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Kolumne vom 29. Dezember 2004 Baustelle Schweiz von Martin Zenhäusern ([email protected]) Anfang 2004 habe ich an dieser Stelle zwölf Vorsätze für die Schweizer Wirtschaft und Politik formuliert. Einige Vorsätze können nicht beurteilt werden, weil das Prozedere noch läuft. Bei den anderen jedoch eine Probe aufs Exempel: Was ist eingetreten, wo lag ich falsch? Vorsatz 2: Der Bundesrat bringt nur noch Vorlagen vors Volk, die er selber versteht. Ergebnis: Nur teilweise erfüllt. 3: Die Schweizer Wirtschaft wächst wieder, und zwar nicht am Bauch. Ergebnis: Es ist ein zartes Pflänzchen, das da blüht. Es genügt schon ein schwacher Windstoss, um es umzublasen. 4: Das Parlament führt keine Debatten mehr durch, bei denen über die Verteilung des Geldes gesprochen wird, das noch nicht verdient wurde. Ergebnis: Weit gefehlt. Das nicht verdiente Geld wird weiterhin mit vollen Händen ausgegeben. Warum dann der erstaunte Blick, wenn die Kassen plötzlich leer sind? 6: Architekten können gezwungen werden, selber in den Häusern wohnen zu müssen, die sie gebaut haben. Ergebnis: Schön wär’s! 7: Das Gesetz über die Mehrwertsteuer im Umfang von 2383 Seiten (kein Witz!) wird auf zehn Prozent seines Umfangs gestutzt. Ergebnis: Total gescheitert. Es sind wieder Tonnen von Paragraphen produziert worden in verschiedensten Bereichen, für die es Heerscharen von Spezialisten braucht, um sie der Allgemeinheit verständlich zu machen. 11: Die Demokraten nehmen sich vor, George W. Bush aus dem Amt zu jagen. Ergebnis: Bekannt. Wie soll man einen Herausforderer wählen, der zu jedem Thema in bester Tradition einer Schweizer Partei laviert, die auch als Slalom-Partei bezeichnet wird? Was heisst dies bezogen auf den Zustand der Schweiz? Sie hat immer noch viele Baustellen, und es sind weitere dazu gekommen. Einige Beispiele: Das VBS verteilt jetzt den Fluglärm nach dem Giesskannenprinzip auf die ganze Schweiz. Auch die Innerschweizer sollen etwas davon haben, nicht nur die Zürcher, Berner, Basler und Tessiner. Die Schweiz ist am Tisch der europäischen Grossfamilie weiterhin das manchmal geduldete, manchmal verpönte Nachbarskind, für das häufig nur noch Brosamen abfallen. An die fetten Tröge lässt man sie nicht. Die Politik diskutiert immer noch heftig, während die Wirtschaft bereits Tatsachen geschaffen hat. Der gepflegte „Aneinander-vorbei-Dialog“ hat weiterhin Hochkonjunktur. Was ist also zu tun? Dazu folgen im Januar einige Denkanstösse.

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Vorsatz 2: Der Bundesrat bringt nur noch Vorlagen vors Volk, die er selber versteht. Ergebnis: Nur teilweise erfüllt. 6: Architekten können gezwungen werden, selber in den Häusern wohnen zu müssen, die sie gebaut haben. Ergebnis: Schön wär’s! Die Schweiz ist am Tisch der europäischen Grossfamilie weiterhin das manchmal geduldete, manchmal verpönte Nachbarskind, für das häufig nur noch Brosamen abfallen. An die fetten Tröge lässt man sie nicht.

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Kolumne vom 29. Dezember 2004

Baustelle Schweiz von Martin Zenhäusern ([email protected])

Anfang 2004 habe ich an dieser Stelle zwölf Vorsätze für die Schweizer Wirtschaft und Politik formuliert. Einige Vorsätze können nicht beurteilt werden, weil das Prozedere noch läuft. Bei den anderen jedoch eine Probe aufs Exempel: Was ist eingetreten, wo lag ich falsch? Vorsatz 2: Der Bundesrat bringt nur noch Vorlagen vors Volk, die er selber versteht. Ergebnis: Nur teilweise erfüllt. 3: Die Schweizer Wirtschaft wächst wieder, und zwar nicht am Bauch. Ergebnis: Es ist ein zartes Pflänzchen, das da blüht. Es genügt schon ein schwacher Windstoss, um es umzublasen. 4: Das Parlament führt keine Debatten mehr durch, bei denen über die Verteilung des Geldes gesprochen wird, das noch nicht verdient wurde. Ergebnis: Weit gefehlt. Das nicht verdiente Geld wird weiterhin mit vollen Händen ausgegeben. Warum dann der erstaunte Blick, wenn die Kassen plötzlich leer sind? 6: Architekten können gezwungen werden, selber in den Häusern wohnen zu müssen, die sie gebaut haben. Ergebnis: Schön wär’s! 7: Das Gesetz über die Mehrwertsteuer im Umfang von 2383 Seiten (kein Witz!) wird auf zehn Prozent seines Umfangs gestutzt. Ergebnis: Total gescheitert. Es sind wieder Tonnen von Paragraphen produziert worden in verschiedensten Bereichen, für die es Heerscharen von Spezialisten braucht, um sie der Allgemeinheit verständlich zu machen. 11: Die Demokraten nehmen sich vor, George W. Bush aus dem Amt zu jagen. Ergebnis: Bekannt. Wie soll man einen Herausforderer wählen, der zu jedem Thema in bester Tradition einer Schweizer Partei laviert, die auch als Slalom-Partei bezeichnet wird? Was heisst dies bezogen auf den Zustand der Schweiz? Sie hat immer noch viele Baustellen, und es sind weitere dazu gekommen. Einige Beispiele: Das VBS verteilt jetzt den Fluglärm nach dem Giesskannenprinzip auf die ganze Schweiz. Auch die Innerschweizer sollen etwas davon haben, nicht nur die Zürcher, Berner, Basler und Tessiner. Die Schweiz ist am Tisch der europäischen Grossfamilie weiterhin das manchmal geduldete, manchmal verpönte Nachbarskind, für das häufig nur noch Brosamen abfallen. An die fetten Tröge lässt man sie nicht. Die Politik diskutiert immer noch heftig, während die Wirtschaft bereits Tatsachen geschaffen hat. Der gepflegte „Aneinander-vorbei-Dialog“ hat weiterhin Hochkonjunktur. Was ist also zu tun? Dazu folgen im Januar einige Denkanstösse.

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Noch etwas: „Geburtstag: die zweite Chance, nach Silvester, gute Vorsätze in die Tat umzusetzen,“ hat Gerhard Uhlenbruck gesagt. Wir wissen ja, wie’s kommt.