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Frankfurt, 19.5.2015 Mehrsprachigkeit als Ziel und als Weg Prof. Dr. Rosemarie Tracy

Mehrsprachigkeit als Ziel und als Weg - esfparents.org · Spracherwerb: Systematik und Dynamik Mehrsprachigkeit = Mehrstimmigkeit Best Practice, Spielräume, Wünsche . Mein Hintergrund

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Frankfurt, 19.5.2015

Mehrsprachigkeit

als Ziel und als Weg

Prof. Dr. Rosemarie Tracy

AGENDA

Eulen nach Athen tragen? Wozu HIER ein Vortrag über

Mehrsprachigkeit?

Mehrsprachigkeit : Fakt und Fiktion, Störfall oder Glücksfall

Spracherwerb: Systematik und Dynamik

Mehrsprachigkeit = Mehrstimmigkeit

Best Practice, Spielräume, Wünsche

Mein Hintergrund

Grundlagenforschung: L1, 2L1, L2, L3

Sprachkontakt bei Emigranten in den USA

Sprachstandsdiagnostik bei Kindern

Testung professioneller Kompetenzen

Praxisprojekte, Evaluationsforschung

Fort-/Weiterbildung

Eulen nach Athen? Europ. Schulen: potentiell „starke“ bilinguale

Programme

Mehrsprachigkeit nicht nur Übergangslösung

Heterogenität auch als Bereicherung erkannt

Mitgedacht: Bi-/Multi-Literacy

Positive Einstellung gegenüber Mehrsprachigkeit (unabhängig vom Prestige der L1)

…gegenüber Kompetenzen, die Kinder schon mit in

die Kita/Schule bringen

Idealerweise Schulterschluss im Kollegium (weniger

Einzelkämpfermentalität)

mit den Eltern (Auseinandersetzung mit Ansprüchen und Sorgen)

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Planen, Sprechen, Interpretieren sind unsere ständigen Begleiter

gehören zu unseren komplexesten

Leistungen

sind einerseits ein Geschenk unserer

Gene

brauchen andererseits sehr spezifische

Erfahrung/Anregung

hängen eng mit unserem Selbstwertgefühl

zusammen

machen Spaß!

Mehrsprachigkeit

ist weltweit Normalfall, kein Störfall

Mehrsprachigkeit bedeutet nicht:

perfekt gedoppelten Wortschatz

völlig ausgewogene Sprachkompetenz

dass man beide/alle Sprachen gleich gerne

oder akzentfrei spricht

dass man seine Sprachen brav getrennt

verwendet

oder gegenüber Interferenz „immun“ ist

Mehrsprachigkeit bedeutet vielmehr

Zugang zu mehr als einem „symbolischen Markt“, Mehrwert an Repertoires, Wahlmöglichkeiten

Arbeitsteiligkeit (je nach Kontext, Thema, Zuhörer...)

Oftmals „Dominanz“ einer Sprache oder Präferenz

Sowohl „slow-down“-Effekte als auch Überlegenheit (metasprachliche Fähigkeiten, Bialystok 2009)

Konkurrenz und positive Herausforderung für’s Gehirn! (Bialystok et al. 2004, Genesee et al. 2004)

Mehrsprachigkeit von Anfang an:

der doppelte Erstspracherwerb (Müller et al 2007, Tracy & Gawlitzek 2000, Tracy 2008)

Kein Störfall! Normale Entwicklung (mindestens in dominanter Sprache, nicht unbedingt im Gleichschritt“)

Frühe Sprachentrennung, in Abhängigkeit vom Sprachpaar

Frühe partnergemäße Sprachwahl; Hypothesen bzgl. Sprachwahl der Umwelt

Gut dokumentiert: intensive Mischphasen

Kostprobe

2;3 Mama hat das fix it

2;4 Ich hab gemade you much better

2;4 Was für noise it makes?

2;6 Ich cover michself up

2;9 Kannst du move a bit?

3;0 Aber I want some more balloons

Grund zur Beunruhigung? Nein!

Asynchrone Entwicklung und Mixing Hannah 2;4-2;9

hier hab ich ein Stühle

ich binə ein Doktor

auf diese steig ich

papa doing

mama picking flowers

də standing there

Mixed

ich hab gemade you much better

mama hat das fix it

kannst du move a bit

sie haben gone away

Beispiele Deutsch-Italienisch

(aus Müller et al. 2007)

Ich hab gevisto la televisione

Kannst du mettere un pò di musica?

Weil ha aperto di fenestra

Noi abbiamo gewonnen

Selbstreparatur

Adam 5;4 (spielt einen Dinosaurier)

I found that but I … I see … see ... of

it’s ... if ... of... ob das schmeckt

Wissen hat seinen Preis!

Koaktivierung und Koproduktion

Frühe metasprachliche Kompetenz

Hannah 2;7 Ich hab ein Zug gebaut in

Kita.

Mutter: And did they say “clever

Hannah“?

Hannah: Nein, “brave Hannah“,

’cause it’s German.

Humor mehrsprachig (Ch. 6 years)

THANK YOU VERY MUCH !

THANK YOU VERY DRECK !

Engl. much GermanMatsch GermanDreck

FORM Bedeutung

Widersprüche, Doppelmoral

Europa: Dreisprachigkeit europäischer

BürgerInnen (Europäische Kommission 2008)

Geringschätzung der realen linguistischen

„Artenvielfalt“ in unseren Schulen

Linguistische Diversität als Wettbewerbsvorteil

auf internationalen Märkten

Infragestellung des Mehrwerts der Sprachen

von Zuwanderern

Internationalisierung unserer Unis, Toleranz

gegenüber ProfessorInnen, Studierenden aus

anderen Ländern

Bei Kindern werden unfaire Maßstäbe angelegt. „Er hat dreimal einen Satz mit ich angefangen.“

Nochmal im ganzen Satz!

Mehrsprachige Kinder werden an ungeeigneten

Normen gemessen, Kontaktzeit /Lerngelegenheit

werden nicht berücksichtigt.

Unrealistische Erwartungen/Forderungen an Eltern

Türkisch im Gymnasium ?

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… schadet das nicht dem Erwerb der

deutschen Sprache?

Mehrsprachigkeit

= Mehrstimmigkeit

Toni, 82 J., Deutschamerikanerin, 63 Jahre nach Emigration

Dann hat sei Frau zu mir g’sagt, why are you

leaving us now? Da sog i, because I would

like to laugh once in a while, und dann hats’

g’sagt, well I’m here too an’ ich leb noch, hots’

g’moant. Na hab ich g’sagt, well, gee …

LK: Well, i bin vierundfünfzig rüberkomme. I war enttäuscht.

TG: War(n) mer alle.

EL: Ihr seid sechsundfünfzig rüber?

AS: Sechsundfuffzig.

TG: Und Sie, mir sechsunddreißig, im Februar, am sechzehnten Februar

hat das Schiff gelandet, und da war äh o║ beim Pier unten, ne? Bei

Pier forty-six or what it was, the German Lloyd, (Nord) German Lloyd,

da auf der Straße, der garbage, die die potato peels, alles war angefrorn.

Und äh you know under the äh the elevator║

AS: Kommend von München damals, des war der Dreck des, sowas hast

noch nie gesehn.

TG: Ja! Und denn, when we got on the subway, die subway hat uns aa net

g’falln, you know, from Manhattan to go ║ but then when we got out in

in the Bronx, it was nice, there were trees, and later on we lived up on

Bronx Park, across the street from the park. 19

Ständige Einsatzbereitschaft:

Konkurrenz, Kooperation, Konvergenz

(Wandel „in flagranti“)

1. Für heaven’s Willen !

2. I was hoffing äh hoffing äh hoping …

3. All of a sudden geht mir ein Licht auf.

4. Der fühlt nicht gut. / Wenn ich klein war.

Wie früh können Bilinguale so etwas? Hannah (2;9) beim Rollenspiel

I’m trying again, oh geht’s nicht, now try

again, oh geht auch nicht, I’ve to put his

arms down,... and Mama is going to drive.

Mami Mami can now drive, it’s not very

hard, warum ist das nicht da? Oh I’m

trying it all again, oh I can’t do it, uh uh I

can’t do it.

Früher Zweitspracherwerb

wie L2 Deutsch bei Erwachsenen ?

wie L1 Deutsch bei SSES ?

wie L1 Deutsch !!! … für regelgeleitete Kernbereiche

Rothweiler 2007, Thoma & Tracy 2006, Schulz & Tracy 2011

Mehrsprachigkeit = kein Risiko

Wo also liegen die Störfälle ?

Wissenslücken unserer Wissensgesellschaft

Erwerbsbedingungen

Spracherwerb funktioniert nicht telepathisch!

Literatur

Tracy, R. (2008). Wie Kinder Sprachen

lernen. Und wie wir sie dabei unterstützen

können. Tübingen: Francke.

Krifka M. et al. (2014) (eds.)

Das mehrsprachige Klassenzimmer.

Berlin: Springer.

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