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1 MELANCHTHON-GYMNASIUM NÜRNBERG Im 491. Schuljahr beschloss die Klasse 7b, ein kleines Büchlein zu schreiben. Man wollte herausfinden, was Martin Luther in unserer Stadt bewirkt hat. Dies geschah im Jahre des Herrn MMXVII. Autorinnen und Autoren: Klasse 7b Herausgeberin: Dr. Martina Switalski Layout: Konrad Birkmann Lektorat: Karin Verscht-Biener Schülerfotos: Daniel Melamed Umschlagbild: Anna Krahls „Luther als Augustinermönch“ und Klassenbild der 7b von Thomas May Textbearbeitung: Felix Meer Frontispiz: Nürnberg in der Lutherrose von Kya Heimbach Druck: mabase Verlag, Kirchfarrnbacher Str. 6, 90449 Nürnberg www.mabase-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Printed in Germany Abbildung: Taufe Christi vor den Toren Nürnbergs. Im Vordergrund Jan Hus, Martin Luther und Philipp Melanchthon, Holzschnitt um 1558 (Ausschnitt)

MELANCHTHON-GYMNASIUM NÜRNBERG€¦ · Felice Pomerancev und Daniel Melamed 10. November 1483, Lutherstadt Eisleben: Margarethe Luther gebahr ihren Sohn Martin Luther. Sie weiß

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MELANCHTHON-GYMNASIUM NÜRNBERGIm 491. Schuljahr beschloss die Klasse 7b, ein kleines Büchlein zu schreiben. Man wollte herausfinden, was Martin Luther in unserer Stadt bewirkt hat. Dies geschah im Jahre des Herrn MMXVII.

Autorinnen und Autoren: Klasse 7bHerausgeberin: Dr. Martina SwitalskiLayout: Konrad BirkmannLektorat: Karin Verscht-BienerSchülerfotos: Daniel MelamedUmschlagbild: Anna Krahls „Luther als Augustinermönch“ und Klassenbild der 7b von Thomas MayTextbearbeitung: Felix MeerFrontispiz: Nürnberg in der Lutherrose von Kya HeimbachDruck: mabase Verlag, Kirchfarrnbacher Str. 6, 90449 Nürnberg www.mabase-verlag.de Alle Rechte vorbehalten Printed in GermanyAbbildung: Taufe Christi vor den Toren Nürnbergs. Im Vordergrund Jan Hus, Martin Luther und Philipp Melanchthon, Holzschnitt um 1558 (Ausschnitt)

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Martinus sum - Norimberga in urbeoder

Luther in NürnbergInhalt

Autorinnen und Autoren 4Vorwort der Herausgeberin 6

Luthers Gewittererlebnis 1505 von Felice Pomerancev und Daniel Melamed 7Luthers Höllenangst von Charlotte Redenbacher 8Hansens Hoffnung auf den Ablasshandel in Nürnberg von Therese Bauer 9Lukas Cranach malt Martin Luther von Rafael Drijman 10Luther bei den Augustinermönchen im Jahr 1518 von Lena Falter 13Luthers härtester Gegner hieß Dreck von Matilda Bommer 14Wie stehen die Patrizier zum Ablasshandel? von Anselm Pollety 15Luthers Angst vor dem Reichstag zu Worms von Leo Kolb 17Luther in Worms von Ronja Wadenstorfer und Matilda Bommer 18Pilgerreise ins Heilige Land von Antonia Helbig 19

Der gnädige Gott Martin Luthers von Kya Heimbach 24Die Verbrechen der Christen in Südamerika von Michael Schieder 26Ein Abendessen im Hause Martin Luthers 1527 von Emil Eckmann 27Bauernkrieg und Luthers Haltung von Polina Proskura 28Thomas Müntzer, der Bauernführer von Michael Schieder 29Das Mögeldorfer Konfessionsbild von Philipp Renner 32In eodem anno bei Albrecht Dürer(dem Jüngeren) von Nicolas Aldebert 34Die confessio Augustana 1530 von Leo Hentschel 35Die Beerdigung Lucas Cranachs von Oisin Gogarty 37Ein Blick auf das Eheleben von Martin und Katharina von Pia Kranich 38Martin Luthers letzte Predigt von Lena Falter und Michelle Höna 40

Die ersten Schüler erleben die Humanisten von Theresa Bauer 41Melanchthons Schulgründung von Ronja Wadenstorfer 42

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Schulgründung aus Schülersicht von Johannes Regenfus 43Wer war der Reformationshelfer Veit Dietrich von Felice Pomerancev 45Dürers Stich von Melanchthon 1525 von Lisa Scharrer 47Das Schulwesen zu Zeiten Melanchthons von Caroline Steinfeld 49Der Losunger Ebner und Luther von Kya Heimbach 51Kaspar Nützel übersetzt Luthers Thesen für Nürnberg von Oisin Gogarty 51Hans und Jakob sehen das Männleinlaufen von Rafael Drijman 52Was ist die Goldene Bulle? von Michelle Höna 54Kaspar Sturms Unterstützung der Reformation von Pia Kranich 55Hans Sachs und die „Wittenbergisch Nachtigall“ von Ch. Redenbacher 57

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Autorinnen und Autoren

Felice Pomerancev Theresa Bauer Pia Kranich

Leo Kolb Charlotte Redenbacher Caroline Steinfeld

Anselm Pollety Kya Heimbach Lena Falter

Johannes Regenfus Philipp Haack Rafael Drijman

Ronja Wadenstorfer Matilda Bommer Leo Hentschel

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Autorinnen und Autoren

Michael Schieder Timm Suroff Philipp Renner

Nicolas Aldebert Michelle Höna Polina Proskura

Lisa Scharrer Antonia Helbig Felix Meer

Oisin Gogarty Daniel Melamed Emil Eckmann

Dr. Martina Switalski

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Vorwort

Martinus sum – Norimberga in urbe

Ein Buch zum Reformationsjubiläum 2017

2017 war d a s Jahr des 500jährigen Reformationsjubiläums und zeigte aller-orts die Folgen jenes Thesenanschlags von 1517 auf unsere heutige Welt. Die von Luthers engstem Mitstreiter Philipp Melanchthon 1526 am Egidienberg gegründete Schule will da nicht zurückstehen. Meine 7b hat sich im geschicht-lichen Umfeld umgetan, um herauszufinden, welche Wirkung Luther auf Nürn-berg hatte. Ganz im Sinne damaliger Reformatoren, die die Menschen zur in-dividuellen Bibellektüre und -auslegung einluden und damit den Begriff der Individualität stärkten, haben sich die einzelnen Schülerinnen und Schüler mit Gestalten der Reformation beschäftigt und deren Zusammenhang zum refor-matorischen Geschehen der Frühen Neuzeit in Nürnberg herausgearbeitet. Das Ergebnis ist eine Blütenlese von fiktiven Texten auf der Basis historisch recher-chierter Fakten. Der Stil ist gewollt. Es bleibt innerhalb der derzeitigen Schulst-rukturen wenig Platz für freies und kreatives Schreiben. Insofern war es mir als Initiatorin eine Freude, im Rahmen dieses Schuljahresendprojekts einen Schreibanlass zu schaffen, den alle mit Wortgewalt und Phantasie erfüllten. Ich danke meinen Schülerinnen und Schülern der 7b und Ihnen, liebe Lese-rinnen und Leser, gleichermaßen für die Teilhabe und Aufmerksamkeit unter unserem Motto der permanenten Wandlung: Schola semper reformanda!

Die Recherchegrundlage dieses Büchleins war unsere gut bestückte Schulbi-bliothek. Für bibliophile Hilfe danken wir unserer Bibliothekarin Cornelia Hentschler-Ilg und Frau Dr. Martina Bauernfeind, die spezielle Norica-Litera-tur zur Verfügung stellten. Mein herzlicher Dank geht auch an meine Kollegin Karin Verscht-Biener, die das Schülerprojekt gewohnt sorgfältig korrigierte. Durch seine gleichermaßen liebevolle wie selbstverständliche Hilfe gestaltete Konrad Birkmann die Texte und erstellte das Layout. Wie Martin Backhouse, der den kleinen Text in seinen Verlag aufnahm, stellt er seine Verbundenheit zu unserer Schule ein weiteres Mal unter Beweis. Ihnen allen sei im Namen der 7b Dank gesagt!

Dr. Martina Switalski

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Luthers Gewittererlebnis

Felice Pomerancev und Daniel Melamed

10. November 1483, Lutherstadt Eisleben: Margarethe Luther gebahr ihren Sohn Martin Luther. Sie weiß natürlich nicht, welche wichtige Rolle dieses neugeborene Kind in der sich später ereignendenen Reformation einnehmen wird. Kurz nach der Geburt seines ersten Sohnes kaufte sich Hans Luther ein kleines Haus in Mansfeld. Martin begann auf Wunsch seines Vaters ein Jura-studium in Erfurt. Er war im Jahr 1505 gerade 21 Jahre alt und Jurastudent in Erfurt. Am 2. Juli befand er sich nach einem Besuch in Mansfeld auf dem Weg zurück nach Erfurt und geriet in der Nähe von Stotternheim in ein schweres Gewitter. Nachdem ein Blitz in seiner Nähe einschlug, rief er in Todesangst die heilige Anna an und legte in einem Gebet ein Gelübde ab: „Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden“. Zwei Wochen später bat Martin Luther die Augustinermönche in Erfurt um Aufnahme in den Orden. Doch sein Vater war enttäuscht über diese Entscheidung, denn er hatte große Hoffnung in das Studium und die spätere Karriere seines Sohnes gesetzt.

Unterwegs ist er in die Erfurt‘ sche Stadt,da er dort sein Jurastudium hat.Doch plötzlich kommt ihm in den Sinn,er will da eigentlich gar nicht mehr hin.

Genau in diesem Momenter ein gewaltiges Unwetter erkennt.„Hilf du, heilige Anna, ich will Mönch werden!“,ruft er, um nicht zu sterben.

Er überlebt und zögert nicht,zum Mönch wird er voll Zuversicht.Dieser Schritt erfolgt recht jung,ab jetzt lebt er mit neuem Schwung.

All dies passierte 1505, Anfang Juley;er fuhr gerade bei Stotternheim vorbei.

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Luthers Höllenangst

Charlotte Redenbacher

Lieber Vater,ich schreibe diesen Brief, um dir mitzuteilen, dass ich jetzt ein Mönch bin und im Kloster lebe. Ich weiß, dass du nicht religiös bist, ich jedoch genieße die täglichen Rituale hier. Der Alltag im Kloster ist geprägt von den Gebeten. Um sechs Uhr morgens wird die Prim gebetet, um neun die Terz, um zwölf die Sext, um 15 Uhr die Non, dann um 18 Uhr die Vesper und um 21 Uhr die Kom-plet. Dabei gibt es festgelegte Gebete, Psalmen oder Hymnen, um Gott zu lo-ben oder zu danken. Trotzdem fürchte ich den Tod, denn durch mein Studium von Dantes „Göttlicher Komödie“, wo er minutiös beschreibt, wie die Sünder für ihre Sünden bestraft werden, bekam ich schreckliche Angst. So werden die Sünder von gehörnten Teufeln mit Peitschen getrieben, man muss sich teil-weise in ätzendem Kot wälzen, es gibt Gräber, in denen man kopfüber in Felslöcher gesteckt wird, aus denen nur brennende Sohlen herausragen. Auch soll es Pechfluten geben, bei denen man mit Gabeln an Land gezogen und dann geschunden wird, wenn man den Kopf dort hineinsteckt. Auch gibt es in der Hölle Schlangen, durch deren Bisse man zu Asche zerfällt, um bald darauf wieder auferstehen zu müssen. Ich hoffe, du kannst meine Entscheidung, jetzt religiös zu leben, verstehen und zugleich auch meine Ängste vor dem Tod und der Hölle nachvollziehen.Liebe Grüße an meine liebe MutterDein Sohn Martinus

Stefan Lochner: Weltgericht, um 1435 (Ausschnitt)

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Hansens Hoffnung auf den Ablasshandel in Nürnberg

Theresa Bauer

Ihr kennt mich noch nicht. Ich bin Hans und komme aus Nürnberg. Ich bin jetzt 13 Jahre alt. Normalerweise helfe ich meinem Vater in der Werkstatt. Er ist Schuhmacher und hat nicht schlecht zu tun. Wenn ich zwischen zwei Auf-trägen, die ich austragen muss, mal Zeit habe, schaue ich bei Jakob oder An-tonius vorbei. Der eine ist bei Dürer Lehrjunge und Antonius hilft auf dem Hof seiner Eltern in Wöhrd. Meine Großmutter ist vor kurzer Zeit gestorben. Ich bin sehr traurig, da ich meine Oma sehr gern mochte. Meine Familie und ich trauern und beten nun für sie. Wir sind eine sehr gläubige Familie, meine zwei jüngeren Brüder, meine Mutter, mein Vater und ich. Mein Vater hat seine Werkstatt in der Altstadt unterhalb der Burg. Ich will euch, die ihr das hier lest, ein wenig von unserer Zeit erzählen. Damals, als Martin Luther Augusti-nermönch wurde und dann die Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug, änderte sich unser ganzes Leben. Ich will euch sagen, was dieser Mann in Nürnberg bewirkte. Unser Glaube bestimmt unseren Alltag. Da meine Groß-mutter viel von unserer Religion verstand, hat sie mir viel erzählt und hat mir

Moritz Steinla: Johann Tetzel als Ablasshändler, um 1822

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gezeigt, wann und wie man betet und in die Kirche geht. Momentan ist der Ablassprediger Johann Tetzel in unserer Stadt. Auf dem Grünen Markt war heute eine große Versammlung, zu der ich mich dazugesellt habe. Auf einer kleinen Bühne stand Tetzel und hielt eine sehr aufregende Predigt: „Stellt euch vor, ihr könnt nicht einschlafen, da ihr euch am vorigen Tag die Finger an einem Feuer verbrannt habt. Der Schmerz der Brandblasen ist schrecklich. Doch stellt euch vor, ihr müsst diesen Schmerz euer ganzes Leben nach dem Tod im Fegefeuer ertragen. Denn Gott lässt keinen davonkommen. Aber heute, nur heute, könnt ihr diesen schmerzvollen Qualen entgehen, indem ihr die Ablassbriefe des Papstes in Rom für euch oder eure Verwandten kauft. Also kommt zu mir auf die Bühne und kauft einen oder mehrere Ablassbriefe! Ich bin sicher, ihr werdet es nicht bereuen, denn wenn ihr mir euer Geld gebt, dann werden eure toten Verwandten auch nicht mehr in der Hölle schmoren, sondern in den Himmel kommen.“ Als ich diese Worte gehört habe, musste ich wieder an die Geschichte von Augustinus denken, die mir meine Oma einmal erzählt hat. Er ist einer der vier Kirchenväter und seine Figur ist sogar am Schönen Brunnen angebracht. Er soll der Meinung gewesen sein, dass jeder Mensch ein Sünder ist, da Adam im Paradies gesündigt hat, und dass die Qualen in der Hölle unendlich seien. Das alles macht mir doch sehr große Angst. Wie es meiner Oma wohl ergehen mag? Ob sie im Fegefeuer schmort oder mit brennenden Fußsohlen aus einem Sumpf herausragt? Nach langem Überlegen habe ich mich dazu entschlossen, einen Ablassbrief für zwei Silber-linge für 125 Jahre für meine Großmutter zu kaufen, sodass sie nicht im Fe-gefeuer brennen muss. Ich habe Tetzel unser letztes Geld gegeben. Ich hoffe, es hat sich gelohnt, den Ablassbrief für meine Großmutter zu kaufen. Auf dass es ihr im Himmel jetzt sehr gut gehe!

Lukas Cranach malt Martin Luther

Rafael Drijman

Ein paar Meter weiter in Dürers Haus am Burgberg sitzen zwei berühmte Ma-ler zusammen. Einer heißt Albrecht und der andere Lucas. Beide zusammen werden zu Wegbereitern der Reformation und Lucas Cranach erwartet seinen berühmten Freund schon. Luther macht am 5. und 6. Oktober 1518 auf dem Weg zum Augsburger Reichstag im Augustinerkloster Nürnberg Station. Sein Beichtvater ist der Nukleus der „Sodalitas Staupitziana“ und so ist Luther un-

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ter den vielen Unterstützern seiner Ideen in Nürnberg gerne gesehen. Der Ratskonsulent Christoph II. Scheurl begrüßt den kritischen Augustiner Luther ebenso gerne wie die beiden Vordersten Losunger Anthoni Tucher und Hiero-nymus Ebner, Georg Spengler, den Ratsschreiber Lazarus Spengler, Caspar

Lucas Cranach d. Ä./Werkstatt: Posthumes Bildnis Martin Luthers als Augustinermönch, nach 1546, Leihgabe der Paul Wolfgang Merkelschen Familienstiftung im Germanischen Nationalmuseum

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Nützel und Wenzels-laus Linck, der Lu-ther mit einer neuen Kutte ausstattete, damit der Mönch nicht so abgewetzt in Augsburg an-komme. Nun aber soll er für die beiden befreundeten Maler Modell sitzen. „Seid gegrüßt, Herr Luther. Seid Ihr für die ‚Qual‘ bereit?“ Luther nimmt die Ankündi-gung gelassen ent-gegen: „Gott zum Gruße, lieber Lucas, ja, ich bin bereit, mich stundenlang nicht zu bewegen und nur mit dir und Herrn Dürer zu re-den.“ Cranach be-ginnt, die Farben an-zurühren: „Gut, lass uns beginnen. Ich

will dich in deiner neuen Würde portraitieren.“ Der Mönch lässt ihn gewäh-ren: „Mach, was du denkst! Als ‚Würde‘ würde ich das nicht bezeichnen. Eher als ‚Bürde‘. Ich bin Augustinermönch geworden. Weißt du, was das heißt?“ Cranach pfeift seinen Gehilfen Jakob herbei und lässt sein Modell einfach reden. Nur manchmal unterbricht er den jungen Mönch, um seine Position zu verändern. Jakob aber ist begierig zu wissen, was dieser Mönch zu sagen hat.

Lucas Cranach: Luther als Augustinermönch mit Tonsur, 1520

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Luther bei den Nürnberger Augustinermönchen 1518

Lena Falter

„Ich habe da ein paar Fragen über das Augustinerkloster, denn mich interes-siert sehr, was du machst, Martin!“ Der Mönch schaut den Malergehilfen freudig und überrascht an, setzt sich in Position und ermuntert Jakob zu fra-gen. „Also zuerst würde ich gerne wissen, was überhaupt ein Augustinerklo-ster ist. Also auch, wieso es so heißt und was du alles machen musst.“ Zu-nächst fragt Martin, ob er wisse, was ein Kloster sei. „Ja, ich denke schon. In einem Kloster leben Leute, so wie du, zusammen, um sich auf ihren Glauben zu konzentrieren“, antwortet Jakob. Dies bestätigt Martin. „Ja, das ist richtig, mein Sohn! Wir leben monastisch, das heißt tägliches Beten, körperliche Ar-beit, aber auch geistliches Studium der Bibel. Das Leben ist streng, aber dafür setzen wir uns für unseren Glauben ein.“ „Aber warum wirst du dann nicht einfach Mönch genannt, sondern Augustinermönch?“, will der junge Gehilfe

wissen. Martin verweist auf die Augustiner-Ere-miten, deren Name auf den Kirchenvater Augustinus von Hippo zurückgeht. Der schrieb auch die Augusti-nerregeln. „Soll ich dir die Regeln aufzählen, damit du dir etwas darunter vor-stellen kannst?“, fragt Martin, indem er sich wie-der richtig hinsetzt, damit Lucas weitermalen kann. „Ja, bitte!“, antwortet Ja-kob und holt eine neue Pa-lette. „Ein von Liebe und Eintracht geprägtes Leben in der Ordensgemeinschaft führen, dann gegenseitiges Ermahnen und Kontrollie-ren. Wir dürfen nichts Per-sönliches besitzen und sol-

Johannes Eck (* 13. November 1486 in Egg a.d.Günz; † 10. Februar 1543 in Ingolstadt), katholischer Theologe und Gegner Martin Luthers

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len enthaltsam sein. Außerdem müssen wir uns in die Gemeinschaft ein- und dem Oberen unterordnen. Und beten sowieso! „Das sind aber ganz schön strenge Regeln ...“, seufzt Jakob, doch Martin beru-higt ihn: „Ich weiß, aber man gewöhnt sich daran!“ „Also heißt ihr Augustiner, weil ihr auf die Regeln des Augustinus von Hippo hört?“, fragt Jakob weiter. „Und seit wann lebst du schon im Kloster in Erfurt, Martin?“ „Seit 1505.“ „Und weißt du noch, warum du damals Mönch werden wolltest?“, fragt Jakob neu-gierig. „Ja, für mich gab es eine interessante Begegnung mit einem Blitz, denn ich war gerade auf der Heimreise von Erfurt, als ich in einen schweren Sturm geriet. In meiner Nähe schlug ein Blitz ein und ich wurde sogar vom Luftdruck zu Boden geschleudert. In diesem Augenblick rief ich die heilige Anna an und gelobte, ich wolle Mönch werden.“ Jakob ist beeindruckt von der Offenheit des Mönchs und setzt sich erwartungsvoll auf einen Schemel, um Farbsteine zu zerstoßen. Lucas Cranach aber hat die Worte vernommen und für sich be-schlossen, diesem Mann die Treue zu halten und ihn mit Wort und Tat und mit seinen Bildern zu unterstützen. Luther indes lässt seine Gedanken wandern und kehrt immer wieder zu jener Begegnung mit Johannes Eck zurück, den er als scharfen Gegner seiner kirchenreformatorischen Begegnungen erkannt hatte. Lucas hat ihn bestärkt, auf seinem Weg zu bleiben, aber es war nicht immer einfach.

Luthers härtester Gegner hieß Dreck

Matilda Bommer

Nachdem der beeeindruckende Reformator die Malstube Dürers verlassen hat, fragt der Lehrbursche begierig nach, ob er alles recht verstanden habe. Cra-nach antwortet bereitwillig. Bereits seit Anfang des Jahres 1518 gab es Streit zwischen Johannes Eck und Luther, Melanchthon und Karlstadt, der aber nur anhand von Briefen und Büchen ausgetragen wurde. Daraufhin wurde ein Klärungsgespräch vorgeschlagen, das in Gegenwart des Herzogs Georg von Sachsen stattfand. Eck verteidigte die Lehrautorität des Papstamtes gegen-über der Behauptung Luthers, der Papst und die Konzilien könnten irren. Lu-ther vertrat die Ansicht, dass aus der Heiligen Schrift der päpstliche Primat nicht begründet werden könne. Er meinte auch, dass weder Papst noch Konzil höchste Autorität in Glaubensdingen besitzen. Eck hatte Luther so gereizt, dass er sich zu gefährlichen Aussagen hinreißen ließ. Er stellte während der Disputation fest, dass nicht alle Thesen des Jan Hus, die das Konstanzer Konzil

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verdammt hatte, häretisch seien. Einige davon seien sogar ganz christlich und evangelisch. Diese Behauptung wurde als so unverschämt angesehen, dass Herzog Georg von Sachsen fluchend vom Stuhl aufsprang. Damit war es für eine Versöhnung zu spät. Luther wusste, dass Eck auf dem Weg nach Rom war, um ihn vollends zu vernichten und nannte ihn inzwischen nicht mehr „Dr. Eck“, sondern „Dreck“.

Wie stehen die Nürnberger Patrizier zum Ablasshandel?

Anselm Pollety

Als Luther die Werkstatt am Burgberg, Dürer, Cranach und seinen interessier-ten Lehrling verlässt, wird er zufällig Zeuge eines Gesprächs auf der Straße. Luther schaute den Leuten gar zu gerne auf’s Maul und sperrte die Ohren auf,

um deren Sprache einzufangen. Ein grobschlächtiger Fuhrwerksmann ver-sperrt den Weg und zwei Patrizier begegnen sich hinter dem festgefahrenen Rad. „Salve!", sagt Antonius Ketzel zu seinem alten Freund Anton Tucher. „Sei gegrüßt, amice, du schaust so erregt. Der Wagen wird sicherlich bald wieder frei sein." „Ich rege mich doch nicht über den Fuhrmann auf, sondern über den Ablass und über diese Ablasskrämer!“ Antonius Ketzel weiß sofort, von was die Rede ist. „Dies verdanken wir alles Albrecht von Brandenburg, dem Papst Leo, sowie Tetzel, dem Ablasskrämer." Schon bei der Nennung dieser Namen

Anton von Werner: Luther auf dem Reichstag zu Worms, 1870 (Replik von 1877)

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platzt dem Tucher der Kragen. „Verflucht seien der Ablass und alle, die die Gutgläubigkeit und Höllenangst von uns Menschen ausnutzen! Wem nützt denn der Ablass auf welche Weise? Weißt du etwas darüber, sapienter ami-ce?" Antonius Ketzel ist ein weitgereister Kaufmann, den diese Frage nicht

verlegen machte. „Diese Frage kann ich dir beant-worten. Albrecht von Bran-denburg sorgt für den Ver-trieb des Ablasses und ver-dient selber genug daran. Er beauftragte Johann Tet-zel, der den Ablass und die Ablassbriefe wie ein Marktschreier verkauft. Die Ablassbriefe verkauft er für den Papst und der wiede-rum braucht das Geld für den Bau des Petersdoms. Es soll der prächtigste Bau der Christenheit werden und einen Michelangelo oder Rafael muss man sich eben leisten können." „Ich danke dir, lieber Freund. Obwohl ich gegen den Ab-lass für den Petersdom bin, würde ich zu gerne wissen, was für eine Pracht der Pe-

tersdom bei diesen wundervollen Bildern der berühmten Maler hervorbringt." Sein Gegenüber lacht. „Na dann müsstest du schon nach Rom reisen, um den beiden bei der Arbeit zuzusehen. Wenn du mich fragst: Uns kann nur noch Luther aus der ‚Ablasskrise‘ retten. Meine ganze Hoffnung beruht auf dem Reichstag." Mit diesen Worten gelingt es dem Fuhrmann, sein Gefährt aus dem Schlamm zu befreien, und die beiden Patrizier gehen ihrer Wege - ge-nauso wie Luther, der Nürnberg an diesem stürmischen 6. Oktober 1518 Rich-tung Augsburg verlässt.

1517/1518 von Veit Stoß (ca. 1447-1553) im Auftrag von Anton II. Tucher (1458-1524) gefertigtes Schnitzwerk „Der englische Gruß“ in der Nürnberger St. Lorenzkirche. Nach Einführung der Reformation in Nürnberg 1525 wurde der Engelsgruß verhüllt und erst ab dem 19. Jahrhundert wieder offen im Hallenchor der Lorenzkirche gezeigt.

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Luthers Angst vor dem Reichstag zu Worms

Leo Kolb

Drei Jahre später hat sich Luthers Lage entsetzlich verschärft. Er war vom Papst gebannt worden und soll sich nun vor dem Kaiser verantworten. Es ist Anfang April 1521, als sich der zornige junge Luther aufmacht, um die fast 600 km von Wittenberg bis an den Rhein hinter sich zu bringen. Er überlegt heftig, was ihm wohl bevorstehen wird. In seinen Gedanken malt er sich aus, dass ihn im schlimmsten Falle seine Festnahme, die Verbrennung seiner Schriften und die Überstellung nach Rom erwartet, nachdem er vor wenigen Wochen zum Ketzer erklärt worden war. Es war schon vier Jahre her, dass er seine 95 Thesen an die Türe der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt hat, um gegen die Vergebung der Sünden qua Ablassbrief vorzugehen. Als er die Tore der Stadt Worms endlich passiert, spürt Luther, dass all seine Ängste und Sor-gen grundlos waren. Viele Menschen jubeln ihm zu und bereiten ihm einen herzlichen Empfang. „Gutenberg sei Dank!“, denkt der Reformator, denn nur durch dessen neue Technik des Buchdrucks haben sich Luthers Schriften im ganzen Land verbreitet. In späteren Zeiten würde man ihn einen Bestsellerau-

Am 4. Mai 1521 lässt Kurfürst Friedrich der Weise Luther auf die Wartburg bei Eisenach bringen. Luther lebt nun inkognito als Junker Jörg auf der Wartburg und übersetzt dort das Neue Testament.

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tor nennen. Gestärkt von den guten Gefühlen der Bevölkerung überkommt Luther die Gewissheit, dass er den noch sehr jungen Kaiser Karl V. davon überzeugen könne, dass er nichts gegen sein Gewissen tue und nicht anderes könne.

Luther auf dem Reichstag zu Worms

Ronja Wadenstorfer und Matilda Bommer

Auf dem Reichstag zu Worms trifft Martin einen Nürnberger Bekannten wie-der. Es ist eben jener Patrizier, der hinter dem Fuhrmann her gegangen war und nun anscheinend ein Abgesandter des Rats der Stadt Nürnberg ist. Anton Tucher war Großkaufmann und Erster Losunger der Reichsstadt Nürnberg. 1507 wurde er Pfleger von Sankt Sebald, des Katharinen- und des Augusti-

Josef Mathias von Trenkwald (1824–1897): Luther auf der Wartburg, aus: Bülau, Friedrich: Deutsche Geschichte in Bildern nach Originalzeichnungen deutscher Künstler, Bd. 2, Dresden 1862.

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nerklosters. Er war Förderer der Lehre Luthers in Nürnberg und stiftete den Englischen Gruß von Veit Stoß in der Lorenzkirche. Den Reichstag hat Kaiser Karl V. für den 27. Januar 1521 einberufen und alle, alle kamen: der Kur- und der Reichsfürstenrat sowie der Städterat. Tucher hat wie schon sein Vater Anton Tucher 1495 unter Maximilian I. die Reichsstadt Nürnberg vertreten und wollte unbedingt dabei sein, wenn dort über die Verwaltung des Reichs diskutiert wird. Er weiß natürlich, dass Luther bereits verurteilt und mit dem Kirchenbann belegt worden ist. Er hat auch mitverfolgt, dass der mutige Re-formator am XVII.IV.MDXXI nach Worms geladen wurde, um angehört zu wer-den. Tucher reiht sich in die Menge der Jubelnden ein, die den in schlichter Kutte erscheinenden Mönch empfangen. Wie viele andere auch bewundert er die Courage, mit der dieser Wittenberger Mönch den Großen dieser Welt die Stirn bietet. Bei der Anhörung vor dem Kaiser weigert er sich doch unter Be-rufung auf die Bibel, der kaiserlichen Aufforderung zu folgen. Er widerruft seine zuvor in seinen Büchern geäußerten Meinung nicht. Tucher wird Zeuge, wie Luther bei jedem Buch, das ihm vorgeworfen wird, standhaft bleibt. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ war seine innere Überzeugung. Tucher schrieb seinem Freund Scheurl und dem Rat der Stadt Nürnberg glaubhaft, dass Luther am Ende dieses schrecklichen Verhörs die weltbewegenden Worte sprach: „Hier stehe ich. Gott helfe mir. Ich kann nicht anders.“ Die Folge seiner Renitenz war freilich, dass man die Reichsacht über ihn verhängte. Er wurde für vogelfrei erklärt, hatte aber trotzdem seine Meinung durchgesetzt. Kurze Zeit später geschah etwas Sensationelles. Der flüchtige Luther, der sich von Worms aus nach Norden wandte, irrt durch den Wald. Statt honorige Fürsten und Gesandte umgeben Luther nun Bäume und Sträucher. Er weiß kaum, wo-hin er gehen soll. Plötzlich hört man Stimmen im Unterholz. „Da kommt er!“, flüstert Jakob seinem Freund Hans zu. Es war ein schöner sonniger Abend im Frühjahr des Jahres 1521 und die beiden waren von Kurfürst Friedrich dem Weisen von Sachsen beauftragt worden, Martin Luther zu „überfallen“, um ihn auf die Wartburg zu bringen. Es war alles sehr schnell gegangen. Friedrich hatte jemanden gebraucht, der den Reformator zweifelsfrei erkennt und hatte über Umwege herausbekommen, dass der Lehrbube von Cranach ganz ge-schickt war. Jakob hatte sich Hans als Gehilfen ausbedungen und so waren sie in den Wald gekommen. Hans hat einen Sack mitgebracht und Jakob hält zwei Pferde am Zügel. Sie haben sich, um nicht von Luther gesehen zu wer-den, hinter ein paar Büschen versteckt, die am Rande eines abgelegenen Waldes nahe Schloss Altenstein wuchsen. Martin Luther geht gerade die

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Dorfstraße hinunter auf den Wald zu und sieht dabei sehr nachdenklich aus. Die Kutte ist längst nicht mehr hoftauglich. „Er geht in den Wald! Das ist gut für uns. Da können wir ihn überraschen ohne gesehen zu werden“, meinte Jakob. „Warum ist das gut?“, fragte Hans. „Das ist nötig, da Kurfürst Friedrich zu Luthers Schutz das Gerücht verbreiten will, Luther sei eines natürlichen Todes gestorben“, erklärt ihm sein Freund. Währenddessen sehen sie, dass Lu-ther schon fast am Anfang des Waldweges angekommen ist, und müssen sich beeilen, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Sie schleichen sich leise hinter ihm her und lassen die Pferde angebunden bei den Büschen stehen. Hans hält seinen Sack bereit, um ihn über Luther zu stülpen. Plötzlich bleibt Martin Luther stehen. Er dreht sich um und erblickt zwei Gestalten. Er schaut erst auf Hans, der seinen Sack bereithält, dann auf Jakob. Er kann sich nicht mehr erinnern, woher er ihn kennt. Plötzlich rennt der Verfolgte weg. „Hinterher!“, schreit Jakob. Sie rennen hin-ter Luther her und haben ihn fast gefasst, als er plötzlich stehenbleibt. „Was wollt ihr von mir?“, fragt er. Jakob will schon antworten und damit ihren Ge-heimauftrag preisgeben, aber Hans stülpt dem Verfolgten schnell den Sack über den Kopf. Luther wehrt sich, aber blind kann er nichts ausrichten. Jakob und Hans zerren ihn zu den Pferden, setzen Luther und sich selbst darauf und reiten los in Richtung Wartburg. Der Ritt zur Burg verläuft ohne besondere Vorkommnisse. Als sie am Ziel angekommen sind und Hans Martin Luther den Sack vom Kopf genommen hat, fragt Luther nochmal: „Was wollt ihr von mir?“ Also erzählen die beiden Jungen von ihrem Auftrag und den Gründen dafür. Nachdem sie geendet haben, sieht Luther sie nachdenklich an, fügt sich in sein Schicksal und sagt: „Danke, dass ihr mich hierher gebracht habt.“

Pilgerreise ins Heilige Land

Antonia Helbig

Mein Name ist Antonius. Ich wohne in Wöhrd vor den Toren der Reichsstadt Nürnberg. Dies ist die Geburts- und Sterbestadt meiner gesamten Vorfahren. Ich wurde am 29. März 1442 als zweites Kind meiner ehrenhaften und hoch-geachteten Mutter Sigune, geborene Betz, und meines Vaters Hans geboren. Von meinen zwölf Geschwistern überlebte bedauerlicherweise nur die Hälfte. Vor der Stadtmauer Nürnbergs besitzen meine Eltern ein kleines Stück Land,

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das sie mühevoll bestellen, um Getrei-de anzubauen. Wir leben mehr schlecht als recht, denn oft werden wir von großem Hunger und Krankheiten ge-quält. Ich sorge mich nicht sehr um mein Wohlbefinden, wohl aber um die Gesundheit meiner Familie, besonders um die meiner Mutter. Ihr geht es be-sonders schlecht. Seit ein paar Wochen leidet sie nämlich unter schrecklichem Schüttelfrost und sehr hohem Fieber. Jeden Tag habe ich Angst, dass sie aus dem Leben tritt. Sie hat Angst, uns Kin-der alleine zu lassen, ohne jegliche Für-sorge. Unser Vater ist ein Trinker, der nie vor Mitternacht nach Hause kommt. So wartet meine Mutter jeden Tag auf einen gutherzigen Menschen, der sie von diesen Qualen befreien kann. Manchmal schickt der Schuster einen Korb mit Brot und Milch. Heute freue ich mich besonders, Hans, den netten

Schusterssohn, zu sehen. Er erscheint mir fast wie ein Engel mit seinen hellen Haaren und dem breiten Grinsen. Ich hatte etwas auf dem Herzen, das ich niemandem sagen konnte. Als er in die niedrige Stube trat, ließ ich ihm kaum Zeit, meine Mutter zu grüßen, und zog ihn schnell in den Stall zu der dicken Ulla, unserer Kuh. „Hans, ich muss dir was sagen. Aber du darfst es niemanden weitersagen! Schwörst du mir das?“ Hans schaute mich mit großen Augen an, schwor aber genau so, wie ich es verlangte. „Hans, du weißt, wie schlecht es meiner Mutter geht und dass mein Vater nicht zählt? Deshalb entschloss ich mich, etwas zu unternehmen. So wie jeden Sonntag ging ich letzten Sonntag in die Kirche, um mit der Hilfe Gottes für kurze Zeit aus der Welt zu entflie-hen. Doch an diesem Tag war es so, als wäre ich gar nicht ich selbst gewesen. Ich sah eine äußerst wertvolle Reliquie und ergriff diese einfach. Ich überlegte nicht lang, ich griff sie einfach, steckte sie unter meinen alten Mantel und schritt gesenkten Hauptes aus der Kirche. Mit dieser Reliquie wollte ich einen Arzt bezahlen. Dieser Idee folgend tauschte ich das gestohlene Körperteil

Gedächtnistafel für die Jerusalem-Pilger aus der Nürnberger Handelsfamilie Ketzel (Inventarnummer GNM 581)

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eines Heiligen gegen Geld. Ich glaube, es war ein Finger von Sebaldus, der aus dem großen Reliquienschatz von Friedrich dem Weisen stammte und den er 1493 bei seiner Wallfahrt ins Heilige Land mitgebracht hatte. Man sagt, er habe 1509 schon 5005 Reliquien besessen, darunter mehrere Flaschen mit der Milch der Jungfrau Maria, Stroh von der Krippe Jesu und einen ganzen Körper eines der von König Herodes ermordeten Kinder. Ich jedenfalls nutzte diese Sammelleidenschaft des Kurfürsten und bezahlte am gleichen Tag noch den sehr guten und äußerst bekannten Arzt Doktor Schedel. Meiner Mutter geht es seither wirklich besser! Du hast sie ja gerade gesehen. Es ist wie ein Wun-der. Ja, ich bin sehr glücklich, ihr geholfen zu haben, aber in mir nagt fürch-terlich das Gewissen! Verstehst du das?“ Hans nickte verständig und machte mir Mut, meinen ganzen Plan preiszugeben. „Gestern habe ich einen Mann gehört, dessen Name Heinrich Ketzel war. Er erzählte von einer Pilgerreise nach Jerusalem, um seine Sünden erlassen zu bekommen, und davon, wie befreiend es sei, sich von den Qualen des Lebens zu erlösen. Je länger ich mit ihm sprach, desto übler wurde mir. Ich bekam schreckliche Schuldgefühle für meine begangene Sünde. Hans, ich sage das jetzt nur dir! Ich will meine Sün-de büßen und mit Ketzel nach Jerusalem. Es wird eine lange und auch sehr beschwerliche Reise. Da ich nicht zu den reichen Geschäftsleuten oder zum Tross eines Friedrich des Weisen gehöre, der sich so für Cranach und Luther einsetzt, bin ich dazu gezwungen, den Weg über Konstantinopel zu wählen. Ich muss mit einer Gruppe von Pilgern über endlose Landwege des Balkans bis Konstantinopel wandern. Es wird bestimmt grausam, weil ein schlimmes Un-wetter in meiner Nähe sein kann. Hagel, Blitz, Donner und Regen können mich abhalten weiterzulaufen. Zu den Wetterstimmungen kommt die Not der Herberge. Vielleicht hat kein Gasthaus einen Schlafplatz für mich übrig und ich muss in der wilden Natur schlafen. Doch ich gebe nicht auf. Ich tue all dies nur für Gott und meine Mutter. Und diese Kraft hält mich am Leben. Den ganzen Weg nach Jerusalem und auch die gesamte Heimreise zurück nach Nürnberg werde ich beten und meine Sünden bereuen. Bis meine Mutter voll-ends wieder gesund ist. Wirst du mir als Freund bleiben?“ Hans schaute Anto-nius an und sah einen feuchten Film in seinen Augen. Auch wenn Antonius daran glaubt, dass es eine echte Erlösung ist, fürchtet er den weiten Weg!

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Luther in Wittenberg

Tischgespräche

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Der gnädige Gott?Kya Heimbach

Nicht nur in Nürnberg hatte Luther Auswirkungen. Er zog auch so manchen Nürnberger nach Wittenberg und alle Ankömmlinge fanden Platz an seinem Tische. Während die sechs Kinder Luthers bereits zusammen mit einigen Stu-denten, darunter Lazarus Spenglers Sohn aus Nürnberg, am großen Tisch Platz genommen hatten, machte sich die Hausfrau Katharina von Bora immer noch daran, die Speisen anzurichten. Denn diese hatten in der Fastenzeit besondere Ansprüche: Statt fleischlicher Fette verwendete man pflanzliche Öle wie Mohn-, Hanf-, Rübsamen- oder Leinöl. Auch importierte Trockenfrüchte, die man auf dem Markt kaufen konnte, wie Rosinen, Datteln, Mandeln oder Fei-gen, setzten die Menschen ein, um Fleisch zu simulieren. Es gab sogar eine Bratwurst aus Feigenmark. Als Katharina fertig war, begaben sich auch Martin Luther und Philipp Melan-chthon zu Tisch, welche schon in ein Gespräch vertieft waren … „Ich bin fest davon überzeugt!“, sagte Luther mit kräftiger Stimme, „Gott hat auch eine gnädige Seite!“ „Wie kommst du auf so einen Gedanken?“, entgegnete Melan-chthon und sah ihn verwirrt an. Auch die anderen Herrschaften, die dem Ge-spräch eifrig lauschten, wechselten die Gesichtszüge. „Du weißt doch, Phi-lipp“, fuhr Luther fort, „meine Zeit als Augustinermönch war hart. Ich war der Meinung, Gott sei strafend und ein Freund des Teufels, er würde über die Menschen herrschen wie ein hartherziger König. Ich war so besessen von der Angst, ins Fegefeuer verbannt zu werden, dass ich mein Leben einzig und al-lein diesen Fragen widmete: ‚Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?‘ und ‚Wie werde ich vor Gott gerecht?‘ Ich war mir sicher, dass die Antwort auf diese Fragen nicht etwa die Ablassbriefe sind. Nein … Doch ich konnte nur wenige mit meiner Sichtweise überzeugen, denn ich kannte die richtige Ant-wort nicht. Die wenigen, die mir glaubten, hatten aber zu große Angst davor, ihre Meinung zu sagen, sodass ich sowohl im Kloster als auch in der Öffent-lichkeit keine Rückendeckung hatte und von allen für verrückt gehalten wur-de. Sie meinten, ich hätte die Bibel falsch übersetzt oder einfach falsch inter-pretiert. Und wenn, wer glaubt schon einem unbedeutenden Mönch? Aus Ver-zweiflung fing ich an, zu Gott zu beten, mit ihm über meine Ängste zu sprechen und ihn um Hilfe zu bitten, denn vor Gott ist niemand unbedeu-tend!“ „Nenne mir einen Grund, zu Gott zu beten, wenn du Angst empfindest, Martin!“, befahl Melanchthon ihm erbost. „Beim Übersetzen der Bibel bin ich

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immer wieder aufs Neue auf Erkenntnisse über Gott und sogar über mich selbst gestoßen. ‚Als ich den Herren suchte, antwortete er mir und rettete mich aus all meinen Ängsten‘ heißt es in Psalm 34,5. Damit ist mir klargewor-den, dass Gott nicht strafend und teuflisch ist oder die Reichen und Gutaus-sehenden bevorzugt.“ „Sondern?“, fragte Melanchthon verständnislos. „Er liebt uns!“, antwortete Martin, woraufhin einen Moment lang Stille herrschte. Der Reformator ergriff nochmal das Wort: „Gott ist gnädig, er vergibt uns und ist gut zu denjenigen, die glauben! Er hilft uns und will den Menschen auf keinen Fall Unheil. Als ich zu ihm gebetet habe, ist etwas Wundervolles ge-schehen, Philipp! Gott gab mir das Gefühl, behütet zu werden, er hörte mir zu und verwandelte meine Angst in Kraft. Kraft, das Richtige zu tun und an mich selbst zu glauben. Bitte, Philipp … bitte halt du mich nicht für verrückt, son-dern überzeuge dich selbst von dieser Kraft. Bitte, Philipp! Meine Studenten sind bis jetzt die einzigen, die sich dieser Sichtweise angeschlossen haben. Doch nun frage ich dich: Wie stehst du zu diesem Glauben?“ „Wie werde ich vor Gott gerecht?“, murmelte Melanchthon. „Ja?“, fragten Martin und die Studenten wie aus einem Munde mit einem hoffnungsvollen Blick. „Es ist un-möglich, dass uns das Gesetz könne gerecht machen“, setzte Melanchthon fort, „so steht es in der Bibel im Römerbrief, Kapitel 8. Martin! Hab keine Sor-ge! Ich stehe hinter dir!“ Mit diesen Worten zauberte Philipp ein Lächeln auf alle anwesenden Gesichter und man konnte deutlich sehen, wie Luther ein großer Stein vom Herzen fiel. „So! Da das geklärt ist, würde ich jetzt gerne noch gewusst haben, wer der Namensgeber des Augustinerklosters ist“, fragte einer der engagierten Studenten, der Sohn des Nürnberger Predigers Lazarus Spengler. „Augustinus von Hippo!“, seufzte Martin nachdenklich, „354 wurde dieser in Tagaste geboren und wird deshalb auch ‚Augustinus von Tagaste‘ genannt. Ein toller Mann! Er war einer der vier lateinischen Kirchenlehrer der Spätantike und ein wichtiger Philosoph an der Schwelle zwischen Antike und Frühmittelalter. Augustinus war genau wie sein Vater Heide. Doch 387 ließ er sich unter dem Einfluss der Predigten des Bischofs Ambrosius von Mailand taufen. Von 395 bis zu seinem Tod 430 war er Bischof von Hippo Regius. Au-gustinus hat zahlreiche theologische Schriften verfasst. Seine „Confessiones“ (Bekenntnisse) gehören zu den einflussreichsten autobiographischen Texten der Weltliteratur. Augustinus' Philosophie enthält Elemente von Platon, etwa die Dreiteilung der Wirklichkeit in die Welt des höchsten Seins des Geistes, die Sphäre zwischen Geist und Seele des Menschen und die niedere Welt der Sinne. Zu deiner Frage, warum das Kloster nach ihm benannt wurde: Als einer

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der einflussreichsten Theologen und Philosophen der christlichen Spätantike bzw. der Patristik hat er das Denken des Abendlandes wesentlich geprägt. In der orthodoxen Kirche dagegen blieb er praktisch unbekannt. Als seine Lehre im 14. Jahrhundert durch griechische Übersetzungen auch in Konstantinopel bekannt wurde, stieß sie auf Ablehnung, soweit sie nicht ohnehin dem Kon-sens anderer Kirchenväter entsprach. Seine Theologie beeinflusste die Lehre fast aller westlichen Kirchen. Der Begriff Augustinismus, vielleicht hast du schon einmal davon gehört, kennzeichnet seine Rezeption in Religion, Philo-sophie und Geschichtswissenschaft.“ „Das war sehr ausführlich, aber herz-lichen Dank, Herr Luther!“, gab Spengler zur Antwort. Nach einem köstlichen restlichen Essen und Beisammensitzen verabschiedete sich Melanchthon auf-grund der eintretenden Dämmerung und verließ das Hause Luthers in Witten-berg.

Die Verbrechen der Christen in Südamerika

Michael Schieder

Der Tisch in Luthers Haus musste wahrlich viele Geschichten hören. Es kamen ja nicht nur die Herren Studiosi der Theologie und deren Professoren zum Es-sen, sondern auch noch andere Weitgereiste, die dem Ruf des Reformators folgten. Eines Abends stellte sich ein Studiosus mit fremdländischer Kleidung im Hause Luthers vor, der Kunde von der Neuen Welt brachte und von den Taten der Conquistadores erzählte, damit sich die anwesenden Herrschaften ein Bild von der Lage machen konnten. Magnus hatte sein Wissen aus erster Hand. Er hatte von Bartolomé de la Cruz viel über die gewaltsame Eroberung der Neuen Welt erfahren und erzählte von der Ankunft des Hernan Cortes. Die Einheimischen erstaunten die ankommenden Spanier durch ihre dunkle nackte Haut, Furchtlosigkeit und durch seltsamen Schmuck, der oft aus purem Gold und seltsame rituelle Gegenstände. Das äußere Erscheinungsbild war aber nicht das Einzige, was die Spanier verwunderte. Ihr Verhalten war schier ehr-fürchtig und es wurde vermutet, dass die Einheimischen Cortes für eine Art Gottheit hielten. Cortes aber hinterging den König Montezuma und riss die Herrschaft über dessen Reich an sich. Er schien nicht mehr daran interessiert zu sein, die Einheimischen vom Christentum zu überzeugen und die eigentlich geplante Missionierung der Neuen Welt durchzuführen, nein, es ergriff ihn

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vielmehr die reine Gier nach Gold. Als Magnus dies sagte, entrüsteten sich viele Anwesende in Luthers Haus und sagten, dass diese Abwendung vom Glauben nach Vergeltung schrie und dass Cordes in der Hölle schmoren sollte, da das Geschehene ein Verrat an Gott und am christlichen Glauben war. Dann brachte er die Gräueltaten der Eroberer zur Sprache und fortan glich der Raum einem kochenden Kessel aus Beschimpfungen, da sich nun keiner mehr zu-rückhielt, wenn er seine Entrüstung zum Ausdruck brachte.

Ein Abendessen im Hause Luther im Jahr 1527

Emil Eckmann

Nachdem Luther eine Familie gegründet hatte, führte er ein offenes Haus. Seine Frau, Katharina von Bora, war die unbestrittene Hausherrin. Neben der Familie gehörten zum Haus das Gesinde, ledige Verwandte und manchmal Pensionsgäste. Die Hausherrin kümmert sich nicht nur um das Haushaltsge-schehen, sie sorgte auch für die Nahrungsvorräte, das Geflügel, den Garten

und besonders den Gemü-segarten. Luthers Haus stand seinen Freunden und Schülern immer offen und er lud oft zu einem ge-meinsamen Essen ein, das Katharina arrangierte. An einem Abend des Jahres 1527 hatte er Philipp Me-lanchthon und einige Stu-denten der Theologie ein-geladen. Katharina ließ ei-nen Schweinerücken aus eigener Schlachtung zube-reiten, Bohnen und weiße Rübchen aus eigenem An-bau, frisches Brot und frisch gebrautes Bier von hoher Qualität. Nachdem die Gäste sich begrüßt und

Flugblatt zum Bauernkrieg um 1525, aus: Otto Henne am Rhyn: Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Zweiter Band, Berlin 1897, S. 23

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ihre Plätze eingenommen hatten, wurde das Essen aufgetragen. Während des Essens gab es eine lebhafte Unterhaltung und so kam man an jenem Abend auch auf das Thema „Bauernkrieg“ zu sprechen. Einer der Studenten fragte, was die Ursachen für die Erhebung der Bauer waren. Luther erklärte seinen Zuhörern, dass die Bauern jener Zeit durch immense Abgaben an die Lehns-herren sehr stark belastet waren und große Not an allen Dingen litten. „Aber warum lassen sie sich das gefallen?", fragte Magnus, der Weitgereiste, dazwi-schen. Da er griff Philipp Melanchthon das Wort: „Es weiß doch jeder, dass Missernten, fehlendes Geld für neues Saatgut und übermäßige Steuern die Bauern zu einem großen Teil in die Hörigkeit und Leibeigenschaft geführt haben. Aber das sei noch lange kein Grund, gegen die Obrigkeit mit Gewalt vorzugehen, zu morden und alle guten Gesetze zu missachten.“ Daraufhin meldete sich ein anderer Student, der Sohn von Lazarus Spengler aus Nürn-berg, zu Wort und gab zu bedenken, dass die Missstände in der Kirche, das ausschweifende Leben des Klerus und der Ablasshandel ja auch von den Re-formatoren kritisiert würden.Luther, der sich das alles geduldig anhörte, meinte, man solle doch das Thema wechseln, weil es sehr komplex und zu kompliziert für ein Tischgespräch sein. Man sollte sich doch Themen des Tagesgeschehens zuwenden. Luther, der im Bauernkrieg 1524/1526 zuerst die Forderungen unterstützt hatte und sich nach der „Weinsberger Bluttat“ von den Bauern distanziert und auf die Seite der Fürsten geschlagen hatte, brachte das Thema „Bauernkrieg “ in Verlegen-heit und er ließ es daher fallen.

Bauernkriege und Luthers Haltung

Polina Proskura

„Was sind Bauernkriege und wie kam es dazu?“ fragte sich der ein oder ande-re am Tisch und hörte den Ausführungen von Lazarus Spengler zu. Über 90% der Bevölkerung zu Luthers Zeiten waren Bauern. Ihre finanzielle Lage war damals sehr schlecht. Sie mussten Frondienste leisten, also mindestens ein Zehntel ihrer Ernte an den Lehnsherrn und die Kirche abgeben. Sie konnten nicht lesen oder schreiben und hatten kaum Rechte. Dadurch fühlten sich die Bauern benachteiligt. Durch die Erhöhung der Steuern und die Einschränkung der Nutzungsrechte kam es zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert in vielen europäischen Ländern zu Aufständen der Bauern. Um gemeinsam eine stär-

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kere Gruppe zu bilden, schlossen sich mehrere Bauern zusammen. 1525 ka-men zu den oben genannten Gründen auch noch religiöse dazu. Luther be-tonte in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, Bauern seien nicht von weltlicher oder geistlicher Gewalt abhängig und sprach auch andere einfache Leute an. Im Sommer 1524 begann ein Aufstand im Schwarz-wald, welcher sich sehr schnell ausbreitete. Am Anfang versuchten die Bau-ern, ihre Forderungen, welche von Sebastian Lotzer in den „Zwölf Artikeln“ zusammengefasst worden waren, gewaltlos durchzusetzen, doch als sie merk-ten, dass die Fürsten sie nur hinhielten und nicht daran dachten, ihre Forde-rungen zu erfüllen, griffen sie zur Gewalt. Luther war keine unwichtige Person in diesem Geschehnis: Er zeigte am Anfang noch Verständnis. Er sah die ma-terielle Notlage und die Ungerechtigkeit. Er forderte die Fürsten auf, auf Basis der „Zwölf Artikel“ mit den Bauern zu verhandeln. Doch als wenige Monate später die Bauern zur Gewalt griffen, änderte er seine Meinung und entschied sich, gegen die Bauern vorzugehen. Er behauptete, die Bauern hätten seine Lehre verfälscht. Doch zu Beginn des Jahres 1526 war das Schicksal der Bau-ern entschieden, denn die Fürsten sammelten Landsknechte und schickten sie unter der Führung von Truchsess von Waldburg, der auch als Bauernjörg be-kannt wurde, gegen die Bauern ins Feld. Dies bedeutete das Ende des Bauern-krieges, denn in Ausrüstung und Kriegstaktik waren die Bauern den Fürsten-knechten deutlich unterlegen. Außerdem hatten die verschiedenen Bauern-heere kaum mehr Kontakt zueinander, sodass sie sich nicht mehr gegenseitig beistehen konnten. Im Herbst 1526 war die letzte entscheidende Schlacht gegen die Bauern, denn ihre Anführer wurden getötet. Insgesamt kostete der Aufstand etwas 100 000 Bauern das Leben. Summa summarum war der Bau-ernkrieg also eine sehr grausame Sache, doch für die Bauern hat es sich nicht sonderlich gelohnt.

Thomas Müntzer, der Bauernführer

Michael Schieder

Magnus hatte ein gerütteltes Maß an Gerechtigkeitsgefühl. Ihn, den das Un-recht an den Ureinwohnern durch die Conquistadores so erregte, regte natür-lich auch das Unrecht auf, das den Bauern angetan wurde. In den hitzigen Gesprächen bei Luther war immer wieder der Name Müntzers gefallen, des berühmten Theologen, der vor einer Woche vor den Toren der Stadt Mühlhau-

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sen hingerichtet worden war. Wer war dieser Kämpfer auf der Seite der Bau-ern? Magnus spürte schon, dass es nicht recht geraten schien, diese Frage am Tisch zu stellen, da zu viele Emotionen aufkamen, wenn Müntzers Name fiel. Als er zum Bier holen in den äußeren Keller geschickt wurde, begegnete Ma-gnus aber dem alten Hausknecht der Luthers, Cunrad. Den konnte man fra-gen, ohne einen Sturm der Entrüstung auszulösen. Tatsächlich war Cunrad erfreut, über den früheren Freund des Hausherren Luthers zu reden. „Setz dich, mein Junge, ich werde dir von ihm erzählen! Müntzer wurde anno domi-ni 1489 in Stolberg im Harz geboren und 1513 in Halberstadt zum Priester geweiht. Zwei Jahre später nahm er das Amt eines Präfekten im Kanonissen-stift Frose bei Aschersleben an und errichtete eine kleine Privatschule, in der

Thomas Müntzer, geb. um 1489 in Stolberg am Harz, hingerichtet am 27. Mai 1525 bei Mühlhausen (Thür.); Müntzer verstand sich als von Gott gesandter Prophet und die Reformation und den Bauernkrieg als „Zeit der Ernte“, in der sich apokalyptische Erwartungen erfüllten.

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begüterte Bürgersöhne unterrichtet wurden. Jenes hatte aber zur Folge, dass sich sein Studium unnötig in die Länge zog. In den nächsten Jahren war er oftmals in Wittenberg, bekam aber zunehmend Schwierigkeiten mit dem Or-den der Franziskaner und seinem Kollegen Egranus. 1521 wurde er aus dem Orden in Zwickau vertrieben und seinen letzten Sold quittierte er stolz mit ‚Thomas Müntzer, qui pro veritate militat in mundo‘. Müntzer war in jungen Jahren ein großer Bewunderer Martin Luthers, aber als die Bauern kämpfen wollten, stellte er sich gegen Luther und wurde zu dessen größtem Gegner. Genau wie Luther heiratete er eine ehemalige Nonne namens Ottilie von Gersen. „Ich hörte, er habe die Bibel etwas anders interpretiert als die meisten anderen Theologen“, fragte Magnus den Hausknecht. „Nun ja, jedenfalls legt die Bibel primär Zeugnis ab von den Erfahrungen, die erleuchtete Seelen im Umgang mit dem lebendigen Gott gewonnen haben. Sie ist Einladung, für ähnliche Erfahrungen offen zu werden, und gleichzeitig Maßstab, an dem ei-gene Erfahrungen zu messen sind. Die Bibel ist nur das verbum externum, das das verbum internum braucht, um im Menschen anzukommen. Das verbum internum bedarf jedoch nicht unbedingt des äußeren Wortes der Bibel, um Glauben zu erzeugen. Belege dafür sind nach Müntzer viele Menschen der Bibel, die auch kein verbum externum hatten, als sie gläubig wurden. Das ist sehr wichtig, denn das bewirkte Luthers Distanzierung von Müntzers Sicht-weise. Im Jahre des Herrn 1521 verfasste Müntzer das Prager Manifest. Darin beschreibt Thomas Müntzer erstmals die Grundzüge seiner von Mystizismus und Endzeiterwartung durchdrungenen Theologie. Ich habe es hier und zi-tiere: ‚Ich, Thomas Müntzer von Stolberg, bekenne vor der ganzen Kirche und der ganzen Welt, da diese Briefe gezeigt werden mögen - (was) ich auch mit Christus und allen Auserwählten, die mich von Jugend auf gekannt haben, bezeugen mag - dass ich einen höheren Unterricht des heiligen unüberwind-lichen Christenglaubens gehabt und erlangt habe. So habe ich mein Lebetag - Gott weiß, dass ich nicht lüge - durch keines Mönchs oder Pfaffen (Vermitt-lung) die rechte Übung des Glaubens gelernt, auch die nützliche Anfechtung, die den Glauben im Geist der Furcht Gottes verklärt, des Inhalts, dass ein Auserwählter den Heiligen Geist siebenmal empfangen muss. Von keinem Ge-lehrten habe ich auch nur ein einziges Wörtlein von der in allen Kreaturen ausgedrückten Ordnung Gottes vernommen; auch nicht, dass vom Ganzen her ein Weg verläuft, alle Teile zu erkennen, habe ich nicht von denen gehört, die Christen sein wollen, sonderlich nicht von den verfluchten Pfaffen.‘ Das war den Kirchenleuten zu radikal. Du hast doch sicherlich von seinem Tod letzte

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Woche gehört, oder? Seinen Körper haben sie aufgespießt und seinem Kopf als Abschreckung auf einen Pfahl gespießt.“ „Ja, furchtbar, einen freien Geist so abzutöten. Ich danke dir, Cunrad, für all deine Worte. Jetzt muss ich los, wenn das Bier für die Tischgesellschaft nicht gänzlich warm werden soll. Sei gegrüßt.“

Das Mögeldorfer Konfessionsbild

Philipp Renner

Eines Tages trifft Hans Jakob, den Lehrbuben von Cranach, der bei Dürer weilte. Beide sollten in Mögeldorf, einem kleinen Dorf vor den Mauern der Reichsstadt Nürnberg, Leinwände und Öl für den berühmten Nürnberger Ma-ler und seinen nicht minder berühmten Kollegen Cranach abholen. So kam es, dass beide in der größten Mittagshitze eine kleine Rast in der alten Mögel-dorfer Kirche St. Nikolaus und St. Ulrich machen. Sie trauen sich nicht, die mitgebrachte Milch in der Kirche zu trinken, und setzen sich im Seitenschiff zur Ruhe. Tatsächlich suchen sie zielsicher den Platz aus, von dem aus man das Konfessionsbild sehr gut sehen konnte. Der Lehrbube fragt: „Ist dir eigent-lich schon mal aufgefallen, dass mein Lehrherr, Lucas Cranach, Luthers Bot-schaft wie kein Zweiter verbreitet? Hans will die Nürnberger Ehre verteidigen und verweist auf das Konfessionsbild, das schließlich ebenso Luthers Lehre verkörpert. „Lass uns das mal näher betrachten“, sagt er schnell. „Genau im Zentrum des Bildes kann man den gekreuzigten Jesus erkennen, außerdem befinden sich hinter dem Altar Paulus und die drei Evangelisten namens Matthäus, Markus und Lukas, die die Worte des letzten Abendmahls weiter-

Das Abendmahl wird in beiderlei Gestalt (Brot und Wein) von Philipp Melanchthon und Martin Luther gereicht.

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verbreitet haben", erklärt er dem Freund. „Zu beiden Seiten des Altars werden Brot und Wein an die Gläubigen verteilt. Außerdem sieht man auf der linken Seite mehrere Geistliche, die in ein Gespräch vertieft sind“, fügt Hans hinzu. Der Lehrbube betrachtet das Bild und sieht sich den Hintergrund dabei ge-nauer an: „Schau, im Hintergrund findet eine Trauung statt. Außerdem hat sich auf der rechten Seite eine kleine Gruppe zur Taufe versammelt, direkt dahinter nehmen zwei Geistliche einem Ehepaar die Beichte ab, aber nicht mehr im Beichtstuhl wie bei den Altgläubigen. Ich glaube, dass auf diesem Bild alle Neuerungen der Reformatoren hinsichtlich der Sakramente gut fest-gehalten sind." Jakob erblickt noch ein interessantes Detail im Hintergrund: „Hans, guck mal, ganz hinten, kaum zu erkennen, sieht man drei in schwarze Gewänder gehüllte Männer, die von zwei Bewaffneten aus der Kirche getrie-ben werden." „Stimmt! Die schauen aus wie ‚Sakramentierer‘, wie Zwingli, Calvin und Martin Butzer aus Straßburg, die alle eine von Luther abweichende Auffassung bezüglich der Abendmahlsfeier vertraten. Wer darf denn eigent-lich hier zur Abendmahlsfeier?" Jakob antwortet: „Mein Meister Cranach sagt, dass die Protestanten das Abendmahl sub utraque specie, also unter beiderlei Gestalt, und nicht wie die Katholiken nur una specie, also nur in Form des Brotes, einnehmen.“ Hansens Gesicht drückt großes Unverständnis aus. „Na, Luther sagt, er wolle der biblischen Aufforderung Christi ‚Trinket alle daraus‘ Folge leisten. In einer Kirche, die vom Priestertum aller Gläubigen spricht, darf nicht der Priester alleine Brot und Wein zu sich nehmen!“ So langsam däm-mert es Hans. „Dann ist das Abendmahl mit Brot und Wein für alle also zu-tiefst protestantisch?“ „Genau. Und jetzt gehen wir, sonst schimpft mein Mei-ster und vermisst die Leinwände und das Öl.“

Die Stifterfamilie des Kasen-dorfer Konfessionsbildes, das zeitgleich mit dem Mögeldorfer entworfen wurde, war die des Nürnberger Ratsherren Friedrich Hübner.

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In eodem anno bei Albrecht Dürer (dem Jüngeren)

Nicolas Aldebert

Jakob und Hans beeilen sich, um das Laufer Schlagtor vor Einbruch der Nacht zu erreichen, damit die Wächter sie noch in die Stadt lassen. Sie laufen flugs durch die Laufer Gasse auf den Grünen Markt und zu Dürers Haus hoch. Agnes sieht sie schon von Weitem und öffnet aus dem zweiten Stock den eigenar-tigen Türverschluss, indem sie an einer Schnur zieht, die mit dem Türgriff verbunden war. „Äußerst schlau, dieser Dürer! Da muss keiner die Stiegen herab und wieder hinauf steigen. Gott zum Gruß, Hans!“, sagte Jakob zu sei-nem Begleiter, bevor dieser nachhause läuft. Eilwändig geht Jakob in den obersten Stock, will die Ölkännchen und Leinwände ablegen und stößt sich im Halbdunkel an der Tischkante. Dann hört er nur noch das Geschepper auf dem hölzernen Boden. „Nicht schon wieder, Jakob“, stöhnt Dürer auf. „Den Jungen kann man aber auch gar nichts allein machen lassen.“ „Tut mir leid, Meister Albrecht, aber der Tisch stand so schief“, entschuldigt sich Jakob kleinlaut und greift schon zu einem Lappen. „Ich wische es auch wieder weg.“ Irgendetwas an Dürer lässt Jakob furchtbar unsicher werden. Man kann ihm nie etwas recht machen. Immer mosert er an einem herum. Nie lobt er. Stets meckert er und schimpft vor sich hin. So beginnt fast jeder Tag im Hause Dürers. Hatte Gott Jakobs Wunsch etwa vergessen? Der Wunsch, endlich mal raus aus die-sem Trott zu kommen, statt jeden Tag Farben anrühren zu müssen wie ein Sklave. Da klopft es unten auf der Straße vernehmlich an der Tür: „Fräulein-chen Dürer, könntet Ihr bitte die Tür aufmachen?“ hört man eine Stimme ru-fen. Wutentbrannt rennt Albrecht zum Türmechanismus und zieht heftig an der Schnur. „Wie oft noch soll ich sagen, dass mir keiner meine Agnes als ein Fräulein schimpft!“, schnauzt Dürer den verdatterten Valentin Fernandes an, der gerade schnaufend die Treppe heraufsteigt. Trotz Verblüffung antwortet dieser rasch: „Ich bitte um Verzeihung, verehrter Herr Meister Dürer, wenn ich Ihren Unmut erzeugt haben sollte. Der Grund meines Hierseins ist einfach. Ich reise im Auftrag eines Freundes nach Portugal, um dort das Rhinozerus zu beschreiben, und wollte fragen, ob Sie Interesse hätten mitzukommen. Sie könnten das Nashorn als eines ihrer Kunstwerke porträtieren und im orbis mundi bekannt machen.“ „Ich habe für so etwas momentan keine Zeit, mein Herr. Der Kaiser wartet auf sein Bild und noch wichtiger – Luthers Lehre will von mir in den Flugblättern unterstützt werden. Ich kann Nürnberg jetzt nicht verlassen.“ „Aber ich, Meister Dürer, ich könnte das doch machen“, meldet

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sich Jakob aus der anderen Ecke des Raums zu Wort. Er hat der Unterredung sehr aufmerksam gelauscht und seine Chance gewittert. Ermahnend schaut Albrecht ihn an und beschließt sofort, ihm seine Bitte - wie immer - zu ver-weigern, aber in letzter Sekunde schwenkt der Meister um. Es scheint ihm eine gute Gelegenheit, die Verantwortung über diesen tollpatschigen Knaben weiterzureichen. „Von mir aus“, brummt Dürer, „Jakob, du kannst mir eine Skizze vom Nashorn machen.“ Jakob sieht etwas verwirrt drein: „Was ist denn ein Nashorn, Meister?“ „Ach, das kann dir unser lieber Valentin auf dem Weg sicher erklären“, lacht Dürer. „Wenigstens ist er engagiert“, muss jetzt auch Fernandes lächeln. So wird die Reise nach Portugal beschlossen und Jakob kann sich endlich seinen somnium erfüllen, die Welt so zu bereisen, wie sein Vorbild Dürer es tat. Seine Skizze war letztendlich brauchbar für Albrecht und dieser fertigt mit dieser seinen berühmten Holzdruck „Das Rhinocerus“ an.

Confessio Augustana/Augsburger Konfession

Leo Hentschel

Auch in Nürnberg verfolgt man die Geschehnisse auf dem Augsburger Reichs-tag von 1530 mit großer Aufmerksamkeit. Da Martin Luther als Gebannter nicht auf dem Reichstag sprechen darf, schickt er seinen engen Vertrauten Philipp Melanchthon zum Kaiser. Er selbst zieht am 15. April 1530, einem Karfreitag mit 70 Edelleuten, 7 Rittern, 120 Reisenden und Soldaten durch das Coburger Spitaltor. Mit im Gefolge Martin Luthers reist der Theologe Ju-

Albrecht Dürer: Rhinocerus von 1515

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stus Jonas. Die Reisegesellschaft nimmt vorerst in der Stadt Coburg Herberge. Da Luther unter Reichsacht steht, kann er nicht mit nach Augsburg weiterrei-sen. Er ist gezwungen, in Coburg, im südlichsten befestigten Platz des Kurfür-stentums Sachsen, zu bleiben. Er zieht auf die Veste und lässt sich von dort berichten. Hier ein Teil seines Briefwechsels mit Melanchthon:

„Ich grüße dich, Philipp, mein Freund. Sag mir, wie ist das Treffen auf dem Augsburger Reichstag verlaufen? Hat der Kaiser nun endlich erkannt, dass unsere Konfession so viel besser ist als die der Katholiken, und duldet er un-seren Glauben endlich oder ist er zu dumm, dies zu begreifen, der Altgläubi-ge?! Selbst er muss doch verstehen, dass es nicht Gottes Wille sein kann, dass die Reichen sich mit ihrem Geld von all ihren Sünden freikaufen können, wäh-rend den Bürgern diese Möglichkeit versagt bleibt. Ganz zu schweigen davon, dass die Kirche sich damit auch noch bereichert. Ich hoffe wirklich, deine ‚Confessio Augustana‘ hat sich durchgesetzt. Ich war ja dagegen, den Aus-gleich mit den Katholiken zu suchen. Aber, da du mein Freund bist und ich dir vertraue und noch dazu vogelfrei bin, habe ich es dir überlassen. Ich hoffe, du hast unser Ziel erreicht. Möge Gottes Segen immer mit dir sein.Martinus“

Die Antwort Philipp Melanchthons:

„Ich grüße dich ebenfalls, Martinus, doch ich kann dir leider nicht von den erhofften guten Nachrichten berichten. Es tut mir leid, doch leider erkannte der Kaiser nicht die wertvollen Neuerungen unserer Reformation. Wie bitter ist es, dass er das Wormser Edikt bestätigte! Trotzdem bin ich der Meinung, dass wir es weiter versuchen sollten. Wir finden schon eine Möglichkeit, das Evangelium auf Deutsch an den Mann zu bringen, und ich werde immer an deiner Seite sein, mein Freund Martinus, denn ich will dieses Ziel genauso wie du erreichen. Ich bitte dich nur darum, nichts Unüberlegtes zu tun. Ich weiß, wie hitzköpfig du sein kannst, wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast. Ich meine, das würde nur nach hinten losgehen, wenn wir etwas überstürzen, also bitte ich dich darum, mich zu informieren, bevor du einen deiner Pläne in die Tat umsetzt. Nun werde ich jedoch erst einmal nach Nürnberg zurückkeh-ren und in meiner vor vier Jahren gegründeten Lateinschule am Egidienplatz mal nach dem Rechten sehen. Da den evangelischen Reichsständen nun die

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Reichsexekution wegen Landfriedensbruchs droht, bitte ich dich, mir schnellstmöglich zu antworten.Gott zum Gruße,dein Freund Philipp“

Luthers Antwort auf Melanchthon:

„Sei gegrüßt, mein Freund Philipp,da unser Ziel ja leider nicht erreicht wurde, muss ich dir sagen, ich hätte beim Augsburger Bekenntnis noch viel mehr die Konfrontation gegen den papisti-schen Glauben gesucht. Du warst viel zu harmoniesüchtig und hast versucht, dich mit den Katholiken zu einigen. Da wir nichts mehr ändern können, müs-sen wir es hinnehmen. Allerdings halte ich sofortiges Handeln für nötig. So werde ich versuchen, ein Verteidigungsbündnis der lutherischen Reichsstände zu schließen. Landgraf Philipp I. von Hessen und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen werden hoffentlich dabei sein. Ich habe mir noch nichts Kon-kretes für dieses Bündnis ausgedacht, da ich in den letzten Tagen sehr be-schäftigt war, doch werde ich dir selbstverständlich sofort schreiben, sobald es Neuigkeiten gibt. Ich verbleibe dir als treuer Freund in Christus,Martinus“

Lucas Cranachs BeerdigungOisin Gogarty

Wir schreiben Anno domini 1533, ein kalter Herbsttag, in einer Kirche in Wit-tenberg ist die Trauerfeier des berühmten Malers Lucas Cranach d. Ältere im Gange. Gerade tritt Lucas‘ ältester Sohn Hans an das Podium: „Gott zum Gru-ße! Wir haben uns heute hier versammelt, um einen besonderen Menschen zu verabschieden, nämlich meinen Vater. Er wurde 1472 in Cranach, wo auch sein Name herstammt, geboren und wuchs dort auf. Er hat zwischen 1495 und 1498 in der Werkstatt meines Großvaters, nach dem ich benannt bin, gearbeitet und reiste ein paar Jahre später nach Wien, war aber nicht erfolg-reich und zog bald darauf nach Bayern, wo er 1505 eine Berufung als Hofma-ler des kursächsichen Herzogs Friedrich annahm. Fünf Jahre später zog er dann nach Wittenberg und eröffnete eine Werkstatt. Hier schloss er Freund-schaft mit Martin Luther und Philipp Melanchthon und war 1525 mit seiner

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Ehefrau sogar Trauzeuge bei Luthers Heirat mit Katharina von Bora sowie Taufpate seines ältesten Sohnes Johannes. Lucas Cranach entwickelte sich zum charakteristischen Maler der Reformation und förderte mit seinen Gra-fiken die geistige Auseinandersetzung dieser Zeit. Im Jahr 1547 unterlag sein dritter Dienstherr, Friedrich Johann der Großmütige, in der Schlacht bei Mühl-berg den kaiserlichen Truppen und wurde gefangen gesetzt. Auf Aufforderung Johann Friedrichs folgte ihm Cranach drei Jahre später in die Gefangenschaft nach Augsburg, dann nach Innsbruck. Auch dort war er für den Herzog und dessen Besucher tätig – seine Wittenberger Werkstatt hatte er inzwischen seinem Sohn Lucas übergeben. 1552 ging Cranach nach Weimar, wo er im Haus seiner Tochter Barbara Cranach wohnte und am 16. Oktober 1553 starb. Ich habe meinen Vater geliebt und ich spreche für die ganze Familie, wenn ich sage, dass ich ihn für immer vermissen werde und sehr in mein Herz einge-schlossen habe.“

Ein Blick auf das Eheleben von Martin und Katharina

Pia Kranich

Am Ende seines Lebens sitzt Martin oft in der gemeinsamen Wohnstube in Wittenberg und resümiert sein Leben mit Katharina, jener entlaufenen Nonne, die er geheiratet hat. Nach Cranachs Tod wird er melancholisch.

Lucas Cranach: Martin Luther und Katharina von Bora

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Martin: „Ach, Katharina! 60 Jahre alt bin ich nun, sehr viele Jahre werde ich nicht mehr vor mir haben. Aber ich bin froh, denn ich habe so viel erlebt. Weißt du noch, wie ich 1483 in Eisleben und 1484 in Mansfeld war? Damals war ich noch ganz am Anfang meines Lebens als Reformator. Ich verbrachte Zeit in Seeburg, Torgau, Weimar, Zwickau, Heidelberg, Erfurt, Worms und Augsburg. Außerdem war ich schon ganze drei Mal in Wittenberg. Dort voll-brachte ich meine, glaube ich, wichtigste Tat: Ich schlug die 95 Thesen an die Tür der prächtigen Schlosskirche. Auch meinen besten Freunden Johannes Bugenhagen, der mit Philipp Melanchthon mein liebster Weggefährte ist, und Lucas Cranach, dem Älteren, der mein bester Diener ist und noch dazu wun-derschöne Portraits von mir malt, bin ich sehr dankbar, da ich ihnen immer vertrauen kann.“

Katharina: „Natürlich erinnere ich mich an alles. Deine lieben Freunde haben dich immer unterstützt, Gott wird immer bei ihnen sein. Auch ich danke dir so sehr, du hast mich, eine entlaufene Nonne, die arm war und nicht einmal für den Haushalt sorgen konnte, bei dir aufgenommen. Das alles hat sich in der Zeit bei dir geändert; nun bin ich gut versorgt und kümmere mich um unser Wohlergehen! Ich wurde zu einer fröhlichen und glücklichen Frau. Ich hoffe, ich konnte auch dir manchmal gute Ratschläge geben. Ich und viele andere Menschen werden dich und deine wundervollen Taten nie vergessen.“

Martin: „Ich hoffe es! Ich werde dich auch nie vergessen. Und was die anderen Menschen angeht: Sie werden mir Denkmäler errichten. In Museen werden meine Schriften ausgestellt werden. Die Menschen werden nach Wittenberg pilgern, um auf demselben Boden zu stehen wie ich damals und um zu sehen, wo ich die Thesen an die Türe geschlagen habe. Selbst die Kinder werden mit kleinen Figuren, die aussehen wie ich, spielen. Die Welt …“

Katharina: „Halt, jetzt mach´ aber mal langsam! Am Ende glaubst du noch, dass die Menschheit in 500 Jahren immer noch deinen Thesenanschlag wür-digt und ein Feiertag nach dir benannt wird? Es wäre doch schon schön, wenn du nicht ganz in Vergessenheit geraten würdest. Gott alleine kann vorherbe-stimmen, was mit deinem Ruf passiert. Wir werden nie erleben, was die Men-schen später von dir denken, aber wir können vom Himmel dabei zusehen.“

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Martin Luthers letzte Predigt in der Schlosskirche

Lena Falter und Michelle Höna

Hans und Jakob hat der Reformator nie ganz losgelassen. Ihr großer Wunsch war es, ihn einmal selbst zu sehen, und da Luther nur einmal in Nürnberg war, beschlossen sie, zu ihm zu reisen. Sie sitzen mit all den anderen Gläubige im Mittelschiff der Schlosskirche zu Wittenberg und es sollte Martin Luthers letzte Predigt in dieser Kirche sein. Die Kirche ist sehr voll. Von ihrem Platz aus sehen sie den Altar. Er liegt sehr zentral, besteht aus Stein und ist mit einem Aufsatz aus Türmen und Statuen geschmückt. Es gibt viele bunte Fen-ster, die mit den Wappen der ersten protestantischen Städte geschmückt sind. Andere zeigen Geschichten aus der Bibel. Über und um die beiden Freunde herum sind prächtige Kronleuchter in Form eines Rades, Seitenschiffe mit Emporen, netzgewölbte Wandpfeiler, Holzschnitzereien und Statuen. Die Schlosskirche ist daher sehr pompös und hoch zum Himmel gebaut bzw. zu Gott.Luther steht vor dem Altar und erinnert sich gerade an die 95 Thesen, die er 1517 an die Tür der Schlosskirche genagelt hat. Er erzählt von den Ablassbrie-fen zur angeblichen Vergebung der Sünden und wie Papst Leo X. die Nicht-wissenden ausnutzte, um Geld für den Bau des Petersdoms zu bekommen. Er meint, man solle auf Pilgerfahrten gehen, um Buße zu tun. Man soll lieber den Bedürftigen helfen, anstatt sein Geld für nichts nutzende Ablassbriefe zu ver-schwenden. Er hat die Christen ermutigt, auf Jesus zu hören, und auch uns Kraft gegeben.

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August Groh: Schulgründung in Nürnberg 1526 (Wandgemälde im Melanchthonhaus Bretten, 1920/21

Die ersten Schüler erleben Pirckheimer und die Humanisten

Theresa Bauer

Friedrich Baumgärtner sitzt vor den Butzenscheiben der oberen Stube und schaut über den Burgberg hinunter. Er ist erst 13, aber durch seinen Vater, den Ratsherrn der Stadt Nürnberg, bekommt der Junge viel mit. Er schaut durch die verschwommenen Fenster nach draußen und sinniert vor sich hin. „Was sind das nur für turbulente Zeiten. Die Kirche mit ihrem Streben nach Prunk und Macht ist durch Luthers Thesen und der damit einhergehenden Reformation ganz schön auf den Kopf gestellt worden. Jetzt gibt es plötzlich eine katholische Kirche, eine evangelisch-lutherische und noch ein paare an-dere Gruppierungen, die sich darüber streiten, wessen Art zu glauben richtig ist. Wenn man, wie ich als Junge in eine ganz normale kleine Kaufmannsfami-lie geboren ist, ist diese Reform aber gar nicht so schlecht. So sagen sie jetzt, dass Bildung wichtig ist, damit jeder die Bibel selbst lesen kann, und dass keiner zum Glauben gezwungen werden kann. Außerdem haben sie die Inqui-sition und die ganzen Scheiterhaufen abgeschafft. Da gibt es wohl einen ge-

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wissen Philipp Melanchthon, einen Humanisten, der hier in Nürnberg sogar eine neue Schule gründen soll. Wie ich gehört habe, arbeitet er sehr eng mit diesem Martin Luther zusammen und vertritt ihn bei vielen Verhandlungen. Neulich hat er sogar verhindert, dass das Klarissenkloster von Caritas Pirck-heimer geschlossen wird, und die Nonnen dort dürfen weiterhin in ihrem Or-den leben. Man sagt, dass Pirckheimers Bruder Willibald, auch ein Humanist, wohl ein Brieffreund von Melanchthon ist, und auch Herr Luther war wohl schon mal zu Besuch bei ihm. Ich glaube, Herr Pirckheimer findet die Refor-mation auch ganz gut. Naja, ich jedenfalls hoffe, dass die neue Schule von Herrn Melanchthon bald eröffnet wird. Dort soll es nämlich auch Griechisch und Mathematik als Fächer geben und es dürfen nicht nur reiche Jungen hin-gehen, sondern alle begabten Kinder, und die Stadt bezahlt das Schulgeld. Dann könnte auch ich richtig viel lernen und werde vielleicht auch mal ein wichtiger Mann bei uns in der Stadt.“ Damit hört das Sinnieren auf und Fried-rich geht zu seiner Mutter in die Küche.

Melanchthons Schulgründung

Ronja Wadenstorfer

Matthäus rutscht schon die ganze Zeit auf dem groben Holzschemel herum. Seine Mutter Dorothea hat ihn schon mehrmals ermahnt, den Geschwistern ein Vorbild zu sein und nicht fortwährend aufzustehen, sich hinzusetzen und wieder aufzustehen. „Was hast du denn? Regt dich die neue Schule so auf, mein Sohn?“ „Ja, Mutter. Ich bin mit Hans verabredet und der Herr Vater hat mir noch zwei Botengänge auf die Lorenzer Seite aufgetragen. Wenn ich mich nicht spute, dann höre ich den Schulgründer nicht mehr!“ „Na dann lauf! Wir sehen uns am Egidienberg. Ich werde mit Margarete Maulaffen feil halten und auf euch zwei warten.“ Matthäus schlüpft froh zur Tür hinaus und in die Werkstatt seines Vaters, um die Goldschmiedearbeiten zu holen, die auszulie-fern sind. Er sputet sich, so sehr er kann, kommt aber trotzdem zu spät und sieht Hans schon ungeduldig auf einem Mäuerchen vor der großen Kirche auf dem Egidienplatz sitzen. Er spingt herab, als er den Freund auf sich zu rennen sieht. „Hans, verzeih‘! Ich war vom Vater abgehalten worden. Habe ich viel versäumt?“ „Eigentlich nicht, aber wenn wir uns jetzt nicht sputen, hören wir gar nichts mehr.“ Die Enttäuschung der Jungen ist groß, als sie vor geschlos-sener Tür zum Stehen kamen. Und sie wird noch größer, als sie an einem Sei-

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tenfenster stehend merkten, dass die ganze Rede des hochgelobten Professors aus Wittenberg auf Lateinisch war! Gott sei dank findet sich im interessierten Publikum einer, der sehr schnell übersetzen konnte. „Euch, euren Kindern und dem gesamten Gemeinwesen Glück und Segen! Hochgeehrte Herren, eurem Wunsch gemäß eröffnen diejenigen Männer die Schule, die ihr durch öffent-lichen Beschluss hierher berufen habt, um ehrwürdige Fächer zu unterrich-ten“, sagte Melanchthon am Anfang sehr schön. Es waren wenig Worte, die die Jungen sehr beeindrucken. Einmal spricht der praeceptor Germaniae da-von, dass es wohl mehr sei, die Jugend recht zu bilden, als „nur“ Troja zu ero-bern. Das gefällt Hans sehr, denn er hatte schon von Hektor und Achill gehört. Wenn der Unterricht in Melanchthons Schule mehr sein wird als die span-nenden Schlachten der Antike, konnte man sich doch wahrlich darauf freuen, oder? Die Jungen lauschen der Rede gespannt. Matthäus hat zwar nicht alles verstanden, da der Mann, welcher die Rede übersetzt, sehr weit entfernt steht, aber er hat vernommen, dass Philipp Melanchthon nicht selbst in dieser Schu-le unterrichten wird, er aber geeignete Professoren auswählen werde, um auch Griechisch und Mathematik zu lehren. Als der hohe Professor endigt, applaudieren die Ratsherren in der Kirche weniger laut als die Zuhörer an den Fenstern und Kirchenmauern, die begeistert sind vom kleinen Reformator, der zum Besten ihrer Stadt gesprochen hat, weil „gerade in einer gut geordneten Bürgerschaft ein Bedarf an Schulen [besteht], in denen die Jugendlichen, die ja gewissermaßen die Pflanzschule der Bürgerschaft darstellen, ausgebildet werden können. Denn wenn einer meint, dass man ohne Unterweisung zu ei-ner wirklichen Tüchtigkeit gelangen könne, so täuscht er sich gewaltig. Und keiner ist zur Leitung eines Staates hinreichend befähigt ohne Kenntnisse in denjenigen antiken Schriften und Wissenschaften, welche die ganze Methode enthalten, wie Gemeinwesen zu regieren sind.“ So sprach er, der kleine Pro-fessor aus Wittenberg, am 23. Mai 1526.

Schulgründung aus Schülersicht

Johannes Regenfus

Mein Name ist Hans. Ich bin ein Schusterssohn aus Nürnberg. Mein Vater ist zwar nicht so berühmt wie Hans Sachs, aber er macht gute Schuhe und keine Gedichte. Ich bin froh, dass ich schon Latein auf der Lateinschule gelernt habe, denn mein Vater hat sich beim Rat der Stadt Nürnberg sehr dafür ein-

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gesetzt, dass ich auf die neue Obere Schule von Philipp Melanchthon gehen darf. Es ist mein ganzer Stolz. Endlich ist es so weit! Ich habe meine besten Sachen angezogen und bin auf den Egidienberg gegangen. Es ist nicht weit von der Altstadt, wo man die Werkstatt meines Vaters finden kann. Ich habe mich mit Matthäus, dem Goldschmiedssohn, verabredet und habe schon mor-gens auf ihn gewartet. Als er endlich kam, sprang ich von dem Mäuerchen, auf dem ich ausgeharrt hatte, und berichtete, wen ich schon gesehen hatte: „Es sind schon alle Honoratioren unserer Stadt in der Kirche. All die Vertreter des Hohen Rats der Stadt Nürnberg und die gebildeten Leute sind schon prä-sent. Ich habe Baumgärtner schon erkannt, der einen schönen Pelzkragen an seinem Mantel hat. Und der Dicke da ist Eobanus Hessus, der Dichter und Lateinprofessor aus Erfurt, der uns Latein und lateinische Dichtung beibringen soll. Siehst du ihn? Und dann läuft da auch noch Michael Roting hinter Me-lanchthon her, der für Rhetorik und Dialektik vorgesehen ist, denn wir sollen ja alle Fächer der sieben artes liberales gelehrt bekommen. Johannes Schöner, den du neben Pirckheimer laufen siehst, macht den Abschluss als Mathema-tiklehrer für uns. Puh! Ich glaube, das wird alles recht anstrengend, wenn ich

Die neuerbaute Egidienkirche und das Gymnasium auf den Dillinghof zu Nürnberg 1711 von Johannes Adam Delsenbach

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das recht überblicke. Und hinter Melanchthon, der völlig bescheiden in schwarzem, einfachem Tuch gekleidet ist, kommt noch ein strenger Mann, Camerarius heißt er. Ich glaube, der soll unser Schulleiter und Griechischleh-rer werden, denn auf das Griechische legt Melanchthon allergrößten Wert. Er sieht sehr streng aus, Matthäus!“ Zusammen liefen wir zum Hauptportal der Egidienkirche, doch dort war zu unserem Erstaunen das Haupttor abgesperrt. „Komisch!“, sagte ich. „Vielleicht entdecken wir irgendwo ein offenes Kirchen-fenster.“ Das sagte ich bewusst mit dem Hintergedanken, eine Lösung zu fin-den. Nach einer Weile vergeblichen Suchens bemerkte ich, dass sich vor mir ein Schild mit folgenden Worten befand: „Zutritt nur für Freunde und Gelehr-te des ehrenwerten Philipp Melanchthon!“ Ich wollte mich schon enttäuscht zurückziehen, als ich plötzlich über mir ein leicht geöffnetes Fenster sah, hin-ter dem Philipp Melanchthon zu erkennen war. „Sieh, Matthäus! Da können wir ihn sehen und hören“, sagte ich. Nach dem Vortrag des praeceptors Ger-maniae verabschiedete ich mich von Matthäus und dachte auf dem Weg nach Hause noch lange über Melanchthons Worte nach. Wenn ich noch weiter so fleißig lerne, könnte ich vielleicht wirklich ein Studiosus dieser hohen Schule werden und Melanchthon nacheifern.

Wer war der Reformationshelfer Veit Dietrich?

Felice Pomerancev

Einige Wochen später sitzen Hans und Matthäus bereits in den Räumen der Oberen Schule und lernen fleißig. „Ich hätte da mal eine Frage“, meldet sich Hans bei Joachim Camerarius‘ Unterricht zu Wort, „neulich habt Ihr vom Re-gensburger Religionsgespräch berichtet und einen erwähnt, wie hieß er noch gleich? Veit Friedrich oder so?“ „Meinst du Veit Dietrich?“ „Ja genau. Wer ist das eigentlich?“ „Veit Dietrich ist ein Schusterssohn und ein sehr enger Be-kannter von Martin Luther und mir. Ich lernte ihn kurz nach seinem Studium kennen. Er studierte an der Universität zu Wittenberg und ich erkannte so-gleich, dass er ein Junge mit besonderer Begabung ist. Auch Lazarus Speng-lers Sohn kam mit nach Wittenberg. Später wurde Veit dann Martins Hausge-nosse und engster Verbündeter, den Martin sowohl zum Marburger Religions-gespräch als auch 1530 nach Coburg mitnahm, während alle Reformatoren in Augsburg weilten. Ich muss gestehen, dass ich, wie viele andere, diese enge Verbundenheit schon oftmals für mich verwendet habe, um beispielsweise

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meine Meinung über das Lesen von Lektüren antiker Schriftsteller aus der ursprünglichen Quelle zu übermitteln. Aber ich schweife ab. Wo war ich doch gleich? Ah genau! Wie ich schon erwähnt habe, erkannte ich sofort Veits be-sonderen Verstand. Ich behielt Recht; er studierte an der artistische Fakultät. Doch als er eine Auseinandersetzung mit Martins Frau Katharina hatte, ver-ließ er Wittenberg. Anschließend nahm er eine Pfarrstelle in der Sebalduskir-che an, wo er noch heute tätig ist.“ „Und habt Ihr noch Kontakt zu ihm?“ „Aber ja, selbstverständlich. Erst letzten Monat erhielt ich die Einladung zu seiner Hochzeit!“

Veit Dietrich, auch Vitus Theo-dorus oder Vitus Diterichus (1506-1549) war ein Nürnberger Theologe, Schriftsteller und Reformator.

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Albrecht Dürer: Portait von Philipp Melanchthon, 1525

Dürers Stich von Melanchthon

Lisa Scharrer

Die zwei Handwerkerfrauen Dorothea und Margarete, die Mütter von Hans und Matthäus, stehen am 23. Mai 1526 vor der Egidienkirche und erwarten den Einzug von Philipp Melanchthon und seine Ehrung anlässlich der bevor-stehenden Schulgründung. Sie wünschen sich nichts sehnlicher, als den Schulgründer zu sehen, denn ihre beiden Jungen, Hans und Matthäus, sollen auch hier lernen und gelehrt werden. Ihre Augen versuchen, den praeceptor Germaniae, den Lehrer Deutschlands und besten Freund von Martin Luther im Gewühl der aufgeregten Menge zu erhaschen. Margarete, die Schustersgat-

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tin, ruft ganz aufgeregt: „Sieh nur, Dorothea, dort steht er!" „Oh!“, erwidert ihre Nachbarin, die Goldschmiedsgattin und Mutter von Matthäus. „Wie er-staunlich! Ich hatte erwartet, dass der mir bisher nur durch Dürers Kupfer-stich bekannte Melanchthon ein wenig anders aussieht." Margarete muss ihr zustimmen. „Recht hast du! Philipp Melanchthon wurde von Dürer als ein stattlicher, kluger und gelehrter Mann gezeichnet und nun ja ... Er kommt in echt ja eher mickrig und verhuscht daher!“ Ihre Nachbarin lenkt ein: „Ich glaube, Dürer tat diesem kleinen Männlein einen Gefallen. Wenn man das Portrait des praeceptor Germaniae sieht, stellt man ihn sich heldenhaft und ansehnlich vor, aber gewiss nicht so klein und wenig eindrucksvoll. Er wollte eben einen imposanten Melanchthon an die Nachwelt weitergeben." Hans‘ Mutter ist noch nicht zufriedengestellt und kann ihre Enttäuschung kaum verhehlen. „Melanchthon mag klug und nachdenklich sein, dennoch zeugt sein Erscheinungsbild nicht von jenen Eigenschaften, die Dürer in dem Kup-ferstich so vorteilhaft dargestellt hat.“ „Du hast recht“, pflichtet ihr Dorothea bei, „auch der ausdrucksstarke Blick und die hervortretenden Adern in Kombi-nation mit den markanten Gesichtszügen wirken sehr eindrucksvoll auf den Betrachter des Bildes, in Wirklichkeit sind sie jedoch kaum vorhanden. „Naja“, lenkt nun wiederum die Schusterin ein, „wenigstens seine Kutte entspricht in

Schulbetriebzu Zeiten Melanchthons

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echt genau der Darstellung auf dem Portrait, dies zeugt allerdings eher von Dürers Talent und Geschick, als dass es den Charakter Melanchthons unter-streicht.“ Dorothea zeigt sich vom bescheidenen Gewand des berühmten Re-formators auf dem Stich beeindruckt. „Einem Künder der Reformation ent-spricht sein tatsächliches Aussehen in keiner Weise! Vor uns steht wohl eher ein kläglicher Abklatsch eines so bedeutenden Mannes."

Das Schulwesen zu Zeiten Melanchthons

Caroline Steinfeld

„Weißt du, Margarete, was unsere Buben in dieser Schule erwartet? Ich habe mich schon mal erkundigt und gefragt, was Melanchthon anders machen will“, sagt die Goldschmiedsgattin. „Wird es denn nicht wie in der Lateinschu-le?“, will die Nachbarin wissen. „Der Schulmeister hat dort ja nicht nur die Aufgabe zu unterrichten, sondern ist auch für das Anstellen und Bezahlen von Hilfskräften zuständig. Der Provisor, oft ein Baccalaurus, arbeitet dem Schul-leiter zu und der Kantor übt den Kirchengesang ein. Die älteren Schüler, auch Lokaten genannt, verdienen sich beim Abhören der jüngeren ein bisschen Geld dazu und wiederholen so gleichzeitig die bereits gelernten Regeln und Texte. Die Besoldung, also die Bezahlung oder der Verdienst der Schulmeister, ist sehr unterschiedlich geregelt. Manchmal erhält der Schulmeister kein Geld, sondern Naturalien.“ „Ja“, fällt da Dorothea wieder ein, „es besteht ja keine Schulpflicht und die Eltern können ihr Kind jederzeit aus der Schule nehmen oder es nur im Winter zur Schule gehen lassen wie die Bauern vor den Toren der Stadt. Nebenamtlich arbeitet mancher Schulmeister als Schreiber für alle, die nicht schreiben und lesen können oder als öffentlich bestellter Notar.“ In dem Moment kommen gerade die beiden Buben vorbeigelaufen und Marga-rete sinniert weiter: „Ob wohl irgendwann einmal auch Mädchen die Schule besuchen dürfen und lernen? Die Lateinschule darf natürlich nur von Knaben besucht werden, welche ab dem sechsten Lebensjahr aufgenommen werden. Die Schüler werden in einem einzigen Schulraum unterrichtet und nach ihrem Leistungstand in drei Lerngruppen aufgeteilt.“ Dorothea hält das für einen eher unwahrscheinlichen Traum. Kein Mann sieht in der Bildung der Mädchen irgendeinen Nutzen und so wird auch die neue Obere Schule unter Melanch-thon eine Jungenschule sein, deren Tagesablauf im Winter um sechs Uhr, im Sommer um fünf Uhr am Morgen mit vier Stunden Unterricht beginnt. Von

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zehn bis zwölf Uhr ist Mittagspause zum Essen, Spielen, zu Erkundungs- und Spaziergängen. Darauf folgen von Montag bis Samstag nochmals vier Unter-richtsstunden. Die beiden Mütter wissen schon, dass jeder Schulmeister seine eigenen Lehrmethoden anwendet, aber die Schulanfänger müssen natürlich zuerst das Lesen mit Hilfe von Alphabet-Täfelchen lernen. Zunächst werden die Buchstaben erfasst, dann die Silben und schließlich Wörter und ganze Sätze. Als Texte dienen das Paternoster, das Credo, das Ave Maria und weitere lateinische Gebete, die auch auswendig gelernt und regelmäßig abgehört werden. „Die drei Unterrichtsschritte sind also lesen, exercieren und exami-nieren“, fasst Dorothea zusammen. „Logik und andere philosophische Bereiche werden in der Lateinschule kaum unterrichtet, aber in unserer Oberen Schule werden sie zur Sprache kommen! Auch die Musik kommt nicht zu kurz, da unsere Jungen ja den kirchlichen Chorgesang in St. Egidien gestalten und häufig am Gottesdienst teilnehmen.“ Der Zufall will es, dass der wichtigste Mann des Tages, Philipp Melanchthon, den beiden Frauen lauscht und sich mit einer kleinen Geste ins Gespräch mischt. Er berichtet von der Lehrmetho-de seines Lehrers Unger: „Zwanzig bis dreißig Verse des zeitgenössischen, christlich-humanistischen Dichters Baptista Mantuanus musste ich jeweils syntaktisch analysieren und für jeden Fehler gab es maßvolle Schläge.“ Als die Frauen etwas ungläubig schauen, ergänzt der Schulgründer, dass gegen Faul-heit beim Auswendiglernen oder Nachlässigkeit bei den Hausaufgaben durch-aus noch weitere Disziplinarmaßnahmen vorhanden waren. „Ein meist älterer Schüler passte auf und bestrafte etwa einen Schüler, wenn er im Unterricht Deutsch sprach, da dies zur intensiven Erlernung der lateinischen Sprache untersagt war. Dieser Aufpasser war der ‚lupus‘, der Wolf. Außerdem gab es in jedem Klassenzimmer ein Eselskostüm oder eine Eselsmaske, die täglich dem erfolglosesten Schüler zur Beschämung übergestülpt wurde. Es gab auch kei-ne Ferien, dafür aber zahlreiche kirchliche Feiertage, die ebenfalls unterrichts-frei waren. Im Hochsommer, wenn es gar zu heiß wurde, wollten wir eine Schulkomödie einüben und aufführen. So stelle ich mir vor, dass der Huma-nismus in die Schule eindringt und durch die methodische Schulung von ‚ra-tio‘ und ‚oratio‘ wird, verehrte Frauen, das Ziel der menschlichen Vollkom-menheit erkennbar, welche schließlich zur ‚eruditio‘, der Bildung, führt. Ich hoffe, in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich Ihre Buben in diesem Sinne zu erziehen trachte“. Mit diesem Satz verabschiedet er sich und entschwindet mit seinem schlichten schwarzen Gewand in die Sakristei der Egidienkirche.

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Der Losunger Hieronymus Ebner und Martin Luther

Kya Heimbach

Wir verfolgen einen weiteren Schultag im Leben von Matthäus und Hans und treffen mit ihnen zusammen Eobanus Hessus, den berühmten Dichter, der der Lehre Luthers gegenüber sehr aufgeschlossen scheint. „Guten Morgen, Schü-ler! Gestern haben wir das Thema Martin Luther behandelt. Heute aber will ich weitermachen mit einem ganz besonderen Mann, dem Losunger Hierony-mus Ebner! Wer kann mir denn etwas über den Zusammenhang von Luther und Hieronymus Ebner erzählen?“ Matthäus meldet sich erfreut, weil dieser Ebner schon häufiger Goldschmiedearbeiten bei seinem Vater bestellt hatte und er dessen Haushalt durch die Auslieferungen gut kannte. „Ich, Herr Leh-rer! Luthers 95 Thesen waren ohne sein Zutun bis nach Nürnberg gekommen. Da hat der Ratsherr Kaspar Nützel schon etwas mehr getan, denn er ließ sie nämlich ins Deutsche übersetzten. So kam es, dass die Thesen unter das Volk gerieten. Humanisten sprachen sie durch und selbst Albrecht Dürer und Scheurl besaßen eine Reihe von Lutherschriften. Auch der Prior des Augusti-nerklosters, Wolfgang Volprecht, hatte bei der Bekanntmachung des ‚anderen‘ Glaubens geholfen. Da er immer noch ein Freund des Reformators war, sorgte er 1518 dafür, dass ein Traktat in Nürnberg gedruckt und verbreitet wurde. Dies geschah trotz des Verbots des Rates. Mit dem Rat kommt dann auch Hi-eronymus Ebner ins Spiel. Denn er war der zweite Losunger. Ein Losunger ist das höchste öffentliche Amt in der Reichsstadt Nürnberg. Der Losungen hat die Kontrolle über die städtischen Finanzen. Er hat nichts gegen den Witten-berger, im Gegenteil! Ebner ist ein Freund Luthers und so kam es, dass dieser ihm am 8. September 1518 seine Auslegung des 110. Psalmes widmete.“ Eobanus Hessus ist offensichtlich erstaunt über die genauen Kenntnisse, die sein Schüler über das Ratsmitglied hatte, und lobt ihn vor allen anderen. „Das war sehr gut, Matthäus! Ich danke dir für deinen Beitrag.“

Kaspar Nützel übersetzt Luthers Thesen für Nürnberg

Oisin Gogarty

Schon während des langen Vortrags von Matthäus hatte sich Hans die ganze Zeit gemeldet. Er rutscht ungeduldig auf der Schulbank hin und her und hätte schon fast das Tintenfass umgestoßen, hätte Eobanus Hessus ihn nicht end-

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lich aufgerufen. Atemlos fragt er: „Wer ist eigentlich dieser Nützel? Ich höre immer von dem und weiß nicht, wer es ist.“ Der große Dichter seufzt: „Junge, da gibt es sehr viel zu erzählen. Fangen wir mal mit seinen Ämtern an. Nimm deinen Griffel und dein Wachstäfelchen und schreib dir das gut auf. Kaspar Nützel wurde 1502 Ratsherr und ein Jahr später Bürgermeister. Noch ein Jahr später reiste er bis 1517 als Ratsgesandter Nürnbergs nach Ansbach, Heidel-berg, Bamberg und Würzburg. Außerdem war er zwischen 1509 und 1515 ständiger Botschafter beim Schwäbischen Bund und ...“ „Entschuldigt, Magi-ster, aber was ist der Schwäbische Bund?“, hakt Hans ein. „Das ist ein Zusam-menschluss der schwäbischen Reichsstände. Er ist vor allem für den Nieder-schlag der Bauernaufstände bekannt! Nützel war also auch da in wichtiger Position unterwegs. Im Jahr 1514 wurde er der Kurator des Klaraklosters, 1515 wurde er Zinsmeister und schließlich ab 1524 Hauptmann und Losun-ger. Was das bedeutet, hat Matthäus ja schon schön erklärt. Als Kontrolleur der Finanzen machte man ihn zum Spitalpfleger in Nürnberg. Bis zu seinem Tod war er auch Beauftragter Nürnbergs in Territorialstreitigkeiten zwischen dem Nürnberger Gebiet und dem Markgrafen Georg und den bayerischen Herzögen, den Wittelsbachern. Er unterstützte die Reformation und hat, wie du jetzt schon weißt, bleibende Verdienste erworben, indem er Luthers 95 Thesen ins Deutsche übersetzte. Reicht das als Antwort?“ „Ich fürchte ja“, seufzt jetzt Hans und versucht, sich recht klein zu machen, damit die verwir-renden Ausführungen über Nürnberger Ratsherren ein Ende nehmen. Er will endlich raus aus der Schule und sich am Hauptmarkt mit Jakob, dem Lehr-buben von Cranach treffen, der derzeit bei Dürer wohnte, treffen.

Hans und Jakob sehen das Männleinlaufen in Nürnberg

Rafael Drijman

Justament zum Zwölfuhrläuten kommt Hans auf dem Hauptmarkt an. Der Weg von der Oberen Schule am Egidienberg bis hierher war nicht weit und Hans blickt begeistert zum Männleinlaufen hinauf, während er Jakob schon auf sich zulaufen sieht. Mit großen Augen sieht er hinauf und murmelt vor sich hin: „So eine tolle Mechanik, von Menschenhand erfunden. Ich frage mich nur gerade, wer die prächtigen Männer sind, die um den Kaiser herum-tanzen. Ob ich wohl jemanden fragen kann?“ Hans geht zu einem alten Mann und fragt ihn, ob er ihm und Jakob, der inzwischen herangekommen ist, das

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Das Männleinlaufen an der Nürnberger Frauenkirche

Männleinlaufen erklären könnte. Der Greis sagt: „Setzt euch hin, ihr jungen Männer!“ Erfreut hört Hans die Anrede. Als „junger Mann“ hat ihn bisher noch

nie einer bezeichnet. Er ist ja schließlich noch ein Schulbube. Eilig lassen sich die beiden nieder und voller Neugier und Freude sagt Hans: „Jawohl!“ Der Alte hebt an: „Die Männlein sind die sieben Kürfürsten, die sich immer nach dem Mittagsläuten nacheinander vor seiner Majestät Kaiser Karl IV. verneigen. Die Kurfürsten sind die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der König von Böh-men, der Herzog von Sachsen, der Pfalzgraf bei Rhein und der Markgraf von Brandenburg. Für Jakob scheint das genug Information. Er sagt: „Aha, das reicht aus.“ Aber der alte Mann erwidert mit lauter Stimme: „Mein Junge, hör zu, bis ich fertig bin, sonst bleibst du blöd!“ Da entschuldigt sich der Lehrjun-ge schüchtern: „Es tut mir leid.“ Ein anderer Mann hört das Gebrüll und sagt: „Ho ho! Schreit die Knaben nicht so an!“, aber der Greis kümmert sich nicht darum und murmelt etwas vom schlechten Benehmen der Jugend, bevor er weiter redet. „Also, wo bin ich geblieben?“, fragt der Alte. Hans sagt: „Sie ha-ben erklärt, wer die Männlein sind.“ Der alte Mann sagt: „Stimmt! Du fragst dich vielleicht jetzt, warum sie das machen. Das ist ganz simpel. Das dargebo-tene ‚Schauspiel‘ stellt die Huldigung Kaiser Karls IV. dar, die an den Erlass der Goldenen Bulle erinnern soll, das wichtigste Reichsgesetz des ganzen Mittel-alters, das 1356 in Nürnberg durch Kaiser Karl IV. und die Reichsfürsten bera-ten wurde.“ Die beiden Jungen nicken dankbar und verabschieden sich von ihm. „Danke! Sie haben es mir gut erklärt, jetzt weiß ich Bescheid.“ Und damit laufen beide weiter.

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Was ist die Goldene Bulle?

Michelle Höna

Hans lässt die Frage mit den Kurfürsten nicht los. Er ist fasziniert vom Lauf-werk und er will auch mehr über diese Goldene Bulle wissen, die der Alte er-wähnt hatte. Da der Greis sie so gemaßregelt hat, sucht er lieber eine andere Auskunft. Er überredet Jakob, schnell bei einem Mitschüler vorbeizuschauen. Friedrich ist auch 13 Jahre alt und geht mit Hans zur Schule. Sein Vater Hie-ronymus Baumgärtner ist ein sehr wohlhabender Rat der Stadt Nürnberg, der sehr viel für die Schulgründung getan hat. Diesen Vater will Hans nach der Goldenen Bulle fragen. Als sie in dem stattlichen bürgerlichen Sandsteinhaus am Burgberg ankommen, zögert der Vater nicht lange. Er erzählt, dass eine Bulle ein Siegel ist und meistens aus Blei besteht. Nur wenn sie eine große Bedeutung hat, wird sie aus Gold gemacht. Dieses Siegel ist aber nur ein Teil der Goldenen Bulle, denn eigentlich ist sie ein in Urkundenform verfasstes Gesetz und ist in Latein geschrieben. Es ist schon seit 1356 das wichtigste Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches. Die ersten 23 Kapitel wurden hier in Nürnberg gemacht, deshalb nennt man es auch Nürnberger Gesetz-buch. Die restlichen Kapitel wurden in Metz erarbeitet. Entscheidend sind aber die Kapitel aus Nürnberg. In ihnen geht es um die Wahl und Krönung der römischen und deutschen Könige. Es wurde festgelegt, dass ein König durch die Kurfürsten gewählt wird. Davor konnte er nur durch die Zustimmung aller Kurfürsten zum König werden, durch die Goldene Bulle aber wird er nun durch die Mehrheit der Stimmen der Kurfürsten gewählt. Die Goldene Bulle legt auch eine jährliche Versammlung der Kurfürsten fest. Dort sollen Beratungen mit dem Kaiser stattfinden. Und mit der Goldenen Bulle wird auch die Verer-bung des Titels eines Kurfürsten festgelegt. Das Ziel dieser Bulle ist es, die Aufstellung von Gegenkönigen und Thronfolgefehden zu verhindern. Nun wissen die Jungen wirklich Bescheid und bedanken sich bei Friedrichs Vater für die Erklärung, bevor sie wieder in den hellen Sommertag hinaustreten.

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Kaspar Sturms Unterstützung der Reformation in Nürnberg

Pia Kranich

„Hast du schon gehört? Kaspar Sturm ist gestern hier bei uns in Nürnberg gestorben?“ „Nein, das ist ja traurig. Er war ein so wundervoller Mann.“ Als Friedrich, der Freund von Hans und Matthäus, seinen Nachhauseweg zum Burgberg einschlägt, hört er dieses Gespräch zwischen zwei älteren Männern, die vor einem Haus sitzen. Durch diese Worte neugierig geworden, tritt er näher heran: „Entschuldigen Sie bitte“, spricht er die beiden Greise an. „Wer, sagten Sie gerade, ist gestern gestorben?“ „Kaspar Sturm, mein Junge.“ Als er Friedrichs fragendes Gesicht sieht, fährt er fort: „Du kennst ihn bestimmt, den berühmten Reichsherold, welcher auch mit Luther zu tun hatte.“ Friedrich kennt ihn nicht und fragt deshalb: „Hättet Ihr vielleicht die Zeit, mir ein kleines bisschen über das Leben dieses anscheinend besonderen Mannes zu erzählen?“ Die beiden Männer nicken und fordern ihn auf, sich zu ihnen zu setzen. „So, dann fangen wir mal an“, beginnt der Kleinere von beiden. „Kas-par Sturm wurde 1475 in Oppenheim als Sohn eines kurpfälzischen Beamten geboren. Als Reichsherold …“ „Halt“, unterbricht ihn der zweite, etwas größe-re Mann. „Du hast vergessen, dass er lange Zeit in der Kurmainzer Kanzlei gearbeitet hat und zu dieser Zeit schon einen Dienstvertrag mit dem Nürnber-ger Rat hatte. Er sollte diesen über die politischen Ereignisse und Vorgänge im Reich unterrichten und war zudem als Kurier tätig.“ „Wieso denn das? Warum war der Nürnberger Rat so interessiert an den Ereignissen im Reich?“, will Friedrich wissen und dachte heimlich an seinen Vater, Hieronymus Baumgärt-ner, der ja auch Rat der Stadt Nürnberg ist und nicht wenig Einfluss hat. Hier übernimmt der erste Mann mit den grauen Locken wieder das Wort: „Nürn-berg hatte deshalb ein so großes Interesse an der Reichspolitik, weil es finan-ziell stark mit dem Kaiserhaus verflochten war. Die Großunternehmen der Fugger und Welser gehörten zu den Kreditgebern des Kaiserhauses und wollten, da sie auch Handelsbeziehungen nach Südamerika und dem fernen Osten hatten, gut über die politische Lage informiert sein.“ „Ach so. Und was wollten Sie von Kaspar Sturm als Reichsherold sagen? Was ist das über-haupt?“, fragt Friedrich weiter. „Ein Reichsherold war ein offizieller Bote des Reiches“, erklärt der Größere. „Ein Herold kannte sich gut im Rechtswesen aus, hatte bei Reichstagen für Ordnung zu sorgen und sicherte kaiserlich be-willigtes freies Geleit. Diesen Beruf übt Sturm also seit 1520 aus. Im Jahre 1521 nahm ihn dann Karl V. mit zum Reichstag nach Worms, der vom 27.

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Januar bis zum 25. Mai dauerte.“ „Jetzt haben Sie aber Luther noch gar nicht erwähnt. Hatten Sie nicht gesagt, dass der Sturm den Luther getroffen hat?“, wirft Friedrich ein. „Gut aufgepasst, mein Junge, genau das kommt nun“, fährt der kleine alte Mann fort, der Gefallen an dem Gespräch mit dem wissbegie-rigen jungen Schüler gefunden hat. „In Worms sollte nämlich auch der Fall Luther verhandelt werden. Dieser war bereits als Häretiker, d.h. als jemand, der von der offiziellen Glaubenslehre abweicht, verurteilt worden. In Worms sollte er nun seine Lehren widerrufen. Luther war für seine Reise von Witten-berg nach Worms freies Geleit zugesichert worden und da kommt Kaspar Sturm ins Spiel.“ „Jetzt darf ich mal wieder“, beklagt sich der Größere, der aussieht wie ein alter Professor. Er spricht weiter: „Kaspar Sturm hatte sich zwar ebenfalls mit der katholischen Kirche überworfen, wurde aber dennoch als Begleiter und Beschützer für Luther ausgewählt, was die Anhänger der katholischen Kirche nicht nachvollziehen konnten. Die Reise nach Worms wurde dann auch kein Bußgang, sondern fast eine Art Triumphfahrt für Lu-ther. Da Sturm Luther insgeheim bewunderte, ließ er dies geschehen. Auch während der Verhandlung sorgte Sturm dafür, dass Luthers Anhänger stets über den Ablauf unterrichtet waren. Nachdem Luther sich weigerte, seine The-sen zu widerrufen, wurde er entlassen. Ein Schutzbrief sicherte ihm weiterhin freies Geleit zu, sodass er mit Kaspar Sturm als Geleitschutz Worms wieder verließ. Luther entließ seinen Begleiter allerdings schon etliche Kilometer vor Wittenberg. Er wusste anscheinend über seine Entführung auf die Wartburg Bescheid.“ „Jetzt bleib´ aber mal beim Thema“, wirft der kleinere Mann ein, der vor Eifer schon ganz rot im Gesicht ist. „Wie ging es denn mit Sturm weiter?“ „Kaspar Sturm arbeitete noch viele Jahre lang als Reichsherold, bis zum Re-gensburger Reichstag 1541. In der Zwischenzeit war er von Mainz nach Nürn-berg übergesiedelt und wohnte im Heilig Geist Spital. Als Anhänger der Lehre Luthers wirkte er bei der Einführung der Reformation in Nürnberg kräftig mit. Gestern, also am 4. Juni 1552, verstarb er nun hier.“ Erschöpft schnauft der alte Mann durch und lehnt sich mit traurigem Gesicht zurück. „Vielen Dank für die ausführlichen Erklärungen. Aber woher wisst ihr beiden denn so genau über Kaspar Sturm Bescheid?“, will Friedrich wissen. Die Männer grinsen sich an: „Wenn man zehn Jahre Tür an Tür mit jemandem wohnt, erfährt man so einiges.“ Sie stehen auf, verabschieden sich und lassen Friedrich mit seinem neu gewonnenen Wissen zurück.

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Hans Sachs und „Die Wittenbergisch Nachtigall“

Charlotte Redenbacher

„Heute werdet ihr etwas über Hans Sachs erfahren“, erklärt Lehrer Camerari-us. „Weiß schon jemand von euch etwas über ihn?“ Daraufhin meldet sich Friedrich: „Ja, wie der Vater von Hans ist er Schuhmacher, aber auch noch Spruchdichter, Meistersinger und Dramatiker. Sein berühmtestes Gedicht ist „Die Wittenbergisch Nachtigall“ von 1523. Hans lies doch mal!“

"Wach auff! Es nahent gen den tag.Ich hör singen im grünen hagEin wunigkliche nachtigall.Ir stim durchklinget berg und thal.Die nacht neigt sich gen occident,Der tag get auff von orient,Die rotprünstige morgenrötHer durch die trüben wolcken göt."

„Mit der ‚wunigklichen Nachtigall‘, deren Stimme Berg und Tal durchklingt, ist der Reformator Martin Luther gemeint. Das Gedicht ist wie eine Lobeshymne auf ihn und die Reformation“, berichtet der Schuldirektor. „Hans Sachs schrieb bisher schon über 6000 Stücke unterschiedlicher Natur, davon mehr als 4000 Meistergesänge. Nun hätte ich noch eine Frage an euch: Weiß denn jemand, warum Hans Sachs so bekannt und bedeutend ist?“ fragt der Lehrer.„Ja, meine Eltern haben mir erzählt, dass er der berühmteste und talentiertes-te der Meistersinger war. Die Meistersingerbewegung wollte die Menschen dazu anregen, Spaß an Dichtungen und am eigenen Dichten zu haben,“ er-klärt Camerarius und beendet die Stunde.