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Ber/chte tion and Sport" (seit •987, Verlag K. Hof- mann, Schorndorf) eine wesentliche Infor- mationsquelle fiir Fragen der vergleichenden sportwissenschaftlichen Forschung. Das Symposium in Vancouver hat entspre- chende Zeichen gesetzt und Impulse gege- ben, die auf den kommenden Symposien weiterentwickelt werden k6nnen (1988 Hongkong -- Wettkampfsport; 1990 Lon- don -- Sport ffir alle; 1992 Pelotas / Brasilien -- Neue Berufsfelder im Sport). H. HAA~ .Menschen im Sport 2000" Kongrefd des Deutschen Sportbundes vorn 5.-Z November 1987 in Berlin Wahrscheinlich hat es im vergangenen Jahr 1987 keinen Kongrel3 -- schon gar nicht zum Thema Sport -- gegeben, fiber den so viel berichtet worden w~ire wie fiber den DSB-Zukunftskongref~ ,Menschen im Sport 2000" vom 5. bis 7. November in Berlin. Zu seiner Vorbereitung wurde bereits ein Jahr vorher eigens ein Buch (,,Die Zukunft des Sports") herausgegeben; in vielen Kommen- taren ulid Artikeln wurde immer wieder auf diesen Kongret~ hingewiesen, von dem man auf viele Fragen die richtigen Antworten ~r die Zukunft erhoffte. Angesichts dieser Er- wanungshaltung wurde abet auch eindring- lich vor fiberzogenen Hoffnungen gewarnt. W~ihrend des Kongresses kam im Fernsehen eine Extrasendung, die grol~en Zeitungen berichteten ausfiihrlich, kommentierten kritisch, und noch Tage (und wahrschein- lich Wochen) sp~iter waren (und sind) die Nachbeben dieses gr613ten Kongresses des DSB fiber die Probleme und Perspektiven des Sports in den Medien (und hoffentlich auch im Sport selbst) noch deutlich zu spti- ten. Ist nicht schon alles gesagt? Warum noch ein Bericht? Warum in der ,Sportwissen- schaft" (und deshalb so sp~it), zumal sich der DSB ausdr/.icklich an seine Vereine und Ver- b~inde richtete und sie zur Diskussion auf- forderte -- nicht die Wissenschaft(ler/in- lien). Ein Bericht aus sportwissenschaftlicher Sicht ist trotzdem angebracht: Erstens ist die Sportwissenschaft ein Teil des Sports und als solcher in hohem Mal~ yon seinem ,Schicksal" abh~ingig. Zweitens ist es die Aufgabe der Sportwissenschaft, die Ent- wicklungen innerhalb und auf~erhalb des Sports genau zu verfolgen, zu analysieren und kritisch zu begleiten; und drittens hat sich ,der" Kongref~ als eine wahre Fundgru- be von Fragen und Problemen, yon The- men und Anwendungsgebieten erwiesen, die aufzugreifen und um L6sungen sich zu bemfihen vor allem die Sportwissenschaft- ler / innen aufgefordert sind. Dieser Kongrei~bericht versteht sich deshalb eher als ein aus subjektiver und sportwissen- schaftlicher Sicht gegebener Kommentar, der sich in erster Linie mit den Haupt- und Problemreferaten besch~iftigt, abet auch auf die Diskussionen in den Arbeitskreisen Be- zug nimmt, nicht so sehr als ein objektiver und lfickenloser Bericht -- beides ist gerade hier nicht m6glich. Darfiber hinaus soll auf die Frage der sportwissenschaftlichen Be- deutung dieses DSB-Kongresses eingegangen werden. Die Tatsache, daf~ der DSB erst 36 Jahre nach seinem ersten Kongrel~ 1951 in Stutt- gart (ein halbes Jahr nach der Grhndung des DSB) wieder einen Kongref~ veranstahete, macht deutlich, dat~ offenbar lange Zeit kei- ne Notwendigkeit und kein Bedfirfnis be- stand, sich fiber grunds~itzliche Fragen und Probleme der Einheitssportbewegung aus- zutauschen. Es zeigt aber auch, dai~ sich die Zeiten ge~indert haben und ein solcher Kon- gret~ inzwischen dringend geboten war. Vie- le vertraten sogar die Meinung, daf~ der Sport an einem Scheideweg angelangt sei, an dem es nun richtungweisende Entscheidun- 84

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Ber/chte

tion and Sport" (seit •987, Verlag K. Hof- mann, Schorndorf) eine wesentliche Infor- mationsquelle fiir Fragen der vergleichenden sportwissenschaftlichen Forschung. Das Symposium in Vancouver hat entspre- chende Zeichen gesetzt und Impulse gege- ben, die auf den kommenden Symposien weiterentwickelt werden k6nnen (1988 Hongkong -- Wettkampfsport; 1990 Lon- don -- Sport ffir alle; 1992 Pelotas / Brasilien -- Neue Berufsfelder im Sport).

H. HAA~

.Menschen im Sport 2000"

Kongrefd des Deutschen Sportbundes vorn 5 . -Z November 1987 in Berlin

Wahrscheinlich hat es im vergangenen Jahr 1987 keinen Kongrel3 -- schon gar nicht zum Thema Sport -- gegeben, fiber den so viel berichtet worden w~ire wie fiber den DSB-Zukunftskongref~ ,Menschen im Sport 2000" vom 5. bis 7. November in Berlin. Zu seiner Vorbereitung wurde bereits ein Jahr vorher eigens ein Buch (,,Die Zukunft des Sports") herausgegeben; in vielen Kommen- taren ulid Artikeln wurde immer wieder auf diesen Kongret~ hingewiesen, von dem man auf viele Fragen die richtigen Antworten ~ r die Zukunft erhoffte. Angesichts dieser Er- wanungshaltung wurde abet auch eindring- lich vor fiberzogenen Hoffnungen gewarnt. W~ihrend des Kongresses kam im Fernsehen eine Extrasendung, die grol~en Zeitungen berichteten ausfiihrlich, kommentierten kritisch, und noch Tage (und wahrschein- lich Wochen) sp~iter waren (und sind) die Nachbeben dieses gr613ten Kongresses des DSB fiber die Probleme und Perspektiven des Sports in den Medien (und hoffentlich auch im Sport selbst) noch deutlich zu spti- t en . Ist nicht schon alles gesagt? Warum noch ein Bericht? Warum in der ,Sportwissen- schaft" (und deshalb so sp~it), zumal sich der

DSB ausdr/.icklich an seine Vereine und Ver- b~inde richtete und sie zur Diskussion auf- forderte -- nicht die Wissenschaft(ler/in- lien).

Ein Bericht aus sportwissenschaftlicher Sicht ist trotzdem angebracht: Erstens ist die Sportwissenschaft ein Teil des Sports und als solcher in hohem Mal~ yon seinem ,Schicksal" abh~ingig. Zweitens ist es die Aufgabe der Sportwissenschaft, die Ent- wicklungen innerhalb und auf~erhalb des Sports genau zu verfolgen, zu analysieren und kritisch zu begleiten; und drittens hat sich ,der" Kongref~ als eine wahre Fundgru- be von Fragen und Problemen, yon The- men und Anwendungsgebieten erwiesen, die aufzugreifen und um L6sungen sich zu bemfihen vor allem die Sportwissenschaft- ler / innen aufgefordert sind. Dieser Kongrei~bericht versteht sich deshalb eher als ein aus subjektiver und sportwissen- schaftlicher Sicht gegebener Kommentar, der sich in erster Linie mit den Haupt- und Problemreferaten besch~iftigt, abet auch auf die Diskussionen in den Arbeitskreisen Be- zug nimmt, nicht so sehr als ein objektiver und lfickenloser Bericht -- beides ist gerade hier nicht m6glich. Darfiber hinaus soll auf die Frage der sportwissenschaftlichen Be- deutung dieses DSB-Kongresses eingegangen werden. Die Tatsache, daf~ der DSB erst 36 Jahre nach seinem ersten Kongrel~ 1951 in Stutt- gart (ein halbes Jahr nach der Grhndung des DSB) wieder einen Kongref~ veranstahete, macht deutlich, dat~ offenbar lange Zeit kei- ne Notwendigkeit und kein Bedfirfnis be- stand, sich fiber grunds~itzliche Fragen und Probleme der Einheitssportbewegung aus- zutauschen. Es zeigt aber auch, dai~ sich die Zeiten ge~indert haben und ein solcher Kon- gret~ inzwischen dringend geboten war. Vie- le vertraten sogar die Meinung, daf~ der Sport an einem Scheideweg angelangt sei, an dem es nun richtungweisende Entscheidun-

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gen zu treffen gelte. (Dasselbe wurde im iibrigen schon im Jahr 1928 in einem Buch von Willy MrISL mit dem Titel ,Der Sport am Scheideweg" behauptet.) Wissenschaft- let sollten dabei nicht abseits stehen, son- dern mit ihrem (mehr oder weniger) gebiin- delten Sachverstand die richtigen Analysen durchfiihren und die besten und prakti- kabelsten Vorschl~ige machen, um diesen wichtigen Entscheidungen fiir die Zukunft des Sports eine feste Grundlage zu geben.

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der zuktinftigen Entwicklung des Sports sollte der in Ziirich lehrende Philosoph Prof. Hermann LOBBE abstecken. W~ihrend sich alle anderen Vortr~ige und Referate un- mittelbar auf den Sport bezogen und auf- grund der Diskussionen im Vorfeld des Kongresses thematisch ungef~ihr einzuord- nen waren, herrschte besonders hinsichtlich des LOBBE-Vortrags bei vielen Teilnehmern erwartungsvolle Spannung. Redegewandt und wortgewaltig zeichnete LOBBE den Zu- h6rern das Bild einer modernen Gesell- schaft, in der das Ideal der .Selbstverwirkli- chung", der .Renner unter den neuen Wer- ten" (LOBBE), nicht mehr als luxuri6ses und dekadentes Lebensziel einzelner, sondern geradezu als eine gesellschaftliche Notwen- digkeit betrachtet werden mhsse. Wachsen- de fide Zeit fiihre dazu, daf~ die Menschen diese nun in .zustimmungsf~ihigen Lebens- sinn" verwandeln wollten; es bestehe sozu- sagen ein objektiver Zwang zur Selbstver- wirklichung. Den Kulturpessimisten (auch unter den Sportlern) hielt LI~BBE entgegen, dat~ dieses Fiillen selbstbestimmter Lebens- zeitr~iume nicht etwa mit dem Verlust sog. sekund~irer Tugenden einhergehe, im Ge- genteil: nur durch Fleif~, Selbstdisziplin, Piinktlichkeit, Stetigkeit usw. k6nne die F~i- higkeit zur Selbstbestimmung erworben werden.

Wer das Gltick direkt anstrebe, so lautet be- reits die klassische und deswegen bis heute

gtiltige Theorie des Glticks, werde es nie er- reichen; wer dagegen die ,Last der M;Shen" auf sich nehme und sich in sinnvollen, selbstbestimmten T~itigkeiten wie der Gar- tenarbeit, dem Extremsport, der Schatten- wirtschaft oder sonstigen Bereichen unserer ,bliihenden Alltagskultur" bet~itige, der k6nne sich auch den ,Lohn der Mtihen" verdienen. Die egalit~ire Gesellschaft, so LOBBE, entwickle sich deswegen gerade nicht zur anonymen Massengesellschaft, wie der ewige Kassandraruf der Kulturpessi- misten laute, sondern der Zwang zur Selbst- bestimmung -- jeder ist seines Gltickes Schmied -- produziere seine eigenen Eliten, oder, wie LOBBE scherzhaft-euphemistisch meinte, ,Chancengleichheitsbegtinstigte" oder ,Egalit~itsnutzer". All das passe genau auf den Sport: Er biete Sinn, sei kulturell an- erkannt, lasse die eigenen Grenzen erken- nen (ein Merkmal ,humaner Reife"), biete die M6gtichkeiten einer ,sich wohl befin- denden Leiblichkeit" tiber die Anstrengung sowie reicher sozialer und kommunikativer Beziehungen. Im Sport seien alle gleich, aber einige k6nnten es eben besser; der Sport sei das ,ideale Selbstbestimmungs- medium".

Nach dem Hauptvortrag von LOBBE, der als ein weiteres, sozusagen positivistisch-affir- matives Glied in der Kette der Sportdeutun- gen seit PLESSNER, VON KROCKOW oder auch OR~GA angesehen werden kann, waren nicht wenige Kongret~teilnehmer versucht, mit einem optimistischen .Welter so, DSB!" bereits zum geselligen Tell des Kongresses iiberzugehen. Aber die meisten waren nicht zu einer Jubelfeier gekommen, sondern sie wollten die nicht zu tibersehenden Proble- me oder gar die .Krise" des organisierten Sports diskutieren.

Dat~ es tats~ichlich nicht ganz so rosig im und mit dem Sport im allgemeinen und im besonderen im DSB aussieht, obwohl man sich natiirlich yon LCmBES Vortrag ge-

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schmeichelt fiihlte, wurde in den nachfol- genden Vortr~igen deutlich. Worin bestehen eigentlich die Probleme des organisierten Sports, um die es im folgenden ging? Folgte man LOBBE, dem Sport-Boom, der Sportlichkeitswelle und der stetig wach- senden Zahl der DSB-Mitglieder und Verei- he, die inzwischen die 20-MillionemGrenze hberschritten hat, so sind eigentlich keine zu erkennen. Ein Blick hinter die strahlende DSB-Fassade zeigt jedoch, daf~ genau dieses Wachstum dem Sport zu schaffen macht; es ger~it aul~er Kontrolle, und die Entwicklung des Sports droht an den Vereinen und Ver- b~nden vorbeizugehen. Es knirscht im DSB- Getriebe: Die Schere zwischen Spitzen- und Breitensport wird immer gr6i~er; die Profes- sionalisierung bringt die idealistische S~iule der ehrenamtlichen Mitarbeit ins Wanken; die Kommerzialisierung spaltet den ffeien Sport, macht Sport zur Ware und unter- gr~ibt die Moral der Mitglieder; die sog. kommerziellen Anbieter entpuppen sich zu- nehmend als echte Konkurrenz; neue For- men und Inhalte ebenso wie neue Einstel- lungen und Bediirfnisse der Menschen stel- len das klassische Sportartenkonzept und das leistungsorientierte Sportmodell in Fra- ge; Medien, Wirtschaft und Politik verfiih- ten den Sport und drohen ihn zu beherr- schen; und zu all dem und vielem mehr kommen die Konflikte mit den Umwelt- schiitzern und dem Steuerrecht sowie der (yon einigen so genannten) Erfolglosigkeit der Spitzensportler, dem Doping oder der Gewalt im Sport. Das Sportsystem, wie in- zwischen einige sagen, ger~it aus den Fugen. Was ist zu tun? Prof. Ommo GRtrPr, Vorsitzender des Or- ganisationskomitees und DSB-Vizepr~isi- dent, ging in seinem Grundsatzreferat (,Menschen im Sport 2000". Von der Ver- antwortung der Person und der Verpflich- tung der Organisation") bei seiner Antwort auf diese Fragen vom Sport selbst und yon

den Menschen aus, fiir die er da ist oder da sein soll; d. h. von dem Sport, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg aus den Erfahrun- gender Vergangenheit heraus zu einer ein- heitlichen, freien, unabh~ngigen, demokra- tischen und f6derativen Organisation im DSB zusammengeschlossen hat. Das Sport- verst~indnis der Griinderjahre sei von gro- f~em Idealismus gepr~igt gewesen und lasse sich durch Stichworte wie Freiwilligkeit, Gemeinniitzigkeit, Gesundheit und Wohl- befinden, Gemeinschaft, Fairnef~, Solidari- t~it, Erziehung, Leistung und Humanit~it umschreiben. Dieses klassische Selbstver- st~indnis des Sports sei angesichts ver~inder- ter Bedhrfnisse und Einstellungen der Men- schen sowie gesellschaftlicher und be- wegungskultureller Entwicklungen in raschem Wandel begriffen. Kurz (und un- vollst~indig) gesagt, gehe der Trend zu mehr Spaf~, Unterhaltung, Individualismus, Ge- sundheit sowie Fitness und Sportlichkeit als allgemeingiiltige Attribute; andererseits zu weniger Leistung, Anstrengung, Wett- kampf, Verein, traditionellen Sportarten und damit auch ehrenamtlichem Engage- ment in den ffeien Sportorganisationen, z. B. auch in der Kinder- und Jugendarbeit. GRt1~E wollte in seinem richtungweisenden Vortrag nach LOBBES Optimismus nun kei- nen Pessimismus im ICC-Saal verbreiten und das Rad der Geschichte zuriickdrehen, sondern ihm ging es darum, die grof~e Dy- namik und Vitalit~it des Wandels der sportli- chen Szene zu erhalten und gleichzeitig in die Bahnen zu lenken, die man will und die auch von den Traditionen des Sports vorge- zeichnet sind. Diese Balance sei schwierig, aber sie mhsse um der Zukunft des organi- sierten Sports willen gehalten werden. GRu- P~ formulierte fhnf Grunds~itze, an denen das zukhnftige Selbstverst~indnis des Sports auszurichten sei.

Der Sport mfisse demnach erstens p~idago- gisch verstanden werden, zweitens auf Ge-

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sundheit ausgerichtet sein, drittens soziale Aufgaben erfiillen, viertens gesellschaftliche Verantwortung iibernehmen und fiinftens seine eigene kulturelle Qualit~it f6rdern. Nicht alles, was sich sportlich nenne oder was im Namen des Sports geschehe, dtirfe deshalb in Zukunft auf den Beifall des DSB- Sports hoffen. Nicht die ,Regeln des Mark- tes oder der Unterhaltungsindustrie" (GRu- rE) sollten den Weg in den Sport 2000 wei- sen, sondern die Prinzipien des Sports.

Mag bei GRtrvE die Waage zwischen Idealis- mus und Realismus ein wenig mehr zugun- sten des ersteren ausgeschlagen haben, so waren in den folgenden Problemreferaten die Gewichte z.T. anders gelagert. Prof. Klaus HEINEMA~q,~, Vorsitzender des Pro- grammausschusses und des Wissenschaftli- chen Beirats des DSB, ging im ersten Pro- blemreferat (,Sind Einheit und Selbstbe- stimmung des Sports in Gefahr?") von den 6konomischen und soziologischen Voraus- setzungen des modernen Sports aus, trat entschieden fiir eine konsequente Offnung der Vereine nach allen Seiten, vor allem aber ftir bisher im DSB-Sport unterrepr~en- tierte gesellschaftliche Gruppen ein und setzte auf die ,kreativen Impulse" (HEINE- MANN) des Marktes. Eine weitere Kommer- zialisierung des Sports erschien ihm deshalb unerl~il31ich.

Dr. Hans SCHAIBLE (,Welche Zukunft hat der Sportverein?"), Vorsitzender des Lan- dessportverbands Baden-Wiirttemberg, setz- te sich mit den Folgen der Kommerzialisie- rung und Offnung des Sports ftir die rechtli- che Stellung des Organisationssystems Ver- ein und seine .Angebote" auseinander. Nach SCHAmI.ES Ansicht birgt das zuneh- mende wirschaftliche Engagement der Ver- eine und Verb~inde, im weitesten Sinn also die Kommerzialisierung, die Gefahr in sich, dag die bisherige rechtliche und wirtschaft- Iiche Struktur der Vereine verlorengeht. Das bedeute konkret: Verlust des Status der

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Gemeinniitzigkeit, des Anspruchs auf Subsi- diarit~it und der ehrenamtlichen Mitarbeit. Er pl~idierte entschieden fiir eine deutliche Abgrenzung zu den kommerziellen Sport- anbietern; eine Konkurrenz nach ihren Spielregeln k6nne der traditionelle Verein nicht gewinnen. Er k6nne sich dagegen nut durch seine eigene Qualit~it, nicht dutch Anpassung behaupten. Um diese Qualifiit zu heben, mug nach SC~tAmLES Ausfiihrun- gen jedoch der Prozef~ der Teilprofessionali- sierung (z. B. durch die Einbindung arbeits- loser Sportlehrer) vorangetrieben und die horizontale Kooperation der Vereine ver- bessert werden.

Trotz unterschiedlicher Akzente, die erwar- tet, in der Tagespresse aber teilweise unan- gemessen polarisiert (Wertkonservative ge- gen Modernisten) und personalisiert wur- den, war in den Haupt- und Problemrefe- raten hinsichtlich der konkreten Empfeh- lungen fiir das zukiinftige Handeln des orga- nisierten Sports ein hohes Mal~ an l~lberein- stimmung festzustellen. Fiir ein eigenes und klares Profil des in Vereinen und Verb~in- den organisierten Sports traten alle ein; und dies besteht in erster Linie in der besonde- ren sozialen und emotionalen Einbindung des einzelnen in eine Gemeinschaft. Gleich- zeitig mug jedoch auch die Offnung fiir neue Personengruppen und vor allem fiir neue, attraktive Angebote, die den Bediirf- nissen der Menschen entgegenkommen, vorangetrieben werden. Auch Ministerialdi- rigent Johannes EULERING, der sich mit den wichtigen Problemen des Sportst~ittenbaus besch~iftigte, war der Meinung, daf~ der Sport seine ,ureigensten ZielC besser dar- stellen und sich yon anderen Interessen (z. B. Okonomie, Touristik) deutlicher ab- grenzen miisse, wenn er die 6ffentlichen Auseinandersetzungen um den Bau yon Sportst~itten, um L~irmschutz oder die ,Si- cherung ki~nftiger Bewegungsr~iume" erfolg- reich bestehen wolle.

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Die Auffassung, daf~ die zukiinfiige Ent- wicklung des Sports eine schwierige ,Grat- wanderung" (HrrNEMANN) bedeuten werde, zog sich wie ein roter Faden durch die Haupt- und Problemreferate sowie die Dis- kussion in den 14 Arbeitskreisen. Es werde eine Gratwanderung sein, wie HrlNE~NN ausfiihrte, ,zwischen dem Sport als Kultur- gut und dem Sport als Wirtschaftsgut, zwi- schen Sport als sportartengebundenem, ge- regeltem Wettkampf und einem Sport als spontaner, oftener Bewegungs- und Freizeit- kultur, zwischen einem Sport, der selbst verantwortet und gestaltet ist, und einem ffemdbestimmten, technologischen Sport, zwischen dem Verein als Solidargemein- schaft und dem Verein als Wirtschafisbe- trieb".

Die konkrete und detaillierte Diskussion dieser ,Balance" (GRuPE) fand in den Ar- beitskreisen statt: Bediirfnisse -- Ethos -- Verein -- Sportst~itten -- Kommerzialisie- rung -- Gesundheit -- Bewegungskultur -- Verrechtlichung -- Medien -- Erziehung -- Ehrenamtlichkeit. Wie aus diesen Stichwor- ten ersichtlich ist, wurde in Berlin die bisher /ibliche Themenauswahl nach Zielgruppen (Breiten-, Spitzen-, Frauen-, Kinder-, Senioren- usw. -sport) iiberwunden; statt dessen wurden -- m. E. mit grot~em Gewinn - - Fragen gestellt, die ~ r die Zukunft aller am Sport Beteiligten (mehr oder weniger) relevant sind. Viele, die im Sport auf ver- schiedenen Ebenen Rang und Namen haben, referierten, leiteten, berichteten und diskutierten -- meistens sehr engagiert, sehr konkret und praxisnah und in jedem Fall vier Stunden lang mit viel ,Kondition". Als in der Regel hilfreich hat sich dabei die Idee der sog. ,Statements" (schriftlich einzurei- chender Stellungnahmen) erwiesen, die dazu beitrugen, die Diskussionen immer wieder auf ein h6heres Reflexionsniveau zu heben.

Erfreulicherweise brachten sich viele Ver- treter der Sportwissenschafi in diese Diskus-

sionen ein; dies fiihrte prompt zu dem in der Presse erhobenen Vorwurf der Praxis- ferne, der unverst~indlichen Sprache und des abgehobenen, wirklichkeitsfernen .Philoso- phierens". Dieser (iibliche) Vorwurf ist aber gerade in diesem Fall unberechtigt. Der Kongref~ brachte im Gegenteil in bezug auf das Verh~iltnis zwischen praktischem Sport und Sportwissenschaft wichtige neue Impul- se: Von und fiir Praktiker und Funktions- tr~iger gedacht (einige scheinen vonder Pra- xis jedoch welter entfernt zu sein als so man- cher Wissenschaftler), bot sich fiir Sport- wissenschaftler eine ideale Gelegenheit, ihre Wissenschaft zur Diskussion zu stellen, Vorschl~e zu machen und vor allem: fiir ihre wissenschaftliche Arbeit zum Sport Themen, Anregungen, Impulse aufzugrei- fen. ,Die Wissenschaft ist gefordert", war eine allgemein vertretene Auffassung, die Baden-Wiittembergs Wissenschaftsminister ENCLER aussprach und die EULERINC mit der (inst~indigen) Hoffnung verband, dat~ sich aus den ,Hundertschaften der Sportwissen- schaftler" wenigstens ein paar finden, die sich der fiir die Zukunft des Sports so ent- scheidenden Frage der Sportst~ittenentwick- lungsplanung ann~hmen. Schnelle Patentre- zepte sind jedoch von den Sportwissen- schaftlern genausowenig zu erwarten wie von den Fachleuten aus der Praxis. Beide werden sich dagegen langfristig mit der am Ende des Kongresses entscheidenden Frage besch~iftigen miissen, wie denn die gewon- nenen Kongref~-Einsichten in die Wirklich- keit des Sports iibersetzt werden k6nnten.

Gelingt es, die durchaus erkennbare ,ge- meinsame Grundhaltung" des in Vereinen und Verb~inden organisierten Sports, die zu schaftende ,neue Charta des Sports"(HEINr- MANN), strukturell im Sport zu verankern und konsensfiihig zu formulieren? Wie kann, aut~er durch Pathos und Appelle, die Grenze zur Wirtschaft, zu den Medien, zur Politik gezogen werden?

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Die Sportwissenschaft befindet sich hier in einer widerspriichlichen Situation. Einer- seits beteiligt sie sich - wie Berlin gezeigt hat -- intensiv an der Diagnose und Thera- pie des ,Patienten" Sport, andererseits tr~igt sie selbst zur ,Ausdifferenzierung" und zum Wachstum des Sports bei, die zum grof~en Teil fiir seine gegenw~irtigen Gebrechen ver- antwortlich zu machen sind. Sie .produ- ziert" z.B. Sportlehrer, die kommerzielle Sportstudios betreiben, entwickek Metho- den und Techniken, die die sportliche Lei- stungsspirale nach oben drehen, oder -- das krasseste Beispiel -- die Sportmedizin f6r- deft und bek~impft Doping gleichermat~en; Sportinstitute verstehen sich als Quellen be- wegungskultureller Innovationen, die aber eben auch dazu beitragen, das Selbstver- st~indnis des Sports unklarer und uneinheit- licher erscheinen zu lassen. Aber: wer an- ders als die Sportp~idagogen sollte die Quali- t~it des Turn- und Sportbetriebs in den Ver- einen so anheben, dat~ die Erwartungen der Menschen erfhllt und gleichzeitig die p~d- agogischen und sozialen Ansprfiche des frei- en Sports befriedigt werden k6nnen? Wer anders als die Sport6konomen, -juristen, -mediziner, -soziologen, -historiker usw. sollten helfen, fundierte Antworten auf die vielen in Berlin aufgeworfenen Fragen zu geben, angefangen von den Strukturproble- men der Vereine und Verb~inde fiber ver- bandspolitische, 6konomische und soziale Fragen bis hin zu dem weiten Feld der Di- daktik und Methodik des Vereinssports oder p~idagogischen und ethischen Aspekten des Sports allgemein und einzelner Sportar- ten speziell? ,Die Praxis ist nicht der Feind des theoretischen Wissens, sondern sein wertvollster Anreiz." Dieser Satz PoPPrRs (Die offene Gesellschaft. Bd. 2. Thbingen 19806, 273) hat gute Chancen, auch fiir die Sportwissenschaft best~itigt werden zu k6n- Hen. Berlin war jedoch kein im engen Sinn wis- senschaftlicher Kongreg, sondern hier hat

eine 20-Millionen-Bewegung fiber sich und ihre Probleme diskutiert. Bedenkt man, dal~ dies seit 36 Jahren nicht mehr der Fall war, so daft es nicht wundern (oder st6ren), dai~ ein riesiges, inhaltlich z.T. uniibersichtli- ches und manchmal auseinanderlaufendes Programm absolviert wurde, das bei vielen Kongret~teilnehmern auch den Eindruck der Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit hinterlassen haben mag. Mit einfachen und pauschalen Urteilen wie ,nichts Neues" oder ,Nichts dabei herausgekommen" wird man dem Mammntkongret~ des DSB aber nicht gerecht.

Die Einheitssportbewegung in der Bundes- republik hat sich -- nicht nur bei der Tanz- und Gymnastikshow am Freitagabend -- h6chst vital und dynamisch pr~entiert, aber auch vielf~iltig, bunt und widerspriich- lich. In st~irkerem Mat]e 6ffentlich wurde dieses Erscheinungsbild in den beiden glfick- licherweise nachtr~iglich noch in das Pro- gramm anfgenommenen Foren am Samstag- nachmittag. Im ,Frauenforum" machten die versammelten Frauen ihren Anspruch auf die Gestaltung von Form und Inhalt des Sports sowie Repr~isentation und Macht in der Sportbewegung unfiberh6rbar geltend; die Frauen miissen in Zukunft in dem Maf~ im DSB vertreten sein, wie es ihrer wach- senden Bedeutung unter den 20 Millionen Sporttreibenden zukommt. Erheblich lang- weiliger ging es dagege.n -- ohne Frauen -- auf dem ,Politikerforum" zu. Der entt~u- schende Verlauf dieser Veranstaltung ging jedoch nicht zu Lasten des Sports, sondern war eher ein (kleines) Zeichen der Krise der (von M~innern gemachten?) Politik.

Bei aller Kritik, die der Kongret~ inzwischen in der Presse und den Medien insgesamt ein- stecken muf~te (,Gemischtwarenladen" von Themen; praxisferne Professoren- und Funktion~irsreden; zu viele, aber wichtige Probleme wurden ausgespart; nichts Neues; zu viel/zu wenig Diskussion; offene Kon-

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flikte usw.) -- eines hat der Kongrefl sicher- lich geleistet: Im Sport wurde das Problem- bewufltsein gesch~irft, und es wurde eine breite und gemeinsam zu ftihrende Diskus- sion zwischen allen am Sport Beteiligten in Gang gesetzt, vom Bundespr~identen, der in Berlin eine Gruflansprache hielt, iiber den Philosophie- und Sportprofessor bis zum Obungsleiter und Vereinskassier. ,Wenn wir welter so often und problembe- wuflt die Aufgaben des Sports fiir die Men- schen im Sport im Jahre 2000 nnd dariiber hinaus miteinander er6rtern", lautete der Schluf~satz in Prof. August KIRSCHS ver- dienstvoller Zusammenfassung der Kon- greflergebnisse, ,werden wir auch wirkliche und herbeigeredete Krisen meistern und nicht resignieren. ~ M. KROGER

Probleme der FiJrderung des sportwissenschaftlichen Nachwuchses im internationalen Vergleich Workshop yore 16.-20. 3. 1987 in Sion (Wallis / Schweiz)

Auf Einladung des Vereins zur F6rderung des sportwissenschafilichen Nachwuchses e. V. tra- fen sich Hochschullehrer, Habilitanden und Doktoranden aus der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Osterreich, um w~hrend eines fiinft~igigen Workshops iiber folgende Themenkreise zu diskutieren: - - aktuelle Situation und strukturelle Be-

dingungen des sportwissenschaftlichen Nachwuchses,

--soziale Verantwortung in der Nach- wuchsf6rderung,

-- Chancen und Grenzen der Nachwuchs- f6rderung.

Der Anlafl dafiir war das derzeitige Oberan- gebot an qualifizierten Nachwuchswissen- schaftlern, deren geringe oder fehlende Be- sch~iftigungsm6glichkeiten in und aufler- halb der Universit~iten sowie die damit h~iu-

fig verbundene Arbeitslosigkeit und existen- tiellen Sorgen dieser Personengruppe. Die Altersstruktur der Hochschullehrer im Bereich der Sportwissenschaft zeigt eindeu- tig, daft bis ins n~ichste Jahrhundert hinein kaum ein nennenswerter Ersatzbedarf an habilitierten Nachwuchswissenschaftlern besteht. Der weitaus gr6flte Tell der sportwissen- schaftlichen Forschungsaktivit~iten wird aber von sog. sportwissenschaftlichen Nach- wuchswissenschaftlern (ftir Promotionen oder Habilitationen) getragen, deren Quali- fikations-Voraussetzungen Rir Hochschul- lehrerstellen seit der Aufbauphase in den sechziger und siebziger Jahren erheblich ge- stiegen sind. Eine weitere Versch~irfung der Situation er- gibt sich durch die hohe Anzahl der Dauer- stellen fiir Lehrpersonen mit besonderen Aufgaben, des sog. Mittelbaus. Da auch die- se Personengruppe noch sehr jung ist, sind in absehbarer Zeit keine Strukturver~inde- rungen zu erwarten. Das fiihrt zu Vertrags- prob|emen (Befristung; heterogene Stellen- strukturen) beim wissenschaftlichen Nach- wuchs, zu kurzfristigen Forschungst~itigkei- ten mit existentieller und sozialer Unsicher- heit und zunehmend zur Abwanderung von Hochqualifizierten in sport- und wissen- schaftsfremde Berufsbereiche. Die Universi- t~iten werden daher ftir die n~ichsten 20 Jah- re kaum sportwissenschaftlichen Nach- wuchs zur Verfiigung haben, obwohl dieser noch nie so gut war wie derzeit. Die Weiter- entwicklung der Sportwissenschaft und die Verbesserung ihrer wissenschaftlichen An- spriiche h~ingen aber eng mit der Nach- wuchsf6rderung zusammen. Aus diesem Grunde wurden folgende F6r- derungsm6glichkeiten vorgeschlagen: - - bessere Koordination des Bedarfs yon ha-

bilitierten Sportwissenschaftlern in Rela- tion zur Verfiigbarkeit yon freien oder frei werdenden Stellen;

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