie es können. Das Einzige, das absurdist, von allen das Gleiche zur selben Zeiterwarten zu wollen. Jede, jeder hat seinTempo, ist manchmal schnell, manchmalbraucht man mehr Zeit – wo ist das Pro-blem? Wenn alle ihr Ziel erreichen und vorallem den Inhalt verstehen und auch nochSpaß dabei haben, kann man eigentlichnichts dagegen haben. Es ist oft das Vor-urteil der Erwachsenen, dass Kinder immernur den Weg des geringsten Widerstandesgehen wollen. Kinder lieben Herausfor-derungen und sind stolz auf Erreichtes.Wenn ein Ziel erreicht ist, freuen wir unsmit den Kindern – das spornt sie an.

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Josef Köhler: Noten geben vor etwas zuvergleichen, was nicht zu vergleichen ist. Jeder Mensch ist einzigartig. Das wollen wirfördern. Wir müssen nicht unnötigerweiseSituationen schaffen, in denen Kinder Angstbekommen. Wozu? Wer hat schon mal einProblem besser gelöst, wenn er unterDruck gesetzt wird oder in Angst versetztwird. Wir wollen Kinder bestärken ihreneigenen Weg im Leben zu finden. Die Welt, in der wir zur Zeit leben ist voll von Angst,Druck und Gewalt. Wozu das führt, sehen wir jeden Tag, wenn wir Nachrichten schau-en. Wir stärken unsere Kinder, indem wirihnen respektvoll, anerkennend und ver-trauensvoll begegnen.

Kann das Modell der Peter GläselSchule ein Vorzeigemodell werden?Stefan Wolf: Wir planen einen Transferder Idee. Das bedeutet, dass wir Interes-sierten über Workshops die Idee näher

bringen und sie zur Übernahme des Mo-dells überzeugen wollen. Dazu ist es aberwichtig, selbst die volle Verantwortung füreine Grundschule (und eine Kita) zu haben.Menschen sollen die Gelegenheit haben, zusehen, dass es funktioniert. Sie sollen wis-sen, worauf sie sich einlassen. Wir sindüberzeugt, dass wir im Laufe der Zeit Nach-ahmer finden. Dazu ermutigen uns auchKontakte zu einigen der fortschrittlichstenSchulen in NRW und die Meinung von inno-vativen Bildungsexperten und auch der Uni-versität Paderborn, die unser Modell für bis-lang einzigartig und zukunftsweisend hält.

Josef Köhler: Das prritti®-Bildungsmo-dell ist ein Betriebssystem für neues Lernen,nicht nur für Schule. Es ist auf alle Lebens-bereiche übertragbar. Natürlich kann es injeder Schule eingesetzt werden. DamitSchulen in der Lage sind, partizipatives und

Stefan Wolf

gestalterisches Handeln als Bestandteil der Lernkultur in ihren Schulalltag zu integrie-ren, bedarf es allerdings der Beratung undBegleitung bei der Auswahl der geeignetenStrategien und Maßnahmen, in Abstimmungmit den Zielen und dem Profil der Schule,um prritti® erfolgreich einsetzen zu kön-nen. Wer sich für dieses Modell interessiert,für den bieten wir ab September 2016regelmäßig einen prritti® Schnuppertag an.

Bitte wenden Sie sich hierzu an das Institutfür Bildungskunst unter 0177-8293012oder an die Peter Gläsel Stiftung. Ab Oktober 2016 startet die prritti® Akademie. Mehr dazu auf www.prritti-bildungsmodell.com

Die Uni Paderborn begleitet das Pro-jekt wissenschaftlich?Stefan Wolf: Niemand würde uns ein Bil-dungsmodell abnehmen, wenn es nicht un-abhängig – darauf legen wir Wert – durcheine Universität untersucht würde. Hierprüfen ExpertInnen die Tauglichkeit desModells durch die Betrachtung der KindPerspektive, die ja auch für uns der wichtig-ste Faktor ist. Kommt bei den Kindern derAspekt der Selbst- bzw. Mitbestimmung an?Lernen sie erwartungsgemäß? Das sind Fra-gen, denen wir uns offen und ehrlich stel-len. Das ist sozusagen der „Lackmustest“.Mit den Erkenntnissen haben wir schonjetzt im wissenschaftlichen Raum durchVeröffentlichungen der Universität für Auf-sehen gesorgt. Uns ist wichtig, dass wirunser Modell beständig optimieren undsowohl einer internen (prritti®-Labordurch Josef Köhler), als auch einer perma-nenten externen Qualitätsanalyse unterzie-hen. Damit steigt für uns die Sicherheit derFunktionalität des Systems.

Wann/wie können Eltern ihre Kinderanmelden? Stefan Wolf: Immer. Aller-dings nicht mehr für das Schuljahr2016/2017, diese Klasse ist bereits voll. EinTag der offenen Tür ist am 18. Juni 2016von 10 bis 13 Uhr in der Peter Gläsel Schule.

Kontakt: www.pgschule.net Anmeldungen bei: Stefanie Özmen s.oezmenpg-stiftung.net Inhaltliche Fragen: [email protected]: www.pg-stiftung.net