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Mein Lebenslauf von Johann Fickler Gutsbesitzer vom Josefinenfeld in Ottobeuren geb. 11.11.1876, gest. xx.06.1954

Mein Lebenslauf - OTTOBEUREN MACHT GESCHICHTE...Mein Lebenslauf Vorwort: Der liebe und herzinnige Weihnachtsbrief meines lieben Sohnes Anton, hat mich veranlasst, meinen Lebenslauf

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Mein Lebenslauf

von Johann Fickler

Gutsbesitzer vom Josefinenfeld

in Ottobeurengeb. 11.11.1876, gest. xx.06.1954

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Ottobeuren, den 23. Januar 1942

Mein Lebenslauf

Vorwort:

Der liebe und herzinnige Weihnachtsbrief meines lieben Sohnes Anton, hat mich veranlasst, meinen Lebenslauf zu schreiben. In kindlicher Liebe hat er noch, fern der Heimat als Obergefreiterbei den Gebirgsjägern im Donezgebiet in Russland gebeten, meinen schon einmal angefangenen Lebenslauf zu vollenden und denselben ihm als Vermächtnis zu hinterlassen.

Ich will nun versuchen, seinem lieben Wunsche zu entsprechen und nicht nur ihm, sondern meiner ganzen Familie, also meiner lieben Frau und allen fünf Kindern meinen Lebenslauf zu hinterlassen.

Möge ihnen all das Erlebte den Eindruck hinterlassen, dass ich in meinem ganzen Leben nurbestrebt war, auf Grund meiner Erziehung, durch Fleiß und Arbeit, ehrlich durch die Welt zukommen, denn schon mein Vater sagte immer:

„Tue Recht und scheue niemand!“

Mein Wunsch war auch immer, für meine Familie, für Frau und Kinder zu sorgen und sie zuehrlichen, brauchbaren Menschen zu erziehen. Möge mir dies gelungen sein!

Mein sehnlichster Wunsch ist, dass ich es noch erleben könnte, dass dieser furchtbare Krieg nochzu Ende gehe und für unser liebes Vaterland den Sieg bringen möchte, denn ein Frieden ohnedeutschen Sieg wäre schrecklich für uns.

Möchten meine beiden lieben Söhne, welche den Krieg von Anfang an mitmachen mussten, alsgesunde und tapfere Sieger in ihr Vaterland heimkehren, ihre Existenz gründen können undglückliche Familienväter werden. Das gleiche wünsche ich meinen drei Mädchen, Fini, Annalieseund Paula.

Bemerken möchte ich noch, dass mein ältester Sohn Alfons seit Kriegsbeginn bei der Waffen-SS eingezogen ist, in Frankreich gekämpft hat und jetzt seit dem Beginn des Krieges mitRussland dort eingesetzt ist, schon schwere Kämpfe mitgemacht hat. Möge er gesundzurückkehren!

Mein Sohn Anton war bei Beginn des Krieges beim 91. Infanterie-Regiment in Lindau als aktiver Soldat. Er kam sofort nach Polen zum Kampfeinsatz, hatte schwere Kämpfe zu bestehen. Bei Beginn des Kampfes im Westen zeichnete er sich in Frankreich als Meldegänger aus. Bei einem schweren Gang in den Kämpfen an der Somme hatte er die Stellung des 2. Bataillions festzustellen. Hierbei musste er durch einen verminten, mit Baumschützen bespickten Wald und erhielt schweres Feuer. Er führte den Befehl aus und erhielt für sein tapferes, mutiges Verhalten das Eiserne Kreuz II. Klasse. Bei dieser Gelegenheit rettete er auch einem Hauptmann Geisser aus Ulm das Leben. Als die Kämpfe in Frankreich beendet waren, blieb er noch längere Zeit als Besatzung in Frankreich, darunter auch in Paris. Er kam dann auf den Heuberg bei Sigmaringen. Hier wurden die 91. Infanteristen Gebirgsjäger. Bei Beginn der Kämpfe in Jugoslawien wurde er wieder eingesetzt. Als die Kämpfe in Russland begannen, war er voller Siegeszuversicht dabei. Möge der Allmächtige auch ihn gesund die Heimat sehen lassen! -

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Anton Fickler, Johann Fickler, Alfons Fickler und Paula Fickler (Leist)

Meine Tochter Fini ist glücklich verheiratet mit ihrem lieben Toni, der mir ein lieber Schwiegersohn geworden ist. Ich wünsche, dass es bleiben möge, denn gerade in unserer schweren Lebenszeit hat auch sie die schweren Sorgen mit uns geteilt und herabgemindert.

Meine Tochter Annaliese führt den Haushalt seit Fini verheiratet ist, die Geflügelzucht mit Brüterei, und seit Alfons im Kriege ist, auch dessen Buchführung in der Säge. Sie ist vom frühen Morgen biszum späten Abend tätig. Ich bin stolz auf sie, danke es ihr und wünsche ihr einmal eine glückliche Zukunft.

Und nun komme ich zu Paula, der jüngsten. Sie hat das Lyzeum in Memmingen mit Auszeichnung absolviert. Die „Berufsfrage“ machte manche Sorge. Sie entschied sich, Diätassistentin zu werden und kam zum Roten Kreuz nach München. Auch diese Zeit ging vorüber, und sie hat wieder mit Note 1 abgeschnitten. Schon hat sie ihre erste Stelle angetreten im Kurhotel Obladis bei Landeck in Tirol. Auch ihr wünsche ich für die Zukunft das Allerbeste, allen miteinander den F r i e d e n!

Paula (Leist), Annaliese (Naglo), Josefa , Alfons, Johann, Anton und Fini (Deubler)

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Und nun mein Lebenslauf

Auch hier muß ich weiter zurückgreifen. Mein Vater Anton Fickler war Besitzer der Unteren Mühle in Ottobeuren. Sein Vater, also mein Großvater war Besitzer der Unteren Mühle in Unterrieden bei Pfaffenhausen. Der Vater des Großvaters war der Obere Müller Fickler in Sontheim.

Meine Mutter Anna Fickler, geb. Herz, war eine Bauerntochter aus Sontheim. Ihre Mutter war wieder in der Oberen Mühle in Sontheim zu Hause. Unsere Abstammung geht also auf die Obere Mühle nach Sontheim zurück. Auf der Mühle ist heute noch ein Besitzer namens Wilhelm Fickler.

Mein Vater kaufte im Jahre 1873 die Untere Mühle in Ottobeuren. Der Vorbesitzer Sebastian Stiefenhofer war ein alteingesessener Ottobeurer Bürger. Bei der Mühle war eine große Landwirtschaft. Als mein Vater das Geschäft erwarb, war nur noch die leere Mühle mit 4 Tagwerk, dem sogenannten Mühlberg, dabei, ohne Vieh und ohne Inventar.Im Jahre 1874 heiratete mein Vater und gründete seinen Hausstand. Mein Vater und meine Mutter waren überaus fleißige Leute. Trotzdem sie nach den damaligen Verhältnissen ein ganz nettes Vermögen zusammenbrachten, gelang es ihnen nicht, die Zinslast aufzubringen und den Lebensunterhalt zu bestreiten. Mein Vater erzählte oft, daß ihm im ersten Jahre 400 Mark gefehlt hätten, um den schuldigen Zins zu bezahlen. Ebenso sei es im zweiten Jahre gegangen. In seiner Not ging er zu seinem Vater und klagte ihm sein Leid. Er machte ihm den Vorschlag, man könnte in den alten leeren Stadel eine Säge einbauen. Holz sei genügend vorhanden, und dann käme er vorwärts. Sein Vater hatte Verständnis, gab ihm noch mehr Geld, um die Säge einzubauen. Nachdem die Säge dann 1874 eingebaut war, konnte der Vater nicht nur seinen Verpflichtungen nachkommen, sondern am Jahresschluß blieben noch 800 Mark. Bemerken möchte ich noch, daß mein Vater von außergewöhnlicher Körperkraft war. Er machte den Feldzug gegen Frankreich anno 1870/71 mit, wurde bei Sedan durch einen Halsschuß schwer verwundet. Der Arzt, welcher ihn behandelte, gab nicht mehr viel um sein Leben. Seine gute Gesundheit, seine eiserne Natur heilten ihn aber so schnell, daß er im Januar 1871 schon wieder als Soldat vor Paris stand. Er hätte noch nicht nach Frankreich müssen, aber er wollte wieder zu seinen Kameraden. Seine außergewöhnliche Kraft muß ich noch näher beleuchten. Als er die Säge eingebaut hatte, da fehlteein Pferd zum Einspannen, um Rundholz zu holen. Er kaufte eins, das zog aber nur, wenn es gut aufgelegt war. Er mußte manchmal den Wagen selbst schieben. Damit dies leichter ging, nahm er Schwertlinge oder ein paar Dielenstücke mit, stellte den Wagen darauf, und wenn das Pferd nicht zog, schob er den geladenen Baumwagen an. Wenn das Pferd merkte, daß es ging, zog es dann immer selber an. Wenn am Baumzug auf der Säge etwas fehlte und derselbe nicht funktionierte, dann ging er auf den Baumlagerplatz, nahm einen Baum auf seine Schulter und trug ihn selbst zur Säge.

Am Donnerstag war damals in Ottobeuren Schrannentag. Man baute in dieser Zeit noch nicht so viel Weizen wie heute, sondern mehr Vesen. Die Bauern kamen entweder am Mittwoch oder Donnerstag früh in die Mühle. Dort wurden die Vesen über die Gerbmühle gelassen, und wenn gerade kein Fuhrwerk da war, um den Kern zum Verkauf in die Schranne zu fahren, nahm der Vater den Sack mit 3,5 - 4 Zentner auf den Rücken und trug denselben zur Schranne.

Das Sägewerk funktionierte, es war nur ein Hochgang und Vater hatte ziemlich Bretter Vorrätebeisammen. Schon dachte er daran, die Ware zu verkaufen, da kam ein Unglückstag und machteeinen Strich durch seine Zukunftspläne.

Am Dreifaltigkeits-Sonntag im Jahre 1876 ging über Ottobeuren ein wolkenbruchartige Gewitter nieder. Es warf solche Wassermassen her, daß das große Wehr, der sogenannte Abfall bei Eldern, welches den Mühlkanal speiste und welches vom oberen Müller, vom Hofmiller, (jetzt Benediktinerbrauerei) und dem Untermiller unterhalten werden mußten, von den Fluten weggerissen wurde. Drei Geschäfte standen somit still. Meinem Vater nahm das Hochwasser nocheinen großen Teil der Brettervorräte mit. Beim Lodner, das ist vis-à-vis vom Metzger Krumm oder über dem Bach der jetzigen Zentralmolkerei rissen die Fluten das Haus weg. Mein Vater stand vor dem Ruin. Der Volksmund sagte, der Untermiller Fickler kommt wahrscheinlich nicht mehr zum

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Mitbauen. Der damalige Maurermeister Madlener, der den großen Abfall zum Bauen bekam, wolltenicht recht anfangen mit dem Neubau, weil er fürchtete, daß er sein Geld nicht bekommt. Mein Vater kaufte nun noch ein Pferd und holte den Zement, den man zum Bauen brauchte, mit dem Fuhrwerk in Memmingen. Er lieferte auch viel Schalmaterial und Dielen zu dieser Arbeit und hatte so eine Gegenrechnung, welche ihm seinen Anteil erleichterte, er kam seinen Verpflichtungen nach.

Ebenso fleißig war die Mutter. Man trieb nebenbei Schweinezucht, hatte Glück dabei und machteauch hier manchen Verdienst. Allmählich sprach es sich wieder so herum: Ja die Untermillerleutesind sehr fleißig, man glaubt schon, daß er fortmachen kann. Die Mühle und Säge kam wieder inGang. Ganz besonders gut ging das Geschäft mit der Säge. Im Jahre 1884 befaßte sich der Vaterneben dem Hochgang noch einen Vollgatter aufzustellen. In Memmingen war damals am Riedbacheine Maschinenfabrik mit Eisengießerei. Die Firma hieß Theodor Haggenmiller. Sie lieferte unseinen Vollgatter mit einer Stelze.

Als man das Gatter abholte, hatte man einen alten Aushilfsknecht. Es war Sägers Toni, ein Bruder zum Eldernsäger. Mein Bruder Josef und ich durften damals mit nach Memmingen fahren. Josef war 9 Jahre alt, ich 8 Jahre alt. Man hatte einen Heuwagen und zwei schöne Rotschimmel, die kurz vorher gekauft wurden. Das Aufladen verzögerte sich schon in Memmingen, und es war schon gut dunkel, als wir in Ottobeuren einfuhren. Die Eisenteile auf dem Wagen machten Lärm, die Pferde wurden unruhig. Der alte steife Toni führte sie wohl, wurde ihrer aber nicht mehr Herr. Die Pferde gingen durch, Josef und ich saßen vorn auf dem Wagen. Den Ölberg hinunter kamen die Pferde zu weit rechts an die Rosenwirtschaft. Der Wagen schlug um, die Gußteile stießen vom Haus den Eckeisen heraus. Josef und ich lagen unter den Eisenteilen, unter dem Wagen.

Die Mühlenbauer Mayer, Reichau haben damals im Ochsen ein paar Glas Bier getrunken, kamen sofort heraus. Man bedauerte den Unfall. Niemand aber dachte an die beiden Buben unter dem umgekippten Wagen, unter den Eisenteilen. Endlich kam auch die Mutter und jammerte um die beiden Buben. Man suchte und hörte uns dann schreien. Wir versuchten heraus zu kriechen und wer sollte es glauben. Es war wie ein Wunder, die beiden totgeglaubten Buben kamen unversehrt unter dem umgestürzten Wagen und den Eisenteilen hervor und gingen mit der Mutter heim. Der Kummer war nicht mehr groß, weil uns nichts fehlte. Verschiedene Gußteile waren kaputt, konnten aber wieder beschafft werden. Ich habe diesen Vorgang noch ganz gut in Erinnerung und kann es tatsächlich heute noch nicht begreifen, daß wir ohne jede Verletzung davonkamen. Wir saßen vornauf dem Wagen, der Wagen stürzte um. Die Wucht riß noch den Hauseckfelsen heraus, uns war nichts geschehen. Vielleicht hatten wir doch einen Schutzengel, der uns in dieser Situation beschützte.

Im Laufe der Zeit kam das Werk in Betrieb. Man brauchte nun auch ziemlich Rundholz für den Betrieb. Es waren im Sägewerk 3 - 5 Leute beschäftigt. Vater kaufte noch 2 Pferde, so daß man nun 4 Pferde hatte. Ebenso kaufte Vater noch einige Grundstücke am Schinderbach. Man hielt auch einige Stück Vieh, hatte das Futter für die Pferde.

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Man hörte so manchmal in die Ohren, ja kann das der Müller alles machen, zahlt er auch? Bei dieser Gelegenheit muß ich noch an etwas erinnern: Damals gehörte das Bräuhaus dem Besitzer Michael Geiger. Er hatte einen großen Betrieb. Mein Vater sagt immer, daß Herr Geiger 46 eigene Wirtschaften habe, ohne diejenigen, welche er sonst auch mit Bier belieferte. In diesem Betrieb braucht man für Neubauten und Reparaturen viel Holz. Geiger hatte einige Handwerksleute, z.B. den Schreiner Angolneuer, der alte Konohofer, auch ein Feldzügler von 1870/71 war sein Polier. Vater lieferte Herrn Geiger Föhren, Lärchen, Eichen, welche man zum Teil bis in Babenhausen holte. Eines schönen Tages kam mein Vater in Verlegenheit. Beim Finanzamt mußte damals das Rundholz, welches man beim Forstamt kaufte, am 15. Okt. bezahlt werden. Der Vater hatte Bretterverkauft und mit der Käuferfirma ausgemacht, daß er das Geld am 15. Okt. bestimmt haben müsse. Das Geld kam nicht. In seiner Angst ging Vater zu Herrn Geiger und klagte ihm den

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Sachverhalt. Herr Geiger hatte wohl ein gewisses Vertrauen zu meinem Vater. Er gab ihm den fraglichen Betrag. Zur Sicherung seiner Ansprüche mußte Vater aber verschiedenes Herrn Geiger übereignen. Am anderen Tag aber kam das fragliche Brettergeld und Vater trug das von Geiger entlehnte Geld sofort wieder zurück. Von diesem Tag an hatte Herr Geiger zu meinem Vater volles Vertrauen.

Wenn Vater für Herrn Geiger brauchbare Ware eingeschnitten hatte, trug er ihm dieselbe meistens am Sonntagnachmittag im Bräustüberl an. Herr Geiger versprach die Ware baldigst zu besichtigen,kam aber wegen Geschäftsüberhäufung nicht dazu. Am anderen Sonntag ging Vater wieder ins Bräustüberl (man traf dort auch alles Geschäftsleute) und mahnte Herrn Geiger. „Ja, ich habs vergessen oder ich bin nicht dazu gekommen, aber wenn Sie Geld brauchen, dann gehen Sie ins Büro und lassen sich einen Vorschuß geben. Ich werde dann schon mal kommen und die Ware besichtigen.“

Nun kamen die Neunziger-Jahre. Mein Bruder und ich, 15 bzw. 14 Jahre alt geworden, wir mußten fest mitarbeiten, und zwar überall. Ging ein Säger, mußten wir in der Säge mithelfen oder als Knecht zuerst Bretter auf den Bahnhof nach Sontheim führen, um dann im Heuwald, Weißwald oder Attenhauser-Wald Bäume mit nach Hause zu nehmen.

Bei dieser Gelegenheit muß ich noch etwas erzählen: Meine Mutter war besonders genau, und wenn es nicht gerade ging, wie sie glaubte, kritisierte sie und schimpfte. Dadurch gab es manchen Dienstbotenwechsel, und das war gerade für mich nicht gut. Damals gab es noch kein Arbeitsamt, das Arbeiter vermittelte. Ich mußte am Werktag streng arbeiten, und am Sonntag mußte ich dann nach Grönenbach gehen. Von dort fuhr ich mit dem Zug nach Kempten zum Stellenvermittler. Entweder brachte ich einen Knecht, einen Säger oder einen Hilfsarbeiter, die gerade auch nicht diebesten waren. Wenn es dann wieder Wechsel gabt, dann ärgerte mich das und ich sagte: „Am Werktag muß ich fest arbeiten und am Sonntag muß ich nach Kempten zum Lumpensammeln fahren“, und ich fuhr manchmal mißmutig dorthin. Fahrrad gab es damals noch nicht. Wieder einmal hatte man keinen Knecht. Sägers Toni mußte wieder aushelfen. Ich fuhr mit der 2ten Mähne. Vater sagte: „Vormittags fahrt ihr in den Weißerwald und nachmittags nach Hopferbach.“ Dort hatte man Holz aus einer Privatwaldung. Ich mußte hinten am Baumlagerplatz einspannen, Toni vorn beim Haus. Ich fuhr dem Weißerwald zu. Es war noch Nacht, als wir wegfuhren. Als ich vom Langenberg Richtung Dennenberg fuhr, wurde es allmählich Tag und ich sah Toni nicht mit der 1. Mähne. Es wurde mir nun klar, daß Toni statt in den Weißerwald nach Hopferbach gefahren war. Ich fuhr dann allein Richtung Weißerwald und dachte, ich werde wohl auch eine Fuhre Bäumeallein aufladen können. Die Ladehölzer hatte ich bei mir. Ich ging damals noch in die Werktagsschule. Im Walde angekommen, richtete ich den Wagen her zum Aufladen, schleifte die Bäume zum Wagen, führte sie mit den Pferden auf, warf die Ketten darüber und war gerade am Zuspannen, als zwei Holzmacher von Frechenrieden zu mir kamen und sagten: „So, Büble, wem gehörst du denn, hast du hier allein aufgeladen?“ Ich sagte, daß ich dem Fickler von Ottobeuren gehörte und daß ich allein aufgeladen habe, weil der Toni statt hierher nach Hopferbach gefahren war. Dann sagten die beiden, daß ich mit dieser Fuhre nicht auf die Straße könne. Ich hatte nämlich auf einem schlechten Seitenweg die ganze Fuhre geladen. Hierauf fuhr ich los, kam durchund war um 1/2 10 Uhr schon vom Wald daheim. Nachdem ich dem Vater den ganzen Sachverhalt

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erklärt hatte, war er sehr erfreut und stolz auf meine Leistung und machte vor lauter Freude einen blauen Tag beim Hirschwirt.

Einmal hatte man eine Zuchtstute, sie bekam ein Fohlen. Als es größer wurde, setzt man mich einfach darauf und ließ es los. Es bekam Temperament und ging mit mir durch und zwar beim Hirsch den Marktplatz hinauf, hinten den Holzplatz durch, dann unter den Obstbäumen, sodass ichmeinen Kopf ganz an den Hals legen musste, sonst hätten die Äste mich heruntergestreift. Dann raste es den Mühlberg hinauf, machte kehrt und herunter gings. Vater war an der Kreissäge, erkannte scheinbar meine Situation, sprang heraus und erwischte das mutwillige Pferd an den Nasenlöchern. Muss noch bemerken, dass ich weder Sattel noch Zaum hatte, sondern mich nur ander Mähne halten konnte und meine Füße krampfhaft zusammenklammerte. Herunter brachte

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mich das Pferd nicht. Aber von dem Tag an war ich auch von meiner Reitkunst kuriert. Leider haben wir das Pferd, als es dreijährig wurde, verloren. Am Ostersonntag ging es ein. Mutter gab dem Knecht die Schuld, der es schon zu sehr erhitzt hätte.

Dann kam ein großer Sturm. In den Staatswaldungen warf es Tausende von Kubikmetern Holz. Vater kaufte viel und hatte damit Glück. Die Mühle wurde nebensächlich behandelt, weil man mit der Säge Geld verdiente. Früher fuhr man wegen der Mühle ins Gäu nach Lachen, dann stellte man da ein und Vater sagte: „Lieber gehe ich allein zum Betteln, als dass ich einen Knecht mit zwei Pferden zum Betteln schicke.“ Dieser Standpunkt war zu erklären, mit der Mühle verdiente man wenig und brauchte dagegen die Wasserkraft mit der Säge mehr. In der Säge hatte man zuerst eine Turbine zum Antrieb, in der Mühle für jeden Gang ein Wasserrad. Im Jahre 1884 machte man für die Säge ein oberschlächtiges Wasserrad. Wirtschaftlich ging es nun immer besser. In Guggenberg war ein Bauer mit Namen Hiemer, der hatte einen Sohn, der war geistig sehr beschränkt, eine Tochter, die wollte nicht heiraten. Dieser Bauer war immer bei uns in der Mühle und Vater besaß sein volles Vertrauen. Eines Tages kam Hiemer zum Vater und sagte: „Du Müller, ich verkaufe im Herbst meinen Hof, den gebe ich Dir, wenn Du ihn willst.“ Der Hof hatte 84 Tagwerk, das Haus war wohl sehr alt, aber es war ziemlich viel schlagbarer Wald dabei. An Inventar waren ca. 20 Stück Vieh und 2 Pferde vorhanden.An einem Sonntagmorgen kam der alte Hiemer und sagte zu Vater: „Fickler, jetzt machen wir ernst, jetzt gebe ich den Hof her, wenn Du ihn willst, dann komme morgen hinaus, damit wir unterhandeln können. Vater sagte zu. An diesem Tage nun hatte Mutter wieder mit einem Dienstboten Ärger. Vater kam zu allem Überfluß noch ziemlich verspätet zum Mittagessen. Es gab nochmals Verdruss und Mutter sagte: „Du fängst immer noch mehr an und ich soll mich mit den vielen Dienstboten abrackern.“ Es war so eine rechte Missstimmung, und Vater sagte dann zu Josef: „Also dann kaufe ich den Hof nicht; du gehst zu Heusse Hansjörg (da hat Hiemer am Sonntagnachmittag noch eingekehrt), das Haus war in der Nähe der Brieftaube und sagst, daß ich morgen nicht komme. Ich habe die Sache auch mit angehört, und als die Stimmung wieder freundlich wurde, da sagte ich zum Vater: „Vater, das würde ich nicht tun. Ich würde den Hof anschauen, ebenso das Holz, dann sehen wir doch, was es wert ist. Falls Hiemer nicht zu viel verlangt, würde ich ihn kaufen.“ Der Vorschlag gefiel ihm. Josef, der inzwischen bei Hiemer war und ihm sagte, dass Vater nicht komme und der darüber betrübt war, musste nochmals dorthin undsagen, dass man morgen nun doch komme. Und das war richtig.

Vater, Josef und ich gingen am Montag nach Guggenberg zu Hiemer, besichtigten Hof, Inventarund Holz und rechneten aus, wie man den Hof kaufen solle. Hiemer verlangte 33 000 RM undsagte: „Fickler, ich habe den Preis nicht unrecht gemacht, Du sollst an dem Hof etwas verdienen.“Vater sagte zu und kaufte den Hof. Der Kauf entwickelt sich zu einem sehr guten Geschäft. Vaterverdiente auch hier viel Geld. Selbstverständlich hoben diese Geschäfte auch den Kredit vonVater, aber auch den Neid der Konkurrenz. In der Zwischenzeit hatte auch der Besitzer der unterenSäge, Max Schaber, Geld verdient. Er staute seine Wasserkraft immer mehr an, so dass unsereWasserräder Hinterwasser bekamen. Trotz wiederholter Mahnung gab Schaber nicht nach. Eskam zu einem Wasserprozeß, der jahrelang dauerte und der sich bei staatlichenHolzversteigerungen für beide Teile nachteilig auswirkte. Ich will hierauf nicht näher

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eingehen. Mein Vater und meine Mutter waren zu Frau Schaber, welche in der Oberen Mühle daheim war, also auch eine geborene Fickler, Geschwisterkinder. Es kam also zwischen den beiden zu einer jahrelangen Feindschaft, desgleichen zwischen uns Jungen. Heute ist es so, die untere Wasserkraft ist verschwunden, und die ganze Wasserkraft, um die man jahrelang prozessiert hatte, läuft leer hinunter. Die Söhne Schaber bauten ihr Werk in der Zwischenzeit an den Bahnhof, und das wird durch elektrische Kraft betrieben.

Eine kleine Episode muss ich noch einschieben. Eines Tages hatte man wieder einen Knecht zu wenig. Ich musste ins Holz fahren und Josef war in der Mühle. Bemerken möchte ich noch, dass Josef in der Mühle wöchentlich 3 -4 RM Trinkgeld bekam, währen ich nur 1,-- RM vom Vater

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bekam. Es war also schon ein kleiner Neid vorhanden. Josef hatte also schon Interesse, dass die Mühle ging. In der oberen Mühle hieß der Besitzer Adalb. Wagner. Er war geboren zu Altmannshofen und hatte auf die Mühle hingeheiratet. Er war sehr angesehen und hatte ein gutes Geschäft weil wir unser Interesse mehr auf die Säge verlegten.

Es war ein kalter Winter. In der Oberen Mühle hatte man einen Mühlburschen aus dem Württembergischen, der es mit der Kundschaft gut verstand. Es kamen Schneestürme und verwehten den Mühlbach. Das Wasser staute sich, und der Mühlbursche der Oberen Mühle riß einfach die Falle am Kessele oberhalb des Marktes auf. Er konnte somit weiterarbeiten, während der Hofmiller Max Hebel und mein Vater kein Wasser mehr hatten und die Bachsohle beinahe zufror. Das war ja an und für sich eine große Ungezogenheit. Mein Bruder Josef schaute am Nachmittag nach dem Wasser, und wieder war die Falle gezogen. Der Zufall wollte es, dass der Müllerbursche von der Oberen Mühle gerade vom -Gäufahren aus dem Markte kam. Mein Bruder Josef machte ihm Vorwürfe wegen seines unverschämten Verhaltens. Es kam zum Handgemenge und Josef musste unter liegen. Der Müllerbursche war 24 Jahre alt und gut gewachsen, und kräftigund sehr übertrieben. Er trug damals schon mehrere goldene Ringe, ebenso Kette und Uhr. Josef ging natürlich doppelt verärgert nach Hause und klagte der Mutter sein Leid, deren Liebling er sowieso war. Als ich damals abends vom Schweinwald nach Hause kam, bekam ich von der Mutter den Vorgang zu hören. Mutter sagte: „Das könnt ihr euch doch nicht gefallen lassen, wenn du etwas bist, dann hilfst dem Josef dies heimzuzahlen!“ Ich konnte den übertriebenen Kerl auch nicht leiden und sann auf Rache. Ich spannte meine Pferde aus, fütterte und lud die Bäume ab. Inzwischen ging man zum Abendessen. Hernach sah ich noch nach den Pferden und dann ging ich schnurstracks der Oberen Mühle zu. Wie ich dort war, hörte ich die Mühlentüre gehen und versteckte mich schnell in dem ins Wasser gehenden Abort. Auch nahm ich an, dass er vielleicht da hinein käme. Aber was musste ich nun beobachten? Der Müllerbursche ging mit einem Hubeisen wieder zur Falle Kessele. Ich konnte dies, da es Schnee hatte und Mondschein war, gut beobachten. Er machte wieder die Falle hoch, damit wir wieder kein Wasser hatten. Da packte mich die Wut. Kurz entschlossen ging ich auf ihn zu und schlug auf ihn ein, warf ihn zu Boden und verprügelte ihn derart, dass er um Hilfe rief. Sein eisernes Hubeisen und seine Zipfelmütze ließ er liegen, als er Luft bekam und rannte davon.

Auch ich eilte auf einem kleinen Umwege heim, um meine Pferde zu füttern. Kaum war ich im Pferdestall, als mein Bruder Josef zu mir kam und mich bat, ihm behilflich zu sein, um seine Schläge zu rächen. Hierauf erklärte ich ihm das soeben Vorgefallene. Er konnte es beinahe nicht glauben, als ich ihm aber dann meine noch blutigen Fäuste zeigte, war er hoch erfreut über die schnelle und gründliche Heimzahlung. Als ich am kommenden Sonntag nach der Kirche auf den Marktplatz kam, empfing mich lachend eine Gruppe junger Burschen, darunter auch der Knecht Klaus von der Oberen Mühle. Der sagte, du hast den übertriebenen Müller schön zugerichtet, der kann heute mit seinem verkratzten Gesicht noch nicht zum Essen kommen. Hättest den Schuft nurins Wasser geworfen, es wäre nicht schade um ihn gewesen. Auch der Besitzer der Mühle, Herr Wagner, erhielt Kenntnis von dem Vorfall. Er sagte zu ihm, dies geschieht dir ganz recht, so was macht man nicht. Die Sache sprach sich herum. Der Hofmiller

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Max Hebel und sein Sohn Josef erfuhren gleich am anderen Morgen von dem Vorgang, auch sie kamen und gratulierten mir. Der Müller schämte sich doch, dass er sich von mir so verprügeln ließ und sagte, wir seien beide Schuld (?) gewesen. Allein hätte ich ihm nichts gemacht. Ich war damals 16 Jahre. Kurze Zeit darauf fehlte in der Hofmühle etwas am Werk und der Sohn Josef kam in unsere Mühle, um das Getreide zu mahlen. Bei dieser Gelegenheit probierte Hebel Josef und unser Josef, ob sie ein Schaff Kern tragen könnten. Beide probierten es und beide mussten eslassen. Jetzt holte man mich von der Säge. Ich war der jüngste, gerade 16 Jahre alt und trug es die Mühle hinunter und wieder vor. Man kann sich denken, was ich mir dann einbildete. Der Besitzer vom Hirsch, Herr Max Graf, war als gebürtiger Kemptener, ein guter Turner und Athlet. Er hatte eine Hantel mit 150 Pfund zum Stemmen. Auch musste ich und mein Freund Alfons Raith Bierfässer stemmen und zwar so, wie sie lagen und wie sie standen, am Frosch packen oder mit der Faust Steine auseinander schlagen. Wir wurden gut trainiert, hatten auch Freude daran.

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Arbeiten mussten wir auch sehr streng. In dieser Zeit lief die Säge Tag und Nacht. Es wurde auch in Schichten abgewechselt, aber nicht 8-Stunden, wie heute, sondern 16 - 18 Stunden. Viel Ware fiel an. Auch wurde das elektrische Licht von der Fa. Stein in Stuttgart eingebaut, und wir hatten in Ottobeuren als erste Firma das elektrische Licht. Später sollten wir es für den ganzen Markt machen. Die Verhandlungen haben sich aber zerschlagen und statt uns baute es dann der junge Herr Geiger von der Brauerei. Später ging es dann an Herrn Schropp, Engetried über, der es bis heute liefert.

Im Jahre 1898 kam für das Holzgeschäft eine ruhige Zeit. Das Geschäft ging schleppend und Vater stapelte soviel Ware auf, dass man nirgends mehr einen Platz hatte. Auf der Schießstätte hatten wir noch große Warenvorräte gestapelt. Es wird um 1900 gewesen sein, da fuhr ich einmal nach München und bot unsere Ware der Fa. Blumhart & Pfandner an, resp. ich verkaufte 2 Probewagen auf der Preisbasis der 12" 1", 4,5 lg. per Stk., 1.-- RM ab Ottobeuren, während die Memminger Großhandlung nur 88 Pfg. geben wollte. Um diese Zeit kam in Ottobeuren auf die Bahn ein Betrieb. Leider wartete mein Vater damals nicht ab und verkaufte die Ware dann frei Lager Memmingen auf billiger Preisbasis. Das war ein Fickler. Von der Menge kann man sich nur ein Bild machen, wenn ich sage, dass man täglich ein ganzes Vierteljahr mit 4 Pferden je 4 Fuhrennach Memmingen fuhr. Das sind täglich 44 km, heute wäre eine solche Leistung glatt unmöglich. Wenn man die Ware in Ottobeuren verladen hätte, wäre es einfacher gewesen und wir hätten sogar noch einen besseren Preis bekommen. Wir hatten immer das Gefühl, dass die jüdische Käuferfirma in Memmingen damals den Vater übers Ohr gehauen hat. Ich wurde diesen Eindruck bis heute nicht los.

Nun kam auch die Zeit, wo ich in die Fremde wollte. Ich ging mal zur Fa. Riedle nach Kempten sowie zu Hans Leitz in der Illervorstadt. Auch war ich mal in der Pfeifersäge bei Wertach. Ein Vierteljahr war ich dann bei der Fa. Joh. Koch in Ulm. Die Firma ist jetzt in Eislingen. Ein weiteres Vierteljahr war ich als Praktikant in der Hofpfistereikunstmühle in München. Mich trieb es auch deshalb fort, weil die Mutter so streng war und immer sagte, der Josef, also der älteste, bekommt das Geschäft und ich muss mir doch eine eigene andere Existenz gründen. In der Zwischenzeit kamen auch die Musterungsjahre. Josef wurde frei gesprochen. Bei der Musterung wurde ich ein Jahr zurückgestellt. So ging es 2 Jahre und dann wurde ich Ersatzreserve I wegen einer kleinen Plattfußeinlage, die ich mir wegen meiner außergewöhnlichen Kraftleistung selbst zugezogen hatte.

Als die Bahn gebaut wurde, kamen allerhand Leute zum Bahnbau. Da gab es verschiede Raufereien und Tumulte. Einmal schlugen die Eisenbahner, so hieß man sie, in der Restauration inHawangen, ein andermal in Ottobeuren, alles zusammen. Nun, das ging uns ja nichts an.

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Aber an einem Montag kam unser Knecht, der lange Schalmer Michael, spät heim. Vater war schon etwas grantig, und er vermutete, dass er wieder einmal nass gefüttert hätte. Er hatte Langholz geladen und kam beim Rosenwirt nicht durch die Kurve. Da holte er mich, um ihm zu helfen. Als wir daran waren, den Wagen durchzuschwiegeln, kamen zwei Eisenbahner aus der Rose, welche blau machten. Diese Eisenbahner hatten zwei dabei, die sie auf einem Berner Wägerl gefesselt ins Gefängnis brachten, weil sie eine Strafe absitzen mußten. Bevor sie aber die Strafe antraten, wurde in der Rose noch gemeinsam haltgemacht und schwer gesoffen. Die Maß Bier kostete damals 24 Pfg. Wir wussten aber von dem Sachverhalt nichts. Die zwei Eisenbahner, welche sich um unseren Wagen herummachten, waren der Aussprache nach Ober- oder Niederbayern. Sie sagten: „Ihr damischen Schwaben, ihr könnt ja nicht fahren“, und sie kritisierten unsere Arbeit. Da kam der Vater auch dazu. Er fragte, was die beiden wollten. Es gab einen Wortwechsel, und Vater tat einen nicht gerade sanft auf die Erde.

Darauf sprangen die beiden zu Vater, der zum anderen Wagen gegangen war und wollte auf ihn los. Ich sah dies, nahm rechts und links einen von den Burschen am Kragen und warf beide zu Boden. Inzwischen fuhr das Fuhrwerk quer über die Straße. Die Eisenbahner kamen mit ca. 15

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Mann Verstärkung aus der Rose auf uns los. Aber es ging ihnen schlecht. Der Käser Kudermann hatte die Lage auch mitangesehen und kam mit einem Ochsenfisel von hinten her. Um es kurz zu sagen, die 15 Eisenbahner bekamen von uns drei solche Prügel. Mein Vater rief, es sollten ruhig noch mehr herauskommen, wenn noch welche drin wären. Aber sie hatten genug. Von der Zeit an hörte man nichts mehr von Raufereien der Eisenbahner. Sie hatten ihren Meister gefunden, und deshalb war Ruhe im Ort.

Mein Vater hatte einen Schwager mit Namen Michael Steidele von Altenstadt bei Schongau. Der hatte eine Gastwirtschaft mit Landwirtschaft verbunden. Er handelte nebenbei mit Gütern. Vater traute ihm aber nicht recht, weil er bei einem Holzgeschäft, das sie einmal miteinander tätigten, übers Ohr gehauen worden war. Ich glaube, Vaters Misstrauen war berechtigt. Der Schwager kam immer wieder und wollte Vater zu gemeinsamen Geschäften veranlassen. Vater hatte wenig Zeit dazu, auch bestand das Misstrauen. Hierauf sagte Steidele: „Lass deinen Hans mitmachen, gib ihm Geld, wir verdienen bestimmt dabei.“ Steidele machte einen Hof ausfindig, der zu verkaufen war. Es war in Einhafen bei Dachau. Der Hof war aber von einem Herrn Strobl, Bauer und Güterhändler in Dornen bei Schongau gekauft. Vater sagte: „Ich gebe Dir 15 000 RM mit, aber es ist Dein Geld, wenn du einkaufst, ist Dein Geld hin.“ Ich wollte natürlich als junger Kerl sehr gescheit sein und ganz besonders nichts verlieren. Ich beteiligte mich an dem Hofkauf nicht, sondern kaufte von Strobl nur das ganze Inventar, lebend und tot, sowie ca. 27 Tagwerk Waldung. Das kleine Inventar, sowie Vieh und Inventar wurden versteigert. Das Getreide wurde an die Kunstmühle nach Weichs verkauft. Vater Steidele war an dem Geschäft mit 60% beteiligt. Aber werbrachte kein Geld, als es zum Bezahlen kam? Das ganze kostete uns 17 000 RM. Steidele glaubte, man könne Tausende verdienen. Als aber das Inventar alles verkauft war, sollten wir für das Holz noch ca. 13 000 RM haben. Es wurden uns von den verschiedenen Firmen nur 11 - 12000 RM geboten. Es sah also aus, als ob ich schon beim ersten Geschäft 1000 RM verlieren sollte. Steidele hatte bei diesem Geschäft das Getreidegeld von Weichs reingenommen und es für etwas anderes verwendet. Mir gegenüber erklärte er, man müsse es ihm gestohlen haben. Nun sah ich ein, dass Vaters Misstrauen berechtigt war und es gab eine Aussprache, die ein Mißtrauensvotum hervorbrachte. Es stellte sich heraus, dass Vetter Steidele finanziell schlecht stand und kein Geld einlegen konnte. Ich sagte zu ihm, nun hat mein Vater doch recht gehabt. Sie haben mich da reingelegt, und jetzt habe ich den Kopf in der Schlinge. Ich erklärte ihm, dass ich nun dieses Geschäft doch allein fertigmache. Er könne ja doch nichts darauf anzahlen. Daraufhin fuhr ich zur Maschinenfabrik Stocker nach Pfaffenhofen und fragte, ob ein transportables Sägewerk zu haben sei. Dies wurde bejaht. Ich schloß mit einem Münchener Säger einen Vertrag, dass er mir den Kubikmeter Holz an Ort und Stelle um 2,50 M pro cbm schnitt. Ich bestellte Holzmacher, ließ den Bestand bis auf den Jungwald niedermachen und auf den Platz der geplanten Säge führen. Die Aufstellung machte schon einige Schwierigkeiten, weil die Wege sehr schmal waren, dazu kam die Wasserfrage für die xxx . Zuerst ließ man das Wasser herführen. Daskam zu teuer. Bei den Holzmachern war ein Brunnengraber dabei. Er sagte, hier käme Wasser. Die alten Bauern der Umgebung aber sagten, hier gäbe es kein Wasser. Sie hatten recht. Wir mussten 25 m tief hinunter und hatten noch kein Wasser. Schon wollte man verzagen und alles wieder zufüllen, da erklärte der Brunnengraber, es müsse bald Wasser kommen. Wir machten weiter. In 28 m Tiefe kam Wasser.

Das ganze Holz wurde geschnitten. Zum Schluß vertauschte ich den leeren Holzplatz um 1Tagwerk ca. 50-jährigen Bestand. Das war dann der Verdienst für eine ca. halbjährige Arbeit. Erwar immerhin rund 4000 M wert, also besser als 1000 M verlieren. Das Holz besaß ich ungefähr10 Jahre lang, bis ich es verkaufte. Ich ging dann wieder heim, um einige Erfahrungen reicher undhatte eigentlich meine Unternehmungsgelüste etwas gedämpft.

An einem Sonntag erfuhr ich, dass der alte Lerchenmiller im Rumpf (?) sein Anwesen verkaufen wolle. Es bestand aus 37 Tagwerk und 13 St. Vieh. Das Haus war nicht schlecht, um ca. 15 000 M.Es war sehr abgelegen. Am anderen Morgen fuhr ich mit dem Rad dorthin. Nach Überprüfung sah ich, dass das Anwesen nicht teuer war, hatte dabei aber doch nicht den Schneid es zu kaufen. Ich vereinbarte mit dem Mann, dass ich ihm das Anwesen zertrümmere und er mir dafür 5% geben solle. Nachdem ich einige Grundstück und etwas Wald wegverkauft hatte, sagte der Mann: „Ich

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kenne mich da nicht aus, gib mir die 15 000 M. Was du verdienst, das gehört Dir.“ Hierauf kaufte ich das Anwesen um diesen Preis bei sehr günstigen Zahlungsbedingungen. Ich verkaufte 15 Tagwerk Grundstücke und das Vieh. Dann vertauschte ich es gegen ein Anwesen in Unterhaslach mit neuem Haus und 22 Tagwerk Grund. Dieses vertauschte ich gegen ein Anwesen mit 25 Tagwerk in Gsäng bei Ittelsburg. Innerhalb 8 Tagen hatte ich ca. 5000 M verdient.

Der alte Nollenbauer wohnte neben uns. Als er hörte, dass ich den Rumpf gekauft hatte, ging er zumeinem Vater und sagte zu ihm: „An diesem abgelegenen Orte wird der Hans nicht verkaufen können, da soll er nur einen Juden aus Memmingen als Teilhaber zu sich nehmen.“ Aber ich erklärte Vater den Sachverhalt und sagte, da brauche ich keinen Juden, der möchte bloß den Gewinn teilen. In der gleichen Woche brannte daheim auf dem Grundstück am Schinderbach ein Heustadel nieder. Er wurde später wieder aufgebaut.

Bald hätte ich vergessen, dass ich im Jahre 1890 noch eine Schwester bekam, die sich in meinem späteren Leben sehr unangenehm bemerkbar machte. Doch darauf komme ich später. Bald sah ich ein, dass man nicht immer nur in der Gegend auf ein Anwesen warten konnte, um es kaufen zukönnen, sondern man musste ständig draußen herum Fühlung haben, um alles so schnell als möglich zu erfahren. So kaufte mir ein Mann aus Waltenhofen das leere Anwesen in Gsäng ab. Alswir verbrieft hatten, sagte er: „Jetzt sollte ich halt billiges Vieh haben.“ Ich sagte ihm, dass ich ihm das leicht beschaffen könne, es wäre aber halt Schlachtvieh. Als ich nämlich in Oberbayern mein Sägewerk betrieb, kam ich öfters nach Schrobenhausen, Aichach, ebenso nach Pfaffenhofen an der Ilm. Da beobachtete ich, dass das Nutzvieh um 100 bis 150 M billiger war als bei uns das Braunvieh. Ich fuhr nach Aichach auf den Viehmarkt und kaufte gleich einen Waggon Schlachtvieh.In kurzer Zeit hatte ich es verkauft und dabei verdient, und so kam ich eigentlich zum Viehhandel.

Das war natürlich den Brüdern Hafner ein Dorn im Auge und der Konkurrenzneid ging schon an. Die kamen von ? nach Ottobeuren, trieben auch Vieh- und Güterhandel und waren überall gut eingeführt und bekannt. Wenn sie es finanziell nicht machen konnten, nahmen sie Juden aus Memmingen als Teilhaber zu sich. Eines Tages kam der Bühlerhof zur Zwangsversteigerung. Er war ohne Inventar, aber 116 Tagwerk Grundbesitz. Ich sagte mir, wenn er nicht zu teuer wird, kaufeich ihn. Auf der Zwangsversteigerung waren nur zwei Interessenten. Herr Florian Geiger hatte

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seine Brauerei verkauft und interessierte sich für ihn. Ich hatte das Meistgebot und bekam um 28200 M den ganzen Hof. Damals sagte ich mir, wenn du den Hof nicht an den Mann bringst, danngründest du eine Weidegenossenschaft und zu diesem Zweck kannst du ihn immer verkaufen.

Da tauchte ein Interessent auf. Der Boxler von Reuthen, dessen Frau auf dem Bühlerhof daheim war, hatte Interesse. Mein Vater machte damals eine Veteranenreise nach Paris und ich konnte eigentlich niemand fragen. Auf dem Hofe lastete nämlich noch eine große Pfründe der Mutter des Vorbesitzers. Eine Dummheit wollte ich nicht machen. Ich war eigentlich in Verlegenheit und ratlos.Da fing ich an zu rechnen, tauschte mit Boxler um seinen Hof in Reuthen und behielt 40 Tagwerk vom Bühlerhof für mich. Ich hatte die Pfründe weg und einen leicht verkäuflichen Hof in Reuthen. Jedenfalls hatte ich die 40 Tagwerk verdient. Die Hälfte war Wald, die andere Hälfte waren Wiesen und etwas Feld. Dies wollte ich alles einpflanzen. 6 Tagwerk pflanzte ich ein, den Rest verkaufte ich später an ? in Bühl. Das hätte ich nicht machen sollen. Vielleicht hätte ich jetzt 40 Tagwerk Wald an einem Stück. Den Hof in Reuthen trieb ich einige Jahre um. In Reutte in Tirol war Viehmarkt. Dort kauft ich 20 Rinder und stellte sie nach Reuthen. Die durfte man erst nach 30 Tagen verkaufen. Das war ein gutes Geschäft. An jedem Rind war ein Hunderter verdient. In dieserZeit handelte auch ein Notz (oder Netz? von hier und ein Privatier Georg Thoma hin und wieder in Gütern. Thoma war sehr vermögend. Sie hatten in der Bahnhofstraße noch ein Haus Ich sollte mitmachen und es vertauschen helfen. Thoma war schon älter und nicht mehr auf der Höhe. In kurzer Zeit wurde das Haus in die Landsberger Gegend vertauscht. Verdient wurde nicht viel. Dann kaufte Thoma wieder etwas und tauscht damit einen Hof ein in Wellenbach bei Weilheim. Diesen vertauschte er um ein Haus in Laim und da kam er wieder zu mir, ich sollte mitmachen. Ich gab ihm den Rat, dieses Objekt zu behalten. In der Zwischenzeit hatte ich für Thoma bei einer

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Bank für 13 000 M Bürgschaft geleistet. Das machte mir später große Sorgen und ich hatte viele Scherereien bis ich wieder frei war. Jedenfalls würde ich es nie wieder tun.

Thoma hatte noch eine Wirtschaft in Diessen am Ammersee. Er erklärte mir und Netz, dass er einen schönen Hof in Pflugdorf eintauschen könnte, wir sollten mitmachen. Wir besichtigten den Hof. Er hatte 270 Tagwerk, und wir machten mit. Es war ein großes Risiko. Das Gebäude war sehr schön, die Stallungen böhmisch gewölbt, ca. 50 Stück Vieh und 8 Pferde. Aber der Besitzer war ein großer Lump. Wir hatten eigentlich den Kopf reingebracht. Als wir das Vieh versteigert hatten, bekamen wir einen eingeschriebenen Brief von einem Augsburger Juden, welcher von uns das Geld für das Vieh verlangte, denn er hatte auf dem ganzen Vieh das Eigentumsrecht. Wenn das Vieh noch da gestanden wäre, hätten wir es bezahlen müssen. Als es Frühjahr wurde, stellte sich heraus, dass statt Weizen oder Vesen nur Spreu gesät war. Wir sollten nun 40 Tagwerk Hafer anbauen. Es machte schwere Sorgen. Ich schrieb den Hof aus und unterhandelte mit verschiedenen Interessenten. Endlich kam etwas Greifbares. Auf dem Hof waren auch ziemlich Hypothekenschulden. In Regensburg war ein Villenbesitzer, der war früher Pferdedresseur in einem Zirkus. Seine Frau war aus besserem Hause und Kunstreiterin. Diese beiden bekamen mit ihrem Lehrer in Regensburg Streit wegen der Kinder und die Frau sagte: „Wir kaufen uns ein Gut, da halten wir einen Hauslehrer.“ Das war gerade der richtige Zeitpunkt.

Die beiden besichtigten das Gut, wir wurden einig und tauschten die Villa in Regensburg ein, welche wir später an einen gewissen Herrn Dr. Mühe verkauften, Jesse Frau eine geborene Himmelreich war. Bei der Verbriefung sagte Dr. Mühe: „Durch Mühe kam meine Frau ums Himmelsreich.“Das ganze Geschäft, den Vertausch des Hofes, den Verkauf der Villa, habe ich gemacht. Weder Thoma noch Notz haben dabei etwas Wesentliches geleistet. Am Schluss waren 15 000 M verdient. Als wir nach der Verbriefung durch die Stadt gingen, kamen wir an einem schönen Hutladen vorbei. Ich sah einen sehr schönen Velourhut und sagte zu Thoma: „Den müßt ihr mir kaufen, weil ich das Geschäft so gut gemacht habe.“ Er sagte: „Ja das mache ich.“ Als man aber für den Hut 30 M verlangte, eilte Thoma schnell aus dem Laden, denn er glaubte, den bekomme man um 3,-- M. Ich kaufte den Hut dann doch und hatte ihn jahrelang.

Bei Thoma ging es aber mit der Zeit finanziell bergab. Er vertauschte das Anwesen in Laim, in welchem sich eine Apotheke und eine Weinwirtschaft befand, an eine Wirtschaft in der Westendstraße in München bei der Gummifabrik Metzeler. Er steckte nun bis an den Hals in Schulden. Münchener Unterhändler machten ihm vor, dass Metzeler das Anwesen bestimmt brauche und kaufen müsste. Das war Bluff. Ich hing aber immer noch mit meiner Bürgschaft mit 13000 M. Deshalb musste ich sorgen, dass Thoma den Ballast in München los wurde. Nun gelang esendlich, den ganzen Ballast loszuwerden. Ein Molkereibesitzer kaufte es. Ich wurde endlich von der Bürgschaft frei, aber Thoma war und blieb ein armer Mann. Er hatte früher die Molkerei, späterKathan im Oberen Markt und wurde nach Verkauf derselben auf ca. 60 000 M Vermögen geschätzt. So geht es eben manchmal im Leben.

Nun zurück in die Heimat, zu Mühle und Säge. Josef war immer noch nicht richtig gesund. Manchmal hieß es, man gibt das Geschäft doch dem Hans, denn „mein“ Josef ist doch der älteste. Ich war immer noch ledig. Einmal sollte ich nach ? in eine Säge mit Landwirtschaft heiraten. Da paßte mir das Mädchen nicht. Jetzt hatte ich im Sinn, die Mühle in Kettershausen bei Babenhausen zu kaufen. Ich glaube heute noch, dass es für mich das richtige Geschäft gewesen wäre. Es war eine schöne Mühle mit guter Kundschaft, eine neue Säge mit Vollgatter und Wasserkraft, ca. 85 Tagwerk Grundstücke, 30 Stück Vieh, 5 Pferden und hätte ungefähr 80 000 M gekostet.

Ich fürchtete aber, dass ich zuviel Schulden bekäme. Gut, es sollte nicht sein. Auch hatte ich ein Techtel-Mechtel mit der ältesten Tochter Anna vom Albrecht in Eldern. Die hätte für das Geschäft zu wenig Geld gehabt. Aber wir sahen uns gern. Sie war beim Kochen lernen in Memmingen, kam heim, erkrankte an galoppierender Schwindsucht und starb innerhalb von 8 Tagen.

Den Hof in Reuthen hatte ich immer noch und nebenbei Viehhandel. Eines Tages kam ich nach

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Freyen und hörte, dass der Hof der Witwe Frey verkauft werden sollte. Ich sprach vor und hörtet dass das nicht der Fall sei. Bei dieser Gelegenheit sah ich auch die Tochter. Sie machte mir mit ihren blonden Haaren einen guten Eindruck. Ich kam öfter hin, wir lernten uns näher kennen und lieben. Sie wurde, nachdem der Hof verkauft werden konnte, meine Frau. In der Zwischenzeit hatte ich auch das Anwesen Josefinenfeld von Herrn Geiger gekauft und zwar um 40 000 M. Es waren nur 28 Tagwerk dabei, kein Vieh, kein Inventar, also verhältnismäßig viel teurer als die Mühle in Kettershausen. Ich hatte nun endlich ein schönes Heim. Die Mutter ging mit nach Ottobeuren und blieb bis zu ihrem Tode bei uns. Wir lebten ca. 30 Jahre lang beieinander.

Manches Geschäft wurde gemacht. Mit Holzgünz, Schlichting Ungerhausen kaufte und tauschte ich beinahe das ganze. Die Brauerei in Lautrach wurde feil. Ich kaufte sie mit dem Schmied in Mindelheim. Wir kamen aber nicht zur Verbriefung. Von allen Seiten tauchte auf, darunter auch Hafner Ottobeuren. Man beschloss dann, gemeinsam zu kaufen und die einzelnen Herrn abzufinden. Es waren auch Juden aus Memmingen dabei. Am Schluß ließ ich mich mit 3000 M abfinden und trat aus. Es war an einem Samstagabend. Am Sonntag früh fuhr ich gleich wieder weg nach Oberstaufen zum Viehmarkt, kaufte im Laufe des Sonntags ca. 2 Waggon hochträchtige Rinder. Am Dienstag fuhr ich nach Sonthofen und kaufte noch mal einen Waggon. Da erfuhr ich auf dem Markt von einem Memminger Pferdehändler Carl Einstein, dass der Bauer in Moosbach einen Hof verkaufen wolle. Es war ein guter Kunde von mir. Am Mittwoch früh fuhr ich zu Tobi, so hieß er und handelte um den Hof. Kaum hatte ich richtig angefangen, als Hafner auch kam. Also meine scharfe Konkurrenz. Nach kurzer Aussprache machte er mir den Vorschlag: Wir sollten das Geschäft gemeinsam machen. Wir wurden einig. Aber bei dieser Gelegenheit hat er mich gleich übers Ohr gehauen. Wir hätten den Gewinn doch 50 : 50 teilen müssen. Hafner sagte: ??

Bürgermeister Maier, Westerheim, mein Bruder, ?? sodass ich mich bei der Abrechnung mit 2.500 Mark begnügte, während mir eigentlich 5.000 Mark zustanden, weil innerhalb von acht Tagen an dem Hof 10.000 Mark verdient wurden. Wir machten nun viele Geschäfte miteinander. Auch Bürgermeister A. Fergg tat manchmal mit. Es wurde Geld verdient. So an dem Hof bei Fleschut, Wineden, Schwank Schrallen, Appler Rechberg (?). Ich baute einen größe Stadel, eine Hocheinfahrt, kaufte Grundstücke usw.

Dann kam das Güterzertrümmerungsgesetz, das den Güterhandel fast ganz unterband. Wir habendamals einen Fehler gemacht. Die Juden haben das besser verstanden. Die nahmen in Zukunft von den Bauern, die verkaufen wollten, ca. 5% Provision und verdienten weiter Geld. Wir verlegtenuns mehr auf den Viehhandel. Bevor ich mich mit Hafer verständigte, merkte ich, dass ich beim Einkauf von Schlachtvieh manchmal übers Ohr gehauen wurde, weil mir doch hier die Qualitätskenntnis fehlte.

Im Jahre 1913 kauften mehrere Interessenten den Hof von Briechle in Niebers und gründeten eineViehweidegenossenschaft. Einer von ihnen war auch ich. Man verstand sich aber nicht gut. Die einen traten aus, andere traten ein. Ich selbst baute mein Anwesen so wie es jetzt ist. Im vorderen Stall konnte ich zuerst 12 Stück Vieh stellen, dann 30 Stück. Da war dann das eigene Vieh und das, welches ich verhandelte, immer durcheinander. Ich baute alles größer, Hocheinfahrt, Gülleauslauf, Stallung für 22 Stück Vieh, Autogarage und oben zwei Zimmer.

Kaum war alles fertig, kam das Attentat auf den österreichischen Kronprinzen in Sarajevo, und damit begann der Weltkrieg. Ich war ungedienter Landsturmmann und musste am 1. Juli 1915 zur Kraftfahrersatzabteilung München einrücken. Beinahe hätte ich vergessen zu erwähnen, dass ich mir in der Zwischenzeit ein Auto gekauft hatte.

Am 5. Dezember 1915 starb mein Vater an einem Blutsturz. Die Mutter war Erbin, und ich kam bald nach der Beerdigung ins Feld. Zuerst nach und dann nach Lille in Frankreich zur 6. Armee. Zuerst hatten wir Werkstattdienst und mussten verschiedene Fahrten machen. An Weihnachten 1915 musste ich im Stadttheater Valanciane bei einem zusammengestellten Chor als Erster Tenor mitsingen. Ich hatte wegen meiner schönen und kräftigen Stimme vollen Erfolg. Muss auch noch erwähnen, dass ich schon daheim zum Männergesangverein geholt wurde und jahrelang mitwirkte.Im Frühjahr 1916 erkrankte ich und kam wieder nach München und von da als lC.v. in die Heimat.

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Ich war wohl an der Front gewesen, hatte aber von den Strapazen des furchtbaren Krieges nicht allzu viel zu verspüren bekommen.

In der Heimat kaufte ich für den D.K.V. (?) das Henkelanwesen, von dem ich selbst viele Grundstücke behielt. Auch kaufte ich mit Hafner die Grundstücke von einem Taufpaten, Bruckgerber Alois Maier. Nebenbei kaufte ich für den D.K.V. den Hof

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von Rothärmel in Bibelsberg. Ich wurde auch für die Verwaltung des Hofes reklamiert. Wohl musste ich hin und wieder nach München einrücken, aber ich bekam viel Urlaub. Nun pachtete ich auch noch das Sägewerk von Schweighart in der Unterwaldmühle. Es war eigentlich mein Beruf und sagte mir besser zu als der Viehhandel.

Mein Bruder Josef musste auch einrücken, kam aber bald und krank zurück. Er trug sich wohl immer noch mit Heiratsgedanken, kam aber nicht dazu. Im Januar 1918 musste ich wieder nach München, wurde eingekleidet und sollte ins Feld kommen. Eines Abends bestellte mich Hauptmann Raith, der verwundet über die Schweiz zurückgekommen war, ins Hotel „Zum Raben". Er erzählte mir, dass er jetzt Hauptmann der Kraftfahrtruppen sei und er brauche einen Personenwagenfahrer. Er fragte mich, ob ich das machen könne und wolle. Ich erklärte ihm, dass ich schon morgen ins Feld kommen könne und dass es schon zu spät sei. Hierauf sagte er, er habe schon mit meinem Hauptmann Rücksprache gehalten. Daraufhin sagte ich sofort zu und wurde sein Fahrer in München. Auf die Einzelheiten kann ich nicht eingehen. Hauptmann Raith war unbeliebt, ich selbst kam gut mit ihm aus. Er wurde bald versetzt nach Grafenwöhr und ich bekam als Chef Oberleutnant Pirner. Wir passten sehr gut zusammen, und ich hatte eine schöne Zeit. Ich wurde wieder zu Erntearbeiten entlassen, und so kam der November 1918 und damit die Revolution und der Zusammenbruch der deutschen Armee. Damit war der Krieg verloren. Man begriff noch gar nicht, wie elend nun das deutsche Volk dran war.

Ottobeuren, den 25. Oktober 19?

Meine Erlebnisse im Revolutionsjahr 1919, im Frühjahr, im Freikorps Schwaben

Als im Jahre 1918 der Krieg mit seinen unheilbringenden Folgen zu Ende war, da fragte sich jeder denkende Deutsche: Was soll nun werden? Wenige waren sich bewusst, wie dieser verlorene Krieg sich auswirken würde. Politische Versammlungen wurden abgehalten. Alte und neue Parteien warben um Anhänger. Ich glaubte das richtige zu tun, wenn ich mich als Bauer dem Bay. Bauern- und Mittelstandsbund anschloss. Als Mitglied dieses Bundes wurde ich in den Gemeinderat, den Bezirkstag und Bezirksausschuß gewählt. Den letzteren zwei gehörte ich fast zwei Jahrzehnte an.

Im Frühjahr 1919 musste ich mit einigen Herrn die Versteigerung von Heerespferden auf dem Viehmarktplatz in Memmingen durchführen. Der Verkauf ging glatt. Nach Abschluss des Verkaufes stellte sich uns ein Herr vom Landesbauernrat München vor und wollte das eingegangene Geld in Empfang nehmen. Der Mann machte auf uns einen wenig vertrauenserweckenden Eindruck. Wir übergaben demselben das Geld nicht, sondern überwiesen es durch die Vereinsbank Memmingen nach München.

In Memmingen wurde an diesem Tage die Räterepublik ausgerufen. Ein Baumeister oder Architekt mit Namen Nägele wurde zum Stadtkommandanten ernannt. Herr Oberregierungsrat Müller beim Bezirksamt erklärte mir nach der Pferdeversteigerung: „Ich bekomme keinen Telefonanschluss mit der Regierung in Augsburg, ebenso wenig mit dem Ministerium in München. Ich weiß mir keinen Rat mehr.“ Es wurden beschlagnahmt das Bezirksamt, die Bezirkssparkasse, der landw. Verband und die Krankenkassen müssen nun an andere Personen abgegeben werden.

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Herr Müller vom Bezirksamt ersuchte mich, das Bezirksamt zu übernehmen. Ich lehnte ab und erklärte, es ginge doch nicht, dass ich als auswärtiger Geschäftsmann den Bezirksamtmann mache. Herr Dr. Müller erklärte mir, das sei ja nur formell und nach außen. Er mache selbstverständlich die amtlichen Arbeiten weiter. Hierauf wurde ich zur Aufsicht des Bezirksamtes ernannt. Am gleichen Nachmittag hatte der neu ernannte Stadtkommandant Nägele im Nebenzimmer des „Schiffes“ in Memmingen eine Sitzung und Dr. Müller ersuchte mich dorthin zu gehen und beizuwohnen. Herr Stadtkommandant Nägele erklärte dabei, dass das Bezirksamt, die Bezirkssparkasse, die Krankenkasse des landw. ??

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Ich meldete mich zu Wort und erklärte, dass das Bezirksamt ihn gar nichts angehe. Das Bezirks-amt sei eine Stelle, bei welcher die Belange von 54 Landgemeinden des Bezirkes Memmingen undOttobeuren zusammenlaufen und diese hätten mit der Räterepublik der Stadt Memmingen nichts zu tun. Ich forderte, dass die genannten Stellen sofort von der Beschlagnahme freigegeben würden, sonst könnte ich nicht garantieren, dass die Stadt Memmingen noch länger mit Lebensmitteln versorgt werde. Ein vernichtender Blick des Stadtkommandanten traf mich und er erklärte: „Die Stellen bleiben beschlagnahmt.“ Nach nochmaliger Debatte errang ich den Sieg. Die Stellen wurden freigegeben. Ich erstattete Reg.-Rat Dr. Müller sofort Bericht, und er war mit meinem Erfolg sehr zufrieden. Am Abend musste ich dann noch nach München fahren. Als ich dorteintraf, erkannte ich sofort, dass die Roten die Herrschaft an sich gerissen hatten. Wir wollten im Wittelsbacher Palais tagen, mussten dasselbe aber beinahe fluchtartig verlassen und in einem versteckten Zimmer des Augustiner Zuflucht nehmen. Wir hatten dort einige Tage zugebracht, da stellte sich heraus, dass ein ganz links stehender Verräter unter uns war, der alle Besprechungen mit angehört hatte. Kamerad Marthe, Grönenbach,entlarvte ihn. Wir zogen wieder aus.

Ich traf den damaligen Abgeordneten Batzer von Staig. Der nahm mich zu einer Vorstandssitzung des Bauern- und Mittelstandbundes mit. In dieser Sitzung ging es stürmisch her. Der Abgeordnete Wartner machte dem Abgeordneten Gandorfer scharfe Vorwürfe, dass er zu weit links stehe. Während der Debatte ließ mich der Abgeordnete Batzer hinauskommen und erklärte mir: „Wir müssen mit dem nächsten Zug aus München und heim. Die Regierung ist von München weg nach Bamberg. Heute werden die Züge von und nach München gesperrt.“ Ich war mir über den Ernst der Lage klar. Es stand ein Kampf rechts gegen links bevor. In München fing der Terror schon an. Vom Geiselmord hörte ich damals noch nichts. Zu Hause angekommen, war meine größte Sorge, wo bekomme ich Waffe und Munition her. Ich teilte meine Eindrücke meinem Freund Bürgermeister Fergg, Rechtsanwalt Max Rauh und Oberregierungsrat Dr. Müller mit. Im Bezirksamt traf ich den Abgeordneten Högg von Neu-Ulm bei Dr. Müller. Wir erklärten ihm den Sachverhalt und weihten ihn ein, worauf er uns Waffen und Munition versprach. In der Osterwochewurden Waffen und Munition auf Lastwagen in Ulm geholt. Man fuhr auf württembergischer Seite und dann von der Iller her nach Memmingen. (Huber Thomas, Frechenrieden).

Am 29. April 1919 hatten wir eine geheime Versammlung im Adlersaal in Memmingen. Die Versammlung war bei Todesstrafe vom Stadtkommandanten verboten. Den Vorsitz führte mein Freund Rechtsanwalt Max Rauh. Es wurde allgemein verlangt, dass die Räterepublik in Memmingen verschwinden müsse. Aber über das Wie war man sich im unklaren. Den Saal hatten Mitkämpfer des Weltkrieges aus Ottobeuren mit Handgranaten und anderen Waffen besetzt. Am Schluß der Versammlung kam die schwierigste Aufgabe: Der Stadtkommandant Nägele sollte vom Rathaus heruntergeholt werden.

Ich meldete mich sofort mit sechs Männern, um dem Stadtkommandanten das inzwischen angefertigte Ultimatum zu übergeben und ihn vom Rathaus herunterzuholen. Fest entschlossen, die Tat unbedingt auszuführen, machten wir uns auf den Weg und betraten das Rathaus und den

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Sitzungssaal. Ich überreichte dem Stadtkommandanten mein Schreiben. Er erklärte, ich käme gerade recht und könne an einer Sitzung teilnehmen. Ich sagte ihm, ich käme nicht, um an einer Sitzung teilzunehmen, sondern ich forderte von ihm eine klare und bündige Antwort auf das Schreiben, das ich ihm übergab.

Nachdem Nägele das Schreiben gelesen hatte, wurde er ganz blass und erklärte: „Gut, ich trete zurück.“ Damit war seine Herrschaft zu Ende. Abends gab es noch eine Schießerei am Marktplatz. Es gab verschiedene Verletzte. Da waren wir aber schon in Ottobeuren. Wir waren uns darüber klar, dass wir noch mehr Waffen und Munition haben müssten und auch für Selbstschutz sorgen mussten.Es kam zur Gründung des Freikorps Schwaben. In verschiedenen größeren Orten des Bezirks, z.B. in Ottobeuren, Grönenbach u.a. wurden Versammlungen abgehalten. In meinem

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Heimatort Ottobeuren schlossen sich etwa 130 Männer unserer Sache an. Viele erklärten mir (?) auch: „Jetzt hatten wir vier Jahre Krieg, und jetzt sollen wir wieder die Köpfe hinhalten. Fällt uns gar nicht ein!“ (Näheres berichtet die „Geschichte vom Freikorps Schwaben“)

Wir zogen mit dem Freikorps Schwaben nach München. In Starnberg wurden wir ausgeladen und marschierten nach Höllriegelsgreut. Dort wurden wir einquartiert. Auf dem Wege begegnete uns ein Radler. Ich sagte zu meinem Nebenmann Gendarm Schinkammer: „Das ist ein Spartakus, kontrolliere ihn!“ Er kontrollierte ihn. Der hatte aber einen gültigen Ausweis, ich glaube vom Bund Bayern und (?). Während der Nacht wurden wir alarmiert, weil der Spartakus von Rosenheim her im Anmarsch sei. Es blieb aber ruhig. Am anderen Morgen wurde Pullach gesäubert. Dabei brachte man jenen Radfahrer mit einer Dame daher, den man tags zuvor kontrolliert hatte. Dieser Mann wurde als ganz besonders gefährlich bezeichnet. Er mußte mitsamt seiner Dame mit ihren hohen Absätzen in unserer Truppe mitmarschieren über Grünwald bis auf die Höhe von Giesing. Auf dem Weg dorthin sahen wir die ersten Toten, sie lagen erschossen neben der Straße, nur nochmit Hemd und Unterhose bekleidet.

Auf der Höhe von Harlaching bekamen wir so richtig ein Bild von der traurigen Lage. Links und rechts brannte es. In Sendling krachten die Geschütze und Gewehrfeuer war rings um uns her. Anreitende Kavallerie wurde als feindlich angesehen. Wir legten an. Das stellte sich schnell und noch rechtzeitig als Irrtum heraus.Unser Oberleutnant nahm den mitgenommenen Radler ins Verhör. Der benahm sich sehr frech und redete den Oberleutnant mit Du an. Ich stand in der Nähe und ärgerte mich über das freche Benehmen. Endlich riß dem Oberleutnant die Geduld und er sagte: „Fickler, hau ihm eine hinein!“ Ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Es wurde mehr als eine. Am Schluß packte ich den Kerl bei den Rippen, hob ihn in die Höhe und warf ihn zu Boden. Da war sein Trotz gebrochen.

Wir standen lange auf der Höhe vom Harlachinger Berg. Endlich hieß es, „antreten“ und an der Baikermühle vorbei wurde ausgeschwärmt. Ich und mein Kamerad Branz waren am äußersten linken Flügel, ganz an der Isar. Mit geladenem Gewehr und aufgepflanztem Bajonett gings vorwärts. Auf einmal hieß es, ein feindliches Flugzeug kommt. Alles suchte Deckung. Beim weiteren Vorgehen merkten wir, daß sich in einer Hütte etwas rührte. Mein Freund Branz machte auf, ich war im Anschlag. Aber es kam ein alter Mann heraus, der uns ungefährlich schien. Es ging weiter vorwärts zum Bahndamm. In der Nähe war ein Lazarett. Hier wurden wir beschossen. Wir glaubten, die Schüsse seien von dort abgegeben worden. Das war aber nicht richtig, wie die Durchsuchung ergab. Die Schüsse kamen aus einem Kamin der Bergbrauerei, wohin auch ein Panzerzug feuerte.Hierauf gings in die Stadt. „Fenster zu“, hieß es. Die auf der rechten Straßenseite beobachteten die linke Straßenseite, die links vordrangen, behielten die rechte Straßenseite im Auge. Nun ließ sich niemand mehr blicken. In der Frühlingstraße, bei Baumann wurden wir einquartiert. Auf dem Fenster gegen die Straße wurden sofort Maschinengewehre aufgestellt, um auf alle Fälle gerüstet zu sein. Auch Wachen wurden sofort aufgestellt. Am 2. oder 3. Tage kam ich auch auf Wache.

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Einige verdächtige Männer nahm ich fest und ließ sie warten, bis ich abgelöst wurde, um sie abzuführen. Nach kurzer Zeit hatte ich fünf beieinander, und einer dieser Giesinger verlor die Geduld. Ich erklärte ihm, daß wir gar nicht hier sein müßten, wenn sie diesen Saustall nicht angerichtet hätten. Er habe einfach zu warten. Das paßte ihm scheinbar nicht und er meinte: „Euchdamische Schwaben hätten wir gar nicht gebraucht“. Er hatte dieses Wort noch nicht richtig ausgesprochen, da hatte ich schon zu einem „Schwabenstreich“ ausgeholt, und ehe sie sich versahen, lagen alle fünf Kerle am Boden. Jetzt erst kam mir zu Bewußtsein, daß es fünf waren. Ich riß meinen Karabiner herunter, gab ihnen noch einige Rippenstöße und marschierte mit der Gesellschaft ins Wachlokal. Was aus ihnen wurde, weiß ich nicht. Als ich wieder auf Wache zog, ging ein alter

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Sanitätsrat an mir vorbei und gab mir ein halbes Dutzend Zigarren. „Ich habe Ihnen zugeschaut“, sagte er, „so was habe ich noch nicht gesehen. Aber Sie haben vollständig recht gehabt und Sie haben die richtigen erwischt. Ich kenne die Bazis alle.“

An einem Sonntagmittag hieß es: „In der Lederfabrik sind Spartakisten. Wer geht freiwillig mit?“ Wir meldeten uns alle und wurden mit Lastautos dorthin gefahren. Wir sprangen ab, rissen die Umzäunung nieder und an der Seite von meinem Oberleutnant durchstöberten wir alle Räume. Es fand sich aber nichts besonderes mehr. Am Tag zuvor waren einige Spartakisten an der Mauer erschossen worden. Große Blutlachen waren noch zu sehen. Abends ging ich mit einem Kameraden nach Giesing zu einem bekannten Bauern und Spediteur, dem ich vier Monate zuvor ein Pferd abgekauft hatte. Die Leute waren ganz glücklich, als sie erfuhren, dass wir Herr der Lagewaren.Am anderen Tage sagte Kamerad Mayer Seb. (früher bei Micheler): „Du schau mal, was da los ist!“Ein ganzer Heuwagen voll von gestohlenem Zeug wurde gebracht. Ein Leutnant vernahm den Täter. Ich und mein Freund Mayer Seb. kamen dazu. Nach kurzem Verhör und sehr frechem Benehmen bekam er so viele „Schwabenstreiche“, dass er den Tag nie mehr vergessen wird. Ausdrücklich möchte ich noch bemerken, dass unser Kamerad Micheler, Wurstfabrikant in Ottobeuren, in Verbindung mit Herrn Schlaufahrt (?) und Direktor Opel (?) München uns ausgezeichnet mit Verpflegung versorgte.

Wir marschierten durch Giesing und hielten Einzug in die Stadt München. In Giesing selbst zeigte sich kein weißes Tuch. Als wir aber die Innenstadt betraten, fand die Begeisterung keine Grenzen. Mit Jubel wurden wir empfangen. Die Stadt München stiftete der Ottobeurer Kompanie aus Dankbarkeit 10.000 Mark für die Befreiung von den Spartakisten im Mai 1919. So haben diese Freiheitskämpfer schon damals den Kommunismus bekämpft. Ich wurde dann von der Kommandantur Memmingen zu verschiedenen Aufgaben angefordert und kehrte in die Heimat zurück. Ein großer Teil meiner Kameraden kam nach der Befreiung von München nach Kempten. Kempten und Kottern wurden durch sie von den Spartakisten gesäubert.

Viele Kameraden beklagten sich, und ich möchte sagen, zu Recht, dass ihnen für diese freiwillige Tat keine Anerkennung zuteil wurde. Sie waren der Meinung, dass sie aus eigenem Antrieb eine vaterländische Pflicht erfüllt hatten, die weniger der Regierung Hoffmann, sondern viel mehr dem Kampf gegen den Kommunismus, zum Schutze unserer lieben Heimat und Familie und damit auchdem hartbedrängten Vaterlande gegolten hatte. Beifügen möchte ich noch ein Schreiben meines Oberleutnants M. Reich vom 7. Okt. 1934.

BestätigungAls Kompanieführer der Ottobeurer Kompanie, Freikorps Schwaben, bestätige ich hiermit Herrn Johann Fickler, z.Zt. Bürgermeister von Ottobeuren, dass ohne sein Zutun nie eine Ottobeurer Kompanie mit 130 Leuten sich zusammengefunden hätte. Auch während der Aktion in München hat Herr Fickler durch seine Führung und sein außerordentlich mutiges Auftreten dem Kommunistengesindel gegenüber sich dauernde Verdienste erworben. Ich weiß aber auch, dass Herr Johann Fickler schon vor dem Mai 1919 in Verbindung mit dem damaligen Vorstand des Bezirksamtes Memmingen Dr. Müller einer der ganz wenigen Männer war, die der

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Spartakuswirtschaft in Memmingen mutvoll entgegen traten. Herr Fickler war im Kampf gegen den Kommunismus im Bezirk Memmingen die führende Persönlichkeit.

Kempten, Frühlinstr. 10/II gez. Michel Raich, Studienrat.

Nun sollte das geschäftliche und politische Leben wieder weitergehen, und alles war so dunkel unddüster. Diejenigen, die sich politisch dem Bauernbund anschlossen, sahen bald ein, dass eine Partei ohne Presse nicht viel bedeutet. Die führenden Mitglieder des Bauernbundes, darunter auchich, verhandelten mit dem Besitzer der Memminger Zeitung wegen Ankauf derselben. Wir wurden einig, gründeten eine Druckereigenossenschaft und führten den Verlag der Zeitung weiter. Rechtsanwalt Rauh, Memmingen, Fickler, Ottobeuren, Käßle, Lauben und Madlener, Grönenbach wurden Vorstandsmitglieder und führten den Verlag beinahe bis zur Auflösung im Jahre 1933. In diesem Jahr kam Adolf Hitler an die Macht in Deutschland.

Es gab Umwälzung auf Umwälzung und auch unsere Memminger Zeitung bekam die Auflage, sich aufzulösen und zu liquidieren. Ich, Honold, Memmingen und Wirtschaftsberater Göppel wurden alsLiquidatoren bestellt. Vor der Liquidation hatte man noch langwierige Verträge zu erfüllen, an den Pestalozzi- und Fichte-Verlag in München, Inhaber Adolf Boger. Er war ein ganz gerissener Geschäftsmann und unser damals aktiv mitwirkendes und bezahltes Vorstandsmitglied Herr Frieß hatte viele schwere Sorgen auszukosten, und wir mit.Es machte sich hier bemerkbar, dass man ein Geschäft, das man nicht selbst von Grund auf versteht, nicht treiben soll. Im Laufe der Jahre setzte man die Geschäftsanteile hinauf, dann wiederherunter. Der technische und der kaufmännische Leiter sorgten für sich und nicht für die Genossenschaft. Gut, um es kurz zu machen, das Liquidieren schloß noch sehr gut ab. Die Genossenschafter bekamen 100% ihrer Einlage. Ich verkaufte das ? an den Schmied. Die Offset (?)-, die Rotationsmaschine, die Schmelzpfannen gingen sehr billig an den ?her-Verlag München. Und das war dann das Ende unserer politischen Zeitung.

Beinahe hätte ich die Hauptsache vergessen: Vor der Auflösung versuchten wir uns mit dem neugegründeten Allgäuer Beobachter durch eine Genossenschaft zusammenzuschließen. Es wurde auch auf einer gemeinsamen Versammlung beschlossen. Aber die Vertragsverhältnisse der Memminger Zeitung mit dem Pestalozzi- und Fichteverlag, München, waren Adam Horr (?) vom Allgäuer Beobachter zu undurchsichtig, sodass der Kreisleiter Schwarz und sein Freund Klein Heinz den Zusammenschluß beim Register-Gericht Memmingen nicht vollzogen Vielleicht gabs auch noch einen anderen Grund. Jedenfalls wären sie wirtschaftlich wesentlich besser dran gewesen, denn sie hätten eine modern eingerichtete Druckerei bekommen. Damit war meine Tätigkeit und Mitarbeit bei der Presse beendet.

Nun wieder zu meinem Geschäftsleben: Neben meiner Landwirtschaft betrieb ich noch das Sägewerk der Unteren Waldmühle, das ich immer noch gepachtet hatte. Es war ein ganz netter Nebenbetrieb. Ich hatte Arbeit für meine vier Pferde, ebenso auch Bauholz und Sägemehl für Streuzwecke. Eines Tages musste ich erfahren, dass der Besitzer der Oberen Waldmühle die Säge der Unteren Waldmühle gekauft hatte. Ich hatte mir wohl in meinem Pachtvertrag das Vorkaufsrecht gesichert. Aber nach dem Gesetz hätte dieses Vorkaufsrecht im Grundbuch eingetragen sein müssen.

Mein Bruder Josef starb dann im Jahre 1919 am 22. Dezember. Ich glaubte nun, dass ich jetzt von meiner Mutter, die Alleinerbin war, endlich das väterliche Anwesen bekäme, das mir als dem nun einzigen männlichen Erben auch zustand. Aber wieder sollte ich mich täuschen. Jetzt tauchte meine Schwester Kreszentia auf, von der ich schon eingangs bemerkt hatte, dass sie sich später einmal sehr unlieb bemerkbar machte. Sie hatte eine Bekanntschaft mit dem Müllerssohn Hatzelmann von Attenhausen. Dieser sollte das Geschäft mit Mühle und schöner Landwirtschaft in Attenhausen bekommen. Meine Schwester wollte aber nicht nach Attenhausen. Darum bearbeitetesie meine Mutter solange, bis diese ihr das elterliche Anwesen mit Mühle, Säge, Landwirtschaft, Waldungen und noch vielem barem Geld gab. Bevor es zur Hochzeit kam, versprach man mir, dass wir das Geschäft miteinander

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nehmen sollten. Nach der Hochzeit hielt man sich nicht mehr an das Versprechen und so kam es zwischen uns zu Zerwürfnissen und Ärger. In dieser Verärgerung reifte in mir der Plan, selbst eine Säge zu bauen. Im Jahre 1924 kaufte ich in der Nähe des Bahnhofs ca. zwei Tagwerk Wiese und baute ein Sägewerk mit zwei neuen Vollgattern und mit Dampfbetrieb auf. Diesen Plan hatte ich lange überlegt. Aber der Gedanke, dass mein Vater nach dem Kriege 1870/71 wirtschaftlich so gut vorwärts kam, bestärkte mich in meinem Plane. Mein Sohn Alfons war damals auch schon 17 Jahre alt, und wir meinten, es richtig zu machen. Das Werk lief gut. Ich stellte noch eine Bandsäge und eine Hobelmaschine auf. Ich schnitt ca. 7000 cbm Rundholz im Jahr. Ich kaufte auch noch verschiedene Schnittwaren auswärts.

In Gelsenkirchen errichtete ich eine Verkaufsstelle. Ebenso verkaufte für mich mein Cousin Herz Jakob in Worms, der wie so viele, große Möbelfabriken zwecks Verkauf von Beschlägen besuchte.In der Zwischenzeit kam der Schwager von Rechtsanwalt Rauh, Dr. Gradnitzer aus Graz, nach Memmingen. Derselbe hatte früher ein großes Holzunternehmen geleitet. Man versprach sich goldene Berge von seinem Holzunternehmen in Österreich. Die Aust.-Holz AG in Graz wurde gegründet. Ca. 30 kapitalkräftige Geschäftsleute aus dem Bezirk Memmingen - Mindelheim und Obergünzburg traten als Aktionäre bei und zeichneten 1 - 3 Millionen. Ich, Schaber Hans, Blessing und Haggenmiller Mindelheim, wurden in den Aufsichtsrat gewählt. Es entstanden Sägewerke in der Nähe von Bruck a.d.M., Mürzzuschlag am Semmering und in Eisenkappel bei Klagenfurt. Holzhandlungen entstanden in Wien, Graz und Mailand.

Wir vier fuhren nach Österreich, um alles zu besichtigen. Laut Vertrag waren vom Baron Wrasche in Wien 1 Million cbm Rundholz zu 3,6 Goldkronen gekauft. In Wien übernachteten wir in einem Hotel. Die Inflation machte schon damals riesige Fortschritte. Blessing, Mindelheim, machte uns vor dem Zu-Bett-gehen noch auf die Hotelzimmerpreise aufmerksam. Er meinte, wenn das so weiter geht, haben wir morgen kein Pensionsgeld mehr. Dr. Gradnitzer kam gerade aus Mailand von der Holzfirma ?? Wir machten ihn auf die hohen Zimmerpreise aufmerksam. Er aber meinte, die Zimmerpreise im Hotel nebenan seien noch höher, er werde die Zahlung übernehmen. Anderntags fuhren wir weiter und besichtigten verschiedene Werke. Aber es nahm ein schlechtes Ende. Bald sahen wir von den Millionen nichts mehr. Das ganze Geld, insgesamt werden es ca. 30.000.000 gewesen sein, war verloren. Ich hatte zwei Millionen gezeichnet, in Goldmark immerhin2.400 Mark, alles war futsch. Rechtsanwalt Rauh und seinem Schwager Gradnitzer machte man wegen des Hineinlegens schwere Vorwürfe. Aber es half nichts, das Geld war futsch. Besser ging es mit einem Sägewerk in Fließ bei Landeck (Tirol). Rauh, Schaber und ich bauten mit einem Waldle, Gastwirt in Neuen Z011 (?), ein Sägewerk mit einem Gatter, gebaut von Link Oberkirch und eine Vollkreissäge. Von der Gemeinde Fließ kauften wir einige 1000 Festmeter Rundholz, später auch von der Stadt Landeck. Dieses Geschäft ging besser. Nachdem die Inflation vorüber war, schieden ich, Schaber und Rauh aus und Waldle betreibt das Geschäft heute noch selbst. Hier verloren wir kein Geld, sondern bekamen unsere Einlage und noch eine Abfindungssumme heraus.

Das Dampfsägewerk am Bahnhof war nun gut im Schuß. Ich hatte Arbeit in Hülle und Fülle. Aber wir hatten einen verlorenen Krieg hinter uns. Statt einer guten Zeit folgte der Inflation die Deflation. Nach der Inflation kostete der Kubikmeter, III. Kl. Langholz im Walde ca. 40 - 45 Mark. Später kostete dann der Kubikmeter Schnittwaren, franco verladen ca. 22 Mark. Unsummen Geld wurden verloren. Viele solvente Firmen machten Konkurs, Vergleiche oder stellten die Zahlungen überhaupt ein. Wenn ich in der Früh aufstand, war es mir Angst, zuerst ins Büro zu gehen, denn entweder brachte die Post einen Wechselprotest, ein Vergleichs- oder Konkursangebot. Im Ruhrgebiet fielen die Firmen nur so um. In der Zwischenzeit war ich auch noch in dem Sägewerk bei Herrn Josef Dodel in Württemberg beteiligt. Hier wurde auch nichts verdient.

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Schwere Sorgen lasteten auf mir. Mit dem Besitzer der Säge in Ungerhausen Herrn Dr. Waitzinger (?) gründete ich die Allgobau-Gesellschaft. Der Zweck war, Holzhäuser zu bauen und dadurch das

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Schnittmaterial besser verwerten zu können. Das erste Holzhaus ging nach Wasserburg am Inn, an eine Firma, wo Dr. Waitzinger angeblich Beziehungen hatte. In Wirklichkeit hatte er dort Schulden und wollte sie mit dem von mir gelieferten Holzhaus bezahlen. Nach dieser ersten Lieferung ging die Sache gleich in die Brüche. Zimmermeister Mang von hier, der die erste Arbeit geleistet hatte, fiel auch mit rein.

Dr. Waitzinger hatte schon bei der Gründung der Gesellschaft beim Notariat hier seine Frau als Teilhaberin vorgeschoben. Auf meinen Vorhalt, warum er jetzt seine Frau als Gesellschafterin nenne, sagte er mir: Er werde bestimmt noch einen Ruf als Professor an eine Universität bekommen und die maßgebenden Herrn brauchten von diesen Geschäften nichts zu wissen. Sonst bekomme er den Ruf nicht. Auch sagte er mir, daß er sein Sägewerk in Ungerhausen zu verkaufen gedenke. Drum verlangte ich von ihm, daß er mir das grundbuchamtliche Vorkaufsrecht einräume, was auch geschah. Als die Säge dann an Herrn Forster in Eisenburg verkauft wurde, bekam ich von diesem 1.500 Mark als Entschädigung dafür, daß ich auf das Vorkaufsrecht verzichtete. Ich hätte diese Säge auch damals nicht mehr kaufen können, weil ich selbst schon andere große Verpflichtungen hatte.

Nun kaufte ich wieder Holz und zahlte wieder drauf. Längst brauchte ich einen Buchhalter. Herr Bald aus Kreuzthal schickte mir seinen Sohn Heinrich als Praktikant. Er war ein netter junger Mensch. Leider passierte ihm einmal ein Missgeschick. Alfons und Heinrich fuhren mit dem Motorrad zum Autorennen nach Oberjoch. Auf dem Heimweg wich ein Betrunkener nicht aus. Die beiden kamen ins Schleudern, und Heinrich brach sich den Fuß. Mit Herrn Bald verbinden mich heute noch geschäftliche und freundschaftliche Beziehungen.

Immer wieder musste ich nun erkennen, dass es wirtschaftlich abwärts ging. Die Banken undDarlehenskassen verlangten ca. 15 - 20% Zinsen und Provisionen. Es war unerträglich. EinesTages war mir ganz klar, dass ich so nicht mehr weiter machen wollte und könnte.

Es waren die schwersten Tage meines Lebens. Davon hörte auch der Bruder des verstorbenen Freundes Willi. Er besuchte mich und fragte nach der Ursache. Ich erklärte ihm, daß der schlechte Geschäftsgang der Säge schuld sei und bat ihn um Rat. Er sagte: „Wenn die Säge schuld ist, verkaufe sie.“ So befaßte ich mit dem Gedanken, zu verkaufen. Damals habe ich wohl einen großen Fehler gemacht. Das richtigste wäre gewesen, mit meinen Gläubigern einen Vergleich abzuschließen und nichts zu verkaufen.

So verkaufte ich die Säge, die Waldungen, Grundstücke, das ganze lebende und tote Inventar undhatte noch Schulden. Die Darlehenskasse hatte mir über diese schwierige Zeit ca. 37.500 Mark an Zinsen und Provisionen aufgerechnet. Das war mehr als jüdisch. Auf wiederholtes Ersuchen um Nachlaß ging der Vorstand Specht nicht ein. Er ist schon einige Jahre krank. Vielleicht muss er dafür büßen. Schwer und düster waren die Tage. Mitten in dieser Zeit starb noch ganz unerwartet und plötzlich der Buchhalter Layer. Alfons war auf der Handelsschule in Calw. Fini musste einspringen. Ich hatte noch ziemlich Außenstände und glaubte, wenn diese eingebracht seien, eineneue Existenz aufbauen zu können. Ich gründete mit dem Bruder meines Buchhalters Layer eine Holzhandlung am Bahnhof in Bietigheim. Ich sollte einkaufen, Alfons und Layer sollten verkaufen. Aber die Außenstände waren z.Zt. nicht einzubringen, und mein Vertreter Leimkuhl in Gelsenkirchen hatte zu allem Überfluß noch ca. 4.000 Mark unterschlagen. Auch war Layer nicht der richtige Mann. Wir lösten die Firma auf und gingen wieder auseinander. Nur dadurch, dass der Vater des Layer noch Bürgschaft geleistet hatte, kamen wir mit einem blauen Auge davon. Im Jahre 1927 wollte Ökonomierat Häfele, Holzgünz, für seinen Sohn im Oberbayrischen

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einen Hof kaufen, denn der wollte eine Tochter von Ökonomierat Rinderle, Niederdorf heiraten. Ich sollte das vorhandene stehende Holz schätzen. Als wir den Hof kaufen wollten, gab man den Hof nicht mehr ab. Durch Zufall erfuhr ich, dass in der Nähe von Wasserburg ein anderer Hof verkauft werden sollte. Ich wollte an einem Sonntag noch verbriefen. Häfele zog aber die Sache so in die

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Länge, und so war der Notar von Ebersberg nicht mehr da. Ich hatte richtig vermutet, dass der Verkäufer am Montag nicht mehr verkaufen wollte. Zum Glück hatte ich mit dem Bauern einen Vorverkaufs-Vertrag über das stehende Rundholz abgeschlossen, sodass er gezwungen war zu verbriefen.Aber jetzt kommt das schönste: Die beiden Verlobten hatten über den Sonntag Differenzen miteinander bekommen und die Braut zog nicht mehr. Häfele erklärte, der Hof käme für seinen Sohn nie in Frage. Aber wir protokollierten den Hof auf ihn, weil von uns drei keiner einen zweiten Hof kaufen durfte. Wir verkaufen den Hof wieder und teilen den Gewinn in drei Teile, so verabredeten wir uns. Ich zahlte auch 900 Mark an, ebenso die anderen. Eines Tages erklärte Häfele, die Heirat habe sich zerschlagen, sein Sohn gäbe den Hof nicht mehr her. Dagegen könne er nichts machen. Ich verwahrte mich dagegen und erklärte, dass ich mein Drittel Nutzen an dem Hof wolle, denn der Hof kostete 52.000 Mark und es waren ca. 25.000 Mark Holz dabei. Zum Schluss bekam ich 1.000 Mark von Häfele. Bei der nächsten Bezirkstagswahl wurde Häfele nicht mehr Vorsitzender und trat aus dem Bezirkstag aus. Häfele jun. hat diesen Hof längst wieder verkauft und einen anderen in Oberbayern erworben.

Fini kam nun auf den Gedanken, eine Geflügelzucht aufzubauen und wir richteten die Stallung her,und wir kauften von der Hysteinischen Geflügelzuchtanstalt 1.000 Eintagsküken und später noch einen 800 Eier fassenden Petroleumbrüter. Auch praktizierte Fini in Leipzig und Erding. Wir kauftendann noch einen elektrischen Brutapparat für 1.800 Stück Eiereinlage und später noch einen mit einer Einlage von 7.000 Stück. Ich selbst machte wieder in Güterhandel resp. Maklergeschäfte in Gütern. Mein erstes Geschäft war der Verkauf von Sägewerk, Grundstücken und Waldungen des Herrn in Siebratshofen, Dam (?) bezahlte man 5%. Ich machte ein schönes Geschäft. Die Verkaufssumme betrug 100.000 Mark. Verschiedene Geschäfte machte ich allein und mit Alfons. Später kam dann der Bauer und Makler Ulrich Hölzle zu mir und wir machten manches zusammen.Wirtschaftlich war die Zeit aber immer noch sehr schlecht.

Politisch gewann Adolf Hitler immer mehr Anhänger. Auch ich bekannte mich zu seiner Idee. Alfonstrat mit einigen Freunden in die SS ein. Dadurch wurde man von den früheren Schwarzen und politisch anders Gesinnten verfolgt und boykottiert. Aber Hitler bekam immer mehr Anhänger und kam 1933 an die Macht und wurde Reichskanzler. Es gab eine vollständige Umwälzung. Verschiedene Funktionäre und Bürgermeister anderer Parteien wurden in Schutzhaft genommen. Wiederholt wurde ich von dem damaligen Ortsgruppenleiter ersucht, den Bürgermeisterposten in Ottobeuren zu übernehmen. Ich lehnte ab. Da kam an einem Sonntagnachmittag Kreisleiter Schwarz und ersuchte mich ebenfalls darum. Ich lehnte wieder ab. Da wurde ich vom Kreisleiter zum kommissarischen Bürgermeister ernannt und später durch den Gemeinderat einstimmig gewählt. Unsere Anneliese war damals, glaube ich, noch in der Mittelschule in Mindelheim. Anton kam zu dieser Zeit zu dem Eisenhändler Ketterle am Marktplatz in die Lehre. Durch die Übernahme des Bürgermeisteramtes konnte ich natürlich dem Maklergeschäft nicht mehr nachgehen. Jeden Tag kamen neue Verordnungen, das Amt für Volkswohlfahrt, Arbeitsdienst männlich und weiblich wurde gegründet, BdM, Hitlerjugend und vieles andere.

Ich gehörte auch dem neuen Bezirkstag und dem Sparkassenausschuß an. Als Oberbürgermeisterdes Bezirks Memmingen mußte ich auch als Vertretung zum Deutschen Gemeindetag. Es gab wirklich Arbeit genug. In die Kaserne kam männlicher Arbeitsdienst, ins Amtsgericht, das leer war, weiblicher Arbeitsdienst. Das Vermessungsamt wurde uns weggeschnappt und nach Memmingen verlegt.Die Gründung des männlichen Arbeitsdienstes wurde aufgezogen. Eugen Micheler wurde Vorstandder Arbeitsgemeinschaft. Von der Gemeinde wurde die Kaserne als Lager zur Verfügung gestellt. Verschiedenes sollte umgebaut werden. Dem Vorstand der Arbeitsgemeinschaft wurde erklärt, dass die Gemeinde nichts zu bezahlen brauche. Hierauf begann der Umbau. Insbesondere Baumeister Theodor Filgis führte die Arbeiten aus. Wie sich später herausstellte, schafften viele an. Heute ein Arbeitsführer, morgen andere. Zum Schluss wollte niemand bezahlen. Auch im Gemeinderat stimmte es nicht. Unter anderen war auch der Maler Dreyer Gemeinderat, der niemand (?), im Konkubinat lebte und nur intrigierte. Auch der Ortsgruppenleiter Ripfel konnte nichtGemeinderat sein, denn er hatte mit der Gemeinde einen Fischwasser-Prozeß, der schon sechs Jahre dauerte, bevor ich Bürgermeister wurde. Ich bemühte mich, den Prozeß aus der Welt zu

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schaffen. Es gelang mir aber nicht. Der Vater des Ripfel hatte seinerzeit das Fischwasser von Kuttern bis unterhalb Hawangen um ca. 1.000 Mark gekauft. Infolge von Regulierungen hatte Ripfel schon ca. 20.000 Mark als Entschädigung herausgeschunden. Jetzt bekam er Appetit und stellte sich auf den Standpunkt, die Gemeinde Ottobeuren, hätte ihm sein Fischwasser verunreinigtund wertlos gemacht. Drum verlangte er von der Gemeinde Ottobeuren für den Fischwasser-Teil inOttobeuren eine Entschädigung von rund 50.000 Mark. Ich lehnte natürlich eine solch übertriebeneForderung ab. Hierauf wurde von seiten Ripfel und Dreyer intrigiert. Alle möglichen Anschuldigungen wurden gegen mich erhoben. Es wurde eine Tagung anberaumt, bei der Gauleiter Wahl ins Rathaus kam mit Kreisleiter Schwarz. Ich wollte zurücktreten. Alle Partei- und sonstigen Formationen sprachen mir das Vertrauen aus und Gauleiter Wahl ersuchte mich, im Amtzu bleiben. Ich behielt mir vor, mit meinem Sohn Alfons, der bei der SS war, eine kurze Rücksprache zu halten. Ich erklärte dazu, dass ich bliebe, wenn Ripfel und Dreyer ausschieden. Dies geschah, aber hinten herum begann eine neue Hetze. Man verlangte, dass eine Siedlung gebaut werde. Ich kaufte von Rinninger im Unteren Markt sämtliche Grundstücke, tauschte mit dem Hafner Vögele und der Ochsenwirtin und brachte durch den Tausch am Armenhausweg schöne Bauplätze zusammen, welche pro Dezimal nur auf 12 Mark zu stehen kamen. Diese Bauplätze waren damals schon ca. 50 - 100 Mark pro Dezimal wert. Ich besorgte dann noch vom (Ludwig-)Siebertprogramm, von der Karl-Wahl-Spende und durch die Bezirkssparkasse 52.000 Mark, und die Siedlung war gesichert. Als Bürgermeister musste ich natürlich auch oft öffentlich auftreten und Ansprachen halten. So am 1. Mai, am Erntedankfest, bei der Saarabstimmung u.a.

Unterdessen erfolgte auch die Vereidigung in München Ich wurde vom Bahnhof mit Fackelzug abgeholt und musste auch am Marktplatz wieder eine Ansprache halten. Danach ging es in die „Post“. Der Baumeister Filgis wollte seine Arbeiten, die er für den Arbeitsdienst ausgeführt hatte, von der Gemeinde bezahlt erhalten, weil der Arbeitsdienst selbst jede Zahlung verweigerte. Inzwischen passierte ein schweres Unglück. Mein guter Freund und ebenso guter Berater als Gemeinderat Eugen Micheler verunglückte auf der Benninger Höhe mit seinem Auto tödlich. Auch sein Chauffeur Karl Wüst kam ums Leben. Bei dieser Gelegenheit muss ich näher auf ihn zurückkommen. Micheler war nicht nur ein tüchtiger Metzger und Kaufmann, sondern auch ein großer Wohltäter: Bei der Sammlung zum Winterhilfswerk schenkte er uns jedes Jahr ca. 24 Zentner Fleisch. Auch bei jeder anderen Sammlung stand er an der Spitze. Als wir einmal im Bräuhausgarten das Kinderfest halten wollten und die Würste für die Kinder schon ausgeteilt waren, begann es so stark zu regnen, dass das Kinderfest abgebrochen werden musste. Einige Tage später war wieder schönes Wetter. Ich ging zu Micheler und sagte, dass heute wohl das Kinderfest gehalten werden könne. Leider seien die Würste aber schon verteilt. Daraufhin fragte er: „Wieviel brauchst Du?“ „Es werden etwa 1.000 Kinder sein,“ sagte ich. Er im nächsten Moment:„Die kannst Du bis um 1 Uhr haben. Lass sie nur holen. Sie kosten nichts!“

Im Jahre 1932 gab es in der Ulmer Gegend beinah kein Grummet. Micheler kaufte auf dem Markt in Neu-Ulm viel Schlachtvieh, darunter war auch manches trächtige. Diese stellte er mir zum Einkaufs- bezw. Schlachtpreis zur Verfügung, und so kam ich wieder billig hinter eine Reihe Vieh. Das tat mir sehr gut in dieser schicksalsschweren

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Zeit. Er war das Gegenstück zu Hafner. Micheler unterstützte mich in jeder Hinsicht. Hafner dagegen hat mir in den schwersten Tagen meines Lebens noch 1.200 Mark abgedrückt, die ihm nicht zugestanden hatten. Aber das brachte ihm kein Glück. Sein ältester Sohn verunglückte tödlich, sein zweiter starb einige Jahre darauf. Die beiden Brüder bekamen unversöhnlichen Streit. Und zum Schluss musste ich bei ihrer Teilung mitwirken, weil sie diese selbst nicht mehr zustande brachten. Auch sie wurden von der Deflation nicht verschont. Auch ihr Vermögen schmolz schwer zusammen.

Nun zurück zum Bürgermeisteramt: Nach Ripfel wurde Konditormeister Josef Hasel Ortsgruppenleiter. Er bildete sich nicht wenig darauf ein. Im Anfang fuhren wir ganz gut. Wiederholtwurde an mich herangetreten, ich möchte doch den Prozeß mit Ripfel durch Vergleich aus der Welt

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schaffen. Ich stellte mich aber auf den Standpunkt: Der Streit hat jetzt fünf Jahre gedauert, nun solldas Oberlandgericht München entscheiden. Ich als Bürgermeister mache für die Gemeinde nicht 50.000 Mark Schulden, um das Geld dann Ripfel zu geben.

Die Siedlungshäuser wurden auch vergeben. Bei der Vergabe waren Herren von der und ein Architekt aus Augsburg dabei. Man wollte die Häuser an die hiesigen Baumeister vergeben. Baugeschäft Mayer bekam vier Häuser, Filgis sollten je drei Häuser bekommen. Mayer ließ sich je Haus 150 Mark abhandeln, Filgis nicht. Die Augsburger Herrn erklärten, daß sie es nicht verantworten könnten, 1.500 Mark mehr zu bezahlen. Wenn Filgis nichts nachlasse, bekomme die Firma Mayer alle zehn Häuser. Weder Ortsgruppenleiter Hasel noch irgendein Gemeinderatsmitglied griff in die Debatte ein. Ich hielt mich bis zum Schluß neutral. Da schlug der Architekt vor, dem Mayer alle 10 Häuser zu geben, wenn Filgis nichts nachlasse. Die Filgis ließen nichts nach, weil sie mit Mayer schon so alles abgesprochen hatten. Ich erklärte, man müsse den örtlichen Frieden wahren und Mayer solle von sich aus den Filgis 5 oder 6 Häuser zum Bau überlassen. Der Architekt erklärte sich einverstanden, er rechne aber nur mit Mayer ab. Damit waren die Siedlungshäuser vergeben. Es gab keine Einwände mehr. Zwei Tage später kam der Ortsgruppenleiter Hasel in Uniform mit Gemeinderat Ketterle aufs Rathaus und erklärte: „So Herr Bürgermeister, jetzt haben wir den Unfrieden im Ort“. Diese Art des Auftretens war ein Vorwurf gegen mich. Ich verbat mir den Vorwurf und sagte: „Ist das der Dank dafür, dass ich die ganzen Bauplätze um 12 Mark pro Dezimal hergebracht habe und die 52.000 Baukapital?“ „Die Herrn waren doch alle bei den Besprechungen dabei. Warum haben sie da keine Einwände gemacht? Sie haben doch alles mitangehört, und warum soll ich jetzt schuld sein, dass die Filgis zu kurz kommen. Im übrigen, ist das nicht so schlimm. Mayer will ja die zehn Häuser gar nicht allein bauen. Das ist leicht zu ändern.“ Es wurde auch geändert. Mayer war mit vier Häusern zufrieden. Die zwei Filgis bekamen sechs, mussten aber je Haus 150 Mark nachlassen.

Mit Sicherheit suchte der Herr Ortsgruppenleiter einen Grund, mir am Zeug zu flicken. Ich erklärte ihm aber, dass ich mir das verbitte, entweder sei ich Bürgermeister oder nicht. Das Verhältnis zwischen Hasel und mir war also getrübt. Es kam noch etwas, was mir das Bürgermeisteramt verleidete. Eines Tages wurde in der Memminger Straße die Wohnung des Arbeiters Schaule durch den Gerichtsvollzieher zwangsgeräumt. Ich hatte keine Wohnung zur Verfügung, weil durch die Einführung des Arbeitsdienstes alles belegt war. Zum Schluss kam ich drauf, dass im alten Postgebäude am Marktplatz, welches Frau Reg.-Rat Schlegler gehörte, eine Wohnung eingerichtetwerden könnte. Das Lokal stand schon drei Jahre leer. Ich dachte mir schon, dass Schlegler die Wohnung an diese Arbeiterfamilie nicht vermieten wollte und rief deshalb das Bezirksamt an. Der Referent Regierungsrat Kaltenegger sagte: „Beschlagnahmen Sie im Auftrag des Bezirksamtes dieWohnung und legen Sie die Familie hinein.“ Ich veranlaßte dies, und der Krach mit Regierungsrat Schlegler war da. Er verlangte von Schaule bzw. vom Fürsorgeverband pro Monat 115 Mark Miete.Ich lehnte diesen Mietpreis als unsozial ab, weil ich auch als Vertreter des Fürsorgeverbandes diesnicht verantworten könne. Es entstand ein Schriftwechsel zwischen dem Bezirksamt, dem Vorstand des Vermessungsamtes Memmingen und der Gemeinde Ottobeuren mit 37 Seiten. Regierungsrat Thoma nahm seinen Kollegen Regierungsrat Schlegler in Schutz und ließ in seinemAntwortschreiben durch-

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blicken, dass Schlegler das Recht und die Pflicht habe, die Besitzinteressen seiner Frau zu wahren. Ich war überzeugt, dass ich als Bürgermeister meine Pflicht getan hatte und den Auftrag des Regierungsrates erfüllt hatte. Um zu verhindern, dass mir der Regierungsrat Thoma in den Rücken falle, beschwerte ich mich bei Oberregierungsrat Wohlfahrt.Dass ich recht hatte, beweist, dass Schlegler zum Schluss mit der Miete von 25 Mark pro Monat einverstanden war. Aber es blieb eine Missstimmung. Oberregierungsrat Wohlfahrt aber meinte es gut und wollte dies aus der Welt schaffen. Er meinte, die Bürgermeisterwahlen stünden vor der Tür, ich müsste mit Thoma wieder zusammenarbeiten und sollte die Beschwerde gegen Thoma zurücknehmen, weil er doch auch mit dem Kreisleiter Schwarz gut befreundet sei. Mir bereitete derBürgermeisterposten unter den geschilderten Umständen keine Freude mehr. Ich erklärte dem Oberregierungsrat Wohlfahrt, dass ich das von ihm entworfene Schreiben zwecks Beilegung der

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Differenzen mit Thoma, solange ich Fickler heiße, nicht unterschreiben könne und auch nicht unterschreiben wolle. Lieber träte ich als Bürgermeister zurück. Eines Tages bekam ich noch ein Schreiben von Kreisleiter Schwarz, das mich in meinem Entschluss, zurückzutreten, bestärkte. Ich sprach bei Herrn Ob.-Reg.-Rat Wohlfahrt vor und erklärte meinen Rücktritt. Er wollte mich nicht gehen lassen und sagte, er könne mich höchstens beurlauben. Aber ich trat zurück, und damit war meine zweijährige Tätigkeit von 1933 - 1935 als Bürgermeister beendet.

Nun möchte ich noch kurz meinen Kindern meine Meinung über den derzeitigen Kreisleiter Schwarz in Memmingen äußern. Während meiner zweijährigen Tätigkeit kam der Kreisleiter nur ein einziges Mal und zwar damals, als auch Gauleiter Wahl aus Augsburg erschien und ich als Bürgermeister zurücktreten wollte, aufs Rathaus nach Ottobeuren. Ich bin der Meinung, wenn ein Kreisleiter einen Bürgermeister kommissarisch ernennt, der dann auch von überall bestätigt wird, sich hin und wieder sehen lassen müsste, um dessen Tätigkeit zu würdigen. Das war aber nie der Fall, obwohl Ottobeuren die größte Gemeinde des Bezirkes Memmingen war. Das halte ich nach wie vor nicht für richtig. Ihr, liebe Kinder, werdet sicher der gleichen Meinung sein.

Ich trat dann auch aus dem Bezirkstag aus und von all meinen Ehrenämtern zurück. Heute muss ich sagen: Gott sei Dank, dass ich mich so entschieden habe. Insbesondere meinen Buben aber möchte ich sagen: „Nehmt in Eurem Leben keine Ehrenämter an, außer dass ein gewisser wirtschaftlicher Vorteil dabei ist. Sorgt in erster Linie für Euch und für Eure Familie!“ Denn ein altes Sprichwort sagt: „Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott!“

Geschäftlich ging ich wieder dem Maklerberuf nach. Es war aber nicht mehr wie früher, denn durchdas Erbhofgesetz konnten viele Bauern entschuldet werden und verkauften nicht mehr. Einen großen Verkauf vollzog ich noch mit Herrn Fahrenschon, München. Es war das Schloßgut Niederraunau bei Krumbach, dann einige Höfe bei Wörishofen, Irsee, Friesenried und Obergünzburg. Später hatte ich dann das Geschäft meiner Cousine in Egg a.d. Günz zu verkaufen. Die Säge kaufte ich für Alfons von dem Geld, das Großmutter aus meiner Entschuldungbekam. Das Geschäft ging gut. Im Juli 1938 starb auch Großmutter. Anton war inzwischen in das Eisengeschäft von Herrn Abt in Ulm eingetreten. Er blieb zwei Jahre, dann kam er zur Firma Composch, Memmingen. Bald musste er zum Arbeitsdienst und dann zum aktiven Militär zum 91. Regiment nach Lindau.

Bald aber kam der Krieg. Politisch war es sehr unruhig. Österreich wurde ans Deutsche Reich angeschlossen, dann das Sudetenland. Am 29. September 1938 war ich mit Herrn Bald von Kreuzthal bei Herrn Waldle in Neuenzoll bei Landeck, um Bretter zu kaufen. Alfons musste nach München, um als SS-Mann Dienst zu tun. Ich fuhr mit Herrn Bald über Innsbruck nach Hause. Da hörten wir, dass der Duce, der französische und englische Ministerpräsident mit Hitler in München verhandelten, um einen Krieg zu vermeiden. Alles schien beigelegt werden zu können, und man fühlte sich eigentlich wirklich glücklich und zufrieden. Aber es war alles nur Schein.

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Sept. 1939 kam es zum Krieg mit Polen. Anton musste als aktiver Infantrist sofort ins Feld. Wir machten mit ihm noch eine Fahrt auf die Insel Mainau. Es war ein schöner Tag, aber die Sorge drückte schwer auf mich. Abends nahmen wir in Lindau Abschied voneinander, mit banger Sorge. Bald begannen die Kämpfe in Polen. Anton verlor bei (?) viele seiner Kameraden. Nach kurzen schweren Kämpfen war Polen erledigt. Mit Rußland schloß Hitler einen Nichtangriffspakt. Einen großen Teil von Polen musste man Rußland überlassen. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Es kam auch mit England, Frankreich, Belgien und Holland zum Krieg. Auch Alfons musste fort. Eswaren schwere Tage für die Eltern und die Schwestern.

Im Winter 1939 waren beide im Westen. Im Frühjahr begann der Kampf. Beide wurden Gefreite. Holland, Belgien, Frankreich und das englische Expeditionscorps wurden überrannt und geschlagen. In Deutschland herrschte großer Jubel. Anton wurde als Meldegänger mit dem E.K. II ausgezeichnet, Alfons kam bis nach Lyon. Dort hatten sie Kämpfe mit Schwarzen. Auch er verlor

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viele Kameraden. Dann kam der Waffenstillstand, geschlossen im Wald von Compiegne, im gleichen Waggon, in dem die Deutschen 1918 die Kapitulation unterzeichnen mussten. Es war eine große Demütigung für die sonst so stolzen Franzosen. Ich schickte meinen beiden Buben damals je ein Telegramm und gratulierte den tapferen Helden. Beide blieben längere Zeit in Frankreich als Besatzung. Aber der Krieg ging nicht zu Ende. Ich hatte in der Landwirtschaft und mit dem Sägewerk sehr viel Arbeit und machte öfter den Versuch, Alfons frei zu bekommen. Immerwieder wurde mir mitgeteilt, dass auf höheren Befehl hin kein Mann entlassen oder beurlaubt werden könne.

England gab nach der Niederlage von Frankreich, Holland, Belgien, Norwegen und Dänemark nicht nach. Es suchte und fand Hilfsvölker in Jugoslawien und Griechenland. Also wieder ein neuerFeldzug! Anton war wieder im Kampfe in Serbien. Diesmal aber hatte das Regiment wenig Verluste. Fast hätte ich vergessen: Das Infanterieregiment von Anton wurde jetzt als Gebirgsjäger umgestellt. Alfons blieb vorerst in Frankreich. Serbien und Griechenland wurden besiegt, auch die Insel Kreta wurde erobert. Nun trat Russland auf den Plan. Am 22. Juni 1941 erklärte Hitler Russland den Krieg. Ein furchtbarer Kampf begann. Der dauert noch bis heute.

Alles wurde mobilisiert. Meine beiden Buben stehen auch längst in Russland in schweren Kämpfenan der vordersten Front. Alfons kam noch einmal, bevor er nach Russland musste, zu einem kurzen Besuch nach Ottobeuren. Er war mit seinem Hauptmann auf der Fahrt von der spanischen Grenze nach Dachau und machte hier halt. In der Früh um 6 Uhr war er schon da. Wir waren hoch erfreut. Sein Hauptmann war sehr nett zu ihm. Er bekam noch ein paar Tage Urlaub, und dann gings nach Russland. Alfons ist zur Zeit im Norden, auf den Waldai-Höhen und kämpft als SS-Obersturmführer. Anton ist zur Zeit im Donezgebiet bei den Gebirgsjägern. Möge der Allmächtige beide beschützen, damit sie gesund die Heimat wiedersehen.

Der heurige Winter ist sehr schneereich und kalt. Wir haben 80 - 100 cm Schnee, das Thermometer zeigt 30° unter Null. Die Säge in Egg ist schon seit Weihnachten 1941 eingefroren. Heute haben (?) schon Mitte Februar. Voriges Jahr hat der Obersäger Eugen Vogler den Fuß abgerissen und war sieben Monate aus dem Betrieb. Mit Franz, seinem Bruder, ging es nicht gut. Eugen drückt auf Arbeit, Franz macht sich's gemütlich. Eugen hat nun den Bereitstellungsbefehl bekommen und sollte einrücken. Ich ging nun mit ihm und seinen ärztlichen Zeugnissen zum Wehrmeldeamt und brachte ihn nochmals frei. Ich weiß aber nicht, wie lange. Nun hören wir wieder von Fini, daß unser Schwiegersohn Toni jetzt wieder zur Flak nach Mainz einrücken muss. Er ist gesundheitlich nicht ganz fest. Wie wird es ihm doch ergehen? Um ihn sind wir auch sehr in Sorge. Ganz habe ich vergessen, dass ich in der Zwischenzeit ca. 15 Jahre auf die Jagd gegangen bin. Ich hatte mit Baumeister Mayer, einem guten alten Freund, den Bannwald und den Benninger Wald als Jagdrevier. Ich verlebte auf der Jagd viele schöne Stunden. Auch waren die Treibzeiten mit den anschließenden manchmal sehr nett. Aber für einen Geschäftsmann und Bauern wie mich, paßte das nicht so recht. Ich hatte viel zu viel Arbeit, und da gab ich den Sport wieder auf. Und nun, meine liebe Frau und meine lieben Kinder,

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Nun, meine liebe Frau und meine lieben Kinder, muss ich meinen Lebenslauf-Beschrieb bis heute, beenden. Aber auch die längste Zeit meines irdischen Daseins werde ich gelebt haben. Ich habe vieles erlebt, hatte gute und schöne Tage, hatte wirtschaftliches Glück. Aber auch viele Tage schwerer Bitternis und voller Enttäuschungen liegen hinter mir. Ich habe das Leben durchgekostet,doch habe ich auch vieles in der Welt gesehen.

Meine Hochzeitsreise machte ich nach Italien. 1910 war ich mit noch drei Herrn, Mayer, Fergg und Hafner in Paris. Später kam ich ins Rheinland, nach Wien, Budapest und bis an die rumänische Grenze. Auch kam ich in die Schweiz, viel in die schönen und herrlichen Berge von Tirol. Aber eines dürft ihr mir sicher glauben: Meine Gedanken und meine Sorgen galten immer Euch. Ich war immer darauf bedacht, für Eure Zukunft zu sorgen und das eine kann ich Euch auf Euren zukünftigen Lebensweg mitgeben, dass es kein Mensch auf der ganzen weiten Welt besser mit

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Euch meint als Euer Vater und Eure Mutter. Ich und Eure Mutter, wir fühlen uns glücklich und stolz,dass es uns gelungen ist, Euch als gesunde, dankbare Kinder um uns zu wissen.

Wohl wäre es uns lieber, wenn wir Euch hätten wirtschaftlich besser stellen können. Aber auch Ihr wisst, wie unbarmherzig uns das Schicksal mitgespielt hat. Hätte ich das Sägewerk am Bahnhof zehn Jahre später gebaut, dann wäre ich nicht in diese Deflation hineingeraten. Dann wäre es der richtige Zeitpunkt gewesen. Aber das ist nicht mehr zu ändern, wir müssen uns damit abfinden, wiees ist. Wir haben doch die schöne Heimat und mein sehnlichster Wunsch ist, dass Ihr gut miteinander auskommt und dass Ihr zusammen haltet in allen Lebenslagen. Wenn es einem von Euch einmal schlecht gehen sollte, dann steht einander bei, helft einander so gut es nur geht. Das eine ist sicher: Die fremden Menschen sind wie die Raubtiere und das alte Sprichwort: „Freunde in der Not, gehen 1000 auf ein Lot“[*]. Das ist nur allzu wahr, das habe ich im Leben oft verspürt.

Nun habe ich noch eine Bitte an Euch: Wir wissen nicht, wie lange wir noch leben, wie lange wir noch arbeiten können. Nach menschlicher Berechnung kann unser Leben heute oder morgen seinen Abschluss finden. Wenn ich nun so zurückblicke, so habe ich nicht das Gefühl, dass ich wissentlich jemand Unrecht getan habe. Auch ich würde Unrecht bitter empfinden. Mein Vater sagte schon: „Tuet Recht, scheuet niemand“!Diesen Grundsatz sollt auch Ihr beherzigen. Und deshalb bitte ich Euch: Lasst uns in unserenalten Tagen, wenn wir nicht mehr arbeiten können, auch noch mitkommen und denkt an das vierteGebot Gottes!

Und nun empfehle ich Euch alle demSchutze des Allmächtigen!

*Erläuterung des Sprichworts auf www.deutschlandradiokultur.de/freunde-in-der-not-gehen-1000-auf-ein-lot.1306.de.html?dram:article_id=193552

Freunde in der Not gehen 1000 auf ein LotWer weiß heute noch, was ein Lot ist, das nicht als Senkblei dient – in dem Sinne „alles ist im Lot“ oder„die Lotrechte“ –, sondern als Gewichtseinheit? Die machte etwa ein Dreißigstel Pfund aus und hat übrigens mit dem englischen „lead“ („Blei“) eine Beziehung, da man früher solche Gewichte aus Blei herstellte. Das Sprichwort bedeutet, dass in einer Notlage Freunde sehr leichtgewichtig sind, denn jeder einzelne wiegt ja nur ein Tausendstel eines dreißigstel Pfundes. Man kann sich in der Not also aufFreunde nicht verlassen.