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CARAVAGGIO Michelangelo da CARAVAGGIO Michelangelo da

Michelangelo daMichelangelo da CARAVAGGIO€¦ · Caravaggio schien sich damals ausschließlich für die körperliche Form des Menschen zu interessieren, der sich einfach von einem

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Autoren: Félix Witting, M.L. PatriziRedaktion der deutschen Ausgabe: Klaus H. Carl

Layout:Baseline Co. Ltd61A-63A Vo Van Tan Street4. EtageDistrikt 3, Ho Chi Minh CityVietnam

© Confidential Concepts, worldwide, USA© Parkstone Press International, New York, USAIImmaaggee--BBaarr www.image-bar.com

© Fotocredit Pierre Mignot (S. 157)

Weltweit alle Rechte vorbehalten. Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligenFotografen, den betreffenden Künstlern selbst oder ihren Rechtsnachfolgern. Trotzintensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigen-tumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.

ISBN: 978-1-78042-724-9

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CARAVAGGIO

Félix Witting und M.L. Patrizi

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EEiinnlleeiittuunngg 7

CCaarraavvaaggggiiooss rroommaannhhaafftteess SScchhiicckkssaallDie ersten Jahre und der Aufbruch nach Rom 11Die ersten römischen Werke und

die Kirche San Luigi dei Francesi 37Im Exil 63Sein Gesicht als Spiegel seiner Seele 75

DDiiee EEnnttsstteehhuunngg eeiinneess SSttiillssMaler der Freuden und des Verbotenen 95Caravaggio oder die ästhetische Revolution 113

AAuuss aannddeerreenn PPeerrssppeekkttiivveennDas Leben des Caravaggio, beschrieben von

Giovan Pietro Bellori 147Die von Mancini hinterlassene „Notizia“ 171Werdegang eines kriminellen Malers 177Brief des Bischofs von Caserte an den

Kardinal Scipione Borghese vom 29. Juli 1610 189

SScchhlluussss 191BBiibblliiooggrraaffiisscchhee AAnnmmeerrkkuunnggeenn 196BBiiooggrraaffiiee 198AAbbbbiilldduunnggssvveerrzzeeiicchhnniiss 199

Inhaltsverzeichnis

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Ottavio LeoniPorträt von Caravaggio.Pastell auf Papier, 23,5 x 16 cm.Biblioteca Marucelliana, Florenz.

Wenn der „Caravaggio“ genannte Michelangelo Merisi und seine Kunst fürbeinahe drei Jahrhunderte dem Vergessen anheim gefallen waren, so kannman heute doch feststellen, dass er seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts

weitgehend rehabilitiert worden ist. Er war zwar verbannt (sagte Poussin nicht, dass ergekommen war, um die Malerei zu zerstören?) und in den Mäandern des Vergessensverborgen, dennoch scheint sein Name in ganz bestimmten Momenten in der Geschichteim kollektiven Gedächtnis wieder aufgetaucht zu sein. Schon ein ZeitgenosseCaravaggios, Giovanni Baglione (1571-1643), erkannte dessen Bedeutung alsVorläufer eines resolut modernen Stils1. Er stellt bei dem Künstler fest, dass dieser einstarkes Verlangen hat, nach der „glühenden Begeisterung der Öffentlichkeit, die nicht mitden Augen urteilt, sondern mit den Ohren hinschaut“, zu suchen, und dass er zahlreichejunge Künstler dazu getrieben hat, ausschließlich auf die Farbgebung zu achten und nichtauf den Aufbau der Figuren. Baglione beschreibt dennoch seine Werke als „mit demgrößten Fleiß und in der feinsten Art und Weise ausgeführt”.

Gleich ihm hatte Caravaggios Mäzen, der Marchese Vincenzo Giustiniani di Bassano(1564-1637) keinen Zweifel an dem überragenden Genie des Künstlers. In einem an denRechtsanwalt Teodoro Amideni adressierten Brief greift dieser den Standpunkt des Malersauf, den er für ausschlaggebend hielt2: „Wie Caravaggio sagte, es kostet ihn ebenso vielMühe, ein gutes Blumenbild zu malen wie ein Bild mit Figuren“ und „zu den Malern ersterWahl zählen wir unseren Caravaggio“. Für ihn malte Caravaggio um 1601 auch seinenAmor vincit Omnia (Amor als Sieger, S. 112), und als das Altarbild mit dem HeiligenMatthäus für die Contarelli-Kapelle in San Luigi dei Francesi von der Kongregationabgelehnt worden war, entschloss sich der Marchese, es zu erwerben3.

Und auch der Kunsthistoriker Giulio Cesare Gigli ergeht sich in begeisterten Lobredenüber Caravaggios Kunst in Bezug auf die pittura trionfante: „Das ist er, der große Michel-angelo Caravaggio, ein großartiger Maler, ein Wunder in der Kunst, ein Wunder in derNatur“4. Darüber hinaus beschreibt im 18. Jahrhundert der Direktor der SpanischenAkademie in Rom, Francisco Preziado, den Maler Caravaggio in einem am 20. Oktober1756 an Giambattista Ponfredi gerichteten Brief als den Gründer einer Schule, der fortanRibera und Zurbarán angehören5. Und wenn der stürmische Maler während der klassi-schen Periode von Zeit zu Zeit in die Erinnerung zurückgerufen wird, dann gab es insbe-sondere im Verlauf der Romantik ein punktuelles Interesse für den Wegbereiter des Barock.

Auch der große Philosoph Arthur Schopenhauer (1788-1860) schenkte ihm Aufmerk-samkeit6, den Standpunkt des Fachmanns dagegen vertrat Professor Waagen (1794-1868), der Caravaggios Besonderheiten herauszuarbeiten suchte7. Vom akademischenStandpunkt schließlich tat sich der Kunsthistoriker Manasse Unger (1802-1868) hervor, derin seinen Kritischen Forschungen8 Recherchen über die künstlerische Wirkung des Malersanstellte und Caravaggios9 Lebensgeschichte begonnen hatte, die der fachhistorischen

Einleitung

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Beurteilung von J. Meyer nach für die damalige Zeit sehr vollständig ist. Der KunsthistorikerEisenmann bemühte sich ebenfalls, aus den unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich derBedeutung des Künstlers einen Sinn herauszulesen10. Die Historiker Woltmann (1841-1880) und Woermann (1844-1933) hingegen betteten ihr literarisches Porträt des Malersin eine Darstellung der historischen Entwicklung der Malerei11. Dünn gesäte, aber ernst-hafte, seltsam reservierte und doch spannungsgeladene Bemerkungen widmete der Kunst-historiker Jakob Burckhardt (1818-1897) dem Künstler in der ersten Ausgabe desCicerone. Interessanterweise wurden sie in den folgenden Auflagen nicht geändert12.

In der Zwischenzeit ergriffen Maler wie zum Beispiel Théodule Ribot (1823-1891) inihren Theorien über die Kunst voll und ganz Partei für den barocken Meister, suchten aberauch ganz bewusst die Verdienste ihres französischen Caravaggios, des Meisters Valentinde Boulogne (1591-1632), aufrechtzuerhalten13. Was auf diesem Gebiet noch zuerbringen war, ist ein historischer, objektiver Ehrenerweis, und die Anerkennung einerpsychologischen Dimension der Werke des Caravaggio und seiner Kunst, um somit jenseitsder literarischen Begeisterung zu den immer gültigen Werten des Malers zu gelangen.

Caravaggios Leben gab Anlass zu zahlreichen, allesamt von der gewalttätigen undüberspannten Persönlichkeit des Malers beherrschten biographischen Auslegungen.Eine davon ist die berühmte, in Gedichtform gefasste Notizia von Mancini (eineÜbersetzung davon befindet sich am Ende dieses Buches), die die wichtigsten Ereig-nisse in Caravaggios Leben aufzählt. Diesem Gedicht und anderen historischen Quellennach kam Michelangelo Merisi im September 1571, wahrscheinlich am 29., dem Tagdes Heiligen Erzengels Michael, in Mailand zur Welt, wo sein Vater laut Mancini„Architekt und Vorarbeiter des Marchese von Caravaggio“, Francisco I. Sforza, war.Die Begabung zum Malen, die das Kind ziemlich früh an den Tag legte, könnte es vonseinem Vater geerbt haben. Das widerspricht aber dem, was Bellori geschrieben hat(eine Übersetzung befindet sich ebenfalls am Ende dieses Buches), wonach der Künstlerals Sohn eines Maurers so wie Polidoro da Caravaggio (um 1495-1543) schon infrühester Jugend die Säcke mit Kalk und Putz für die Freskomaler getragen hat. Es istdennoch sehr wahrscheinlich, dass Caravaggio ein gewisses Talent von seinenVorfahren geerbt hat, wenngleich einige Biographen die Bedeutung eines solchen Erbesgerne bagatellisierten. Wie dem auch immer sei, seine Eltern waren also ehrbareMitglieder der Stadtgemeinschaft. Sein Vater genoss als Verwalter des Marchese einengewissen Schutz, von dem Caravaggio sein Leben lang profitieren sollte.

Im Herzogtum von Mailand brach 1576 die Pest aus, und die Familie MichelangeloMerisis musste aus der Stadt Mailand in die kleine Stadt Caravaggio fliehen, wo derKünstler seine Kindheit verbrachte. Wenige Monate danach verlor er im Alter von sechsJahren seinen Vater.

Sieben Jahre später tritt Caravaggio am 6. April 1584 in Mailand beim Maler SimonePeterzano (um 1540-um 1596) die Lehre an, wo er vier oder fünf Jahre lang fleißig lernte.In dieser Zeit erlaubte er sich schon damals von Zeit zu Zeit ein paar Streiche, die auf seinzur Übertreibung neigendes und leicht erregbares Temperament zurückzuführen waren.

Der kranke Bacchus oder Satyr mitTrauben, um 1593. Öl auf Leinwand,67 x 53 cm. Museo e Galleria Borghese, Rom.

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Knabe mit Fruchtkorb, um 1593. Öl auf Leinwand, 70 x 67 cm. Museo e Galleria Borghese, Rom.

MMaaiillaanndd

Aus der Zeit, in der Caravaggio in der lombardischen Hauptstadt lebte, haben dieMailänder angeblich noch einige frühe Werke von seiner Hand aufbewahrt, die von derForschung mehr oder weniger vernachlässigt wurden und deren Zuschreibungen heuteumstritten sind. Sie waren jedoch sehr wichtig, um mehr über den Künstler zu erfahren,tragen sie doch im Keim einige caravaggeske Besonderheiten. Der zwischen 1511 und1541 wirkende Bergamesker Maler Giovanni Cariani weckte besonders mit seinem eineGruppe auf einer Terrasse darstellenden Gemälde von 1519 und mit einem Lautenspieler,der an ähnliche Motive erinnert, in Caravaggio die Neigung für das monumentale Genre.Diesem Genre maß er auch später noch sehr viel Bedeutung bei – so dass er sich auchschon am Beginn seiner Laufbahn dem Hang zum Grandiosen hingab.

In bestimmten Mailänder Werken erkennt man gut die Hand des Meisters von Michel-angelo Merisi, bei dem, den Quellen nach, der junge Sohn des Handwerkermeistersanschließend in der Lehre war. Es handelt sich um Bernardino Lanini (1511-1578)14,dessen von Gaudenzio Ferraris (um 1475-1546) Stil inspirierter Maniera einwandfreierkennbar ist. Caravaggio schien sich damals ausschließlich für die körperliche Form desMenschen zu interessieren, der sich einfach von einem neutralen Hintergrund abhebt.Das Verhältnis zwischen der Oberfläche des Bildes und der Figur, die es oft beherrscht –selbst wenn man von all den ererbten Modellen absieht – heben eine Besonderheithervor, die immer häufiger vorkommt und die der Maler besonders lieb gewinnen wird.Caravaggio sucht seine Eingebung insbesondere bei Bernardino Butinone (1450-1507)und an dessen Motiv, das an die Heilige Anna im Kreise ihrer Familie erinnert. In vielenseiner Bilder findet man auch die Enge des an die Bilder der alten Mailänder Schuleerinnernden Bildausschnitts wieder, was wiederum beweist, dass der junge Caravaggionur eine begrenzte Anzahl von Quellen zur Verfügung hatte. Dies trieb ihn dazu, sichseinen Weg hin zu der Freiheit zu bahnen, nach der er sich schon als Kind sehnte.

CARAVAGGIOSROMANHAFTES SCHICKSAL

Die ersten Jahre und derAufbruch nach Rom

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Man kann beobachten, dass der junge Künstler sich zwar dem Porträt zuwandte,jedoch gleichzeitig – wie es seine Jugendwerke belegen – eher von der wirklichkeits-nahen Darstellung von Genremotiven angezogen war, deren hoheitlicher Stil ihn bereitsvon seinen Zeitgenossen unterschied. Betrachtet man die Bilder seiner Lehrherren, so istanzunehmen, dass die Ermutigungen eines Gaudenzio Ferrari und seines mailändischenNachfolgers Bernardino Lanini ihn zur Nachahmung antrieben.15 Die in der Kunst derbeiden Letzteren angewandte lebhafte Farbgebung findet sich auch in CaravaggiosJugendwerken wieder, er sollte jedoch vor allem durch diesen ästhetischen Eindruck einebesondere, in seinen späteren Werken sehr wichtige Wirkung auslösen.

Der Künstler legte bei der Gestaltung realistischer Personen bereits sehr früh einegrößere Zurückhaltung an den Tag als die erwähnten Meister, und er ließ eine Beobach-tungsgabe erkennen, wie sie schon auf ähnliche Weise in der Vergangenheit einanderer lombardischer Künstler bewiesen hatte, nämlich Guido Mazzoni (um 1450-1518) mit seinen Tonskulpturen, insbesondere jene von Santa Anna dei Lombardi16. DasHaupt des Nikodemus in der Grablegung in der Galerie im Vatikan weist ebenfallsdarauf hin, dass er die durch ihren Naturalismus so markanten Werke dieses Bildhauersausgiebig studiert hatte. Darüber hinaus war es wahrscheinlich Lanini, der ihm vonVenedig erzählte, wohin sich Caravaggio nach vier oder fünf Jahren in Mailand begab.

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Nach einer solchen Vorbereitung war es folgerichtig, dass er in Venedig von den für denErwerb solcher Grundlagen günstigen Künstlern fasziniert war. Der Ruhm eines Giorgione(1478-1510) und eines kurz zuvor verstorbenen Tizian (um 1477 oder um 1490-1576)strahlte noch; das Talent Paolo Veroneses (1528-1588) fürs Modellieren und die freieFarbgebung des Paris Bordone (um 1500-1578) zogen Caravaggio zwar an, aber vorallem Jacopo Tintoretto (1518-1594) mit seinem künstlerischen Talent faszinierte Merisi.

Der bereits erwähnte Kunsthistoriker Manasse Unger denkt dabei durchaus an Caravaggio,wenn er die Kunst des großen Venezianers in der folgenden Weise charakterisiert:

[…] [so hat es] […] Tintoretto mehr mit dem Kraftmaße der Lebens-wirkungen solcher Eigenschaften zu thun, [mit einer] Lebenswucht imAllgemeinen, die er […] mehr summarisch zusammenfasst, […] alsdie ursächlichen Bedingungen seiner auf diese Art erreichtenWirkung einer nähern Prüfung preis zu geben.“17

„Die Nächte, bedrohli ch und von Blitzen durchzuckt, mit denflammenden Autodafés und dem zum Himmel steigenden Rauchliegen der Wirkung zugrunde, ganze Teile seiner Bilder liegen imHalbdunkel, andere sind auf geisterhafte Art durch grünliche fahleund lebendige Flecken erleuchtet. 18

Jüngling, von einer Eidechse gebissen,1593. Öl auf Leinwand, 65,8 x 52,3 cm.Longhi Sammlung, Florenz.

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Knabe beim Schälen einer Frucht(Kopie), um 1592-1593. Öl auf Leinwand, 75,5 x 64,4 cm. Privatsammlung, Rom.

Die lebhafte Farbgebung in den Werken Gaudenzio Ferraris und seiner Nachfolger,die Caravaggio so fasziniert hatte, verführte ihn ebenso in Tintorettos Gemälden. Daherbemühte er sich in seinem Matthäus-Zyklus für die Kirche San Luigi dei Francesi umsoentschlossener, eine noch tiefere Wirkung zu erreichen. Wenn es bei Tintoretto derGleichklang aller stimulierenden Werte als Ausdruck eines starken Gefühls auf derEbene der Mimik war, was so offensichtlich den Moment der Einheit in seinen Werkenausmachte, so versuchte Caravaggio voller Faszination, ihn sich anzueignen,wenngleich ihn seine Begabung für das Modellieren nie zu der packenden Erzählweiseantrieb, die der venezianische Künstler so bemerkenswert beherrschte.

Man vermutet, dass Caravaggio nach dem Verlassen der lombardischen Hauptstadtgegen 1585 in Venedig, dessen künstlerischer Einfluss entscheidend sein sollte, ankam19.Wenn zwar auch nichts mit Sicherheit seine Ankunft in Venedig belegt, so gibt es doch keinenZweifel darüber, dass der Tod seiner Mutter in diesen Jahren seine Reiseabsichten nurverstärken konnte. Eine von Federigo Zucchero gemachte und von Giovanni Baglione (um1566-1643) überlieferte Bemerkung über Caravaggio weist uns darauf hin, dass insbe-sondere Giorgio Barbarelli, genannt Giorgione, den jungen Künstler aus Bergamo faszinierthat. „Ich kann sie nicht ohne den Einfluss von Giorgione sehen“ sagt der berühmte Manieristder römischen Schule in Bezug auf Caravaggios Gemälde in San Luigi dei Francesi20, eineEinschätzung, die auf die betreffenden Bilder kaum zutreffen kann, erkennt man doch daraufnicht nur mehr den venezianischen Einfluss, sondern bereits den dem Caravaggio eigenen Stil.

In den Künstlerkreisen Roms jedoch glaubte man zu dieser Zeit, dass der lombardischeMaler enge Verbindungen zu Venedig unterhielt. In jener Zeit ging dieser einfühlsameKünstler ganz auf im Zauber der venezianischen Malerei, die damals ihren Höhepunkterreicht hatte. In den Porträts der Künstler, die er bewunderte, hatten diese Maler versucht,ihre Bildinhalte durch deren große Dimensionen auf einem beschränkten Hintergrundbesser zu charakterisieren – man denke besonders an die Männerporträts von Giorgionein Berlin und Braunschweig21 und an das Porträt eines jungen Mannes von FrancescoTorbido (1482-1562) in der Pinakothek in München22. Caravaggio übertrifft sie, indemer ihnen eine Art gigantische Dimension verleiht, die über das verwandte Bestrebenhinausgeht, das man bei Torbido und bei Giorgione findet. Die von den venezianischenMalern vorgezogene Idee der reinen Betrachtung ist damit übertroffen.

Nach Eisenmann ist eine Judith, die sich früher in der Sammlung La Motta in derGegend von Treviso befand, nunmehr jedoch vermutlich in einer englischen Privat-sammlung zu finden ist, ebenfalls in Caravaggios venezianische Periode einzuordnen. DerKunsthistoriker Gustav Friedrich Waagen (1794-1868), obwohl gerade er besonders gutüber die Sammlungen informiert ist, erwähnt dieses Gemälde nicht. Sicher ist aber, dassum 1597/1598 eine Judith und Holofernes gemalt wurde, die sich zur Zeit im PalazzoBarberini in Rom befindet. Nach Baglione soll Caravaggio danach eine Judith für dieSignori Costi in Rom gemalt haben. Es ist nicht bekannt, ob es sich um dieselbe handelt,aber wie dem auch sei, eine andere Judith wurde ein paar Jahre später, 1607, gemaltund befindet sich zur Zeit in Neapel. Es soll sich allerdings um eine Kopie handeln.

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RReeiissee nnaacchh RRoomm

Ein paar Jahre später begibt sich Caravaggio im Alter von etwa zwanzig Jahren nachRom, wo er, zweifellos auf Vermittlung seines bereits in Rom wohnenden Onkels, bei einemHausherrn von bescheidenem Lebenswandel unterkommt, dem ehrwürdigen PandolfoPucci de Recanati, einem Verwandten des Monsignore Pucci, dem Benefiziär der BasilikaSankt Peter in Rom. Aus den Unterlagen des Historikers Wolfgang Kallab (1875-1906)geht hervor, dass er dort bequem lebte, sich jedoch über bestimmte Aspekte deshäuslichen Lebens beklagte, insbesondere über die Mahlzeiten, zu denen er Salat undEndivien als Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch serviert bekam. Teilweise deshalbverließ er nach einigen Monaten das Haus Pandolfo Puccis, den er mit dem Spottnamen„Monsignore Insalata“ belegte. Aus der Lektüre der Dokumente geht auch hervor, dass derGastgeber bei dem jungen Schaffenden einige Bilder zu religiösen Themen bestellte, dieer seiner Geburtsstadt zudachte. In dieser Zeit wurde Caravaggio krank, und da er überkeinerlei Zahlungsmittel verfügte, wurde er im Hospital de la Consolazione aufgenommen,wo er im Verlauf seiner Genesungszeit zahlreiche Bilder für den Prior malte.

Die in der Lagunenstadt gemachten Erfahrungen hatten auf Caravaggio einen solchenEinfluss, dass er noch in Rom die Erhabenheit des Stils der venezianischen Meister beibe-hielt. Caravaggio wurde 1593 in dem gut gehenden Atelier des Malers Giuseppe Cesarid’Arpino, genannt Cavalier d’Arpin (1568-1640), aufgenommen, und darin lagen derZweck und die Wirkung seiner Lehrjahre in dessen Atelier. In seinem Werk bestätigt unsBaglione, dass „er für einige Monate bei dem Cavalier Giuseppe d’Arpino blieb.“23

Caravaggio wandte sich gezielt an ihn, um in die künstlerischen Kreise in der EwigenStadt Zugang zu finden. Der Cavalier d’Arpin hinterließ Fresken in La Trinità de’ Monti, inder Kapelle des Palazzo di Monte Cavallo – und sein bestes Werk – in der KapelleOlgiati San Prassede. Was die Contarelli-Kapelle in San Luigi dei Francesi betrifft, wo erdie Arbeiten begonnen hatte, so sollte er in Caravaggio seinen Nachfolger finden24.

Sein Meister war selbst die meiste Zeit damit beschäftigt, Fresken auszuführen undversuchte, seinem Schüler diese vergleichbar weniger großartige Seite der römischen Kunstzu vermitteln, aufgrund derer Caravaggio seine Ausdrucksmöglichkeiten erweitern undvertiefen sollte. Caravaggios Werke zeigen in der Tat, dass er für die Ratschläge dererwähnten und für die Werke anderer einen oft heterogenen Stil anwendenden Künstler nichttaub war. So studierte er einerseits ernsthaft die Kunst der Antike und imitierte Michelangelo,andererseits bediente er sich eines Reklameschilds für einen Parfümhändler, das sein FreundAngelo Franciabigio (1482/1483-1525) entworfen hatte, um damit die Genremalerei25

weiter zu entwickeln, wie wir es bei der Wahrsagerin (Abb. S. 30, 31) sehen können.Dennoch hatte der Cavalier d’Arpin mit seinem eher allgemeinen Stil außer einem

Hang für das Grandiose dem aus dem Norden des Landes gekommenen Malerpraktisch nichts zu vermitteln. Dennoch galt Giuseppe Cesari damals als einer dereinflussreichsten Künstler in Rom. Auch hier kann man sich vorstellen, dass ein Gönner,wer auch immer das gewesen sein mag, Caravaggio eine Empfehlung ausgestellt hatte,

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Ekstase des Heiligen Franziskus, 1594.Öl auf Leinwand, 92,5 x 128 cm.Wadsworth Atheneum Museum of Art,Hartford (Connecticut).

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Die Falschspieler, um 1595. Öl auf Leinwand, 94,2 x 130,9 cm. Kimbell Art Museum, Fort Worth.

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Die Musikanten, um 1595. Öl auf Leinwand, 92 x 118,5 cm. The Metropolitan Museum of Art,New York.