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Meynert und die Schizophrenie. Von Professor Dr. Josef Berze, Wien. (Eingegangen am 29. August 1935.) Was ich in den folgenden kurzen Bemerkungen vorbringe, glaube ich meinem ers~en Lehrer in der Psyehiatrie, Meynert, noeh schuldig zu sein. Man mul3 sich, um zu verstehen, was gemeint ist, in die Zeit versetzen kSnnen, da Meynert eben lebte. Es genfigt dazu, wenn man auch nur, wie ieh, die letzte Zeit der Wirksam- keit dieses groflen Psychiaters genauer kennt und zugleich seine Werke -- Meynert war bekanntlich, was seine literarische psychiatrisehe Produktivit~t betrifft, im Gegensatz zur massenhaften Produktivitat vieler anderer Psychiater seiner Zeit, die weir weniger zu sagen hat~en als er, ganz au[~erordentlieh sparsam -- nicht nur ,,gelesen", sondern -- was allerdings nicht immer gerade leicht ist -- auch wirklich studiert hat, unbeirrt dureh das Sehlagwort yon der Hirnmythologie, das gewisse dii maiorum und noch mehr minorum gentium diesem genialen Forscher, der aller- dings in maneher Hinsieh~ seiner Zeit oft gar zu weir und manchmal zu wenig vorsichtig vorangeeilt ist, immer gerne, gar so gerne angeh~ngt haben. Meynert und Schizophrenie? wird man sagen. Als Meynert 1892 starb, war doch das Ringen um den Begriff der Dementia praecox erst so recht in Gang. ,,Mit der Kahlbaura-Heckerschen Hebephrenie und Katatonie befreundete sich Kraepelin erst in Heidelberg (ab 1892, 4. Auflage 1893)1.,, In der 5. Auflage (1896) erst war der Begriff Dementia praecox im Grunde fertig, wurde dann nur noch erweitert, was schliefllich d~zu ffihrte, dab Kraepelin yon 1913 ab yon einer Gruppe der endogenen VerblSdungen sprach ~. Bleuler beriehtete 19103 zun~chst kurz fiber die Theorie des ,,schizophrenen" lqegativismus und betitelte seine grundlegende Monographie (1911) : Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien. Aber, wenn Meynert also den Ausgang -- kSnnen wir yon einem endgiiltigen Ausgange, auch heute noch, fiberhaupt schon sprechen ? -- der Gruppierungsbestrebungen, deren Anfi~nge er noch mitgemacht hat, hSchstens h~tte ahnen kSnnen, so hat er doch die Krankheitsbilder, um die es sich dabei handelte, genau gekannt und beschrieben und sieh darfiber seine eigenen Gedanken gemacht. Im Sehizophrenie- band des Bumkeschen Handbuches ist nichts zu finden, das darauf wiese. Der Name Meynert finder sich in diesem groBen Bande nur dreimal. S. 18 heiBt es yon ihm: ,,Wenn er nicht im Bereiche des rein Anatomischen blieb, trieb er eine verworrene Hirnmythologie." S. 175 wird Meynert, neben Ducasse, Vigouroux, Cramer, als einer der Autoren angeffihrt, die die Meinung vertreten haben, ,,ab- norme Emp]indungen seien der Ausgangspunkt der Paranoia". ])as sei ,,ganz undiskutabel, denn niemand hat diese angeblichen abnormen Empfindungen bisher naehgewiesen". S. 528 wird gesagt, Kleist habe in der Darstellung seiner ,,epi- sodischen ])~mmerzust~inde" ,,unter anderer Bezeichnung den Versuch erneuert, der sei Meynert schon oft wiederholt wurde, F~lle periodischer ,Verwirrtheit', ,Amentia', als besondere Krankheit auszusondern". Der Wert der ~lteren, sympto- matologisch orientierten Arbeiten fiber diesen Gegenstand habe, meint Mayer- Grofl, infolge der Vernaehl~ssigung des ~tiolo~schen Gesichtspunktes starke Ein- bufle erlitten; andererseits werde es sich erst zeigen mfissen, ,,ob die hirnlokali- satorisehen und -physiologischen Theorien (Hirnstammsyndrom), mit Hilfe deren 1 Gruhle: Artikel I. Gesehichtliches im Schizophrenieband des Bumkeschen Handbuches der Geisteskrankheiten. Berlin 1932. -- 2 Gruhle: 1. c. -- 3 Bleuler: Psychiatr.-neur. Wsehr. 1910.

Meynert und die Schizophrenie

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Page 1: Meynert und die Schizophrenie

Meynert und die Schizophrenie. Von

P r o f e s s o r Dr . Jo se f Berze , W i e n .

(Eingegangen am 29. August 1935.)

Was ich in den folgenden kurzen Bemerkungen vorbringe, glaube ich meinem ers~en Lehrer in der Psyehiatrie, Meynert, noeh schuldig zu sein. Man mul3 sich, um zu verstehen, was gemeint ist, in die Zeit versetzen kSnnen, da Meynert eben lebte. Es genfigt dazu, wenn man auch nur, wie ieh, die letzte Zeit der Wirksam- keit dieses groflen Psychiaters genauer kennt und zugleich seine Werke - - Meynert war bekanntlich, was seine literarische psychiatrisehe Produktivi t~t betrifft, im Gegensatz zur massenhaften Produkt ivi ta t vieler anderer Psychiater seiner Zeit, die weir weniger zu sagen hat~en als er, ganz au[~erordentlieh sparsam - - nicht nur ,,gelesen", sondern - - was allerdings nicht immer gerade leicht ist - - auch wirklich studiert hat, unbeirr t dureh das Sehlagwort yon der Hirnmythologie, das gewisse dii maiorum und noch mehr minorum gentium diesem genialen Forscher, der aller- dings in maneher Hinsieh~ seiner Zeit oft gar zu weir und manchmal zu wenig vorsichtig vorangeeil t ist, immer gerne, gar so gerne angeh~ngt haben.

Meynert und Schizophrenie? wird man sagen. Als Meynert 1892 starb, war doch das Ringen um den Begriff der Dementia praecox erst so recht in Gang. ,,Mit der Kahlbaura-Heckerschen Hebephrenie und Katatonie befreundete sich Kraepelin erst in Heidelberg (ab 1892, 4. Auflage 1893)1.,, In der 5. Auflage (1896) erst war der Begriff Dement ia praecox im Grunde fertig, wurde dann nur noch erweitert, was schliefllich d~zu ffihrte, dab Kraepelin yon 1913 ab yon einer Gruppe der endogenen VerblSdungen sprach ~. Bleuler beriehtete 19103 zun~chst kurz fiber die Theorie des , ,schizophrenen" lqegativismus und betitelte seine grundlegende Monographie (1911) : Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien. Aber, wenn Meynert also den Ausgang - - kSnnen wir yon einem endgiiltigen Ausgange, auch heute noch, f iberhaupt schon sprechen ? - - der Gruppierungsbestrebungen, deren Anfi~nge er noch mitgemacht hat, hSchstens h~tte ahnen kSnnen, so hat er doch die Krankheitsbilder, um die es sich dabei handelte, genau gekannt und beschrieben und sieh darfiber seine eigenen Gedanken gemacht. Im Sehizophrenie- band des Bumkeschen Handbuches ist nichts zu finden, das darauf wiese. Der Name Meynert finder sich in diesem groBen Bande nur dreimal. S. 18 heiBt es yon ihm: , ,Wenn er nicht im Bereiche des rein Anatomischen blieb, trieb er eine verworrene Hirnmythologie ." S. 175 wird Meynert, neben Ducasse, Vigouroux, Cramer, als einer der Autoren angeffihrt, die die Meinung ver t re ten haben, ,,ab- norme Emp]indungen seien der Ausgangspunkt der Paranoia". ])as sei ,,ganz undiskutabel, denn niemand hat diese angeblichen abnormen Empfindungen bisher naehgewiesen". S. 528 wird gesagt, Kleist habe in der Darstellung seiner ,,epi- sodischen ])~mmerzust~inde" , ,unter anderer Bezeichnung den Versuch erneuert, der sei Meynert schon oft wiederholt wurde, F~lle periodischer ,Verwirrtheit ' , ,Amentia' , als besondere Krankhei t auszusondern". Der Wert der ~lteren, sympto- matologisch orientierten Arbeiten fiber diesen Gegenstand habe, meint Mayer- Grofl, infolge der Vernaehl~ssigung des ~tiolo~schen Gesichtspunktes starke Ein- bufle erli t ten; andererseits werde es sich erst zeigen mfissen, ,,ob die hirnlokali- satorisehen und -physiologischen Theorien (Hirnstammsyndrom), mi t Hilfe deren

1 Gruhle: Artikel I. Gesehichtliches im Schizophrenieband des Bumkeschen Handbuches der Geisteskrankheiten. Berlin 1932. - - 2 Gruhle: 1. c. - - 3 Bleuler: Psychiatr.-neur. Wsehr. 1910.

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266 Josef Berze :

Kleist die verschiedenen Formen der E r k r a n k u n g zusammenschweil3t, sich als t ragf~higer erweist" (erweisen). - - Das ist alles. Es liegt mir fern, hier zu unter- suchen, inwieweit der Vorwurf der ,,Hirnmythologie" gerechtfer t ig t is t ; das wiirde zu wel t fiihren. Es is t auch nicht meine Absicht , zu zeigen, wie unrecht man Meynert auch in den zwei weiteren Punk ten rut . I ch will v ie lmehr n ich ts anderes un te rnehmen , als einzelne Stellen aus Meynerts Werken anfi ihren, die, wie ich meine, fiir sich selbst sprechen, und daran einige eigene Bemerkungen kniipfen.

In dem ~lteren, grSi]eren Werke Meynerts ~ f inder sich vor allem in dem leider unvol lendet gebliebenen Kapitel , ,?Jbersicht der Krankhe i t sb i lde r des Vorderh i rns" auf S. 267 usf. die klinisch und theore t i sch-psychia t r i sch so wichtige Ausein- anderse tzung fiber die ,,lokalisierte reizbare SchwSche". Meynert mein t dami t die , , Intensi t~tsschw~che der corticalen Leis tung" und sagt yon ihr aus, dab sie, ,,ehe sie noch cine quali tat ive oder e ru ie rba r -quan t i t a t ive StOrung durch corti- cale Symptome bedingt, nu r eine auf subcort icale Organe beziiglich Leistung des Cortex herabsetzt , n/~mlich die normale corticale Hemmung". So komme es zu , ,Reizerscheinungen, welche die subcor t icalen Zen t r en in die Hemisphere werfen, wie Halluzinationen, oder, welche yon ihnen aus motor i sch ausgelSst werden, wie epileptische Kr~mpfe" . Die physiologische Herabse tzung der corticalen Leistung, welche der Schla/darstellt, bewirke, daiS sich , ,schon w~hrend des E in t r i t t es , und in solchen Phasen desselben, die n ich t die volle BewuiStlosigkeit in sich schlieiSen, einesteils die subcorticalen Sinneszentren hal luzinator ische Reize entwickeln, Traumbilder, und anderersei ts die Pr~zision der Reflexausscht~ge sich zu steigern s c h e i n t " . - Bedauerlicherweise ha t Meynert diese Theorie mi t seiner Theorie der n u t r i t i v e n Verh~Itnisse im Cortex und n a m e n t l i c h der , ,nut r i t iven A t t r a k t i o n " in seinem Sinne verquickt und dami t denen, die immer darauf aus sind, ihm Hirn- mythologie vorzuwerfen, AnlaiS gegeben, das K i n d m i t dem Bade auszuscht i t ten. Und doch weiB so mancher , der sich dieser Abur te i lung anschlieiSen zu mtissen glaubt , n icht , wie sehr er mi t einigcn seiner eigenen A n n a h m e n in nachweisbarer Abh/~ngig- kei t yon Meynerts Lehre von der re izbaren Schw/iche des Cortex steht , - - abgesehen yon vielen anderen, die es ganz gut wissen. - - Sehr in te ressan t is t es, dab der Ver- fasser eines der neuesten Hauptwerke fiber die Hal luz ina t ionen ~ sowohl bei der Able i tung des Ph/inomens der d~personnalisat ion, worin er eine der notwendigen Bedingungen der Hal luzinat ion erblickt , un t e r ande rem auf Meynerts In tens i t~ ts - sehwache der corticMen Leistung zur f ickkommt a, als auch bei der Aufstel lung der anderen wichtigen Bedingung, die er in e inem yon der organo-vegeta t iven Sphere ausgehenden akt iven EinfluiS - - die Ha l luz ina t ion is t das Ergebnis eines , ,envahissement de la sphbre de l 'o r ien ta t ion e t de la causali t6 (Rinde) par le monde de l ' i n s t inc t " - - erblickt. Zweifellos t r i f f t die A n n a h m e solcher Genese auch fiir zahlreiche Hal luzinat ionen bei der Schizophrenie zu, wenn aueh - - dar in bin ich iibrigens mi t Mourgue in l~bereins t immung - - bei ihr , wie bei gewissen anderen Psychosen, die zweite Bedingung als prinzipiell en tbehr l i ch anzusehen ist, da der AnstoiS zur Hal luzinat ion bei ihnen inne rha lb der Psyche selbst en t s t ehen kann und wohl auch in den meisten F/~llen ta t s~chl ich en t s t eh t . - - Was aber die moto- r ischen Reizerscheinungen betrifft , die analog den Hal luz inat ionen bei Schw~che der Hemispharen t~ t igke i t nach Meynert in Ersche inung t re ten, sind ,,epileptische Kr~mpfe" , wie leicht ersichtlich, nu t als Beispiel angeft ihrt , als ein Beispiel, das mehr dem vollen BewuiStseinsverlust als den verschiedcnen leichteren und schwereren Graden der BewuiStseinssehwgiche, wie sie Meynert als ftir die hal luzinatorische

~leynert: Psychiatr ie. Klinik der Er l~ ' ankungcn des Vorderhirns. Wien 1884. Mourgue: Neurobiologie de l 'hal lucinat ion. Briissel 1932. --- a E r ve rkcnn t

fibrigens auch nicht , daiS die pr imate Insuffizienz der psychischen Akt iv i t~ t , die Berze als GrundstSrung der Schizophrenie ansieht , sich mi t der , ,d6personnali- s a t i on" in seinem Sinne nahezu denkt .

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Disposition zureichend annimmt, entsprieht. In welchem MaBe sich der Meynertsche Gedanke andererseits ffir die Theorie der , ,Schizomotorik" im allgemeinen fruchtbar erweisen wird, ist noch abzuwarten; einstweilen liegt es auf diesem Gebiet ja noch reeht im argen.

Sehr ergiebig an klinischen und theoretischen Einzelheiten, die meines Er- achtens in einer Darstellung des Werdens unseres Wissens yon der Psychosengruppe, die wir heute Sehizophrenie nennen, wenigstens zu einem groBen Teile hi~tten Er- w~hnung finden mfissen, ist dann das zweite Hauptwerk Meynerts 1. Leicht gemacht ist es uns nieht, die in Betracht kommenden Stellen herauszusuchen. Keine eigene Kapiteliiberschrift dient uns als Fiihrer. Das meiste ist im Kapitel , ,Amentia, die Verwirrtheit" zu finden, vieles auch im Kapitel ,,Paranoia (prim~re Verriicktheit, chroniseher partieller Wahnsinn, Verfolgungswahn und GrSBenwahn)". Wichtiges kommt aber auch bei der Darstellung der Melancholie, der Manic und der ,,sekun- di~ren GeistesstSrung" dazu. Aus all den genannten Gruppen, in ihrer frfiheren Umschreibung, sind ja auch die F~lle zum allergrSBten Teile sozusagen hergeholt worden, die dann als Dementia praecox, sparer als Schizophrenie zusammen- gefaBt worden sind.

Im folgenden werden die bemerkenswerten Stellen angefiihrt - - nicht etwa geordnet nach dem Grade der Wichtigkeit , die ich ihnen zuschreibe, sondern so aneinandergereiht, mi t Angabe der Seitenzahl, wie sie sich dem, der das Bueh yon Anfang bis zu Ende durchnimmt, darbieten. S. 17 wird yon , ,Formen yon Amentia, Verwirrtheit , allgemeiner Wahnsinn" gesprochen, die , ,mit der Melan- cholie verwechselt" werden, zumal sic mit heftigen Angstgeffihlen, sowie auch mi t AuBerungen hypoehondrischer Wahnideen verbunden sein" kSnnen. Die Angst- gefiihle ftihren bei ihnen aber gelegentlich ,,zu tobsiichtigen Abwehr- und Angriffs- bewegungen, die fernab yon Melancholie stehen". Der ,,allgemeine Wahnsinn" zeigt zudem ,,als eigentlich charakterisierendes Ausfallssymptom die Verwirrtheit, die Zusammenhanglosigkeit in den AuBerungen und Akten". Dieses ,,Fundamental- symptom schiitzt vor Verweehslungen mi t Melancholie". - - Im weiteren wird gegen die generelle Auffassung des Stupors als ,,Melancholie mit Stumpfsinn" Stellung genommen. Es gebe auch einen Stupor als , ,Form des akuten Wahnsinns" (Amentia), der, wie ,,die sogenannte Katatonie Kahlbaums" zeige, mit einem ,,im Hinter- grund spielenden verworrenen GrSI3enwahn" und einer ,,nur unter Hemmungen sich ~uBernden heiteren Verst immung" verbunden sein kSnne. Genesene StuporSse dieser Ar t ,,sagen aus, dab der ~uBeren Regungslosigkeit eine ebensolche innere Herabminderung im Gedankenablau/ und Bewegungsbildern entsprach, dab sehr wenig in ihnen vorging und Angstgefiihl nicht vorhanden war" . S. 18 fiihrt Mey~ert von der Paranoia (partieller Wahnsinn) - - in seiner Fassung des Be- griffes! - - unter anderem aus: ,,Durch hypochondrische Sensationen steht der Organismus als das primi~re Ich fortwahrend im Bewufltsein, und weil gleich- zeitig Wahrnehmungen gemacht werden, wird dieses ]iihlbarere Ich zu den ob- jektiven Wahrnehmungen immerw~hrend assoziiert. Das Wahrgenommene bezieht sich au/ das Ich, es t r i t t das Phdnomen des Au[sichbeziehens auf, der Beachtungs- wahn". S. 19: ,,Eine plStzliehe, sehr rasche Genesung kommt bei der einfaehen Melancholic nicht wohl vor, darum ist die Zeit der Dauer mi t ein prognostisehes Moment" .

Die Ament ia (Verwirrtheit) t r i t t nach Meynert (S. 33--125) in den ver- schiedensten Formen auf ; namentlich fiihrt er an: ,,Akuter Wahnsinn, allgemeiner Wahnsinn, Manie, Tobsucht, Melancholie mi t Aufregung, Melancholie mi t Stumpf- sinn der Autoren" . Als ersten Fall bringt er einen amentiaartigen Zustand mi t katatonen Ztigen im Verlaufe einer Schizophrenic, wie wir heute etwa sagen wiirden. Die Symptome dieses Falles ,,entsprechen Zust~nden ohne ]dares Bewufltsein",

1 Meynert: Klinische Vorlesungen fiber Psychiatrie. Wien 1890.

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268 Josef Berze:

stellt Meynert fest. Die ,,Kennzeichnung der Krankheit" findet er nicht in den ,,Reizsymptomen", sondern in dem psychischen ,,Aus]allssymptom", welches zu- gleich die ,,Grundbedingung" der Reizsymptome ist; und zwar ist das Ausfalls- symptom nach Meynert zu erblicken in einem ,,g/~nzlichen oder (in weit auseinander- liegenden Abstufungen) teilweisen ,,Aus]all der Assoziationsleistung, der Koordination der Rindenbilder, der Gedankeng~nge". Amentia bedeutet nach Meynert einen ,,Geistesmangel, nicht Geistesschwdche". Das Wort Zer/ahrenheit kommt, soviel ich wei8, bei .Meynert nicht vor. Aber/~hnlich, wie wir uns heute bemiihen, Zerfahrenheit und Verwirrtheit auseinanderzuhaltcn - - eine restlos befriedigende Abgrenzung ist tibrigens bisher noch niemandem gelungen!- - stellt Meynert der Verwirrtheit die Betdubung gegentiber; der Verwirrte habe die Wahrnehmungen, verstehe sie (sc. bei sehwercrem Grade des ,,Mangels") nur nicht, bei der Bet/~ubung handle es sich aber um ein Fehlen oder cine Herabsetzung der Wahrnehmungen selbst. Be- t/~ubung kSnne ,,irgend einmal die Verwirrtheit komplizieren", gehSre ihr wesent- lich aber nicht an. Bei der Darstellung der Symptome wird wieder auf die ,,St6rung der Koordination des Assoziationsmechanismus", auf das Fehlen der geordneten Assoziation, auf den Zer/all der Assoziationsanordnung" hingewiesen. Darauf sei es unter anderem zuriickzufiihren, dab ,,der Ausdruck, die Benennung und die Wahrnehmung sich (auBerhalb aphasischer St6rungen) nicht mehr decken". - - Bei der Schilderung ,,schon sehr chronisch Yerwirrter" liefert Meynert (vgl. z .B. S. 52) interessante Beitr/tge, die wir heute zumeist in das Kapitel der paranoiden Demenz im Rahmen der ,,Schizophrenie verweisen wiirden. Ob eine Phase yon ganz akuten Erscheinungen", die ,,initial ist", einen akuten Verlauf (auch in Heilung) yon etlichen Wochen nehmen werde, dafiir ,,g/~be es kein Unterschcidungsmittel". Zu beachten sei weiter, dab es auch ,,Formen yon rezidivierender, oft auftretender akuter Dementia g i b t " . - - V o n Einzelheiten sei noch erw/~lmt, dab Meynert namentlich bei F/~llen, die sich in der Richtung zum Stupor, um dessen Kenntnis sich Kahlbaum in seiner Abhandlung ,,Die Katatonie" so verdient gemacht babe, gerade so, wie dieser Autor ,,etwas eigenttimlich Pathetisehcs im Benehmen der Kranken" findet, und dab er bei einem solchen Kranken eine,,verbreitete An~sthesie" konstatierte (,,reagiert nicht auf tiefe Nadelstiche", selbst an der l~asenscheide- wand"). - - ,,Der vollkommene Bewegungsstillstand (se. bei einem StuporSsen) kann sich noch mit Kraftleistungen verbinden, die yon einem Gesunden, ganz Bewegungs- f~higen nicht bestritten werden kSnnten . . . Solche Kra]t~iuflerung bei dieser Willenslosigkeit (Abulie) kann keine corticale Leistung sein, sie muB auf einer besonderen subcorticalen Energie beruhen . . . Wir haben hier einen instruktiven Fall lokalisierter reizbarer Schw~che. Zur h6chsten Schw~che des corticalen Organes gesetlt sich eine iiberraschende Energie der Leistung eines subcorticalen Gleich- gewichtszentrums. Die Herabsetzung der Vorderhirnleistung mahnt dabei an die elend herabgesetzte eortieale Energie ttypnotisierter" (S. 58).

Die ,,corticale Schw/~che" driiekt bei der ,,Amentia" naeh Meynert einen Zu- stand allgemeiner Hirnerkrankung aus. ,,l~ur in einer seltenen Erscheinung finder sich etwas wie eine lokalisierte Rindenerkrankung, und zwar in Form einer corti- calen SprachstSrung, als ein Bild aphasischer Erscheinungen." Wo diese ,,Pseud- aphasie" auftritt, spricht Meynert yon ,,Pseudaphasiseher Verwirr~heit". Sie entspreche keineswegs besonders intensiven Phasen der Verwirrtheit, im Gegen- teile k6nne ,,bei Pseudaphasie die Verwirrtheit leichten Grades sein". Man k6nne darum um so weniger ,,umhin, die Einmengung einer besonderen 6rtlichen StSrung im Bezirk der Sylvischen Grube anzunehmen". - - Die F/~lle, die Meynert vorffihrt, namentlich der erste, k6nnten geradezu als Schulfiglle schizophrener Sprachverwirrtheit dienen. Meynert stellt lest, dab folgende Erscheinungen die pseudaphasisehe Verwirrtheit kennzeichnen: ,,1. Die Unf~higkeit Gegenst~nde zu bezeichnen, doch meist nicht namhaft entwickelt; 2. gewundene Umschrei- bungen des Gegenstandes, meist sich auf den Gebrauch desselben beziehend;

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3. die Bildung besonderer W6rter, teils durch die Silbenentstellung, teils durch die Unfhhigkeit, ein Wort anders als in bestimmten Verbindungen zu nennen". Wir wfirden da heute allerdings manches anders und auBerdem doch auf noch einiges, das Meynert unbeachtet gelassen hat, dazu sehen - - selbst an Meynerts eigenen Beispielen.

Von der Paranoia (S. 108) ,,unterscheidet sich die Verwirrtheit durch den ldaren BewuBtseinszustand der ersteren". ,,(~fter jedoeh schlieBt die Paranoia wirkliche Ersch6pfungszust~nde yon Amentia voriibergehend ein. Ein solcher Kranker kann . . . nur durch die Anamnese richtig beurteilt werden."

Meynert sieht, dab die Zeit der Geschlechtsreife, ,,die bedeutende Reizh6he, welche dem Jtinglingsalter anhaftet", die Entstehung der Ver~nderung, welche der Amentia zugrunde liegt, besonders begiinstigt. Er kann sich aber nicht ent- sehlieBen, der Heckerschen Aufstellung der Hebephrenie/des Jugendirreseins, als besonderer Form beizustimmen, da das Lebensalter ,,fiberhaupt ein zu vager Einteflungsgrund" sei, ,,so dab die deutschen Psychiater aueh die Annahme eines Altersbl6dsinns fiir ihr statistisches Schema als besondere Form abgelehnt haben". Anstatt yon Hebephrenie spricht Meynert v o n d e r ,,idiopathischen" Amentia des jugendliehen Alters (S. 118).

Nach Meynert ,,daft man noch Aussicht auf Genesung festhalten, solange langliiufige Umformungen des Krankheitsbildes noch miteinander wechseln". In gewissen F~llen k6nne ,,die ganze Geisteskrankheit seheinbar versumpfen, un- gez~hlte neue Erregungsstadien mit besseren Zeiten und zahlreichen tiefen Er- sch6pfungen wechseln lassen". In manchen F~tlen trete Heilung selbst noch nach wiederholten Rezidiven ein oder es erfolge der ~bergang in periodische Formen. ,,Der ~bergang in sekundare Seelenst6rung ist der in erworbenen B16dsinn. Doch ist die Diagnose dieser Krankheitsformen hier nicht leieht . . . weil die Amentia in fast unver~nderter Form oder in Phasenwechsel eine sehr lange Dauer haben kann" (S. 121 und 122). Die Verschiedenheit des Verlaufes und Ausganges nament- lich jener ,,zusammengesetzten Form, die mit halluzinatorischer Verwirrtheit" einsetzt, wird immer wieder betont. Die Ausg~nge in ,,sekund~re Seelenst6rung" entsprechen in weitestem MaBe dem, was wir heute als Rest- und Endzust~nde nach ProzeBschizophrenien hinstellen. Sie, zusammen mit den ,,chronisch ge- wordenen" F~llen der Amentia Meynerts, maehen die Hauptmasse der schizo- phrenen Dauerzust~nde nach unserer heutigen Auffassung aus.

Im Kapitel Paranoia (Prim~re Verriicktheit, chronischer partieller Wahn- sinn, Verfolgungswahn und Gr6Benwahn) wird die sehon S. 18 bertihrte (s. oben) Idee der hypochondrischen Grundlage, im AnschluB an Morel und Westphal, n~her ausgeftihrt (S. 142f.). ,,Von der Amentia scheidet die Paranoia die Klar- heir des Bewufltseins, die Intelligenz, die Darstellung des Zerrbildes einer sozialen Pers6nlichkeit". ,,Der Schwerpunkt" liegt bei der Paranoia ,,ira Wahu der .Be- ein]lussung yon auflen". Die Paranoia setzt nicht mit akuten Symptomen ein, sondern sehleicht ein. Mar/chmal aber ,,sieht der floride ProzeB gleichsam hindureh". In manehen ,,anscheinend originaren Formen" kann die Entwicklung der Wahn- ideen in der Zeit yon wenigen Woehen (,,florider, verhiiltnism~Big akut entwickelter Verlauf") erfolgen. In einzelnen solchen F~llen komme es aber zu Rezidiven (,,Ver- riicktheit in Sehtiben" nach Jastrowitz); ,,diese Fi~lle zeigen dann 6fter gleiehsam nacheinander entwickelte Schichten von Wahnideen". Aus allem geh~ deutlich hervor, dab Meynert bei seiner Darstellung der Paranoia doeh haupts~tchlich solche FMle vor Augen hat, die wir seit Kraepelin der Dementia paranoides zurechnen. Die eigentliche Paranoia im heutigen Sinne steht iibrigens bei Meynert abseits als ,,Paranoia auf Grundlage der reizbaren Verstimmung". Eine ,,Einzelform" dieser Paranoia ist ,,der Querulantenwahnsinn, die ProzeBsucht, den J. Fritsch sehr maBgebend dargestellt hat".

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270 Josef Berze :

I m ]~apitel ,,Sekundi~re Geistesst6rung" m a c h t .Meynert folgende h6chs t in teressante Bemerkung: ,,Der den pr im~ren Geis teskrankhei ten folgende B15d- sinu scheint h~ufig nicht sekunddr zu sein, sondern als ein schon anfangs mi t der Psychose kombinierter , nach dem Obers t ehen derselben fortzubestehen, wohl auch gesteigert zu werden." In einem Falle yon ,,Melancholie", der in sekundare GeistesstSrung ausging, bes tand sehon anfangs Hypochondr ie , t r a t en im weiteren Verlaufe Halluzinationen, nament l ich Geriiche auf, der Kranke abst inier te voll- st~ndig, bedurfte der Schlundsonde. Nach e twa fiinfviertelji~hrigem Bestande verschwand die ,,Melancholie", die Hypochondr ie , ,verband sich mi t Veffolgungs- wahn und Hal luzinat ionen eines origin~r Imbezi l len, der apathisch wird". Die Geistesschwiiche nach , ,Amentia" verr~t sich oft nu r , ,durch den ganzl ichen Mangel selbstdndiger l,apulse der Beschaf t igung". Der ,,corticale Ausfall betr i ff t die h6her koordinier ten Leistungen und lgl3t eine verein/achte, o]t nicht au//allend herabgesetzte Pers6nlichkeit zurtick".

,,Meine Neigung, Biieher zu machen, war und is t die denkbar geringste" , sagt Meynert im Vorwort zur , ,Psychiat r ie" (1884). E r ha t uns denn auch - - dem Umfang naeh - - reeht wenig Schrif t t t imliches hinter lassen. Da ihn ,,jeder Zweifel an der Reife einer Anschauung" , die er in dem Buehe niederzulegen im Begriffe war, , ,zum Inneha l t en" brachte , ha t Meynert - - nach reichlieher, viel- j~hriger Vorarbei t - - mehr als sieben J a h r e gebraucht , bis er die , ,Psychiatr ie" , und da noch unvol lendet (288 Seiten), he rausbrach te . AuBer der Sparl ichkei t der , ,Bficher" is t bei Meynert aber noch zu beri icksichtigen, daft er keineswegs zu denen geh6rte, die in einer dem Leser angenehmen, le ieht verst~ndlichen oder ihn gar bes techenden Weise - - maneher Auto r v e r d a n k t gerade diesem Momente seine allerdings recht oft vergimglichen Anfangserfolge! - - zu ihm zu sprechen pflegen. I m Gegenteil baute er, indem er i m m e r wieder einschachtel te , oft ganz ungeheure, fast uni ibersehbare Satzgeb~ude auf, wobei noch dazu gelegentlich ein oder das andere Pri~dikat, auch bei schrif t l icher Niederlegung, verlorenging. Aueh war seine Darstel lung n ich t immer so recht t ibersichtl ich. E r konnte es sich n ich t versagen, wenn er etwa gerade fiber die eine Psychose sprach, bei irgendeiner Gelegen- heir auf eine neue Erkenn tn i s hinsichtl ich einer anderen abzuschweifen, die sieh ihm, der i m m e r um neue Erkenntnis , naeh neuer Kl~rung rang, in der al ler letzten Zei t gerade ergeben hat te . I n seinen Vorlesungen, die i m m e r mehr oder weniger weir und bre i t ausladende Ausffihrungen an der H a n d eines den H6re rn vorgestel l ten Falles waren, t r a t vor allem der Feuereifer hervor , m i t dem er s tets bemtiht war, es zu einer den s trengen Anforderungen, die er sieh dabei se lbs t stellte, en tspreehenden Gruppierung der Psychosen zu bringen. Es t r a t dabei deut l ich zutage, dab die weite Ausdehnung, die er dem Bereiche seiner , ,Ament i a" gab, vor allem dem Bes t reben Meynerts entsprach, einen m6gliehst groflen Rahmen /i~r alle die Psychosen- /ormen zu schaffen, die seiner Meinung nach, bei der prinzipiellen Gleichheit des ,,Fundamentalsymptoms", wie er es sah, zusaramengeh6rten, w~hrend sie yon den Autoren als aku te r Wahns inn bzw. al lgemeiner W a h n s i n n abseits gestell t oder zum grol3en Teile ihrem Wesen naeh i ibe rhaup t v e r k a n n t wurden, wie so viele F~ l l e , -denen sie die Diagnosen: Manie, Tobsucht , Melancholie mi t Aufregung, Melancholie m i t S tumpfs inn usw. gaben. Wer aber e rs t als junger Psyehia ter das Glfick hat te , neben ihm in so und so vielen Fa l len a m Obdukt ionst ische s tehen zu diirfen, - - Meynert besorgte bis zu seinem Lebensende die Obdukt ionen n ich t nu r der in seiner Klinik, sondern auch der in der n a h e n Wiener Landes i r renans ta l t Vers torbenen fast ausnahmslos pers6nlich und fief nur , wenn ihm die Deutung eines Organbefundes aul3erhalb des Gehirns Schwierigkei ten zu haben schien, den R a t eines pathologischen Ana tomen vom F a e h an - - und wer so eine gute Weile mi t Meynert allein sein konnte, wurde so ers t r ech t Zeuge der Gewalt dieses seines obers ten klinisch psychiatr isehen Strebens. W~hr end er noch dami t beseh~ftigt war, n a c h seiner bekann ten , ,Abt rennungsmethode" , die naeh ihm wohl n iemand

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mehr so rech t beher rsch t ha t , mi t geradezu eleganter Kunstfer t igkei t , welche bei dem sonst n ieh ts weniger als , ,geschickten" Mann u m so mehr auffiel, den Hirn- s t a m m aus dem H i r n m a n t e l zu sch~len, erging er sieh nebenher berei ts aueh in einer Kr i t ik der psyehia t r i sehen Diagnose, die ,,dem Armen yon den Her ren da dr i iben (gemeint : die Abteilungsvorst/~nde der I r renans ta l t ) nun wieder gegeben" worden war, wobei er jede Einzelhei t der In format ion fiber Symptome und Verlauf der Psychose, die er genaues tens einzuholen pflegte, mi t ers taunl icher Genauigkei t heranzog. E r konn te dabei lustig und witzig, aber auch scharf und sogar ein wenig bissig - - i m m e r war etwas yon Ironie und Sarkasmus dabei ! - - werden, besonders wenn er wieder e inmal die Diagnose Melancholie zu hSren bekam, mi t der m a n damals ta ts~chl ich noch allzu freigebig war, wie wir sparer alle einsehen gelernt haben. Ob m a n ,,da dr i iben" denn noch immer n ieh t wisse, dab n ich t jeder ,,Maul- h~nkol iker" ein Melancholiker, n ich t jeder Tobsiichtige ein Maniseher sei ? Ob n i eh t diese oder jene Zeichen, ob n ich t schon der Verlauf, den die K r a n k h e i t b isher genommen, zur E r k e n n t n i s hingereicht ha t te , dal3 der Fall in das Gebiet seiner Ament ia (gelegentlich hieB es: seiner Paranoia) gehSre ? Oft habe ieh es bedauer t , da$ ich mir damals (vor 43, 44 Jahren) keine schrif t l ichen Not izen yon Meynerts Xul3erungen am Abdukt ions t i sch gemacht habe. Soviel ich mich er innern kann , waren die Argumente , die Meynert fiir die ZugehSrigkeit eines Falles zu seiner Ament i a ins Treffen fi ihrte, der Hauptsache naeh genau dieselben, die wir heu te als kennzeiehnend fiir die ZugehSrigkeit zur Dement ia praeeox bzw. zur Sehizo- phrenie ansehen.

Frei l ieh h a t es Meynert uns n ieht beigebraeht , in seiner Sprache zu reden, wie es sp/~ter Kraepelin m i t seiner Dement ia praeeox und noch mehr Bleuler mi t seiner Schizophrenie ve rmoch t haben. Von Meynerts Ament ia is t denn auch in der Folge - - ansche inend! - - niehts anderes iibrig geblieben als jener k~rgliehe Rest, viel umk/ impf t und nie so recht begrenzt, der die heute als einer der ,,exo- genen Seh/ id igungstypen" hingestel l ten , ,amentielle Begleitpsychose" ausmacht , deren wesentliches Merkmal nach Bonhoe]]er ,,eine ausgesproehene DenkstSrung im Sinne der Inkoh~renz" is t - - neben einem gewissen Grad yon Benommenhe i t . Eine befriedigende Abgrenzung dieser amenten Verwirr thei t gegen die schizophrene Zerfahrenhei t (bzw. gegen die Ament ia im Sinne Meynerts) i s t bisher, wie sehon oben angedeute t , n i emandem gelungen, - - aueh Hartmann und Schilder i nicht , die den Unterseh ied der am en t en Verwirr thei t gegenfiber der sehizophrenen vor al lem dar in sehen, dal3 der Sehizophrene das gedankliehe Rohmater ia l noeh triebm~13ig gestalte, auch in der Verwir r the i t noch inhal t l ich ausw~hle (?), w/~hrend der Amen te dazu n ich t ims tande sei, also in einem Verh/~ltnisse, das doeh siehtl ieh ganzlich auch auf re in graduelle Unterschiede ein und derselben Grunds t f rung zurfick- gefiihrt werden kann , aber aueh Mayer-Grofl nicht , da sieh das ,,zerfallende BewuBt- sein", woraus sich i hm zufolge die , ,Besonderheiten der ament ie l len Inkoh~renz" ablei ten lassen sollen, doch wieder nur als hSherer Grad derselben BewuBtseins- ver/~nderung unschwer erkennen l~13t, die m an gerade wieder bei jenen F/~ll~n yon Schizophrenie, die zu differentialdiagnostisehen Erw~gungen im Sinne der Abgrenzung gegen Ament i a i iberhaupt Anlal3 geben, immer wieder findet, wenn man nu r d a n a e h zu suehen vers teht . - - Auf der anderen Seite is t , ,der VorstoB" Bu~kes, wie .Mayer-Grofl den Versueh Buqnkes nenn t , die schizophrene Sympto- ma t ik d e n exogenen !~eaktionsformen einzureihen, ein deut l ieher Hinweis yon mal~gebender Seite da~auf,~daB es um die Sicherhei t unserer Entscheidung, ob Ament ia im heut igen engen Sinne oder Ament ia in Meynerts weitem Sinne (bzw. gewissen Schizophreniefallen), doch n ieh t so gut bestel l t ist, wie man ~ sich so oft den Ansehein gibt . W e n n Mayer-Grofl in seinem zusammenfassenden Ber icht sag t :

1 Hartmann u. Schilder: Zit. nach Mayer-Grofl, Bumkes Handbueh , Schizo- phrenie, S. 590.

z. f. d. g. Neur. u. Psych. 154. 18

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,,Solange noch eine BewulttseinsstSrung besteht, kann die Differentialdiagnose in der Tat unm0glich sein. Tri t t mi t der Aufhellung das sehizophrenie/~hnliche Syndrom nicht zuriick, v e r b l e i b e n . . . DenkstSrung, Wahnerlebnisse, Halluzina- tionen, so handelt es sich um den exogen gef~rbten Beginn einer Sehizophrenie, vielleieht um ihre , ,Provokation" dureh die KSrperkrankhei t" , - - so muB ihm entgegengehalten werden, daB mit soleher Verschiedenheit des Ausganges keines- wegs bewiesen ist, dab das Fundamentalsymptom (vgl. Meynert) zu der Zeit, da die Differenti~ldiagnose , ,unmfglich" war, in den Fi~llen, da sieh hinterher Schizo- phrenie ergibt, ein prinzipiell anderes war als in denen dies nieht zutrifft, also in den F~llen yon Amentia im engen Sinne. Andererseits sei darauf verwiesen, dab Meynert all das von Mayer-Grofl in diesem Zusammenhang Vorgebrachte, wie schon aus der von mir zusammengestellten Bltitenlese aus Meynerts Haupt- werken klar hervorgeht, auch schon reeht gut gewuBt - - und nur eben nicht zwischen Amentia und Schizophrenie, sondern im Sinne seiner Auffassung zwischen akut und restlos ablaufenden F~llen einerseits, chronisch werdenden oder schon ge- wordenen F~llen seiner Amentia andererseits klar und deutlich untersehieden hat.

Rein /~uBerlich betrachtet stellt sich die Geschichte der Entstehung des Be- griffes Dementia praecox beilaufig so dar: Nachdem sieh Kraepelin (ab 1892, 4. Auflage, nach Gruhles Zusammenfassung) mi t der Kahlbaumschen Katatonie und der Heckerschen Hebephrenie befreundet hat te , s tanden anfangs neben der Dementia praeeox mi t ihren drei Unterformen noeh die Verriicktheit und der Wahnsinn, die erst allm/~hlich zugunsten dieser Dement ia praeeox verschwanden, namentlich auf Grund der Erkenntnis, daB manche ,,Psychose, die wir noch nicht kennen" (Nissl), besonders aber F/~lle von , ,Verrficktheit" und yon ,,Wahnsinn", sparer zu einem Endzustand zerfielen, der von anderen Endzust/~nden der Dementia praecox nicht zu unterscheiden war (C-ruble). JBleulers Schizophrenie (Mono- graphie 1911) deekt sich nicht vollst~ndig mit Kraepelins Dementia praecox. , ,Und dennoch meinten beide Autoren", wie Gruhle mit Reeht betont, ,,das gleiche Er- fahrungsmaterial."

So vollzog sich, wie gesagt, rein duflerlich betraehtet , die Zusammenfassung der groBen Psyehosengruppe. Der Grund daffir, dab es dazu kam, war aber doch ein tiefer liegender. Nicht die Betrachtung der Krankheitsbilder ,,im L/~ngs- sehnit t" , unter besonderer Bertieksichtigung der Ausgi~nge, die Kraepelin wenigstens beim weiteren Ausbau der Dementia praecox so ausgesproehen leitete, war es, die den eigentliehen AnstoB zu derartigen Unternehmungen abgab, sondern die aufd~mmernde und immer klarer werdende, aus der Betraehtung ,,im Querschnitt" kommende Erkenntnis, dab es ein psychologisches Band gebe, dab eine ganze Reihe von klinisch ganz auBerordentlieh vielgestaltigen und zum groBen Teile anscheinend grundverschiedenen Psychosen zusammenhalte. Und so kam es nicht nur, dab sehr bald, nachdem Kraepelin seinen Bau errichtet hatte, .Bleuler, indem er jenes psyehologische Band aufgriff, seine Schizophrenie schaffen konnte, sondern so war es auch schon vor Kraepelins Grol~tat dazu gekommen, dab Meynert in seiner Amentia einen Rahmen /iir die Zusammen/assung /ast all der Psychosen schu], die dann bei Kraepelin die Dementia praecox, bei Bleuler die Schizophrenie ausmachten. Gerade herausgesagt war also Meynerts Amentia die Vorldu/eriu und Schrittmacherin der Dementia praecox bzw. der Schizophrenie. Dies wird immer wieder fibersehen; fast geflissentlich mSchte man sagen. Man kann es offenbar schwer fiber sich bringen zuzugestehen, dab man dem verschrienen , ,Hirnmythologen" einen so wichtigen Anteil an der Entwicklung unseres psychiatrischen Krankheitssystems zuzuschreiben habe. MSglicherweise wird es fiber kurz oder lang anders kommen. So ganz felsenfest fiberzeugt v o n d e r GroBartigkeit und Unersehfitterlichkeit des vor 3 - -4 Deze~mien errichteten nosologischen Baues, wie zur Zeit der Glanz- periode, sind heute wohl nicht mehr allzu viele yon den Psychiatern, die sich ein eigenes Urteil zu bilden gewohnt sind. Zeichen der beginnenden D~mmerung

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nehmen manche von ihnen wahr. Einige spiiren sogar so eine Art Grabesstille, schliel3en zumindest auf etwas wie Verkalkung. Es will nicht reeht weitergehen. Unsere Begriffe sind, seitdem wir das Hochgeftihl gewonnen hatten, es so herrlieh weir gebracht zu haben, eben etwas start geworden, erweisen sieh nieht mehr als im eigentliehen Sinne weiter ausbaufiihig. Wenn so die Begeisterung allmi~hlieh zur kiihleren Beurteilung des Erworbenen von bleibendem Weft abgeebbt sein wird, wird man sieh vielleieht aueh des verdienstvollen Antefles, den Meynert an der ganzen Entwicklung hat, erirmern und diesen Forseher, anstatt ihn, wie dies im Artikel ,,Gesehichtliches" des Sehizophreniebandes (S. 18) geschehen ist, sozusagen mit einer souveri~n wegwerfenden Handbewegung abzutun, eher als einen der Bahn- brecher anerkennen und feiern. Wie Gruhle yon Kraepelin und Bleuler, so kann man aueh yon Meynert sagen, daft er im wesentlichen das gleiehe Erfahrungs- material" mit seiner Amentia meinte, wie Kraepelin und Bleuler. Die ,,ehroniseh gewordenen" Fitlle umfassen eine grol3e Masse der paranoiden Sehizophrenien; nut die dauernd ,,Klarheit des Bewufltseins" aufweisenden wahnbildenden Formen trennt Meynert noeh v o n d e r Amentia und rubriziert sie als Paranoia. Die Kahl- baumsehe Katatonie ist bereits aufgenommen; die Heckersehe Hebephrenie wird, wenn auch nieht als eigene Form anerkannt, bereits entspreehend bertieksiehtigt.

Aber Meynert ist sieh auch, wie oben zitiert worden ist, fiber das Fundamental- symptom seiner Amentia klar geworden. Er ist zu einer Ansieht gekommen, die erst recht klar macht, in wie weitgehendem Mal3e sich das Wesen seiner Amentia mit dem der Dementia praeeox bzw. der Sehizophrenie deckt. Die,,Kennzeichnung" der Amentia finder er in einem Aus/all an Assoziationsleistung, an Koordination des Assoziationsmechanismus, in einem Fehlen der geordneten Assozia~ion, in einem Zer/aU der Assoziationsanordnung, - - in allen diesen Fassungen sich als strummer Assoziationspsychologe reinsten Wassers erweisend. Aus der Stfrung der Asso- ziaLionsanordnung ist dann bei Bleuler, der ja gleichfalls ausgesprochen assoziations- psychologisch eingestellt ist, die Assoziationslockerung geworden. Eine prinzipielle Differenz zwischen den Auffassungen der beiden Forscher ist also nicht zu finden. Wenn Meynert im allgemeinen Ausdrficke wi~hlt, die auf eine hShergradige StSrung - - fiir eine grbl3ere Gruppe der F~lle nur! - - weist, als es die Assoziationslockerung Bleulers ist, so ist dies dem Umstande zuzuschreiben, dal3 Meynerts Sammel- begriff eben sozusagen yon der Amentia, als der akuten und daftir im allgemeinen schwereren StSrung, herkommt, w/~hrend der Bleulersche sich yon vorneherein mehr auf ein ,,chronisches", eine weniger tiefgehende ,,AssoziationsstSrung" auf- weisendes Psychosenmaterial griindet. Meynert hat auch bereits festgelegt, dab die Amentia in seinem weiten Sinne wohl Geistesmangel, nicht aber Geistesschwdiche, nicht Dementia ist. Da sich die Meynertsche Amentia weitgehend mit der Dementia praecox deckt, wie gezeigt worden ist, erledigen sich damit im Grunde auch alle Priorit/~tsanspriiehe anderer Autoren, was die Ablehnung einer eigentlichen Ver- blbdung fiir die ,,Dementia" praecox betrifft.

JJleynert war es auch wieder, der schon darauf hinwies, dab man sich die seiner Amentia zugrunde liegende Hirnstfrung nicht ohne weiteres als ausschliefllich cortical vorstellen diirfe. Das Wesentliche ist freilich die ,,Intensit~tsschw~che der corticalen Leistung", die aber vor allem, schon bei geringeren Graxten der StSrung, als Herabsetzung der ,,corticalen Hemmung" zur Geltung kommend, das Zustande- kommen yon subcorticalen Organen ausgehender /~eizsymptome sensorischer und motorischer Art ermSgliche bzw. begiinstige. Auff/~lligerweise stellte Meynert in diesem Zusammenhange ,,die subcorticalen Zentren" gleichsam als Ganzes genommen dem Cortex, was die Funktion betrffft, gegenfiber, machte in dieser Hinsicht also keinen Unterschied zwischen den subcorticalen Zentren der verschiedensten Dignit/it und Funktion. Dem Gedanken, der sp~ter yon Reichardt und yon ~nir vertreten worden ist, dab die ,,Intensit/~tsschw~che der eorticalen Leistung" an

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sich als Folge der Funktionsinsuffizienz eines bes t immten , den BewuBtseins- tonus, wie ich sagte, regulierenden und ga ran t i e renden subcort icalen Organs auf- zufassen sei, is t Meynert selbst wohl niemals nahegekommen. Dagegen sehlie/3t seine Lehre yon den subcorticalen Re iz symptomen motor i scher Ar t - - der Ausdruck Re izsymptom is t hier im weitesten Sinne zu nehmen , so dab er jegliehe gegen- fiber der Norm gesteigerte Einf luBnahme , ,der subcor t iea len Zen t r en" auf den eine Leis tungsschwache aufweisenden Cortex umfaBt - - maneher le i ein, das auf die Lehre yon der Schizomotorik und ihre Theorie n i ch t ohne EinfluB geblieben ist. Nament l i eh kommen in dieser t t ins ich t die schizophrenen t typerkinesen , wenigstens zu einem grol3en Teile, in Betracht . Sicht l ieh s ind auch die einschli~gigen An- schauungen Kleists fiber die psychomotor ischen StSrungen im R a h m e n der Schizo- phrenie, nament l i eh fiber die , ,ka ta tonen Motil i t i~tsstSrungen", einigermai3en yon Meynert her beeinflu{3t. Inwieweit dies zutr i f f t , kSnnte Gegenstand einer eigenen Un te r suchung sein. Hier is t n ieht der P la t z daffir. I n einer ansfiihr]ichen Dar- s tel lung der Schizomotorik ware aber wenigstens ein kurzer Hinweis auf Meynert meines Erach tens immerh in am Platze gewesen.

Besondere Berficksichtigung h~t ten bei e iner Dars te l lung der Schizophrenie, zumal soweit das , ,Geschicht l iche" abgehande l t wurde, die eingangs yon mir z i t ie r ten Ausff ihrungen Meynerts f iber die , ,Pseudaphasisehe Verwi r r the i t " verdient , deek t sie sich doch - - ga~z handgrelf l ich! - - in a l lem Wesent l iehen damit , was sparer als ,,schizophrene Sprachst6rung" (sogenannte Sprachverwirrtheit) hingestel l t worden ist. Mayer-Grofl sagt darfiber (Sehizophrenieband S. 376): , ,Endl ieh ffigt Kraepelin die Sprachverwirrtheit in Anlehnung an Bleulers Sehizophasie (und wohl auch vielfache i~hnliche Anregung yon Kleist) bei, gekennze ichne t dureh den Ausgang in eine ,ungemein auffallende StSrung des sprachl iehen Ausdrucks bei verhal tnis- mitl3ig geringer Beeintr~cht igung der i ibrigen seelisehen Le is tungen ' . " Von .Meynert wieder kein Wor t ! - - Ganz zweifellos geh t auch die Anwendung der ,,Aphasie- analogie auf die spezifisch schizophrene Sprache, die gewShnlieh als sehizophrene Sprachverworrenhei t (Wortsalat) bezeiehnet w i rd" (s. Gruhle: Sehizophrenieband S. 168), wie wir sie nament l ich bei Kleist und seiner Schule sehen, auf Meyuert zurfiek. I n diesem Punk te stelle ich mich fibrigens - - m i t Gruhle, wenn auch n ich t m i t allen seinen Argumenten - - , wie ich sehon bei anderer Gelegenheit z ausgefi ihrt habe, gegen Kleist und dami t aueh gegen Meynert. Ffir reich sind die sogenannten Sprachs tSrungen bei der Schizophrenie - - abgesehen yon gewissen seltenen, zu- f~lligen, n ich t schizophrenieeigenen Kompl ika t ionen aphasiseher N a t u r - - in ihrer Gesamtheit aus der schizophrenen Denks tSrung bzw. aus dem schizophrenen ver- ~nder ten psychisehen Gesamtzus tande able i tbar .

Meynert ha t also - - dies wird mir wohl zu zeigen gelungen sein - - im Bande ,,Die Schizophrenie" des Bumkesehen H a n d b u c h e s - - im ganzen recht schlecht abgeschni t ten . I-I~tte er solches bei Lebzei ten er lebt , so h~t te er, wie ieh ihn zu kennen glaube, die Angelegenheit in seiner e rhabenen Gr6Be und Wfirde mi t e inem vielleieht mehr ironischen, vielleicht mehr sa rkas t i schen Wi tzwor t kurz abgetan . Aber der viel, vieI kleinere Epigone h a t es schmerz l ich empfunden, dab man der Bedeu tnng seines Lehrers, dem er fast alles zu v e r d a n k e n zu haben i iberzeugt ist, was an den Ergebnissen seines eigenen wissenschaft l ichen Sinnens und Trach tens gu t sein sollte, auch bei dieser Gelegenheit wieder so wenig gerecht geworden ist. Aus diesem Drange heraus ha t er die vors tehenden Zeilen niedergeschrieben. M6gen sie genommen werden, wie sie gemeint s ind: N i e m a n d e m zu Trutz , Meynert zu E h r e n !

1 Berze-Gruhle: Psychologie der Schizophrenie, S. 54 und 55. Berl in 1929.