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Mein Freund, der Tod

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Nr. 2015

Mein Freund, der Tod

Gefangen im Kristallimperium - ersoll Terra verraten

von Hubert Haensel

Auf der Erde und den Tausenden von Planeten in der Milchstraße schreibt mandas Jahr 1303 Neuer Galaktischer Zeltrechnung - das entspricht dem Jahr 4890 alterZeit. In den letzten Jahren haben die Spannungen zugenommen, vor allem durchdas aggressiv auftretende Kristallimperium.

Einige zehntausend Kampfraumschiffe besetzten das kleine Sternenreich der Top-sider und gliederten es ins Imperium ein. Dabei wurde Reginald Bull, Perry RhodansWeggefährte seit den Tagen der Dritten Macht, gefangengenommen. Als eine starkearkonidische Raumflotte allerdings Olymp angreifen wollte, wurde sie zum Opfer derneuesten Geheimwaffe der Terraner: Die Aagenfelt-Barriere half, den Arkoniden einevernichtende Niederlage beizufügen.

Perry Rhodan weiß, daß er gegen das Machtstreben der Arkoniden etwas unter-nehmen muß.

Allerdings wird zur selben Zeit die mysteriöse Geistesmacht Morkhero SeelenquellIn der Galaxis aktiv, über deren Absichten man bislang noch nichts weiß. Auf demmit psionischen Teilchen aufgeladenen Planeten Morbienne III kommt es zur direktenKonfrontation zwischen den Menschen und Morkhero.

Zur selben Zelt nimmt die Neue USO unter dem Kommando des Oxtorners Mon-key verstärkt den Untergrundkampf gegen das Kristallimperium auf. USO-Spezialisten finden heraus, wo Reginald Bull gefangengehalten wird, und starten ei-ne Aktion, die den Residenz-Minister befreien soll. Bully kämpft währenddessen aufArkon ums geistige und körperliche Überleben.

Er wartet auf das Ende - und er nennt es MEIN FREUND, DER TOD …

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Die Hautpersonen des Romans:Reginald Bull - Der Terraner ringt im Hochsicherheitsgefängnis mit dem TodMonkey - Der Oxtorner startet mit der Neuen USO ein heikles KommandounternehmenRoi Danton - Perry Rhodans Sohn will seinen »Onkel« befreienEndra da Kimbarley - Die Chefin des Golkana-Gefängnisses wird von einer Attacke überraschtYomanril - Der Verhörspezialist will Bully wichtige Geheimnisse entreißen

1.

»Verfluchter Terraner!« Haßerfüllt stießEndra da Kimbarley die Worte hervor.

Wahrscheinlich sah sie erbärmlich aus,mit dunkel geränderten Augen und stieremBlick. Sie hatte in der letzten Nacht nichtgeschlafen und zu allem Überfluß versucht,ihren Haß auf die Welt in einem Übermaßan Alkohol zu ertränken. Der Alpdruck wardanach nur schlimmer geworden.

Sie vermißte Arbtan, den Harshan-Magnopardh, ihre Raubkatze, deren ge-krümmte Fangzahne wie blitzende Dolchegewesen waren. Geblieben waren ein Blut-bad in ihrer Suite und der metallisch ekeler-regende Gestank des Kadavers, der ihre Ma-gennerven rebellieren ließ.

Selten zuvor hatte sie einen Mann so sehrgeliebt wie Akellm und nie war ihr Sturz sotief gewesen.

Alles nur Lüge. Akellm hatte sie ausge-nutzt, um an den Terraner heranzukommen.Er hatte sie sogar im Tod belogen: Nicht erwar am Ziel des Karaketta-Rennens tödlichverunglückt, sondern ein anderer - das wuß-te sie inzwischen -, während Akellm in ihreSuite über dem Golkana-Gefängnis einge-drungen war, vermutlich um den Terraner zubefreien. Das hatte er allerdings nicht ge-schafft.

Reginald Bull. Der Name hatte sie bis vorwenigen Tagen kaum interessiert. Er war einGefangener, mehr nicht. Residenz-Ministerfür Liga-Verteidigung. Ein Geheimnisträger.

Endra da Kimbarleys hellrote Augenglühten, als sie sich mit zitternden Händenin den Überwachungskreislauf des Gefäng-nisses einschaltete. Augenblicke später hattesie den Terraner in seiner Zelle auf dem

Schirm.Ihm lastete sie die Verantwortung für al-

les an. Auf ihn projizierte sie ihren Haß unddie Enttäuschung wie ein Brennglas Sonnen-strahlen auf ein Stückchen Folie. Und wiedie Folie würde der Terraner sich krümmenund verdorren, bevor sein Leben das ver-diente Ende fand.

… sekundenlang schloß ich die Augenund konzentrierte mich auf die dezente Hin-tergrundmusik, die eine Saite in meinem In-nern mitschwingen ließ. »Five hundred mi-les away from home«. Nur noch wenige Ta-ge vor dem Start zur ersten Mondlandung,hätte ich Bobby Bares sonorer Stimme end-los lauschen können.

Sehnsucht und Abenteuerlust hieltenmich im Griff. Gedankenverloren hatte ichmeinen Kognakschwenker mit beiden Hän-den bewegt, nun kippte ich den spanischenBrandy und ignorierte, daß die Freundemich amüsiert musterten. Sollten sie ruhiglästern, auch ihre Nerven waren zum Zerrei-ßen angespannt.

»Einmal Mond und zurück«, sagte ichsehnsuchtsvoll und fügte nach einer kurzenPause hinzu: »Die Sterne werden uns gehö-ren!«

Die Musik endete in einem schrillen Kre-scendo. Stille folgte. Eine unheimliche,atemraubende Ruhe.

Nur mein eigenes hastiges, rasselndes At-men war zu vernehmen.

Filmriß! Die Zeit schien stillzustehen. Ichstarrte über den Tisch hinweg auf die leerenPlätze, auf denen vor Sekunden meineFreunde gesessen hatten, Astronauten derU.S. Space Force wie ich, ausgebildet, denMond zu erobern.

Sie waren verschwunden, als hätten sienie existiert. Nur ihre halb geleerten Gläser

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standen noch da.Daneben lag das Foto, das Clark G. Flip-

per und seine Frau auf den Bahamas zeigte.In den höchsten Tönen hatte Flipp von denFlitterwochen geschwärmt, von der himmli-schen Ruhe unter Palmen, dem sanften Mee-resrauschen und dem warmen Wind …

Das durfte nicht vorbei sein - niemals!Vielleicht, wenn ich die Augen schloß, sieso fest zudrückte, daß es fast schon schmerz-te …

Stimmen … das Lachen einer Frau imHintergrund an der Bar … und die Musik-box plärrte los, dröhnte Bill Haleys »Rockaround the dock« in nahezu unerträglicherLautstärke. Perry Rhodan bedachte mich miteinem forschenden Blick, und Flipper be-gann schallend zu lachen. Ich war verärgert,als ich wiederholte: »Die Sterne werden unsgehören! Wir müssen nur daran glauben!«

Unter meiner Schädeldecke dröhnte undhämmerte es rhythmisch. Die laute Musik,dazu das heisere Summen des Ventilators,der Küchendüfte und kalten, abgestandenenZigarrenrauch verwirbelte und mir ins Ge-sicht blies; die Freunde, die sich vorbeugtenund hastig auf mich einredeten, als wärekeine Zeit mehr zu verlieren. Ihre Stimmenwurden dumpf und unverständlich, und ihreGesichter verzerrten sich zu Karikaturen,als hätte ich nach durchzechter Nacht mitzitternder Hand versucht, sie aus dem Ge-dächtnis zu skizzieren - das alles verwischtezu einem Wirbel der Empfindungen, einemSog, der mich mitzureißen drohte.

Heiß stieg es in meinem Magen auf, er-reichte die Speiseröhre, quoll pulsierend hö-her …

Einatmen! Die Luft anhalten! Vergeblichstemmte ich mich gegen das würgende Ge-fühl und den bitteren Geschmack, der mirTränen in die Augen trieb. Das alles erschi-en wie ein böser Traum.

Meine Rechte verkrampfte sich um denKognakschwenker, die Finger krallten sichin das Glas, das knirschend zerbrach. Split-ter stachen in die Handfläche und die Fin-gerkuppen. Das lärmende Dröhnen über-

schlug sich, vermischt mit dem Pochen desPulsschlags in meinen Schläfen.

Abrupt herrschte Stille. Eine wohltuendeOase nahezu völliger Lautlosigkeit, irgend-wo, auf jeden Fall nicht mehr im »WhiteHorse House«, in dem wir Mondfahrer eini-ge unserer letzten Abende verbracht hatten.Die Anspannung fiel von mir ab. Ich fühlte,wie sich die verkrampften Muskeln zu lösenbegannen.

Immer noch würgte mich der Geschmackvon Galle. Ein Rinnsal tropfte aus demMundwinkel übers Kinn. Ich wollte es igno-rieren, mich von dem kühlen Untergrundhochstemmen, auf dem ich halb zusammen-gekauert lag, aber ich schaffte nicht mehr,als mich schwerfällig auf den Rücken zuwälzen.

Jeder Quadratzentimeter meines Körpersschmerzte; lediglich eine kleine Stelle unterdem linken Schulterblatt schien davon aus-genommen zu sein.

Die wirren Gedanken nährten Zweifel.Mein Gott, so besoffen konnte ich am vori-gen Abend gar nicht gewesen sein, denn ichentsann mich düster, was ich getrunken hat-te: zwei Brandy, eine Cola.und einen Tequi-la-Sunrise mit dem Versuch, die verhei-ßungsvoll lächelnde Bedienung näher anmich heranzuziehen.

Gestern …?Ich starrte hinauf zu der stählernen Decke,

die massig und bedrohlich über mir hing, sohoch, daß ich sie selbst mit ausgestrecktenArmen nie würde berühren können.

Gestern - das lag so verdammt weit zu-rück, daß es mir fast schon wie aus einemanderen Leben erschien, einem besseren Le-ben auf jeden Fall.

Andere Erinnerungsfetzen flammten vormeinem inneren Auge auf wie Blitze in fin-sterer Nacht.

Dabei wollte ich diese Szenen nicht se-hen. Mit aller Kraft sträubte ich mich dage-gen, müde, erschöpft und innerlich bebend.

Die Bilder waren hartnäckiger. Quälendlangsam stiegen sie aus dem Unterbewußt-sein empor und erinnerten mich daran, daß

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es eine andere Zeit gegeben hatte …Echsenaugen fixierten mich. Xerkran-

Par, Goubeneur von Topsid, verzog die ver-hornten Lippen seiner weit vorspringendenMundpartie zu einer herausfordernden Ge-ste.

»Deine Delegation, Reginald Bull, magaus Vertretern der terranischen Hochfinanzbestehen, aber das Angebot, das du Topsidunterbreitest, ist lächerlich. Ich muß nichtdaran erinnern, daß unsere vierundzwanzigWelten von der gewaltigen Liga Freier Ter-raner umschlossen sind. Gewisse Aus-gleichszahlungen …«

Völlig überraschend war die 17. Imperi-umsflotte von Arkon über Topsid hereinge-brochen.

Raumsoldaten und Kampfroboter überall… unser vergeblicher Fluchtversuch …dann meine Verhaftung; Trennung von denanderen Mitgliedern der Wirtschaftsdelega-tion; Transport nach Arkon I …

Seither fand ich keine Ruhe. Alles hattendie Arkoniden mir abgenommen. Ohne diehilfreichen technischen Spielereien fühlteich mich wie nackt. Daß ich einmal meinChronometer vermissen würde, hätte ich niefür möglich gehalten. Nicht nur Außenste-hende hätten es gerne gewußt, auch ichselbst fragte mich hin und wieder, was füreinen potentiell Unsterblichen Zeit wirklichbedeutete.

Fröstelnd wälzte ich mich auf die Seiteund stemmte mich auf dem Unterarm hoch,verharrte schwer atmend eine Weile auf denKnien, bevor ich schwankend zu der Prit-sche mit dem dünnen Bettzeug hinübertau-melte. Wieso ich nicht dort, sondern aufdem kalten, rauhen Boden die Nacht ver-bracht hatte, ich wußte es nicht. Nur vageentsann ich mich an das letzte Verhör, an dieSchmerzen und den Zynismus der Arkoni-den.

Was ich als Nacht definierte, war die un-regelmäßige Spanne zwischen erschöpftemEinschlafen und qualvollem Aufwachen.Dazwischen tobten Alpträume.

Ächzend kippte ich vornüber auf die Prit-

sche. Eine bleierne Müdigkeit steckte mir inden Gliedern.

Selbst der Aktivator schaffte es nichtmehr, das Schlafdefizit und andere Mangel-erscheinungen auszugleichen.

Meine Tage erschöpften sich in endlosenVerhören. Ohne die Aussicht, daß es irgend-wann besser werden würde. Die Gesichterder Fragesteller wechselten, nur meinSchweigen blieb. Hartnäckig.

Erhaben und stolz.Obwohl ich ruhig und gleichmäßig zu at-

men versuchte, rebellierte mein Magen. Ichwürgte, spuckte einen winzigen Rest vonGalle und verkrallte die Finger im Bettzeug.Meine rechte Hand blutete. Hatte ich wirk-lich versucht, mir das Leben zu nehmen, wiees mir jäh durch den Sinn schoß?

Aber das war Unsinn, verrückt. So etwaswürde ich nie tun.

Stöhnend vergrub ich das Gesicht in derDecke und versuchte krampfhaft, die ver-schütteten Gedanken auszugraben.

Waren da nicht Schritte? Ich lauschte.Nichts außer meinen eigenen krampfhaftenAtemzügen war zu hören. Und bei jedemAusatmen ein gequältes Husten. Ich sollteversuchen, wenigstens eine oder zwei Stun-den lang halbwegs ruhig zu schlafen, dennbald würden die Wärter wieder erscheinenund mich zum nächsten Verhör abholen.

Chancen, irgendwann diesem Gefängniszu entfliehen, sah ich nicht. Am wahrschein-lichsten erschien mir, daß man mich einesTages in einer Kiste hinaustragen würde.Die Arkoniden erwarteten Staatsgeheimnis-se von mir, doch selbst wenn ich alles ver-riet, was sie hören wollten, würden ihre Fra-gen nie enden.

Darauf hoffen, daß sie mich eines Tagesals großzügige Geste der Versöhnungfreiließen? Das würden niemals geschehen.

Mein eigenes stockendes Kichern über-raschte mich. Bully als Graf von MonteChristo. Das war Galgenhumor, aber immer-hin. Hundert Jahre in diesem lausigen Ver-lies. Zweihundert Jahre? Ich konnte warten,ganz im Gegensatz zu meinen Wärtern, an

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denen der Zahn der Zeit fraß. Alle würde ichüberleben.

Mein Kichern wurde zum heiseren La-chen. Das war ein Witz, der mir gefiel. Ichlachte, bis ich krampfhaft nach Luft rang.

Wieder hallten Schritte. Die Zellenwandöffnete sic h. Vier Kampfroboter stampftenherein, archaische, zweieinhalb Meter großeund tonnenschwere Kolosse. Ihre rot, gelbund grün funkelnden Sehzellen fixiertenmich.

Die Belustigung verflog. Dennoch ver-suchte ich ein Grinsen, als ich mich halbaufrichtete und mich bemühte, den Blick aufden beiden Offizieren zu halten, die nachden Kampfrobotern eintraten.

Meine Kehle war ausgedörrt. Es fiel mirschwer, das bißchen Speichel zu schlucken,das sich im Mund gesammelt hatte. Aber an-ders konnte ich meiner Stimme keinen eini-germaßen festen Klang geben.

»Endlich eine Ehreneskorte, wie es sichgeziemt, Mivado«, stieß ich hervor.

Beide Männer waren Adlige. Entspre-chend fiel meine Beleidigung aus. DerMivado-Ring war eine arkonidische Verbre-cherorganisation: Mord, Erpressung undRauschgifthandel unter dem Deckmantel so-lider Geschäftstätigkeit.

Der stämmigere Offizier kam schnaubendauf mich zu und zerrte den Elektrostockvom Gürtel.

Lediglich ein scharfer Befehl hielt ihn da-von ab, auf mich einzuschlagen. »Er ist nurein Terraner!«

»Was ist das?« Wütend zerrte der Kom-mandierende mich hoch und hielt mir mitder anderen Hand ein gerade mal fünfzehnZentimeter langes Stück Metall vors Ge-sicht. Getrocknetes Blut bedeckte die Ober-fläche.

»Ich weiß nicht.«Die Hand packte fester zu. »Es fällt dir

wieder ein, Terraner. Ganz bestimmt. Alleswird dir wieder einfallen.« So nahe war seinGesicht vor meinem, daß ich seinen heißenAtem spürte.

Im nächsten Moment stieß er mich nach

vorne. So schnell, daß ich nicht Schritt hal-ten konnte. Ich stolperte, versuchte vergeb-lich, den Sturz abzufangen, und fiel schwervor die Kampfroboter. Eine unnachgiebigeGreifklaue schloß sich um meinen Oberarmund riß mich hoch.

»Den Dolch behalte ich!« rief der Mann.»Muß viel Arbeit gekostet haben.«

O ja, es war ein Dolch. Ich entsann mich.Ich hatte ein Teil des Eßbestecks zurechtge-bogen und mir beim Versuch, eine Spitzeeinzuschleifen, die Hand zerschnitten. Aberich würde es wieder versuchen.

Sooft ich Gelegenheit dazu erhielt. Ir-gendwann mußte ich mir den Weg freikämp-fen.

Es war wie immer: mit Nachdruck gestell-te ewig gleiche Fragen. Ich schwieg und bißmir lieber die Lippen blutig, als irgendwel-che militärischen Geheimnisse preiszuge-ben.

Schwärze ringsum. Und ein seltsamerHall, der vermuten ließ, daß dies eine größe-re Halle war. Wo ich mich befand, wußte ichnicht, nicht einmal, ob sich Zuschauergaleri-en ringsum erhoben und einige hundert Au-genpaare just in diesem Moment auf michgerichtet waren. Oder saß ich in einer ArtArena, nur durch Energiefelder von einerHorde Raubtiere getrennt? Alles war mög-lich, und das war das Schlimme daran. Ichzählte die Sekunden, ertappte mich, daß ichZahlen vergaß, und begann von neuem. DieSchwärze barg tausend Fratzen, und alle ent-sprangen nur meiner eigenen Vorstellungs-kraft. Je länger ein Verhör dauerte, destoschrecklicher wurden die Kreaturen des ei-genen Ich, vor denen nicht einmal die Men-talstabilisierung schützte. Der winzige ope-rative Eingriff im Hirnrindenbereich hattemich schon vor langer Zeit unempfindlichgegen paramentale Beeinflussung gemacht.Deshalb kamen die Arkoniden weder mitHypnostrahlern noch mit Drogen an meinWissen heran.

Aus weit aufgerissenen Augen starrte ichin die Finsternis, wartete auf die strobosko-partigen Blitze, die sich tief in meine Seh-

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nerven einbrannten. Dies war eine subtileMethode, Gefangene zum Reden zu bewe-gen. Anfangs hatte ich versucht, die Augenzu schließen, aber jedesmal rasten Elektro-schocks bis zur Grenze des Erträglichendurch meinen Körper. Deshalb hielt ich dieLider über lange Zeit krampfhaft weit aufge-rissen.

Die tobende Helligkeit ließ auf sich war-ten. Erst lief es mir eisig den Rücken hinun-ter, dann brach mir der Schweiß aus allenPoren. Ich atmete hastiger, begann zu keu-chen. Nicht die Augen schließen, auch wennder Schweiß wie Feuer brannte. Weiter alszuvor riß ich die Lider auf und wußte zu-gleich, daß meine Peiniger genau das errei-chen wollten.

Bebend wartete ich auf den nächsten quä-lenden Blitz, auf die nächste Frage, derenLautstärke mein Trommelfell zu zerreißendrohte. Mein angespanntes Warten hatte fastschon Ähnlichkeit mit Entzugserscheinun-gen.

Wieviel Zeit war vergangen? Nur Sekun-den oder schon Minuten? Ich schaffte esnicht, mich darauf zu konzentrieren. Aberwieso wartete ich auf etwas, das ich nie wie-der erleben wollte?

Sie sind dir überlegen, Bully. Entsetztschob ich den Gedanken von mir. Sie sindgewiefte Psychotaktiker. Aber du mußt dieHerausforderung annehmen. Schließlichhast du dich nie vor irgend etwas gedrückt.

Ein lauter werdendes Gurgeln dringt inmein Bewußtsein vor. Ich kann es nicht ein-ordnen und beginne erst allmählich zu be-greifen, daß ich selbst dieses Gurgeln aus-stoße.

Mein Oberkörper pendelt. Ich bekommedie Muskeln nicht mehr unter Kontrolle,versuche krampfhaft, die Augen offenzuhal-ten.

Diesmal haben die Arkoniden Probleme.Ihre Technik versagt. Andernfalls hätten sielängst wieder mit der Befragung begonnen.Ich würde gerne laut und spöttisch lachen,aber nur ein heiseres Husten dringt übermeine Lippen.

Ich muß mich ablenken. Nicht daran den-ken, was hier geschieht. Das alles betrifftmich nicht, es ist nicht Wirklichkeit, ein bö-ser Traum wie vieles in letzter Zeit.

Name?Ich bin Reginald Bull.Geboren?Ja.Ich möchte mich ausschütten vor Lachen,

möchte Imperator Bostichs dummes Gesichtsehen, wenn ich so antworte. Soll er ruhigversuchen, den Willen eines Terraners zubrechen; er wird auf Granit beißen.

Nicht die Augen schließen! Sie wartennur darauf.

Die Sterne werden uns gehören! Uns, denTerranern. - Wir sind stark genug, uns allenentgegenzustellen, die glauben, ihre Herr-schaft mit Gewalt ausdehnen zu müssen. Un-sere Schiffe sind schlagkräftig, und die Fort-schritte auf dem Gebiet der Hyperraum-Blockade …

Nein! Nicht in diese Richtung denken!Beschränke dich aufs Zählen, das ist unver-fänglich.

Aus der Schwärze tauchen Raumschiffeauf. Kugelförmig, aber mit Ringwulst unddie obere Halbkugel mit Aufbauten übersät,fastpilzförmig. Achthundert Meter durch-messen die Schiffe der hochmodernenWÄCHTER-Klasse.

Ich muß mich ablenken, am besten zuzählen beginnen, sonst gerate ich aufsfalsche Gleis. Auch wenn kein Arkonidemeine Gedanken lesen kann, ich muß wegvon den WÄCHTER-Raumern. Eins.

Blockadegeschwader l ist im Solsystemstationiert.

Zwei.Ebenfalls Solsystem. Jedes Geschwader

verfügt über insgesamt …Meine Gedanken verselbständigen sich,

ich kann sie nicht im Zaum halten. Aber dasist nur der Anfang.

Bald werde ich reden - ich weiß es, fühlees mit jeder Faser meines geschundenenKörpers.

Ich habe nicht einmal die Chance auf

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einen dauerhaften Zusammenbruch und dar-auf, daß die Arkoniden mich erst wieder ge-sund pflegen müssen; ich verwünsche denAktivator, der meinen Stoffwechsel wenig-stens auf Sparflamme erhält.

Warum überspringe ich nicht einfach ei-nige Zahlen und fange neu an? Zwanzigklingt gut.

Einundzwanzig.Auch das ist der Ziffernkode für Blocka-

deeinheiten. Sie gelten für Ertrus, aber ihreWirkung ist noch unvollst …

Ich fühle mich in einem Teufelskreis ge-fangen und schließe die Augen. Ein wahn-witziger Schmerz durchzuckt mich. Glühendzieht sich jede einzelne Nervenfaser durchden Körper, doch ich bleibe bei Bewußtsein.Wobei ich nichts mehr herbeisehne als einewohltuende Ohnmacht.

»So kriegt ihr mich nicht, ihr Wahnsinni-gen!« Daß ich den Satz laut hervorstoße,fällt mir erst auf, als die Schockwellen abeb-ben.

»Name?« dröhnt eine Stimme durch dieHalle.

»Archibald«, keuche ich. »Archibald Hin-terhuber.«

Sengende Helligkeit frißt sich unter meineSchädeldecke, und mit ihr explodiert dasUniversum.

2.

Das Prickeln einer Injektion holte mich indie Wirklichkeit zurück. Energetische Fes-selfelder verurteilten mich zur Bewegungs-losigkeit. Nur aus den Augenwinkeln herausregistrierte ich den Medorobot.

Noch etwas anderes erregte meine Auf-merksamkeit: eine verschwommene Linsefahler Helligkeit.

Sanft schwebte sie in die Höhe, glitt zurSeite, kam näher. Aus dem Zwielicht herausverdichteten sich die Umrisse zweier Perso-nen, möglicherweise ein Mann und eineFrau.

Mühsam blinzelnd versuchte ich mehr zuerkennen, aber immer noch explodierten

grelle Sterne vor meinen Augen, spürte ichjeden Lidschlag als Nadelstich hinter derStirn. Die Lider selbst kratzten wie Sandpa-pier über die Augäpfel.

Die Arkoniden waren einmal gute Freun-de in der galaktischen Völkerfamilie gewe-sen. Die Lemurer waren unsere gemeinsa-men Vorfahren, deren Sternenreich vor mehrals fünfzigtausend Jahren unter dem An-sturm der Haluter zerbrochen war. Sollte esunter diesen Voraussetzungen nicht möglichsein, einander wenigstens zu achten, anstattmit Waffengewalt Leid über beide Völker zubringen?

»Der größte Feind des Menschen ist derMensch selbst«, murmelte ich die Worte, dieAtlan vor sehr langer Zeit gesagt hatte undderen bitterer Sinn mit jedem Tag deutlicherwurde.

»Wiederhole das.« Die Stimme erinnertemich an die fahl leuchtende Sphäre und diebeiden Arkoniden.

»Ich sagte, es ist falsch, wenn unsere Völ-ker miteinander Krieg führen.« Seltsam, wieleicht mir das nach allen Geschehnissen überdie Lippen kam.

»Es liegt an dir, den Krieg zu verhin-dern«, sagte die Frau schneidend scharf.

Die Fesselfelder bannten mich an denPlatz, ich konnte nicht einmal den Kopfrecken, um wenigstens das Gefühl zu haben,sie deutlicher zu sehen. Hastig blinzelnd ge-wann ich den Eindruck einer schlanken,hochgewachsenen Frau, die ihr langes weiß-blondes Haar zu einer bizarren Frisur aufge-steckt hatte. Das ovale Gesicht wirkte eben-mäßig und wurde von betonten Wangenkno-chen dominiert.

»Du bist Reginald Bull, Residenz-Mini-ster der LFT für Verteidigung«, schnarrteder Mann neben ihr. »Für geraume Zeit Vi-zegroßadministrator des Vereinten Imperi-ums, das am l. Januar 2115 alter terranischerZeitrechnung durch den ZusammenschlußArkons mit der Erde entstand und …«

»Ein großer geschichtlicher Fehler, denwir heute aus unseren Annalen tilgen!«brauste der Arkonide auf. »Richtig ist, daß

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deine kleine Welt unter dem Namen LarsafIII schon immer dem Tat Ark´Tussan zuge-hörig war. Imperator Bostich wird die Re-bellen in die Knie zwingen.«

Sein Tonfall duldete keinen Widerspruch.Ich schwieg ohnehin lieber, da seit der In-jektion meine Schmerzen spürbar nachgelas-sen hatten.

»Gefängnisleiterin Zhdopanda da Kim-barley äußerte ihre Ungeduld über die nichtvorhandenen Fortschritte, Bull. Wir werdenalso ein letztes Mal versuchen, konstruktivmiteinander zu kommunizieren.«

Ich schwieg.»Schade«, fuhr er fort. »Dabei hatte ich

mir von einer erbaulichen Zusammenarbeitviel erhofft. Es liegt an dir, das Sterben eurerWelten zu verhindern. Oder würde es dichumstimmen, die ersten Planeten zu sehen,die von Arkonbomben in lodernde Sonnenverwandelt werden?«

Mein Herzschlag stolperte, aber ich hattemich sofort wieder in der Gewalt. Der Arko-nide bluffte.

Niemals würde Perry zulassen, daß auchnur eine Siedlungswelt im atomaren Feuerverglühte.

»Es würde uns nichts auszumachen, dichzu eliminieren, Bull«, drohte die Frau.

Ich antwortete nicht.»Deine Kooperationsbereitschaft läßt lei-

der zu wünschen übrig«, fuhr der Mann fort.»Imperator Bostich wartet auf Ergebnisse.«

Ich gähnte demonstrativ. Ein knapper, be-fehlender Wink des Arkoniden, und der Me-dorobot gab mir eine zweite Injektion, gegendie ich mich nicht wehren konnte.

»Schau mal, Bull, es könnte alles so ein-fach sein, wärst du nicht der irrigen Annah-me, terranische Dickköpfigkeit pflegen zumüssen. Damit zwingst du uns zu unange-nehmen Maßnahmen. Spürst du schon eineVeränderung? Wir hatten bisher nicht dieGelegenheit, die neu entwickelten Kompo-nenten, die sich mittlerweile in deinem Blut-kreislauf ausbreiten, auf ihre Verträglichkeitzu testen.«

Ich verstand nicht, woher die plötzliche

Unsicherheit stammte. Das seltsamePrickeln im Bereich von Schultern undNacken erschien mir, als hätte der Aktivatorgegen eine körperliche Beeinträchtigung an-zukämpfen. Was hatte mir der Medorobotinjiziert?

»Einige leichte Fragen zur Einstimmung,Bull«, erklang es spöttisch und triumphie-rend zugleich.

»Ich sehe, du überlegst bereits. Du wirstmir nicht mit Ja oder Nein antworten, son-dern ausführlicher. Verstanden?«

»Ich bin ja nicht taub.«Er zuckte zusammen, setzte dann das ar-

roganteste Grinsen auf, das ich je bei einemArkoniden gesehen hatte. »Ich glaube, aufTerra nennt man das Galgenhumor. Aberegal. - Wir wissen, daß die LFT, um sichdem Kristallimperium zu widersetzen, einenDrei-Stufen-Plan erarbeitet hat. Erzähl esuns einfach.«

»Wir …« Ich biß mich auf die Zunge.»Bull, bitte! Dein Widerstand dürfte nicht

lange anhalten. Du spürst doch schonSchweißausbruch, Gliederzittern, Übelkeit?«

Der handliche silberne Stab, den er aufmich richtete, war ein Psychostrahler arkoni-discher Fabrikation.

Längst gab es dagegen eine Vielzahl vonSchutzvorrichtungen, die dazu geführt hat-ten, daß Psychostrahler weitgehend aus denWaffenarsenalen verschwunden waren.

Mentalstabilisierte waren immun. Dasschien für mich nicht mehr zuzutreffen. DasPochen des Zellaktivators zog sich denNacken hinauf bis in den Hinterkopf; es warein schwer zu ertragendes Toben und konntenur mit den Injektionen zusammenhängen.Hatten die Arkoniden mir eine neue Drogegespritzt, die die Mentalstabilisierung um-ging? »Du haßt uns, Bull? Du spielst mitdem Gedanken, dich zu opfern? Das wärefalsches Heldentum. Um dich nicht unnötigvon der Wahrheit abzulenken: Mit beidenInjektionen wurden dir synthetische Repara-turgene und Botenstoffe zugeführt, deren ge-meinsames Bestreben ist, unterbrocheneNervenstränge wiederherzustellen. Was du

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bereits wahrnimmst, ist eine provisorischeVerbindung maßgeblicher Synapsen, die in-nerhalb weniger Stunden zur dauerhaftenReorganisation führt. Aber … red doch ein-fach, Minister. Die Liga-Verteidigung ist eininteressantes Thema. Du wolltest den Drei-Stufen-Plan erklären.«

Das Prickeln tobte jetzt unter den Haar-wurzeln. Es war unerträglich. Krampfhaftversuchte ich zu schweigen, ich hörte michstöhnen, danach abgehackte Worte hervor-stoßen. Schließlich konnte ich nicht mehranders, als zu reden.

»… der Übergang des Hayok-Sternenarchipels an Arkon darf sich nichtanderweitig wiederholen. Das Solsystemkönnten wir mit Hilfe eines neuen ATG-Feldes unangreifbar machen, doch würdendie enormen Kosten dazu führen, daß ande-re, ebenso wichtige Sonnensysteme den nö-tigen Schutz erst spät erhalten. Also bleibtHauptanliegen, die Flotte gegen KorraVir zuschützen.«

»Stufe Eins?« erkla ng es unerbittlich.»Alle Kampfschiffe der LFT werden po-

sitronisch nachgerüstet und die Besatzungenneu geschult, da gegenüber den virenanfälli-gen Syntrons die Effizienz um eine Zehner-potenz herabgesetzt ist.«

»Siehst du, es geht doch. Es tut auch garnicht weh.«

Der Spott des Arkoniden schmerzte. Ohnedie Suggestivwirkung des Hypnostrahlershätte ich ihm widerstehen können. MeinPlatz in den Annalen Terras würde künftigder eines Verräters sein.

Judas Ischariot hatte vierzig Silberlingefür seinen Verrat bekommen. Ich verriet dieMenschheit heute für weniger. Vielleicht lie-ßen mich die Arkoniden dafür am Leben.

Als Vorzeigeobjekt. Schaut her, das istReginald Bull, einer der Unsterblichen - So-larmarschall, Vizeadministrator des SolarenImperiums, Residenz-Minister. Schon einmalwollte er seine Menschheit ins Verderbenführen. Als »Bruder-eins« oder selbster-nanntes »Licht der Vernunft« während derAphilie hat er dafür gesorgt, daß Perry Rho-

dan und dessen Getreue von der Erde ver-bannt wurden. Heute arbeitet er mit SeinerErhabenheit Imperator Bestich zusammen.

Nein, dafür wollte ich nicht leben. Ichkonnte es nicht, ich …

»Die zweite Stufe ist der Bau neuerRaumschiffsklassen. Verfügt die Liga FreierTerraner über die Kapazitäten, innerhalb we-niger Jahre Tausende großer Schiffe zu pro-duzieren? Existieren geheime Werften?«

»Die gibt es nicht.« Natürlich wurde alles,was ich sagte, aufgezeichnet. Akustisch undvisuell. Ich traute Bestich zu, daß er der LFTdiese Sequenzen in die Hände spielen wür-de, um zu demoralisieren. Ob Perry glaubenwürde, daß ich zum Verräter geworden war?Oder der Erste Terraner, Maurenzi Curtiz?

Der Arkonide ließ mich nicht lange mitmeinen Zweifeln allein. Seine Fragen pras-selten auf mich herab.

Sie betrafen unsere Schiffe der ENT-DECKER-Klasse, der Perry Rhodans neuesFlaggschiff, die LEIF ERIKSSON, angehör-te. Das mit 1800 Metern deutlich gesteigerteVolumen wurde vom Nebeneinander der un-terschiedlichen Technologien ausgefüllt.Nicht mehr nur Metagrav, sondern auch alteTransitionstriebwerke waren vorhanden.Den Standard der Energieversorgung überHypertrop-Zapfer und Gravitraf-Speicher …

»Genug!« unterbrach der Arkonide unver-mittelt. »All das haben die Tu-Ra-Cel undandere Geheimdienste schon herausgefun-den. Aber mein aufrichtiges Kompliment,Terraner, ich anerkenne deine Mühe, dieWahrheit zu berichten. Seine ErhabenheitImperator Bostich wird hoch erfreut sein,von unserer endlich angenehmen Zusam-menarbeit zu hören. Nachdem der Anfangunter einem etwas schlechten Stern stand.«

Sein Zynismus war schwerlich zu über-bieten. In mir brodelte ein Vulkan kurz vordem Ausbruch.

Trotzdem mußte ich mich beherrschen.Was hätte es mir geholfen, laut zu toben?Nichts, außer daß ich mich anschließendnoch mieser gefühlt hätte. Irgendwann wür-de sich das Blatt wieder wenden, und dann

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… Wenigstens in meiner Vorstellung zahlteich mit gleicher Münze zurück. Ich bin keinrachsüchtiger Mensch, spürte aber, daß dieGedanken an Vergeltung mich aufrecht hiel-ten.

»Welche Geheimnisse verbirgt die LFT,die nicht einmal unsere besten Agenten her-ausgefunden haben?«

Jedes Wort traf mich wie ein Peitschen-hieb. Längst hatte ich mir den Schädel nachAusflüchten zermartert, nach Lügen, dieglaubhaft sein konnten, und war mir dochvon Anfang an darüber klar gewesen, daßich die Wahrheit sagen würde.

»… es war ein schwarzer Tag, ein Deba-kel im System von Boscyks Stern. Von acht-tausend Schiffen unseres Flottenverbandessind nur hundert zurückgekehrt …«

Hatte ich richtig gehört? Arkon hatte eswirklich gewagt, Olymp anzugreifen, die ne-ben Terra strategisch wichtigste Welt, dieschon immer eine entscheidende Rolle ge-spielt hatte?

»… die überlebenden Mannschaften spra-chen von einem Desaster.« Trotz meiner Be-nommenheit hörte ich deutlich die Erregungin der Stimme des Arkoniden. »Daß einGroßteil der Flotte weit vor dem Ziel denHyperraum verließ, war kein Zufall?«

Dicht vor mir schwebte die Sphäre. Ichkonnte jede Falte im Gesicht des Fragestel-lers erkennen, den harten Zug, der sich umseine Mundwinkel abzeichnete. Der Blickseiner roten Albinoaugen schien mich zudurchbohren. Wenn es ihm möglich gewe-sen wäre, hätte er mich auf der Stelle insJenseits befördert.

Aber Arkon brauchte mich.»Das war kein Zufall!« herrschte er mich

an. »Ebenso wie die Minenfelder, in denenunsere Kampfschiffe materialisierten.«

»Beides ist Bestandteil unserer Verteidi-gungsstrategie.« Mein Schädel drohte schierzu platzen, die Schwingungen des Aktiva-tors hatte ich nie zuvor in dieser Intensitätwahrgenommen.

»Der Minister für Liga-Verteidigungkennt alle strategischen und technischen De-

tails?«»Ich kann erklären, wie die Abwehrschal-

tungen wirken, nicht wie sie konstruiertsind.«

»Uns wurde der Name Aagenfelt genannt.Du wirst uns helfen, diesen Tautmo Aagen-felt nach Arkon zu holen.« Er schien das Er-schrecken in meinen Augen bemerkt zu ha-ben, denn er lachte heiser. »Wobei manschon lange nichts mehr von ihm gehört hat… Ihm wird doch nichts passiert sein?«

Nichts mehr sagen! durchzuckte es mich.Halt endlich den Mund, ehe du dich umKopf und Kragen redest.

»Wie funktioniert die neue Waffe, wasbewirkt sie, von welchen Positionen auswird sie eingesetzt?« herrschte mich der Ar-konide an.

»Die Hypersensible Irritation basiert aufeiner Mutation des KorraVir.« Was um allesin der Welt erzählte ich da? Im ersten Mo-ment war ich von mir selbst überrascht. »Eshandelt sich um eine Abwandlung der fünf-dimensionalen Strahlungskomponente, eineEntartung, die der unteren Materialisations-frequenz von Hyperbarie entspricht. Jedochder umgekehrte Vorgang: KorraVir, obwohleine energetische Sequenz, verwandelt sichbeim Kontakt mit Howalgonium in eine se-mimaterielle Manifestation mit Affinität zuzwei Dimensionen und eine Trägerwelle, diemit dem Interferenzmuster eines im Schutzdes Grigoroff-Feldes fliegenden Raum-schiffs korrespondiert.«

Ohne Punkt und Komma hatte ich gere-det. Trotz der körperlichen Schwäche, diemich im Griff hielt. Ich war klatschnaß ge-schwitzt. Aber ich fühlte mich besser als vorwenigen Stunden.

Was ich erzählte, war ausgemachter Un-fug. Ich mußte Zeit gewinnen. Jeder Tagzählte. Natürlich würde Perry alles daranset-zen, mich aus der Gefangenschaft der Arko-niden zu befreien.

Nicht ablenken lassen. Und trag nicht zudick auf. Die technischen Details müssen aufden ersten Blick stimmig erscheinen.

Stockend redete ich weiter. »Die Korra-

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Vir-Trägerwelle korrespondiert mit der Gri-goroff-Schicht und erzeugt an deren Innen-seite eine Spiegelung, die wegen ihrer Um-kehrung alle.Schutzmaßnahmen durch-schlägt. Auf diese Weise können Syntroni-ken ebenso wie gesicherte positronische Sy-steme beeinflußt werden.«

Der Hypnostrahler wirkte nicht mehr. Ichlog das Blaue vom Himmel herunter, ohnedaß die Arkoniden Verdacht schöpften. Mirwar bewußt, daß der Zellaktivator mein Blutgereinigt hatte.

Folglich war die Mentalstabilisierung zu-verlässig wie eh und je.

Wie lange würde es dauern, bis meineDesinformation aufflog? Egal. Jeder TagZeitgewinn konnte der LFT helfen.

»Mir ist nur die theoretische Abhandlungbekannt, während der ersten Feldversuchebefand ich mich schon auf Topsid.«

»Wann besteht die Gefahr für ein Raum-schiff?«

»Bei jedem Überlichtmanöver.«»Wie groß ist der Wirkungsbereich?«»Innerhalb des galaktischen Gravitations-

feldes.«Hatte ich zu dick aufgetragen? Die völlig

entgeisterte Grimasse des Arkoniden hättemir beinahe ein spöttisches Lachen entlockt;ich konnte mich gerade noch zurückhalten.

»Die Beeinflussung erfolgt nur im Meta-gravflug?«

»Auch das Kompensationsfeld einesHalbraumtriebwerks kann in ähnlicher Wei-se betroffen sein.«

»Und der Wiedereintrittspunkt …?«»… ist der KorraVir-Trägerwelle aufge-

prägt. Unter Berücksichtigung der späterenSpiegelung.«

»Aber es gibt einen Schutz dagegen?«»Ein oszillierendes Paratronfeld innerhalb

der Strukturblase.«Mir schwirrte der Kopf. Vor allem fragte

ich mich hartnäckiger als zuvor, warum ichnicht längst befreit worden war. Hatte dieLFT keine Ahnung, wo ich gefangengehal-ten wurde? Das Kristallimperium verfügteüber eine Reihe netter Welten, von denen je-

de bestens geeignet war, unliebsame Zeitge-nossen für immer von der Bildfläche ver-schwinden zu lassen.

Irgendwann brachten Kampfroboter michin die Zelle zurück. Zu meiner Erleichte-rung, bevor ich mich in Widersprüche ver-stricken konnte.

3.

»Hallo, Dicker! Wach endlich auf! Oderglaubst du, wir haben ewig Zeit?«

Aus tiefstem Schlaf schreckte ich hoch.Wie von der Tarantel gebissen. Mühsamblinzelte ich aus tränenden Augen in dieFinsternis. Da war ein Schatten, groß undschlank; er kam näher. Ein winziges Lichtflammte auf und blendete mich.

»Perry?« stieß ich ungläubig hervor.»Erwartest du sonst Besuch?« Der nicht

einmal eine Handfläche große Lichtkegelwanderte weiter.

»Wo steht dein Gepäck, Dicker?«Schwankend kam ich auf die Beine und

schüttelte benommen den Kopf. »Was ichanhabe, ist Anstaltskleidung. Alles anderehaben mir die Burschen abgenommen. - Ichbesitze nicht einmal mehr Geld für dieRückfahrt.«

Perry begann zu lachen, leise erst, danndröhnend. Bis ich mir krampfhaft die Händeauf die Ohren preßte, um seinen Heiterkeits-ausbruch nicht mehr hören zu müssen. Dienachfolgende Stille wirkte um so bedrohli-cher.

Enttäuschung empfand ich nicht mehr. Zuoft hatte ich schon von Perry oder Gucky ge-träumt. Sie würden nicht kommen, das warmir jedesmal ein Stück mehr bewußt gewor-den. Weil sie mit sich selbst zu tun hatten,mit den Angriffen eines größenwahnsinni-gen Bostich.

Schnaubend wälzte ich mich herum, zogdie Beine an den Körper und schlang die Ar-me unter den Kniekehlen hindurch. MeineÜberlegungen wirbelten durcheinander; esfiel mir zunehmend schwerer, sie unter Kon-trolle zu halten. Keine Angriffsfläche bieten

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… unauffällig bleiben … Regeln aus grauerVorzeit, die mir durch den Sinn schossen.Ich hatte wenig Chancen. Aber sollte ich denArkoniden wirklich den Triumph gönnen,meinen Widerstand gebrochen zu ha-ben?.Ich starrte in die Finsternis und ver-suchte, wenigstens einen Gedanken zu fas-sen, der sich nicht sofort wieder davonstahl.Aber ich war viel zu unruhig. Vielleicht hät-te ich lospoltern sollen …

Statt dessen wälzte ich mich auf die ande-re Seite und lauschte meinen gepreßtenAtemzügen, wartete darauf, daß das Lichtaufflammte und einen neuen Tag verhieß.Manche Tage schienen nur Stunden zu dau-ern, andere wollten nie enden. Längst hatteich den Eindruck gewonnen, daß es sich umeine Zufallsschaltung handelte, die zermür-ben sollte.

Ich floh in die kleine Naßzelle, den einzi-gen Ort, an dem ich wenigstens für kurzeZeit vergessen konnte, wo ich mich befand.Eine ausgedehnte, abwechselnd heiße undkalte Dusche weckte die Lebensgeister vonneuem - außerdem unterband der dichteWaschküchenbrodem, den ich fabrizierte,vorübergehend die rein optische Überwa-chung. Andernfalls wäre es mir kaum mög-lich gewesen, das provisorische Messer übermehrere Tage hinweg zu bearbeiten.

Endlos lange ließ ich mir die massieren-den Wasserstrahlen ins Gesicht prasseln unddachte dabei an Thoregon. Wir hatten einigeBesucher empfangen, die über die Brücke indie Unendlichkeit gekommen waren, unterihnen Druu Katsirya, die neue Zweite Botinder Galornen.

Ich brachte ein gequältes, stockendes La-chen hervor. Wir Terraner schafften es nicht,in der eigenen Milchstraße für Ruhe undOrdnung zu sorgen. Wie sollten wir unterdiesen Umständen an große Aufgaben her-angehen?

Aber wer sagte mir, daß Galornen undNonggo, die am ehesten in der Lage gewe-sen wären, uns zu unterstützen, nicht eben-falls mit Problemen zu kämpfen hatten?Thoregon existierte, doch bis es wirklich ge-

lebt wurde, mußten mehrere Generationengeboren werden. Vor uns lag eine Aufgabe,deren Tragweite wir noch gar nicht richtigwahrgenommen hatten.

Das Wasser versiegte abrupt. Vergeblichbemühte ich mich, dem Duschkopf einigewenige heiße Strahlen zu entlocken. Aberein Wärter oder eine Automatik hatte ent-schieden, daß es für mich genug war.

Wo steckten die Überwachungsanlagen?Zumindest in der Naßzelle hatte ich sie bis-lang nicht entdeckt.

»Sagt diesem Bostich, daß Terra nie vorihm in die Knie gehen wird«, stieß ich her-vor, während ein Warmluftschwall dieFeuchtigkeit trocknete.

Während ich geduscht hatte, war dasFrühstück aus dem Servoschacht emporge-stiegen. Mit knurrendem Magen betrachteteich die schwer zu definierende Substanz, einzäher, rötlichgrüner Brei. Besteck fehlte.

Vermutlich als Reaktion auf meine Ba-stelarbeit.

»Soll das jetzt so weitergehen? Ich habegestern wirklich alles gesagt, was ichweiß…«

Natürlich erhielt ich keine Antwort. DasMagenknurren klang wie das Grollen einerangriffsluatigen Raubkatze. Ich hatte einigeKilo abgenommen, an der Hüfte spürte ichschon völlig ungewohnt die Knochen. Perrywürde sich etwas anderes einfallen lassenmüssen als die Bezeichnung »Dicker«.

Nach einer Weile kostete ich. Mit zweiFingern. Weil der Aktivator mich nicht vordem Verhungern bewahren würde.

Ich fand nicht heraus, welche Bestandteileder vermutlich synthetische Brei enthielt.

»He«, krächzte ich, halb in den Erinne-rungen gefangen, »der Fraß hier ist zum Da-vonlaufen!«

Zwei Nächte hatte ich gänzlich ohne Alp-träume verbracht und an jedem Morgen einklein wenig mehr Zuversicht verspürt. Manließ mich in Ruhe. Keine martialischenBlechkästen erschienen, um mich zum näch-sten Verhör abzuholen, absolut nichts gesch-ah.

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Am Ende hatten die Arkoniden mir wirk-lich die haarsträubende Räuberpistole mitden KorraVir-Mutationen abgekauft. DasSchlimmste für mich war die Ungewißheit,abgeschnitten zu sein von jeglicher Informa-tion. Während die aufgereizte Phantasie Ka-priolen schlug, geschah im gleichen Augen-blick irgendwo in der Milchstraße womög-lich Entscheidendes.

Ich lebte zwischen der Vergangenheit undheute. Unaufhörlich stiegen längst verschüt-tet geglaubte Erinnerungen aus der Tiefemeines Unterbewußtseins empor und dräng-ten die trist graue Zellenwelt für kurze Zeitin den Hintergrund. Tess, meine kleine rot-haarige Schulfreundin, für die ich damalsdurch dick und dünn gegangen wäre. Wielange lag das zurück?

Hannah Angel. Explorerkommandantinund von ES benutzt, um mich zu manipulie-ren. Wirklich von ES?

Ich hatte diesen Zwiespalt immer nur inmich hineingefressen und nicht einmal mitPerry Rhodan darüber gesprochen. Weil dieGefühle für Hannah ganz allein meine Ange-legenheit gewesen waren.

Und dann Vanity Fair, die Geschichts-wissenschaftlerin, die unter der Obhut einesHaluters aufwuchs.

Fast schon die klassische Dreiecksge-schichte. Perry war für sie unerreichbar ge-blieben, während ich …

Mein Blick fiel auf die Kerben in derWandverkleidung, die ich mühsam hin ein-geritzt hatte. Für mich waren sie die einzigeMöglichkeit, annähernd festzuhalten, wielange ich mich schon im arkonidischen Ge-wahrsam befand. Fast hätte ich vergessen,eine weitere Kerbe zu machen.

Achtundsechzig waren es bisher. Ich zähl-te erneut, kam zu demselben Ergebnis,konnte es dennoch nicht glauben.

Vergeblich der Versuch, die Erinnerungan die Frauen in meinem Leben zurückzuho-len. Die triste Realität hatte die Oberhandgewonnen, ließ sich nicht mehr vertreiben.Wo, um alles in der Welt, blieb die Kavalle-rie? Gucky, du alter Halunke, läßt du deinen

besten Freund wirklich im Stich?Ich ballte die Hände und begann, unkon-

zentriert und fahrig auf einen unsichtbarenGegner einzuschlagen. Paß auf die Beinar-beit auf … Jetzt, rechter Haken und nachset-zen … Gib's ihm. »Na los, Bostich, komm!«Wie einen Fluch zerbiß ich die Aufforde-rung zwischen den Zähnen.

Mein Atem ging heftiger. Das fehlendeTraining machte sich bemerkbar. Aber daswürde sich ändern jedenfalls solange michdie Arkoniden in Ruhe ließen. Zwei Tageohne Verhör, ohne Demütigungen und Alp-träume, das waren fast schon paradiesischeZustände.

Schnaufend, die Hände auf die Ober-schenkel gestützt, hielt ich inne. Nach einemAugenblick innerer Sammlung schwenkteich um zur Dagortechnik. Obwohl ich nurmit bedächtigen Übungen begann, scheiter-ten sie an meiner mangelnden Konzentrati-onsfähigkeit. Immer noch schoß mir allesmögliche durch den Sinn und lenkte michab, Ein zweiter Versuch, mich in mich selbstzu versenken, eins zu werden mit der Kraftin meinem Inneren … Ich wurde jäh ausdem Dagor-Zhy herausgerissen, meinem Be-mühen, Körper und Geist in den unerläßli-chen Gleichklang zu versetzen.

»Tschan-Kia, Terraner, der Lüge Atemreicht nicht weit«, erklang eine spröde undverächtliche Stimme hinter mir. »In derStunde des eingebildeten Triumphes ergreiftjeden der Tod; er wird qualvoll hinwegfe-gen, was auf der falschen Seite steht.«

Die Zellenwand hatte sich geöffnet. Abernur ein mir unbekannter Mann hatte die flir-rende Grenze überschritten, keine Roboter,die mich abholen sollten.

»Tod und Illusion sind Geschwister.« Zö-gernd versuchte ich, den Text fortzuführen,dessen Ursprung dem legendären HeroenTran-Atlan zugeschrieben wurde.»Durchschreite lachend die eine Welt, dannwirst du das Ziel deiner Gedanken ent-decken …«

»… aber in Qualen enden, so du denfalschen Schwur getan und das wahre Licht

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verleugnet hast.«Ein häßliches Gesicht, von bläulich unter-

laufenen Narben und wildwucherndemFleisch übersät.

Die kleinen, tief in den Höhlen liegendenAugen fixierten mich auf unangenehmeWeise.

Dieser Mann, das spürte ich instinktiv,war gefährlich. Dazu hätte es nicht der ver-krampften Grimasse bedurft, mit der er seinstählernes Gebiß entblößte. Eingeätzte Ho-walgoniumfäden zeichneten Symbole, dieam leichtesten mit Kampf und Tod zu über-setzen waren, was ihren Sinn aber nur un-vollständig wiedergab.

Der Mann war höchstens 1,70 Meter groß.Die rechte Schädelhälfte kahlgeschoren, truger das schlohweiße Haar links zu einem mitMiniaturen durchsetzten Zopf geflochten.Auch seine Kleidung bestand aus Gegensät-zen. Hose und Jacke aus erdfarbenem, gro-bem Stoff, der halbseitig knielange Umhangaus kostbarem Brokat mit eingewebten Sil-berfäden. »Imperator Bestich ist das neueLicht, das die ruhmreiche Vergangenheit Ar-kons zu neuem Glanz erweckt. Deine Lügen,Terraner, haben den Höchstedlen gekränkt.«Seine Geste war unmißverständlich. Nurvier Schritte trennten uns.

»Bring mich um, und Bostich erfährt nie,was er wissen will!« stieß ich in einem An-fall von Selbstaufopferung hervor.

Ich sah das jähe Aufblitzen in seinen Au-gen und drehte mich zur Seite. Wo ich ebengestanden hatte, zuckten seine Hände insLeere. Ich war nicht schnell genug, umnachzusetzen, sein Ellenbogen traf mich inden Rücken und warf mich gegen die Wand.

Er ließ mir keinen Bewegungsspielraum.Seine Finger tasteten nach meinen Nacken-wirbeln; ich hörte ein leises Knacken, docher drückte nicht vollends zu.

»Die Verhöre und die Gefangenschaft ha-ben dich geschwächt, Bull.« Wie einenFluch brachte er die Worte hervor. »Dichjetzt zu töten wäre keine Ruhmestat.« Leiserfügte er hinzu: »Warum schließt du dich unsnicht an, Terraner? Du kennst Arkon und

bist nicht dumm. Es kann nur dein Vorteilsein.«

»Ich bin … kein … Verräter!« stieß ichmühsam hervor. »Lieber sterbe ich, als Terraeinem Größenwahnsinnigen auszuliefern.«

Der Druck, mit dem er mich an die Wandpreßte, ließ ein wenig nach. Ich ahnte, daß ermir nur etwas Raum ließ, um mich gleichdarauf erneut nach vorne zu stoßen.

Meine Schulter krachte gegen sein Kinn,in einer alle Kraft erfordernden Drehungzuckte meine Linke hoch, die Finger tastetennach seinen Augenhöhlen. Ein zorniges Gur-geln beantwortete meine Aktion, dann wur-de mir der Arm fast ausgerenkt. Der Ver-such, dem Druck auszuweichen, warf michzum zweitenmal schmerzhaft gegen dieWand.

Ich spürte es warm aus beiden Nasenlö-chern rinnen, dann bohrten sich die Fingerdes Gegners hinter mein Ohr. Das Gefühlwar ungefähr so, als hätte jemand das Lichtausgeknipst …

Ebenso unvermittelt fand ich zu mir zu-rück. Die Feststellung, daß ich noch lebteund allein war, erfüllte mich mit grimmigerGenugtuung. Also waren die Arkonidennach wie vor auf mich angewiesen. Ihre Ge-heimdienste hatten es nicht geschafft, dasGeheimnis der Aagenfelt-Barriere zu lüften.

Das Blut aus meiner Nase war geronnen;im linken Schultergelenk schie nen tausendNadeln zu stecken, die bei jeder Bewegungtiefer eindrangen. Aber das war nebensäch-lich. Wichtiger erschien mir die Frage, wanndie Arkoniden ihre Verhöre fortsetzen wür-den.

Schwankend richtete ich mich auf undtorkelte zur Liege hinüber. Der kurze Kampfhatte mir deutlich gemacht, daß ich draufund dran war, meine Kräfte zu überschätzen.Zwei Tage allein genügten eben nicht, umdie Spuren mehrerer Wochen auszulöschen.

Eine Weile lag ich nur da und starrtedumpf brütend vor mich hin, während meineGedanken sehnsuchtsvoll die Galaxis durch-streiften. Von solchen Erinnerungen konnteich zehren, sie machten die Gegenwart er-

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träglicher. Und sie setzten mir ein Ziel: her-auszukommen aus dem düsteren Koloß desGefängnisses, von dem ich bis heute nichtviel mehr kannte als meine Zelle und dendavor verlaufenden Ringkorridor.

Aus der Krümmung des Korridors hatteich geschlossen, daß zumindest der Gefan-genenkomplex ringförmig angelegt war, miteinem Durchmesser von gut zweihundertMetern. Es gab sowohl nach oben als auchin die Tiefe führende Treppen. Erst vor we-nigen Tagen hatte ich auf einer dieser Trep-pen Kampfroboter mit einem Gefangenenverschwinden sehen, einem menschenähnli-chen Eppaner, dessen Gesichtszüge sowiedie großen und stark abstehenden Ohren un-verkennbar gewesen waren. Aus der flüchti-gen Begegnung schloß ich, daß auf minde-stens zwei weiteren Ebenen Zellenkomplexeexistierten.

Die Zahl der Einzelzellen schätzte ich proEbene auf ungefähr zweihundert.

Überwachungsanlagen wie Individualsen-soren, Infrarotspürer und wohl auch ganzbanale Optiken verbannten jeden Gedankenan Flucht in das Reich der Illusion. Falls dieWahrnehmungen von Rechengehirnen aus-gewertet wurden, führte jede noch so kleineAbweichung von der Norm zu einem Alarm.Allein auf dem Gangabschnitt von rund ein-hundertfünfzig Metern Länge, auf dem ichinzwischen jede Schattierung zu kennenglaubte, hatte ich an drei Stellen Projektor-antennen für Hochenergieschirme entdeckt.Dazu die zwischen Deckenplatten verborge-nen Abstrahlpole schwerer Paralysatoren.

Wer erst einmal in einem Hochsicherheit-strakt wie diesem eingekerkert war, kam inden seltensten Fällen wieder raus. Anfangshatte ich versessen nach Fluchtmöglichkei-ten gesucht, doch alle Ideen wieder verwor-fen. Es gab kein Entkommen aus dieser Ba-stion, von der ich nicht einmal zu sagenwußte, ob sie auf einem der zwei Arkon-Planeten lag.

Ein verhaltenes Geräusch schreckte michauf. Für einen Augenblick verharrte ich an-gespannt und wartete darauf, daß es sich

wiederholte.Nicht einmal Deflektorschirme würden

ausreichen, das Gefängnis unbemerkt betre-ten oder verlassen zu können. Zudem stelltesich die Frage, wie es außerhalb der stähler-nen Wände aussah.

Weltraumvakuum oder Giftgasatmosphä-re; dampfender, von Krankheiten verseuch-ter Dschungel oder sonnendurchglühte Wü-ste, alles war denkbar.

Das Schaben von Krallen auf hartem Bo-den ließ mich herumfahren. Ich starrte gera-dewegs auf einen mit spitzen Reißzähnenbewehrten schlanken Echsenschädel.

Das Biest stieß ein kurzes, heiseresKrächzen aus; neugierig und ruckartig reck-te sich mir der Schädel noch ein Stück nä-her. Ein relativ schmaler, aber muskulöserOberkörper wurde sichtbar, ebenso zweiverkümmerte Gliedmaßen,1 von denen nichtviel mehr als scharfe Greifklauen gebliebenwaren.

Stinkender Atem schlug mir entgegen, alsdie Echse - größer als eineinhalb Meterkonnte sie nicht sein zwei funkelnde Zahn-reihen erkennen ließ. Das Spiel der Muskelnunter der Schuppenhaut warnte mich, ichließ mich rückwärts fallen und rutschte vomBett, während die Echse mit einem kurzenSatz nach oben sprang. Die Liege knarztebedrohlich. Schon beugte sich der kantigeSchädel wieder vor und suchte mit einerpendelnden Bewegung nach mir.

Zentimeterweise schob ich mich untersBett. Besaß das Biest Teleporterfähigkeit?Oder war es auf andere Weise in die Zelleversetzt worden?

Ich lag auf dem Rücken, hatte nur einpaar Zentimeter Luft über mir und versuchtetrotz allem, ruhig zu bleiben. Es gab nichts,was sich als Waffe verwenden ließ; um dasVieh loszuwerden, mußte ich ihm mit blo-ßen Händen den Hals umdrehen. Meine Ge-danken jagten sich.

Das Krächzen hatte aufgehört. Ich lausch-te angespannt, aber das hektische Pochen inden Schläfen übertönte nahezu jedes andereGeräusch. Aus den Augenwinkeln heraus

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sah ich den Schatten der Echsenschädelbeugte sich weiter herab und berührte fastden Boden.

Für Sekundenbruchteile starrten wir unsgegenseitig an, dann zuckte das Maul mitden spitzen Zähnen nach vorne. Ich hattemich mindestens ebenso schnell herumge-worfen und trat mit aller Kraft zu.

Irgendwie verfehlte ich das Biest. Aberdas war im nächsten Moment nicht mehrwichtig. Auf der anderen Seite, halb unterdem Bett hervorgeschoben, verkrallte ich dieFinger an der Kante über mir und zog michvollends hoch. Keine zwei Meter entferntfuhr die Echse herum. Ihr Krächzen wurdezum ohrenbetäubenden Geschrei, als sie an-griff.

Nur um Haaresbreite verfehlten mich diezuschnappenden Kiefer, das Vieh schnellteüber mich hinweg, kam federnd auf - undruckte herum. Auge in Auge standen wir unsgegenüber; ich hätte nur den Arm aus-strecken müssen, um das Echsenmaul zu be-rühren.

Rasend hämmerte mein Herz gegen dieRippen, ich spürte das Blut durch die Hals-schlagadern toben wie nach einem Sprintüber etliche hundert Meter. Wenn die Echsejetzt zubiß, kam ich nicht mehr schnell ge-nug zur Seite.

Langsam wich ich zurück, bemüht, jedehastige Bewegung zu vermeiden. Falls ichvor dem Biest die Naßzelle erreichte, konnteich die Tür hinter mir ins.Schloß werfen underhielt eine kurze Gnadenfrist.

Das Vieh starrte mich an, sein Schädelfolgte mir zentimeterweise.

Fünf Meter bis zur Naßzelle … Alles inmir verkrampfte sich. Als Vorspeise zu en-den war nicht gerade die Vorstellung, die ichvom Tod hatte.

Gleich würde ich es geschafft haben, einpaar Zentimeter noch, dann … Ich warfmich herum und hetzte los, begleitet von oh-renbetäubendem Kreischen.

Aber etwas stimmte nicht. Das war nur soein Gefühl, die Summe einiger Kleinigkei-ten, die mir unbewußt aufgefallen waren und

von denen jede für sich allein unbedeutendsein mochte. Die Arkoni-den brauchtenmich vorerst noch und konnten gar nicht zu-lassen, daß ich in Lebensgefahr geriet.Längst hätten Kampfroboter erscheinenmüssen, um dem Biest den Garaus zu ma-chen.

»Man spielt nicht mit dem Essen«, stießich schwer atmend hervor. »Ich mache danicht mehr mit.«

Der Raubsaurier duckte sich, spannte dieMuskeln - und griff an. Mehr als instinktivdie Arme hochreißen konnte ich i nicht, derRachen zuckte heran, schnappte zu …

Und fuhr durch mich hindurch. In demMoment war ich unfähig zu atmen, ge-schweige denn zu schreien.

Alles ging so wahnsinnig schnell, daß icherst richtig begriff, als die Echse schon zuverblassen begann.

Eine Projektion! Aber eine, die alle Sinneansprach. Ich hatte kaum die Kraft, mich aufden Beinen zu halten.

Neben dem Schottrahmen klebte einFremdkörper an der Wand, der nicht in dieZelle gehörte, ein nahezu transparenter Wür-fel mit fünf Zentimetern Kantenlänge. DerKerl mit dem Stahlgebiß mußte den Holo-Projektor dort angebracht haben.

Ich lachte. Ohne daß ich es wollte, keuch-te ich meinen Triumph hinaus. Augenblickespäter trat ich zu; der Würfel zersplitterteunter meinem Absatz, fahle Entladungenzuckten aus den miniaturisierten Bauteilenauf und zerfraßen das Material wie kleineElmsfeuer. Zurück blieben bis zur Unkennt-lichkeit zusammengebackene Module undwinzige Kristallsplitter, deren Speicherkapa-zität das Monstrum und seinen nahezu unge-hinderten Bewegungsablauf erst ermöglichthatte.

Mein Lachen klang eintönig. Und wenigzuversichtlich. Weil es mir mehr Schmerzenals Genugtuung bereitete.

Das war erst der Anfang, wisperte derSelbsterhaltungstrieb in mir. Wenn du wirk-lich überleben willst, gib deinen Widerstandendlich auf!

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4.

Mit jeder ereignislos verstreichendenStunde wurde ich innerlich aufgewühlter.Die Ungewißheit fraß in mir und ließ sichnicht vertreiben, obwohl ich mir vor Augenhielt, daß die Arkoniden genau das wollten.

Zermürbungstaktik sagten wir auf der Er-de dazu.

Ich ertappte mich dabei, daß ich mit bei-den Händen meine Magengrube massierte.Gegen dieses langsame Sterben schien sogarder Zellaktivator machtlos zu sein. Viel-leicht, weil es meiner eigenen Psyche ent-sprang.

Hatte ich am Ende längst resigniert undwollte es nur nicht wahrhaben? Selten zuvorhatte ich mich ähnlich hilflos gefühlt; dieKerben in der Wandverkleidung wirkten miteinemmal düster und drohend. Du haut kei-ne Chance, schienen sie zu signalisieren.Finde dich damit ab, für ewig Gefangenerder Arkoniden zu sein.

Am liebsten hätte ich laut losgebrüllt.Doch den Gefallen tat ich Bestich nicht.Keinen Laut würde er von mir zu hören be-kommen. Niemand bricht den Stolz einesReginald Bull! Ich ließ mich zurücksinkenund rollte mich auf dem Bett zusammen. InEmbryohaltung war die unsagbare Qual derSekunden noch einigermaßen erträglich.

Nichts denken … Nur darauf hoffen, daßdie Zeit verstreicht und das Blatt sich wen-det.

Nichts denken … Ich wollte sie nicht se-hen, die Bilder von Kugelraumern derWÄCHTER-Klasse, die unaufhaltsam vormeinem inneren Auge materialisierten. Jeintensiver ich sie zu verdrängen.versuchte,desto deutlicher wurden sie. Als wollten siemich verhöhnen und mir die Ausweglosig-keit der Situation vor Augen führen.

Ich wälzte mich herum und fand keineRuhe. Die Stille war erschreckend, die eige-nen flachen Atemzüge erschienen mir wieder Tritt marschierender Kampfroboter. Undder Herzschlag durchpulste mich wie die Er-

schütterungen heftiger Explosionen.Psychoterror nannte man das, was die Ar-

koniden seit rund zwei Monaten mit mirpraktizierten.

Abrupt schreckte ich hoch, hatte sekun-denlang Schwierigkeiten, mich zurechtzufin-den, und wurde mir fast erleichtert bewußt,daß ich nach wie vor in meiner Zelle lag ichhatte einen absolut traumlosen Schlaf hintermir, unterstützt von den regenerierenden Im-pulsen des Aktivators.

Wie lange ich geschlafen hatte, vermochteich nicht abzuschätzen. Zumindest warenvon zentraler Stelle aus die Leuchtplatten inder Decke abgeschaltet worden.

Mein längst lädierter Instinkt signalisierteAlarm. Ich spürte, daß ich nicht mehr alleinwar.

Jemand atmete leise. Er stand höchstenseinen bis eineinhalb Meter vor dem Bett.Der Kerl mit dem Stahlgebiß? Er hatte beimir eine Rechnung offen. Ich spannte dieMuskeln an. Auch wenn ich auf die Weisenicht aus dem Gefängnis freikommen wür-de, sollte er erfahren, daß ich nicht zurück-steckte.

War ich der LFT gegenüber verpflichtet,unnötige Gefahren zu meiden? Unsinn. Ichverspürte nicht die geringste Lust, alles mitmir machen zu lassen. Mir war, als wärenmeine Widerstandsgeister plötzlich zu neu-em Leben erwacht. Hatte die holographischeEchse mich aus der beginnenden Lethargieaufgerüttelt, oder war es die Visage des Un-bekannten?

Ein kaum wahrnehmbares Rascheln ver-riet den Kerl. In dem Moment fuhr ich her-um, stieß mich mit den Unterarmen ab undtrat mit aller Kraft zu. Ein greller Schmerzraste mein Rückgrat entlang, aber ich trafauf Widerstand, der gurgelnd nachgab. Deneigenen Sturz konnte ich nicht mehr abfan-gen, ich krachte mit dem Hinterkopf gegendie Liege und versuchte, mich seitlich abzu-rollen.

Schräg hinter mir erklang ein stoßweisesKeuchen; jemand rang gequält nach Atem.Das machte es mir leichter; auf den Knien

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stemmte ich mich hoch, kam torkelnd aufdie Beine und ließ die Rechte nach vorneschnellen.

Eine eiserne Klammer legte sich um meinHandgelenk, als wollte sie mir alle Knochenbrechen. Ich holte mit der Linken aus, aberauch der Arm wurde jäh und mit einer Ge-walt gestoppt, die mir fast die Schulter aus-kugelte. Der Schmerz jagte mir Tränen indie Augen, zumal gleichzeitig die Beleuch-tung aktiviert wurde.

Etwas Unsichtbares hielt mich fest. DerVersuch, mich loszureißen, blieb vergeblich.Langsam wurden meine Arme in die Höhegezerrt.

Mein Gegner stand vornübergekrümmtda, beide Arme auf den Unterleib gepreßt.Wütend funkelte er mich an. »Dafür wirst dubüßen, Bull!« ächzte er. »Spätestens morgenoder übermorgen redest du wie ein Wasser-fall …«

Obwohl eine innere Stimme mich davorwarnte, antwortete ich mit einem spöttischenLachen.

Natürlich war es unklug, den Arkonidenweiter zu reizen, aber längst war ich an ei-nem Punkt angelangt, ap dem mir völlig egalwar, ob ich etwas Unkluges tat oder nicht.Lieber lief ich ins offene Messer, als mirtäglich von neuem vorwerfen zu müssen,daß die Gefangenschaft mich zur Marionettemachte.

Auge um Auge, Zahn um Zahn - ich spür-te die Wandlung, die mit mir vorging. Ir-gendwann war selbst der Friedfertigste aneinem Punkt angelangt, an dem er nur nochGleiches mit Gleichem vergelten wollte, je-des wrackgeschossene Raumschiff mit einerTransformsalve auf die gegnerische Flotteund jeden zerstörten Planeten mit dem Ab-wurf von Arkonbomben.

Schon solche Gedanken waren es, die ei-ne Spirale von Mord und Zerstörung in Be-wegung hielten.

Aber das wollte ich nicht wirklich - nichteinmal Imperator Gaumarol da Bestich, derals Bostich I. in die galaktische Geschichteeingehen wird, konnte den Wunsch haben,

die Milchstraße in Feuer und Zerstörungversinken zu sehen.

»Wer bist du?« stieß ich hervor. Mein Ge-genüber ließ einen kurzen, befehlenden Lauthören. Im nächsten Moment schrie ich ge-quält auf, denn die unsichtbare Kraft riß mirdie Arme auseinander, und ich fürchtete, dieSchultergelenke müßten ausbrechen. DerSchmerz war entsetzlich, ließ mich für Se-kundenbruchteile an den Rand einer Ohn-macht geraten.

»… Yomanril«, verstand ich dumpf undverzerrt. »Yomanril vom GerichtsplanetenCelkar.«

Nicht einmal das konnte mich mehr er-schüttern. Ich kannte Celkar, die erste vonfünf Welten einer roten Sonne, ungefähr 102Lichtjahre von Arkon entfernt und das juri-stische Zentrum des Kristallimperiums.

Sollte ich auf die Gerichtswelt verlegtwerden? Möglicherweise bereitete Bosticheinen Schauprozeß gegen mich vor, der dieMilchstraße in Atem halten würde.

»Was denkst du?« fuhr Yomanril michan. Er erinnerte mich an ein Raubtier, dasmit seiner Beute spielt, ehe es zubeißt.

Er kam auf mich zu, hielt sich zwar im-mer noch mit einer Hand den Leib, aber sei-ne Rechte schoß vor und verkrallte sich ummein Kinn, als wollte er mir den Kiefer zer-quetschen. »Ich wurde nach Arkon geholt,um dich zum Reden zu bewegen, Bull. Ver-stehst du?«

Seine Hand zuckte zurück, er wollte mitdem Handrücken zuschlagen, hielt jedochinne und entblößte sein Stahlgebiß in einertriumphierenden Gebärde. Yomanril schlugmich nicht, weil das unter seiner Würde war,doch das Funkeln in seinen Augen verrietmir, daß er den Zweikampf suchte. Er hattemich in der Hand, aber er mußte sich bewei-sen. Und ich würde schweigen. Weil ichebenfalls wissen wollte, wer von uns derStärkere war.

»Man schreibt Terranern ein eigenwilligesEhrgefühl zu«, sagte Yomanril lauernd. »Sieopfern sich für ihresgleichen. Von dir, Bull,erwarte ich das Gegenteil: Nur durch dein

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Wissen kannst du das Sterben vieler Weltenverhindern.«

Ich spuckte aus. Nicht, um Yomanril zutreffen, sondern um ihm meine Entschei-dung klarzumachen.

Keineswegs überrascht verzog er das Ge-sicht. »Du fühlst dich stark, Bull? Die Fehl-einschätzung machen alle am Anfang. Aberbald wirst du froh sein, reden zu können unddein Leben zu retten.«

Mir schmerzte jeder Muskelstrang. Zwei-fellos gehörten die stählernen Klauen ummeine Handgelenke zu einem humanoidenKampfroboter. Der Koloß nutzte den un-sichtbar machenden Schutz eines Deflektor-feldes. Yomanrils verachtendes Grinsen ver-steinerte. »Welche Art von Schutzvorrich-tung hat die Flotte des Kristallimperiums imSystem von Boscyks Stern annähernd acht-tausend Einheiten gekostet?«

Ich schwieg. Yomanril schlug unruhig dieFäuste gegeneinander. »Du hast nur zweiMöglichkeiten, Terraner: mit uns zusam-menzuarbeiten oder zu sterben. Also: Wasist schuld an dem Desaster vor Olymp?«

»Geltungssucht und arkonidischer Hoch-mut. Soll ich dich an frühere Zeiten erin-nern, als unsere Völker noch gemeinsam…?«

Yomanrils knappe Geste zeugte von Un-geduld. Sie galt dem Roboter, der meineHandgelenke losließ, die Greifklauen aberebenso abrupt um meinen Hals legte. In-stinktiv riß ich die Hände hoch und umklam-merte die Roboterarme. Doch was konnteich gegen die Kräfte einer Maschine ausrich-ten?

»Hör auf!« wollte ich rufen, brachte aberkeinen Ton mehr über die Lippen. Todes-angst stieg in mir auf, wie ich es nie fürmöglich gehalten hätte. Ich war hilflos.

Wie lange kann ein Mensch die Luft an-halten? Wer trainiert ist, mehrere Minuten,ich würde es bestimmt nicht einmal dieHälfte schaffen. Der Drang, einatmen zumüssen, wurde unerträglich. Ich begann zuzittern, kalter Schweiß brach mir aus allenPoren.

Gegen Sauerstoffmangel im Gehirn warsogar der Aktivator machtlos. Mein Herz-schlag raste, ich hatte den Mund aufgerissenund rang nach Luft, während alles ringsumin einem Wirbel versank.

Das war's dann wohl. Mein eigenes Rö-cheln hatte mich aufgeweckt. Die Zungeklebte wie ein aufgequollener Fremdkörperam Gaumen, und im Hals brannten Höllen-feuer. Ich lag auf der Seite, doch erkennenkonnte ich nicht mehr als düster wogendeSchleier, die mich einzuhüllen schienen.

Schwerfällig versuchte ich, mich zu arti-kulieren oder wenigstens den Kloß hinunter-zuwürgen, der mich nach wie vor am Atmenhindern wollte.

»Hoffentlich weißt du es zu schätzen, daßdu noch lebst, Regmaid Bull.« Überlaut undscheinbar aus allen Richtungen kommend,stürzte die Frauenstimme auf mich ein. Zh-dopanda da Kimbarle.

Wollte sich die Anstaltsleiterin vom Fort-schritt des Verhörs überzeugen?

Yomanril durfte mich nicht sterben las-sen, denn die Arkoniden brauchten meinWissen. Sie würden nichts unversucht las-sen, mich zum Reden zu bewegen. Das warmein Vorteil.

»Warum machst du es dir und uns unnötigschwer, Bull? Du kannst nicht entkommen.Niemandem ist je die Flucht aus Golkanageglückt.«

»Bis heute …« Unverständlich die beidenWorte, die ich endlich heiser hervorstieß.Ich versuchte mich in die Höhe zu stemmen,aber noch klappte das Zusammenspiel derMuskeln richtig. Ich kippte nach links weg,versuchte vergeblich, das Gleichgewicht zubewahren - und geriet mit dem ausgestreck-ten rechten Arm in ein bis eben unsichtbaresEnergiefeld.

Flackerndes Leuchten umfloß die Hand,lahmte den Arm bis zur Schulter und sprangvon da aus prasselnd auf den Boden über.Tödlich war die Energie nicht, aber ange-nehm auf keinen Fall.

»Ich werde die Abgabeleistung erhöhen,wenn du weiterhin die Zusammenarbeit ver-

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weigerst.«Eisig kalt fraß sich Yomanrils Stimme in

meine Überlegungen vor.»Ich … lasse mich … nicht erpressen.«

Das Taubheitsgefühl begann sich auf denBrustkorb auszudehnen, während mein Armsich bereits anfühlte, als hätte mir jemanddie Haut abgezogen.

Das Brennen begann unerträglich zu wer-den. »Ich weiß nichts«, ächzte ich.

»Es fällt dir wieder ein. Bestimmt.«Bis ans Brustbein spürte ich die Taubheit,

eine auf den Zellhaushalt einwirkende Läh-mung offenbar.

Ohne darüber nachzudenken, griff ich mitder Linken über mich hinweg, um den tau-ben rechten Arm zur Seite zu ziehen.

»Die Lähmung verursacht Herzstillstand«,dröhnte Yomanrils Stimme. »Wie sehr hängtein Aktivatorträger am Leben?«

Was war nur aus dem Arkon geworden,das ich zu kennen geglaubt hatte? Alle Ver-träge und Abkommen waren die Folien nichtwert, auf denen sie standen. GegenseitigeAchtung … Schutz des Individuums … kul-tureller und wissenschaftlicher Austausch …

Sekundenlang steigerte sich das taube Ge-fühl zur Todesahnung. »Wie ist das, Bull, le-bst du als potentiell Unsterblicher täglich inFurcht vor einem Unfall oder ähnlich unkal-kulierbaren Risiken?«

»Scher dich zum Teufel!« stieß ich her-vor. »Oder mach ein Ende!«

Ich konnte ihn immer noch nicht sehen,als existierte zwei, drei Schritte vor mir eineoptische Barriere, doch der Unterton in sei-ner Stimme jagte mir einen Schauder denRücken hinab. Yomanril hatte keine Ach-tung vor dem Leben.

Mit eisigen Fängen griff die Lähmungnach meiner linken Brustseite. Mit allen Sin-nen nach innen lauschend, registrierte ich,daß der Herzschlag aussetzte, von neuembegann, stolperte …

Mein Gott, ich fürchtete diesen Augen-blick. Das war anders, als mit einem Raum-schiff durch tobende Hyperstürme zu fliegenoder inmitten eines Raumgefechts mit einem

Jäger auszuschleusen, um unmittelbar in denKampf einzugreifen. Ich konnte nichts tun,und das war weit schlimmer, als mit einerLightning-Jet die Trümmerwolken explodie-render Raumschilfe zu tangieren.

»Die technischen Daten der neuenSchiffsklasse!« drängte der Arkonide.

Das hatten sie also schon herausgefunden.Natürlich, die Tu-Ra-Cel und andere Ge-heimdienste arbeiteten überaus effektiv.Aber Yomanrils Forderung barg zugleich ei-ne ungeheure Genugtuung für mich. Bostichkannte keine Details. Das Blut in meinenAdern gefror - einen anderen Ausdruck fürdas Geschehen hatte ich nicht. Halb aufge-richtet erstarrte ich in hilfloser Reglosigkeit,aber auch das half nur ein paar Sekundenlang, bis der Herzschlag endgültig stockte.

Eine Woge der Panik schlug über mir zu-sammen … dann war nichts mehr.

Ich erwachte in steriler Atmosphäre. Wieflüssiges Feuer tobte das Blut durch meineAdern und brachte die Erinnerung zurück.

Yomanril hatte mich getötet - und an-schließend ins Leben zurückholen lassen. Esfiel mir nicht mehr schwer, eins und eins zu-sammenzuzählen, zumal der widerliche Kerlselbst erklärt hatte, von Celkar gekommenzu sein. Yomanril war garantiert einer derFolterknechte des Gerichtsplaneten und dar-auf spezialisiert, die infinite Todesstrafe zuvollziehen, eine Grausamkeit, wie sie nurkranke Gehirne erfinden konnten.

Seit Jahrtausenden stand die infinite To-desstrafe im zweifelhaften Ruf höchster Ab-schreckung. Es hatte schon zur Zeit des So-laren Imperiums mehrere Vorstöße von un-serer Seite gegeben, den wiederholten Voll-zug der Todesstrafe ein für allemal abzu-schaffen, doch Arkon hatte sich in der Hin-sicht jegliche Einmischung in seine innerenBelange verbeten.

Die infinite Todesstrafe vollzog ein vomGericht ausgesprochenes Todesurteil mehr-fach, der Delinquent wurde jedesmal amRand des klinischen Todes von bereitstehen-den Medorobotern wiederbelebt.

Je nach Schwere des zur Last gelegten

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Vergehens waltete der Henker zwischenfünf- und zehnmal seines Amtes, ehe derTod endgültig eintrat. Ich konnte mir keineschlimmere Strafe vorstellen, als die Todes-angst immer wieder von neuem durchlebenzu müssen und vor allem nicht zu wissen,wann das Ende wirklich kommen würde.

Das bedeutete aber, daß die vermeintlicheSicherheit, in der ich mich wähnte, nurSelbstbetrug war.

Vielleicht empfand Bestich I. mich mitt-lerweile als Belastung. Worauf sollte erRücksicht nehmen, wenn er die erhofften In-formationen von mir nicht bekam?

Alles in mir verkrampfte sich; Apparatu-ren, mit denen ich über Funksensoren ver-bunden war, gaben Alarm. Den Medorobo-ter, der die ganze Zeit über hinter mir ge-standen hatte, bemerkte ich erst, als er mireine Hochdruckinjektion in die Halsschlag-ader verabreichte.

Das Medikament wirkte fast augenblick-lich. Ich fühlte, wie eine bleierne Schwerevon mir Besitz ergriff. Allen meinen Bemü-hungen zum Trotz fielen mir die Lider zu.

Für kurze Zeit schien ich sogar einge-schlafen zu sein, denn übergangslos standYomanril neben mir.

»Redest du endlich?« herrschte er michan.

Die Antwort hatte ich parat. Ein uraltesterranisches Zitat. Götz von Berlichingenhatte es angeblich als erster gebraucht, aberwirklich sicher war ich mir dessen nicht.Yomanril bewegte meine Aufforderungnicht. Seiner Miene entnahm ich, daß er aufmeinen Tod wartete.

Womöglich stand mein Ableben für denFolterknecht schon in allen Einzelheitenfest.

»Wie willst du es wirklich machen?«fragte ich leise. »Wer hat die infinite Todes-strafe gegen mich verhängt? Bestich, diesesScheusal, oder ein ordentliches Gericht? Inmeiner Abwesenheit? Nennt Arkon so etwasein faires Verfahren?«

»Dein Kopf im Tausch gegen die solareVerteidigungsstrategie«, erinnerte er.

»Lieber sterbe ich.« Ich lachte heiser, abersonderlich wohl fühlte ich mich dabei nicht.

»Niemand sucht freiwillig den Tod.«Aus den Augenwinkeln heraus hatte ich

auf einer Konsole neben dem Bett ein medi-zinisches Gerät entdeckt, eine Art Sondeoder Kanüle, auf jeden Fall schien es sichum eine dünne und stabile Röhre zu han-deln.

Tief atmete ich ein. »Eins ist gewiß, Yo-manril«, sagte ich leise, »die Genugtuung,Reginald Bull getötet zu haben, überlasseich dir nicht. Eher lege ich selbst Hand anmich.«.Mit der Rechten wischte ich übermeinen nackten Oberkörper und fegte dieFunksensoren zur Seite.

Zugleich drehte ich mich halb auf die Sei-te und griff mit der linken Hand nach derKanüle. Das war der Moment, in dem Yo-manril auf mich zusprang, um zu verhin-dern, daß ich mir das fast dreißig Zentimeterlange Gerät selbst in die Brust rammte.

Glaubte er wirklich, daß ich das tun wür-de? Vielleicht hätte er sich besser informie-ren sollen; ich zweifelte nicht daran, daß eineinigermaßen zutreffendes Psychogramm inarkonidischen Rechnern schlummerte undgenaue Vorhersagen über mein Verhaltenunter Belastung zuließ.

Als Yomanril zupackte, drehte ich dieHand mit der Kanüle. Der Widerstand rißmir die provisorische Waffe fast aus denFingern, doch in Yomanrils Kleidung klaffteplötzlich ein tiefer Schnitt quer über die hal-be Brust und färbte sich ebenso schnell rot.

Gurgelnd wollte der Folterknecht nachset-zen, da bohrte sich mein Ellenbogen in seineMagengrube und ließ ihn einknicken. Ir-gendwie schaffte ich sogar das Kunststück,den zugreifenden Händen des Medoroboterszu entgehen und Yomanril die angesplitterteKanüle an den Hals zu setzen.

Die Erkenntnis, daß ich dennoch herzlichwenig gewonnen hatte, traf mich ohne Vor-warnung. Wie hatte ich so naiv sein können,mir von einer Geisel die Freiheit zu verspre-chen? Oder - der Gedanke erschreckte michzutiefst - war ich wirklich drauf und dran ge-

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wesen, mir wirklich das Leben zu nehmen?Dann hatten die zwei Monate arkonidischeGefangenschaft ein psychisches Wrack ausmir gemacht. War meine Widerstandskraftlängst gebrochen und ich bemerkte es nurnicht, weil ich mich in das Schneckenhausjahrtausendelanger Erfahrung zurückzogund mich wie ein Ertrinkender an den Stroh-halm der Unsterblichkeit klammerte?

Verdammt, Bully, du kommst hier nichtraus! hämmerte es unter meiner Schädel-decke. Was ich je über das Golkana-Ge-fängnis auf Arkon I gehört hatte, bestätigteden Gedanken. Seit Yomanril den Namendieses Knasts erwähnt hatte, wußte ich we-nigstens, wo ich mich befand.

»Keinen Schritt näher«, hörte ich michkeuchen, »oder Yomanril stirbt!«

Der Medoroboter griff nicht ein. Außerdem Arkoniden, mir und dem Robot befandsich niemand im Raum. Bis zum Schott hat-te ich zehn Schritte. Die Frage war nur, wasmich draußen erwartete.

Natürlich hatte der Roboter seine Alarm-meldung längst über Funk abgesetzt.

Mit grimmiger Entschlossenheit zerrte ichYomanril mit mir. Ich fühlte mich schlappund ausgelaugt und hatte Mühe, den Arkoni-den zu halten.

»Die Frau hier, die Kommandantin desSaftladens«, stieß ich hervor, »sag ihr, ichverlange ungehinderten Abzug.«

Eine Farce war das, mehr nicht. Ich hattegehandelt, ohne nachzudenken, ohne auchnur eine Ahnung zu haben, wie es weiterge-hen sollte. Angst? Wahrscheinlich, obwohlSchwäche und Trotz sie überdeckten.

Aber sobald ich in mich hineinhorchte,glaubte ich zu verstehen, was mich antrieb.

»Wie ist das, Yomanril, wenn du den Todvor Augen hast?« Ich gab mir Mühe, meineStimme unnachgiebig klingen zu lassen.Antworten konnte er nicht, dann hätte ersich selbst den Hals aufgeschlitzt, und ichertappte mich dabei, daß ich Genugtuungempfand. Wie vielen Verurteilten mochteder Folterknecht auf mehrfache Weise dasLeben genommen haben? »Du sollst spüren,

wie das ist.«Ich redete, um mich abzulenken. Weil die

Furcht mit eisiger Kälte in mir emporstieg.Furcht davor, für jedes Jahrhundert, das ichgelebt und die Natur betrogen hatte, bitterbezahlen zu müssen.

Nicht einen Tod, sondern viele sollte ichsterben.

Ein heiseres, abgehacktes Lachen quollüber meine Lippen, als das Schott aufglitt.Niemals würde ich den Arkoniden dasSchauspiel mehrmaliger Hinrichtungen undReanimationen bieten. Deshalb hatte ich Yo-manril als Geisel genommen. Wenn ichschon sterben mußte, wollte ich auf derFlucht erschossen werden.

Wie viele Wächter auf mich warteten,konnte ich nicht mehr erkennen. Sie eröffne-ten sofort das Feuer. Ich hätte nie geglaubt,daß es so schwer sein konnte, unter demDruck von Gefangenschaft und Folter folge-richtige Gedanken zu fassen. Mein Flucht-versuch, ohnehin aus der Hilflosigkeit her-aus geboren, war gescheitert, ehe er richtigbegonnen hatte. Wie war ich nur auf die irr-sinnige Idee verfallen, die Arkoniden wür-den mit tödlichen Waffen auf mich schie-ßen? Wunschdenken war das gewesen, nichtmehr, entstanden aus der Schwäche einesAugenblicks.

Allzu lange konnten die Lähmschüssenicht hersein, denn momentan tobten dieNervenstränge.

Eben noch hatte ich das entsetzliche Ge-fühl gehabt, nur aus meinem Kopf zu beste-hen, der irgendwo schwebte, inzwischen wa-ren Nacken, Schultern und Oberarme von ei-nem Heer gefräßiger Insekten befallen, dieihre Giftzangen unaufhörlich durch die Hauttrieben.

Ich schwebte nicht, ich saß. Auf einer un-bequemen Konstruktion, die ich erst einzu-ordnen vermochte, als ich feststellte, daßmeine Handgelenke mit Metallbändern andie Armlehnen gefesselt waren.

»… die Vitalfunktionen kehren zurück.«Yomanril trat in mein Sic htfeld. Wie beiläu-fig fuhr er sich mit zwei Fingern über den

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Bioplastverband, der die Narbe unter seinemKinn schon verkrustet hatte. »Ich will dieWahrheit, Bull. Seine Erhabenheit versprichtsich sehr viel davon.«

»Ich weiß nichts!« stieß ich hervor.Ein stechender Schmerz raste durch mei-

nen Körper. Auf Yomanrils linkemHandrücken klebte ein Steuergerät, mit demer die Stromstöße aktivieren konnte. DasDing, auf dem ich festgeschnallt saß, war ei-ne Art elektrischer Stuhl.

Der Folterknecht verzog die Visage zu ei-nem widerlichen Grinsen. Zweifellos hätteich ihn seines Vergnügens beraubt, hätte ichjetzt zu reden begonnen.

»Es wird langweilig«, ächzte ich.»Bestimmt nicht.«Ein zweiter Stromstoß, stärker als der vor-

angegangene, entlockte mir einen gequältenAufschrei. Yomanril grinste. »Berichte vondiesen neuen Schiffen, Terraner! Auf welcheWeise wirkt die Waffe?«

Ich biß die Zähne zusammen, schloß dieAugen und wartete auf einen heftigerenSchmerz. Schon das Warten wurde zur Qual.Erst als ich bereits die aberwitzige Hoffnungempfand, es würde nichts mehr geschehen,tobten die Vorboten des Todes durch meinenKörper.

Das hilflose, unkontrollierbare Aufbäu-men der Muskeln war entsetzlich. Die Au-gen weit aufgerissen, sah ich nur blutig wo-gende Schleier. Speichel quoll über meineLippen.

»Die Daten!« drängte Yomanril.Mit letzter Kraft schüttelte ich den Kopf.Ein neuer Stromstoß. Wohl nur der Akti-

vator hielt mich am Leben; ich spürte seineImpulse; sie gaben mir die Kraft, ruhig zubleiben. Dicht am Rand der Ohnmacht tau-melte ich dahin und zählte nicht mehr, wieoft mein Körper durchgeschüttelt wurde.

Roch ich verbranntes Fleisch? Oder wardas nur die Ausgeburt meiner durcheinan-derwirbelnden Empfindungen?

»Ich fürchte den Tod nicht!« schleuderteich Yomanril entgegen. Aber verstand erüberhaupt, was ich krächzte, schrie oder

stammelte? Ich konnte das selbst nicht mehrunterscheiden.

Ich begann, den Tod nicht mehr als Geg-ner zu sehen. Wenn er kam, würde ich ihnals Freund begrüßen.

… ein lichtdurchfluteter Tunnel, gleißen-de Helligkeit am anderen, fernen Ende. Da-zu Sphärenklänge … dann abrupt Kälte undunnachgiebige Greifklauen, die mich herum-zerrten, verbunden mit dem leisen Zischeneiner Injektion …

Übelkeit wühlte in meinen Eingeweiden,als ich erwachte. Ein gallebitterer Ge-schmack stieg in der Speiseröhre auf, ichwürgte und mußte mich übergeben. Ein Me-doroboter säuberte mir den Mund.

Ich fühlte nur grenzenlosen Zorn. Nie-mand hatte mich zurückholen sollen, ichwollte endlich drüben bleiben und sehen,was jenseits der gleißenden Lichtfülle lag.Ich war gestorben - und reanimiert worden.

Zum zweitenmal schon. Erst auf demelektrischen Stuhl gebraten, danach mit ei-ner Giftinjektion ins Jenseits befördert. Meinletzter Todeskampf war die schlimmste jegemachte Erfahrung. Sogar den Zellaktiva-tor hatte ich verflucht, weil sein Bestreben,das Gift zu neutralisieren, die Qual nur hin-ausgezögert hatte.

Und kein Ende. Es sei denn, ich verrietden Arkoniden endlich, was sie wissen woll-ten. Eine Hand wühlte in meinem Haar, dasin den beiden Monaten deutlich länger ge-worden war, verkrallte sich und zerrte michhoch.

»Es geht weiter, Terraner. Verfalle nichtin den Irrglauben, du könntest dich ausru-hen. Oder bist du zur Einsicht gelangt?«

»Arkon wird untergehen«, krächzte ich.Ich konnte Yomanrils Schlag nicht aus-

weichen. Seine Faust explodierte in meinerMagengrube. Ich krümmte mich, blockteauch den zweiten Hieb nicht ab, der meinenNacken traf und mich zu Boden schickte.

Schwer atmend blieb ich lie gen. »Woraufwartest du, Arkonide?« stieß ich tonlos her-vor. »Bring mich endlich um!«

Verzerrt hing sein Gesicht über mir. »Du

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wirst sterben!« schrie er mich an. »Ganz si-cher. Aber vorher quetsche ich dich aus wieeine reife Camána-Frucht, vorher …« SeineStimme kippte. Zum erstenmal zeigte Yo-manril Nerven.

»Es läuft nicht so, wie du dir das denkst?«Was riskierte ich, wenn ich Öl in die

Flammen schüttete? Doch nur, daß Yoman-ril die Beherrschung verlor. Der Mißerfolgmachte ihm zu schaffen; er hatte geglaubt,leichtes Spiel mit mir zu haben - aber derEinsatz, das Schicksal eines Sternenreiches,war zu hoch. Die Liga Freier Terraner be-stand aus 2.482 zugehörigen Sonnensyste-men sowie 1.211 assoziierten Welten. ImGegensatz dazu umfaßte Arkon mehr alszwölftausend Planeten und verleibte sich un-aufhörlich neue Systeme ein. Etwa zwanzig-tausend militärisch oder wirtschaftlich kon-trollierte Welten mußten ohnehin dazuge-zählt werden.

»Ich habe immer gewonnen«, keuchte derFolterknecht. »Immer, Bull, und du wirstkeine Ausnahme sein.«

Ich konnte nicht mehr sehen, wie er aufmein spöttisches Lachen reagierte, weilmich ein Kampfroboter zum Schafottschleppte. Trotzdem war ich überzeugt da-von, daß Yomanril Gift und Galle spuckte.

Das mit dem Schafott war mir spontandurch den Sinn gezuckt. Aber gerade des-halb fröstelte ich angesichts der metallischenKonstruktion, die mich erwartete: eine Guil-lotine wie zur Zeit der Französischen Revo-lution. Zwei parallele Säulen und zwischenihnen, in Führungsschienen laufend, dasFallbeil, funkelnd wie ein geschliffener Kri-stall. Ein gesteuertes Energiefeld hätte den-selben Zweck erfüllt, aber da Yomanril die-ses Mordinstrument gewählt hatte, sollte dieKlinge einschüchtern.

Wozu die primitive Antigravliege diente,die aus nicht mehr als zwei gegenüberlie-genden Projektoren bestand, wurde mir klar,als Energiefelder mich darauf fixierten undder Roboter mich unter das Stahlgestellschob. Eineinhalb Meter über mir hing dasfunkelnde Beil.

Sensoren registrierten meine Regungen.Als ich in einem Aufwallen der Gefühle dieAugen schloß, durchpulste mich sofort eineWelle schmerzhafter Vibrationen.

»Warum so furchtsam, Minister?« spotte-te Yomanril. »Du kannst dich nicht dem An-blick des Todes verschließen.«

»Er ist mein Freund«, stieß ic h hervor.»Weil er mich von deiner Gegenwart erlösenwird.«

Diesmal war es der Folterknecht, derlachte, »Dessen wäre ich mir nicht so sicher,Terraner. Glaubst du wirklich, alles ist vor-bei, sobald dein Kopf rollt? So dumm kannstdu nicht sein. Wir werden ihn maschinell amLeben erhalten, und du wirst wieder undwieder Todesfurcht durchleben - so lange,bis du Antworten selbst auf die nicht gestell-ten Fragen gibst.« Stumm starrte ich in dieHöhe. Ich zweifelte nicht daran, daß der Fol-terknecht seine Drohung wahr machen wür-de. Es war einfach, einen abgetrennten Schä-del mit Nährstoffen zu versorgen und unbe-grenzt am Leben zu erhalten, ebenso einfachwar es, ihn auf einen anderen Körper oder ineinen Roboter zu verpflanzen.

»Hast du mir nicht zugehört, Terraner?«»Doch. Aber es gibt nichts zu sagen.«Yomanril hatte einen Fehler gemacht. So-

bald das Beil fiel, hatte ich noch zweiund-sechzig Stunden zu leben, allen medizini-schen Apparaturen zum Trotz. Mein Kopfwar ohne den Zellaktivator nichts wert. Somakaber diese Gewißheit war, so sehr beru-higte sie mich, denn die Gefahr, daß ich ir-gendwann vielleicht doch militärische Ge-heimnisse verriet, war damit gebannt. Scha-de nur …

Das Beil fiel. In dieser einzigen Schreck-sekunde raste mir so viel durch den Sinn.Trauer, Betroffenheit, aber auch Zufrieden-heit, daß ich es geschafft hatte zu schwei-gen.

Eine Handbreite über meiner Kehle ver-harrte die Klinge.

»Ich frage dich zum letztenmal«, begannYomanril in beschwörendem Tonfall. »DeinLeben, Reginald Bull, gegen die Geheimnis-

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se der Terraner. Eines Tages wird die Ligasich glücklich schätzen, dem Kristallimperi-um anzugehören.«

Ein erfülltes Leben lag hinter mir. Ich hat-te mitgeholfen, die zerstrittenen Nationender Erde zu vereinen und der Menschheiteinen Platz im Weltall zu sichern. AllenRückschlägen zum Trotz war es aufwärtsge-gangen, und so würde es in Zukunft sein.Die Geschichte lehrte, daß Despoten wieBestich nie in der Lage gewesen waren, eindauerhaftes Regime zu errichten. Der Frei-heitswille intelligenter Individuen erwiessich letztlich stärker als alle Mauern.

Mit hörbarem Klicken rastete das Fallbeilnoch einmal in der Höhe ein.

»Wie schnell ist das Abwehrsystem ver-fügbar?« drängte Yomanril. Ich schwieg.»Welchen Systemen steht es zur Verfü-gung?«

Ein Lächeln stahl sich auf meine Züge.Wann würde der Folterknecht die Sinnlosig-keit seiner Fragen einsehen?

»Die Tu-Ra-Cel meldet, daß nicht vieleder neuen 800-Meter-Schiffe gebaut wur-den. Die LFT hat Probleme bei der Beschaf-fung der positronischen Bauteile.«

»Wer soll eigentlich reden, Yomanril?«brachte ich seufzend hervor. »Wenn du estust, kann ich schweigen.«

Die Verwünschung, die er hervorstieß,zeugte nur von seinen schlechten Nerven.Ich lachte leise und stellte fest, daß es mirguttat. »Still!« herrschte er mich an.

Mein Lachen wurde lauter. »Du weißtnicht, was du willst«, ächzte ich. »Erstdrängst du mich zum Reden, dann soll ichschweigen. Ich habe die Angst vor dem Todlängst verloren. Begreif das endlich undschick Bostich in die Wüste!«

»Was bildest du dir ein, Terraner?« brau-ste er auf. »Ihr seid nur Emporkömmlinge,lausiges Gesindel, das ohne arkonidischeTechnik …«

»Langsam, mein Freund«, warnte ich.»Ich bin nicht dein Freund.«»Richtig. Seit ich dich kenne, ist der Tod

mein Freund.« Ich stockte. Mir war übel,

und unter der Schädeldecke rumorte eineHerde Marschiere-Viels. Lange würde ichnicht mehr durchhalten, das spürte ich. Auchwenn ich es mir nicht eingestehen wollte,Yomanrils infinite Todesstrafe ging keines-wegs spurlos an mir vorüber. Noch schaffteich es, mich nach außen hart zu geben, aberim Inneren bröckelte meine Ruhe bereits.

»Ich werde dich jetzt töten, Bull. Endgül-tig!«

Entschlossenheit lag in seiner Stimme. Siehinderte mich nicht daran, spöttisch zu la-chen. Ich starrte auf die blitzende Klingeüber mir und amüsierte mich. Weil Yoman-ril soeben seine Unfähigkeit eingestandenhatte, mir mein Wissen zu entreißen. Ichwürde es mit in den Tod nehmen. »Wennich hier rauskomme, Yomanril«, keuchteich, »dann bringe ich dich um. Und wenn esdas letzte ist, was ich in meinem Leben tue.«

Fiel die Klinge schon? Ein stechenderSchmerz fraß sich in meine Gedanken - Ein-bildung, denn nichts hatte sich verändert.Yomanril, der Folterknecht, kostete seineMacht ein letztes Mal aus.

Dumpf starrte ich in die Höhe. Tränensammelten sich und verschleierten denBlick, und zum erstenmal seit langem be-gann ich ein lautloses Gebet zu murmeln.Erinnerungsfetzen drängten sich in den Vor-dergrund: Reginald Bull, Elektronik-Inge-nieur an Bord der ersten Mondlandemission,festgeschnallt auf der Pneumoliege, währendnur wenige Dutzend Meter tiefer das Gur-geln und Brodeln der Treibstoffpumpen denSchiffsrumpf erzittern ließ.

5.

Dreiundsiebzig Lichtjahre betrug die Ent-fernung von Cormittos Stern bis ins Herzdes Kristallimperiums, zur weißen SonneArkon - im Zeitalter der Metagrav-Trieb-werke, die selbst einer Korvette einen Über-lichtfaktor von 68 Millionen erlaubten, einKatzensprung. Bei Höchstwerten bedeutetedies eine theoretische Flugdauer von unwe-sentlich mehr als einer halben Minute, was

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in Wirklichkeit wegen der dichten Populati-on im Sternhaufen M 13 ein Husarenritt ge-worden wäre, den nicht einmal USOSpezia-listen ohne zwingenden Grund wagten.

Als die KYRANTAR am Rand des Ar-kon-Systems materia lisierte, nur wenigeLichtsekunden von der Umlaufbahn des äu-ßeren Planeten entfernt, hatte die Besatzungeinen Bruchteil der an der LeuchtfeuersonneARK-23 verlorenen Zeit wieder aufgeholt.

»Eine Minute achtunddreißig Sekunden«,hallte Roi Dantons Stimme aus den Bord-lautsprechem.

»Kein Rekordflug, aber es reicht.«Eine angespannte Atmosphäre herrschte.

Wenn jemand redete, beschränkte er sich aufknappe Fragen oder Auswertungsergebnisse.

Die hörbar gemachten auftreffenden Or-tungsimpulse verdichteten sich für kurzeZeit zum Stakkato.

Ein arkonidischer Flottenverband zog inwenigen Lichtminuten Distanz vorbei. Au-genblicke später erfolgte die erste Überprü-fung durch die nächststehende Kampfstationdes Festungsrings.

Fünftausend ausgehöhlte Asteroiden oderKometen bildeten einen vollkommenen Or-tungsgürtel.

Schon die in den Hangars stationierten ro-botgesteuerten Jäger konnten es mit einerFlotte aufnehmen.

Automatisierte Abfrage der Schiffsken-nung. Der Bordrechner antwortete mit denvorgegebenen Daten eine Beeinflussung warnicht erfolgt. Lediglich der Zwischenfall amLeuchtfeuer war akribisch genau aus allenSpeichern entfernt und durch falsche Se-quenzen ersetzt worden.

Schiffsname: KYRANTAR.Besatzungsstärke: Vierzig.Herkunft und Bestimmungsort: Cormitto

II - Arkon; Golkana-Gefängnis.Mission: Gefangenentransport.Ein Fenster im Hauptholo zeigte in aufge-

listeter Form den Datenaustausch. Der an-schließende Zeitabgleich kam überraschend,bewies aber, daß Kommandant MonkeysVorbereitungen keineswegs nur Schikane

gewesen waren, Zwei Stunden und keine Se-kunde länger hatten die Eroberung der Kor-vette und der Einbau des Verstecks dauerndürfen, das Limit war knapp unterbotenworden.

Eine nochmalige Nachfrage traf ein. RoiDanton schnappte nach Luft. »Was solldas?« stieß er nervös hervor. »Dafür gibt eskeinen Grund.«

»Der Grund heißt Mrii'Qaaler«, vermuteteMonkey. »Er ist gefährlich.«

Das war eine Untertreibung, wie sie nurder Oxtorner aussprechen konnte. DerMrii'Q war - bei aller Tragik seines Schick-sals - ein Massenmörder, der Intelligenz mittriebhafter Unberechenbarkeit vereinte undsich seiner Stärke bewußt war. Wilde In-stinkte beherrschten die drei Meter große,mit tödlichen Tentakelarmen ausgestatteteKreatur, deren Kampfkraft zumindest der ei-nes Ertrusers entsprach. Mit wenig mehr alsachtzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit ra-ste die KYRANTAR der noch lernen Sonneentgegen. Danton warf einen ungeduldigenBlick auf die Chronometer.

»Wo bleibt die Genehmigung für die letz-te Überlichtetappe? Läßt ziemlich lange aufsich warten, finden Sie nicht?« Anstelle ei-ner Antwort kam ein Aufschrei der l. Pilotin.»Ausfall der manuellen Funktionen! Wirwurden soeben von einer planetaren Leit-stelle übernommen.«

»Begründung?«»Keine, Verc´athor.«Danton nickte bitter. Daß die Pilotin ihn

mit dem arkonidischen Titel anredete, warunerläßlich. Er trug nicht nur die perfekteMaske des Jallok Zarghon, des Komman-danten Fünfter Klasse und Zweimondträ-gers, er war Zarghon. Und das galt für jedenanderen an Bord ebenso.

Sie würden keine zweite Chance erhalten,Reginald Bull zu befreien.

Für einen Augenblick schweiften seineGedanken ab. Er erinnerte sich nicht mehrwirklich, doch er hatte die Aufzeichnungenvon seinem fünften Geburtstag oft genug ge-sehen. Wie er die Kerzen auf seiner Torte

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ausgeblasen und sich, ohne Luft zu holen,von Onkel Reginald gewünscht hatte, er mö-ge seine Schwester Suzan so fliegen lassen,wie Gucky das immer mit den Roboternmachte.

Weil Suzan ihn geärgert und behauptethatte, er könnte nicht mit Robotern umge-hen.

Ärgerlich fuhr Danton sich mit demHandrücken übers Gesicht. Solche Erinne-rungen belasteten.

Ohnehin gab es Michael Rhodan nichtmehr, nur noch Roi Danton; das war dieglücklichere Persönlichkeit - wie derSchmetterling, der die Puppenhülle ge-sprengt hatte und ausgeschlüpft war.

Die bildliche Vorstellung zauberte ein Lä-cheln auf Dantons bis eben verkniffene Ge-sichtszüge.

»Monsieur Bull«, murmelte er kaum hör-bar vor sich hin, »nous sommes arrives.«

»Auftreffende Scan-Impulse!« meldetedie Ortung. »Wir liegen im Bereich einesBioscanners.«

Kommandant Monkey grinste grimmig.Vorübergehend hatte der Plan beständen,zweihundert bis an die Zähne bewaffneteUSO-Spezialisten an Bord der Korvette zunehmen, Männer und Frauen, die sogar denTeufel aus der Hölle geholt hätten, wäre esihre Aufgabe gewesen. Monkey hatte abge-wehrt. Vierzig Personen zählte die Stamm-besatzung der KYRANTAR, jeder Mannmehr bedeutete ein zusätzliches Risiko. Eswar eine Gratwanderung, und die Alternati-ven hießen frühzeitige Entdeckung oder Er-stürmung des Golkana-Gefängnisses mit nureiner Handvoll Spezialisten.

Die Vorsicht erwies sich als begründet.Da die Korvette ohne aktivierten Paratronins Arkon-System einflog, nur im Schutz ei-nes Prallschirms gegen Mikrometeoriten, er-faßte der Bioscanner exakt vierzig Personen.Außerdem den Mrii'Qaaler. Kein Anlaß alsofür die planetare Verteidigung, irgendwieeinzugreifen.

Vielleicht hätte man ein paar DutzendUSO-Spezialisten in abgesicherten Räumen

verstecken können, denn Bioscanner warengewiß fehlerhaft, aber nur der Schatten einesVerdachts, der die Wachflotte zwang, dieKYRANTAR näher in Augenschein zu neh-men … und der Verteidigungsminister derLFT blieb auf Arkon I.

Die Daten, die »Sternvogel« unter Einsatzseines Lebens aus den Syntroniken des Gol-kana-Gefängnisses beschafft hatte, warenunbezahlbar. In der Aufbereitung hatten sieDetails offenbart, die den Männern undFrauen des Einsatzkommandos über Hypno-schulung vermittelt worden waren. Mit demErgebnis, daß sie sich in den Hochsicher-heitstrakten möglicherweise besser zurecht-fanden als die Architekten selbst.

»Die Datenübermittlung wurde soebenabgeschlossen«, meldete die Pilotin. »Ichbekomme keinen Zugriff, alle Funktionensind gesperrt. Achtung; Beginn einer Über-lichtphase in neunzig Sekunden.«

»Welche Koordinaten?« wollte Roi Dan-ton wissen.

»Nicht zu identifizieren.«»Okay.« Danton alias Jallok Zarghon

nickte verbissen. »Der Tanz beginnt also.Was meinen Sie, Monkey?«.Scheinbar ge-dankenverloren starrte der Oxtorner seinePranken an. Er hatte die Hände ineinanderverschränkt und dehnte die Finger. Nur kurzschweifte sein Blick zum Kommandantenab, dann stieß er ein Grollen aus, das Zu-stimmung ebenso wie Unschlüssigkeit be-deuten konnte.

Danton verzog unwillig die Mundwinkel,schwieg aber ebenfalls. Hatten die Arkoni-den Verdacht geschöpft? Dann war es sehrgut möglich, daß die Korvette nicht über Ar-kon I, sondern in Reichweite eines größerenVerbandes den Hyperraum wieder verließ.Die KYRANTAR war für den Transport desMassenmörders präpariert, deshalb griff dieFernsteuerung zu, ohne daß die Crew daraufEinnuß nehmen konnte. Niemand hatte dieseMöglichkeit in Erwägung gezogen, aber siewar logisch für den Fall, daß der Mrii'Q dasUnmögliche geschafft hätte, die Mannschaftin seine Gewalt zu zwingen.

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Noch dreißig Sekunden … Lediglich dieoberen beiden Drittel des Panoramaholoszeigten den Weltraum, die ferne Sonne und,als schmale Sicheln, vier der äußeren Plane-ten. Im unteren Bereich erschienen die ein-geblendeten Metagrav-Symboliken: Ein ab-nehmendes Balkendiagramm zeigte die letz-ten Sekunden bis zum Übertritt in denHyperraum durch den Metagrav-Vortex, denPotentialtrichter des im Schwerkraftzentrumdes Hamiller-Punkts künstlich erzeugtenkurzlebigen Pseudo-Black-Hole. Der Über-tritt als solcher vollzog sich mit Ausnahmeder optischen Effekte für die Besatzung un-merklich.

Nicht anders der Rücksturz.Nach wenigen Sekunden Überlichtflug

war die Sonne auf ein Mehrfaches ihrer bis-herigen Größe angewachsen. Mit bloßemAuge waren drei Planeten zu erkennen, zweidavon auf identischer Umlaufbahn. ArkonII, die Handels- und Versorgungswelt und,bei einer Distanz von viereinhalb MillionenKilometern fast schon zum Greifen nahe, dieKristallwelt Arkon I. Der Kriegsplanet undFlottenstützpunkt Arkon III existierte nurmehr in Form eines Asteroidenschwarms.

Ein arkonidisches800-Meter-Schlachtschiff näherte sich. Mitden im Äquatorbereich und an beiden Polenhalb eingedockten 150-Meter-Kreuzern alsGroßbeibooten wirkte es durchaus imposant,vor allem genügte eine einzige Salve, umdieKYRANTAR aus dem All zu fegen. DasSchlachtschiff lag auf Kollisionskurs.

»Funkkontakt?«»Negativ.«Roi Danton wandte den Blick nicht mehr

von den Schirmen, auf denen der Großrau-mer schon in Details zu erkennen war.

Sekundenlang hallten feine Vibrationendurch die Zentrale, die syntronische Verstär-kung auftreffender Impulse der gegnerischenZielerfassung.

»Streustrahlung beweist Hochfahren derGeschütze! Bislang keine Energie auf denTransformlafetten.«

»Machen Sie sich um unseren Geleit-

schutz keine Sorgen«, sagte Danton. Aller-dings würde kein arkonidischer Komman-dant nur drei Lichtsekunden von der Kri-stallwelt entfernt das Feuer aus Transform-geschützen eröffnen.

Der 800-Meter-Raumer setzte sich mit lä-cherlich geringen zehn Kilometern Distanzneben die Korvette.

»Zum Glück kann der Mrii'Qaaler nichtsehen, welchen Respekt die Arkoniden vorihm haben«, erklang es im Hintergrund.

Die Kristallwelt wuchs stetig an. Einigehundert Raumfahrzeuge unterschiedlichsterGrößenordnung hingen im Orbit, startetenoder landeten gerade. Dennoch hatte es denAnschein, als wäre für die KYRANTAR einFlugkorridor freigehalten worden.

Die Distanz bis Arkon I entsprach nurmehr dem Abstand zwischen Erde undMond; die Korvette war auf eine Restfahrtvon knapp eintausend Sekundenkilometernabgebremst worden. Für das unbewaffneteAuge schien das Schiff im Raum festzukle-ben.

Lockere Wolkenbänder hüllten den Plane-ten ein; in der oberen Atmosphäre, die derKlimakontrolle nur bedingt unterlag, bilde-ten die Partikelströme der Raumschiffstrieb-werke Kondensationskeime für faserartigeHöhenwolken, die in einer leichten Lichtbre-chung Regenbogenreflexe hervorriefen. Le-diglich der Norden des Hauptkontinents prä-sentierte sich als braungraue Einöde im Be-reich des Terminators.

Irgendwo dort schwebte der Golkana-Komplex in den milden Strahlen der Mor-gensonne über einsamer Tundra.

»Der Peilstrahl wechselt. Wir fliegen jetztunter Kontrolle eines der großen Raumhäfenauf Arkon I.«

»Ist der Funk endlich frei?«»Nach wie vor blockiert.«Monkey räusperte sich unterdrückt. »Das

ist eines der möglichen Szenarien, die wir inErwägung ziehen mußten.« Nur flüchtig hat-te er von seinem zerlegten Kombistrahleraufgeschaut, einer Handwaffe, die Terranernur mit Mühe und bestenfalls beidhändig be-

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nutzen konnten. Mit tausendmal geübterRoutine klinkte er das Energiemagazin ein.

»Die Landung erfolgt in längstens zwan-zig Minuten«, stellte er unwirsch fest undwuchtete sich aus dem Kontursessel. Erstunter dem Schott blieb er noch einmal ste-hen. »Mr. Danton, erfüllen Sie Ihren Part -ich besorge den Rest.«

Perry Rhodans Sohn setzte zu einer Erwi-derung an, verzichtete dann aber darauf.Sein Blick huschte unruhig hin und her. Erstzweitausend Kilometer über der Kristallweltblieb das Schlachtschiff zurück.

Roi Danton kaute nervös auf seiner Unter-lippe, als deutlich wurde, daß der Raumereinen geostationären Orbit einnahm.

»Mir wäre wohler, wenn unsere Freundeda oben verschwinden würden.« Wie eineVerwünschung zerbiß er den Satz zwischenden Zähnen.

Irgendwo fernab unter der KYRANTARlag der Kristallpalast inmitten ausgedehnterParklandschaft.

Fast tausend Meter hoch, die kristallineMauerstruktur im Sonnenlicht wie ein ge-waltiges gleißendes Juwel. Längst war derKristallpalast wieder mehr als nur derWohnsitz des Imperators, Tagungsort oderStätte berauschender Feierlichkeiten - er wardas uneingeschränkte Symbol des wiederer-starkten Machtanspruchs arkonidischerHerrlichkeit …

Die KYRANTAR landete - vier Kilome-ter vom Golkana-Hochsicherheitsgefängnisentfernt, das düster und drohend über dermenschenleeren Tundra hing. Die scheiben-förmige Konstruktion durchmaß dreihundertMeter, war einhundert Meter dick und fen-sterlos, ein dunkler, massiger Endzeitkoloß,der schon von außen wie der Eingang in einefremde Welt wirkte, aus der es keine Rück-kehr gab.

Zwanzig Meter hoch schwebte Golkanaüber dem künstlich verödeten Boden, undder lange Schattenwurf in der schwachenMorgensonne verschmolz schier mit demtrutzigen Koloß.

Eine Stahlfestung, durchzuckte es Roi

Danton. Wer immer nach Golkana verbanntwar, würde nie wieder die klare Luft desNordens atmen und die Sonne sehen.Schwerverbrecher, aber auch prominenteGefangene aus Oppositionskreisen, die esgewagt hatten, Imperator Bostich offen zukritisieren, waren hier lebendig begraben.

Und ein Terraner.Roi glaubte, eine Ahnung dessen zu spü-

ren, was Bully in den zurückliegenden Wo-chen hatte erdulden müssen.

»Wir haben Bildkontakt, Vere´athor!«Seine Finger huschten über Sensorflä-

chen, die sich ebenso schnell umgruppierten.Aus einem rotierenden schwarzen Sog her-aus stabilisierte sich ein angenehmes Ge-sicht, vermutlich das einzige, was inmittentrostloser Umgebung zum Bleiben einlud.Sternvogels Bericht hatte Entsprechendesdurchblicken lassen, sich aber im Gegensatzzum übrigen Detailreichtum vage gehalten.Endra da Kimbarley, registrierte Roi, war ei-ne schöne, eiskalte und gefährliche Frau.

Abschätzend taxierte sie ihn. »Du wirfstmeinen Zeitplan durcheinander, Verc´athor.Der Gefangenentransport wurde für eheravisiert.«

Danton deutete eine knappe Verbeugungan. »Widrige Umstände im Bereich einesLeuchtfeuers, Zhdopanda …«

»Erspar mir eine langatmige Schilderung.Der Mrii'Q ist nach Golkana zu überstellen,danach ist deine Mission erfüllt. Gib mir dieDaten der Transportbox, meine Roboterwerden alles Weitere übernehmen.«

»Unsere eigenen Kampfroboter …«»Nein!«»Wie Ihr wünscht, Hochedle«, flüchtete

sich Danton in die zeremonielle Anrede.Eine kurze Schaltung stellte über den

Bordrechner die Daten zur Verfügung. End-ra da Kimbarley unterbrach von sich aus dieVerbindung. Daß der vermeintliche Kom-mandant der KYBANTAR erleichtert aufat-mete und sich Schweißperlen von der Stirntupfte, sah sie nicht mehr.

»Da geht er hin.« Roi Danton nickte bei-läufig zur Bemerkung der Pilotin. Ein flüch-

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tiger Blick auf sein Armbandchronometerzeigte ihm den 21. Juli 1303 NGZ, 10.28Uhr terranischer Standardzeit.

Sechs Kampfroboter des Golkana-Gefängnisses hatten die Transportbox desMrii'Q übernommen, wobei Box der denk-bar falsche Ausdruck für den einen Meterdicken Panzerplast-Kubus war.

Der Anblick der Roboter und der Box er-innerte Danton an einen Leichenzug. Nurwar der Sarg unverhältnismäßig groß imVergleich zu seinen Trägem, die ihn mit ge-richteten Antischwerkraftfeldern stabilisier-ten.

Schlagschatten tauchten den Gefängnis-rand in tiefes Schwarz. Nur das geöffneteSchleusenschott zeichnete sich grell ab. Wieein gefräßiges Maul, das den Mrii'Q und dieKampfroboter verschlang.

… und lange vorher Reginald Bull.Fahrig knetete Roi Danton seine Finger.

Er mußte sich von solchen Gedanken freimachen, die ihn verunsicherten. Vermutlichwar er der einzige an Bord, der sich immerwieder von Gefühlen ablenken ließ.

10.36 Uhr. Das Schott schloß sich wieder.Sonnenstrahlen geisterten über den Himmel,konnten aber Golkanas Rückverwandlung ineinen finsteren Moloch nicht aufhalten.

Vier Kilometer und ein paar lausige Meterdazu trennten Rhodans Sohn von ReginaldBull. Die Zelle lag im oberen Bereich desGefängnisses, das hatten die Aufzeichnun-gen ergeben.

Ein Sensorfeld auf der Kommandanten-konsole begann zu blinken. Konzentrischerote Kreise liefen von außen nach innen, undaus dem Zentrum heraus entstanden die Um-risse eines Totenschädels.

Ein Witzbold hatte die Programmierungvorgenommen. Roi Danton verzog dieMundwinkel zu einem schrägen Grinsen.

»Die Roboter und die erste Einsatzgruppestehen in der Bodenschleuse und den Mann-schleusen bereit.«

Seine Kehle war wie ausgedorrt, die Zun-ge ein aufgequollener Fremdkörper, Und derTotenschädel blinkte herausfordernd. Gera-

dezu höhnisch. Hatten sie überhaupt eineChance? Vielleicht auf jeder anderen Weltdes Kristallimperiums, aber ausgerechnetauf Arkon I, dem Regierungssitz? Im Ver-gleich stellte sich die Frage, was geschehenwürde, falls Arkoniden, Akonen oder Sprin-ger versuchten, die Solare Residenz zu be-setzen. Ein verrückter Gedanke.

Drei Minuten erst …»Major, wir müssen damit rechnen, daß

Monkey …«»Wo steht das Schlachtschiff?«»Hat den Orbit verlassen.«»Gut.« Er nickte zufrieden. »Das dürfte

uns einige Minuten Galgenfrist verschaf-fen.«

»Major, mit Verlaub, unser verzögerterStart wird Aufmerksamkeit erregen.«

»Was glauben Sie, wo sich die Box inzwi-schen befin det?«

»Die Zeit reichte aus, auch das Innen-schott zu schließen. Vermutlich im Bereichdes äußeren Ringkorridors …«

»Das ist mir zuwenig. Ich habe mit Mon-key abgesprochen, so lange wie irgend ver-tretbar zu warten.«

Wie Sandpapier klebte die Zunge amGaumen. Er hustete. »Hat jemand einenVurguzz bei der Hand?«

Die Pilotin lachte gekünstelt; sie hielt dieFrage für einen unpassenden Witz.

10.45 Uhr. Roi Danton befahl die Start-vorbereitungen, fügte jedoch hinzu: »Wirhaben es nicht eilig. Energie auf Antigrav-projektoren, aber das Hyperfeld im Ab-strahlbereich nicht schließen. Nennleistungunter 4,5 mal zehn hoch zwölf Kalup hal-ten.«

Die Pilotin begann zu grinsen. »Das wirdIonisationseffekte verursachen und uns mitDreck bewerfen.«

Sie stutzte, nahm mehrere Schaltungenvor und wandte sich wieder an Danton: »Beiden genannten Werten erfolgt die positroni-sche Korrektur nach einer Minute und zehn,danach heben wir endgültig ab.«

»Stopp bei drei Kilometern Höhe! Wirwollen keine Sightseeing-Tour fliegen, son-

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dern rüber in den Knast.«Ein Ausruf von der Funkkontrolle:

»Zhdopanda da Kimbarley über Interkom,Verc´athor!«

»Auf den Hauptschirm mit ihr!«Giftig funkelten die roten Augen der Ar-

konidin. Ihr Blick suchte den vermeintlichenJallok Zarghon.

»Mir ist nicht bewußt, dich zu einer TasseCamána eingeladen zu haben, Kommandant.Sie halten sich widerrechtlich im Sperrge-biet auf.«

»Projektorprobleme«, murmelte Dantonzerknirscht. Er wurde jeder weiteren Ant-wort enthoben, denn in dem Moment bilde-ten sich in einem sechzig Meter durchmes-senden Kreis unter der KYRANTAR zwölfrasch anwachsende Wirbel aus Sand, Dreckund losgerissenen Moosen. Die Korvettesackte ab, hatte beinahe Bodenberührung,begann dann aber langsam zu steigen, wäh-rend kubikmeterweise Tundraboden gegenden Rumpf prasselte. Von außen gesehenmußte der Eindruck eines aus dem Nichtsheraus aufwachsenden Hurrikans entstehen.

Dantons Rechte knallte auf das Sensorfeldmit dem Totenkopf. Ein gequälter Ausdruckerschien um seine Mundwinkel. In dem Mo-ment zahlte er den Arkoniden mit gleicherMünze zurück. Vor fünfzehn Minuten warder Mrii'Q im Gefängnis verschwunden;mehr Zeit hatte er beim besten Willen nichtherausschinden können. Wenn die Boxschnell transportiert worden war, stand sieschon im Gefangenentrakt.

Alle Funktionen des Gefängnisses wurdennach wie vor syntronisch gesteuert. Geradeauf ihrer Kristallwelt hatten die Arkonidengeglaubt, die Umrüstung auf Positronikenhinauszögern zu können.

Gleichzeitig über Funk, über Aktivortungund als modulierte fünfdimensionale Wel-lenfront wurde ein KorraVir der Stufe III ge-gen Golkana eingesetzt. Es war eine Angele-genheit von Millisekunden, bis die Struktu-ren des Virus Zugang zur inneren Architek-tur der Gefängnissyntroniken gefunden hat-ten und die ebenfalls fünfdimensionalen,

überlichtschnellen Rechenvorgänge über-lappten. Das betreffende KorraVir neigte da-zu, hyperenergetische Wellen eines großenSpektralbereichs auszugleichen und so eineNullinie zu schaffen, die von einzelnenStrukturen als Selbstzerstörungssequenzoder zumindest Abschaltimpuls verstandenwurde. Die Folge war eine Kettenreaktionvon Fehlschaltungen, Ausfällen und Explo-sionen, die sich nicht nur über das Netzwerksyntronischer Verbindungen ausbreiteten,sondern auch die normalenergetische Peri-pherie erfaßten.

Eine Bebenwelle erschütterte den Golka-na-Komplex. Die düstere Schabe schien sichaufzubäumen und kippte zeitlupenhaft lang-sam seitlich weg. Bevor sie sich, einen Wallaus Dreck vor sich her schiebend, ein halbesDutzend Meter tief in den Boden rammte,begann die Außenhülle aufzubrechen. Flam-men leckten über den Stahl, erstarben aberschnell wieder; zwei Explosionspilze quol-len blutrot in die Höhe, während dichterQualm sich mit aufstiebendem Dreck zu ei-ner turmhohen Woge vermengte, die sich,vom Zentrum des Aufpralls ausgehend,kreisförmig ausbreitete. Nur Minuten dauer-te das Sterben Golkanas, verhüllt von einemMantel aus Sand und Erde und Rauch. DieRelieftaster zeigten, daß die Scheibe mehr-fach brach, sich verkantete und ineinanderverschob, wie sich Eisschollen in einem flie-ßenden Gewässer übereinandertürmen.

Bully! schrien Roi Dantons Gedanken.Die Reaktion war heftiger ausgefallen als er-wartet. Es mußte Tote und Verletzte gege-ben haben, weil sich einige Abschnitte in-einander verkeilt hatten und andere Sektio-nen nach dem Ausfall der stützenden An-tischwerkraft unter dem eigenen Gewichtzusammenbrachen.

Noch hatte kein Notruf das Gefängnisverlassen. Andererseits würden im bestenFall nur Minuten vergehen, bis der Absturzvon seismischen Stationen oder Satellitenregistriert wurde. Es war ein einfaches Re-chenexempel, wann die ersten Raumschiffeüber der Tundra erscheinen würden.

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Vorausgesetzt, das KorraVir verbreitetesich nicht in Windeseile über Arkon I.Schon die aktiven Ortungsimpulse eines an-fliegendes Kreuzers konnten das Virus aufdie Schiffssyntroniken kopieren. Wieschnell sich der Befall ausbreiten konnte,hatte Terra erlebt, als das Virus, von Terra-nia ausgehend, Asien lahmgelegt hatte.

»Die Einsatztrupps und die Kampfrobotersind draußen!« wurde Roi Danton gemeldet.»Sie dringen ungehindert in die Station ein.«

Sobald die Arkoniden zu ahnen begannen,was geschehen war, würde kein Schiff mehrdas System verlassen dürfen. Aber damithatte die USO gerechnet. Auch daß die KY-RANTAR wenig Schutz bieten würde. Esgab nur einen einzigen Ort, der während dernächsten halben, vielleicht sogar ganzenStunde relative Sicherheit versprach; Golka-na selbst.

Danton aktivierte den Bordrundruf: »DerKnast wartet. Wir verlassen das Schiff mitder vollständigen Ausrüstung.«

Ihr Ziel war die medizinische Abteilungdes Gefängnisses, im oberen Peripheriebe-reich gelegen.

Die vier Einsatztrupps aus jeweils fünfMann und ebenso vielen Ares-Kampfrobotern sollten Widerstände ausräu-men und den Weg sichern. In den Brücken-kopf würden sich auch Monkey und seineErtruser zurückziehen, sobald Reginald Bullgefunden und befreit war.

Oder, gallebitter stieg die Befürchtung inRoi Danton auf, sobald man Bullys Leich-nam geborgen hat.

6.

Ein unterdrücktes Husten hallte durch dieabsolute Finsternis. Es klang wie der Vorbo-te eines heraufziehenden heftigen Gewitters.Die wieder folgende Stille barg lediglich einschabendes, kratzendes Geräusch hinter dermassiven Panzerwand. Die praktisch nichtvorhandene Leitfähigkeit des Materials be-rücksichtigt, hämmerten auf der anderenSeite schwere Maschinen.

»Er tobt wieder.« Flüsternd hervorgesto-ßen die Feststellung, dennoch kaum leiserals ferne Explosionen.

Ein gequälter Atemzug, dann: »LeutnantTamas, bitte schweigen Sie!«

»Ich verstehe nicht.«»Kein Wort mehr!«»Der Stimme nach sind Sie das, Begol.«»Agent Begol meint, wir haben einen

schweren Einsatz vor uns. Ihm ist vermut-lich übel«, mischte sich ein dritter ein.

»Richtig«, pflichtete der Genannte bei.»Sie stinken bestialisch, Leutnant Tamas.Fast möchte ich meinen, Sie machen mitdem Mrii'Q gemeinsame Sache.«

»Warum verwenden Sie nicht die Giftgas-filter für Ihre Nasenlöcher?« drängte diedritte Stimme.

»Weil ich zwischen diesen beiden Blech-kisten eingeklemmt bin und mich kaum be-wegen kann.«

»Dann halten Sie bitte auch den Mund,Begol!« versetzte Tamas aus der Dunkelheit.

Eine schwache Erschütterung begleitetedas Absetzen der Box innerhalb des Gefäng-nisses. Es gab keine Datenleitung nach drau-ßen, nichts, was ermöglicht hätte, die Situa-tion abzuschätzen. Mit jeder Übertragungwäre die Gefahr einer Entdeckung verbun-den gewesen. Aber die Ungewißheit würdeohnehin nicht lange anhalten.

USO-Agent Antol Begol spannte dieMuskeln an und versuchte, sich in der herr-schenden Enge ein wenig mehr Bewegungs-freiheit zu verschaffen. Er überragte dieKampfroboter um gut Kopfeslänge, und mitseinen achtzehn Zentnern Knochen undMuskelmasse war er auch für ertrusischeVerhältnisse alles andere als ein Leichtge-wicht. Trotzdem schaffte er es nicht, dieAres-Roboter zu bewegen. Sie hatten sichmechanisch an der Wand verankert und alleFunktionen desaktiviert.

Abgesehen von ihrer Masse gab es keineverräterischen Parameter, und mit 910 Kilo-gramm brachten die Kampfroboter ohnehinnur wenig mehr Gewicht als ein Ertruser aufdie Waage.

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Der beißende Geruch reizte seine Nasen-schleimhäute. Ein explosionsartiges Niesenwürde außerhalb der Box zu hören sein.Krampfhaft schluckend versuchte Begol,den Niesreiz zu Unterdrücken.

Er hatte schon bequemere Transporte hin-ter sich gebracht. Ein lediglich drei Meterlanges Teilstück war an die kubische Boxdes Mrii'Q angeflanscht worden, ein lächer-lich enger Raum für zehn Kampfrobotervom Typ Ares und vier Gladiator-TKR, au-ßerdem acht Ertruser und KommandantMonkey. Schon ihre Ausrüstung bean-spruchte ein nicht unerhebliches Volumen.In den Außenecken des Anbaus waren dieRoboter verankert, ebenso im oberen Be-reich.

Wieviel Zeit war verstrichen? Auf keinenFall mehr als zehn Minuten seit dem Verlas-sen der Korvette.

Der Niesreiz ließ sich nicht mehr unter-drücken. Agent Begol schnappte stoßweisenach Luft - und wurde von einem fleischi-gen Unterarm fast erstickt, der sich kraftvollauf seinen Mund und die Nase preßte.

»Halten Sie die Luft an, Begol!«Irgendwie schaffte er es sogar, am Rand

einer Explosion dahintaumelnd, den Nies-reiz zu unterdrücken.

»Das ist Knoblauchgestank«, ächzte ergequält, als der Arm ihn nicht mehr zu er-sticken drohte. »Will Leutnant Tamas damitdie Arkoniden in die Flucht schlagen?«

»Es war nur ein Happen vor dem Ein-satz«, versuchte Tamas eine Rechtfertigung.»Fünf Knollen und ein kleiner Schinken.«

»Fünf?« Begol schnaubte gequält. Vor al-lem versuchte er sich vorzustellen, was miteinem fliegengewichtigen Terraner gesche-hen wäre. Es war richtig, daß KommandantMonkey sich ausschließlich für ertrusischeNahkampfspezialisten entschieden hatte. Je-der Terraner wäre in der qualvollen Engeder Zusatzbox zerquetscht worden.

»Ruhe jetzt!« zischte Monkey ärgerlich.»Konzentration!«

Nur noch das Geräusch gepreßter Atem-züge erfüllte die Stille. Seit Sternvogels

Dossiers war der Einsatz gegen Golkana invielen Variationen durchgespielt worden.Virtuell vernetzt, hatte jeder sich auf den un-terschiedlichsten Etagen des Gefängnisseswiedergefunden und ans Ziel durchschlagenmüssen. Das Ziel hieß Reginald Bull.

Fast alle waren dabei mehrfach auf derStrecke geblichen. Verzweigte Korridorehatten sich jäh als Sackgassen erwiesen, undder Rückweg war von gegnerischenKampfroboter versperrt worden; schmelzen-de Speicherbänke hatten in den unteren Eta-gen für ein energetisches Chaos gesorgt; undletztlich waren nach kurzer Zeit arkonidi-sche Raumlandetruppen zur Offensive über-gegangen.

Eine erneute Erschütterung durchlief dieBox, gefolgt von weiteren Stößen, und jederstärker als der vorangegangene. Augen-blicke später das Gefühl, seitlich wegzukip-pen. Agent Begol spürte plötzlich heißenKnoblauchatem auf der Haut und einen kan-tigen Ellenbogen zwischen den Rippen.

»Nicht mehr atmen, Leutnant Tamas!«ächzte er.

Dann die Gegenbewegung und ein Fallüber fünfzehn, zwanzig Meter. Ein ohrenbe-täubender Aufprall, das grelle Kreischen vonreißendem Stahl, vermischt mit rollendemExplosionsdonner.

Die Box kippte in die andere Richtung,schien sekundenlang auf der Längskante zuverharren und stürzte schließlich dumpfdröhnend zurück. In der gemeinsamen Wandbeider Kammern war ein mehrere Fingerbreiter Riß entstanden.

Mrii'Qaalers Brüllen hallte herüber, seineTentakel tasteten auf der Jagd nach einemOpfer heran.

An den vier Außenecken hatten die Ares-Kampfroboter abgeschirmte Desintegratorla-dungen angebracht, deren Zündung dieFrontplatte wegbrechen ließ.

Für den Bruchteil eines Augenblicks sahBegol im flackernden Widerschein künstli-cher Beleuchtung die Silhouette eines Ares-Roboters verschwinden. Im Schutz ihrer De-flektorschirme sicherten die Kampfroboter

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zuerst die Umgebung der Box.Begol schloß den Helm seiner Kampf-

kombination und aktivierte ebenfalls dasDeflektorfeld. Sie befanden sich in einer ArtVerteilerhalle. Flammen und fetter Qualmbeschränkten die Sicht auf weniger als drei-ßig Meter. Umschalten auf Infrarotsicht.Zwei Korridore zweigten ab, zumindest aufdie ersten Meter wirkten sie intakt. Feuerund Rauch quollen aus dem seitlich vorgela-gerten Lasten-Antigravschacht.

Den schweren Thermostrahler in derArmbeuge, hastete Begol los, an der Längs-wand der Box vorbei hinüber zu dem ge-schlossenen großen Zugangsschott. Dahintererstreckte sich vermutlich einer der Ringkor-ridore, über die alle in Golkana stationiertenWächter und Soldaten schnellen Zutritt zuallen Sektionen hatten.

Im Laufen gab Begol eine Serie vonSchüssen auf die vermuteten Öffnungsme-chanismen ab; Teile der Wandverkleidungzerstoben in einem Funkenregen. Hinter ihmwurde schon erbittert gekämpft.

Arkonidische Kampfroboter hatten dieBox begleitet und sich über die Halle ver-teilt, für ihr Wahrnehmungsvermögen be-deuteten die Deflektorschirme kein Hinder-nis.

Knappe Kommandos kamen über Helm-funk. Sie betrafen nicht Begol, sondern dieMänner auf der anderen Seite der Box. Übereinen Treppenschacht drangen weitere arko-nidische Roboter in die Halle vor.

Monkey forderte, den Schacht mit zweiFusionsladungen unpassierbar zu machen.

Die Maschinenräume in der 30 Meterdicken Bodenplatte Golkanas interessiertenunter den gegebenen Umständen nicht. Vonden Energieerzeugern, Antigravprojektorenund Schutzschirmgeneratoren aus gab eskeinen direkten Zugang zum Zellentrakt.Das mochte nach dem Absturz etwas andersaussehen, aber falls wirklich Energiesperrenund Schirmfelder Bestand hatten, ließen siesich auch aus der Nähe knacken.

Zwei Strahltreffer belasteten Begols Indi-vidualschirm. In dem Moment vermißte er

den SERUN und die vom Pikosyn gesteuerteKapazitätsanzeige.

Eine neue, heftige Erschütterung durchliefden Gefängniskomplex, In den unteren Eta-gen steigerte sich ein Rumoren zum dump-fen Grollen, schließlich brach der Bodenauf. Quer durch die Halle verlief der Riß,dessen Entstehen wie in Zeitlupe zu beob-achten war, bevor die Ränder sich gegenein-ander zu verschieben begannen. Offensicht-lich waren die Schwerkraftgeneratoren nichtausgefallen, sondern ein Opfer KorraVir-be-dingter Fehljustierungen geworden. In letz-ter Konsequenz konnte das den vollständi-gen Zusammenbruch Golkanas bedeuten.

Mit fliegenden Fingern drückte Begol diedünne Schnur der Schmelzladung zwischenSchottrahmen und Stahlflügel. Die Zündungverlief zeitverzögert. Ein kaum wahrzuneh-mendes Flackern, ein klein wenig mehrRauch, aber schon nach Minutenfrist wardas Schott massiv über atomare Kohäsions-kräfte mit dem Rahmen verschweißt.

»Weiter!« erklang Monkeys knapper Be-fehl. »Der Hochsicherheitstrakt mit BullsZelle liegt drei Etagen über uns.«

Nur die Ares-Kampfroboter lagen nochim Gefecht mit ihren arkonidischen Pen-dants. Der Zustrom weiterer Maschinen warunterbunden, die Temperatur in der Halleauf knapp über sechzig Grad Celsius hoch-geschnellt. Die Uhr sprang soeben um auf10.56 Uhr Standardzeit.

»Das Ziel dieses Schiffes bleibt Arkon.Und ich werde dir keine Gelegenheit zurFlucht geben.« Die Worte des Oxtorners mitden künstlichen Augen schwangen inMrii'Qaalers verzweigten Gehirnsträngennach. Seit er wieder allein war, wußte er,daß er eine letzte Chance erhalten würde.

Was immer Monkey plante, seine Hand-lungen richteten sich nur gegen die Arkoni-den. Der Mrii'Q hungerte. Er benötigte fri-sches Fleisch und warmes Blut, um überle-ben zu können; in dem Gefängnis würde erinnerhalb weniger Stunden zugrunde gehen.

Die Nähe der Fremden, die auf ein beson-deres Ereignis zu warten schienen, trieb ihn

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unaufhaltsam einem Blutrausch entgegen.Seine Versuche, sie zu beeinflussen, bliebenvergeblich.

Dann kamen die Erschütterungen und dieGeräusche ferner Explosionen, und als dieFremden verschwanden, wußte der Mrii'Q,daß seine Zeit zum Handeln gekommen war.Der unbezähmbare Drang nach Freiheit be-herrschte sein Denken mehr als der Unter-gang von Gorrgient. Er haßte die Arkonidendafür, daß sie einiger Erze wegen die Naturdes Planeten zerstört hatten.

Sein enges Gefängnis hatte Risse bekom-men, und jenseits dieser Risse züngeltenFlammen.

Minutenlang zerrte Mrii'Qaaler mit seinenTentakeln an den aufklaffenden Wänden,doch er schaffte nicht mehr, als sie etwasweiter aufzuwuchten - zuwenig, um mit allerKraft zupacken zu können.

Er mußte sich zur Ruhe zwingen. DieWildheit seines Volkes half wenig in blin-dem Zorn gegen tote Materie. Endlich ge-lang es ihm, den Hunger nach Freiheit undFleisch zu unterdrücken und sich zu konzen-trieren. Auf einer Welt, deren Namen ernicht mehr kannte, hatte er von Halutern re-den hören, Wesen, die ihre Körperstrukturzur Festigkeit von Stahl umgruppieren konn-ten.

Niemand hatte davon gesprochen, daß einMrii'Q über durchaus ähnliche Fertigkeitenverfügte.

Während er seinen Körper festigte, nahmer die Färbung des Panzerplasts an. Mit allerKraft warf er sich gegen die Wand des Ge-fängnisses, wieder und wieder, bis das Seg-ment sich mit durchdringendem Knirschenzu lockern begann.

Durch den größer gewordenen Spalt hin-durch sah Mrii'Qaaler zwei Kampfroboternäher kommen.

Die flirrenden Abstrahlpole ihrer Thermo-waffen waren unmißverständlich.

Acht Meter Anlauf. Mrii'Qaaler schnellteauf seinen Tentakelarmen vorwärts, als dieRoboter des Feuer eröffneten. WaberndeGlut traf auf die Wand, floß fauchend aus-

einander und tobte durch den Spalt ins Inne-re der Box. Der Mrii'Q spürte den sonnen-heißen Hauch und die Hitze der unter sei-nem Ansturm endgültig auseinanderbre-chenden Wand. Er überschlug sich, stürztein einem Meer zähflüssiger Bruchstücke zuBoden und begann urwüchsig zu brüllen, alsThermoschüsse seinen fünften Arm durch-bohrten.

Mit unverminderter Wucht prallte er ge-gen einen der Roboter, schlang instinktiv dieTentakel um die Waffenmündungen unddrückte sie mit aller Kraft nach außen. Me-tall gab unwillig knirschend nach, der Robo-ter feuerte jetzt ziellos in die Halle. Das warder Moment, in dem Mrii'Qaaler seinen Kör-per abtropfen ließ und dicht über dem Bodendie Flucht ergriff.

Nur Zerstörung ringsum, ausglühende Ro-boterwracks, Qualm und Schwelbrände. Hieund da verspritzten automatische Löschanla-gen einen bestialisch stinkenden Schaum.Der Mrii'Q machte einen weiten Bogen umdiese Stellen.

Er ließ sich von seinem Hunger treiben,der mehr Instinkte auslöste als jede andereEmpfindung.

Weit über sich spürte er Leben, pulsieren-des warmes Fleisch, das ihm neue Kräfteschenken würde.

Der verletzte Arm schmerzte und knicktebeim schnellen Laufen auf allen Gliedmaßenimmer wieder ein. Aber nur flüchtig über-legte Mrii'Qaaler, ob er den Arm opfern soll-te. Später, vielleicht, falls die Behinderunggrößer wurde.

Endlich ließ er den Rauch und das Feuerhinter sich. Lange, schmale Korridore be-stimmten das Bild, hier hielten sich die Zer-störungen in Grenzen. Viele Schotten stan-den offen, dahinter lagen nahezu identischeRäume. Mrii'Qaaler spürte, daß sich darinvor kurzem Wesen aufgehalten hatten.

Gefangene. Aber ihn verband nichts mitdiesen Kreaturen.

Ein Deckenabschnitt war herabgebrochenund hatte zwei Echsenwesen unter sich be-graben. Von einem ragten nur der Schädel

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mit dem vorspringenden Maul und einesechsfingrige Hand unter den Trümmernhervor, der andere war von einem zersplit-terten Stahlträger aufgespießt worden.

Ihre schwarzbraune Schuppenhaut wirktewenig appetitlich. Dennoch versetzte derGeruch langsam erkaltenden Blutes denMrii'Q in fiebernde Erregung. Gierig schober sich über den einen Leichnam, währenddie Saugnäpfe schon nach dem anderen We-sen tasteten. Für wenige.Augenblicke schiensein Leib auseinanderzufließen und den To-ten wie ein bleiches Laken einzuhüllen,dann hallte minutenlang ein unheimlichesGurgeln und Knirschen durch den Korridor,das jäh verstummte.

Drei arkonidische Soldaten kamen denGang entlang. Sie ließen eine Mischung ausUnglauben und Entsetzen erkennen, als siedie blutigen Überreste der Topsider entdeck-ten.

»Weit sind sie nicht gekommen. Was im-mer sie so zugerichtet hat …«

»Bei allen She´Huhan, falls der Mrii'Qmit dem allen zu tun hat …«

Mrii'Qaalers erster Heißhunger war ge-stillt, gesättigt war er längst nicht. Langsamglitt er über den Stahlträger hinweg. SeineAnpassung an den Untergrund machte ihnfür Arkonidenaugen nur schwer sichtbar.

Zwei Schritte vor ihm stand einer der Sol-daten, die entsicherte Waffe mit dem Ab-strahlpol schräg abwärts haltend. Obwohlder Mann ihm das Gesicht zuwandte, sah ernur den Schutt und die Toten, aber nicht daslauernde Wesen.

Mrii'Qaaler verspürte ein grimmiges Ver-gnügen, den Soldaten suggestiv zu beein-flussen. Er gaukelte ihm vor, daß einer sei-ner Begleiter sich plötzlich veränderte, daßdas schulterlange weiße Haar sich zu pen-delnden Tentakeln formte und der Schädelsich krakenförmig aufzuwölben begann …

Mit gellendem Aufschrei die Waffe hoch-reißen und feuern war für den Soldaten eins.Sein Kamerad starb ohne zu begreifen. Daswar der Augenblick, in dem Mrii'Qaalerzwei Fangarme nach vorne peitschen ließ,

sie blitzschnell um die Beine des Schützenschlang und ihn von den Füßen riß.

Vergeblich blieb der Versuch des Arkoni-den, den Sturz abzufangen. Er kam nichtüber den Ansatz hinaus. Der Strahlenkarabi-ner schlitterte über den Boden.

Aus schreckgeweiteten Augen verfolgteder dritte das Geschehen, sah, wie sein Be-gleiter zwischen den Schutt gezerrt wurde,und begann blindlings zu feuern. Zähflüssi-ges Metall verspritzte nach allen Seiten, einFunkenregen, in dem der Mrii'Q langsam zuvoller Größe aufwuchs.

Sein Jagdinstinkt war wieder erwacht;dieser unbändige Zwang, der mehr als nurden Hunger stillte und sogar den Schrei nachFreiheit unterdrückte. Energien umtostenihn, die jedes andere Wesen in Gedanken-schnelle verbrannt hätten. Er genoß das Ge-fühl der Stärke, das ihn die Schmach derkurzen Gefangenschaft wieder vergessenließ.

Die Gesichtszüge des Arkoniden erstarr-ten zur Grimasse, seine Haut wurde von derdurch den Korridor flutenden Hitze fast ver-brannt. Das Entsetzen ließ ihn nicht los, alser erst einen zögernden Schritt rückwärtsmachte, den zweiten schon deutlich schnel-ler, sich dann herumwarf und davonhetzte.

Mrii'Qaaler war schnell und geschmeidig,seine Saugnäpfe fanden auch an der Seiten-wand ausreichenden Halt. Aus der Höhestürzte er sich auf den Fliehenden und rißihn mit sich zu Boden.

Deutlich glaubte ich das Rumoren derTreibstoffpumpen und die zunehmenden Er-schütterungen zu spüren. In wenigen Sekun-den würde der Andruck einsetzen und michtief in die Pneumoliege pressen, und dieGurte würden mich halten, auch wenn ichdas Bewußtsein verlor …

War das wirklich nur Erinnerung? DasBrodeln und Beben schwoll an, Explosionenerklangen von fern und dann spürte ich, wieder Untergrund sich aufbäumte. Alarmsire-nen schrillten. Ein weiterer Ruck folgte, hef-tiger als zuvor. Alles veränderte sich. Ich lagnicht mehr waagerecht und hatte das Gefühl

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zu fallen, gleichzeitig lösten sich die Ener-giefesseln.

Das Fallbeil! Den Gedanken brachte ichkaum zu Ende, da warf ich mich instinktivzur Seite, Ich sah ein funkelndes Aufblitzenüber mir und vernahm ein unheimlichesKnirschen, als der geschliffene Kristall amSockel der Guillotine splitterte. Gerade eineHandspanne Zwischenraum hatte mich vordem rasiermesserscharfen Tod bewahrt.Zeit, darüber nachzudenken, geschweigedenn auf die Beine zu kommen, blieb nicht.Ein gewaltiges Beben erstickte jede Bemü-hung schon im Keim. Inmitten dieses Auf-bäumens fand ich nicht einmal sicherenHalt. Begriffe wie oben oder unten ver-wischten; ich wurde von einem bockenden,sich aufbäumenden Untergrund hochgewor-fen, prallte schwer zurück und überschlugmich, weil der Boden zur schrägen Rampewurde.

Vergeblich versuchte ich, den Sturz auf-zufangen oder wenigstens abzumildern.Vielleicht schaffte ich es sogar, ich weiß esnicht, denn in dem Moment verschmolzenalle Wahrnehmungen zu einem unentwirrba-ren Chaos.

Da war das Kreischen von reißendemStahl. Dazwischen das Wimmern überlaste-ter Aggregate und das Dröhnen von Explo-sionen ebenso wie das Prasseln energeti-scher Entladungen. Es stank nach Ozon undRauch und würziger, wenn auch kalter Luft.Ich fror und schwitzte und überschlug michimmer noch auf einer seltsamen Schräge.

Für einen Augenblick hatte ich das Gefühldes freien Falls. Dann erfolgte der Aufprall,hart und schmerzhaft, mich brutal zusam-menstauchend, um mich sofort wieder em-porzuschleudern. Ich wurde zum Spielball,den ein Heer von Spielern trat und stieß undder erst an einer Wand zur Ruhe kam. Inmit-ten eines Bombardements all der Dinge, dienicht niet- und nagelfest gewesen waren.

Ein zweites Absacken, begleitet vomDröhnen eines harten Aufpralls, beendeteden Trümmerregen.

Ich wurde erneut herumgewirbelt, schlug

mit dem Kopf hart auf und spürte Blut aufder Stirn.

Ein unheilvolles Knistern blieb allgegen-wärtig. Lange lag ich nahezu regungslos,spürte dem Pochen und Hämmern unter derSchädeldecke nach.

Flackernd erwachte die für kurze Zeit aus-gefallene Beleuchtung. Licht und Schattenoffenbarten das Ausmaß der Zerstörung:aufgebrochene Böden, verschobene Wand-segmente und herabgebrochene Deckenver-kleidungen mit all den ansonsten unsichtba-ren Versorgungsleitungen, die wie Innereienaus den Wunden hervorquollen. Die Luf-tumwälzung funktionierte nicht mehr; Rauchquoll aus den Schächten hervor.

Das Blut aus der Stirnwunde sickerte mirüber die Augen. Ich schaffte nicht einmalden Versuch, es abzuwischen, weil ich denArm kaum bis zur Brust heben konnte, ohnevon höllischen Schmerzen gequält zu wer-den. Andererseits durfte ich nicht liegenblei-ben und darauf warten, daß Arkoniden oderRoboter mich wieder in die Zelle schlepp-ten.

Nur einen Augenblick ausruhen und neueKräfte sammeln.

Ein Kichern zwang mich, den Kopf zudrehen. Irgendwie waren alle Sehnen zukurz. Aber ich schaffte es.

Das Kichern wiederholte sich. Ich starrtein den Rauch, blinzelte hektisch und konntenichts dagegen tun, daß mir die Augen über-gingen. Ein pelziges Gesicht grinste michan. Es entblößte einen einzigen spitzenZahn.

»Du kommst spät.« Mehr als ein Stam-meln brachte ich nicht über die Lippen.

»Was ist, Gucky, worauf wartest du?Bring mich heim!«

Er schwieg, auch als ich zitternd die Handausstreckte. Ich habe die Erde nicht verra-ten, lieber würde ich sterben. - Verstehst dudas, Gucky? Er grinste immer noch. Dannwar er weg. Lautlos.

»Gucky?« Krächzend brachte ich endlichden Namen über die Lippen. »Hol mich hierraus! Schnell!«

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Keine Antwort, aber einige Meter entferntknisternde Entladungen. Ein Meer von Fun-ken prasselte aus einer Versorgungsleitungund ließ schnell huschende Schatten entste-hen.

Gucky? Ich verstand, daß meine Sinnemir einen Streich spielten. Vielleicht hoffteich vergebens, und nicht Terraner waren fürGolkanas Absturz verantwortlich, sondernein technischer Fehler.

Jede Minute, die ich länger wartete,brachte mich in die Gefangenschaft zurück.Ich mußte nach draußen gelangen, egal wasmich dort erwartete. Mein Körper schienübersät zu sein von Blutergüssen und Ab-schürfungen, trotzdem schaffte ich es, erstauf die Knie zu kommen und mich dann,wenn auch wacklig, vollends in die Höhe zuziehen. Alles um mich her dreht sich. Ichmuß mich abstützen, aber mit der freien lin-ken Hand taste ich nach meinem Hals. DerKopf sitzt noch, wo er hingehört, und da soller auch bleiben. Das kurze, stoßartige La-chen, das mich aufschreckt, scheine ichselbst auszustoßen. Nein, verrückt bin ichnicht, nur verwirrt.

Aber Unkraut vergeht nicht. Einen oderzwei Tage Ruhe, vorzugsweise auf der Erde,an einem Palmenstrand im Sonnenschein,und Bully ist wieder der alte. Bestimmt. Nurdie Arkoniden dürfen mich nicht wieder er-wischen - ich brauche eine Waffe, und wennes ein Knüppel ist, mit dem ich mich zurWehr setzen kann.

Ein dumpfes Grollen aus der Tiefe derGefängnisanlage wird vom Flackern derLeuchtplatten begleitet.

Das Licht ist ohnehin nicht mehr so hellwie zuvor.

Ich kann mich nicht entscheiden, was vonden herumliegenden Trümmern brauchbarist. Vor mir quellen Leitungen aus einer ge-borstenen Wandverkleidung. Aber die fle-xiblen Kunststoffkabel sind keineswegs dasGelbe vom Ei. Ich versuche, eine der mehre-re Quadratmeter großen Platten abzureißen.

Im nächsten Moment halte ich inne undlausche angespannt Aus der Feme dringt

Lärm heran. Obwohl das Rauschen in denOhren mir etwas anderes weismachen will,kann ich das charakteristische Fauchen vonStrahlwaffen gut von ähnlichen Geräuschenunterscheiden. In Golkana wird gekämpft.Mit großkalibrigen Strahlern, wie sie in derRegel nur Roboter einsetzen können.

Der Gedanke an einen Gefangenenauf-stand ist lächerlich. Bestenfalls wurde dasGefängnis von außen angegriffen.

Terraner? Für einen Augenblick fühle icheine aberwitzige Hoffnung. Leider hole ichmich selbst auf den Boden der Tatsachen zu-rück. Das ist nicht möglich, rede ich mir ein.Kein LFT-Raumer dringt unbemerkt in dasam besten kontrollierte Sonnensystem desKristallimperiums ein, nicht einmal Sigane-sen hätten mit einem Spezialschiff wie derGLADOR eine sonderlich große Chance.

Knirschend bricht die Wandverkleidung,die Platte rutscht mir aus den Händen undkracht zu Boden.

Der Aufprall hallt vermutlich weithin.Aber wennschon. Roboter können michauch anhand meiner Wärmeabdrücke auf-spüren.

Ein dichtes Geflecht aus überwiegendverkleideten Leitungen quillt mir entgegen.Einige Stränge pulsieren, als würden Flüs-sigkeiten unter Druck hindurchgepreßt. Mitbeiden Händen wühle ich mich hindurch, re-gistriere Hitze und Kälte dicht nebeneinan-der und stoße endlich auf festen Widerstand.Eine Querverstrebung, eine gut fünf Zenti-meter durchmessende Metallstange, die Lei-tungen fixiert. Sie hat sich durch die stati-schen Verschiebungen verkeilt.

Mit aller Kraft versuche ich, die knapparmlange Stange freizubekommen. Viel-leicht sollte ich lieber verschwinden.

Explosionsdonner rollt heran. Ich glaube,wieder Erschütterungen zu spüren. KämpfenArkoniden gegen Arkoniden? Die einfachsteErklärung, scheint mir. Golkana war wohlauch Endstation für die Köpfe einiger Ver-brecherorganisationen. Vielleicht der Miva-do-Ring oder die Galactic Guardians …

Endlich löst sich die Metallstange. Sie

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soll mir die Gewißheit geben, nicht völligwehrlos zu sein.

Trotzdem halte ich inne. Für einen Au-genblick fürchte ich, vom Regen in dieTraufe zu geraten. Ich habe keine Ahnung,was mich draußen erwartet - hier drinnenweiß ich es. Ich brauche nur zu warten, bisTerraner mich gefunden …

Nein! Vor Stunden hat mich ausschließ-lich der Gedanke beseelt, dem menschenun-würdigen Verhör zu entfliehen - und nunfange ich an, allem nachzutrauern. Das istnicht normal. Ich bin verwirrt.

»Reginald Bull, du wirst deinen Weg sogeradlinig wie immer gehen!« muß ich mirsagen. »Keine Experimente.«

Fast kenne ich mich selbst nicht mehr.Der Zwiespalt wird größer. Als komme erstallmählich das schlimme Erwachen, die Re-aktion auf alle psychischen und physischenWunden, die mir zugefügt worden sind. Siewerden vernarben und in Vergessenheit ge-raten, andernfalls dürfte ich nicht ReginaldBull sein. Das große Schott ist verklemmtund läßt sich nicht weiter öffnen als zweiHandbreit. Ich kann den Korridor sehen, derzu einem der Antigravschächte führt und da-mit zu den Zellentrakten, ich kann erkennen,daß die Wände im Bereich der Schirmfeld-projektoren aufgerissen sind. Hier wurdenEnergien schlagartig freigesetzt. Der Stahlist meterweit im Umkreis geschmolzen und,den Gesetzen der Schwerkraft folgend, inTropfenformationen wieder erstarrt.

Ich komme nicht weiter, stolpere zurückund achte kaum mehr darauf, wo ich hintre-te. Weil mich die Frage quält, warum Golka-na abgestürzt ist. Ein Ausfall der An-tischwerkraftgeneratoren wäre denkbar.

Aber jedes System ist doppelt und drei-fach abgesichert.

Also ein Angriff von außen. Niemand holtjedoch einen Komplex wie Golkana einfachvom Himmel, dazu bedarf es mehr als einerHandvoll entschlossener Kämpfer und Bo-denfahrzeuge; nicht einmal Space-Jets hät-ten ohne den Einsatz von Transformgeschüt-zen die Möglichkeit dazu.

Das einzige Mittel, das ich mir vorstellenkann, wäre der Einsatz von KorraVir gegendie Gefängnissyntroniken.

Irgendwie ist alles wie ein böser Traum,ein Schleier, der sich über die Wirklichkeitausgebreitet hat. Ich zerre an allen Endenund schaffe es doch nicht, ihn wirklich zulösen.

Warum gestehe ich mir nicht ein, daß icham Ende bin, anstatt mich mit immer neuenÜberlegungen selbst zu belügen? Alles ummich her befindet sich in schwankender,ruckender Bewegung. Ich schleppe mich nurnoch vorwärts, und das Metallrohr behindertmich zusätzlich.

Wenn es wenigstens dazu taugen würde,mich abzustützen.

»Weiter …«, höre ich mich keuchen. Dieeigene rauhe Stimme erschreckt mich. EinenFuß vor den anderen setzen, mechanisch wieein Roboter, Nicht daran denken, daß etwasweh tun könnte. Du bist ein Roboter, ein un-aufhörlich funktionierender menschlicherRoboter. Das Ding in deiner Schulter machtdich dazu. Du bist so unsterblich wie dieseBlechkisten, aber du hast den Vorteil, daßdu lebst. Also weiter, Bully … ehe der La-den in die Luft fliegt und dich mitnimmt -dazu bist du noch nicht alt genug.

Ein abgehacktes Kichern folgt mir. Bisich bemerke, daß ich selbst diese eigenwilli-gen Laute ausstoße.

Bin ich drauf und dran, durchzudrehen?Raus hier, verdammt! Konzentriere dich!

Eine Stahlsäule reckt sich mir entgegen, alswolle sie mich aufspießen. Eine zweite hatsich so verkeilt, daß ich nur in gebückterHaltung unter ihr hindurchkomme.

In dem Moment begreife ich; Das sind dieÜberreste des Guillotine. Ich bin im Kreisgelaufen. Einige Schritte weiter liegen diezersplitterten Überreste des kristallinenBeils.

Ich will nichts mehr davon sehen, nichtdaran denken müssen, was geschehen ist. Sofest verkrampfe ich die Hände um die Stan-ge, daß meine Knöchel bleich unter derspröden Haut hervortreten. Erst jetzt bemer-

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ke ich die Schnittwunden und das verkruste-te Blut auf den Handrücken.

Habe ich das Stöhnen eben schon ver-nommen? Es scheint lauter zu werden, frißtsich unnachgiebig in mein Bewußtsein vor.Jemand braucht Hilfe. Vielleicht ein Ver-bündeter, ein anderer Gefangener, dem inden Wirren die Flucht gelungen ist.

»He?« Nur ein heiseres Krächzen kommtüber meine Lippen, gefolgt von einem un-säglichen Hustenreiz.

Wieder schmecke ich Blut. Ich bin ausge-laugt.

Die Guillotine hat sich in ein Aggregatgebohrt, dessen Funktion ich nicht mehr er-kennen kann.

Alles zusammen hat während des Abstur-zes wie ein Wall gewirkt, der andere Trüm-mer aufgefangen hat.

Ich mache nur drei oder vier Schritte zurSeite - und bleibe wie angewurzelt stehen.

Meine erste Reaktion ist Haß. Die Mus-kelkrämpfe, die ich gerade erst überwundenhabe, sind schlagartig da. Mein Herzschlagrast, ich starre Yomanril an, von dem ich ge-hofft hatte, ich würde ihm nie mehr begeg-nen, und sehe plötzlich Bilder vor mir, diealle Qualen neu aufbrechen lassen. Der Fol-terknecht hatte mich noch nicht bemerkt. Ei-ne klaffende Fleischwunde zog sich querüber seine kahlgeschorene rechte Schädel-hälfte. Das verkrustete Blut verwandelte seinGesicht endgültig in eine verzerrte Fratze.Sein knielanger Umhang hing in Fetzen vonder Schulter, die Jacke war halb verbrannt.

Mit beiden Händen mußte der Arkonidedie Flammen ausgeschlagen haben, denn alser eben versuchte, mit den Unterarmen dasBruchstück einer verformten Konsole zurSeite zu wuchten, sah ich das bloßliegendeFleisch seiner Handflächen.

Wie viele Opfer mochte Yomanril aufschreckliche Weise vom Leben zum Tod be-fördert haben?

Ich empfand kein Mitleid mit diesemMann.

»Hilf mir!«»Sag das noch mal«, entfuhr es mir. Zu

glauben, daß er mich eben gebeten, nein an-geherrscht hatte, ausgerechnet ihm zu hel-fen, fiel mir schwer.

»Faß mit an, Bull!«Mein Lachen kam aus tiefer Brust. Zö-

gernd erst, dann unbeherrscht schallend.Spöttisch. Ich machte einen Schritt auf Yo-manril zu, achtete aber darauf, nicht in seineReichweite zu kommen.

»Das Schicksal, du Bestie … es ist unbe-rechenbar.« Jedes Wort war eine Genugtu-ung. »Ich habe … geschworen … dich zu tö-ten.«

»Du bist verrückt, Terraner. Hilf mir, oder…« Er verstummte, als ich abschätzend dieStange hob.

Zum erstenmal erschien ein Flackern inseinen Augen.

»Du weißt, was ich geschworen habe, Yo-manril. Daß ich dich töten werde, sollten wiruns je wieder begegnen.«

»Ich hätte dich umbringen sollen.« Vonaufkommender Panik erfüllt, stemmte ersich gegen die Konsole.

Aber er schaffte es nicht einmal, sich wei-ter von mir abzuwenden.

»Warum tust du es nicht?« versetzte ich.»Versuch´s doch.«

Ein ersticktes Gurgeln kam über seineLippen, als ich meine Waffe hochriß. Sekun-denlang hielt ich die Stange hoch erhoben,ehe ich zuschlug. Yomanrils gellender Auf-schrei brach wimmernd ab.

Ich hätte ihm den Schädel zerschmettert,hätte ich mich nicht im letzten Moment zurSeite gedreht.

So krachte das Eisen mit aller Wucht ge-gen eines der Seitenteile der Guillotine undwurde mir förmlich aus den Händen geris-sen.

Ich konnte keinen hilflosen Verwundetenkaltblütig ermorden. Nicht einmal einenMann wie Yomanril.

Seine Verwandlungsfähigkeit war unge-heuer. Er lachte schallend. »Ich wußte es,Bull, du bist nur ein verweichlichter Terra-ner …«

Fast floh ich vor mir selbst, als ich mich

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herumwarf. Eine Weile hörte ich Yomanrilnoch sein Gift verspritzen, dann war ich zuweit weg.

Golkana entpuppte sich als architektoni-sches Labyrinth, eine Ansammlung endloserKorridore, versetzter Ebenen und Schächte.Vor allem war das Ausmaß der Zerstörun-gen größer, als ich anfangs vermutet hatte.Den Absturz aus wenigen Dutzend MeternHöhe hätte die Festung einigermaßenglimpflich überstehen müssen, doch warenes die vielfältigen Sicherungs- und Waffen-systeme, die mit unkontrollierten energeti-schen Entladungen statische Strukturen ge-schwächt hatten. Meine Überzeugungwuchs, daß Golkana einem KorraVir zumOpfer gefallen war.

Die Lufterneuerung funktionierte kaumnoch. Beißender Rauch wälzte sich durchdie Korridore, Löschvorrichtungen ver-sprühten unkontrolliert ihren Schaum; hinund wieder fegte die Hitzewelle einer Ver-puffung heran.

Vor vielleicht einer Viertelstunde hatteich Yomanril seinem Schicksal überlassen;inzwischen fürchtete ich, nie nach draußenzu gelangen. Viele Korridore waren kaumpassierbar, ich war mehrfach zum Umkehrengezwungen gewesen und hatte Tote gefun-den, Männer und Frauen in ähnlicher Klei-dung wie ich. Aus der Schwere ihrer Wun-den schloß ich auf Roboterwaffen. Daßich.selbst keinen Kampfrobotern begegnetwar, mochte Glück sein. Vielleicht durch-kämmten die Maschinen systematisch alleEtagen.

Daß ich hin und wieder Spuren hinterließ,war mir egal. Lange würde ich mich trotzdes Zellaktivators nicht auf den Beinen hal-ten können. In den tiefer liegenden Etagenwurde gekämpft, ich gewann sogar den Ein-druck, daß das Fauchen der Strahlschüsseund der Explosionsdonner sich in meineRichtung verlagerten.

Zum zweiten Mal entpuppte sich ein Kor-ridor als Sackgasse. Ein Sicherheitsschottriegelte den Weg hermetisch ab. Also drei-ßig Meter zurück und in eine andere Rich-

tung weiter. Rauch und ätzende Gase hattenmeinen Speichel ausgetrocknet und meineKehle in eine offene Wunde verwandelt. Je-der Atemzug tobte wie mit Nadeln durch dieLunge. Hektisch hämmerte das Herz gegendie Rippen.

Ein blutiger Schleier lag über meinenWahrnehmungen. Sekundenlang preßte ichdie Stirn gegen den kühlen Stahl des Schot-tes, um meine Lebensgeister neu zu mobili-sieren. Dann taumelte ich zurück, verbissenund mit der Monotonie eines Uhrwerks.Einen Fuß vor den anderen und mit derHand an der Wand abstützen. Aufgeben kamnicht in Frage. Obwohl es verlockend er-schien, mich zu Boden gleiten zu lassen undauf die Retter zu warten. Vielleicht irrte ichmich auch. Dann waren keine Terraner nachArkon gekommen. Nicht einmal Gucky. Ichvermißte ihn.

»Wie der Zufall so spielt …« Die eisigeStimme, bar jeder Emotion, trifft mich wieein Dolchstoß.

Mühsam versuche ich den Schatten iden-tifizieren, der aus einem Seitenkorridor her-vortritt, aber erst als ich mit demHandrücken den verklebten Schweiß ausden Augen wische, erkenne ich Yomanril.

»Erstaunt, Terraner?« Langsam kommt ernäher. Mein Blick frißt sich an der Waffe inseiner Rechten fest. »Ich bringe mein Werkstets zu Ende«, spottet er. »Warum hast dumich nicht getötet, Schwächling?«

Er schießt. Der Thermostrahl faucht haar-scharf an meinem Kopf vorbei und verliertsich im Korridor.

Ich spüre die sengende Hitze, die meinHaar und die Haut verbrennt, und zucke zurSeite.

»Du hast meinen Ruf zerstört, Bull.« Esgibt keinen Fluchtweg. Yomanril steht fünfMeter vor mir; ich habe nicht mehr dieKraft, vorzustürmen. »Wenn du Golkanaverlassen willst, rede!«

Trotz und Verbissenheit lassen mich denKopf schütteln. Niemals werde ich Terraverraten. Das hieße, alles mit den Füßen zutreten, wofür ich jemals gekämpft hatte.

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»Diesmal wird dich kein Medorobotervom Tod zurückholen, Bull.«

Yomanril weiß, daß ich ihm nicht mehrentkommen kann. Er genießt es, auf michanzulegen und langsam nach dem Auslöserzu tasten - weil er weiß, daß ich gebannt aufseine Hand starre. Das ist wie ein magischerZwang.

Aus den Augenwinkeln heraus nehme icheine Bewegung wahr. Viel zu schnell und zuflüchtig, als daß ich sie zuordnen könnte.Ein Schemen, dunkel, vielgliedrig …

Der Arkonide schreit gellend auf, dochsein Schrei endet schon im Ansatz. DerStrahler fällt zu Boden, rutscht auf mich zu.Aber an dem Strahler hängt die Hand mitdem halben Unterarm.

Es ist mir unmöglich, die Ursache der wi-derlich schmatzenden Geräusche zu identifi-zieren, die Yomanril förmlich zerreißen. DerSchatten scheint aus einer Vielzahl peit-schender Tentakel zu bestehen, eine ArtQualle oder Krake, mit großer Wahrschein-lichkeit wie ich ein Gefangener.

Ich brauche die Waffe. Weil das, was Yo-manril verschlingt, mich nicht verschonenwird.

Langsam schiebe ich mich vorwärts, denBlick nur auf den neuen Gegner gerichtet,dessen Krakengestalt deutlicher wird. Ichhabe den Eindruck, daß er Mimikryfähigkei-ten besitzt und sich seiner Umgebung anpas-sen kann. Nach wie vor erkenne ich nur va-ge Umrisse.

Aber da wühlt etwas in meinem Schädelund versucht, mich zu beeinflussen. DasWesen verfügt über Psi-Fähigkeiten.

Ein letzter Schritt, dann habe ich denStrahler … Die Kreatur schnellt auf mich zu,ein Fangarm peitscht heran und fegt michvon den Beinen. Im Fallen greife ich nochnach der Waffe, aber sie ist nicht mehr da.Aus der Froschperspektive schaut das Mon-strum gewaltig aus; ich habe nie zuvor vonWesen seiner Art gehört. Es ist mindestensdrei Meter groß, ein aufrecht gehender Ok-topus, dessen Tentakel mit handflächen-großen Saugnäpfen bewehrt sind. Der Schä-

del ist mit einer Art Totenkopf gezeichnet.Wenn ich sehe, was von Yomanril übrig-

geblieben ist, möchte ich die Augen schlie-ßen und mich in mein Schicksal ergeben.

7.

Selten hatte sich Endra da Kimbarley Ge-danken über die Wesen gemacht, die in Gol-kana eingeliefert wurden. Die Angehörigender unterschiedlichsten Völker kamen undgingen - aber wenn sie gingen, dann meistnicht mehr aus eigener Kraft, sondern vonMedizinern abgeholt, denen die sterblichenHüllen für Experimente wichtig waren. Aufdiese Weise erwiesen selbst die übelstenVerbrecher dem Kristallimperium einensinnvollen Dienst.

Seit Akellm da Premban sie schändlichbetrogen, ihre Liebe ausgenutzt und außer-dem den Harshan-Magnopardh abgeschlach-tet hatte, war vieles anders. Vergeblich hattesie herauszufinden versucht, was wirklichhinter all diesem Geschehen steckte.

Sie hatte einem der vielen Verhöre desTerraners beigewohnt, war danach aberebenso ratlos gewesen wie zuvor. ReginaldBull, der Name stand sogar in den arkonidi-schen Annalen verzeichnet, galt als einer derGroßen Terras, ein Mann, der besser auf Ar-kon denn auf der ehemaligen KolonialweltLarsaf III geboren worden wäre. Auf jedenFall bewies er Format, das dem Adel auf derKristallwelt häufig genug fehlte.

Endra da Kimbarley hatte schon mit demGedanken gespielt, den Minister der LFT zusich zu zitieren.

Vielleicht zeigte er sich weiblichen Rei-zen gegenüber aufgeschlossener als der infi-niten Todesstrafe. Er wäre ein Narr gewe-sen, nicht zuzugreifen. Als Anstaltsleiterinverfügte Endra über die Möglichkeit, Yo-manril zurückzupfeifen.

Die avisierte Ankunft des MassenmördersMrii'Qaaler hatte sie davon abgehalten, Bullsofort zu sich zu holen. Anschließend hattedas Unglück Golkana heimgesucht. KeinAusfall der Antigravprojektoren, kein An-

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griff von außen. Nichts, was eine Schuldzu-weisung erlaubt hätte. Der Gefängniskom-plex war aus seiner verankerten Position ab-gestürzt. Die Syntroniken blockierten - einVorgang, der ungeheuerlich erschien, dersogar vor den Kampfrobotern nicht haltzu-machen schien. Die Notfallpläne, gedachtfür einen Angriff von außen, sahen vor, ineinem solchen Fall Gefangene ohne Anrufzu erschießen, sobald sie ihre Zellen verlie-ßen. Endra da Kimbarley sah keine Veran-lassung, diese Anweisungen außer Kraft zusetzen.

Golkana war ein brennendes, geborstenesWrack, und die Gefahr, daß in den Maschi-nenräumen in der Bodenplatte eine Katastro-phe heraufzog, lag nahe. Sämtliche Kommu-nikationskanäle dorthin waren seit dem Ab-sturz unterbrochen. Ob der syntronisch aus-gelöste Notruf sein Ziel erreicht hatte, warauch knapp eine zehntel Tonta danach un-klar.

Begleitet von zehn Elitesoldaten, die sievor ausgebrochenen Gefangenen beschützensollten, war Endra da Kimbarley auf demWeg aus dem Gefängnis, als sie überSprechfunk von mehreren Dutzend totenWachen und Gefangenen hörte. Alle boteneinen entsetzlichen Anblick, als wären siezwischen schweren Maschinen zerquetschtworden, fast allen fehlte das Blut.

Der zeitliche Zusammenhang war zu of-fensichtlich, als daß Endra da Kimbarleyden geringsten Zweifel gehegt hätte, wer fürall das verantwortlich war: der Mrii'Q, derMassenmörder, der gerade erst von Bord derKYRANTAR übernommen worden war.

»Wo wurden die Leichen gefunden?«Die Antwort bestätigte Endras schlimmste

Befürchtungen. Nahe der Quarantänehalle,in die der Container gebracht worden war,begann die blutige Spur und zog sich fastschnurgerade in die höher gelegenen Etagen.Es schien vorhersehbar, wo der Mrii'Q wie-der zuschlagen würde, Die Position lag nichteinmal hundert Meter entfernt und lediglichein Stockwerk tiefer.

Endra wußte nicht, wie die Bestie den Ab-

sturz des Golkana-Komplexes bewerkstelligthatte, aber sie konnte sich nichts anderesvorstellen. Die ersten beiden Leichen sah dieGefängnisleiterin am Übergang zur nächstenEtage. Sie war auf vieles vorbereitet gewe-sen, doch beim Anblick der übel zugerichte-ten Toten begann ihr Puls zu rasen, sie tau-melte und mußte an einer Wand nach Haltsuchen.

Eine Hand tastete nach ihrer Schulter.Einen gurgelnden Aufschrei auf den Lippen,wirbelte Endra da Kimbarley herum. Sieblickte in das besorgte Gesicht eines Solda-ten.

»Zhdopanda …«, begann er.»Was erlaubst du dir?« herrschte Endra

den jungen Mann an. »Nimm die Fingerweg, oder ich werde dafür sorgen, daß dunie wieder …« Sie unterbrach sich undwischte sich mit dem Handrücken übers Ge-sicht. »Weiter!« befahl sie schroff. »Ich willden Mrii'Q - tot oder lebendig!«

Ein Teil des Korridors war verschüttet.Gewaltige Scherkräfte hatten auf die Träger-konstruktion eingewirkt, Stahlträger wieStreichhölzer geknickt und die meterdickenZwischendecks aufplatzen lassen.

Eine stinkende dunkle Brühe ergoß sichaus der Decke wie ein kleiner Wasserfall,verwandelte diesen Abschnitt des Ganges ineinen brackigen See und verlief sich erst einDutzend Meter weiter voraus über die Ab-bruchkante in die darunterliegende Etage.Angewidert blickte Endra da Kimbarley aufdie Fäkalien, während die ersten Soldatenschon bis zu den Knien in der Brühe wate-ten.

»Zhdopanda da Kimbarley, wenn Ihr er-laubt …?«

Der junge Arbtan deutete eine Verbeu-gung an. Den Karabiner hatte er sich überdie Schulter gehängt.

Endra zögerte nur einen Augenblick. DerArbtan war groß und kräftig - vielleicht einLiebhaber, der sie die schrecklichen Ge-schehnisse der letzten Zeit vergessen ließ.

»Ich erlaube dir, mich hinüberzutragen,Arbtan«, sagte sie. »Aber sieh dich vor!«

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Vorsichtig wie ein rohes Ei hob der jungeSoldat sie hoch. Endra legte ihren Arm umseine Schultern, und dabei trafen sich ihreBlicke - ein klein wenig länger als angemes-sen. Der Junge würde wie Wachs in ihrenHänden schmelzen, das spürte sie. Sobaldalles vorbei war …

Mehr als einen Meter hatte sich der Korri-dor hinter der Bruchstelle abgesenkt. DerArbtan war gezwungen, Endra da Kimbarleyan einen der Soldaten weiterzureichen, derauf der anderen Seite sicheren Stand gefun-den hatte.

Die nächste Einmündung lag zehn Schrittentfernt. Mit den Waffen im Anschlag si-chernd, erreichten die ersten Soldaten denAbschnitt Augenblicke vor Endra. Unver-mittelt hasteten sie los.

»Bleibt zurück, Zhdopanda! Hier ist derMrii'Q!«

Niemand, nicht einmal der junge Arbtan,hätte sie aufhalten können. Golkana war ihreAnstalt, ihr Zuhause, in dem sie das Lebenführte, das Prushi da Kimbarley nicht ken-nen durfte. Sie wollte den sehen, der es ge-wagt hatte, ihr das alles zu nehmen.

Seit Akellms Verrat trug sie einen mit Ex-plosivgeschossen bestückten Nadler unterder Kleidung verborgen. Das Gefühl derWaffe in der Hand beruhigte sie ein wenig.

Zehn Meter bis zur nächsten Kreuzung.Ein lebloses, undefinierbares Etwas lag dort,kaum weniger übel zugerichtet als die Lei-chen im Korridor.

Daneben eine düstere Kreatur, die einemAlptraum entsprungen zu sein schien. Gutdrei Meter groß, mit einer Masse wie einYuk-Bulle, schien der Leib sich unaufhör-lich zu verändern.

Aber das lag wohl daran, daß die Färbungsich der Umgebung anzupassen versuchte.

»Er will sich unsichtbar machen!« brülltejemand.

Noch war kein Schuß gefallen. Zwei Sol-daten hatten die Kreuzung beinahe erreicht;sie hätten ihre Karabiner nur auf Paralyseumstellen müssen, um den Mrii'Qaaler ein-zufangen.

Die Kreatur, eben wie erstarrt, begannsich langsam zu bewegen. Endra erwartete,jeden Moment einen gewaltigen Schnabel zusehen, der nach den Soldaten hackte. Dochihre Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. Hin-ter dem Mrii'Q war eine Bewegung. In ge-bückter Haltung schob sich jemand an derWand entlang und versuchte, die Abzwei-gung zu erreichen. Die zerschlissene Klei-dung war die eines Häftlings, dazu die unter-setzte Statur und die blutig schimmerndenHaare …

»Das ist der Terraner!« gellte Endras Aus-ruf durch die Gänge. »Laßt ihn nicht ent-kommen!«.Für die Dauer eines Herzschlagsstarrte Bull zu ihr her. Endra glaubte, seineVerzweiflung, aber auch seinen unbeugsa-men Willen spüren zu können, dann hum-pelte er weiter, ohne auf den Mrii'Q zu ach-ten.

»Bei allen She´Huhan, haltet ihn!«Sie schoß zwei Nadlerprojektile ab. Eines

davon detonierte wenige Schritt vor Regi-nald Bull, der sich flach zu Boden warf, abersofort wieder aufraffte, das andere trafMrii'Qaaler, ohne Wirkung zu zeigen.

Fast erschien es Endra, daß die Explosiv-ladung die halb transparent wirkende Hautdes Wesens nicht einmal ritzte.

Als hätte ihr Schuß einen Bann gebro-chen, nahmen die Soldaten den Oktopodenunter Feuer. Auch von den paralysierendenSchüssen zeigte sich der Mrii'Q nicht beein-druckt. Und die Thermoschüsse schienenvon ihm abzufließen.

Ein Schutzschirm, durchzuckte es die An-staltsleiterin. Das Biest trägt einen Projektor.Nie zuvor hatte sie einen Mrii'Q gesehen,geschweige denn von der Existenz diesesVolkes achtarmiger Giganten gehört.

Im nachhinein erwies es sich als Fehler,sich nicht informiert zu haben.

Der Mrii'Q entwickelte eine erstaunlicheBehendigkeit. Seine Tentakel peitschtendurch den Korridor.

Wie Gliederpuppen wurden zwei Soldatenvon den Beinen gefegt und herumgewirbelt.

Ein saugnapfbewehrter Tentakel drückte

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einen Arbtan nieder, schlang sich um denSchädel des Unglückseligen und zog ruckar-tig zusammen.

Drei Soldaten starben auf ähnliche Weisein den ersten Augenblicken.

Sengende Hitze fegte durch den Korridor.Zähflüssiges Metall und verglühende Kunst-stoffe, von Thermostrahlen aus den Wändengerissen, regneten ab. Inmitten diesesGlutschauers begann der Oktopode zu la-chen.

»Arkoniden haben meine Welt getötet«,hallte es dröhnend auf arkonidisch. »Nun istdie Reihe an euch, zu sterben …«

Thermobündel vereinten sich, fraßen sichdurch einen der Tentakelarme und trenntenihn dicht am Rumpf ab. Das Brüllen desMonstrums - Endra war nicht in der Lage,die Bestie als Intelligenz anzusehen - warohrenbetäubend. Der Versuch, den Schüssenzu entgehen, warf den Mrii'Q gegen dieWand. Dicker Arkonstahl beulte sich einund riß wie Blech, zwei Tentakel fuhren indie Risse hinein und zerrten breite Streifenheraus, die im nächsten Moment wie Ge-schosse durch die Luft schnitten.

Ein Soldat konnte nicht mehr ausweichen.Es war der Arbtan, der Endra durch denSchlamm getragen hatte.

»Punktfeuer!« schrie sie mit sich über-schlagender Stimme und jagte das gesamteMagazin ihres Nadlers dem Monstrum ent-gegen.

Mrii'Qaaler schien einige Augenblickelang in einem Meer von Funken zu baden.Die Salven der Soldaten zuckten über seinenLeib, vereinten sich auf dem bleichen Knor-pelpanzer des Schädels.

Längst flirrte die Luft im Korridor. Glut-wogen waberten auseinander und brandetenüber die leblosen Körper der Getöteten hin-weg. Die Bestie schien unverletzbar. Lang-sam setzte sie sich wieder in Bewegung;Fangarme peitschten durch die Glut, alsführten sie ein eigenes bizarres Leben.

Das Monstrum kam auf sie zu. Endra daKimbarley spürte die unglaubliche Hitze desDauerfeuers ihr Haar und die Augenbrauen

versengen, aber endlich schüttelte sie dieLähmung des Entsetzens ab, warf sich her-um und torkelte davon. Nur weg, fort ausder Nähe der Kreatur, die allein dem Zhymder Unterwelt entsprungen sein konnte.

Eine unheimliche Stille holte sie ein.Zwei, drei Schritte, dann blieb Endra ste-

hen. Nicht nur die Haut, auch ihre Lungeschien verbrannt zu sein. Jeder Atemzugfühlte sich an wie ein kleines StückchenSterben.

Zögernd wandte sie sich um. Vier Solda-ten hatten überlebt. Einer von ihnen feuertenoch immer auf das zuckende, halb verkohl-te Etwas, dessen Leib blasenwerfend aufzu-brechen begann. »Hört auf!« keuchte dieFrau. »Er ist tot.« Dann lauter, am Ende ih-rer Selbstbeherrschung angelangt: »Es istvorbei!«

Der Mann ließ die Waffe sinken; der Ka-rabiner entglitt seinen Fingern und poltertezu Boden.

Stumm schüttelte er den Kopf. Immerwieder. Als könne er nicht glauben, welchesMonstrum die friedvollen Tage Golkanas ineine Katastrophe verwandelt hatte.

»Weiter!« befahl Endra da Kimbarley.»Ich will den Terraner zurückhaben - wenig-stens ihn!«

Seit dem Einsatz des KorraVir warendreiundzwanzig Minuten vergangen. In die-ser kurzen Zeltspanne hatten es USO-Kommandant Monkey und seine ertrusi-schen Einzelkämpfer geschafft, sich durchdas in vielen Bereichen verwüstete Gefäng-nis bis zu den Zellen vorzukämpfen. Wederarkonidische Kampfroboter noch die Wach-soldaten der Station hatten sie am raschenVordringen hindern können.

Ausglühende Roboterwracks, zerschmol-zene Schotten und von schweren Desinte-gratoren zerstörte Antigravschächte kenn-zeichneten ihren Weg. Sie waren Häftlingenbegegnet, denen nach dem Absturz Golka-nas die Freiheit in den Schoß gefallen warund die sich nun zusammenrotteten, um ge-meinsam den Weg freizukämpfen. Naatsund Unither, Blues und Überschwere gehör-

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ten zum illustren Kreis der lebenslang Inhaf-tierten. Keine von beiden Gruppen hatte deranderen mehr als nur flüchtige Aufmerk-samkeit geschenkt, weil jeder hoffte, der an-dere möge die Arkoniden wenigstens gerau-me Zeit ablenken.

Reginald Bulls Zellenblock war von denZerstörungen lediglich tangiert worden. Ei-nige Zugänge standen offen - keine Frage,daß die Insassen das Weite gesucht hatten.

Sternvogels Daten erwiesen sich bis insDetail stimmig. Niemand, hatte seitdem ver-sucht, Golkana umzustrukturieren. Die Fra-ge blieb, ob Endra da Kimbarley den Daten-klau überhaupt bemerkt oder ihn lieber tot-geschwiegen hatte, um ihre Affäre mit demMedienliebling Akellm da Premban geheim-zuhalten.

Das Schott zu Reginald Bulls Zelle wargeschlossen. Den Schirmfeldprojektor in derWand wenige Meter davor zerstörte Monkeymit mehreren gezielten Schüssen. Ebensoden Öffnungsmechanismus. Ein Ertruserwuchtete den schweren Stahlflügel auf. DieZelle war leer.

»Verdammt!«, entfuhr es Leutnant Ta-mas. »Konnte der Minister nicht auf unswarten?«

»Das«, sagte Monkey, »war die ungün-stigste Variante. Aber wir finden ihn.«

Sie brauchten nur Minuten, um mit Hilfeder Infrarotspürer zu rekonstruieren, daßBully die Zelle nicht allein verlassen hatte.Ein kaum noch wahrnehmbares Wärmebild,eigentlich nur eine annähernd punktförmigeQuelle, zeichnete sich neben seiner Spur ab.Aber auch die fast verweht.

Die zerstörten Schirmfeldprojektorenebenso wie die Wärmeabgabe der Speziali-sten selbst überlagerten die äußerst schwa-chen Spuren. »Bull wurde bereits vor meh-reren Stunden abgeholt«, stellte Monkeyfest.

»Sie haben sich nach rechts entfernt«,stellte Begol fest.

Ruckartig drehte Monkey den kahlenSchädel. Fast roboterhaft. Wer ihn nichtkannte, mochte durchaus glauben, eine Ma-

schine vor sich zu haben. Monkey reagierteoft so. Nach einem Unfall waren seine Au-gen durch kreisrunde, jeweils vier Zentime-ter durchmessende Objektive ersetzt wor-den, die eine Vielzahl von Funktionen ver-einten, unter anderem die Umschaltung aufden unsichtbaren Teil des elektromagneti-schen Spektrums.

»Sie meinen …«»Ich meine, daß wir den ganzen Kasten

auf den Kopf stellen werden, um Bull zu fin-den.«

»Kommandant«, wurde er unterbrochen.»Wir messen heftige energetische Entladun-gen an- Sieht aus, als würde in der Nähe er-bittert gekämpft.«

Danton? Die Frage blieb unausgespro-chen. Monkey sagte nichts. Auf seine un-durchsichtige Art hob er die schwere Auto-matwaffe und hastete los. Um 10.51 Uhr ter-ranischer Standardzeit hatte Roi Danton dasKorraVir abgestrahlt. Minuten später warendie vier Einsatztrupps in das nun nahezu un-geschützte Gefängnis eingedrungen. Golka-na war noch nicht zur Ruhe gekommen. EinTeil der Konstruktion hatte sich zwar tief insErdreich gebohrt, doch das eigene Gewichthebelte die betreffenden Sektionen an dieOberfläche zurück. Ein unheimliches Äch-zen und Stöhnen hallte über die Ebene.

Der zweite Aufprall, der Golkanas Rück-sturz in die Waagerechte begleitete und zig-tausend Tonnen Erdreich in die Höheschleuderte, erfolgte erst Minuten später.Teile der Bodenplatte wurden dabei aus demRumpf herausgebrochen und fast zermalmt.

Um 10.57 Uhr wurde eine Zunahme desFunkverkehrs im Bereich des Hauptkontin-ents registriert.

Die automatischen Suchfilter warfen denBegriff »Golkana« einige dutzendmal aus.

Roi Danton und der Rest der KYRAN-TAR-Crew verließen das Schiff in Beglei-tung der letzten sechzehn Kampfroboter undmit umfangreicher Ausrüstung. Ihre Aufga-be war, den Brückenkopf in der Medosekti-on des Gefängnisses aufzubauen, der dieMöglichkeit zum Verlassen des Arkon-Sy-

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stems eröffnen sollte. Niemand hatte sich jeder Illusion hingegeben, mit der Korvettewieder starten zu können.

Selbst der Rückweg aus dem Golkana-Komplex in die KYRANTAR war von An-fang an in Frage gestellt worden.

Einer der Einsatztrupps hatte einen freienZugang geschaffen. Die USO-Spezialistenunter Roi Danton schafften es gerade noch,das Gefängnis zu betreten, bevor zwei arko-nidische Leka-Disken im Tiefflug über dieTundra hinwegdonnerten, zurückkamen undfür kurze Zeit über dem Gefängnis und derKorvette verharrten. Gleich darauf ver-schwanden beide Diskusraumer mit hohenBeschleunigungswerten nach Süden.

Danton und seine Leute kamen überra-schend zügig voran. Niemand stellte sich ih-nen entgegen, dafür stießen sie wiederholtauf zerstörte arkonidische Roboter. Die Vor-austrupps hatten mit schweren Desintegrato-ren überall dort Durchgänge geschaffen, woTrümmer hoffnungslos ineinander verkeiltgewesen waren.

Ganze zehn Minuten dauerte der Aufstiegin die Medosektion. Hier war erbittert ge-kämpft worden, einige Schwelbrände wur-den von Robotern eingedämmt, während dieMänner und Frauen des zweiten Einsatz-trupps Schirmfeldprojektoren aufbauten. DerBrückenkopf sollte wenigstens für kurzeZeit Sicherheit bieten.

Im Außenbereich hatte Danton Spionson-den zurückgelassen, die nahezu das gesamteAreal rings um Golkana abdeckten. Eher alserwartet zeigten die Holos anfliegendeRaumer - keine Kreuzer oder Korvetten,sondern zwei Schlachtschiffe der800-Meter-Klasse; gewaltige Kolosse, die inder tief stehenden Morgensonne langeSchatten warfen.

»Auf treffende Ortungsimpulse«, wurdegemeldet. »Energie- und Normalscan. Au-ßerdem Funkansprache.«

»Sie reagieren nicht auf das KorraVir.«Roi Danton stieß die Feststellung wie einenFluch hervor.

»Aber natürlich, Kriegsschiffe sind mit

Positroniken nachgerüstet. Nur die planeta-ren Basen arbeiten noch überwiegend syn-tronisch.«

Der Befehlshaber auf der anderen Seitehatte schnell reagiert. Vor allem schien erimstande zu sein, aus wenigen Informatio-nen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Mitunbehaglichem Gefühl mußte Danton aner-kennen, daß er in dieser unübersichtlichenSituation ebenfalls Landetruppen ausge-schleust hätte.

Mit der Präzision eines Uhrwerks lief dieAktion gegen die KYRANTAR ab. Die Mi-litärmacht des Kristallimperiums zeigte, wo-zu sie in der Lage war. Dreieinhalb Minutenvergingen vom Ausschleusen der Truppenbis zu ihrem Vordringen in die Korvette. DieSoldaten machten sich gar nicht erst die Mü-he, die Kodierung der Schleusenzugänge mitRechnerunterstützung zu umgehen, sondernfuhren sofort schwere Geschütze auf undbrachen zwei Mannschleusen im unterenPolbereich gewaltsam auf.

Immer öfter warf Danton: beschwörendeBlicke auf sein Armbandchronometer. »Wobleiben Monkey und seine Leute mit Bul-ly?« stieß er endlich hastig hervor. »Unsläuft die Zeit davon.«.Er halte gehofft, daßdie Arkoniden wenigstens eine Viertelstundemit der KYRANTAR beschäftigt sein wür-den; immerhin gab es an Bord der Korvetteeinige Überraschungen, die den Eindruckvermittelten, die Besatzung habe sich imZentralebereich verbarrikadiert.

Doch der gegnerische Kommandant rea-gierte nicht auf solche Taschenspielertricks.Danton hatte seine Frage kaum ausgespro-chen, da regneten bereits die ersten Flugpan-zer aus den Hangars der Schlachtschiffe her-ab. Mehr als vierzig Shifts rückten gleich-zeitig aus allen Richtungen gegen das Gol-kana-Gefängnis vor.

Roboter und weitere Raumlandesoldatenfolgten ihnen. Die von den Sonden eingefan-genen Bilder zeigten, daß mindestens zweiHundertschaften auf dem Dach des Gefäng-nisses niedergingen.

Danton drosch die Fäuste gegeneinander.

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Nach dem, was sich da anbahnte, brauchteer keine Rücksicht mehr zu nehmen. In we-nigen Minuten würden die Angreifer denBrückenkopf ohnehin entdeckt haben.

Er aktivierte die Notfrequenz. »Was istmit Bully, verdammt? Wir kriegen in KürzeÄrger, den wir wahrscheinlich nicht mehrverdauen können. Alle Einzelaktionen sofortabbrechen und Rückzug zur bekannten Posi-tion.« Er schluckte. »Ich wiederhole: AlleAktionen abbrechen! Wir müssen Arkonverlassen, ob mit Bully oder ohne.«

»Ausgeschlossen.« Mehr sagte Monkeynicht. Er war der Meinung, mit diesem einenWort alles ausgedrückt zu haben, was dieUSO-Spezialisten bewegte.

»Hören Sie zu«, widersprach Roi Dantonhastig. »Hier bahnt sich eine mittlere Kata-strophe an, und wenn Sie nicht dafür verant-wortlich sein wollen, daß vierzig Manndraufgehen, ohne noch Aussicht auf Erfolgzu haben, dann …«

»Ist das alles?« unterbrach der Oxtornerunwillig. »Wir wußten von vornherein, wasgeschehen würde.«

»Aber nicht so schnell. Über uns hängenzwei Schlachtschiffe …«

»Nur zwei?«Danton schnappte hörbar nach Luft.

»Muß es erst eine ganze Flotte sein?«»Sie haben Angst«, stellte Monkey unge-

rührt fest.»… um neununddreißig Leben. Wenn Sie

das meinen, ja.«»Achtunddreißig«, sagte Monkey. »Ich

schicke Ihnen meine Leute, Danton.«»Sie auch!«Der Oxtorner stieß ein unwilliges Grollen

aus. »Bringen Sie ruhig Ihren Arsch in Si-cherheit, ich werde es nicht tun.«

»Wir denken gar nicht daran …«, begannAgent Begol prompt.

Monkeys Schritte wurden eine Nuancelangsamer. Mit zwei Desintegratorschüssenvernichtete er einen arkonidischen Roboter,dem ein geborstener Stahlträger ohnehinschon den halben Schädel abgeschlagen hat-te.

»Unsere Aufgabe ist, Reginald Bull ausarkonidischer Gefangenschaft zu befreien«,versetzte Begol.

»Wir können nicht einfach verschwinden,als wäre nichts gewesen«, mahnte LeutnantTamas.

»Ach.« Monkey blieb abrupt stehen. Wenvon seinen Begleitern er musterte, war sei-ner künstlichen Augen wegen nicht festzu-stellen. »Sind das alle Argumente?«

»Natürlich nicht. Wir …«Eine ungeduldige Handbewegung des

Kommandanten schnitt Begol das Wort ab.»Ich habe es zur Kenntnis genommen. Undnun verschwinden Sie zu Danton. Wer inzehn Sekunden noch in Sichtweite ist, denerschieße ich wegen Befehlsverweigerung.«

»Kommandant«, begann Leutnant Tamas.»Mit Verlaub …«

Monkeys Waffe ruckte hoch, die Ab-strahlmündung richtete sich auf die Brustdes Ertrusers. Keiner seiner Männer zweifel-te daran, daß der Oxtorner abdrücken würde.Monkey setzte den Weg allein fort.

Schließlich gab es Regeln, die zwar für al-le galten, die er aber besonders auf sichselbst anwandte.

Spezialisten der Neuen USO sind ihrenGegnern überlegen. Das waren keine leerenPhrasen.

Monkey entsann sich der Worte eines ter-ranischen Befehlshabers aus grauer Vorzeit;irgendwann, als er noch ein Kind gewesenwar, hatte er sich den Satz eingeprägt undihn dann nie wieder vergessen: »Ich kam,sah und siegte.«

Spezialisten der Neuen USO sterben nichtim Einsatz, sondern erzielen stets Erfolg. Erfürchtete den Tod nicht. Und jeder Sieg warnur ein Schritt hin zur Vervollkommnung.Ein USO-Spezialist wird niemals das Lebender ihm anvertrauten Personen opfern.

Es war seine Aufgabe, Reginald Bull ausden Händen der Arkoniden zu befreien. Erwürde die Erwartungen erfüllen oder sterben- aber Spezialisten erzielten stets Erfolge,weil sie ihren Gegnern überlegen waren.

Minuten später erreichte Monkey den

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Korridor, in dem ein heftiges Gefecht statt-gefunden hatte.

Rauch und Hitze hingen in der Luft, derGestank von verbranntem Fleisch lastete er-stickend über diesem Abschnitt.

Nur flüchtig untersuchte der Oxtorner ei-ne Leiche, die aussah, als wäre sie von ei-nem Shift überrollt worden. Kaum ein Kno-chen war noch heil. Den Kleidungsfetzennach handelte es sich um eine höhergestelltePersönlichkeit als einen einfachen Wärter.

In einem Seitengang lagen weitere Tote,auch sie scheinbar von einem blutrünstigenRaubtier zerrissen.

Zwischen ihnen eine verkohlte und kaumzu identifizierende Zellmasse.

Monkey ließ sich in die Hocke nieder undwühlte mit beiden Händen in den verbrann-ten Überresten. Er brachte ein nahezu zweiHandspannen messendes, steinhartes Gebil-de zum Vorschein. Wie aus schwarzemStein gemeißelt wirkte die Oberfläche. Aufder anderen Seite waren runde, vorgewölbteGebilde zu sehen: Saugnäpfe.

Für den Oxtorner gab es keinen Zweifel,daß er die Überreste des Mrii'Q vor sich hat-te. Der Massenmörder schien sein Glücknicht in der Flucht gesucht, sondern seinenunheilvollen Trieben nachgegeben zu haben.

Die Hitze in diesem Abschnitt überlagertenahezu alle Infrarotspuren. Monkey emp-fand das Abbild der Umgebung wie ein dü-sterrotes Wogen, der Boden war übersät mithellen Einschlüssen, und entlang den Wän-den, zu einem bizarren Netzwerk verfloch-ten, glühten die grellen Thermoschüsse.

In der Luft hatte sich die Wärmestrahlungausgebreitet und zu verwehen begonnen.

Als stünde ihm alle Zeit der Welt zur Ver-fügung, ließ Monkey den künstlichen Blickschweifen.

Die Einsatzparameter hatten sich schnel-ler als erwartet verschoben. Wohin war Re-ginald Bull gebracht worden? Befand er sichüberhaupt noch in Golkana? Monkey warsich klar darüber, daß er entweder mit Bullzurückkehren würde oder gar nicht. Die Su-che war unkalkulierbar geworden, ein Ort so

gut oder so schlecht wie der andere.Hinter der nächsten Abzweigung wurden

die Spuren deutlicher. Zehn Soldaten in Be-gleitung einer Frau waren, aus einem Seiten-korridor kommend, Mrii'Qaaler in die Fang-arme gelaufen. Die Frau interessierte Mon-key. Das verschwommene Wärmebild ließauf eine schlanke, hochgewachsene Gestaltschließen:

Endra da Kimbarley? Die Anstaltsleiterinwar bestimmt nicht des Mrii'Q wegen unter-wegs gewesen, eher schien die Gruppe vondem Zusammentreffen überrascht worden zusein.

Monkey kehrte auf die Kreuzung zurück.Er selbst war von rechts gekommen, zurLinken riegelte ein Sicherheitsschott nachdreißig Metern den Korridor ab. Auch hierHinweise auf eine Auseinandersetzung.

Zumindest war die Spur eines Thermo-schusses sichtbar, mit Einschlag am oberenRand des Sicherheitsschotts. Ein ungezielterSchuß also, nur eine Warnung, um jemandenzu stoppen?

Das Wärmebild einer einzelnen Personüberschnitt sich fast mit dem Schußkanal.Dann verwischten die Spuren, wurden un-deutlich und stabilisierten sich erst an derWand wieder. Auf.allen vieren schien derBetreffende versucht zu haben, sich aus derGefahren7one zurück zuziehen.

Das Fehlen seines Leichnams bewies, daßer es geschafft hatte.

Blutspuren an der Wand veranlaßtenMonkey, eines seiner Augen auf Mikroskop-funktion umzuschalten.

Er entdeckte Hautfetzen und blutige Fin-gerabdrücke, daneben klebten Haare.

Offensichtlich war der Unbekannte mitdem Kopf gegen die Wand geschlagen.

Die Haare interessierten Monkey. Es warnur ein kleines Büschel, wenig mehr als dreiZentimeter lang und von unverkennbar roterFärbung. Auf Arkon liefen nicht gerade vie-le Arkoniden mit rotem Bürstenhaarschnittherum.

Für Monkey nahm das Geschehen Gestaltan. Bull war entkommen und von einem

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Wärter verfolgt worden, aber derMrii'Qaaler hatte seine erneute Gefangen-nahme vereitelt. Wahrscheinlich waren auchdie Soldaten und Endra da Kimbarley demTerraner auf der Spur gewesen - und warenes noch.

Monkey hatte nur Sekunden gebraucht,um seine Schlüsse zu ziehen. Er hetzte los.Die Wärmespur wurde deutlicher: vier Sol-daten und die Frau. Reginald Bull schien mitseinen Kräften am Ende zu sein, taumeltevon einer Seite auf die andere und stieß sichimmer wieder ab.

Herabgebrochene Deckenverkleidungenund aufgerissene Wände erschwerten dasVorankommen.

Monkey rechnete damit, die Verfolgtenjeden Moment einzuholen, als sich eine ArtGalerie vor ihm öffnete.

Eine niedere Balustrade grenzte einenkreisförmigen Innenraum ab. Die Galerieverlief abschüssig; üppig ausstaffierte Sitz-plätze vermittelten den Eindruck eines Audi-toriums. Das tiefer liegende Rund im Zen-trum war mit Holoprojektoren und anderentechnischen Geräten ausgestattet.

Aber das registrierte Monkey nur am Ran-de. Keine zehn Meter vor ihm durchkämm-ten die Soldaten mit den Waffen im An-schlag die Sitzreihen. Endra da Kimbarleyerreichte soeben die Balustrade.

»Er muß hiersein!« rief die Frau.»Ergreift ihn! Wenn nicht …«

»Ach«, sagte Monke.Die Soldaten kannten keine Schreckse-

kunde, sie wirbelten herum und schossen.Aber da hatte Monkey sich schon zur Seitegeworfen. Sessel splitterten unter seinemAufprall, er kam federnd auf die Beine, jagtemehrere Feuerstöße in Richtung seiner Geg-ner und riß eine Sitzreihe aus der Veranke-rung. Unter extremen Schwerkraftverhältnis-sen aufgewachsen, wütete er wie ein Berser-ker.

Zwei Soldaten brachen von seinen Schüs-sen getroffen zusammen, dem dritten ramm-te er den Lauf der Automatwaffe in denLeib. In dem Moment erklang ein warnender

Aufschrei.»Den Strahler weg, oder ich bringe ihn

um!«Der letzte der Soldaten hatte Reginald

Bull zwischen den Sesseln entdeckt undzerrte ihn mit einer Hand hoch. Mit der an-deren richtete er seinen Strahler auf den Ter-raner.

Monkey stand nicht weiter als zehn Meterentfernt. »Schon gut«, stieß er grollend her-vor. »Ich will nicht, daß dem Minister auchnur ein Haar gekrümmt wird.« Für einenMoment sah es so aus, als werfe er seineschwere Waffe auf den nächsten Sessel,dann ruckte der Lauf hoch.

Zwei Schüsse gab der Oxtorner ab. Dereine fraß sich in den Waffenarm des Arkoni-den, der andere verfehlte Reginald Bull nurum Zentimeter und traf die linke Brustseitedes Soldaten, der seine Drohung nicht mehrumsetzen konnte.

Für einen Augenblick schaute Bull denOxtorner an, doch lag kein Erkennen in sei-nem Blick, sondern nur eine unendliche Mü-digkeit. Vergeblich suchte er Halt an einemder Sessel, bevor er zusammensackte.

Endra da Kimbarley schien spurlos ver-schwunden, ihre Wärmespur führte zumSchott. Monkey vermutete, daß sie Verstär-kung holen wollte.

Reginald Bull lag reglos und verkrümmtzwischen zwei Reihen, als der Oxtorner ihnerreichte. Ein mit Speichel vermischter Blut-faden sickerte aus seinem Mundwinkel. Aufden ersten Blick hatte es den Anschein, alsatme er nicht mehr, doch Monkey konnteplötzlich mit ungeheurer Sanftheit vorgehen.Das kaum fühlbare Pulsieren der Hals-schlagader verriet ihm, daß Leben im Kör-per des Aktivatorträgers war.

Bull hatte abgenommen; sein Gesichtwirkte kantig und selbst in der Ohnmachtverkrampft. Die Torturen der vergangenenWochen waren ihm deutlich anzusehen.Trotz des Aktivators brauchte er so schnellwie möglich ärztliche Obhut.

Nacheinander war die Übertragung meh-rerer Spionsonden ausgefallen. Abgeschos-

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sen vermutlich, denn die arkonidischenRaumlandetruppen drangen bereits in dasGolkana-Gefängnis ein.

Mehr als fünfhundert schwerbewaffneteKämpfer und ein Heer von Robotern hatteRoi Danton gezählt.

Wer glaubte, dieser Übermacht standhal-ten zu können, war entweder verrückt oderlebensmüde; beides vertrug sich nicht mitdem Status eines Spezialisten der NeuenUSO.

Danton befahl den kampflosen Rückzug.Das galt ebenso für die Roboter, die einenäußeren Verteidigungsring um den Brücken-kopf bilden sollten.

Einzig und allein Zeit zählte noch; siewurde zum kostbarsten Gut. Außerhalb desGefängnisses mochten Ewigkeiten vergehen,das hätte weder Roi Danton noch seineKämpfer sonderlich bewegt - sie wartetenauf die erlösende Meldung, daß der Ministergefunden worden war.

Vier Minuten zwischen Hoffen und Ban-gen - bis auch Monkeys Ertruser vor den an-rückenden Landetruppen eintrafen. Jetzt galtes, jeden in Sicherheit zu bringen. Aber spä-ter, Lichtjahre weit entfernt, würde der Kat-zenjammer kommen. Ich habe »Onkel« Re-ginald im Stich gelassen, hämmerte es unterseiner Schädeldecke. Es ist meine Schuld,daß er nicht rechtzeitig gefunden wurde - ichhätte nicht den Befehl zum Rückzug gebendürfen.

Zwei Tote in den eigenen Reihen - bisjetzt. Die Arkoniden rannten erbittert gegendie Stellungen der Ares-Roboter an. Monkeywürde nicht mehr kommen.

»Die Sendebereitschaft vorbereiten!« Niewar Danton ein Befehl so schwer gefallen.Beide tragbaren Transmitter, Camelot-Mo-delle mit gesteigerter Reichweite, verfügtenüber eine ausreichende eigene Energiever-sorgung, die genügte, um mehr als vierzigPersonen über Lichtjahre hinweg in Sicher-heit zu bringen. Zwei bewaffnete Handels-raumer der Organisation Taxit warteten insicherer Distanz. Selbst eine Entdeckungdurch arkonidische Kampfschiffe würde

nicht mehr als eine harmlose Fracht zutagefördern.

Unaufhaltsam drangen die Raumlande-truppen auf den Brückenkopf vor. Vergeb-lich versuchte Danton, nochmals eine Funk-verbindung zu Monkey aufzubauen. Ebensovergeblich wie sein Griff zur Waffe, um dieStellung mit den Robotern wenigstens einigeMinuten länger zu halten. Von zwei Seitendrangen die Arkoniden mit schweren Desin-tegratoren vor.

»Die Schutzschirme in dem Bereich ver-stärken!«

Roi Danton kämpfte in vorderster Front.Das war er Bully schuldig. So lange durch-halten wie irgend möglich, dem Freund we-nigstens den Hauch einer Chance lassen. Al-le Unsicherheit der letzten Zeit war von Roiabgefallen, als hätte er diesen Einsatz ge-braucht, um endlich wieder zu sich selbst zufinden. Aber was kam danach, sobald dieErnüchterung einsetzte? Ein Sturz in dieTiefen der Selbstvorwürfe und Zweifel? Ro-boter verglühten in grellen Detonationen; ei-ne Feuerwalze brandete gegen den HÜ-Schirm als letzten Verteidigungswall. DieBelastungswerte schnellten rapide in die Hö-he. Zugleich kam von der gegenüberliegen-den Stellung die Hiobsmeldung, daß aufbreiter Front Arkonidische Roboter vordran-gen.

»Wir setzen uns ab!« befahl Roi Dantontonlos. »Mission Golkana ist gescheitert.«

Paarweise durchschritten die USO-Spezialisten das Entstofflichungsfeld, um imselben Sekundenbruchteil entfernt an Bordeines 500-Meter-Raumers zu rematerialisie-ren.

Das Transmitterfeld verschluckte die letz-ten Spezialisten. Roi Dantons Finger ver-krampften sich um den Lauf seines Strah-lers. Was würde geschehen, wenn wenig-stens er blieb? Er durfte nichts unversuchtlassen ….Ein Wispern im Funkempfang.Von Störungen überlagert und kaum ver-ständlich. Monkeys Stimme? Wunschden-ken, mehr nicht.

Die Stimme wiederholte sich: »Weg mit

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dem Schirm!« Das war Monkey, kein Zwei-fel.

Und wenn nicht, was spielte das noch füreine Rolle? Bitternis hatte sich um DantonsMundwinkel eingegraben, als er in den Ne-benraum hastete und mit scharf gebündeltemThermostrahl auf die Feldprojektoren feuer-te.

Er wußte nicht, aus welcher Richtung derOxtorner kam.

Jeder Schuß ließ eine der hochenergeti-schen Sperren zusammenbrechen - schnel-ler, als hätte er die Schaltungen von Handvorgenommen.

Ein dröhnender Kampfschrei hallte heran.Unvermittelt geriet Bewegung in die Reihender anrückenden Arkoniden. Mit einemGegner im Rücken hatten sie nicht mehr ge-rechnet.

Roi Danton warf sich nach vorne, feuerte,hastete weiter. Die Schüsse der Gegner ver-fehlten ihn, und dann tobte Monkey mit ox-tornischer Urgewalt heran. Auf seinemRücken ein leblos wirkendes Bündel:

Bull.

»Weg hier!« dröhnte der Kommandant.»Danke«, stieß Danton hervor, jagte eine

letzte Salve in, den Korridor, warf sich her-um und hetzte hinter Monkey her, der mitseiner Last schon die Transmitter erreichthatte. Nicht zu erkennen, ob Bully am Lebenwar; aber hatte er nicht einmal selbst be-hauptet, »Unkraut vergeht nicht«?

Im Laufen gab Roi Danton über seinArmbandgerät den Impuls zur Selbstver-nichtung. Nicht nur die Transmitter, auchdie restlichen Roboter würden davon betrof-fen sein.

Noch drei Sekunden …Zwei …Kopfüber warf er sich in das Abtastfeld,

und zum erstenmal überhaupt glaubte er zuspüren, daß sein Körper Atom für Atom aus-einandergerissen wurde. Der letzte machtdas Licht aus! durchzuckte es ihn.

In diesem Moment verglühte der Trans-mitter in den eigenen Energien.

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Kommentar: Von der alten zur neuen USO (IV)

Die USO soll, so der feste Wille ihres oxtornischenKommandanten wie auch ihrer Mitglieder, einen eben-so legendären Status erreichen wie Camelot oder diealte USO! Die USO-Spezialisten werden deshalb zumaximalem Selbstbewußtsein, aber nicht zur Selbst-überschätzung erzogen. Ihre harte Ausbildung vermit-telt ihnen die Grundlagen für den praktischen Einsatz,der im allgemeinen verdeckt erfolgt.

In den Jahren bis 1303 NGZ entwickelten sich fastzwangsläufig samuraiartige Ehrenvorstellungen, mar-kant zusammengefaßt in den Sätzen des USO-Ko-dex:

Spezialisten der Neuen USO sind ihren Gegnernüberlegen!

Spezialisten der Neuen USO sterben nicht im Ein-satz, sondern erzielen stets Erfolg!

Ein USO-Spezialist wird niemals das Leben derihm anvertrauten Personen opfern, sondern immer biszuletzt einstehen!

Das mag im ersten Moment überheblich klingen,aber angesichts der geringen zahlenmäßigen Stärkeund exorbitanter Ausbildungskosten darfsich die USOkeine Ausfälle »leisten«, ungeachtet dessen, daß die-se im harten Agentenalltag dennoch vorkommen kön-nen und einkalkuliert werden müssen.

Ihrem Selbstverständnis nach wird die USO vor al-lem immer dann aktiv, wenn die kristallimperialistischeBesatzungsmacht den kontrollierten Zivilbevölkerun-gen der Planeten, die zum Imperium gehören, Un-recht zufügt. Bisher gelangen lediglich Nadelstiche,obwohl die USO bestens ausgebaute Stützpunkteselbst auf Arkon I, im Palast des Imperators und indessen Thronflotte ARK'IMPERION unterhält. AberMonkey vermag nicht einmal einen Spezialisten für je-des Schlachtschiff aufzubieten, das Imperator Bostichins Feld führen kann.

Denn zur USO gehören im Jahr 1303 NGZ insge-samt erst rund 400.000 Mitglieder. Wir unterscheidendie Einsatz-Spezialisten, die im weitesten Sinne fürAußenoperationen zuständig sind, die QuinTechs alsWissenschaftler, Techniker, Analysten, Einsatzplanerund Logistiker sowie die Kadetten als in Ausbildungzum Spezialisten befindliche Personen.

QuinTechs erlangen ebenfalls Dienstgrade, aller-dings sind sie den Einsatz-Spezialisten nur dann ge-genüber befehlsbefugt, wenn es sich um Angelegen-heiten ihres Ressorts handelt. Überdies sind dieGrenzen fließend, da bei Bedarf auch QuinTechs inAußeneinsatz gehen müssen, beispielsweise wennspezielle technische oder andere Probleme zu über-winden sind - ihre grundsätzliche Ausbildung steht al-so der der Spezialisten kaum nach. Andererseits nut-zen auch Einsatz-Spezialisten den »Innendienst« zurRegeneration; teilweise handelt es sich auch um imEinsatz verwundete »Veteranen«, die für Undercover-aktionen nicht mehr zur Verfügung stehen, auf derenErfahrung Monkey aber nicht verzichten will.

Zur USO gehören inzwischen stets etwa 20.000 Ka-detten; zu mehr reicht vorläufig die Ausbildungskapa-zität nicht. Es handelt sich hierbei um Personen, die

charakterlich zur Mitarbeit befähigt sind, die aber ihretheoretische und praktische Eignung noch nicht nach-gewiesen haben. Jeder Kadett in Ausbildung wird voneinem Mentor betreut, der bereits mindestens denSpezialistenstatus innehat. Am 20. November 1300NGZ fand das erste Gelöbnis statt, bei dem Monkeydie Vereidigung jener neuen USO-Spezialisten vor-nahm, die den QuinTest bestanden hatten.

Wer die Abschlußprüfung bestanden hat, den soge-nannten QuinTest, erwirbt sich damit das Privileg, ge-siezt zu werden - und darf sich USO-Spezialist nen-nen. Manche Spezialisten mutmaßen, KommandantMonkey habe das »Sie« vor allem deshalb eingeführt,um die von ihm so geschätzte Distanz zu sichern. DieWahrheit ist natürlich eine andere: Das Siezen unter-streicht in einer Galaxis, in der diese Anredeformschon vergessen schien, den elitären Status derUSO.

Jeder Kadett, jeder QuinTech, jeder Spezialist istabsoluter Geheimnisträger. Ein Austritt aus der Orga-nisation ist demnach mit einer Löschung des Ge-dächtnisses zwingend notwendig verbunden: Es han-delt sich eigentlich um eine zutiefst unmenschlicheBehandlung, doch jeder neue Kadett verpflichtet sichvor Beginn seiner Ausbildung freiwillig dazu, dieseProzedur gegebenenfalls aus Sicherheitsgründen aufsich zu nehmen, sollte er den QuinTest nicht beste-hen - oder aus was für Gründen auch immer seinenAbschied nehmen (oder nehmen müssen).

Neben der Personalstärke muß auch die USO-»Flotte« als bescheiden bezeichnet werden: Von denursprünglich 250 bewaffneten Handelsraumern derOrganisation Taxit wurden fünfzig ganz in den Dienstder USO gestellt und in Quinto-Center zu reinen Mili-tärschiffen umgebaut. Es handelt sich hierbei umzwanzig Schiffe der VESTA-Klasse sowie um dreißigSchiffe der PROTOS-Klasse. Hinzu kommen die fünf-zig von der LFT gelieferten Schiffe der ODIN-Klasse,bei denen es sich um MERZ-Schlachtkreuzer von 500Metern Durchmesser handelt, die als Beiboote jesechzehn Space-Jets, acht Minor Globes und sechsKorvetten mitführen - insgesamt also 800 Space-Jets,400 Minor Globes und 300 Korvetten, die auch eigen-ständig eingesetzt werden können.

Aus eigener Produktion stammen weiterhin 560 Mi-ni-Space-Jets (Ein-Mann-Disken neuer USO-Bauweise mit einem Durchmesser von nur zehn Me-tern und einer größten Dicke von drei Metern), hun-dert Space-Jets auf der Basis der PROTON WIFE so-wie achtzig Neo-KORVETTEN als USO-Neukonstruktion von Kugelraumern mit sechzig Me-tern Durchmesser. Unterstützende Funktion habendarüber hinaus die 445 bewaffneten Handelsraumerder Organisation Taxit.

Geheimverträge mit den Posbis sichern überdiesderen technische und flottenmäßige Unterstützung zu,angesichts der KorraVir-Gefahr sind allerdings vieleRessourcen gebunden, da die Posbis mit der eigenen»Umrüstung« beschäftigt sind, so daß wir wohl in ab-sehbarer Zeit bei ihnen wieder mit positronisch-biolo-

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gischen statt syntronisch-biologischen Robotgeschöp-fen zu tun haben werden …

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