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Moleküldynamik DOI: 10.1002/ange.200600201 Mehrdimensionale Bewegungen mit großer Amplitude: Aufdeckung simultaner Tunnelpfade in Molekɒlen mit mehreren internen Rotoren** Melanie Schnell und Jens-Uwe Grabow* Untersuchungen zur internen Rotation in Molekɒlen sowie zu GrɆße und Ursprung der KrȨfte, die der freien internen Rotation entgegenwirken, faszinieren Chemiker seit vielen Jahren. Unter interner Rotation versteht man die Rotation einer oder mehrerer Molekɒlgruppen, z.B. einer Methyl- gruppe CH 3 , um eine Einfachbindung relativ zum ɒbrigen Molekɒl. Neben kleineren Molekɒlen wie Ethan sind interne Rotationen auch fɒr grɆßere Molekɒle wie Proteine und NucleinsȨuren wichtig. Die unterschiedlichen BeitrȨge zu internen Rotationsbarrieren sind bisher noch nicht vollstȨn- dig verstanden und werden in der Literatur kontrovers dis- kutiert: In einer kɒrzlich verɆffentlichten Ab-initio-Unter- suchung argumentieren Weinhold et al., [1–3] dass in Ethan die Bevorzugung der gestaffelten gegenɒber der ekliptischen Konformation elektronischen Ursprungs ist, da in ersterem Fall benachbarte Kohlenstoff-Wasserstoff-Bindungsorbitale s CH und s* CH am stȨrksten ɒberlappen kɆnnen und somit zu stȨrkeren Wechselwirkungen fɒhren. Im Unterschied dazu fanden Bickelhaupt und Baerends, dass ihre Rechnungen die Interpretation bekrȨftigten, dass die Barriere durch sterische Abstoßung benachbarter C-H-Bindungen verursacht wird. [4] Weist ein Molekɒl mehr als eine Gruppe auf, die intern rotieren kann, so kɆnnen die internen Bewegungen wech- selwirken, d. h., sie kɆnnen einander ihre Orientierung be- zogen auf das ɒbrige Molekɒl (das Molekɒlgerɒst) mitteilen. Man unterscheidet zwischen rȨumlicher Kommunikation, die auf der elektrostatischen Abstoßung von Elektronenwolken benachbarter Gruppen beruht, und Kommunikation ɒber chemische Bindungen, die hauptsȨchlich durch die Art der Bindungen bestimmt wird, die die rotierbare Gruppe mit dem Molekɒlgerɒst verknɒpfen, und bisher noch nicht sehr gut verstanden zu sein scheint. Mit der Aufdeckung der mɆgli- chen Tunnelpfade („feasible tunneling pathways“) des Mo- lekɒls und Bestimmung der internen Rotationsbarrieren mittels Mikrowellenspektroskopie wollen wir einen Einblick in die Wechselwirkungsmechanismen gewinnen, die die in- terne Molekɒldynamik steuern. Wir haben fɒr unsere Untersuchung die Molekɒlreihe (CH 3 ) 3 XCl mit X = Si, Ge, Sn gewȨhlt, da deren Zentralato- me systematisch zunehmende Kovalenzradien haben, sodass die elektrostatische Abstoßung, also die rȨumliche Kommu- nikation, von Si ɒber Ge zu Sn sukzessive verringert wird und damit die BeitrȨge der Bindung XCH 3 (X = Si, Ge, Sn) an Bedeutung gewinnen, was zu deutlichen Unterschieden in der internen Molekɒldynamik fɒhrt. Darɒber hinaus unterschei- den sich die Elemente Kohlenstoff, Silicium, Germanium und Zinn in verschiedener Hinsicht. Zum Beispiel variieren ihre Kovalenzradien stark von 1.17 ĸ fɒr Si und 1.22 ĸ fɒr Ge zu 1.40 ĸ fɒr Sn. Es ist außerdem bekannt, [5] dass molekulare Si- und Ge-Verbindungen Ȩhnliche chemische Eigenschaften aufweisen, wȨhrend die analogen Zinnverbindungen meist abweichen. Beispielsweise zeigt (CH 3 ) 3 SnCl eine deutliche Lewis-AciditȨt, die von (CH 3 ) 3 SiCl und (CH 3 ) 3 GeCl ist hin- gegen vernachlȨssigbar. [6] Fɒr die drei FȨlle, dass eine, zwei oder drei Methylgrup- pen um 608 aus ihrer Gleichgewichtsposition gedreht sind, fasst Tabelle 1 die von uns berechneten geringsten AbstȨnde zwischen Wasserstoffatomen an benachbarten CH 3 -Gruppen zusammen (B3LYP/6-311G** und ecp-46-mwb (Sn)). [7] Sind drei Methylgruppen um 608 aus ihrer Gleichgewichtsposition gedreht, nȨhern sich die Wasserstoffatome benachbarter Methylgruppen im (CH 3 ) 3 SiCl bis auf 2.5 ĸ an, wȨhrend sie in (CH 3 ) 3 SnCl immer noch 3.1 ĸ voneinander entfernt sind. Ein Vergleich mit dem Van-der-Waals-Radius fɒr Wasserstoff von r vdW (H) = 1.2 ĸ deutet an, dass die interne Molekɒldynamik in (CH 3 ) 3 SiCl durch elektrostatische Abstoßung dominiert [*] Dr. M. Schnell, [+] Dr. J.-U. Grabow UniversitȨt Hannover Institut fɒr Physikalische Chemie und Elektrochemie Lehrgebiet A, Callinstraße 3–3a, 30167 Hannover (Deutschland) Fax: (+ 49) 511-762-4009 E-mail: [email protected] [ + ] Aktuelle Adresse: Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft Abteilung Molekɒlphysik Faradayweg 4–6, 14195 Berlin (Deutschland) [**] Wir danken Jon T. Hougen fɒr die vielen fruchtbaren Diskussionen. Dem Land Niedersachsen und der Deutschen Forschungsgemein- schaft danken wir fɒr die finanzielle Unterstɒtzung sowie F. J. Lovas fɒr ebenfalls hilfreiche Diskussionen. M.S. dankt der Berlin-Bran- denburgischen Akademie der Wissenschaften fɒr die Unterstɒtzung durch das Akademiestipendium 2005. Hintergrundinformationen zu diesem Beitrag sind im WWW unter http://www.angewandte.de zu finden oder kɆnnen beim Autor angefordert werden. Zuschriften 3544 # 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2006, 118, 3544 –3549

Mehrdimensionale Bewegungen mit großer Amplitude: Aufdeckung simultaner Tunnelpfade in Molekülen mit mehreren internen Rotoren

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Molek�ldynamik

DOI: 10.1002/ange.200600201

Mehrdimensionale Bewegungen mit großerAmplitude: Aufdeckung simultaner Tunnelpfadein Molek�len mit mehreren internen Rotoren**

Melanie Schnell und Jens-Uwe Grabow*

Untersuchungen zur internen Rotation in Molek�len sowiezu Gr�ße und Ursprung der Kr�fte, die der freien internenRotation entgegenwirken, faszinieren Chemiker seit vielenJahren. Unter interner Rotation versteht man die Rotationeiner oder mehrerer Molek�lgruppen, z.B. einer Methyl-gruppe CH3, um eine Einfachbindung relativ zum �brigenMolek�l. Neben kleineren Molek�len wie Ethan sind interne

Rotationen auch f�r gr�ßere Molek�le wie Proteine undNucleins�uren wichtig. Die unterschiedlichen Beitr�ge zuinternen Rotationsbarrieren sind bisher noch nicht vollst�n-dig verstanden und werden in der Literatur kontrovers dis-kutiert: In einer k�rzlich ver�ffentlichten Ab-initio-Unter-suchung argumentieren Weinhold et al. ,[1–3] dass in Ethan dieBevorzugung der gestaffelten gegen�ber der ekliptischenKonformation elektronischen Ursprungs ist, da in ersteremFall benachbarte Kohlenstoff-Wasserstoff-BindungsorbitalesCH und s*CH am st�rksten �berlappen k�nnen und somit zust�rkeren Wechselwirkungen f�hren. Im Unterschied dazufanden Bickelhaupt und Baerends, dass ihre Rechnungen dieInterpretation bekr�ftigten, dass die Barriere durch sterischeAbstoßung benachbarter C-H-Bindungen verursacht wird.[4]

Weist ein Molek�l mehr als eine Gruppe auf, die internrotieren kann, so k�nnen die internen Bewegungen wech-selwirken, d.h., sie k�nnen einander ihre Orientierung be-zogen auf das �brige Molek�l (das Molek�lger�st) mitteilen.Man unterscheidet zwischen r�umlicher Kommunikation, dieauf der elektrostatischen Abstoßung von Elektronenwolkenbenachbarter Gruppen beruht, und Kommunikation �berchemische Bindungen, die haupts�chlich durch die Art derBindungen bestimmt wird, die die rotierbare Gruppe mit demMolek�lger�st verkn�pfen, und bisher noch nicht sehr gutverstanden zu sein scheint. Mit der Aufdeckung der m�gli-chen Tunnelpfade („feasible tunneling pathways“) des Mo-lek�ls und Bestimmung der internen Rotationsbarrierenmittels Mikrowellenspektroskopie wollen wir einen Einblickin die Wechselwirkungsmechanismen gewinnen, die die in-terne Molek�ldynamik steuern.

Wir haben f�r unsere Untersuchung die Molek�lreihe(CH3)3XCl mit X= Si, Ge, Sn gew�hlt, da deren Zentralato-me systematisch zunehmende Kovalenzradien haben, sodassdie elektrostatische Abstoßung, also die r�umliche Kommu-nikation, von Si �ber Ge zu Sn sukzessive verringert wird unddamit die Beitr�ge der Bindung X�CH3 (X= Si, Ge, Sn) anBedeutung gewinnen, was zu deutlichen Unterschieden in derinternen Molek�ldynamik f�hrt. Dar�ber hinaus unterschei-den sich die Elemente Kohlenstoff, Silicium, Germanium undZinn in verschiedener Hinsicht. Zum Beispiel variieren ihreKovalenzradien stark von 1.17 C f�r Si und 1.22 C f�r Ge zu1.40 C f�r Sn. Es ist außerdem bekannt,[5] dass molekulare Si-und Ge-Verbindungen �hnliche chemische Eigenschaftenaufweisen, w�hrend die analogen Zinnverbindungen meistabweichen. Beispielsweise zeigt (CH3)3SnCl eine deutlicheLewis-Acidit�t, die von (CH3)3SiCl und (CH3)3GeCl ist hin-gegen vernachl�ssigbar.[6]

F�r die drei F�lle, dass eine, zwei oder drei Methylgrup-pen um 608 aus ihrer Gleichgewichtsposition gedreht sind,fasst Tabelle 1 die von uns berechneten geringsten Abst�ndezwischen Wasserstoffatomen an benachbarten CH3-Gruppenzusammen (B3LYP/6-311G** und ecp-46-mwb (Sn)).[7] Sinddrei Methylgruppen um 608 aus ihrer Gleichgewichtspositiongedreht, n�hern sich die Wasserstoffatome benachbarterMethylgruppen im (CH3)3SiCl bis auf 2.5 C an, w�hrend sie in(CH3)3SnCl immer noch 3.1 C voneinander entfernt sind. EinVergleich mit dem Van-der-Waals-Radius f�r Wasserstoff vonrvdW(H)= 1.2 C deutet an, dass die interne Molek�ldynamikin (CH3)3SiCl durch elektrostatische Abstoßung dominiert

[*] Dr. M. Schnell,[+] Dr. J.-U. GrabowUniversit%t HannoverInstitut f)r Physikalische Chemie und ElektrochemieLehrgebiet A, Callinstraße 3–3a, 30167 Hannover (Deutschland)Fax: (+49)511-762-4009E-mail: [email protected]

[+] Aktuelle Adresse:Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-GesellschaftAbteilung Molek)lphysikFaradayweg 4–6, 14195 Berlin (Deutschland)

[**] Wir danken Jon T. Hougen f)r die vielen fruchtbaren Diskussionen.Dem Land Niedersachsen und der Deutschen Forschungsgemein-schaft danken wir f)r die finanzielle Unterst)tzung sowie F. J. Lovasf)r ebenfalls hilfreiche Diskussionen. M.S. dankt der Berlin-Bran-denburgischen Akademie der Wissenschaften f)r die Unterst)tzungdurch das Akademiestipendium 2005.

Hintergrundinformationen zu diesem Beitrag sind im WWW unterhttp://www.angewandte.de zu finden oder kFnnen beim Autorangefordert werden.

Zuschriften

3544 � 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2006, 118, 3544 –3549

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wird. Dieser Einfluss kann f�r (CH3)3SnCl als deutlich kleinerangenommen werden.

Die berechneten Torsionsbarrieren f�r die interne Rota-tion nur einer Methylgruppe sind ebenfalls in Tabelle 1 ent-halten. Zur Berechnung wurden die internen Rotationswin-kel der drei Methylgruppen imOptimierungsprozess konstantgehalten, w�hrend alle �brigen Geometrieparameter rela-xiert wurden. F�r (CH3)3SiCl ist die Barriere mit 6.4 kJmol�1

am h�chsten, f�r (CH3)3GeCl (4.2 kJmol�1) und (CH3)3SnCl(2.1 kJmol�1) ist sie ca. 2 bzw. 4 kJmol�1 niedriger. Dar�berhinaus liegen die Konformere, bei denen zwei oder drei Me-thylgruppen um 608 relativ zur Gleichgewichtskonformationgedreht sind, um 13.5 kJmol�1 bzw. 21.5 kJmol�1 f�r(CH3)3SiCl und um 10.1 kJmol�1 bzw. 15.4 kJmol�1 f�r(CH3)3GeCl energetisch h�her als ihre Gleichgewichtsstruk-turen. Wie weiter unten beschrieben, skalieren die unter-schiedlichen Barrierenh�hen nicht nur einfach mit den ex-perimentell beobachteten Tunnelaufspaltungen, wir beob-achteten auch vollst�ndig anders erscheinende Torsions-rotationsspektren f�r die drei Molek�le, die wiederum ver-schiedene Annahmen f�r die Analyse erfordern. Eineneuere mikrowellenspektroskopische Untersuchung[8] von(CH3)3SiCl ergab eine Torsionsbarriere von V3= 6.9 kJmol�1.Ein Rotationsspektrum von (CH3)3GeCl wurde ebenfallsschon zuvor aufgenommen, allerdings konnten keine Torsi-onsrotationsaufspaltungen beobachtet werden.[9]

Zur Untersuchung der internen Rotation in Molek�lenwird oft eine Kombination aus experimentellen Technikenund theoretischen Methoden herangezogen. Wir verwendenhochaufl�sende Rotationsspektroskopie[10] und Permuta-tions-Inversions(PI)-Gruppentheorie. Reine Rotationsspek-tren polarer Molek�le liefern sehr pr�zise Molek�ldaten, z.B.die geometrische Struktur, interne Rotationsbarrieren und, inKombination mit Messungen des Stark-Effekts, das moleku-lare Dipolmoment. Außerdem lassen sich durch eine Analyseder Kernquadrupolkopplungskonstanten die Bindungspara-meter im Molek�l absch�tzen. Um zus�tzliche spektraleMerkmale zu analysieren, die durch die interne Rotationverursacht werden (Torsionsrotationsaufspaltungen), und umInformationen �ber die Kommunikation der intern rotieren-den Methylgruppen der untersuchten Molek�le zu extrahie-ren, kombinieren wir PI-Gruppentheorie mit mehrdimensio-naler Tunneltheorie. In der PI-Gruppentheorie werden dieSymmetrieoperationen eines Molek�ls durch Permutionenund Inversionen anstelle von Rotationen und Spiegelungenwie in der Punktgruppentheorie beschrieben.[11] Der Vorteil

der PI-Gruppentheorie gegen�ber der Punktgruppentheorieliegt darin, dass sie die gruppentheoretische Beschreibunginterner Rotationen eines Molek�lteils, etwa einer Methyl-gruppe, relativ zum Molek�lger�st erm�glicht. Die f�r dieMolek�le der Reihe (CH3)3XCl mit X= Si, Ge, Sn anzu-wendende PI-Gruppe ist G162 ;

[12–14] diese besteht aus 162Elementen und ist zu keiner Punktgruppe isomorph. Generellk�nnen PI-Gruppen sehr groß werden (siehe Lit. [15] f�r einedetaillierte Beschreibung der Molek�lsymmetriegruppe).

Der mehrdimensionale Tunnelformalismus („multi-dimensional tunneling formalism“) erm�glicht eine Be-schreibung der internen Rotation mithilfe von Tunnelpfaden.Ein anderes herausragendes Beispiel hierf�r ist die Inver-sionsbewegung des NH3-Molek�ls, die durch einen einzelnenTunnelpfad, der �ber einen planaren Pbergangszustand ver-l�uft, beschrieben werden kann. Bei Molek�len mit mehr alseiner drehbaren Gruppe sind mehrere interne Bewegungenm�glich, die durch kompliziertere Tunnelpfade beschriebenwerden k�nnen. F�r (CH3)3XCl im Speziellen sind 351 Tun-nelbewegungen zwischen 27 �quivalenten Gleichgewichts-konformationen („frameworks“) m�glich. Es kann gruppen-theoretisch gezeigt werden, dass wegen der hohen Symmetrieder (CH3)3XCl-Molek�le (C3v in ihrer starren Gleichge-wichtsgeometrie) viele Tunnelpfade topologisch �quivalentsind. Lediglich f�nf Pfade sind aus physikalisch-chemischerSicht verschieden: interne Rotation nur einer Methylgruppe(HR), konzertierte interne Rotation von zwei Methylgruppen,wobei zwischen verzahnter (HG, gegens�tzlicher Drehsinn)und nichtverzahnter Bewegung (HA, gleicher Drehsinn) un-terschieden wird, und schließlich konzertierte interne Rota-tion von drei CH3-Gruppen, wobei alle drei CH3-Gruppenden gleichen Drehsinn (HL) oder eine Methylgruppe einengegens�tzlichen Drehsinn (HE) aufweisen k�nnen.

Die Diagonalisierung einer Tunnel-Hamilton-Matrix, dieaus den zu den f�nf Tunnelpfaden geh�renden Matrixele-menten Hj aufgebaut wird, ergibt das Torsionsaufspaltungs-muster und die energetische Anordnung f�r die K= 0-Rota-tions�berg�nge J+ 1 !J (siehe Hintergrundinformationen).F�r (CH3)3SiCl ber�cksichtigen wir nur Tunnelpfade, die dieinterne Rotation einer CH3-Gruppe (HR) umfassen, da wirerwarten, dass die Barrieren f�r simultane interne Rotationenzweier oder sogar dreier Methylgruppen im (CH3)3SiCl zuhoch sind, um auf der Zeitskala des Experimentes aufzutreten(Konzept der Durchf�hrbarkeit, „concept of feasibility“).[16,11]

Man erh�lt ein charakteristisches Aufspaltungsmuster (mitt-lere Spalte in Abbildung 1), bestehend aus vier mehrfachentarteten Gruppen bei konstantem Abstand, die mit denTorsionsspezies I3 und E2 (achtfach entartet), I1 und I4(zw�lffach entartet), I2 (sechsfach entartet) und A1 (nichtentartet) bezeichnet werden. Auf der linken Seite der Ab-bildung 1 ist das hypothetische, 27-fach entartete J0-Ener-gieniveau eines symmetrischen Kreisels gezeigt, das dem Falleiner vollst�ndig eingefrorenen internen Rotation entspricht.Im linken Teil der Abbildung 1 ist das Torsionsaufspaltungs-muster dargestellt, das mit der Theorie lokaler Modi („localmode theory“) erhalten wird, in der die Bewegungen derMethylgruppen zun�chst als unabh�ngig voneinander be-trachtet werden (Hintergrundinformationen). Wie erwartet,ergeben die Theorie lokaler Modi und der mehrdimensionale

Tabelle 1: Berechnete[a] minimale Abst%nde f)r Wasserstoffatome, die anbenachbarte Methylgruppen gebunden sind, wenn entweder eine, zweioder drei Methylgruppen um 608 aus ihrer lokalen Minimumspositiongedreht wurden, sowie berechnete TorsionsbarrierenhFhen DE.

n[b] (CH3)3SiCl (CH3)3GeCl (CH3)3SnCl

1 r(H-H) [G] 3.0 3.1 3.62 r(H-H) [G] 2.5 2.7 3.13 r(H-H) [G] 2.5 2.7 3.1

DE [kJmol�1] 6.4 4.2 2.1

[a] B3LYP/6-311G**, X=Sn: ecp-46-mwb (Sn). [b] Zahl rotierter CH3-Gruppen.

AngewandteChemie

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Tunnelformalismus unter Ber�cksichtigung nur der HR-Ma-trixelemente dasselbe Aufspaltungsmuster f�r (CH3)3SiCl.

Im rechten Teil der Abbildung 1 wird ein Ausschnitt desgemessenen Rotationsspektrums des J+ 1 !J= 4 !3-Pber-gangs (K= 0, F’ !F= 3.5 !3.5-Chlor-Hyperfein�bergang)[8]

f�r (CH3)3SiCl gezeigt. Aufgrund der hohen Barriere, diedurch die sterische Hinderungen verursacht wird, zeigt dasSpektrum nur kleine Aufspaltungen. Aufgrund der koaxialenStrahl-Resonator-Anordnung (coaxial beam resonator ar-rangement, COBRA)[10,17] des Fourier-Transformations-Mi-krowellenspektrometers besteht jede Linie aus zwei Dopp-lerkomponenten. Die tats�chliche Pbergangsfrequenz ist diemit Balken gekennzeichnete Mittenfrequenz des Dubletts.Hougen und Ohashi[18] konnten nachweisen, dass f�r K= 0die relative energetische Anordnung der Torsionsniveauseines Rotationszustandes genau entgegengesetzt zur Fre-quenzanordnung der unterschiedlichen Torsionskomponen-ten im J+ 1 !J-Rotationsspektrum ist, d.h., wir erwarten denJ+ 1,A2

!J,A1-Pbergang am hochfrequenten Ende der K=

0-Reihe, da das A1-Torsionsniveau am niederenergetischenEnde des Aufspaltungsmusters lokalisiert ist. Die entspre-chenden Matrixelemente Hj f�r die verschiedenen moleku-laren Spezies sind in den Hintergrundinformationen angege-ben. Beide theoretischen Ans�tze – die Theorie lokaler Modiund der mehrdimensionale Tunnelformalismus – zeigen f�r(CH3)3SiCl eine sehr gute Pbereinstimmung mit den experi-mentellen Ergebnissen, gleichbedeutend damit, dass diekonzertierte interne Rotation von zwei oder sogar drei CH3-

Gruppen auf der Zeitskala des Experiments nicht durch-f�hrbar ist („non-feasible“).

Der Abstand zwischen zwei benachbarten Wasserstoff-atomen in (CH3)3GeCl ist nur wenig gr�ßer als in (CH3)3SiCl.Dennoch sagen Rechnungen f�r (CH3)3GeCl eine ca. 50%niedrigere Torsionsbarriere als in der Si-Verbindung voraus(Tabelle 1). In Pbereinstimmung mit der niedrigeren Bar-riere erhalten wir nicht nur quantitativ ein weiter gespreiztes,sondern auch qualitativ ein deutlich komplizierteres Spek-trum mit zus�tzlichen Aufspaltungen (Abbildung 2). Um

diese Beobachtungen physikalisch verstehen und theoretischbeschreiben zu k�nnen, mussten wir auch Tunnelpfade be-r�cksichtigen, bei denen zwei Methylgruppen konzertiertrotieren (HG und HA). Wenn diese Tunnelpfade f�r die Be-schreibung bedeutend werden, ist zu erwarten, dass dieTheorie lokaler Modi die experimentell beobachteten Torsi-onsaufspaltungen nicht mehr reproduzieren kann. Eine sehrgute Pbereinstimmung wird hingegen zwischen dem um zweiKreiselbewegungen erweiterten Tunnelformalismus (mit HR,HG und HA) und den experimentellen Daten f�r (CH3)3GeClerhalten, wodurch belegt ist, dass mehrdimensionale Tun-nelvorg�nge f�r diese Spezies nicht l�nger vernachl�ssigtwerden k�nnen. Ber�cksichtigt man die �hnlichen chemi-schen Eigenschaften von Silicium und Germanium, so kanndie ver�nderte interne Dynamik in (CH3)3GeCl gegen�ber

A1

E2

I1

I2

I4

I3

A

AA

EAAE

EE EEE

EEA,EAE,AEE

EAA,AEA,AAE

AAA

Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3

E0

–HR

E2+I3

A1

I1+I4

I2

E

J0

∆υ

HA≈ –HG≈ HL≈ –HE≈ 0

1758

2.5

MH

z17

582.

3 M

Hz

Abbildung 1. Torsionsaufspaltungsmuster des JK= J0-Rotationsniveausf)r (CH3)3SiCl unter Verwendung des mehrdimensionalen Torsionsro-tations-Tunnelformalismus. Nur die interne Rotation einer Methylgrup-pe (HR) wurde ber)cksichtigt. Die Torsionsrotationsniveaus, bezeich-net mit E2, I3, I4, I1, I2 und A1, sind in der Mitte der Abbildung gezeigt.Eine Beschreibung derselben Energieniveaus mithilfe der Theorie loka-ler Modi (AAA, AAE, AEA, EAA, EEA, EAE, AEE und EEE) ist im linkenTeil der Abbildung dargestellt (siehe Text und Hintergrundinformatio-nen). Die theoretisch vorhergesagte relative Anordnung der Energieni-veaus wird mit dem gemessenen Aufspaltungsmuster des 4 !3-Mber-gangs (K=0, F’ !F=3.5 !3.5)[8] auf der rechten Seite der Abbildungverglichen.

mehrdimensionaler Tunnelformalismus

A1

E2

I1

I2

I4

I3

7959

.679

58.3

MH

z

A

AA

EAAE

EEEEE

EEA,EAE,AEE

EAA,AEA,AAE

AAA

Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3I3

E2

E2

A1

A1

I1

I4

–HR

E2+I3

A1

I1+I4

I2

E

Theorie lokaler Modi

I2

I4

>

I3

I1

I2

∆υ

E0 J0

HA ≈ –HG≈ HL≈ –HE≈ 0

Abbildung 2. Torsionsaufspaltungsmuster des JK= J0-Rotationsniveausf)r (CH3)3GeCl unter Verwendung des mehrdimensionalen Torsionsro-tations-Tunnelformalismus. Ber)cksichtigt wurden sowohl die interneRotation einer Methylgruppe (HR) als auch Tunnelpfade, die die kon-zertierte Bewegung von zwei Methylgruppen (HA, HG) beschreiben.Beitr%ge von Tunnelpfaden, die konzertierte Rotationen von drei Me-thylgruppen beschreiben (HE, HL), sind vernachl%ssigbar und dahernicht gezeigt. Diese Torsionsrotationsniveaus, bezeichnet mit E2, I3, I4,I1, I2 und A1, sind in der Mitte der Abbildung gezeigt. Im linken Teil derAbbildung ist eine Beschreibung derselben Energieniveaus mithilfe derTheorie lokaler Modi gegeben. Die theoretisch vorhergesagte relativeAnordnung der Energieniveaus wird mit dem gemessenen Aufspal-tungsmuster des 2 !1-Mbergangs (K=0, F’ !F=7 !5=5 !3) im Ro-tationsspektrum[21] auf der rechten Seite der Abbildung verglichen.

Zuschriften

3546 www.angewandte.de � 2006 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2006, 118, 3544 –3549

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(CH3)3SiCl vor allem einer Ver�nderung in der sterischenSituation zugeschrieben werden.

Mit 2.1 kJmol�1 ist die berechnete Torsionsbarriere f�r(CH3)3SnCl vergleichsweise niedrig (Tabelle 1), sodass großeTorsionsaufspaltungen und immense Verschiebungen derRotations�bergangsfrequenzen die Folge sind (Abbildung 3).

Des Weiteren ist das Aufspaltungsmuster weitaus kompli-zierter als bei den leichteren Analoga der Verbindungsreihe.Um die Zuordnung der Torsionsrotations�berg�nge zu er-m�glichen, wurden Messungen des Stark-Effekts ausge-f�hrt[19] (hierbei lassen sich die Torsionsrotations�berg�ngeanhand ihres Stark-Effekts (linear oder quadratisch) unter-scheiden; siehe Lit. [15]). Bei den niedrigen Torsionsbarrie-ren der Zinnverbindung m�ssen alle f�nf Tunnelpfade auf derZeitskala des Experiments als durchf�hrbar („feasible“) an-genommen werden. In Abbildung 3 sind die theoretischenErgebnisse gemeinsam mit dem gemessenen J+ 1 !J= 1 !0-Pbergang (K= 0) von 3225–3380 MHz gezeigt. Die Torsi-onsaufspaltungen erstrecken sich �ber 155 MHz, sodasszahlreiche Pberlappungen auftreten, wobei die Pberg�ngezus�tzlich durch Chlor-Quadrupolkopplung aufgespalten sind(F’ !F= 3 !3, 5 !3, 1 !1 mit Aufspaltungen in der Gr�-ßenordnung von ca. 20 MHz f�r den J+ 1 !J= 1 !0-Pber-gang). Außerdem werden die Spektren von sieben Zinniso-topologen in nat�rlichen H�ufigkeiten beobachtet: 124Sn

(5.98% nat�rliche relative H�ufigkeit), 122Sn (4.71%), 120Sn(32.97%), 119Sn (8.58%), 118Sn (24.01%), 117Sn (7.57%), 116Sn(14.24%).[15]

Die Beitr�ge von HL und HE (Tunnelpfade, die die kon-zertierte interne Rotation von drei Methylgruppen beschrei-ben) sind in der Gr�ßenordnung von einigen hundert kHz(siehe Hintergrundinformationen) und sind somit wichtig, umdie gemessenen Pbergangsfrequenzen mit experimentellerGenauigkeit (1–4 kHz) zu reproduzieren. HR, HA und HG

haben f�r (CH3)3SnCl Beitr�ge �hnlicher Gr�ßenordnung,sodass, verglichen mit (CH3)3SiCl und (CH3)3GeCl, großeVer�nderungen in der relativen Anordnung der Torsions-energieniveaus f�r (CH3)3SnCl auftreten. Dieses gilt ganzbesonders f�r die Frequenz des E2

!E2-Pbergangs, der vomhochfrequenten Ende f�r (CH3)3SiCl zum niederfrequentenEnde f�r (CH3)3SnCl verschoben ist. Generell erscheint dasgesamte Aufspaltungsmuster der Torsionsrotations�berg�ngevon (CH3)3SnCl deutlich verschieden zu denen von(CH3)3SiCl und (CH3)3GeCl.

Basierend auf den durch PI-Gruppentheorie gest�tztenZuordnungen k�nnen aus den Torsionsaufspaltungsmusternder Rotationsspektren die Torsionsbarrieren mit dem An-passungsprogramm XIAM[20] bestimmt werden, das mithilfeder Methode interner Achsen („internal axis method“)Wechselwirkungen zwischen intern rotierenden Gruppenber�cksichtigt (siehe Lit. [20]). Die Ergebnisse sind in Ta-belle 2 zusammen mit den Chlor-Quadrupolkopplungskon-stanten eQq(35Cl) und abgeleiteten Bindungsparametern zu-sammengefasst. Eine vollst�ndige Analyse der Rotations-spektren von (CH3)3GeCl und (CH3)3SnCl ist in Lit. [15,21]gegeben. In zufriedenstellender Pbereinstimmung mit denRechnungen (Tabelle 1) nehmen die experimentell be-stimmten dreiz�hligen Hinderungspotentiale V3 von6.91(1) kJmol�1 f�r (CH3)3SiCl auf 4.449(5) kJmol�1 f�r(CH3)3GeCl und schließlich auf 1.774(6) kJmol�1 f�r(CH3)3SnCl ab. Da sterische Hinderung in (CH3)3SnCl nureine untergeordnete Rolle spielen sollte, kann angenommenwerden, dass die interne Rotationsbarriere in (CH3)3SnClhaupts�chlich von den Eigenschaften der Sn-C-Bindungenabh�ngt.

Gleichwohl die direkte Verbindung zwischen Bindungs-parametern und internen Rotationsbarrieren bisher nochnicht vollst�ndig verstanden ist, k�nnen wir das Townes-Dailey-Modell[22] verwenden, um die relativen ionischen undkovalenten Anteile der Cl-X(CH3)3-Bindungen (X=C, Si,Ge, Sn) sowie (mit dem Gordy-Ansatz)[23] der H3C-X(CH3)2Cl-Bindungen aus den eQq(35Cl)-Werten abzusch�t-zen. Hierzu m�ssen die Elektronegativit�ten (ENs) der Sub-stituentengruppen X(CH3)3 und X(CH3)2Cl (X=C, Si, Ge,Sn) aus den Elektronegativit�ten der Atome und ihren Par-tialladungen bestimmt werden.[24] Zu Vergleichszweckenhaben wir auch (CH3)3CCl miteinbezogen. Basierend aufdiesen Daten kann aus den Werten von eQq(35Cl) der Cl-X(CH3)3-Bindungscharakter abgesch�tzt werden (Tabelle 2).F�r die Reihe (CH3)3XCl (X= Si, Ge, Sn) ergibt sich eineZunahme der relativen ionischen Beitr�ge zur X-Cl-Bindung,die mit einer Abnahme der F�higkeit des Zentralatoms X, p-R�ckbindungen in seine leeren d-Orbitale zu vollziehen, ge-koppelt ist. Da diese F�higkeit mit zunehmender Gr�ße von

1←35←3

3←3

3225

MH

z33

80 M

Hz

A1

E2

I1I2

I4

I3

I2 +I1 (37Cl)I3

E2

E2A1

A1

I1

I4

Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 3

Theorie lokaler Modimehrdimensionaler Tunnelformalismus

J: 1 ← 0, K=0

A

AA

EAAE

EE EEE

EEAEAEAEE

EAAAEAAAE

AAA

E2+I3

A1

I1+I4

I2

E

I2

I1

I2

I3

I4E0 J0

A1 (37Cl)

–HR ≈ HA ≈ –HG > HE ≈ –HL

Abbildung 3. Torsionsaufspaltungsmuster des JK= J0-Rotationsniveausf)r (CH3)3SnCl unter Verwendung des mehrdimensionalen Torsionsro-tations-Tunnelformalismus einschließlich aller f)nf topologisch in%qui-valenter Tunnelpfade, die die interne Rotation von einer (HR), zwei(HG, HA) und drei Methylgruppen (HE, HL) ber)cksichtigen. Die Torsi-onsrotationsniveaus, bezeichnet mit E2, I3, I4, I1, I2 und A1, sind in derMitte der Abbildung gezeigt. Die Beitr%ge von HR, HA und HG haben%hnliche GrFßenordnungen und f)hren zu großen Aufspaltungen undVerschiebungen der Energieniveaus, was insbesondere f)r E2 deutlichwird. Die theoretisch vorhergesagte relative Anordnung der Energieni-veaus wird mit dem gemessenen Aufspaltungsmuster des 1 !0-Mber-gangs (K=0)[15] auf der rechten Seite der Abbildung verglichen. DieTorsions)berg%nge werden durch Chlor-Quadrupolkopplung(F’ !F=3 !3, 5 !3, 1 !1) und die Existenz von sieben Zinnisotopolo-gen weiter verkompliziert.

AngewandteChemie

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X abnimmt, weist die Sn-Cl-Bindung im (CH3)3Sn-Cl dengr�ßten ionischen Anteil in dieser Reihe auf. Bei (CH3)3C-Clsind p-R�ckbindungen nicht m�glich, sodass die C-Cl-Bin-dung erwartungsgem�ß von einem kovalenten s-Bindungs-anteil dominiert ist, w�hrend der ionische Charakter dieserBindung wegen der hohen Elektronegativit�t des Chlors ca.35% betr�gt.

Thnliche Pberlegungen k�nnen auch f�r die H3C-X(CH3)2Cl-Bindung angestellt werden. Die Elektronegativi-t�ten der X(CH3)2Cl-Gruppen sind wegen des elektronega-tiven Cl-Atoms etwas gr�ßer als f�r X(CH3)3, aber die all-gemeine Abfolge f�r X=C, Si, Ge, Sn bleibt erhalten. DesWeiteren sind p-R�ckbindungen bei keiner der H3C-X-Gruppen m�glich. Folglich sind die Eigenschaften der X-CH3-Bindungen von (CH3)3SiCl und (CH3)3GeCl praktischidentisch. Daraus kann nun geschlossen werden, dass derbeobachtete Unterschied in den Barrierenh�hen zwischen(CH3)3SiCl und (CH3)3GeCl haupts�chlich aus einer Verrin-gerung der sterischen Abstoßung im (CH3)3GeCl resultiert;der Einfluss einer Ver�nderung der H3C-X-Bindungseigen-schaften kann als klein angenommen werden. Im Unterschieddazu sind zur Beschreibung der internen Dynamik in(CH3)3SnCl beide Faktoren bedeutend: der gr�ßere Kova-lenzradius des Sn-Atoms, der im Vergleich zu Silicium undGermanium zu einer verringerten sterischen Abstoßungf�hrt, zusammen mit einer signifikanten Zunahme des ioni-schen Beitrags zur H3C-Sn-Bindung.

Fourier-Transformations-Mikrowellenspektroskopie(FTMW) in Kombination mit PI-Gruppentheorie und mehr-dimensionaler Tunneltheorie erm�glicht die Aufnahme undAnalyse von komplexer interner Dynamik. Wie wir gezeigthaben, ist die interne Dynamik der drei verwandtenMolek�le(CH3)3SiCl, (CH3)3GeCl und (CH3)3SnCl deutlich verschie-den und kann unter Verwendung von f�nf topologisch in-�quivalenten Tunnelpfaden verstanden und beschriebenwerden. Die beobachtete Torsionsaufspaltung in den Rotati-onsspektren spiegelt die drastischen Eigenschaftsver�nde-rungen ausgehend von Ge zu Sn als Zentralatom wider. Nichtnur die deutlich verringerte elektrostatische Abstoßung,

sondern auch eine ver�nderteBindungssituation f�r die Sn-C-Bindungen k�nnen als wichtigeBeitr�ge zur komplexen internenDynamik in (CH3)3SnCl identifi-ziert werden. Aus einer Analyseder Quadrupolkopplungskonstan-ten eQq konnten die Eigenschaftender Cl-X(CH3)3- und H3C-X(CH3)2Cl-Bindungen (X=C, Si,Ge, Sn) abgesch�tzt und f�r einverbessertes Verst�ndnis der un-terschiedlichen Barrierenh�hendieser Verbindungen verwendetwerden. Es ist interessant, dass dieAbnahme der Barrierenh�he V3

von (CH3)3GeCl zu (CH3)3SnClmit 2.6 kJmol�1 ungef�hr genausogroß ist wie f�r (CH3)3SiCl zu(CH3)3GeCl, obwohl die Abst�nde

zwischen Wasserstoffatomen, die an benachbarte Methyl-gruppen gebunden sind, im (CH3)3SnCl bereits groß genugsind, um eine elektronische Abstoßung der C-H-Bindungenzu minimieren. Dieses l�sst vermuten, dass die Torsionsbar-riere in (CH3)3SnCl gr�ßtenteils aus dem Sn-C-Bindungs-charakter herr�hrt.

Experimentelles(CH3)3GeCl und (CH3)3SnCl (Reinheiten 98% bzw. 97%) wurdenvon Sigma-Aldrich bezogen und ohne weitere Aufreinigung einge-setzt. Ein Argonfluss wurde aus einem (CH3)3GeCl-Fl�ssigkeitsre-servoir ges�ttigt, und die Gasmischung wurde mit einer gepulstenD�se durch Pberschallexpansion in den Mikrowellenresonator ge-leitet. Vom fl�chtigen Feststoff (CH3)3SnCl wurden 1-prozentigeGasmischungen mit Neon bei Stagnationsdr�cken zwischen 50 und100 kPa zur Aufnahme des Rotationsspektrums verwendet. F�r(CH3)3GeCl wurden die J+ 1 !J-Rotations�berg�nge mit J= 1,…,5am NIST mithilfe von zwei FTMW-Spektrometern mit gepulstemMolekularstrahl aufgenommen.[25–28] Mit Argon als Tr�gergas betr�gtdie Ungenauigkeit der Pbergangsfrequenzen ca. 4 kHz. Zur Messungdes J+ 1 !J= 1 !0-Rotations�berganges von (CH3)3GeCl sowie zurAufnahme des gesamten Rotationsspektrums von (CH3)3SnCl wurdedas breitbandige (2–26.5 GHz), hochaufl�sende FTMW-Spektrome-ter an der Universit�t Hannover eingesetzt.[10] Die Halbwertsbreiten(Aufl�sungsverm�gen) betrugen ca. 1 kHz (3 kHz) f�r Argon und1.5 kHz (5 kHz) f�r Neon als Tr�gergas.[10]

Eingegangen am 18. Januar 2006

.Stichw�rter: Kernquadrupolkopplung ·Mikrowellenspektroskopie · Molek)ldynamik ·Theoretische Chemie

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Tabelle 2: Hinderungspotential V3 und Chlor-Quadrupolkopplungskonstanten eQq(35Cl), erhalten ausden Torsionsrotationsspektren von (CH3)3SiCl, (CH3)3GeCl und (CH3)3SnCl mit XIAM;

[20] entsprechendeDaten f)r (CH3)3CCl

[29, 30] und abgeleitete Parameter[23–24] der X-Cl- und X-CH3-Bindungen (X=C, Si, Ge,Sn).

(CH3)3CCl (CH3)3SiCl (CH3)3GeCl (CH3)3SnCl

V3(exp.) [kJmol�1] – 6.91(1)[8] 4.449(5) 1.774(6)

eQq(35Cl) [MHz] �67.312(3)[30] �34.81134(83)[8] �40.0711(14) �35.776(81)

Cl-X(CH3)3-Bindung:EN von X(CH3)3 2.44 1.97 1.93 1.79ion. Beitrag 0.354 0.198 0.376 0.518s-Beitrag 0.646 0.485 0.465 0.395p-Beitrag 0[a] 0.317 0.159 0.087

H3C-X(CH3)2Cl-Bindung:EN von X(CH3)2Cl 2.53 1.97 1.96 1.83ion. Beitrag 0.095 0.185 0.190 0.255s-Beitrag 0.905 0.815 0.810 0.745p-Beitrag 0[a] 0[a] 0[a] 0[a]

[a] Parameter wurde konstant gehalten.

Zuschriften

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