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Eckart Menzler- Trott Ich wünsche die Wahrheit und nichts als die Wahrheit . . . Das politische Testament des deutschen Mathematikers und Logikers Gottlob Frege. Eine Lektüre seines Tagebuchs vom 10. 3. bis 9. 5. Für meine Kinder Laura Charlotte Nimbusala Trott und Jacob Menzler Der Geist stand rechts "Die Studenten und Professoren, die Ober- lehrer und Oberschüler waren - ich kann das selbst noch aus meiner jugendlichen Erfahrung her:lUS bezeugen - stramm anrirepublikanisch, monarchistisch. nationalistisch und revanchi- stisch. "'! Wer dazu noch evangelischer Religion war, schien zur reaktionären Bestie ver- urteilt. Bekannt "sind die konservalliven, nationalistischen, an- tidemokratischen und monarchistischen T en- denzen, die auch nach 1918 den deutschen Prote- stamismus ungebrochen weiterhin geprägt ha- ben. Der übersteigerte Nationalismus vieler Pa- storen. Synodaler und Presbyter; der engagierte K.ampi der evangeüschen Kirche gegen den V er- sailler Friedensvertrag mit seiner sogenannten ,Kriegsschuldlüge'. das leidenschaftliche Eintre- ten für militärische Stärke und Disziplin oder auch das sichtbare Mißtrauen gegenüber der Idee der Völkerversündigung und des Pazifismus sei- en kennzeichnend gewesen für die Heftigkeit der nationalen Enttäuschung und Erbitterung, die der unerwartete Zusammenbruch des kaiserli- chen Deutschlands hervorrief. Das eigene poliri- sche Ideal habe man weiterhin im christlichen Obrigkeitsstaat des 19.Jahrhunderts erblickt. "2 Ein Blick in die Neuauflage vonAnnin Mohlers "Die konservative Revolution"3 führt uns - allein für die politische Rech- te - eine ebenso differenzierte wie weit- läufige Übersicht über Positionen vor, die mit den läppischen Kennzeichnungen wie antidemokratisch, stramm monar- chistisch, rechtsradikal, präfaschistisch oder antirepublikanisch bloß ungenau karikiert wären. Alle - so wird es uns an- derswo meistens insinuiert, selbstver- ständlich ohne den leisesten Anflug von Nachweisen -, alle aus der deutschen Professorenschaft dachten eben damals rechts. Alle waren für ,.die Tilgung der Schmach von Versailles", wenn sie nicht gerade von Geburt Jude oder von "Prä- gung" Kommunisten waren. Mit diesem beschönigenden, und natürlich grundfal- schen Hinweis sollen Analysen und Dif- Eine gründliche und umfassende Studie zu Fre- ges Tagebuch erscheint 1990 im Verlag Königs- hausen & Neumann, P. 0. Box 6007, 8700 Würzburg 1 Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick. München (Knaur) 1989, S. 207f. ferenzierungen vermieden, ja die Auf- deckung der Verstrickung unserer Gei- stesheroen in rechte, radikale Politik ver- hindert werden. Lohnt es sich wirklich nicht, zwischen völkisch-nationalen Ide- en deutscher Beamter und denen des Freikorps "Oberland" zu differenzieren? Natürlich ist eine Differenzierung not- wendig, aber es ist kein Wunder, daß das einzige hervorragende Buch über die po- litischen Ideen der deutschen Professo- renschaft von einem Amerikaner ge- schrieben worden ist. Frirz Ringers "Die Gelehrten. Der Niedergang der deut- schen Mandarine 1890-1922" 4 wird des- halb auch von deutschen Professoren in der Frage nach dem Zusammenhang von Politik und Philosophie selten beachtet und noch weniger benutzt. Noch immer will der deutsche Universitätsbeamte die schmähliche, oft memmenhafte Vergan- genheit seiner Berufskollegen mit der Be- merkung bemänteln, daß z. B. im Fall Frege diese Ansichten unoriginell, zwar trotzdem repräsentativ für die deutsche Professorenschaft seien, aber uninteres- sant und vemachlässigbar. Als Objekt für eine Analyse solle man sich jemanden heraussuchen, der _typischer, kraftvoller und origineller als Frege sei. Es fällt dann, auf Nachfrage, kein Name. Freges politische Ansichten waren kei- neswegs repräsentativ für die deutsche Professorenschaft in der Weimarer Re- publik Mitte 1924. Zwar waren einzelne Komponenten seiner Ideen, wie der Franzosenhaß, der Anti-Semitismus, die Verleumdung der Sozialdemokratie als Verräter an deutscher Moral und Ge- schichte, oder das Entsetzen vor demo- kratischer Gleichheit tatsächlich unter ei- nem als sehr orthodox verschrieenen Teil der deutschen Universitätsgelehrten vi- rulent, aber eine ähnliche Zusammenstel- lung und individuelle Ausprägung, wie ich sie bei Frege vorfinde, habe ich weder bei Ringer oder Mohler, geschweige 2 Werner Koch, Widerstand der Bekennenden Kirche. Schwankend zwischen "Gottes Reich zur Linken" und .. zur rechten ... In: Widerstand und -Exil 1933-1945. Sonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1986, S. 99 3 Qannstadt (Wissenschaftliche Buchgemein- denn woanders lesen müssen. Die These einer "unoriginellen Repräsentativität" dient ausschließlich dazu, von Frege ab- zulenken. Vom orthodoxen Nationalliberalen zu völkisch-nationalen Kampfideen Der Mythos der Logik als Ort der schieren und hehren Reationalität ist zer- schlissen. Frege, der Begründer des Logi- zismus, der scharfsinnige Vertreter einer modernen philosophischen Bedeutungs- theorie, hat sich nach dem von Deutsch- land verlorenen Weltkrieg I eine eindeu- tig völkisch-rassistische Theorie der Ge- sellschaft zugelegt. Was man beim "dunklen" Heidegger weiß, erscheint beim schärfsten Kritiker des "german moonshine" Frege unglaub- lich. Aber der Unterschied zwischen bei.:. den zeigt auch deutlich die Schwierigkeit und das Problem, einen stringenten Zu- sammenhang zwischen Freges politi- scher Theorie und seiner Theorie der Lo- gik zu beweisen. Bei Heidegger, er wirk- te ja- im Gegensatz zu Frege- mit sei- nen politischen Schriften und ließ viel da- von in seine Vorlesungen, Seminare und veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften einfließen, läßt er sich präzise angeben. Aber wie kann man beweisen, daß Wechselwirkungen zwischen Freges politischen Idee!:! - niedergelegt in sei- nem von kaum jemand anderen einsehba- ren Tagebuch - und seinen mathemati- _schen Theorien, ihren zugrundeliegen- den Philosophien oder Entwürfen, in ei- nem genau angebbaren Sinn existieren, vielleicht notwendig bestehen, und mög- licherweise darüber hinaus aus der jewei- ligen mathematischen Theorie herauszu- lesen sind (ohne vorherige Kenntnis der politischen Ansichten)? Ich kann nicht einmal das Gegenteil beweisen! Wozu aber dann Freges ganzen Bockmist publi- zieren? Zu wessen Nutzen und Beleh- schaft) 1989. Hervorragend zur Epoche des deutschen Konservatismus in der Weimarer Re- publik: Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus. Frankfurt/M. ( campus) 1989 • München (dtv) 1987 s Heinz-Albert Veraart, Geschichte des wissen- 68 FORVM LOGEVM ET ALTERARVM PARTIVM FORVM

Menzler Trott Freges Politisches Testament

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Page 1: Menzler Trott Freges Politisches Testament

Eckart Menzler-Trott

Ich wünsche die Wahrheit und nichts als die Wahrheit . . .

Das politische Testament des deutschen Mathematikers und Logikers Gottlob Frege. Eine Lektüre seines Tagebuchs vom 10. 3. bis 9. 5. 192/1~

Für meine Kinder Laura Charlotte Nimbusala Trott und Jacob Menzler

Der Geist stand rechts

"Die Studenten und Professoren, die Ober­lehrer und Oberschüler waren - ich kann das selbst noch aus meiner jugendlichen Erfahrung her:lUS bezeugen - stramm anrirepublikanisch, monarchistisch. nationalistisch und revanchi­stisch. "'!

Wer dazu noch evangelischer Religion war, schien zur reaktionären Bestie ver­urteilt. Bekannt

"sind die konservalliven, nationalistischen, an­tidemokratischen und monarchistischen T en­denzen, die auch nach 1918 den deutschen Prote­stamismus ungebrochen weiterhin geprägt ha­ben. Der übersteigerte Nationalismus vieler Pa­storen. Synodaler und Presbyter; der engagierte K.ampi der evangeüschen Kirche gegen den V er­sailler Friedensvertrag mit seiner sogenannten ,Kriegsschuldlüge'. das leidenschaftliche Eintre­ten für militärische Stärke und Disziplin oder auch das sichtbare Mißtrauen gegenüber der Idee der Völkerversündigung und des Pazifismus sei­en kennzeichnend gewesen für die Heftigkeit der nationalen Enttäuschung und Erbitterung, die der unerwartete Zusammenbruch des kaiserli­chen Deutschlands hervorrief. Das eigene poliri­sche Ideal habe man weiterhin im christlichen Obrigkeitsstaat des 19.Jahrhunderts erblickt. "2

Ein Blick in die Neuauflage vonAnnin Mohlers "Die konservative Revolution"3 führt uns - allein für die politische Rech­te - eine ebenso differenzierte wie weit­läufige Übersicht über Positionen vor, die mit den läppischen Kennzeichnungen wie antidemokratisch, stramm monar­chistisch, rechtsradikal, präfaschistisch oder antirepublikanisch bloß ungenau karikiert wären. Alle - so wird es uns an­derswo meistens insinuiert, selbstver­ständlich ohne den leisesten Anflug von Nachweisen -, alle aus der deutschen Professorenschaft dachten eben damals rechts. Alle waren für ,.die Tilgung der Schmach von Versailles", wenn sie nicht gerade von Geburt Jude oder von "Prä­gung" Kommunisten waren. Mit diesem beschönigenden, und natürlich grundfal­schen Hinweis sollen Analysen und Dif-

~ Eine gründliche und umfassende Studie zu Fre­ges Tagebuch erscheint 1990 im Verlag Königs­hausen & Neumann, P. 0. Box 6007, 8700 Würzburg 1 Sebastian Haffner, Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick. München (Knaur) 1989, S. 207f.

ferenzierungen vermieden, ja die Auf­deckung der Verstrickung unserer Gei­stesheroen in rechte, radikale Politik ver­hindert werden. Lohnt es sich wirklich nicht, zwischen völkisch-nationalen Ide­en deutscher Beamter und denen des Freikorps "Oberland" zu differenzieren? Natürlich ist eine Differenzierung not­wendig, aber es ist kein Wunder, daß das einzige hervorragende Buch über die po­litischen Ideen der deutschen Professo­renschaft von einem Amerikaner ge­schrieben worden ist. Frirz Ringers "Die Gelehrten. Der Niedergang der deut­schen Mandarine 1890-1922"4 wird des­halb auch von deutschen Professoren in der Frage nach dem Zusammenhang von Politik und Philosophie selten beachtet und noch weniger benutzt. Noch immer will der deutsche Universitätsbeamte die schmähliche, oft memmenhafte Vergan­genheit seiner Berufskollegen mit der Be­merkung bemänteln, daß z. B. im Fall Frege diese Ansichten unoriginell, zwar trotzdem repräsentativ für die deutsche Professorenschaft seien, aber uninteres­sant und vemachlässigbar. Als Objekt für eine Analyse solle man sich jemanden heraussuchen, der _typischer, kraftvoller und origineller als Frege sei. Es fällt dann, auf Nachfrage, kein Name.

Freges politische Ansichten waren kei­neswegs repräsentativ für die deutsche Professorenschaft in der Weimarer Re­publik Mitte 1924. Zwar waren einzelne Komponenten seiner Ideen, wie der Franzosenhaß, der Anti-Semitismus, die Verleumdung der Sozialdemokratie als Verräter an deutscher Moral und Ge­schichte, oder das Entsetzen vor demo­kratischer Gleichheit tatsächlich unter ei­nem als sehr orthodox verschrieenen Teil der deutschen Universitätsgelehrten vi­rulent, aber eine ähnliche Zusammenstel­lung und individuelle Ausprägung, wie ich sie bei Frege vorfinde, habe ich weder bei Ringer oder Mohler, geschweige

2 W erner Koch, Widerstand der Bekennenden Kirche. Schwankend zwischen "Gottes Reich zur Linken" und .. zur rechten ... In: Widerstand und -Exil 1933-1945. Sonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1986, S. 99 3 Qannstadt (Wissenschaftliche Buchgemein-

denn woanders lesen müssen. Die These einer "unoriginellen Repräsentativität" dient ausschließlich dazu, von Frege ab­zulenken.

Vom orthodoxen Nationalliberalen zu völkisch-nationalen Kampfideen

Der Mythos der Logik als Ort der schieren und hehren Reationalität ist zer­schlissen. Frege, der Begründer des Logi­zismus, der scharfsinnige Vertreter einer modernen philosophischen Bedeutungs­theorie, hat sich nach dem von Deutsch­land verlorenen Weltkrieg I eine eindeu­tig völkisch-rassistische Theorie der Ge­sellschaft zugelegt.

Was man beim "dunklen" Heidegger weiß, erscheint beim schärfsten Kritiker des "german moonshine" Frege unglaub­lich. Aber der Unterschied zwischen bei.:. den zeigt auch deutlich die Schwierigkeit und das Problem, einen stringenten Zu­sammenhang zwischen Freges politi­scher Theorie und seiner Theorie der Lo­gik zu beweisen. Bei Heidegger, er wirk­te ja- im Gegensatz zu Frege- mit sei­nen politischen Schriften und ließ viel da­von in seine Vorlesungen, Seminare und veröffentlichten und unveröffentlichten Schriften einfließen, läßt er sich präzise angeben. Aber wie kann man beweisen, daß Wechselwirkungen zwischen Freges politischen Idee!:! - niedergelegt in sei­nem von kaum jemand anderen einsehba­ren Tagebuch - und seinen mathemati­_schen Theorien, ihren zugrundeliegen­den Philosophien oder Entwürfen, in ei­nem genau angebbaren Sinn existieren, vielleicht notwendig bestehen, und mög­licherweise darüber hinaus aus der jewei­ligen mathematischen Theorie herauszu­lesen sind (ohne vorherige Kenntnis der politischen Ansichten)? Ich kann nicht einmal das Gegenteil beweisen! Wozu aber dann Freges ganzen Bockmist publi­zieren? Zu wessen Nutzen und Beleh-

schaft) 1989. Hervorragend zur Epoche des deutschen Konservatismus in der Weimarer Re­publik: Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus. Frankfurt/M. ( campus) 1989 • München (dtv) 1987 s Heinz-Albert Veraart, Geschichte des wissen-

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rung? Selbst wenn ein enger Zusammen­hang zwischen Freges Logik und Politik nicht sofort kriminalistisch dingfest ge­macht werden kann, ist das Problem -vor dem viele die Augen schließen, um es für nicht vorhanden erklären zu können - nicht erörtert. Und wenn ich es nicht lösen kann, heißt dies ja noch lange nicht, daß nicht irgendein FORVM-Leser es nicht könnte.

Hier geht es also um drei Dinge: . 1. Frege wünschte die Wahrheit, auch

die historische Wahrheit. Es wird also die politische Ansicht Freges bekannt ge­macht und gegen skurrile Lesarten Ein­spruch erhoben. Und was hieße es, wenn Freges politische Theorie nicht notwen­dig mit seiner philosophisch-mathemati­schen Ideenwelt verbunden wäre; eben­sowenig vielleicht, wie Newtons alche­mische Vorlieben mit seiner Mechanik oder Ootik? Was hieße es, wenn man Freges ~athematische Idee eines Systems der Logik bloß mit seiner Vorliebe für die Monarchie parallelisieren könnte? Wir werden doch deshalb nicht enthoben, Freges GedankenabEteuer - zumindest für unser Wissen über "Frege und seine Zeit" - zu analvsieren.

2. Frege wün~chte die Publikation sei­nes Nachlass es. und er hat in seinem Te­stament das Tagebuch ausdrücklich nicht in das V erbot der V erbreirung der mathe­matischen Schriften mit der Kennzeich­nung ME eingeschlossen.;

,.Da mir vielleicht Zeit und Kraft zu ausführ­. liehen Darlegungen fehlen werden, sollen hier wenigstens Einfälle verzeichnet werden. die viel­leicht einer späteren Ausarbeitung wert sind",

schreibt er seinem Tagebuch voran, aber niemand wird dies ernsthaft als ein Publikationsverbot ansehen.

3. Michael Dummett und Imre T 6th haben beide die Nicht-Publikation des Tagebuches seitens der Herausgeber der Fregeschen Schriften öffentlich kriti­siert>; Heinz-Albert Veraart hat diese Entscheidung der Nicht-Veröffentli­chung jedoch für richtig gehalten, wie viele andere staatlich beamtete Philoso­phen auch/ Darüber hinaus hat Imre T6th in einem Kapitel eines Aufsatzes den Abriß einer Theorie gegeben, der zur Conclusio hat, daß Freges reaktionärer und vorsätzlich freiheitsbeschneidender "Logizismus" mit seiner ebenso reaktio­nären politischen Ansicht in Harmonie befindlich sei. s Die Diskussion um Fre­ges Nachtseite hat längst begonnen; eine Verschleppung oder Verzögerung dieser Diskussion wäre deshalb lächerlich, eitel und ungezogen.

Wie sieht d·as Tagebuch aus? Das Tage­buch ist in einer 29seitigen maschinen­schriftlichen Abschrift erhalten. Der er­ste Archivar der Fregeschen Schriften, der Parteigenosse Professor Dr. Hein­rich Scholz, hat eine Abschrift 1937 von Freges Adopcivsohn Alfred Frege (vor­mals Fuchs) erhalten. Scholz hat sich für private Zwecke davon eine Abschrift ma­chen lassen. Diese private Abschrift hat, im Gegensatz zu vielen anderen Materia­lien, den Bombenangriff vom 10. Okto­ber 1943 auf die alte Universität Münster überlebt. Sie ist im Ordner 31 des Freae­Archivs des Instituts für mathematis;he Logik J.n der Wilhelms-Universität zu Münster autbewahrt. Es scheint, daß sich vieie .-\bschreibefehler in die Abschrift eingeschlichen haben. Sie wurden hier stillschweigend verbessert.

An wen richtet sich das Tagebuch? F rege C"utt oft die deutsche Jugend an ~z. B 3. +. 1924; t6 . .J.. l92.J.' und schreiot zur Politik am 3. 5. l92.J.:

~Poiinscne Eriahrungen unci Einsichten kön­nen immer vom Vater dem Sonne überiietert weraen und so ein J ahrhunden:e J.iter. immer er­gänzter :.md weitergebildeter Senatz .,on politi­schen Err.anrungen .. und Einsichten gesammelt weraen. . .. , Die Uberiiet'er,mg von Janrhun­derten K.ann hier den richtigen Weg zeigen.~

F~ege wollte zu diesem Schatz beitra­gen. ienn er schreibt am lC. +. 1924:

"~icnt iür die Politik des .\ugenblicits Vor­schiäge zu machen. fühle ich mtch oeruien. Mei­ne Gcaan.Ken in der Politik zieien aur c:me ierne­re Zu.Kunit ~ ... ). "

Deshalb darf man dieses Tagebuch mit Fug und Recht sein politisches Testament nennen, wie dies Imre T 6th getan hat. Frege hat sein Tagebuch also nicht etwa allein für seinen Sohn geschrieben. So schreibt er am 26. 5. 1924:

,.Ich bitte jeden, der an den durch und durch

undeutschen Geist des Zentrums nicht glaubt ... ':

Dieses Tagebuch wendete sich an alle, die in Freges Augen das wieder erst her­stellen mußten, was es zu bewahren gab: ein machtvolles, mit altem Ansehen aus­gestattetes neues Deutsches Reich.

Frege · Heidegger · de Man

Die hier vorgelegten Auszüge aus dem politischen Testament des Professors der Mathematik in Jena, Dr. Gottlob Frege, sind das dezidierte politisch radikale Ma­nifest eines rechtsextremen Denkers,

"der ohne Zweifel der größte Logiker des 19. Jahrhunderts gewesen ist"'l

Aber es ist auch ein Dokument des kulturpessimistischen, antimodernisti­schen Elitismus der deutschen Gelehr­tenwelt in der Weimarer Republik. denn

,.Der typische Akademiker blieb völkisch und antisemitisch, ein Feind der Republik ... " 10

Freges Tagebuch ist eine Momentauf­nahme. Sie zeigt, wie ein unbelehrbarer deutscher Akademiker sein national­konservatives Weltbild langsam zugun­sren der völkisch-nationalen Kampfidee aufgibt. Man sieht, wie Freges scheinbar unbeugsame konservativ-monarchisti­sche Grundhaltung sich aut1öst, während er mit sentimentaler Abhängigkeit Bis­marck sowie den Soldaten und Militari­sten Ludendorffund Hindenburg ver­bunden bleibt. Sein sturer deutschgläubi­ger protestantischer National-Konfes­sionalismus, seine verbissene Abneigung gegen die Republik, sein überspitzter all­deutscher Nationalismus der Kriegszeit endet im verbohrten Appell an die deut­sche Jugend, die Niederlage von 1918, die dadurch entstandene ~Rechtslosigkeit" nicht zu akzeptieren, sondern sich auf den Sieg in einem künftig zu führenden Krieg gegen Frankreich vorzubereiten.

Der ehemalige Nationalliberale ergeht sich mit LudendorfE in der Abscheu vor dem Ultramontanismus, also jener Rich­tung, deren Vertreter der vom Papst ge­führten Kirche Vorrang vor dem Staat einräumten und die im "Zentrum" -Frege empfindet es als Krankheit, schäd­lich und undeutsch - ihren parteipoliti­schen Ausdruck fand. Frege sieht nur die Tücke der feindlichen Franzosen, grämt sich über die mit deutschem Gewerbe­fleiß konkurrierende Handelsmacht England, sucht nach Merkmalen, um alle Juden zweifelsfrei erkennen und aus Deutschland hinauswerfen zu können, pt1egt Gewerkschaftsfeindlichkeit und will den Theologen weltliche Betätigung

schaftliehen Nachlasses Gottlob Freges und sei- - 6 Michael Dummett, Frege. Philosophy of -<J Alfred Tarski, Einführung in die mathemati-ner Edition. Mit einem Katalog des ursprüngli- Lansuage. S. XII. London: Duckworth 1973; sehe Logik. Göttingen: Verlag Vandenhoek & chen Bestandes der nachgelassenen Schriften l~re Toch, Three Errors in :h.e Grundlagen Ruprecht 19885

, S. 32, Anm. 2 Freges. In: Matthias Schim (Hg.), Studien zu ot 18~4: Frege and non-euchdtan geomtrey, Frege I. Logik und Philosophie der Mathematik. in: Gerd W ech~ung ( ed. ), Freg~ Conference, IO Arthur Rosenberg, Entstehung und Geschich-Stuttgart _ Bad Canstatt (Frommann-Holz- p.l01-l08,Berhn(Ost):AkadermeVerlag1984 te der Weimarer Republik. Frankfurt am Main boog) 1976 1 siehe Anm. 5 8 siene Anm. 6 (Athenäum) 1988, S. 437

DEZEMBER 1989 Foto (unbekannter Meister): jung Frege 69

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zugunsten der Arbeiter verbieten, und kommt so zur begeisterten Lektüre der Zeitschrift "Deutschlands Erneuerung", ein Propagandablatt aus der noch als völ­kisch Sektierer wirkenden Randgruppe der frühen Nationalsozialisten, deren Partei 1924 noch immer verboten ist. Frege, der ehemals zum "geistigen Leib­regiment" (Dubois-Reymond) der Ho­henzollern gehörte, beschimpfte maßlos die Sozialdemokratie als Verseuchung Deutschlands, als Krebs, der in der Stink­luft gedeiht und deren jüdische Führer je­des vaterländische Gefühl vermissen lie­ßen. Ihm gilt der Parlamentarismus als undeutsch, und er will Arbeitern den Be­sitz von Aktien verweigern, da sie sonst Rechte auf Leistungen des Unterneh­mens hätten. Frege befürwortet die Aus­tilgung des Marxismus oder wenigstens die Ausschließung dieser Menschen aus der Gesamtheit der Vollbürger. Man sieht förmlich die fremdstämmigen und verabscheuungswürdigen jüdischen Kreaturen, wie sie mit Hilfe der Börsen­spekulation, kapitalistischer Besitzgier und verderblicher hre der Sozialdemo­kratie den guten Deutschen um den zu heckenden Reichsschatz, Recht, Reich und Vaterland, frech betrügen wollen.

Da hilft dem braven, gläubigen, auf­rechten und harmlosen Deutschen nur der Erlöser. Seinen Geschichtspessimis­mus will er durch die Erneuerung der al­ten Religion J esu selbst kompensieren. Die Darstellung des Lebens J esu, meint Frege, müßte eine Religion stiftende Wirkung haben.

Freges Tagebuch ist in seiner Bedeu­tung gleichzusetzen mit den veröffent­lichten und bisher unveröffentlichten Reden, Vorlesungen, Schriften und offe­nen Bekenntnissen Heideggers zum Na­tionalsozialismus, und der endlich publi­zierte Beiträge Paul deMans für die bei­gisehe Zeitung "Le Soir", in denen er, ne­ben mindestens einem ausdrücklich anti­semitischen Artikels am 4. März 1941, "Die Juden in der zeitgenössischen Lite­ratur", das Geschäft der geistigen Kolla­boration mit der nationalsozialistischen Besatzung und Barbarei betrieb.

Wie kommt es, daß drei aufklärerisch wirkende, weltbekannte und einfluihei­che Schulen bildende Gelehrte, allesamt das Zeichen, den Gedanken und den Io­gos als die Mitte ihrer Theorie preisend, sich in den morastigen und verwerflichen U miefen eines häßlich chauvinistischen, gnadenlos anti-demokratischen und un­aussprechlich schäbig anti-semitischen Denkens willentlich und ohne Not ver­strickten, und dabei an einen Gott glaub­ten? Frege schrieb sein Tagebuch, das ihn als Mitdenker rechter Macht ausweist, im hohen Alter von 76 Jahren, de Man schrieb seine Scheußlichkeiten im Alter von 23, und der verschlagene, arrogante Heidegger war bei seinen böswillig le-

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Jgu, rv ~bolf ~idcr, w~rum muacr rin •• rtovrmbcr rommcn l t99

Watunt mußte ein 8. novembet fommen 1 Uon 'Ubolf ~idcr.

":11 ic b!m l. ~ugujl 1914 brg~tnn fur t)ruc(c:bl~nb rin lt~mpf, bcfrrn ~uag~ng rnc. • f~r•~cnb lPtrocn muQtc ubu Sein ober rtidJrfcin bcr bcutfc:bcn rl11tion lZ)Omo rc:b ~~f J~brbunbcrtc bin~ua, vicllci~t für immer. Wenn ~ucb mcnf~licbcr ncib unb ~b gtcr funm lPcfcntlicbcn, lP~brfcbcinlicb gr~ttcn ~ntcil e~n b(m /:)crcinbruc:b bicfcr tl) lt • fat~tjiro~:~br h•fd. fo 11btr nicb~, m~nbcr ci!lc innen• unb e~ullrnnolitifcbc ~t4tiauna ~; nrutf .• ,,,. \U btcfcm 1!,.~

benszerstörenden Denunziationen im besten Mannesalter. Hierbei spielt keine Rolle, daß Frege sein Tagebuch nicht ver­öffe[o~:tlichte und es auch später nicht in der Offendichkeit wirkte. Es geht um die Frage: ·

Konnte der NS-Ideologie vorausge­hendes, vergleichbares oder sie überhö­hendes Gedankengut jeden zu jeder Zeit ergreifen und faszinieren? Wie kam es, daß gerade die führenden Schichten, die deutsche Intelligenz, Ärzte, Techniker, Mathematiker, Ingenieure und Philoso­phen als erste zur NS-Ideologie, ja zur NSDAP gestoßen sind?

Auch soll hier das - ex post gesehen -unglaubliche Skandalon eines Lobes auf Adolf Hitler ("Adolf Hitler schreibt mit Recht ... ", Eintrag vom 5. 5. 1924) nicht zum Versuch mißbraucht werden, seine mathematischen und philosophischen Ideen zu denunzieren. Ausdrücklich wünsche ich, daß die Auseinanderset­zung mit dem Werk Freges nicht durch den Hinweis auf seine politische W eltan­schauung diskreditiert wird, wie ich auch nicht möchte, daß man Hobbes' Werke wegen seiner desaströsen Mathematik­kennmisse etwa nicht liest.

Es ist möglich, daß wir Frege mit Heidegger und de Man als die letzten, großen Exorzisten von Subjektivität und Geschichte sehen müssen. Vielleicht ist ihnen allen gemeinsam ihre Arbeit als Protest gegen eine "gräßlich moderne Zeit" (Frege), eine "seinsyergessene, geistverlassene und unwahre Ordnung" (Heidegger) und "die Kennzeichnung des Denkens als bloße Theorie" (de Man). Wohin dieser Protest als "Sorge" führte, wissen wir:

Es scheint keinen Zusammenhang zwischen Genie, persönlicher Integrität und fortschrittlicher, lebensspendender Gesellschaftsauffassung zu geben. Das lernen wir - vor uns als Ausnahme die Mathematikerin Emmy Noether-, nach Heidegger und de Man nun auch bei Fre­ge. Logik schützt nicht vor dem NS.

Freges politische Theorie

Es ist schwierig, eine konsistente Theorie der Fregeschen Ansichten zu er­_stellen, denn es ist manch Widersprüchli­ches und Irritierendes dabei:

FORVM DER ANDEREN

Frege wollte die Wiederherstellung des wehrhaften, selbstbewußten und auf­rechten Deutschen Reiches unter stände­staatlichem Vorzeichen. Frankreich, und das ist ein äußerer Grund des Darnieder­liegens des ,.Reiches" - wie Freae die Republik nennt -, hat Deucsc~hland überfallen, will es vernichten, uneer­drückt es zu Unrecht. Von diesem

·Frankreich, und das ist ein innerer Grund des Kranken Deutschland, kommen auch die Krankheiten. an denen das Deutsche Reich noch immer leidet: Liberalismus, die Ideen von 1789, und Bürgerrechte der Juden. Aus diesen Gründen muß die deutsche Jugend auf jeden Fall wieder Krieg gegen Frankreich führen. Dafür muß das Reich wieder gesund werden, aber eine Rückkehr zur Monarchie ist ausgeschlossen.

Ziel für den Augenblick ist ein Mann, der das allgemeine Vertrauen genießt; ein Mann, der Deutschland vom französi­schen Drucke zu befreien in der Lage wäre. Diesen Mann sah er früher in Lu­dendorff, den er aber zu sehr in Parteien­getriebe und Hiderputsch abgenutzt sieht, obwohl er mit dessen Gesinnung einverstanden ist. Später geht die Hoff­nung auf Hindenburg über, aber der er­scheint ihm dann doch als zu alt. Dieser ersehnte starke Mann muß nicht nur ge­gen Frankreich, sondern auch gegen die Feinde im inneren Deutschlands Krieg führen.

Um den Kampf führ~n zu können, be­nötigt Deutschland eine "vernünftige" Wirtschaftsordnung. Von ihr muß nicht nur das Geld für Reparationen und Rü­stung abgeschöpft werden, sondern es muß insgesamt der Lebensstandard der Bevölkerung gehoben, die Funktions­tüchtigkeit des Gewerbes gesichert wer­den. Durch Ansammlung eines Reichs­schatzes, hohe Zölle auf ausländische Güter und hohe Steuern auf Grundbe­sitz, Beseitigung des Börsenmarktes und Einführung von Namensaktien soll dies gelin.gen. Ist nämlich der Lebensstan~ard der Armseen gehoben, können sie mcht mehr in die Fänge der Sozialdemokratie und des gewerkschaftlichen Terrors ge­raten.

Der starke Mann muß zunächst den aus England stammenden, völlig undeut­schen Parlamentarismus, der das deut­sche Reich schwächt, beseitigen. Er muß

FORVM

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für die unbedingte Trennung von Staat und Kirche eintreten. Die Kirche muß strikt aus weltlichen Geschäften heraus­gehalten werden. So darf die Kirche, ebensowenig wie die Gewerkschaften, in Tarifangelegenheiten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingreifen. Es gilt die unantastbare Vertragsfreiheit, in die sich kein Dritter, weder Kirche und Staat, noch Korporationen irgendwelcher Form einmischen dürfen. So gelingt, weil sich jeder an seinem ihm von Gott, Stand und Gesellschaft zugewiesenen Platz weiß, die Überbrückung der Klassenge­gensätze. Damit entfällt auch ein Grund, warum der letzte Krieg von Deutschland verloren wurde: die Verfeindung von Ar­beitnehmer und Arbeitgeber. Der Sozial­demokratie, die keine Zukunft haben kann. ist zwar dann durch die neue Wirt­schaftsordnung der Boden entzogen, aber noch agitieren ihre meist jüdischen Führer, die ihr Vaterland nicht lieben können. Deshalb muß ein Weg gefunden werden, zweifelsfrei Juden von Nicht­Juden zu trennen.

Juden müssen a Deutschland hin­ausgeworfen werden. Ein sicheres Merk­mal aber für Juden angeben zu können, hält Frege für schwierig. Deshalb muß man sich darauf beschränken, die Gesin­nung zu bekämpfen, durch deren Betäti­gung die Juden schädlich seien und eben diese Betätigung mit Verlust des Bürger­rechts und die Erschwerung der Erlan­gung des Bürgerrechts bestrafen. Eine Gesinnung der Juden ist der Marxismus. Notwendige Vorbedingung für ein star­kes Reich also ist die Austilgung des Mar­xismus und die Ausschließung seiner Vertreter aus der Gesamtheit der Voll­bürger. Ein weiterer Reichsfeind sind die Katholiken im ,.Zentrum". Sie nutzen das Parteiengetriebe, um Deutschland in möglichst vielen Teilstaaten zu separie­ren. Weil diese alle: die christlich-sozia­len Theologen, die Juden, die Marxisten, die Gewerkschaft, die Parteien, der Par­lamentarismus, die Republik, einzelne Teile des Staates und die Katholiken der Wiederherstellung des alten Ansehens des deutschen Reichs im Wege stehen, müssen sie streng bekämpft, der Parla­mentarismus abgeschafft werden.

Der ersehnte starke iWann d~rf sich bei der Erringung seiner Ziele durchaus demagogischer Mittel bedienen, wenn es dem Volke nützt. Eine neue Religion soll die Deutschen dabei einen. Sie wird nicht von staatlich oder kirchlich angestellten Religionsdienern kommen. Es müssen freie Verkünder von etwas Neuern auf­treten, nämlich der alten Religion Jesu selbst.

Im folgenden gruppiere ich die Zitat­auswahl in neuer Anordnung, weil ich glaube, dag Freges gesellschaftspolitische Einstellung sehr stark vom deutschen

DEZEMBER 1989

Protestantismus geprägt war, gerade weil er weder die allzu Orthodoxen mochte, mit ihren ,.kläglichen Reimereien", noch die christlich-sozialen Theologen - mei­stens Antisemiten -, die sich in die Wirt­schaft einmischten und bei den Unter­nehmern für die gepreßten Arbeiter sich einsetzten, die die Hauptlast des Aufbaus der Republik trugen, aber völlig verarmt waren. Frege vertritt, so vermute ich, den lutherischen Protestantimsus der Refor­mation. Werner Koch faßte ihn so zusam­men: Man hat ,.angeblich genau gewußt, wo ,Gottes Reich zur Linken' (Schöp­fung, Welt, Staat, das Gesetz der Natur und das Gesetz der Geschichte) anfängt und wo das ,Reich Gottes zur Rechten' (Offenbarung, Bibel, Kirche, Geist Got­tes, ewiges Leben) beginnt.

In diesem auf solche Weise das ganze W eiegeschehen überschauenden und ordnenden ~'issen des Menschen konnte und mußte man den Ordnungsmächten in Natur, Staat und Geschichte ihre Ei­gengesetzlichkeit zugestehen. Daneben (und zwar theoretisch und praktisch be­ziehungslos daneben~) mochten dann Gottes Wort und Geist ihre besondere Herrschaft ausüben. Eine Herrschaft, die allein der Glaube erkennt und infolge­dessen auch anerkennt. Eine Herrschaft, die beim einzelnen wie in der Gemeinde den Glauben ständig neu erweckt und er­hält.

So durfte (und mußte!) im weltlichen Regiment geschehen, was im geistlichen Regiment immerhin einen umgekehrten Verlauf nehmen sollte. So durfte und

mußte das strenge Regiment des Herrn über ihre Knechte, verbunden mit einer gnadenlos strafenden Gerichtsbarkeit, neben dem Regiment der Bruderschaft in der Kirche bestehen: das ,linke' Reich Gott.es beziehungslos neben dem ,Prie­stertum aller Gläubigen' und neben der ,Freiheit der Kinder Gottes'. Wegen der gedanklich wie praktisch vollzogenen Trennung durfte das letztere nicht etwa als Modellfall oder Muster für irgendeine

Abb: Der ligionslos~ Prof Abbe in Jena

Art von Demokratie und bürgerlicher Freiheit erscheinen. Die Schwärmer und Wiedertäufer, die in ihrer Weise die im ,re~hten' (im eigentli­chen) Reich Gottes gültigen Tatsachen auch auf das ,linke' das uneigendiche Reich, übertragen wollten, wurden eines groben Mißverständnisses beschuldigt und in den grausam geführten Bauern­kriegen (unter ausdrücklicher Billigung der Reformatoren) unter Zuhilfenahme von ,Feuer und Schwert' eines anderen belehrt.

Das hier angewandte Vorstellungs­und Ordnungsmodell nenne ich das , Wir-wissen-Bescheid-Modell'. Hier hat man keinen Zweifel, wie die Welt nach der stets gleichbleibenden ,natürlichen' Ordnung Gottes auszusehen hat: hierar­chisch, patriarchalisch, konservativ. Dag , von oben her' regiert wird, entspricht die Herrschaft Gottes oben im Himmel ebenso wie die Erfahrung in Natur und Geschichte: ,Wir Kaiser Wilhelm II. von Gottes Gnaden .. .'

Die biblische Bundesgeschichte, in der Gott selber genau umgekehrt dadurch herrscht, daß er dem von ihm geliebten Menschen dient, die Geschichte des Soh­nes, in der der Herr als Knecht erscheint, bleibt für die Anschauung und Ordnung der Welt ohne Konsequenz.'" (s. Anm. 2)

Theologie und Geschichte DieTrennung von Staat und Kirche

Frege notiert am 9. 4. 1024: ,.Ich selbst habe mich zu den Liberalen ge­

rechnet".

Und zweifelsohne huldigt der ehema­lige Nationalliberale dem Grundsatz von der Trennung von Staat und Kirche. Fre­ge ist für die Religionsfreiheit und scharf gegen jede Einflußnahme von seiten der Religion auf Politik oder Wirtschaft. So heißt es am 11. 3. 1924:

"Auch Theologen haben .<>ich vor dem Kriege um die Hebung der wirtSchaftlichen Lage von ärmeren Arbeitnehmern bemüht. ( ... ) Sie ver­suchten es mit einem moralischen Drucke auf die reichen Arbeitgeber. In diesem Sinne wollten sie die öffentliche Meinung beeint1ussen durch ihre evangelisch-sozialen Kongresse ( ... ). Sie glaub­ten sich durch ihr Christentum verpflichtet, überall da, wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer wegen der Festsetzung des Lohnes oder der Ar­beitszeit in Meinungsverschiedenheiten gerie­ten, den Arbeitnehmern als den Armen zu Hilfe kommen zu müssen gegen die Arbeitgeber als die Reichen. Während Abbe auf eigene Kosten die wirtSchaftliche Lage der Arbeiter zu heben suchte, wollten es diese Theologen auf fremde Kosten. ( ... )"

· Wegen dieses letzten Unterschiedes verweigert Frege diesen Theologen die Kennzeichen ,.evangelisch" oder "christ­lich ... Er zweifle aber keinen Augenblick daran, daß

"Abbes großartiges Schenken aus wahrer christlicher Gesinnung hervorgegangen ..

sei. Der religionslose Abbe, der die

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Page 5: Menzler Trott Freges Politisches Testament

Zeiss-Werke in die noch.heute bestehen­de Zeiss-Stiftung umwandelte, tat dies eben, weil er meinte, daß die Arbeiter den Unternehmensgewinn miterarbeitet, also Rechte daran erworben hatten, die sich mindestens aus Garantielohn, Invali­ditäts- und Altersversicherung, Acht­stundentag und vielem mehr zusammen­setzen. Abbe tat dies für Frege vielleicht nicht aus Einsicht, aber auf jeden Fall aus ,. wahrer christlicher Gesinnung". Und zu dieser Tat konnte Abbe niemanden zwingen. Er schreibt am 18. 3. 1924:

.. Eine religiöse Pflicht ist eine Pflicht, über de­ren Erfüllung kein menschlicher Richter zu wa­chen und zu urteilen hat. ( ... )

Und am darauffolgenden 19. 3. 1924 heißt es:

.. Aus den religiösen Pflichten. die jemand hat, entstehen keine Rechte eines anderen gegen ihn. ( ... )"

Für Frege ist es undenkbar, daß Arbei­ter mehr verlangen könnten, als den in völliger Vertragsfreiheit im beiderseitig bestätigten Kontakt ausgehandelten Lohn. Völlig auierhalb der Fregeschen Vorstellungskraft war die Möglichkeit, daß die Arbeiter gegenüber den Kapitali­sten Rechte hätten, die sie sich erkämpfen dürften. Es gibt aber keine Rechte der Arbeiter. So schreibt Frege am 20. 4. 1924:

..Die Arbeitgeberschaft eines U nternehrnens kann ia bei besonders gutem Geschäftsgang den Arbeimehmern eine besondere Belohnung ge­währen, um den Eifer anzuspornen und sie inni­ger mit dem Unternehmen zu verbinden."

Es gibt für Arbeiter nur Geschenke, und auch dabei möchte Frege noch ihre Verwendung einschränken:

,.Im allgemeinen, glaube ich. wird für Arbeiter die Anlage ihrer Ersparnisse in sicheren städti­schen Sparkassen mehr zu empfehlen sein als die Erwerbung von Aktien",

aber nicht etwa, weil der Arbeiter seine Familie durchs Spekulieren ins Unglück stürzen könnte, sondern am 19. 4. 1924 heißt es:

.. Die Arbeiter zu Aktienbesitzer zu machen, scheine mir verfehle. Dann hätten sie auch Rechte hinsichdich der Leistung des Unternehmens."

Dies aber wäre für Frege der erste Schritt zur Revolution, denn in dem Ein­trag für denselben Tag heißt es:

,.Prof. Abbe in Jena, der so sehr Arbeiter­freundliche, hat es nie zugegeben, daß seine Ar­beiter einen entscheidenden Einfluß auf die Be­triebsleitung ausübten, wiewohl er Wünsche gern entgegennahm und ihre Äussprache ermun­terte."

Es könnte sonst so weit kommen, daß die Arbeiter mit sich selbst über den Lohn und Arbeitsqualität verhandeln.

Funktionalität der Religion

Am 20. 3. 1924 notiert Frege: ,.Kann man von den Religionen aus das Recht

zum Vorteil der ärmeren Volksgenossen umge­stalten? Die Religion kann Einfluß haben auf die

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Gershorn Scholem über Frege

,.Die Philosophie in Jena ärgerte mich ziemlich. ( ... )Dagegen wurde ich von zwe: sehr entgegengesetzten Lehrern angezogen. Der eine war Paul Lincke. ( ... )Der an­dere.war Gottlob Frege, dessen ,G_rundlagen der ~rith~etik' i~h neben verwandter: Sehnfeen ~on Bachmann und L~u1s Coutura~ (I:~~e ~htlosoph1schen Prinzipien der Mat?e~atik) damals las. Ich horte Freges ~mstund1ge Vor~esun~ über ,.Begriffs­sehnEt . _( ... ).An Fr~gC:, der fast so alt war wie Eucken und Wie er emen weißen Ban trug, geftel m1r das_volhg unpompöse Auftreten, das sich so vorteilhaft von dem Euk­kens abhog. Aber m Jena nahm kaum irgend jemand Frege ernst.

Martin Heidegger über Frege

"In diesem Zusammenhang möchte ich den Namen eines deutschen Mathematikers nicht unerwähnt lassen. G. Freges logisch-mathematische Forschungen sind meines Erachtens in ihrer wahren Bedeutung noch nicht gewürdigt, geschweige denn ausge­schöpft. Was er in seinen Arbeiten über ,Sinn und Bedeutung' (4: Zeitschrift für Phi­losophie und philosophische Kritik. Bd 100 (1892)), über ,Begriff und Gegenstand' (1: Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie XVI ( 1892)) niedergeleot hat, darf keine Philosophie der Mathematik übersehen; es ist aber auch im gleich:n Maße wertVoll für eine allgemeine Theorie des Begriffs. Wenn Frege den Psychologis­mus im Prinzip wohl überwand, so hat doch Husserl erst in seinen ,Prolegomena zur reinen Logik' das Wesen, die relativistischen Konsequenzen und den theoretischen Unwert des Psychologismus systematisch und umfassend auseinandergelegt."

Ludwig Wittgenstein über Frege

,.Ich schrieb an Frege und legte einige meiner Einwände gegen seine Theorien dar: dann wartete ich ganz bange auf seine Antwort. Ich war hocherfreut, da er tatsächlich zurückschrieb und mich bat, ihn zu besuchen. I Als ich ankam, sah ich eine Reihe von Schulmützen, wie sie damals von den Jungen getragen wurden, und hörte deD Lirm der Knaben, die im Garten spielten. Freges Ehe war, wie ich später hörte, sehr traurig verlaufen: Die Kinder waren früh gestorben und dann auch bald seine Frau. Er hatte einen Adoptivsohn, dem er, soweit ich weiß, ein freundlicher und guter Vater war. I Ich wurde in Freges Arbeitszimmer geführt. Frege war ein adretter, kleiner Mann, der beim Reden im Zimmer herumhüpfte. Er fuhr regelrecht Schlitten mit mir. und ich war sehr niedergeschlagen. Doch zum Schluß sagte er: ,Sie müssen wieder­kehren', und da faßte ich wieder Mut. I Danach habe ich mich noch mehrmals mir

Gesinnung der Gesetzgeber und diese Gesin­nung kann weiter auf die Gestaltung des Rechts einwirken. Nie aber kann die Religion selbst Ge­setzgeber sein wollen. Kann man von der Reli­gion aus bestimmen, welche Gegenleistung im wirtschaftlichen Verkehr gleichwerti€; sei? Nein, damit hat die Religion nichts zu schaffen. Sie kann nicht beurteilen, welcher Preis z. B. für ein Kleidungsstück oder welcher Lohn für eine Arbeitsleisrung angemessen sei. Wenn beide Parteien einem V ertrage zustimmen, den sie mit­einander schließen, kann man bis zum Beweise des Gegenteils annehmen, daß Leistung und Ge­genleistung, wie sie im V ertrage bestimme sind, einander die Waage halten ...

Und am 1. 5. 1924 ergänzt er: ,. Wenn aber ein Dritter beim Abschluß des

Vertrages in der Weise mitgewirkt hat, daß er ei­nen Zwang oder Druck auf die eine der Seiten ausgeübt hat, so ist der Vertrag kein freier mehr und die Gleichwertigkeit von Leistung und Ge­genleistung ist nicht anzunehmen. Wenn der Staat dieser Dritte ist, so ist sein Eingreifen nicht ein~ Tat des Rechts, sondern eine Tat der Will­kür".

Auch die evangelischen christlich­sozialen Theologen machen sich dieser Willkür schuldig, wenn sie versuchen bei den "reichen Arbeitgebern" zugunsren

Eckart Menzler~rott, Frege

der armen Arbeiter zu intervenieren oder dies gar in die Öffentlichkeit tragen, um auf die Arbeitgeber einen moralischen Druck auszuüben. Deshalb schreibt Fre­ge am 22. 3.:

,.Die Gerechtigkeit ist die Grundlage des Rei­ches. Für den gerechten Richter darf das V ermö­gen einer im Rechtsstreit befindlichen Partei gar nichts ausmachen. Der Reiche darf, weil er reich ist, kein Vorreche haben vor dem Armen, aber auch umgekehrt darf der Arme, weil er arm ist. kein Vorrecht vor dem Reichen haben. Die Reli­gion aber legt gern dem Reicheren Pflichten aur zugunsten der Ärmeren. Aber diese religiösen Pflichten sind keine Rechcspflichten. Wenn sie nicht streng auseinander gehalten werden, kann die Religion das Recht und damit den Staat ge­fährden ...

Religion darf also die Welt, so wie sie nun einmal ist, nicht antasten. Sie darf al­lerhöchstens bei Arbeitskonflikten beide Teile besänftigen, aber niemals Partei er­greifen oder etwa das Grundverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Kost~n der Arbeitgeber kritisieren und so "Öl ins Feuer schütten". Welcher Platz bleibt da noch der Religion? Frege resümiert am 8. 5. 1924:

FORVM

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ihm unterhalten. Frege wollte nie über etwas anderes reden als Logik und Mathema­tik; sobald ich ein anderes Thema anschnitt, äußerte er eine höfliche Floskel und

stürzte sich wieder in Logik und Mathematik."

,712. (Der Stil meiner Sätze ist außerordendich stark von Frege beeinflußt. Und wenn ich wollte, so könnte ich wohl diesen Einfluß feststellen, wo ihn auf den ersten

Blick Keiner sähe.)"

"Man kann sich nicht beurteilen, wenn man sich in den Kategorien nicht auskennt. (Freges Schreibart ist manchmal groß; Freud schreibt ausgezeichnet,und es ist ein

Vergnügen, ihn zu lesen, aber er ist nie groß in seinem Schreiben.)" 1951

Rudolf Carnap über Frege

"T owards the end of ehe semester Frege indicated that ehe new logic to which he had introduced us, could serve for ehe construceion of ehe whole of mathematics. This remark aroused our curiosiey. In ehe summer semester of 1913, my friend and I de­cided eo attend Frege's course "Begriffsschrift II". This time the entire dass consisted of the two of us and a retired major of the army who studied some of the new ideas in mathematics as a hobbv. It was from ehe major that I first heard about Cantor's set theory, which no professor had ever mentioned. In this small group Frege feit more at ease and thawed out a bit more. There were still no questions or discussions. Bur Frege occasionally made critical remarks about other conceptions, somecimes wich irony and eVJm. sarcasm. In particular he attacked ehe formalists, those who de­clared that numbers were mere symbols. Although his main works do not show much of his witty irony, there exists a delightfullittle satire "Ueber die Zahlen des Herrn Schubert" (I own a copy of this pamphlet which was privately published by Frege Qena, 1899)). ( ... ) ... Frege ( ... ) usually did not discuss general philosophical pro­blems. It is evident from his works that he saw the great philosophical imporcance of the new instrument which he had created, but he did not convey a clear impression of this to his srudents. Thus, although I was intensely interested in his system of logic, I was not aw~e at chat time of its great philosophical significance."

Edmund Husserl über Frege

Er (Frege .. ) galt damals als ein scharfsinniger, aber weder als Mathematiker noch als Philosoph fruchtbringender Sonderling.

,. Wir bedürfen dringend einer Erneuerung der Religion. Die lutherische Kirche ist z. T. in Or­thodoxie erstarrt. Die Lieder der Gesangbücher sind ( ... )ohne Kraft und ( ... )klägliche Reime-reien. ( ... ) Es müssen freie Verkünder von etwas Neuem auftreten, das aber eigendich etwas Altes ist, nämlich die alte Religion Jesu selbst ...

Und am folgenden Tag heißt es: ..Das Leben Jesu müßte erzählt werden nach

den Ergebnissen der deutschen Forschungen, ganz wahrheitsgemäß. ( ... ) Ein Leben Jesu, wie mir es vorschwebt, müßte, meine ich, eine Reli­gion stiftende Wirkung haben, ohne daß das als Absicht hervorträte ...

Vernünftige Wirtschaftsordnung

,.Es ist begreiflich, daß es notwendig gehalten wird, die winschaftliche Lage der ärmeren Volksgenossen (sie! EMT), insbesondere der Ar­beitnehmer zu heben. Weniger leuchtet die For­derung ein, es sei anzustreben die winschaftliche Lage der ärmeren Arbeitnehmer auf Kosten der Arbeitgeber zu heben. So kann es nicht gelingen, weil jede Last, die auf die Arbeitgeber gewälzt wird, weil sie Arbeitgeber sind, mit der Zeit auf die Arbeitnehmer zurückfallen muß. Dies Be­streben sehe ich als eine Geisteskrankheit an. ( ... ) sie verbreiten eine Scinkluf~, in der die Sozialdemokratie üppig wuchern kann, bis sie,

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zur Macht gelangt, an sich selbst zu Grundegeht~,

notiert Frege am 26. 3. 1924, und wie­derholt sich am 2. 4. 1924:

,.Die Meinung, daß die wirtschaftliche Lage der ärmeren Arbeitnehmer auf Kosten der Ar­beitgeber gehoben werden könne und müsse, hat schon vor dem Kriege weite Kreise des Deut­schen Volkes weit über die Grenzen der Sozial­demokratie hinaus wie eine Seuche befallen und diese Verseuchung des- Deutschen Volkes dauert auch jetzt noch an. Bevor sie nicht gewichen ist, kann eine wirkliche Genesung des Deutschen Volkes nicht erhofft werden. Nur dadurch, daß die wirtschaftliche Lage des ganzen Volkes ge­hoben wird, kann die wirtschaftliche Lage der ärmeren Volksschichten dauerhaft gehoben wer­den."

Wie aber sah und sieht zur Zeit (8. 4. 1924) die Lage aus? Arbeiter und diejeni­gen Reichstagsabgeordnecen, die ihre Wahl den ärmeren Arbeitnehmern ihre Wahi verdanken, haben • bisher ihre politischen Rechte zu ihrem Scha­den gebraucht. Möglichst niedrige Steuern war ihr leitender Gedanke. Daher ungenügende Kriegsrüstung, daher Krieg und schlechter Aus­~g des Kr.ieges. Möglichst niedrige Steuern,

Oie Funktionalität der Philosophen

daher Kriegsanleihen, Verschuldung des Rei­ches. ( ... ) Die Reichsschulden dienen nun de­nen, die Vermögen haben zur Anlegung ihres Vermögens."

An dieser unproduktiven Anlageform aber sind die Arbeitnehmer selbst schuld, denn:

"Die Arbeiterführer aber wetterten gegen das Kapital, aber vorzugsweise gegen das in Reichs­anleihen angelegte. Wer läßt sich gerne beständig als Ausbeuter von armen Arbeitern schimpfen. Dadurch kann man abgehalten werden, ein ge­werbliches Unternehmen anzufangen und ver­anlaßt sein Geld in Reichsanleihen anzulegen zum Nachteil der ärmeren Mitbürger."

Der von der Sozialdemokratie aufge­stachelte Arbeiter ist also an seiner der­zeitigen Lage selbst Schuld, indem er sei­nen Arbeitgeber beschimpfte, so daß die­ser sein Geld in Reichsanleihen anlegte, die der verschuldete Staat ausgeben muß­te, weil ihm die von den Arbeitnehmern gewählten Reichstagsabgeordneten ein höheres Steueraufkommen verweigerten. Dazu hatten die Abgeordneten

"die Abneigung Geld zu bewilligen, beson­ders für Heereszwecke. Daher die zu geringe Heeresstärke. daher die Neigung, unserer Fein­de, uns zu überfallen. daher der Weltkrieg, daher das Mißgeschick an der Mame und daher der un­glückliche Ausgang des Weltkrieges, daher die ungeheuren, noch gar nicht abzuschätzenden Lasten, die der Frieden von V ersailles uns aufge­bürdet hat. unsere U nfih.igkeit mit England im Handelswettbewerb zu stehen usw."

Der deutsche Arbeiter hat also den schlechten Ausgang des Weltkrieges selbst verursacht. Noch schlimmer, er hat zum eigenen Nachteil manche seiner Arbeitgeber in die Börsenspekulation ge­trieben:

,.Die Schwierigkeit Steuern vom Reichstage bewilligt zu erhalten, führte zu der Neigung, die nötigen Mittel durch Anleihen aufzubringen. Das war nur eine scheinbare Erleichterung der Lasten, die nur um so stärker die Zukunft be­drückten und durch Vermehrung der an der Bör­se gehandelten Wertpapiere die Börsenspekula­tion begünstigten zum Schaden des eigentlich schaffenden Volkes."

So heißt es im Eintragvom 17. 4. 1924. Die Eindämmung der Börsenspekulation ist unbedingt notwendig. Einen Neben­effekt sieht er vermutlich darin, daß die jüdischen Händler ihre Arbeit verlieren werden, denn bei seiner Wirtschaftsord­nung werden nur Deutsche mit·" vollem Bürgerrecht", also keine Deutsche jüdi­schen Glaubens berücksichtigt. Der Ar­beiter hat durch falsche Entscheidungen das Volk und sich selbst in den Ruin ge­führt. - Wie also kann man jetzt die wirtschaftliche Lage des Volkes ändern?

,.Statt Schulden zu haben, sollte das Reich Geld zum Ausleihen haben .. ,

beginnt das Tagebuch am 18. 4. 1924 . Schon am 2. 4. hieß es:

,.Die Schulden und sonstige Verbindlichkei­ten sind, wenn irgend möglich, nicht zu vermeh­ren. Dagegen ist ein Reichsschatz anzusammeln.

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Dieser Vorsatz muß mit alle~ Zähigkeit festge­halten werden."

Und am 8. 4. ergänzt er: ,. Wenn wir einen gewaltigen Reichsschatz

statt große Reichsschulden gehabt hätten. wie­vielleichter und billiger hätten wir die Lasten des Krieges tragen können. Und vielleicht hätten un­sere Feinde im W eiekriege im Hinblick auf unse­re Machtstellung es überhaupt nicht gewagt, uns zu bekriegen. Millionen von Menschen, die im Kriege gefallen sind, lebten dann wahrscheinlich noch, und ein gewaltiges Vermögen, das nun dem deutschen Volke verloren gegangen ist. könnte zur weiteren Hebung der Lebensstellung des deutschen Volkes dienen."

Wie soll der Reichsschatz zustande kommen? Dazu schreibt Frege am 5. -l-. 1924:

"Der Einfluß der Börsenspekulanten muß ein­gedämmt werden. deshalb ~uß die Auswahl der an den Börsen gängigen Wertpapiere möglichst beschränkt werden. Als Grundsatz muß aufge­stellt werden: Nur Deutsche mit vollem Bürger­recht dürfen Grundbesitz in Deutschland erwer­ben. Gesellschaften dürfen nur dann Grundbe­sitz erwerben. wenn Sicherheit vorhanden, daß nur Deutsche mit vo~ Bürgerrecht Mitglieder sein dürfen. Besitzer von deutschem Grund und Boden. welche nicht berechtigt sind. Grundbe­sitz zu erwerben, müssen die doppelte Grund­steuer bezahlen. Dazu werden also a1le Aktien­gesellschaften gehören. Diese können ersetzt werden durch Gesellschaften, deren Teilhaber im Grundbuche verzeichnet sind. Für diese gilt dann bei Grundstückskäufen und -verkäufen dasselbe wie für jeden anderen Einzelbesitzer ei­nes Grundstücks: Der Käufer ist verpflichtet. 20% (1/s) vom Wert außerdem zu bezahlen. Die­se 20% des Kaufpreises fallen einem besonderen Reichsschatze zu. Das Reich darf aber nur über dessen Zinsen verfügen. ( ... ) Als Wert des Grundstücks muß der neue Besitzer mindestens die um 20% vermehrte Kaufsumme angeben und diese darf in den nächsten 10 Jahren nicht ver­mindert werden."

Und er fährt am nächsten Tag, dem 6. 4. fort:

"Neue Hypotheken und Grundschulden dür­fen nicht eingetragen werden. 50 Jahre nach der Neuordnung müssen die auflastenden Hypothe­ken und Grundschulden abgetragen sein, sonst gehen sie in gewöhnliche Schulden ohne hypo­thekarische oder grundschuldliehe Sicherstel­lung über. ( ... )So werden die Hypothekenban­ken mit der Zeit verschwinden und damit die Aktien. ( ... ) Es ist anzustreben. daß die Grund­besitzer allein die Steuern bezahlen."

Der zweite Schritt besteht darin: ,.Staatsanleihen müssen so schnell wie möglich

abbezahlt werden, damit auch diese Papiere von dem Wertpapiermarkte verschwinden. Je mehr Wertpapiere aus dem Markte verschwinden, de­sto mehr wird die Börsenspekulation einge­schränkt."

Und was können die Arbeiter für die neue Wirtschaftsordnung tun?

"Diejenigen. die keine Grundbesitzer sind. tragen ihre Lasten in Gestalt von W ahnungsmie­te und Ackerpachten und hohen Preisen auf Le­bensmittel und andere Waren."

Es scheint Frege nur recht und billig zu sein, daß die ärmeren Volksschichten, die ja angeblich die schlechte Lage verur-: sacht haben, auch den Hauptteil der.Lait

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Freges Werk und Bedeutung Frege gilt als der eigentliche Begründer der sogenannten "Mathematischen Logik"

(also der heutigen Form der formalen Logik), als der Initiator des "Logizismus" in der Arithmetik, sowie als der Urheber der modernen Semantik. Sein zu Lebzeiten eher sporadischer Einfluß auf die philosophische Diskussion (so bei Husserl, Russell, Wirtgenstein und Carnap) hat etwa seit den fünfzigerJahrendes zwanzigsten Jahr­hunderts, besonders im Bereich der analytischen Philosophie, erheblich z_ugenorn­men. Nach grober Abschätzung dürfte Frege im angelsächsischen Sprachraum der zur Zeit nach Kant meistgelesene deutsche Philosoph sein.

Sein wissenschaftliches Hauptanliegen galt bekanntlich einer logischen Begrün­dung der Arithmetik. Ihre Begriffe und Beziehungen sollten auf rein logische Begriffe und Beziehungen definitorisch zurückgeführt, ihre Grundsätze allein aus Definitio­nen rein logisch abgeleitet werden, mithin ohne der Erfahrung (Sinneswahrnehmung) oder der Anschauung einen Beweisgrund zu entnehmen. Daran aber, Mathematik durch Logik zu begründen, ist Frege - wie alle nach ihm - erfolgreich gescheitert ("Ich habe die Meinung aufgeben müssen, daß die Arithmetik ein Zweig der Logik sei und daß demgenäß in der Arithmetik alles rein. logisch bewiesen werden müsse.").

Gescheitert ist er, weil Bertrand Russell in seinem System einen es zerschlagenden Widerspruch entdeckte; erfolgreich war er, weil er einen vorher nicht erreichten Stan­dard in der Strenge der Beweisführung innerhalb eines von präzisen Ausdrucksbe­stimmungen und Deduktionsregeln ausgehenden axiomatischen Autbaus der klassi­schen Quamorenlogik setzte. Außerdem entwickelte er die unverzichtbaren termino­logischen Eckpfeiler einer exakten Wissenschaftssprache im "logisch-philosophi­schen" Kontext: Eigenname, Kennzeichnung, Begriff, Urteil, Satz, Sinn und Bedeu­tung.

Ersichtlich wird Freges Modernität- und damit seine "Unzeitgemäßheit" -auch aus den drei Grundsätzen, an die er sich nach eigenem Bekunden bei seiner U ntersu­chung streng gehalten hat:

1. Es ist das Psychologische vom Logischen, das Subjektive vom Objektiven scharf zu trennen.

2. Nach der Bedeutung der Wörter muß im Satzzusammenhange, nicht in ihrer Vereinzelung gefragt werden.

3. Der Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand ist im Auge zu behalten. Insofern kann er der "Ältervater" der sprachanalytischen Logikonzeptionen ge­

nannt werden, obwohl seine Theorien und Thesen heute mehr denn je umstritten sind. Lange Zeit waren Freges Werke nicht Bestandteil des offiziellen mathemati­schen Diskurses, und er kam einem Unverständnis durch eine ungewöhnliche zwei­dimensionale Notation seiner Ideen entgegen, die er mit zupackender Polemik, treff­licher Schärfe, Hohn, Spott und beißendem Humor verteidigte. - Frege hat fast alle wichtigen Probleme ebenso klarsichtig und souverän identifiziert wie originell und deutlich beschrieben, die sich bei einer logischen Repräsentation beziehungsweise ei­ner Beschreibung der natürlichen Sprache ergeben. Jede ernsthafte Bedeutungstheo­rie, wie z. B. diejenigen von Quine, Davidson, Grice oder Schiffer, ist immer noch gezwungen, Lösungen, Auswege oder Verwerfungen Fregescher Probleme vorzule­gen. Freges Schriften und Ideen beeinflussen heute fast jedes Gebiet der Philosophie:

Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens: in: G. Frege, Begriffsschrift und andere Aufsätze, zweite Auflage. Mit E. Husserls und H. Scholz' Anmerkungen herausgegeben von Ignacio Angelelli. Hildesheim (Georg Olms). Zweite Nachdruckauflage 1977.

Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl. Mit ergänzenden Texten kritisch herausgegeben von Christian Thiel. Harnburg (Felix Meiner) 1986

Grundgesetze der Arithmetik. Begriffsschriftlich abgeleitet. 2 Bände in einem Band. Hildesheim (Georg Olms) 1966

tragen. Zur besseren Funktionsfähigkeit des deutschen Gewerbes schlägt Frege vor, hohe Zölle auf ausländische Waren zu nehmen.

,.Über die Verteilung der Zolleinnahmen auf verschiedene Zwecke wird etwa immer auf 10 )ahre im Voraus von einer Volksvertretung beschlossen, für die jeder Vollbürger etwa vom 30 .. Lebensjahre an das gleiche Wahlrecht hat. (., .) Die ständigen Ausgaben jedoch, insbeson­dere die Kosten der Wehrmacht und die Beam-

Eckart Menzler.:rrott, Frege

tenbesoldungen sollen allein aus den Steuern der Grundbesitzer bestritten werden. Über die Ver­wendung im Einzelnen beschließt eine von den Grundbesitzern gewählte Versammlung. Das Wahlrecht zu dieser sei proportional der seit der letzten Wahl von derri Grundbesitzer oder des­sen Vorgänger im Besitze seit der letzten Wahl bezahlten Grundsteuer." (7. 4. 1924)

Jedoch heißt es am 8. 4. 1924: "Jetzt sind wir weiter als je von der Bildung ei­

nes Reichsschatzes entfernt und die ärmeren Volksgenossen sind weiter als je von der Auf-

FORVM

Page 8: Menzler Trott Freges Politisches Testament

Kleine Schriften. Herausgegeben von Ignacio Angelelli. Hitdesheim (Georg Olms) 1967

Funktion, Begriff, Bedeutung. Herausgegeben von Günther Patzig. Göttingen (Vandenhoek & Ruprecht) 1980;

Logische Untersuchungen. Herausgegeben von Günther Patzig. Göttingen (Van-denhoek & Ruprecht) 1966 .

Nachgelassene Schriften. Erster Band. Zweite, revidierte Auflage, erweitert um ei­nen Anhang "Nachschrift einer Vorlesung und Protokolle mathematischer Vorträge Freges", eingeleitet von LotharKreiser unter Mitwirkung von Günther Grosche. Un­ter Mitwirkung von Gottfried Gabriet und W alburga Rödding bearbeitet, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Hans Hermes, Friedrich Kambartel, Friedrich Kaulbach. Harnburg (Felix Meiner) 1983

Wissenschaftlicher Briefwechsel. Nachgelassene Schriften: Zweiter Band. Heraus­gegeben, bearbeitet, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gottfried Ga­brie!, Hans Hermes, Friedrich Kambartel, Chrisrian Thiel, Albert Veraart. Harnburg (Felix Meiner) 1976

Die Grundlagen der Arithmetik. Mit einem Nachwort herausgegeben vonjoachim Schulte. Ditzingen (Reclam) 1987

Freges Lebenslauf Friedrich Ludwig Gottlob Frege wurde am 8. 11. 1848 in Wismar (heute DDR) an

der Ostsee geboren. Sein Vater Carl Alexander Frege (1809- 1866) war Pfarrer, Be­gründer und Vorsteher einer privaten Mädchenschule.

Freges Mutter, Auguste Frege, geborene Bialloblotzky (gestorben 1878) war Leh­rerin und nach de~ Tode ihres Mannes Leiterin der Mädchenschule.

Frege legte Ostern 1869 am Gymnasium zu Wismar das Abitur ab und studierte von 1869 bis 1870 an der UniversitätJena Mathematik, Chemie und Philosophie. Zu seinen Lehrern in Jena gehörte auch Ernst Abbe, der- in seiner Doppelfunktion als Universitätslehrer und Direktor der Forschung der Carl Zeiss-Werke- ihh während seiner späterer Universitätstätigkeit nach Kräften förderte. 1871-1873 studierte Fre­ge füni Semester in Göttingen Mathematik, Physik und Philosophie und wurde am 12. 12. 1873 mit einer mathematischen Dissertation ,.Ueber eine geometrische Dar­s~ellung der imaginären Gebilde in der Ebene" zum Doktor der Philosophie promo­viert.

187 4 kehrte Frege nach Jena zurück und habilitierte sich für Mathematik mit der Arbeit ,.Rechnungsmethoden, die sich auf eine Erweiterung des Größenbegriffs gründen". 1879 wurde er außerordentlicher Professor. 1880 wandte sich das Staatsmi­nisterium in Weimar an das Königliche Generalkommando des XI. Armeekorps zu Kassel, den Unteroffizier im 5. Thüringischen Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 94, Gottlob Frege, von den im gleichen Jahre stattfindenden Landeswehrübun­gen zu dispensieren, da sonst die Lehre eine nicht auszugleichende Störung erhalten würde. 1896 wurde Frege ordendieher Honorarprofessor an der armen Sommeruni­versität Jena (mit einem Jahresgehalt von bloß 3000 RM aus der Carl Zeiss-Stiftung; eine Stelle, die nach seinem Tod gestrichen wurde) und erhielt 1903 den Titel eines Hofrats. Seine Frau, Margarete Lieseberg, starb 1905.

Das normale Berufsziel der akademischen Laufbahn, ein planmäßiges Ordinariat, das ihm Stimmrecht an der Fakultät verschafft hätte, hat Frege nicht erreicht. 1917 trat Frege von seinem Lehramt zurück. Bis zu seinem Tod am 26. 7. 1925, wahr­scheinlich durch ein Magenleiden verursacht, lebte Frage in der Nähe von Wismar, in Bad Kleinen. Frege ist in Wismar begraben.

Den wissenschaftlichen Nachlaß vermachte er seinem Adaptivsohn Dipl.-Ing. Alfred Frege (vormals Alfred Fuchs)jder war während des Zweiten Weltkrieges sta­tioniert war im Torpedoarsenal-West Montesson. Er fiel in Parisam 15. 6. 1944 und ist auf dem Friedhof von St. Andre-de-l'Eure begraben, vermudich unter der Grabla­ge 6-18-1502.

sieht entfernt auf eine günstigere Gestaltung ih­rer wirtschafeliehen Lage."

Denn der ,.ärmere Volksgenosse" ist von der Sozialdemokratie und

,.deren vaterlandslose meist jüdische Führer" (6. 5. 1924) .. verseucht" ... Ich vermute, daß der Terror viele in der sozialdemokratischen Ge­werkschaften getrieben hat ..... (27. 4. 1924)

Wir wenden uns deshalb Freges An­sichten über die Sozialdemokratie und den Antisemitismus zu.

Gegen Sozialdemokratie, Liberalismus und Deutsche

jüdischen Glaubens

Frankreich hat Deutschland mit libe­ralen, ja sozialdemokratischen Ideen an­gesteckt.

,.Frankreich litt an einer gefährlichen Krank­heit. Thiers glaubte, dal) sie durch Ausbrennen am sichersten geheilt werden könnte, und er

rannte sie aus.~ ( 13. 3.)

In der T ac v~rancwortete Thiers die Niederwerfung der Pariser Commune durch die Ermordung von ca. 30.000 Menschen. 11 Deutschland wurde aber von den Überresten angesteckt. Bis­marck, so meint Frege, habe mit seiner "angeborenen Schaukraft" gesehen, daß die Sozialdemokratie keine Zukunft habe und hätte sie deshalb ebenfalls ausbren­nen wollen, aber

,.sein Kaiser war anderer Meinung. So wurde der letzte Augenblick für das Ausbrennen ver­paßt. Andere Staaten sahen, daß Deutschland durch die Krankheit geschwächt war. Dadurch gewannen sie Mut, Deutschland zu überfallen. Aber viele mußten es sein. die sich zu diesem Zwecke zusammenfanden. Wenige hätten es nicht fertig gebracht, Deutschland. auch das ge­schwächte, zu überwältigen." ( 13. 3.)

Am 16. 3. 1924 schreibt er: ,.Der Ausbreitung der Sozialdemokratie war

die sozialistische Verseuchung, ... , sehr förder­lich. Der Theologe Stoecker, von dem der Kaiser meinte. daß etwas von einem Luther in ihm wäre, mag auch den Kaiser stark sozialistisch be­eintlugt haben."

Nun war Adolf Stoecker ein Gegen­spieler von Bismarck und Bebe!. Gerade aus der Bebeischen Sozialdemokratie hoffte er, viele Arbeiter für seine christ­lich-soziale, stark antisemitisch gesinnte Partei zu gewinnen, die dem Kaiser treu ergeben war.

.. Man hat gemeint, die Bürgerlichen hätten die Sozialdemokratie schärier bekämoien müssen. Aber wie konnten sie das ... ? W~en sie doch selbst schon größtenteils sozialistisch verseucht und hatten der Sozialdemokratie schon vielzu­viel eingeräumt .. ,

kritisiert sich der ehemalige National­liberale reuig am 17. 3. Und desto schär­fer beschimpft er nun die Sozialdemokra­ten.

"Das Reich litt 1914 an einem Krebs, nämlich der Sozialdemokratie. Immer wieder stößt man auf diese. ( ... )Die Führer der Sozialdemokratie, ohne jedes vaterländis(;he Gefühl, wie sie waren, machten jede Vergünstigung, die den Arbeitern gewährt wurde, zu ihrem Verdienst. Seht, sagten sie, das habt ihr jetzt uns zu verdanken, aber es ist natürlich längst nicht genug. Je ungebändigter ihr seid, desto mehr wird euch nachgegeben wer­den. So konnte es nie zu einer Befriedigung der Arbeiter kommen. ( ... ) nun nach der Revolu­tion sind die schärferen Heilmittel nicht mehr anwendbar. Nun bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten, bi;; der Marxismus an sich selbst zu Grunde gegangen ist. Die Arbeiter werden all­mählich lernen, daß man sie zum Narren gehabt hat .....

tönt er am 24. 4. 1924. Die Sozialde­mokraten haben nur wegen des schwa­chen Kaisers Wilhelm II. ihre Stellung er­halten können.

"Wilhelm, der Il. war zu unserem Unglück

11 .. Die Ideen der Gerechtigkeit und der Solidari­tät müssen die Gesetze derWeltsein und sie wer­den es sein." Commune, 21. Mai 1871. .. Die Sa­che der Gerechtigkeit, der Ordnung, der Huma­nität, der Zivilisation hat gesiegt." Adolphe Thiers, 22. Mai 1871.

DEZEMBER 1989 Logik schützt vor Magengeschwüren & Rassismus 75

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nicht sachverständig in Kriegsangelegenheiten; daher seine Scheu vor kriegerischen Verwicklun­gen, sein Bestreben, Frankreich zu versöhnen. Aber all seine Liebenswürdigkeiten gegen Frankreich blieben wirkungslos. ( ... ) Ähnlich ging es ihm in der inneren Politik mit den Sozial­demokraten, deren vaterlandslose meist jüdische Führer der Monarchie aufs äußerste feindlich ge­genüber standen." (6. 5.)

Und was sind überhaupt Sozialdemo­kraten?

"Demagogen ohne jedes deutsche Gefühl und meist auch wohl undeutscher Abstammung." Die spiegelten den Arbeitern eine angemessene Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage vor und fingen dadurch viele für Ihre Zwecke ein. ( ... ) Sinn für Wahrhaftigkeit fehlt ihnen gänz­lich. So hatten sie leichte Arbeit, denn die Aus­malung glänzender Zukunftsbilder kostet nicht viel. Und die Arbeiter fielen darauf hinein? Es wird immer schwer es zu glauben ... ( ... ) ich vermute, daß derTerrorviele in die sozialdemo­kratischen Gewerkschaften getrieben hat, ..... (27. 4. 1924)

Klar scheint für Frege, daß eine sozial­demokratische Position argumentativ gar nicht vertreten werden kann, und schreibtarn 6. 5.

"Von einer Idee bei den Sozialdemokraten zu reden. ist ein ganz unzutreffender Ausdruck, der die Sozialdemokratie weit überschätzte. Statt ei­ner Idee hatten sie nur ganz unklare Redensar­ten. die ihnen ein W olkenkukuksheim vorspie­gelten und einen Haß einflößten gegen alle, die der Erreichung dieses Glückszustandes im Wege standen. ( ... ) Ich glaube nicht. daß alle Arbeiter so dumm waren. diesen Verlockungen Glauben zu schenken. aber der Terrorismus der Zielbe­wußten trieb sie in die Gewerkschaften hinein, WO sie dann SO erngeklemmt waren, daß sie sich nicht rühren konnten. Pflicht der Regierung wäre es nun gewesen, diesen Terrorismus zu bre­chen und das Recht zu schützen, das Recht der Arbeiter gegen ihre gewalttätigen Genossen und das Recht der Arbeitgeber; aber dann wären scharfe Mittel nötig gewesen und die wollte der Kaiser nicht anwenden aus Furcht, dann nicht mehr der Kaiser der Armen und Unterdrückten zu ein."

Aber nicht allein der schwache Kaiser ist daran schuld, daß

"sozialdemokratische, meist jüdische Führer"

brave Arbeiter mit Terror in ihre Ge­werkschaft zwingen.

"Der Liberalismus hat den Juden Gleichbe­rechtigung verschafft und dafür haben Juden hervorragende Stellungen in der Leitung des Li­beralismus gewonnen und haben sie benutzt um Bismarck Steine in den Weg zu werfen. ( ... ) Und doch hatte der Liberalismus seine Berechti­gung. Ich selbst habe mich zu den Liberalen ge­rechnet." (9. 4. 1924)

Der Liberalismus aber brachte "die Freizügigkeit auch für] uden, Geschenke

von Frankreich. Wir machen es den Franzosen so leicht, uns mit ihren Geschenken zu beglük­ken. ( ... ) Die Franzosen hatten uns doch vor 1813 schlimm genug behandelt und trotzdem diese blinde Bewunderung alles Französischen."

Nur das Deucschtum kann uns helfen: "Viel von unserm Unglück hat seinen Grund

darin, daß wir uns unseres Volkstums so wenig mit Stolz bewußt" sind. Wir· haben so viele· Fremdstimmige unter uns. die Anspruch ma­chen als Deutsche angesehen zu werden unq un:o

76

ser Gerechtigkeitsgefühl verleitet uns dazu, dies Verlangen als berechtigt anzuerkennen. Unsere Vorfahren dachten vielfach anders." (9. 4. 1924)

Frege vermutet, daß seine Wismar­schen Vorfahren mit Juden eher schlech­te Erfahrungen gemacht haben, denn sie läuteten die Juden zu gewissen Jahr­markestagen aus der Stadt ein und am Ende der Übernachtungsfrist aus. War­um dies geschah?

"Die alten Wismarschen werden wohl Erfah­rung mit den Juden gemacht haben, die sie zu dieser Gesetzgebung bestimmt haben. Es wird wohl die jüdische Geschäftsgebarung gewesen sein, zugleich mit dem jüdischen Volkstum. das ja mit dieser Geschäftsgebarung eng zusammen­hängt. Man hatte auch vielleicht gesehen, daß durch Gesetze, die solche Geschäftsgebarung verboten. wenig auszurichten war ...

Natürlich wurde dieses "Läute­Gesetz" nicht deshalb kassiert, als 1867 der Norddeutsche Bund gegründet wur­de, sondern die Beseitigung des Gesetzes geschah auf Grund der Berücksichtigung der Menschenrechte. Weiche Erfahrung hat nun Frege mit diesen vaterlandslosen, gesetzlosen Juden?

"So kam es, daß ich üble Erfahrungen mit Ju­den nicht machen konnte." (22. 4. 1924)

Dann folgt schon ein pöbeloder Rülp­ser:

"Ich habe den Antisemitismus eigentlich erst

in den letzten ] ahren so recht begreifen lernen. Wenn man Gesetze gegen die Juden geben will, muß man ein Kennzeichen angeben können. aus dem man sicher einen Juden erkennen kann. Darin habe ich immer die Schwierigkeit gese­hen."

So spricht der Logiker, der keine schlechten Erfahrungen mit Juden hat machen können. Aber eben genau das will nichtS heißen, denn am 30. 4. hetzt er auf üble Weise:

,.Man kann anerkennen, daß es höchst achtba­re Juden gibt und es doch für ein Unglück halten, daß es soviele Juden in Deutschland gibt und daß diese volle politische Gleichberechtigung mit den Bürgern arischer Abkunft haben; aber wie wenig ist mit dem W unsehe geschehen, daß die Juden in Deutschland ihre politischen Rechte verlieren oder besser noch aus Deutschland ver­schwinden mögen. Wollte man Paragraphen for­men, die diesen Übelständen abhelfen sollten, so wäre zunächst die Frage zu beantworten: Wie kann man sicher J üden von Nichtjuden unter­scheiden? Das mag vor 60 Jahren noch verhält­nismäßig leicht gewesen sein. Jetzt scheint mir das sehr schwer. Vielleicht muß man sich darauf beschränken die Gesinnung zu bekämpfen, durch deren Betätigung der Juden so schädlich sind und eben diese Betätigung mit Verlust des Bürgerrechts und die Erlangung des Bürger­rechts zu erschweren."

Und schon am 23. 4. hatte er geschrie­ben:

"Ich meine. daß zu den Kräften, die zur Er­richtung eines starken Reiches zusammenzufas­sen sind, der Marxismus nicht gehören kann. ( .... ) hiermit befinde ich mich. meine ich, ganz im Einklang mit dem, was General Ludendorff in demselben Heftel2 schreibt. Danach ist die Austilgung des Marxismus oder wenigstens sei­ne. Ausschließung aus der Gesamtheit der Voll-

Logik schützt vor DeutSChlands Feinden

~ürge: eine nötige Vorbedingung für die Mög­lichkelt der von Dr. Weber angestrebten Errich­tung eines starken Reiches."

Der Ausschluß von Juden, Marxisten und Sozialdemokraten aus dem Vollbe­sitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist für Frege Voraussetzung für ein neues ein drittes Reich. '

Deutschlands Feinde England und Frankreich

Für Frege ist es offensichtlich, daß die jungen Deutschen gegen Frankreich Krieg führen müssen. So betet er fast am 3. 4. 1924:

,.Junge Deutsche. vor Euch steht eine Aufgabe von furchtbarer Größe, die Aufgabe, das Vater­la~d wieder a~fzu~ic.hten. ~enn euch ein erfolg­:etche.r Anlaut aut·d.teses Ztel gelungen ist. mögt thr wteder Feste tetem. Laßt euch die richtige Stunde angeben von unseren großen Heerfüh­rern im W elrkriege. Laßt die erst wägen. dann mögt ihr wagen ...

Am 16. 4. fast die gleiche Predigt: "Junge Deutsche ieiert jetzt kein Feste! Wartet

damit, bis ihr Deutschland durch einen Sieg über die Franzosen wieder zu einigem Ansehen unter den Völkern gebracht habt. Dann mögt ihr ein Anrecht haben. ein allgemeines Fest zu feiern; aber nehmt das nicht vorweg, ehe ihr irgend et­

was Großes geleistet habt. Aber bis Deutschland wieder das alte Ansehen zurückerhalten hat. das es unter Wilhelm I. hatte. müssen vielleicht noch die Söhne und Enkel der jetzt lebenden jungen Deutschen Heldentaten verrichten."

Und wieder geht es am 21. +. gegen den Versailler Friedensvertrag:

,.Nicht eher. glaube ich, kann es bei uns besser werden. als bis das Recht den Boden zurückge­wonnen hat, denn es an die Willkür verloren hat."

Wegen dieses ~U nrechcsvertrages" von V ~rsailles, so vermute ich, hat sich Frege auch so intensiv mit dem Recht auf Vertragsfreiheit als Nicht-Einmischung von seiten Dritter bei Arbeitskontrakten beschäftigt.

,. Wie werden wir aufatmen, wenn wir erst wieder festen Rechtsboden unter den Füßen füh­len ... Und am 5. 5.: ,.Adolf Hitler schreibt mit Recht im Aprilheft von ,Deutschlands Erneue­rung', daß Deutschland nach dem Weggange Bismarcks ein klares politisches Ziel nicht mehr hatte. Er meint, man habe entweder mit England gegen Rußland oder mit Rußland gegen England vorgehen müssen. Beides scheint mir bedenk­lich. ( ... )Wir hätten etwas anderes tun müssen, nämlich die möglichste Stärkung unserer Land­macht. Wir hätten sie ja der französischen weit überlegen machen können und Frankreich hätte sich dann kaum auf den W eiekrieg mit uns einge­lassen; denn bevor England und Rußland hätten wirksam eingreifen können, hätte Frankreich hilflos am Boden gelegen ...

Wir haben vorher gesehen, daß nach Frege alles innere Übel in Deutschland. die Sozialdemokratie, der Marxismus, der Sozialismus, der Liberalismus, die

12 ,.Deutschlands Erneuerung" 1924, Heft IV, S. 209. Ein völkisch-nationales Propagandablatt.

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Bürgerrechte und Freizügigkeit der Ju­den und anderes mehr, ausschließlich von Frankreich kommt. Es ist ihm ein Rätsel, daß man die Ideen der Franzosen angenommen habe, obwohl sie die Deut­schen bis 1813 so schlecht behandelt hat­ten. Als ehemaliger Liberaler muß er sein damaliges Engagement tief bereuen, wenn er am 1. 4. 1924 sich wieder mit al­lem Pathos grämt:

"Heute vor 109 Jahren ward Bismarck dem Deutschen Volke geschenkt. Wie wenig hat es ihn zu würdigen gewußt. Wieviel häcce besser und glücklicher für Deutschland ausfallen kön­nen, wenn die Deucschen von ihm hätten lernen wotlen! Aber lieber von den Franzosen haben viele lernen wollen als von dem deutschesten Deutschen! Was die Franzosen uns verkünde­ten, nahmen viele Deutsche gläubig an; aber von den Taten der Franzosen wollten sie nichts ler­nen. Jetzt hämmern die Franzosen so auf uns ein, daß man denken soilte, auch durch den dicksten Schädel müßte eine Spur von Licht eindringen. Ach, die Fremden haben es so leicht, uns etwas einzubilden und wir haben es so schwer, etwas von unserer Wahrheit bei ihnen Eingang zu ver­schaffen. Ach ihr jungen Deutschen feiert jetzt keine Feste!"

Und mit der Genugtuung desjenigen, einstmals furchtbare Rache für alle Schmach zu nehmen, trägt er ins Tage­buch am 14. 5. ein:

"Eine überraschende Nachricht ist gekom­men. nach der ~ scheint, daß Poincares Politik der V ernichcung Deutschlands völlig gescheitert ist."

Der Krieg ist den Franzosen für die Zukunft sicher.

Mit England ~erhält es sich ganz an­ders. Frege bedenkt immer, daß England in Konkurrenz zu Frankreich steht. Aus England jedoch kommt die deutschfrem­de Idee der Republik, der Parlamentaris­mus, der Demokratie, des Parteienwe­sens. Das aber ist zutiefst undeutsch und schwächt Deutschland.

,.Daß wieder ein machtvolles Kaisertum in Deutschland aufkomme, scheint es (England, EMT) sehr zu fürchten. Darum ist der Ausfall der Wahlen in Deutschland, die auf eine bevor­stehende Vernichtung der republikanischen Ver­fassung hinzudeuten scheinen, gar nicht nach seinem Sinn, und um eine weitere Entwicklung in dieser Richtung zu verhindern, halten es viel­leicht viele Engländer für vorteilhaft, die repu­blikanische Regierungsform zu schätzen." {15. 4. 1924)

"Doch hat nicht die Erfahrung gezeigt, und zeigt es sich nicht immer aufs Neue, wie ungeeig­net im Grunde das uns vom Westen zugeführte parlamentarische Wesen ist. Es ist nichts eigent­lich deutsches, auf deutschem Boden Gewachse­nes. Bismarck selbst hat sich vielleicht geirrt bei der Einführung seines Reichstagswahlrechts, das übrigens vom verfassungsgebenden Reichstage in mancher Hinsicht gegen Bismarcks Plan geän­dert worden ist."

Zwar sieht Frege die ehemalige Be­rechtigung dieser Bismarckschen Idee als ein Bollwerk gegen die Wiederkehr des Absolutismus an, erkennt aber heute nur mehr Entartung. So heißt es am 11. 4~:

.. Bei unserm Parteigetriebe ist nicht einzuse-

hen, wie auf dem Wege des Parlaments weiter zu kommen sei. Bald ballen sie die Parteien zusam­men, bald widereinander. So erscheint die Bahn des Staatsschiffes aus Iaucer einzelnen Stücken zu bestehen, bald in dieser Richtung, bald in jener."

Und am 7. 5. schreibt er als Resümee: "Mit Betrübnis bemerke ich, in wieviele Par­

teien das deutsche Volk zerklüftet ist, wie viel Reibungsflächen dadurch entstehen, wieviel Haß aufspritzt und wie gerade diejenigen, die einander sehr nahe stehen, in ihrem politischen Glauben am meisten aufeinanderhacken, weil sie sich dieselben Leute einander streitig machen. Gibt es denn gar keine Parceiführer, die soviel Einsiehe und Kraft haben. diesen Unsinn zu steuern? Gerade auf der rechten Seice scheint mir dieses Übel groß."

Die Gefahr für England aber, daß sich die deutschen Parteien einigen könnten, kommt von Frankreich. Frege am 15. 4.:

"Gerade Poincares Vorgenen gegen Deutsch­land hat wahrscheinlich den Parteien in Deutschland geschadet. denen die Engländer die Fortdauer ihrer Macht wünschen. Daraus ent­steht, wie es scheint. ein Gegensatz zwischen Frankreich und England."

Denn, so heißt es einen Tag zuvor, am 14. 5.:

"Wenn England nicht die Früchte des Welt­kriegs verlieren will, muß es dafür sorgen, daß Deutschland sich niemals soweit erholen kann, daß sein Wettbewerb ihm gefährlich werden kann, andererseits darf es Frankreichs Macht nicht anwachsen lassen wie zu Napoleon I. Zei­ten."

Aber weil England sich beim Versailler Friedensschluß wohl von Frankreich hat übertölpeln lassen, hat es gegen Peinca­res Vernichtungspolitik gegenüber Deutschland interveniert.

Auch das Verhältnis zwischen Deutschland und England ist ein gänz­lich ~nderes als dasjenige von Frankreich und Deutschland. Frege präzisiert dies so am 15. 3. 1924:

,.Deutschland und England standen vor dem Kriege im Wettbewerb miteinander hinsichdich mancher "Erzeugnisse des Gewerbefleißes. Die­_ser sich immer verstärkende Wettbewerb mag ei-

DEZEMBER 1989 Abb.: Dr. Fritz weber, Richter & Freikorpsführer

ner der Gründe für Englands Eineritt in den Weltkrieg gewesen sein; denn auf Dauer wurde auch Englands Seemacht dadurch in Frage ge­stellt."

Nun war ein Wettbewerb hinsichdich gewerblicher Waren für die anderen Völ­ker sehr nützlich. Da Deutschland aber nie England angegriffen hätte und das Ausscheiden eines Bewerbers die Aufga­be des gewerblichen Wettbewerbs be­deutet hätte, wäre es für Italien, Rußland, Norwegen, und andere besser gewesen, sie hätten sich auf die deutsche Seite ge­schlagen. Aber:

"Ihre Eroberungslust bestimmte sie, auf die Gegenseite zu treten ( ... )"

Dies war es aber nicht allein. Die Nor­weger

,.scheinen mit ihrem Gemüte auf englischer Seite gewesen zu sein. Dazu mag wohl viel die Kunst der Engländer beigetragen haben, die öf­fentliche Meinung der Welt zu beeintlussen. Der einzelne Engländer versteht es. mit solchem Schein von Unfehlbarkeit, besonders in wirt­schaftlichen und politischen Fragen. seine Mei­nung auszusprechen, und fast alle Engländer zie­hen dabei an demselben Strange und man ist es gewohnt, der Engländer U rceil in allen Handels­und Seeiahrcsangelegenheiten als maßgebend an­zuerkennen, daß schwer dagegen anzukommen ist. Ich habe bemerkt, daß auch Deutsche, die sich in der Welt umgesehen haben. Ureeile aus­sprechen, die sie offenbar von Engländern ge­hört haben und deren Verbreitung für England nützlich ist. Man vergißt dabei. daß das Ureeil über einen Wettbewerber selten ganz ungefärbt ist ...

Und bei dieser Eintragung kann ich mich nicht des Gefühls enthalten. daß dies wohl die verärgerte Antwort a~f Sir Russels Entdeckung des Widerspruchs im Fregeschen System der Logik ist. Er sagt nämlich nicht, daß die Engländer etwa Unsinn reden, sondern ihn ärgert einfach, daß ihre Urteile als maßgebend angesehen werden, selbst von Deut­schen, obwohl ein Urteil von Engländern über Deutsche selten ganz ungefärbt sei. Aber, und das klingt auch aus seinem Schweigen heraus, die Deutschen haben dieser maßgebenden Meinung nichts ent­gegengesetzt oder entgegenzusetzen.

Der Krieg gegen Frankreich erscheint Frege unvermeidlich, während man mit England in Frieden leben, aber den von ihm eingeschleppten Parlamentarismus als undeutsch bekämpfen kann und muß.

Das "Zentrum" der inneren Zerstörung Deutschlands

"Bismarck hat drei Parteien reichsfeindlich genannt: das Zentrum, die (liberale, EMT) Forc­schrictsparcei und die Sozialdemokratie. Es sind dieselben Parteien, die später den Zusammen­bruch des Reiches und die Revolution bewirkt haben. Als die gefährlichste dieser Parteien sah er das Zentrum an. Dieses hat die anderen beiden benutzt, um das Kaiserreich zu stürzen im Ver­trauen darauf, daß seine eigene Stellung viel fe­ster begründet sei, als die der Sozialdemokratie und der Forcschrictsparcei, die in unserer demo-

n

Page 11: Menzler Trott Freges Politisches Testament

kratischen Partei (Deutsche Demokratische Par­tei, EMT) fortlebt. Die Zentrumspartei ist die Krankheit, an der Deutschland dauernd leidet; die anderen reichsfeindlichen Parteien, die jetzt und vielleicht später sich bilden werden ,sind im Grunde doch nur gefährlich durch den Beistand, den die Zentrumspartei ihnen gewährt." (12. 4.)

Und am 26. 5. 1924lautet der Eintrag: ,.Ich habe zwar den Ultramontanismus und.

seine Verkörperung im Zentrum für sehr schäd­lich für unser Reich und Volk gehalten und doch haben mich die Enthüllungen von Exz. Luden­dorff in seinem Aufsatze im Aprilheft von Deutschlands Erneuerung'l einen Blick tun las­sen in die Bestrebungen und Machenschaften des Ultramontanismus, der mich aufs tiefste beunru­higt hat. Ich bitte jeden, der an den durch und durch undeutschen Geist des Zentrums nicht glaubt. den angegebenen Aufsatz von Exz. Lu­dendorff nicht nur einmal, sondern wiederholt gründlich durchzulesen und zu durchdenken. Das ist der ärgste Feind, der Bismarcks Reichs unterwühlt hat.(.) In dieser Rede, die Bismarck nach seiner Entlassung auf dem Markte in Jena hielt. bezeichnete er, wenn ich mich recht erin­nere, das Zentrum als den Hauptgegner seines Werkes, nicht der Sozialdemokratie. ( ... ) Sie werden immer nach dem Papst blicken, um von diesem ihre Weisungen u erhalten."

Während es ja für die nichtjüdischen Sozialdemokraten noch einen Ausweg gibt:

ftln der Tat. die Sozialdemokraten können sich aus dem Parteiterror befreien und schließen sich in Massen der Deutschvölkischen Freiheits­partei an und lernen sich dadurch als Deutsche fühlen. die ein deutsches Vaterland haben. Von den Ultramontanen ist eine solche Wandlung nicht zu erwarten ...

Auch arn 10. 4. meinte er: ..Ein Sozialdemokrat kann ein vaterlandslie­

bender deutsch gesinnter Mann werden, ein De­mokrat desgleichen. Aber kann es ein Zentrums-mann!"

Wohl kaum. Ich hätte derartige Aus­wege eigendich nicht erwartet, aber Fre­ge denkt bei den Mitgliedern der Sozial­demokraten bestimmt an die durch ,.glänzende" ,. Wolkenkuckuksheime" verführten braven deutschen Arbeiter, die ja irgendwann einmal Fregesche Er­kenntnisse gewinnen könnten.

Der starke Mann darf Demagoge sein, wenn

es dem Volke nützt

.. Für die Politik des Augenblicks bedürfen wir eines Mannes, der nicht nur die Gegenwart sieht, sondern dem ein Plan vorschwebt, wie er Deutschland vom französischen Drucke befrei­en kann. Der muß das allgemeine Vertrauen ge­nießen. Aber wo ist ein solcher Mann? Ich habe auf Ludendorff gehofft, daß er es werden könne. Ich hoffe es kaum noch. Ich habe auf Hindeo­burg gehofft; aber der ist vielleicht zu alt. Es ge­hört wohl jugendliche Frische dazu, um die Leu­te fortzureißen."

So sinniert Frege am 10. 4., und setzt die Gedanken arn 4. 5. fort:

"Heute ist Wahltag. Von dem Ausfall dieser Wahl wird viel abhängen. Ludendorff Führer der Deutschvölkischen Freiheitspartei. Als Poli-

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tiker hat er mich enttäuscht, obgleich ich mit sei­nem politischen Ansi~:hten, die er im Aprilheft von Deutschlands Erneuerungl.Z emwickelt hat, ganz übereinstimme; aber er kann nicht warten. Warum mußte er sich in den Hiclerputsch einlas­sen? Warum mußte er sich jetzt in das Partei­getriebe verwickeln lassen? Er nutzt sich so zu früh ab. Auf Hindenburg und den Kronprinzen setze ich jetzt wegen ihrer Zurückhaltungmehr Hoffnung."

Und da sollte er für die nahe Zukunft recht behalten. Der wahre Staatsmann muß verderblichen Strömungen im Vol­ke kraftvoll widerstehen können.

., Vielleicht wird er demagogische Mittel dabei nicht ganz vermeiden können, aber es ist ein U n­cerschied, ob sie zur eigenen Bereicherung oder dem Wohl des Volkes dienen sollen. Je demokra­tischer ein Staat eingerichtet ist, desto schwerer ist es für den Staatsmann. ohne Mittel auszu­kommen, die nur die reinste Vaterlandsliebe rechtiereigen kann",

schreibt er am 28. '4. 1924. Und Vater­landsliebe ist etwas ganz besonders. Ein Mangel an Vaterlandsliebe bedeutet für Frege einen Mangel an politischer Ein­sicht.

.,Manchmal wirken auch wohl Vaterlandslie­be und Ehrgeiz zusammen. In Republiken wird oft der Ehrgeiz, die unedlere Wurzel politischer Einsicht, den Leiter des Staates an die höchste Stelle befördert haben. Dadurch mag Gewähr für ein gewisses Maß von politischer Einsicht ge­geben sein." (3. 5.)

Bei der wahren Vaterlandsliebe spricht das Gemüt:

"Das Gemüt allein ist beteiligt, nicht der Ver­stand, und das Gemüt spricht. ohne vorher den Verstand zu rate gezogen zu haben. Und doch scheint zuweilen eine solche Gemütsbeteilig-. .mg zu einem richtigen. verstandesmäßigen Urteilen in staatlichen Fragen eriorder!ich zu sein." (2. 5.)

Freges gemütvolle Vaterlandsliebe ist in se;nen ehrgeizigen Urteilen in politi­sch~r Hinsicht übergeschäumt.

Deutschlands Erneuerung . Dreimal bezieht sich Frege explizit auf

das Aprilheft des Jahrgangs 1924 dervöl-

kisch-alldeucschen Zeitschrift "Deutsch­lands Erneuerung".

"Ich habe den Aufsatz ,Oberland' von Dr. Weber in Deutschlands Erneuerung aelesen. Die sich darin aussprechende Gesinn~ng hat meinen vollen Beifall. In den Ansichten und Ur­teilen weiche ich z. T. von ihm ab. Dem letzten Satze des zweiten Absatzes stimme ich bei." (23. 4.)

,.Als Politiker hat er (Ludendorff, EMT) mich enttäuscht, obgleich ich mit seinen politischen Ansichten, die er im Aprilheft von Deutschlands Erneuerungen entwickele hat, ganz übereinstim­me;" (4. 5.)

..Adolf Hider schreibt mit Recht im Aprilheft von Deutschlands Erneuerung, daß Deutschland nach dem W ~::ggange Bismarcks ein klares politi­sches Ziel nicht mehr hatte." (5. 5.)

Wie kor:tmt es, daß sich Frege :msge­rechnet aut diese drei Artikel in einer Pu­blikation bezieht, die auch als Sprachrohr der immer noch verbotenen NSDAP fungierte? Ein Herausgeber dieser Zeit­schrift war neben Houston St. Chamber­lain, Max Wundt und anderen der Berli­ner Professor Dr. Dietrich Schafer, mit dem Frege korrespondierte, und mit dem er auch andere politische Schriften - die allerdings bis heute verschollen sind -austauschte. In "Deutschlands Erneue­rung" veröffentlichte auch Rudolf Heß seine ersten Gedichte. Das Aprilheft aus dem Jahre 1924 ist eine Propagandanum­mer für die anstehenden Reichstagswah­len. Sie enthält die geschönten Hauptteile der Verteidigungsreden der Hider-Put­schisten vor dem bayerischen Volksge­richt, dessen Vorsitzender offen mit dem . NS sympathisierte. Dr. Weber war ein Führer des berüchtigten Freikorps ,.Oberland", das zur Niederschlagung der Räterepublik in München, zur Nie­derschlagung kommunistischer Aufstän­de im Ruhrgebiet 1920 und 1921 und zur Eroberung und Besetzung Oberschle­siens ,.eingesetzt" war. Ludendorffs Rede vom 29. 2. 1924 war ein Zeugnis paranoider V erwirrtheit. Er erfand eine Verschwörung von Katholiken und Ju­den, Bayern und Österreichem, die das Reich in separate Teilstaaten (wie es tat­sächlich der rheini3ehe Katholik und Kölner Oberbürgermeister Dr. Konrad Adenauer anstrebte) zerschlagen woll­ten. Er pflegt die "Munitionsstreiks"-Le­gende, ein Streik - von Sozialdemokra­ten initiiert - der Deutschland die Nie­derlage brachte. Diese "marxistische" Gedanke~ weit hängt für ihn eng mit dem jüdischen Volk zusammen:

.,Für mich ist dieJudenfrage eine Rassenfrage, die jüdische Rasse ist der unsrigen entgegenge­setzt, sie verdirbt die unsrige physisch, blutmä­ßig und moralisch. Die Juden sind Fremdkörper im deutschen Volke ... Zum Ende heißt es: "Er (Hider, EMT) verstand es, der völkischen Bewe­gung den Inhalt zu geben~ daß das Volk es in­stinktiv begriff: Hier ist etwas Sittlich-Hohes, vom dem Rettung kommen kann. ( ... ) Diese Bewegung war politisch großdeutsch, ( ... ).Sie war scharf national und wehrhaft, zudem ras­sisch eingestellt, daher judenfeindlich ...

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Page 12: Menzler Trott Freges Politisches Testament

Und Adolf Hit! er kehrt Ansichten hervor, die im gleic.:hen Jahr im Ma­nuskript seines Buc.:hes ,.Mein Kampf" erscheinen.

Wenngleich Frege von einigen Ansich­ten und Urteilen zum Teil abweicht, so stimmt er mir der dort vorhandenen und ausgesprochenen Gesinnung eindeutig überein. Frege sieht, daH eine bloge Re­stauration des alten, kranken, mit Krebs­geschwüren überwucherten und im In­neren zerfressenen monarchistischen Reiches nicht mehr möglich ist. In den polirischen Ansichten und Visionen der Hiderpurschisren sieht er einen Weg zu Deutschlands Erneuerung. Dennoch ist Freges Ansicht, obwohl sie nicht mehr weit vom NS wegstehend erscheint, kei­nesfalls deckungsgleich mit ihr: wenn man der NS- Bewegung zu diesem Zeit­punkt überhaupt eine einigermagen ge­meinsame Theorie unterstellen möchte.

Frege war kein Parteigänger des NS. Wer F reges Tagebuch liest, wird kein "konservativer Revolmionär". Frege hat sich selbst nicht über seine politischen Ansichten gegenüber seinen Schülern ge­äugen. Selbst W'ittgenstein hat sich in ei­ner Erinnerung gegenüber Peter Geach beschwert, daß Frege sich nur über Logik unterhalten wollte, und alle Versuche. auf ein anderes Thema zu gelangen. ab­winkte. Dies geschah allerdings vor Aus­bruch des Ersten Weltkrieges, und bis dahin hatte Frege so unterschiedliche Philosophen wie Gershorn Scholem. Marcin Heidegger, Ludwig Wirtgenstein und Rudolf Carnap beeint1ußt; den einen mehr, den anderen weniger.

-Vergebliche Entlastungsstrategien

Eine Entlastungsstrategie ist es, Frege in zwei Personen zu teilen, und den ma­thematischen Denker für bedeutsam zu halten, egal wie alt, krank oder senil er angeblich ist; den politischen Denker da­gegen zu verschweigen, weil er sich nicht auf ,.fortschrittlich" trimmen läßt. und dies mit seiner Senilität, Krankheit oder Alter zu entschuldigen. Dann aber müßte begründet werden, warum Freges Alter, Senilität oder Magenleiden (vielleicht Magenkrebs ?) zu Anti-Semitismus, Franzosenhaß oder Anti-Parlamentaris­mus führte. Das wird nicht gelingen kön­nen.

Eine andere Entlastungsstrategie lebt von der Behauptung, daß man mit Freges Tagebuch-Eintragungen auch zu einer anderen Theorie seiner Ansichten kom­men kann. Alles bisherigen anderslauten­den Theorien oder Zusammenstellungen, seien sie von Heinz-Albert Veraare oder Michael Dummett, kann ich widerlegen. Sie sind aufgerufen, sich zum Beispiel Beatrice Webb's Methode des "lictle­slips-of-paper-piled-:topically-and- · write-it-up" zu bequemen. Ich habe ver-

suc:-n. fre:.;es T <1:.;eow.::1emtri~e cn ::me Form ZU bnngen. die Fre~es rr{tennonen und BeweggrünJen se:-e.~ht Wird. J. h. ich habe die Toooi mci-1 T extmt:nge '-lmi Abiaui Jer Einr~:1gun~e:1 -;u zu :=mer ~o­sition ~eordnc~. cJie Frege damals <lrgu­mentativ vertreten konnre und dies tm Tagebuch auch ;:;t:macht hat. Freges Ta­gebuch läßt sich J.lso keinesfalls so ord­nen. wie dies [mre Tothin der Emwick­lungslinie eines Fregeschen Rassismus gemacht hat. der alles erklären solL und mit seinen logischen Einsichten par;:llldi­siert wird. Es sei denn, man will Fre"e böswillig Gewalt antun. Dabei sollte ~r nicht außer Acht lassen, da!~ Frege zu sei­ner politischen Position ast gekommen ist. als er sich bereits von seiner Position des Logizismus getrennt hatte.

Eine triviale Konsequenz, die wir oft vergessen

Freges politis~.:he Ansicht war in dem damaligen Erfahrungsr::mm und Gedan­kenhorizont t:ine realistische. Und Jas zeitigt nur eine Konsequenz: Glaube und vertraue einer Koryphäe hüc.:hstens in Urteilen seines eigenen Fac.:hgebiets. Glaube und vertraue ihm augerhalb sei­nes Fachgebiets nur soviel. wie du jedem anderen interessierten Laien glaubst. wenn ·er schwadroniert. Noch einmal: Logik sc.:hützte nic.:ht vor dem NS. Eine Erfahrung, die den (isterrcic.:hischen Emi-

Eckart Menzlcr-Trott, Frege

~ramen K.1.r: i?uDDt:"'" : 4 ..t.5 zum Schreiben ~eme~; Bucnes 6~~c:1te: Die •)tfe:1e Gesell­senart una ihre ~e:nae.

De:- ~ru:maii~e Lioe:-aie ~re:.:e. der noch l9C~ .• pariamem.1nscne una titera­rische :Vlittel" mcht ranJ. um semen Geg­ner J. Thomac von seiner Logik zu über­zeugen. weil der wut~te. dag Logik nie­mand zu irgendetwas ~wingen kann, und frech Unsinn verzapfte - also Frege da­von überzeugte, daß man ohne Rüc.:ksicht auf Gründe und wissenschaftliche Stan­dards jede Argumentation übergehen und totschweigen kann -, dieser Frege wurde im hohen Alter ein .. konservativer Revolutionär''. Er wurde ein Feind der offenen Gesellschaft. wie es Popper jetzt selbst geworden ist.

\Y! er aber etwa Thom,lS M,znn 's Ge­nugtuung von 1919 kennt, endlich die standrechdic.:he Erschießung der für die Münchner Rätereoublik verantwortli­chen jüdischen Ch.arisma.lker" eriebt zu haben - er schrieb gerade seinen .. Zau­berberg" - oder die 1921 erschienen Morddrohungen des bayerischen Schriftstellers und ehemaligen Liberalen Ludwig Thoma gegen Kurt Tucholskv und Karl Kraus nachliest - gerade hatt'e er die Ermordung Kurt Eisners gekenn­zeichnet mit .,Als der Kar! in der Prome­nadenstraße ausrutschte" -, wird Frege schon deshalb mild beurteilen, weil der die Mordlust der Moralisten Mann oder Thoma nie geteilt hat. 0

DEZEMBER 1989 JVSTIZ· ET HVMAN RIGHT-f-ORVM - LOGEVM 79