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Meinung/Dialog Leisten die derzeitigen Reform- bemu ¨hungen in der deutschen Hochschullandschaft einen entscheidenden Beitrag dazu, dass deutsche Arbeitspla ¨tze in inter- nationalen IT-Wertscho ¨pfungsnetz- werken erhalten und ausgebaut werden ko ¨nnen? Prof. Dr. Hans Ulrich Buhl Nina Schroeder Nachdem im Heft 5/2004 das Thema IT- Standort Deutschland und Arbeitsplatzver- lagerung diskutiert wurde und dort die Ent- wicklungen der letzten Jahre dargestellt wur- den, soll in diesem Beitrag ein Teilaspekt der politischen Reformbemu ¨ hungen hinsichtlich der Rahmenbedingungen fu ¨r den IT-Stand- ort Deutschland im Detail beleuchtet wer- den. Im oben genannten Beitrag wurden die Entwicklung des IT-Standorts Deutschland und die Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland aus volkswirtschaftlicher und gesellschafts- politischer Sicht betrachtet. Darauf aufbau- end soll es in dieser Ausgabe um die Frage gehen, inwieweit die derzeitigen Bemu ¨ hun- gen zur Reformierung der deutschen Hoch- schullandschaft, wie bspw. die Etablierung von Elitenetzwerken oder der Exzellenzini- tiative, die Einfu ¨ hrung von Studiengebu ¨ hren oder die leistungs- statt tarifgebundene Ent- lohnung von Wissenschaftlern, einen ent- scheidenden Beitrag dazu leisten, dass deut- sche Arbeitspla ¨tze in internationalen IT- Wertscho ¨ pfungsnetzwerken erhalten und ausgebaut werden ko ¨ nnen. Obwohl die Voraussetzungen in Deutsch- land verglichen mit anderen La ¨ndern, z. B. aufgrund der hervorragenden Infrastruktur, gut sind, spielt Deutschland im weltweiten Standortwettbewerb und in internationalen IT-Wertscho ¨pfungsnetzwerken keine Vorrei- terrolle. Als Beispiel fu ¨ r die Schieflage der Wettbewerbssituation Deutschlands sei auf die Verlagerung von IT-Arbeitspla ¨tzen und die Abwanderung deutscher IT-Unterneh- men ins Ausland verwiesen, die in zahlrei- chen Meldungen in kurzen Absta ¨nden in der Presse zu lesen sind und oftmals von pessi- mistischen Zukunftsszenarien begleitet wer- den, die prognostizieren, dass in den na ¨chs- ten Jahren zunehmend weitere Millionen von Arbeitspla ¨tzen in Deutschland durch Offshoring verloren gehen. Dabei sollen ne- ben der Produktion auch zunehmend For- schungs- und Entwicklungsaufgaben sowie administrative Ta ¨tigkeiten ins Ausland ver- lagert werden. In der Februarausgabe 2005 des Informatikspektrums wird in der Dis- kussion um Offshoring und daraus resultie- renden Herausforderungen fu ¨ r die Informa- tik darauf hingewiesen, dass fu ¨ r ein Ent- gegenwirken dieser Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland von Informatikabsolventen ha ¨u- fig gefordert wird, dass sie doma ¨nenspezi- fisches Anwendungswissen in Verbindung mit interdisziplina ¨rer Arbeitsweise, Kom- munikationsfa ¨higkeit, Sinn fu ¨r wirtschaft- liche Fragestellungen und vor allem das Ver- sta ¨ ndnis von Gescha ¨ftsabla ¨ ufen und Gesamt- zusammenha ¨ngen im globalen Wettbewerb mitbringen. Von Seiten der Politik wurden in den letz- ten Jahren vielfa ¨ltige Reformvorschla ¨ge dis- kutiert, um diesen – den Standort Deutsch- land gefa ¨hrdenden Entwicklungen ent- gegen zu wirken. Als ein konkreter Ansatzpunkt wurden in den letzten Jahren grundlegende Vera ¨nderungen in der Hoch- schullandschaft vorgenommen. So wurde bspw. mit der Einfu ¨ hrung von Bachelor- und Masterstudienga ¨ngen eine internationale Angleichung der Abschlu ¨ sse sowie eine Mo ¨ glichkeit zum fru ¨ heren Einstieg ins Be- rufsleben geschaffen. Daneben wurde durch die Einrichtung von Elitestudienga ¨ngen das Gesamtangebot an Hochschulen um die Fo ¨ r- derung zu fachlichen Spitzenleistungen in Verbindung mit Perso ¨ nlichkeitsentwicklung erweitert und fu ¨ r Professoren im Rahmen der Reformierung der Professorenbesoldung finanzielle Leistungsanreize gesetzt. Mit der erst ku ¨ rzlich beschlossenen Einfu ¨ hrung von Studiengebu ¨ hren mit begleitenden Stipen- dien- und Finanzierungskonzepten in eini- gen Bundesla ¨ndern sowie der Mo ¨ glichkeit der Universita ¨ten, Studenten endlich selbst auszuwa ¨hlen, steht nun eine weitere grund- legende Neuerung in der Hochschulland- schaft an. Insgesamt stellt sich nun die Frage, ob die- se Reformbemu ¨ hungen im Hochschul- bereich ausreichen und inwieweit sie einen Beitrag dazu leisten ko ¨ nnen, dass deutsche Arbeitspla ¨tze in internationalen IT-Wert- scho ¨ pfungsnetzwerken erhalten bleiben bzw. neue Arbeitspla ¨tze geschaffen werden. Dies fu ¨ hrt zu einer Reihe von weiteren Fragen: Ist es u ¨ berhaupt mo ¨ glich, u ¨ ber Vera ¨nderungen in der Hochschullandschaft einen Einfluss auf die Wettbewerbsfa ¨higkeit deutscher Ar- beitspla ¨tze in internationalen IT-Wertscho ¨ p- fungsnetzwerken zu nehmen? Setzen die Re- formbemu ¨ hungen an den richtigen Stellen an? Gehen die Reformbemu ¨ hungen weit ge- nug? Inwieweit sind die oben genannten Probleme auf eine schlechte Ausbildungs- qualita ¨t oder politische Rahmenbedingungen zuru ¨ ckzufu ¨hren? Welche Szenarien sind mit bzw. ohne Reformbemu ¨ hungen fu ¨ r interna- tionale IT-Wertscho ¨ pfungsnetzwerke wahr- scheinlich? Welche weiteren Schritte der Hochschulreformen sind aus Sicht der natio- nalen Volkswirtschaft im globalen Wett- bewerb sinnvoll, um fu ¨ r eine internationale Wettbewerbs- und Innovationsfa ¨higkeit wie- der ein fruchtbares und auch fu ¨ r renommier- te Forscher attraktives Umfeld und damit neue Arbeitspla ¨ tze zu schaffen? Diese Fragen aufgreifend, widmen sich (in alphabetischer Reihenfolge) – Prof. Dr. Arndt Bode, Vizepra ¨sident Tech- nische Universita ¨t Mu ¨ nchen, Lehrstuhl fu ¨ r Rechnertechnik und Rechnerorganisa- tion – Prof. Dr. Peter Frankenberg, Minister fu ¨r Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Wu ¨ rttemberg – Martin Jetter, Gescha ¨ftsfu ¨ hrer IBM Cen- tral Holding GmbH und Leiter der Bera- tungssparte IBM Business Consulting Ser- vices fu ¨ r Nordost-Europa – Hermann-Josef Lamberti, Mitglied des Vorstandes und des Group Executive Committee, Deutsche Bank AG – Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts fu ¨ r anwen- dungsorientierte Wissensverarbeitung/n (FAW/n) Ulm – Lutz Stratmann, Minister fu ¨ r Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen dem aufgeworfenen Thema und beschreiben aus Sicht der Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowohl die aktuelle Situation als auch mo ¨ gliche Strategien zur Bewa ¨ltigung der skizzierten Herausforderungen. Prof. Dr. Hans Ulrich Buhl Nina Schroeder Lehrstuhl fu ¨ r Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsinformatik & Financial Engineering Kernkompetenzzentrum IT & Finanzdienstleistungen Universita ¨ t Augsburg Reform der deutschen Hochschul- landschaft: Sind wir fit fu ¨r den globalen Wettbewerb? Prof. Dr. Arndt Bode Globalisierung und Kommoditisierung Die Globalisierung der Wirtschaft ist ein Faktum. Die internationale Arbeitsteilung befindet sich in einem Vera ¨ nderungsprozess, der sich durch den wirtschaftlichen und poli- tischen Wandel in Osteuropa und Asien noch weiter beschleunigen wird. Neben den objektiven Gru ¨ nden fu ¨r die Vera ¨nderung, wie Konkurrenz u ¨ ber Kosten, Entstehen neuer Ma ¨rkte, Vera ¨nderung der Bevo ¨ lke- rungsstruktur, politische und soziale Syste- me, beeinflussen auch subjektive Faktoren WIRTSCHAFTSINFORMATIK 47 (2005) 6, S. 467 478 WI – Aktuell

Meinung/Dialog

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Meinung/Dialog

Leisten die derzeitigen Reform-bemuhungen in der deutschenHochschullandschaft einenentscheidenden Beitrag dazu, dassdeutsche Arbeitsplatze in inter-nationalen IT-Wertschopfungsnetz-werken erhalten und ausgebautwerden konnen?

Prof. Dr. Hans Ulrich BuhlNina Schroeder

Nachdem im Heft 5/2004 das Thema IT-Standort Deutschland und Arbeitsplatzver-lagerung diskutiert wurde und dort die Ent-wicklungen der letzten Jahre dargestellt wur-den, soll in diesem Beitrag ein Teilaspekt derpolitischen Reformbemuhungen hinsichtlichder Rahmenbedingungen fur den IT-Stand-ort Deutschland im Detail beleuchtet wer-den. Im oben genannten Beitrag wurden dieEntwicklung des IT-Standorts Deutschlandund die Arbeitsplatzverlagerung ins Auslandaus volkswirtschaftlicher und gesellschafts-politischer Sicht betrachtet. Darauf aufbau-end soll es in dieser Ausgabe um die Fragegehen, inwieweit die derzeitigen Bemuhun-gen zur Reformierung der deutschen Hoch-schullandschaft, wie bspw. die Etablierungvon Elitenetzwerken oder der Exzellenzini-tiative, die Einfuhrung von Studiengebuhrenoder die leistungs- statt tarifgebundene Ent-lohnung von Wissenschaftlern, einen ent-scheidenden Beitrag dazu leisten, dass deut-sche Arbeitsplatze in internationalen IT-Wertschopfungsnetzwerken erhalten undausgebaut werden konnen.Obwohl die Voraussetzungen in Deutsch-

land verglichen mit anderen Landern, z. B.aufgrund der hervorragenden Infrastruktur,gut sind, spielt Deutschland im weltweitenStandortwettbewerb und in internationalenIT-Wertschopfungsnetzwerken keine Vorrei-terrolle. Als Beispiel fur die Schieflage derWettbewerbssituation Deutschlands sei aufdie Verlagerung von IT-Arbeitsplatzen unddie Abwanderung deutscher IT-Unterneh-men ins Ausland verwiesen, die in zahlrei-chen Meldungen in kurzen Abstanden in derPresse zu lesen sind und oftmals von pessi-mistischen Zukunftsszenarien begleitet wer-den, die prognostizieren, dass in den nachs-ten Jahren zunehmend weitere Millionenvon Arbeitsplatzen in Deutschland durchOffshoring verloren gehen. Dabei sollen ne-ben der Produktion auch zunehmend For-schungs- und Entwicklungsaufgaben sowieadministrative Tatigkeiten ins Ausland ver-lagert werden. In der Februarausgabe 2005des Informatikspektrums wird in der Dis-

kussion um Offshoring und daraus resultie-renden Herausforderungen fur die Informa-tik darauf hingewiesen, dass fur ein Ent-gegenwirken dieser Arbeitsplatzverlagerungins Ausland von Informatikabsolventen hau-fig gefordert wird, dass sie domanenspezi-fisches Anwendungswissen in Verbindungmit interdisziplinarer Arbeitsweise, Kom-munikationsfahigkeit, Sinn fur wirtschaft-liche Fragestellungen und vor allem das Ver-standnis von Geschaftsablaufen und Gesamt-zusammenhangen im globalen Wettbewerbmitbringen.Von Seiten der Politik wurden in den letz-

ten Jahren vielfaltige Reformvorschlage dis-kutiert, um diesen – den Standort Deutsch-land gefahrdenden Entwicklungen – ent-gegen zu wirken. Als ein konkreterAnsatzpunkt wurden in den letzten Jahrengrundlegende Veranderungen in der Hoch-schullandschaft vorgenommen. So wurdebspw. mit der Einfuhrung von Bachelor-und Masterstudiengangen eine internationaleAngleichung der Abschlusse sowie eineMoglichkeit zum fruheren Einstieg ins Be-rufsleben geschaffen. Daneben wurde durchdie Einrichtung von Elitestudiengangen dasGesamtangebot an Hochschulen um die For-derung zu fachlichen Spitzenleistungen inVerbindung mit Personlichkeitsentwicklungerweitert und fur Professoren im Rahmender Reformierung der Professorenbesoldungfinanzielle Leistungsanreize gesetzt. Mit dererst kurzlich beschlossenen Einfuhrung vonStudiengebuhren mit begleitenden Stipen-dien- und Finanzierungskonzepten in eini-gen Bundeslandern sowie der Moglichkeitder Universitaten, Studenten endlich selbstauszuwahlen, steht nun eine weitere grund-legende Neuerung in der Hochschulland-schaft an.Insgesamt stellt sich nun die Frage, ob die-

se Reformbemuhungen im Hochschul-bereich ausreichen und inwieweit sie einenBeitrag dazu leisten konnen, dass deutscheArbeitsplatze in internationalen IT-Wert-schopfungsnetzwerken erhalten bleiben bzw.neue Arbeitsplatze geschaffen werden. Diesfuhrt zu einer Reihe von weiteren Fragen: Istes uberhaupt moglich, uber Veranderungenin der Hochschullandschaft einen Einflussauf die Wettbewerbsfahigkeit deutscher Ar-beitsplatze in internationalen IT-Wertschop-fungsnetzwerken zu nehmen? Setzen die Re-formbemuhungen an den richtigen Stellenan? Gehen die Reformbemuhungen weit ge-nug? Inwieweit sind die oben genanntenProbleme auf eine schlechte Ausbildungs-qualitat oder politische Rahmenbedingungenzuruckzufuhren? Welche Szenarien sind mitbzw. ohne Reformbemuhungen fur interna-tionale IT-Wertschopfungsnetzwerke wahr-scheinlich? Welche weiteren Schritte derHochschulreformen sind aus Sicht der natio-nalen Volkswirtschaft im globalen Wett-

bewerb sinnvoll, um fur eine internationaleWettbewerbs- und Innovationsfahigkeit wie-der ein fruchtbares und auch fur renommier-te Forscher attraktives Umfeld und damitneue Arbeitsplatze zu schaffen?Diese Fragen aufgreifend, widmen sich (in

alphabetischer Reihenfolge)– Prof. Dr. Arndt Bode, Vizeprasident Tech-nische Universitat Munchen, Lehrstuhlfur Rechnertechnik und Rechnerorganisa-tion

– Prof. Dr. Peter Frankenberg, Minister furWissenschaft, Forschung und Kunst desLandes Baden-Wurttemberg

– Martin Jetter, Geschaftsfuhrer IBM Cen-tral Holding GmbH und Leiter der Bera-tungssparte IBM Business Consulting Ser-vices fur Nordost-Europa

– Hermann-Josef Lamberti, Mitglied desVorstandes und des Group ExecutiveCommittee, Deutsche Bank AG

– Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher,Leiter des Forschungsinstituts fur anwen-dungsorientierte Wissensverarbeitung/n(FAW/n) Ulm

– Lutz Stratmann, Minister fur Wissenschaftund Kultur des Landes Niedersachsen

dem aufgeworfenen Thema und beschreibenaus Sicht der Wirtschaft, Wissenschaft undPolitik sowohl die aktuelle Situation als auchmogliche Strategien zur Bewaltigung derskizzierten Herausforderungen.

Prof. Dr. Hans Ulrich BuhlNina Schroeder

Lehrstuhl fur Betriebswirtschaftslehre,Wirtschaftsinformatik &

Financial EngineeringKernkompetenzzentrum IT &

FinanzdienstleistungenUniversitat Augsburg

Reform der deutschen Hochschul-landschaft: Sind wir fit fur denglobalen Wettbewerb?

Prof. Dr. Arndt Bode

Globalisierung und Kommoditisierung

Die Globalisierung der Wirtschaft ist einFaktum. Die internationale Arbeitsteilungbefindet sich in einem Veranderungsprozess,der sich durch den wirtschaftlichen und poli-tischen Wandel in Osteuropa und Asiennoch weiter beschleunigen wird. Neben denobjektiven Grunden fur die Veranderung,wie Konkurrenz uber Kosten, Entstehenneuer Markte, Veranderung der Bevolke-rungsstruktur, politische und soziale Syste-me, beeinflussen auch subjektive Faktoren

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 47 (2005) 6, S. 467–478

WI – Aktuell

das Geschehen. Der individuelle Anreiz, dieeigene Situation deutlich zu verbessern, be-steht vor allem fur Arbeitskrafte in den Ent-wicklungslandern.Insbesondere die Herstellung immateriel-

ler Guter wie Software ist vollig ortsunge-bunden, weil die finanziellen und technischenVoraussetzungen fur den Arbeitsplatz mini-mal sind. EineOrtsbindung entsteht allenfallsdort, wo geeignete Arbeitskrafte fehlen oderdie Einbindung in ein anwendungsspezi-fisches Wissen oder die Einbindung in einkonkretes materielles Produkt (eingebettetesSystem) erforderlich ist.Verschiedene Untersuchungen zeigen,

dass die Arbeitskosten im Bereich der Soft-ware und IT in den verschiedenen Landernum ganzzahlige, zum Teil zweistellige Fak-toren variieren, sodass starke Bewegungenentstehen, die entweder billige Arbeitskraftein Hochlohnlander importieren (Body Shop-ping) oder die Arbeit in Richtung auf Billig-lohnlander exportieren (Offshoring.)Im Bereich der Herstellung von Hardware

und Softwareprodukten wird der Trend zurGlobalisierung noch uberlagert von einemTrend zur Kommoditisierung. Unter Kom-moditisierung versteht man die Tendenz,dass sowohl fur die Hardware als auch furdie Software fur verschiedenste Anwendun-gen aus Kosten-, Zuverlassigkeits- und Inte-grationsgrunden zunehmend standardisierteGrundkomponenten verwendet werden. DieArbeit des Informatikers und IT-Ingenieursverandert sich daher: anstelle von voll maß-geschneiderten Losungen in Hardware undSoftware entstehen heute zunehmend Lo-sungen durch die Kombination bestehenderstandardisierter Grundbausteine. Ob durchdie Kommoditisierung Arbeitsplatze entfal-len, weil weniger Personen fur die Erstellungder standardisierten Grundkomponenten be-notigt werden, oder eher neue Arbeitsplatzeentstehen, weil durch die Verbilligung undVerbesserung der Produkte immer mehr An-wendungsbereiche fur digitale Losungen er-schlossen werden, ist fur ein einzelnes Landschwer entscheidbar. Als weltweite Tendenzkann aber sicher festgestellt werden, dass dieGesamtzahl der Arbeitsplatze im Bereich derHardware, Software und Anwendungenweiter stark steigen wird.�ffentlichkeit und Politik, aber auch die

Wissenschaft nimmt die Globalisierung nurzogernd zur Kenntnis. Ein wesentlicherGrund ist die komplexe Ausgangslage, dennselbst bei Beschrankung der Betrachtung aufein einzelnes Land sind kaum verlasslicheZahlen vorhanden. In der politischen Dis-kussion kann man mindestens drei Stromun-gen beobachten:– Der Berufsoptimist geht davon aus, dassdurch die Verbilligung der IT-Komponen-ten von Produkten durch geschicktes Aus-nutzen von Offshoring und Body Shop-

ping fur einzelne Hochlohnlander dieProdukte insgesamt soweit konkurrenzfa-higer auf dem Weltmarkt sind, dass inSumme mehr Arbeitsplatze entstehen.

– Der Kalte Krieger befurchtet trojanischePferde und sonstige Sicherheitsproblemefur Hochlohnlander und ruft deshalb nachstrengen politischen Einschrankungen vonBody Shopping und Offshoring.

– Der Realist versucht die unaufhaltsameEntwicklung qualitativ und quantitativ zuerfassen und geeignete Schlusse fur sichund sein Land zu ziehen. Er hofft viel-leicht, dass die starkere wirtschaftlicheVernetzung und eine langsame Nivellie-rung der Lohne einen Beitrag zur friedli-chen Kooperation der Nationen liefernkonnen.

Der Autor dieser Zeilen zahlt sich zu letzte-rer Kategorie und stellt sich die Frage, wel-che Lehren aus den vorliegenden Zahlen furdas Hochlohnland Deutschland zu ziehensind.Trotz SAP und Infineon ist der Schwer-

punkt der deutschen Hardware- und Soft-wareproduktion nicht auf Standardbausteinekonzentriert, sondern eher in Gesamtbran-chenlosungen von der Telekommunikationuber Energietechnik, Maschinenbau, Auto-mobil, Luft- und Raumfahrt bis hin zur Me-dizintechnik. Hier ist domanenspezifischesAnwendungswissen fur den Informatikerund IT-Ingenieur gefordert und haufig dieenge Kommunikation mit dem Endanwen-der. Die Verlagerung der Entwicklung isthier schwieriger als bei Standardprodukten.Eine besondere Starke hat die deutsche Wirt-schaft im Bereich eingebetteter Systeme, alsointegrierter Hard- und Softwarelosungen,die auch materiell in ein Produkt eingebun-den sind. Auch fur solche Produkte ist dasdomanenspezifische Anwendungswissen er-forderlich.Abschatzungen zum erzielbaren Gewinn

durch Offshoring im Vergleich zwischen eu-ropaischen Nationen und den USA zeigen,dass es zwei Nachteile fur europaische Lan-der gibt: Bei der Verlagerung in englischspra-chige Lander muss die Sprachbarriere uber-wunden werden und die neu geschaffeneKaufkraft in den Ziellandern des Offshoringrichtet sich oft auf Produkte, die in hohemMaße standardisierte Hard- und Softwarebeinhalten. Diese wird wiederum uberwie-gend in den USA und nicht in den europai-schen Landern produziert.Vorteile fur Deutschland beim Offshoring,

vor allem in osteuropaische Niedriglohnlan-der, sind die großere raumliche Nahe derStandorte sowie auch die großere soziokul-turelle Nahe.Fur Deutschland als typisches Hochlohn-

land gilt insbesondere, dass Arbeitsplatzenur dort im Lande gehalten werden konnen,wo die Produkte entsprechend besser und

innovativer sind: „Wir mussen um sovielbesser sein, wie wir teurer sind“. Anders for-muliert: Hochlohnlander konnen in der in-ternationalen Arbeitsteilung nur erfolgreichsein, wenn das Qualifikationsniveau in For-schung und Entwicklung durch hochstesQualifikationsniveau der Arbeitskrafte ge-kennzeichnet ist. Bildung und Forschungsind also die Hebel fur die Zukunft unseresLandes.

Hochschulen und Globalisierung

Hochschulen sind eine wesentliche Kom-ponente von Bildung und Forschung. Dernachfolgende Abschnitt konzentriert sichauf die Hochschule, auch wenn im Kontextder Globalisierung insbesondere der Familie,der Schule und der außeruniversitaren pri-vaten und offentlichen Forschung und Ent-wicklung ganz wesentliche Bedeutung zu-kommt. Insgesamt kann sicher festgestelltwerden, dass angesichts der Globalisierungin Deutschland zu wenig Anteil des Brutto-sozialprodukts in Forschung und Entwick-lung fließt. Das gilt sowohl fur Bildung undForschung allgemein als auch fur Vergleichs-zahlen spezifischer Natur, etwa die finanziel-le Ausstattung der Hochschulen pro einge-schriebenen Studenten.Neben der sicher notwendigen finanziel-

len Besserstellung von Bildung und For-schung sind aber insbesondere auch organi-satorische Erneuerungen der deutschenHochschulen notwendig, die es ermoglichensollten, bei Lehrenden und Lernenden neueKrafte zu aktivieren, die wir im globalenWettbewerb sicher benotigen.Die Arbeitsbedingungen der Hochschulen

in Deutschland werden durch Hochschulge-setze der Lander bestimmt, die ihrerseitsAusdruck des Standes der politischen Wil-lensbildung sind. Diese politische Willensbil-dung befindet sich in einem deutlichen Um-bruch zwischen altem und neuem Denken:Das alte Denken geht von einer vollstaatlichfinanzierten Hochschule aus mit dem Abiturals allgemeiner Zugangsberechtigung, einemkostenfreien Studium gleicher Qualitat in al-len Fachern und an allen Orten. Der Studentwird als gleichartig begabt und lernwillig vo-rausgesetzt. Schließlich gilt: Das SystemHochschule funktioniert dort am besten, woGesetze alle Details bis ins Letzte regeln.Demgegenuber steht das neue Denken:

Die Hochschulen sind privat organisiert undauf Qualitat und Effizienz hin optimiert. Siestehen in Konkurrenz zueinander und orga-nisieren auch intern wettbewerblich orien-tierte Strukturen sowohl hinsichtlich derProfessoren und Mitarbeiter als auch hin-sichtlich der Studierenden. Der staatlicheEingriff beschrankt sich auf allgemeine Rah-menbedingungen und globale Steuerungs-maßnahmen.

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Die existierenden Hochschulgesetze derdeutschen Bundeslander sind unterschied-lich, aber im Grunde oft dem alten Denkenverhaftet. Mit den folgenden Punkten sollexemplarisch aufgezeigt werden, warum einbeherzter Schritt in Richtung auf das neueDenken in der Hochschullandschaft drin-gend geboten ist, um den Standort Deutsch-land in seiner Qualitat zu erhalten.

These 1 – Aktivierung durchIndividualisierung

Alle gleichmacherischen Regelungen betreffsLehrenden und Lernenden sind zu beseiti-gen. Das beginnt beim Hochschulzugang,wo die allgemeine Hochschulreife und zen-trale Vergabemaßnahmen ersetzt werdenmussen durch gezielte Auswahl der Studie-renden durch die Hochschulen. Die Tech-nische Universitat Munchen hat in den letz-ten drei Jahren durch die Einfuhrung desEignungsfeststellungsverfahrens hervorra-gende Erfahrungen gemacht: Abiturientenbereiten sich besser auf ihr Studium und dieStudierentscheidung vor, personliche Bezugezwischen Professoren und spateren Studen-ten werden schon durch das Auswahl-gesprach hergestellt, individuelle personlicheLeistungen konnen besser als allein durchdie Abiturdurchschnittsnote berucksichtigtwerden, Abbrecherquoten sinken.Die Standardausbildung in Massenfachern

deutscher Hochschulen langweilt die 5–15%Besten und uberfordert eine große Gruppeschwacherer Studenten. Eine auf die jeweili-gen Kenntnisse individuell starker angepass-te Lehrform wird dringend benotigt. Seitvielen Jahren durchgefuhrte spezielle Ange-bote an Elitestudenten wie Sommerschulen,Zusatzveranstaltungen und eine Reihe neueingefuhrter Elitestudiengange an der Tech-nischen Universitat Munchen beweisen, dasshier ungeahnte neue Krafte gehoben werdenkonnen. Auch Tutorschulungen in kleinenGruppen zeigen gute Erfolge. Die Individua-lisierung muss allerdings noch weiter getrie-ben werden und kann z. B. auch durch dieverstarkte Nutzung technischer Medien imSinne des E-Learning verbessert werden.Auch die Einfuhrung von Studiengebuhren,die hochschul- und studiengangsspezifischsind und die voll der Verbesserung der Lehrezukommen mussen, sind in diesem Sinne einStuck positive Individualisierung. Selbstver-standlich sind Modelle der Studienfinanzie-rung wie Studienfonds Voraussetzung, damitnicht die soziale Herkunft uber die Studier-fahigkeit entscheidet.Die wissenschaftsfremden Regelungen des

Angestellten- und Beamtenrechts mussenbeseitigt und den Hochschulen Moglichkei-ten eroffnet werden, individuelle Leistungdurch besondere Anreizsysteme zu fordernund zu fordern.

These 2 – Wettbewerb und Profilbildungverbessern die Hochschulstrukturen

Die Regelungsflut geltender Hochschulge-setze in Deutschland zielt auf die flachen-deckende Herstellung gleichartiger Quali-tatsstandards. Der Wissenschaftsbetrieb imglobalen Wettbewerb kann aber nur dann er-folgreich sein, wenn er sich individuell aufseine Starken konzentriert und schwache Be-reiche in Forschung und Lehre abschafft. Indiesem Sinne muss sich staatliche Regelungdann ganz auf die globale Steuerung konzen-trieren und sicherstellen, dass durch die Indi-vidualisierung der Hochschulen keine wei-ßen Flecken auf der Landkarte von Bildungund Forschung entstehen.Konkret bedeutet dies, dass die Hoch-

schulen ein Globalbudget erhalten und dassEntscheidungen uber Berufungen, Studien-gange, Mitteleinsatz fur stutzende Maßnah-men wie Fundraising, gezielte Forderung desUmfeldes, allein Sache der Hochschule seinmussen.

These 3 – Integration von Ausbildung –Forschung – Wirtschaft fordert neueQualitaten

Die starke gesetzliche Regelung von Bildungund Wissenschaft unterbindet nicht nur indi-viduelle Spitzenleistungen in den einzelnenInstitutionen, sondern sie schafft auch hoheMauern zwischen diesen, die es zu beseitigengilt. Kooperationsmodelle zwischen Gymna-sien und Universitaten sowie eine starkereEinbindung der Großforschungseinrichtun-gen in die universitare Ausbildung sindebenso zu fordern wie der unmittelbare Wis-senstransfer zwischen Hochschulen undWirtschaft. Technologiezentren und einzelneerfolgreiche Ansiedlungen von Forschungs-und Entwicklungsabteilungen aus der Wirt-schaft in unmittelbarer raumlicher Nahe vonHochschuleinrichtungen, z. B. im For-schungszentrum Garching der TechnischenUniversitat Munchen, zeigen den erfolgrei-chen Austausch von Personen und Gedan-ken. Der weiteren Integration stehen oft aberschon allein Fragen des staatlichen Baurechtsentgegen, auf die die Universitaten nur dannEinfluss erhalten, wenn man ihnen die Bau-herreneigenschaft ubertragt.Fur die Gestaltung der Tatigkeit von Fa-

kultaten fur Informatik und Wirtschafts-informatik bedeutet die starkere Annahe-rung von Bildung, Forschung und Wirt-schaft eine Reihe von Maßnahmen, diedurchaus auch mit bestehendem Hochschul-recht kompatibel sind. Neben einer kleinenGruppe bestausgebildeter Kerninformatiker,die die Wissenschaft weitertreiben, werdenwir in Zukunft Informatiker in großem Um-fang benotigen, die entweder bereits im Stu-

dium domanenspezifisches Anwendungswis-sen gewinnen oder in der Lage sind, sich die-ses im Beruf zu erarbeiten. Aus dem Trendzur Kommoditisierung von Hardware undSoftware ist abzuleiten, dass auch im Studi-um die Kombination und Integration vonStandardbausteinen zu anwendungsspezi-fischen Losungen geubt werden muss. „Pro-grammieren im Großen“ und die Beruck-sichtigung von Randbedingungen aller Artist zu fordern. Neben dem anwendungsspe-zifischen Fachwissen sind hier verstarkt„soft skills“ gefordert: unternehmerischesDenken, Berucksichtigung juristischer undwirtschaftlicher Rahmenbedingungen, Kom-munikationsfahigkeit, allgemeine Arbeits-technik.Die Ausrichtung von Ausbildung und

Forschung an den Hochschulen muss sichverstarkt auf den Rat erfahrener Personlich-keiten aus der Wirtschaft abstutzen. Nebender Ebene des Hochschulrats auf Hoch-schulleitungsebene sollten die Fakultaten re-gelmaßig die eigene Arbeit durch Beirateevaluieren, in denen Vertreter der Wirtschaftihre Erfahrungen einbringen.

Fazit

Als Exportweltmeister seiner Produkte pro-fitiert Deutschland von der Globalisierung.Ein Export von Arbeitsplatzen im BereichInformatik/Wirtschaftsinformatik kann abernur verhindert werden, wenn durch Speziali-sierung auf Hightech permanent neue Ar-beitsplatze geschaffen werden. Die durchtraditionelle Hochschulgesetzgebung ge-schaffenen Strukturen sind hier hinderlich.Wir mussen sie andern, damit durch Indivi-dualisierung und Profilierung auf allen Ebe-nen die vorhandenen Krafte aktiviert und imglobalen Wettbewerb optimal eingesetztwerden.

Literatur

Der Autor ist Mitglied der ACM Task Force onJob Migration. Diese wird im Herbst eine ausfuhr-liche Stellungnahme zum Thema „Offshoring“ er-arbeiten. Diese und eine annotierte Bibliographiefinden sich dann unter http://www.acm.org/.

Prof. Dr. Arndt BodeVizeprasident Technische Universitat

MunchenLehrstuhl fur Rechnertechnik

und Rechnerorganisation

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Meinung/Dialog 469

Beitrag der Reformbemuhungenin der deutschen Hochschul-landschaft zum Erhalt und Aufbaudeutscher Arbeitsplatze ininternationalen IT-Wertschopfungs-netzwerken

Prof. Dr. Peter Frankenberg

Die deutsche Informations- und Telekom-munikations-Branche (ITK-Branche) siehtin jungster Vergangenheit wieder optimisti-scher in die Zukunft: Die Wachstums- undBeschaftigungserwartungen haben sich er-heblich verbessert. Dies andert aber nichtsdaran, dass dieser Wirtschaftssektor mittel-fristig vor einer massiven Herausforderungsteht, die in erster Linie mit der immer enge-ren globalen Wirtschaftsverflechtung zusam-menhangt. Angesichts landerubergreifenderUnternehmensfusionen und einer zuneh-menden Verlagerung von – immer haufigerauch hochwertigen – Tatigkeiten ausDeutschland in Schwellenlander wie bei-spielsweise Indien wird es immer wichtiger,die Position der deutschen Unternehmen inden transnationalen Wertschopfungskettenzu sichern. Davon hangen die Arbeitsplatzenicht nur in der ITK-Branche ab. Ohne leis-tungsfahige Unternehmen in der wichtigenQuerschnittstechnologie Informationstech-nik ware es um unsere gesamte wirtschaftli-che Zukunft schlecht bestellt.Was konnen die deutschen Hochschulen

dazu beitragen, die internationale Positionder deutschen ITK-Wirtschaft zu starken?Unstreitig ist, dass die Gesamtheit der wirt-schaftlichen Rahmenbedingungen stimmenmuss, damit dies gelingt. Vor allem die Belas-tung der Unternehmen durch Steuern, durchLohn- und Lohnnebenkosten ist hier zunennen. Unstreitig ist aber auch die Schlus-selrolle, die der Ausbildungsleistung derHochschulen zukommt. Sie mussen im We-sentlichen den Bedarf der Wirtschaft fur jun-ge Fachkrafte mit Fachwissen, Kreativitatund Einfallsreichtum sicherstellen.Es gibt an den deutschen Hochschulen ein

sehr breites Ausbildungsangebot fur die In-formatik und verwandte Facher – allein Ba-den-Wurttemberg verzeichnet uber 220 Stu-diengange im IT- und Medienbereich – , dasauch in der Qualitat den internationalen Ver-gleich nicht zu scheuen braucht. Dennochbesteht Handlungsbedarf, damit die Hoch-schulen in Zukunft flexibel auf die Anforde-rungen des Arbeitsmarktes reagieren undeine ausreichende Zahl moglichst junger,praxisnah ausgebildeter Absolventen hervor-bringen konnen.Welche politischen Schritte sind erforder-

lich?1. Die Ausbildungskapazitaten der Hoch-

schulen mussen langfristig entwickelt

werden, ohne kurzatmige Reaktionen aufNachfrageschwankungen. Baden-Wurt-temberg verfolgt deshalb seit vielen Jah-ren – auch uber wirtschaftlich schlechteZeiten der ITK-Branche hinweg – einekontinuierliche Politik des Ausbaus derIT-Ausbildungskapazitaten an seinenHochschulen und Berufsakademien.

2. Die Nachfrage nach Informatik-Studien-platzen tendiert dazu, sich an den aktuel-len Beschaftigungschancen zu orientieren.Zuletzt waren sinkende Zahlen von Infor-matik-Studienanfangern zu beobachten.Dies kann schon in naher Zukunft zueinem Fachkraftemangel fuhren – bereitsheute klagt jedes 7. ITK-Unternehmenuber Probleme bei der Rekrutierung vonSpezialisten. Deshalb sollte die Politik ge-zielt fur das Informatikstudium werben,auch im Sinne einer „antizyklischen“ Stu-dienwahl.

3. Die Einfuhrung der gestuften Studien-gange mit den Abschlussen Bachelor undMaster erlaubt ein strafferes Studium miteinem berufsbefahigenden Abschluss be-reits nach sechs Semestern. Zusammenmit einer verstarkten Auswahl der Stu-dierenden durch die Hochschulen lassensich so niedrigere Abbrecherquoten er-reichen.

4. Zunehmend kommt es auch darauf an, denStudierenden Schlusselkompetenzen zuvermitteln, die uber das reine Informatik-Fachwissen hinausgehen. Zu Recht wirdgefordert, im Studium auch Management-fahigkeiten und interkulturelle Kom-petenzen fur den Einsatz in einer globali-sierten Wirtschaft einzuuben. Fur dieEntwicklung entsprechender Studien-angebote bieten gerade die modularisier-ten, gestuften Studiengange große Chan-cen.

5. Der Staat ist aufgrund der dramatischenHaushaltssituation derzeit nicht in derLage, den Hochschulen einen Mittel-zuwachs zu sichern, wie sie ihn fur ihrewachsenden Aufgaben eigentlich brauch-ten. Deshalb muss der private Finanzie-rungsanteil dringend erhoht werden. Diesschließt auch einen Beitrag der Studieren-den zu ihren Ausbildungskosten in Formeiner moderaten, sozial vertraglich aus-gestalteten Studiengebuhr ein, wie sie inBaden-Wurttemberg 2007 eingefuhrt wer-den soll.

6. Nicht nur die Ausbildung in der Breite istzu sichern, auch Spitzenleistungen mussengefordert werden. Deshalb wird in Baden-Wurttemberg unter anderem die struktu-rierte Graduiertenausbildung (Promo-tionskollegs) ausgebaut. Das Land setztsich außerdem fur zusatzliche Programmezur Exzellenzforderung ein.

7. Schlusselworte fur den Erfolg im globalenWettbewerb sind Vernetzung, Koopera-

tion und Clusterbildung. Baden-Wurt-temberg folgt, gerade auch im ITK-Sek-tor, seit vielen Jahren einer Strategie dergezielten Starkung regionaler und bran-chenbezogener Cluster mit Unterneh-men, Hochschulen und Forschungsinsti-tuten als Partnern. Dazu gehort etwa dieForderung von Projekten der Verbund-forschung oder von Unternehmensgrun-dungen aus den Hochschulen heraus.

8. Im Interesse der Ausbildungsqualitatmussen die Hochschulen in der Lage sein,moglichst unternehmerisch zu agieren,ein klares Profil zu entwickeln und gezieltihre fachlichen Starken auszubauen. Aufdiesem Weg sind wir in Baden-Wurttem-berg schon weit vorangeschritten, zuvor-derst durch das neue, seit Anfang 2005gultige Landeshochschulgesetz. WeitereSchritte stehen aber noch aus. Vor allemdas Personalwesen der Hochschulen mussnoch flexibler und leistungsorientiertergestaltet werden.

Auf dem Gebiet der Unternehmenssoftwareist Baden-Wurttemberg hinter dem SiliconValley weltweit die zweitstarkste Region –ein Erfolg, an dem die Hochschulen im Landihren Anteil haben. Dieses Beispiel zeigt,dass es durchaus Chancen fur eine erfolgrei-che Positionierung der deutschen Wirtschaftin den globalen ITK-Wertschopfungsnetzengibt. Um diese Chancen zu wahren, mussenwir den hochschulpolitischen Reformpro-zess fortfuhren.

Prof. Dr. Peter FrankenbergMinister fur Wissenschaft,

Forschung und KunstBaden-Wurttemberg

Warum ist die IT-Branchebesonders von Auslagerungs-tendenzen betroffen?

Martin Jetter

Die richtige Wertschopfungstiefe in der ITzu finden und die richtigen Formen der Zu-sammenarbeit im Unternehmen und mitPartnern aufzusetzen ist eine vielschichtige,aber enorm wichtige Aufgabe. Kernpunktder Entscheidung sollte die Beantwortungder Frage sein: Welche Fahigkeiten des Un-ternehmens brauche ich, um mich vom Wett-bewerb zu differenzieren und fur welcheProzesse kommt es lediglich darauf an, einevernunftige Prozessqualitat zu optimalenKonditionen einzukaufen.Im zweiten Fall ist eine Verlagerung stan-

dardisierter IT-Dienstleistungen ins Auslandhaufig nahe liegend. Naturlich gibt es aber im

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Einzelfall immer wieder gute Grunde, von ei-nem solchen Schritt abzusehen, wie z. B. auf-grund des Anfalls einmaliger „Change-Over-Kosten“ (vor allem im Personalbereich), auf-grund einer unsicheren geopolitischen Lageim Auslagerungsland oder wegen daten-rechtlicher Aspekte.Aber trotz dieser Einschrankungen wird

sich in den nachsten Jahren kaum eine Bran-che so global aufstellen wie die IT-Industrie.Die primaren Grunde hierfur sind– das Fehlen von Barrieren aus Transportoder Logistik (der Datentransport ist imVerhaltnis zu Wertschopfung nahezu kos-tenlos und erfolgt ohne Zeitverlust),

– die internationale Einheitlichkeit derWerkzeuge der IT (Programmiersprachen,Datenbanken, Middleware etc.),

– die Existenz globaler Standards fur dieQualitatsmerkmale der IT-Dienstleistun-gen und

– das sehr gute Ausbildungsniveau im Be-reich der IT-Dienstleistung in vielen Lan-dern.

IBM ist langst ein global aufgestelltes Unter-nehmen (mehr als die Halfte des Umsatzeswerden außerhalb der USA erzielt, das Un-ternehmen ist in uber 160 Landern vertre-ten). IBM hat uberall auf der Welt fur die un-terschiedlichen Kompetenzen spezielleZentren aufgebaut, z. B. einen Call-Center-Standort in Erfurt, ein Hochsicherheits-rechenzentrum in Winterthur, Anwendungs-entwicklung in Indien; oder fur das BeispielResearch: u. a. Ruschlikon, Haifa, Peking;und 40 Entwicklungslabors weltweit, u. a.Boblingen. An all diesen Orten werden Kun-den aus aller Welt betreut. Mit der heute zurVerfugung stehenden Technologie ist weni-ger die Frage des Standorts wichtig, sondernob es gelingt, moglichst rasch, zuverlassigund zu hoher Qualitat einen Service zu er-bringen. Aufgaben konnen heute dort erle-digt werden, wo die besten Ressourcen sind.Dies ist langst Realitat. Die Kompetenzzen-tren der IBM haben sich teils schon seit den1970er-Jahren entwickelt.Wie in anderen Bereichen auch kommt es

bei klar beschreibbaren und an Standardsausgerichteten Tatigkeiten zur Ausbildungvon „Commodities“, bei denen der Wett-bewerb primar uber den Preis lauft. Wichtigist: nicht jede IT-Dienstleistung wird zurCommodity und es liegt an jedem Unterneh-men selbst, immer wieder neue innovativeIT-Dienstleistungen zu erbringen, die zu-mindest kurzfristig nicht zur Commoditywerden.Bei IBM besteht Innovation nicht nur in

der Erfindung neuer Technologien: Wett-bewerbsvorteile entstehen nur dann, wennTechnologien auf einzigartige Weise fur denKunden in seiner Branche angewendet wer-den. Wir mussen also Technologie mit demVerstandnis der Markte, in denen sich unsere

Kunden bewegen, verschmelzen. Erst so ent-steht Innovation.

Kann durch eine Verbesserung derdeutschen Hochschullandschaft dasAbwandern von Arbeitsplatzenin der IT-Branche verhindert werden?

In jedem Fall kann eine Verbesserung deruniversitaren Ausbildung einen Beitrag leis-ten, IT-Arbeitsplatze in Deutschland zu hal-ten, und zwar in etwa auf die gleiche Weise,wie unsere hervorragende Ingenieursausbil-dung dazu beitragt, Arbeitsplatze in der Au-tomobilbranche und im Maschinenbau inDeutschland zu sichern. Denn trotz einerenormen Zunahme der internationalen Ar-beitsteilung in der Automobilindustrie istdie Anzahl der dort in Deutschland Beschaf-tigten uber die letzten Jahrzehnte in etwakonstant geblieben.Wenn die These richtig ist, dass wir den

Commodity-Bereich der IT-Dienstleistun-gen nicht in Deutschland halten konnen,dann folgt unmittelbar, dass die Hochschul-ausbildung darauf abzielen muss, die Inno-vationskraft im IT-Umfeld zu starken. Klarist, dass ein erstklassiges, straffes, interdis-ziplinares und an den Anforderungen derPraxis ausgerichtetes Bildungsangebot hier-fur unabdingbar ist.Weiter ist es geboten, den Hochschul-

absolventen auch ein entsprechendes „Entre-preneur“-Denken zu vermitteln, damit esauch zur Umsetzung von der Idee zum spa-teren Geschaftserfolg kommt. Hier geht esalso nicht nur um die Vermittlung von Wis-sen, sondern auch um die Forderung vonLeistungs- und Risikobereitschaft und umdie �bernahme von Verantwortung.Es folgt, dass die Weiterbildung unserer

Beschaftigten ein zentraler Punkt wird. Ichschatze, dass ein IT-Spezialist alle zwei bisfunf Jahre sein Wissen grundlegend auffri-schen muss, um nicht in den Bereich derCommodity-Dienstleistungen zu geraten.Unser traditioneller Bildungsansatz, der da-von ausgeht, einen Absolventen in ca. funfJahren mit dem Rustzeug fur ein ganzes Be-rufsleben ausstatten zu konnen, muss dahererweitert und angepasst werden.IBM investiert jedes Jahr 750 Millionen

Dollar in die Weiterbildung der Mitarbeiter,davon gehen allein 200 Millionen Dollar inso genannte High-value-Services.Es sei aber auch betont, dass die Bildungs-

politik in einem entsprechenden Gesamtrah-men zu erfolgen hat. Es mussen die Rahmen-bedingungen geschaffen werden, die die In-novationseliten in Deutschland zu haltenvermogen. Dazu gehort unter anderem einestarkere Honorierung außergewohnlicherLeistungen, aber auch der Abbau von admi-nistrativen Hemmnissen.

Eine Verbesserung der Hochschulland-schaft ist also unabdingbar, aber eben nur einTeil in einem weit großeren Gesamtzusam-menhang.

Martin JetterGeschaftsfuhrer IBM Central

Holding GmbH undLeiter der Beratungssparte IBM BusinessConsulting Services fur Nordost-Europa

Beitrag der Reformbemuhungenin der deutschen Hochschul-landschaft zum Erhalt und Ausbaudeutscher Arbeitsplatze ininternationalen IT-Wertschopfungs-netzwerken

Hermann-Josef Lamberti

Man konnte kritisch hinterfragen, ob dieHochschullandschaft eine so große Be-deutung hat, dass Reformen einen „entschei-denden Beitrag“ zur Sicherung von Arbeits-platzen leisten konnen? Bedenkt man Stand-ortfaktoren wie die international hohenArbeitskosten, die Schwachen unseres Steu-errechts und die Vielzahl behordlicher Auf-lagen, sind Zweifel berechtigt, ob alleine mitReformen auf Hochschulebene der entschei-dende Schritt gelingen kann. Ich denke so-gar, dass sich die Tendenz zur Verlagerungenvon Arbeitsplatzen ins Ausland aufgrunddes globalen Lohngefalles grundsatzlichdurch keine Maßnahme auf Hochschulebenewird stoppen lassen.Dennoch macht es Sinn, uber Reformen

der Hochschulen nachzudenken. Denn wosollen in Zukunft deutsche (IT-)Arbeitsplat-ze entstehen, wenn nicht im Bereich hoherund hochster Qualifikation? Es ist schon fasteine Redensart, aber unser einziger Rohstoffist das Gold in den Kopfen. Wenn wir aufDauer unser international hohes Lohnniveauhalten wollen, dann wird dies nur uber ex-zellente Leistungen zu erreichen sein. Hier-bei spielen die Hochschulen zwar nicht diealleinige, aber doch eine wesentliche Rolle.

Spitzenforschung, not made in Germany?

Wie ist die Lage unserer Hochschulen? KeinZweifel: Deutschland ist nach wie vor ein an-gesehener Bildungsstandort, deutsche Uni-versitaten konnen sich in der Breite im inter-nationalen Vergleich durchaus messen lassen.Dies sollte aber nicht daruber hinweg tau-schen, dass wirkliche Spitzenforschung langstnicht mehr in Deutschland, sondern eher inTalentschmieden der angelsachsischen Lan-der stattfindet: Oxford, Cambridge, Harvard,Yale und Berkeley haben in Deutschland kei-

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ne Entsprechung. Gerade die Spitzenleistun-gen sind es aber, die technologischen Vor-sprung begrunden und damit fur die gesamteGesellschaft Wert schaffen. Ich will nicht so-weit gehen und die deutschen Universitatengutes Mittelmaß nennen. Man muss jedochfesthalten, dass Deutschland fur Spitzenfor-scher nicht attraktiv ist – alle deutschen No-belpreistrager der letzten Jahrzehnte arbeitenim Ausland, kein einziger auslandischer No-belpreistrager hat seine Arbeiten an einerdeutschen Hochschule abgeschlossen.

Elite-Universitaten –wenn, dann aber bitte richtig!

Lange politisch verpont, scheint die Politikdie Bedeutung von Spitzenleistungen fur un-sere Gesellschaft nunmehr erkannt zu haben.Wie sonst ware die Diskussion um deutscheElite-Universitaten zu verstehen. So begru-ßenswert dieser Paradigmenwechsel ist, sountauglich sind viele der eingeleiteten Maß-nahmen: Elite entsteht nicht durch Akklama-tion, nicht im Landerproporz und nichtdurch die Zuweisung von Finanzmitteln (beidenen sich gleich die Diskussion anschließt,an welcher Stelle die Mittel zuvor gekurztwurden).Eine Leistungselite kann sich nur im freien

Wettbewerb bilden – und dabei meine ichden internationalen Wettbewerb um die bes-te Forschung und Lehre und nicht den in-nerdeutschen Wettbewerb um die hochstenMittelzuweisungen. Notwendig sind daheralle Maßnahmen, die die Teilnahme der deut-schen Universitaten am internationalenWettbewerb ermoglichen. Dafur muss eineElite-Universitat nicht zwingend privat be-trieben werden (wie die meisten amerikani-schen Vorbilder), sie braucht aber die Frei-heit, sich Studenten wie Professoren selbstaussuchen zu konnen. Solange es eine Zen-trale Vergabestelle fur Studienplatze und festvorgeschriebene Professorengehalter gibt,wird sich keine Elite-Universitat entwickeln.Der Einstieg in die leistungsbezogene Pro-fessorenbesoldung ist ein erster, begrußens-werter Schritt. Langfristig sollten alle Hoch-schulen Vertrage mit ihrem Personal freiverhandeln konnen. Nicht jeder kann No-belpreistrager werden, wir brauchen auchDozenten fur Grundvorlesungen. Warummussen aber beide dasselbe Gehalt und die-selbe Vorlesungsverpflichtung haben? Dieeingeleiteten Reformen weisen zwar in dierichtige Richtung, gehen aber bei weitemnoch nicht weit genug.

Ohne Geld ist alles nichts . . .

Kein Themenkomplex in der Bildungspolitikist so ideologisch besetzt wie die Finanzie-rung: Der Streit um Studiengebuhren,

BAFoG und Mittelzuweisungen zwischenBund und Lander endet nicht selten vor demBundesverfassungsgericht.Leider geht der Streit oft am eigentlichen

Kern vorbei: So konnten z. B. Studiengebuh-ren ein Mittel sein, damit Hochschulen ihreStudenten als Kunden begreifen, denen sieeine Leistung schulden. Wer gute Leistungerbringt und deshalb mehr Studenten an-zieht, hatte auch einen finanziellen Vorteil.Die Selbststandigkeit der Universitaten wur-de gestarkt. Flankiert von einem Stipendien-system, das diesen Namen verdient, konntenauch die sozialen Fragen beherrscht werden.Wenn aber Universitatssekretariate zu Steu-ereinnahmestellen degradiert werden, die dieeingenommenen Gelder eins zu eins uberverminderte Mittelzuweisungen an das Landabfuhren, kommen Studiengebuhren einerBildungssteuer gleich. Damit lost man keinhochschulpolitisches Problem.Der große Wurf ware ein Hochschulsys-

tem, bei dem eine Universitat an ihren Stu-denten wie ein Unternehmen an seinen Kun-den finanziell profitiert und sich deshalb be-muht, eine gute Dienstleistung zu erbringen.Erste Ansatze gibt es. Allein, es ist noch einweiter Weg.

Hermann-Josef LambertiMitglied des Vorstandes

und des Group Executive CommitteeDeutsche Bank AG

Zur Rolle von IT in doppel-strategischen Ansatzen zurBewaltigung der Globalisierung

Prof. Dr. Dr. F. J. Radermacher

Ausgangsthese

Es ist die Ausgangsthese dieses Beitrags, dassdie aktuellen Globalisierungsprozesse falschlaufen und ein hoch entwickeltes und sozialausgerichtetes Land wie Deutschland da-durch in Schwierigkeiten gerat. Die Mog-lichkeiten der Verteidigung gegen globaleunadaquate Ordnungsstrukturen und An-reizsysteme sind begrenzt. Allenfalls helfendoppelstrategische Ansatze, die einerseitsglobal fur bessere Ordnungsstrukturen argu-mentieren (weltweite �kosoziale Marktwirt-schaft, Global Marshall Plan) und anderer-seits intern, d. h. in Europa und insbesonde-re in Deutschland, eine moglichst intelligenteVerteidigung des Erreichten organisieren.

Was macht ein Land reich?

Bezuglich einer solchen intelligenten Vertei-digung der Verhaltnisse in einem so vernunf-

tigen Land wie Deutschland ist entscheidendzu verstehen, was systemisch den Reichtumeines Landes ausmacht. Das sind im Wesent-lichen acht strukturbildende Elemente, diegeeignet miteinander verknupft sein mussen,namlich1. ein gut funktionierendes, leistungsfahiges

Governance-System,2. exzellent ausgebildete und geeignet orien-

tierte und motivierte Menschen,3. hervorragende Infrastrukturen auf inter-

nationalem Niveau,4. ein hervorragender Kapitalstock,5. Zugriff auf benotigte Ressourcen,6. eine leistungsfahige Geld- und Finanz-

struktur,7. eine leistungsfahige Forschung und inter-

national konkurrenzfahige Innovations-prozesse sowie

8. eine enge Einbettung der Unternehmenund Menschen in weltweite Wertschop-fungsnetzwerke.

Die besondere Rolle von IT

Die besondere Rolle der Informations- undKommunikationstechnik (IT) ist vor demHintergrund des Gesagten evident. IT hatheute eine große Bedeutung fur die Organi-sation von Governance. Sie ist unverzicht-barer Teil moderner Ausbildungssystemeund der maximalen Erschließung humanerPotenziale. IT ist selber Teil der Infrastruk-tur und tief in den Kapitalstock eingewoben.Sie ist hilfreich, um den Zugriff auf Ressour-cen zu organisieren. Moderne Geld- und Fi-nanzsysteme sind ohne IT nicht denkbar. ITist Teil vieler Innovationsprozesse und stelltselber eines der wichtigsten, vielleicht daswichtigste Feld der Innovation dar. Die Rol-le bezuglich der Einbindung in internationa-le Wertschopfungsnetzwerke ist offensicht-lich, ebenso die Bedeutung fur eine weitereAusdehnung des Dienstleistungssektors unddie breitflachige In-Wert-Setzung intellektu-eller Eigentumsrechte. Das heißt, es gibtwohl keine Technologie, die so eng mit derZukunftsentwicklung der Gesellschaft undder okonomischen Systeme verknupft ist wieIT. Vor diesem Hintergrund ist eine genaueBetrachtung dieses Segments wichtig. Dop-pelstrategisch wird man zugleich eine Vertei-digungslinie derart zu organisieren ver-suchen, dass jedem Burger eine Einbindungin digitale Welten eroffnet wird. Unbedingterforderlich ist die Forderung der Vernet-zung von Menschen untereinander und dieForderung der Ausbildung und Hochschul-ausbildung in diesem Bereich.�ber alles betrachtet sind dabei in

Deutschland interessante Ansatzpunkte ge-geben. Wir sind eines der reichsten und ambesten entwickelten Lander der Welt, habeneinen hohen Ausbildungsstand, eine gute In-frastruktur, wir sind Exportweltmeister und

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zentral in Europa gelegen. In einer Gesamt-betrachtung und vor dem Hintergrund desRuckbaus im offentlichen Sektor in Reaktionauf die schwierige Lage der offentlichenHaushalte ist aus Sicht des Autors das, was inDeutschland in Bezug auf eine immer bessereNutzung von IT bisher gelungen ist, bemer-kenswert. Dabei haben Foren und Partner-schaften wie das Information Society Forumder EU, das Forum Informationstechnik/Forum Info 2000 der Bundesregierung oderdie Public-Private-Partnerschaft D21 gehol-fen. Die Regierung hat sich explizit in der-artige Gestaltungsprozesse eingebracht, auchvor dem Hintergrund der entsprechendenProzesse in Europa. Der Beitrag Europas,ausgehend von der Initiative des damaligenEU-Kommissars Bangemann, ist hervor-zuheben. Dies gilt sowohl bezuglich der Er-zeugung von Aufmerksamkeit und der Ko-ordinierung der Prozesse als auch bezuglichStandards und die Liberalisierung der Tele-kommunikationsmarkte. Hilfreich ist auch,dass insbesondere die Industrie und derDienstleistungssektor in Deutschland dieseThemen stark zu ihren eigenen Anliegen ge-macht haben und von der Anwendung herkommend auch gute Moglichkeiten hattenund haben, sich dort zu platzieren.

Beitrage des Hochschulsektors

Der Hochschulsektor hat zur Erschließungder Potenziale im Bereich der Informations-technik wesentlich beigetragen. Das gilt vorallem fur die Universitaten, aber auch furFachhochschulen, Berufsakademien etc. Er-wahnt seien auch die vielfaltigen Programmefur die unterschiedlichen Schulformen, z. B.im Rahmen der Initiative „Schulen ansNetz“. Breitflachige Verfugbarmachung vonHardware, Vernetzung und Diensten undEntwicklung von Nutzerkompetenzen wa-ren dabei wichtige Themen. Im Hochschul-bereich erfolgte die Etablierung der Kern-informatik und neuer Facher wie Wirt-schaftsinformatik, Informatik in derVerwaltung etc. Dabei ist in kurzer Zeit eingewaltiger Transformationsprozess bezug-lich der Ausbildungssysteme parallel zumAufbau einer leistungsfahigen Forschung ge-lungen. In der Wirtschaftsinformatik habenAnwendungen in wirtschaftsnahen Prozes-sen bis hin zu neuen Organisationsstruktu-ren und dazu korrespondierenden software-nahen Dienstleistungen eine entsprechendeAufmerksamkeit gefunden. Dies reicht biszu neuen Business-Modellen. Der New-Economy-Boom, bei allen damit im Nach-hinein auch verbundenen Problemen undEnttauschungen, wurde durch die Beitrageim Bereich der Hochschulen von der inhalt-lichen und personellen Seite her erst ermog-licht. In diesem Umfeld ist ein breitflachigerVeranderungsprozess von intellektuellem

Potential, Kapitalstock und Infrastruktur inaufeinander bezogener Weise erfolgt. Ins-gesamt hat der Hochschulsektor und habendie dort tatigen Personen eine große Leis-tung erbracht, zu der auch die Neuschaffungund Neustrukturierung praktisch aller Stu-diengange und deren starkere Internationali-sierung und Durchlassigkeit gehoren.

Was steht jetzt an?Global Marshall Plan und Doppelstrategie

Was ist vor dem beschriebenen Hintergrundin Deutschland zu tun?Aussteigen kann man nicht, die globalen

Gegebenheiten kurzfristig andern auchnicht. Globalisierungsgestaltung ist schwie-rig, vor allem deshalb, weil unser starksterVerbundeter es anscheinend genau so will,wie es ist, auch wenn er das nicht sagen wur-de. Aufbauend auf interdisziplinaren Ana-lysen und einer breiten Ruckkopplung mitder Praxis uber vielfaltige Themenfelder undBranchen hinweg, empfiehlt dieser Text eineDoppelstrategie.1 Ein Global Marshall Plan zur Herbeifuh-rung besserer weltweiter Rahmenbedin-gungen,

2 Intelligente Ruckbau- und Verteidigungs-schritte in Deutschland auf Basis einesuberparteilichen Konsensus, der, wennuberhaupt, nur in Verbindung mit einerneuen globalen Positionierung denkbarist.

Zu 1: Die Global-Marshall-Plan-Initiative(http://www.globalmarshallplan.org), die voneinem breiten Netzwerk von Akteuren ge-tragen wird, zielt auf(a) die Durchsetzung der Millenniumsziele

der Vereinten Nationen(http://www.un.org/millenniumgoals)bis zum Jahr 2015,

(b) bessere weltweite Rahmenbedingungen,vor allem durch Verknupfung der WTOmit Kern-Sozial- und -Umweltstan-dards,

(c) ein zusatzliches Volumen von 100 Milli-arden Dollar Entwicklungsforderungpro Jahr,

(d) die Aufbringungen der benotigten100 Milliarden Dollar pro Jahr vor allemauch durch die Besteuerung globalerTransaktionen im internationalen Kon-sens und

(e) neue Formen der Umsetzung von Ent-wicklungsprozessen.

Europa wird als Hauptakteur eines solchenWeltprogramms gesehen, das sich am Erfolgder EU-Erweiterungsprozesse orientiert.Dem „Nein“ von Old Europe zum Irak-Krieg muss das „Nein“ von Europa zumglobalen Marktfundamentalismus und einEinsatz fur eine weltweite �kosozialeMarktwirtschaft folgen. Ein Global MarshallPlan nutzt Entwicklungslandern, nutzt dem

Mittelstand und den Arbeitnehmern in so-zialen Demokratien wie Deutschland undschutzt die Umwelt weltweit. „Plunderung“okologischer Systeme und sozialer Struktu-ren wird hingegen teurer und rechnet sichglucklicherweise deutlich seltener als heute.Zu 2: Solange der Global Marshall Plan

nicht durchgesetzt ist, gilt es zu uberleben:„Vogel friss oder stirb!“ Wenn man aber dasProblem kennt und beim Namen nennt,kann man sich intelligenter verteidigen, alsdas heute geschieht. Ein hoffentlich erreich-barer ubergreifender Konsens in Deutsch-land lasst ein viel geschickteres Agieren zu,als dies heute der Fall ist. Zentrale Ansatz-punkte sind eine intelligente Deregulierung,eine bessere Nutzung der Moglichkeitenmoderner Informations- und Kommunika-tionstechnik sowie die Schaffung eines neuenSegments von Arbeit im Bereich gemeinnut-ziger Stiftungen und Organisationen, z. B.unter Nutzung von Kombi-Lohn-Modellen.Deutschland ist einer der besten Standorte

der Welt, die �kosoziale Marktwirtschaftdas beste Marktsystem. Es lohnt sich, furdiese Errungenschaften zu kampfen und glo-bale Fehlentwicklungen auf der Systemebenezu korrigieren.

Zur Zukunft der IT

IT wird auf dem Weg in die Zukunft in je-dem Fall gebraucht. Aber wofur? Fur Kon-trolle des Individuums und fur die Durchset-zung der Macht der Spitze der Pyramide inneofeudalen weltweiten Strukturen oderzum Wohl der großen Mehrheit der Bevol-kerung und zur Forderung von Entwick-lung? Eher zur Durchsetzung von Eigen-tumsrechten um jeden Preis und zur Kon-trolle im Kampf gegen einen vermeintlichenFeind (trusted platform, homeland security,star wars) oder zur Forderung von Kreativi-tat und mehr Wertschopfung uberall? IT istein Schlussel fur die Zukunft, nutzen wir ihnrichtig – auch fur Deutschland.

Weiterfuhrende Literatur

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[Rade04] Radermacher, F. J.:Global Marshall Plan /Ein Planetary Contract. Fur eine weltweite�kosoziale Marktwirtschaft. �kosoziales Fo-rum Europa (Hrsg.), Wien, September 2004,ISBN 3-9501869-2-1.

[DiPR99] van Dijk, J.; Pestel, R.; Radermacher,F. J.: The European Way to the Global Informa-tion Society. In: The IPTS Report (1999) 32, S.10–16.

Prof. Dr. Dr. Franz Josef RadermacherLeiter des Forschungsinstituts

fur anwendungsorientierteWissensverarbeitung/n (FAW/n)

Beitrag der Reformbemuhungenin der deutschen Hochschul-landschaft zum Erhalt und Ausbaudeutscher Arbeitsplatze ininternationalen IT-Wertschopfungs-netzwerken

Lutz Stratmann

Deutschland, das Land, das einst fur geisti-gen Reichtum, innovative Ideen und Hoch-technologie stand und mit zahlreichen No-belpreistragern wie Rontgen, Planck oderKoch Wissenschaftsgeschichte schrieb, im-portiert heute mehr als es exportiert. Dietechnologische Leistungskraft im „Land derTechniker und Tuftler“ stagniert in den letz-ten Jahren. Innovationen treiben wirtschaft-liche Entwicklungen voran, sichern Wohl-stand, Beschaftigung und Zukunftsfahigkeit.Im Zeitalter der Globalisierung sind sie furDeutschland lebensnotwendig.Technischen Fortschritt hat es immer ge-

geben. Internet und E-Mail haben dafur ge-sorgt, dass der Fortschritt in der IuK-Tech-nologie schneller geworden ist. Trotz desEinbruchs im Jahr 2001 ist die IT-Branchenach wie vor von großer okonomischer undgesellschaftlicher Bedeutung. Sie ist dieBranche, die derzeit mit ca. 750.000 Beschaf-tigten etwa sechs Prozent des BIP erwirt-

schaftet und auch zukunftig den Arbeits-markt bestimmen wird. Eine Welt ohne mo-derne Informationstechnologie ist nichtmehr denkbar – sie spielt eine Schlusselrollefur die Leistungsfahigkeit jeder Industriena-tion.Da Deutschland (nicht zuletzt aufgrund

der Warnungen der entsprechenden Indus-trieverbande vor einem Studium der Infor-matik und der Ingenieurwissenschaften) bei-nahe den Anschluss an den technologischenFortschritt verloren hatte, schuf die damaligeBundesregierung im Jahr 2000 die sog.„GreenCard“, mit der auslandischen IT-Fachkraften in Deutschland zum Zweckeder Arbeit der Aufenthalt gewahrt wurde.Die meisten Bewerbungen fur die Green-Card kamen aus Pakistan, Bulgarien und In-dien. Das Experiment war jedoch allenfallsbegrenzt erfolgreich, sowohl wegen der un-zureichenden Bleibebedingungen als auchwegen der Einstellungspraxis der Unterneh-men in Deutschland.Erfolgreicher und nachhaltiger fur den

Standort Deutschland war das 2001 begon-nene und Ende 2004 ausgelaufene Bund-Lander-Sofortprogramm zur Weiterentwick-lung des Informatikstudiums an den deut-schen Hochschulen (WIS) – ein Programm,das den eigenen Nachwuchs im Land ge-starkt hat.Die von den Landern durchgefuhrten

Maßnahmen haben das Studienangebot imBereich der Informatik quantitativ und qua-litativ nachhaltig verbessert: �ber die gesam-te Laufzeit des Programms sind unter Be-rucksichtigung der im Zusammenhang mitdem WIS von den Landern zusatzlich finan-zierten Maßnahmen insgesamt rd. 2.800 neueStudienanfangerplatze eingerichtet worden.Mit der Verbesserung der Betreuungssitua-tion und der Qualitat der Lehre sind wichtigeBeitrage zur Verkurzung der Studienzeitengeleistet worden. Damit hat das WIS ins-gesamt wesentlich zum Abbau des Fachkraf-temangels in den Berufsfeldern der Informa-tik beigetragen. Die Entscheidung uber dieVergabe der ihnen zugewiesenen Mittel lagebenso wie die administrative Durchfuhrungdes Programms bei den Landern.Mit dem Programm wurde dem seinerzeit

erkannten besonderen Bedarf in der Ausbil-dung von Informatikern Rechnung getragenund eine Steigerung sowohl der Quantitatals auch der Qualitat der Informatikstudien-gange an den deutschen Hochschulen ange-strebt. Zuvor hat sich die Zahl der Studieren-den im Studienbereich Informatik zum WS2002/03 im Vergleich zum WS 1997/98 fastverdoppelt, dennoch ist seit 2001 schon wie-der ein Abwartstrend zu beobachten, der imStudienjahr 2004 gegenuber 2003 ein Minusvon 12% erreichte.

In vielen Bundeslandern werden die rich-tigen Rahmenbedingungen in der Hoch-schulpolitik gesetzt.Niedersachsen hat im Februar 2005 durch

eine entsprechende �nderung des Hoch-schulzulassungsgesetzes die hochschuleigeneAuswahlquote in zulassungsbeschranktenStudiengangen erheblich gesteigert. Nieder-sachsische Hochschulen konnen ab dem WS2005/06 ihre Studierenden nach folgendenAuswahlkriterien auswahlen: Durchschnitts-note der Hochschulzugangsberechtigung,gewichtete studienrelevante Einzelnoten derZugangsberechtigung und die von derHochschule festgestellte besondere Eignungfur den gewahlten Studiengang. Damit wirdsichergestellt, dass Angebot und Nachfrageschon bei der Hochschulzulassung einewichtige Rolle spielen.Die Umstrukturierung der traditionellen

Diplomstudiengange hin zu strukturiertenStudiengangen mit den Abschlussen Bache-lor und Master, bei der die Unternehmen erstkurzlich ihre Unterstutzung zugesagt haben,wird ebenfalls zu einer Verbesserung derQualitat der Lehre fuhren. Entscheidend furdie Studienfachwahl der Studienbewerbersind hier die Signale des Arbeitsmarktes.Niedersachsen wird so zugig wie moglich

Studienbeitrage einfuhren. Deutsche Hoch-schulen sind, gemessen an ihrer Studieren-denzahl, im internationalen Vergleich chro-nisch unterfinanziert und bußen daher ihreWettbewerbsfahigkeit ein. Angesichts derleeren Staatskassen mussen den Hochschulenneben der offentlichen Hand andere Finan-zierungsquellen eroffnet werden. Die Stu-dienbeitrage sollen den Hochschulen unge-schmalert zur Verbesserung der Lehre undihrer Bedingungen zur Verfugung stehenund eine Obergrenze von 500 a pro Semes-ter nicht uberschreiten. Die Hochschulensind gehalten, die Betreuung der Studieren-den zu verbessern und damit Studienzeitenzu verkurzen und Abbrecherquoten zu sen-ken.Ein nach wie vor fehlendes Tarifvertrags-

recht fur die Wissenschaft tragt entscheidenddazu bei, dass Hochschulen nicht als gleich-wertige Nachfrager auf dem internationalenArbeitsmarkt auftreten konnen. Die Tarif-verhandlungen haben hierzu bereits begon-nen, ein Abschluss ist bisher leider nicht ab-sehbar.

Ein entscheidender Schritt fur den Innovati-onsstandort Deutschland war die kurzlich ge-schlossene Bund-Lander-Vereinbarung uberdie gemeinsame Exzellenzinitiative von Bundund Landern, wonach der Bund zu 75% unddas jeweilige Land zu 25% zwischen 2006und 2011 bundesweit 40 Graduiertenschulenund 30 Exzellenzcluster finanziert. Zehndeutsche Universitaten werden nach dieserEinigung zudem mit 21 Millionen Euro jahr-lich zusatzlich gefordert, wenn sie ein beson-

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ders uberzeugendes Zukunftskonzept furden projektbezogenen Ausbau der Spitzen-forschung vorweisen konnen.Die bereits abgeschlossenen und die jungst

auf den Weg gebrachten Reformen im Hoch-schulbereich sind hervorragend geeignet, umdeutsche Arbeitsplatze in internationalen IT-Wertschopfungsketten zu erhalten und aus-zubauen. Entscheidend sind hier die Signaleund das Handeln der Unternehmer selbst.Ein wesentliches Problem Deutschlands

liegt in der hohen Arbeitslosenquote undden bestehenden arbeitsrechtlichen Rahmen-bedingungen, was sich auch nachhaltig aufden IT-Bereich auswirkt. Mit der Internatio-nalisierung und Technologisierung habensich die Anforderungen an den dazugehori-gen Arbeitsmarkt gewandelt. Die Strukturendes Arbeitsmarktes Deutschland sind jedochkaum verandert oder gar unflexibler gewor-den. �berreglementierungen sind ein we-sentliches Hindernis fur Einstellungen undExistenzgrundungen. Ziel muss es sein, diewirtschafts-, finanz-, sozial- und arbeits-rechtlichen Bedingungen wieder starker aufdie Forderung von Beschaftigung auszurich-ten. Starre Regelungen im Arbeitsrecht sinddie Bremse auf dem Weg Deutschlands andie Spitze internationaler IT-Wertschop-fungsnetzwerke.Damit Deutschland im internationalen

Wettbewerb bestehen kann, bedarf es desMuts und der Entschlossenheit auf Seiten derPolitiker und der Unternehmer. Hochschu-len konnen und mussen die Absolventen aus-bilden, die der Arbeitsmarkt braucht. Politi-ker mussen die arbeitsrechtlichen Grund-lagen schaffen, damit Unternehmer wiederPersonal einstellen. Nur so konnen wir dieAbwanderung qualifizierter deutscher Ab-solventen ins Ausland verhindern und denStandort Deutschland durch Wachstum undArbeitsplatze wieder voranbringen. Die Poli-tik muss der Wirtschaft die Entscheidung furneues Personal durch Lockerungen des Kun-digungsschutzes und Senkung der Lohn-nebenkosten erleichtern. Im Jahr 2002 hatteWestdeutschland in einem internationalenVergleich fur die Industrie nach Norwegenmit 26,36 a pro Stunde die zweithochstenArbeitskosten weltweit. Besonders hoch sindbei uns die Personalzusatzkosten, bei denenwir mit 11,62 a pro Stunde „Weltmeister“sind. Unternehmen mussen positive Signalean Studienbewerber geben und berucksichti-gen, dass ein Studium drei bis funf Jahredauert. Kluge Personalentwicklungspolitikkann sich nicht an Quartalsbilanzen orientie-ren.Die Hochschulpolitik muss auch kunftig

fur forderliche Rahmenbedingungen, mehr-jahrig verlassliche Finanzierung, Ziel- undLeistungsvereinbarungen und Qualitats-sicherung an den Hochschulen sorgen. Manwird auch in Zukunft darauf achten mussen,

dass neueste Informations- undKommunika-tionstechnologien in Lehre, Forschung undDienstleistung integriert werden. Die sog.„E-Politiken“ mussen forciert und koor-diniert werden. Es braucht weiterhin strategi-sche Konzepte fur die Entwicklung neuerwichtiger technologischer Schlusselbereiche.Auch eine Starkung des naturwissenschaft-lichen Unterrichts an den Schulen und diekonsequente Forderung von Nachwuchswis-senschaftlern wurden fruhzeitig den Grund-stein fur einen qualifizierten Nachwuchs anInformatikern bilden.Deutschland verfugt uber starke Hoch-

schulen, die hervorragende Absolventen her-vorbringen. Dieses Land braucht mutigdenkende Unternehmer, die dieses Human-kapital nutzen und damit vorhandene Poten-ziale fordern. Deutschland muss wieder denMut zu eigenen Innovationen finden.

Lutz StratmannMinister fur Wissenschaft und Kultur

Niedersachsen

Mitteilungen desGI-Fachbereichs Wirtschafts-informatik

Neue GI-Fachgruppe „Mobilitatund Mobile Informationssysteme“(MMS)

Motivation

Die Bedeutung des Faktors Mobilitat als ge-sellschaftliches und okonomisches Phano-men ist unubersehbar. Die dynamische Ent-wicklung auf dem Gebiet mobiler und ubi-quitarer Technologien und ihre zunehmendeIntegration in das Internet haben ein neuesAnwendungs- und Forschungsfeld fur dieInformatik entstehen lassen. Die vollen Po-tenziale mobiler Technologien werden sichjedoch nur dann entwickeln und ausschop-fen lassen, wenn es gelingt, potenzielle An-wender, Entwickler und Forscher in einenintensiven Dialog zu bringen. In Deutsch-land existieren in der Zwischenzeit viele Ein-zelinitiativen mit zum Teil sehr unterschied-lichen Ausrichtungen. Ein gemeinsames Fo-rum scheint sinnvoll – ein solches Forumwill die neu gegrundete Fachgruppe „Mobi-litat und Mobile Informationssysteme“(MMS) bieten.

Ziele und Aktivitaten der Fachgruppe

Ziel der neuen Fachgruppe ist es, eine offenePlattform und ein Diskussionsforum fur mitmobilen Technologien und Anwendungenzusammenhangenden Themen und Frage-stellungen, wie die unten aufgelisteten, zuschaffen:& Mobile Datenbanken und Informations-

systeme& Technologien und Infrastrukturen fur

mobile Anwendungen& Mobile Business (mobile Anwendungen

in Unternehmen)& Mobile Geschaftsprozesse& Mobile Commerce& Mobile Anwendungen und Anwendungs-

felder& Sicherheit mobiler Anwendungen& Entwicklung mobiler AnwendungenDabei soll einerseits eine Integration von

Wissenschaft und Wirtschaft, andererseitseine Zusammenfuhrung von technischem so-wie markt- und anwendungsbezogenemWissen unterstutzt werden. Bisherige Akti-vitaten, zum Beispiel das Mobile ApplicationResearch Center (MARC) des ArbeitskreisesMobile Business (AKMB), das Zentrum furMobilitat und Information (ZMI), und derGI-Arbeitskreis Mobile Datenbanken undInformationssysteme (m-dbis), werden in dieFachgruppe integriert. Eine Kooperation mitverwandten Fachgruppen ist angestrebt.Die Fachgruppe wird jahrlich zwei Ver-

anstaltungen anbieten, die auch mit einemformellen Mitgliedertreffen verbunden wer-den. Die erste solche Veranstaltung war imSeptember 2005 der Workshop „Mobiles In-formationsmanagement und seine Anwen-dungen“ im Rahmen der GI-Jahrestagung.Auch die zweite, großere Veranstaltung istschon in der Planung: Im Februar 2006 wirddie erste MMS-Konferenz (zusammen mitder MKWI) in Passau stattfinden. Details da-zu sind auf der Webseite der Fachgruppeverfugbar.Daruber hinaus erscheint monatlich ein

elektronischer Newsletter.

Organisatorisches

Die Fachgruppe gehort zu den beiden Fach-bereichen „Wirtschaftsinformatik“ und „Da-tenbanken und Informationssysteme“. Fach-gruppenmitglieder konnen wahlen, welchemder Fachbereiche sie angehoren wollen.Die Grundung der Fachgruppe wurde von

Klaus Turowski (Sprecher), Birgitta Konig-Ries (stellv. Sprecherin), Franz Lehner undKey Pousttchi initiiert. Des Weiteren konn-ten Martin Breunig, Hagen Hopfner, KaiRannenberg und Can Turker zur Mitarbeitim Leitungsgremium gewonnen werden.Fur alle Interessierten besteht ab sofort die

Moglichkeit, Mitglied in der Fachgruppe zu

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 47 (2005) 6, S. 467–478

GI-FB WI 475