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Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen Deutsches Institut für Erwachsenenbildung BESTANDSAUFNAHME PERSONALGEWINNUNG UND QUALIFIZIERUNG IN NORDRHEIN-WESTFALEN MigA Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege Jens Friebe Deutsches Institut für Erwachsenenbildung German Institute for Adult Education

Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

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Page 1: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

Ministeriumfür Arbeit, Gesundheitund Soziales desLandes Nordrhein-Westfalen

Diese Publikation ist eine „Handreichung“ für Bildung Praxis in der Altenpflege. Sie ist im

Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege“ des

Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) entstanden und beinhaltet eine

Bestandsaufnahme über die Situation von Pflegekräften mit Migrationshintergrund in der

Altenpflege Nordrhein-Westfalens sowie entsprechende Qualifizierungsangebote und

Empfehlungen für die interkulturelle Bildungsarbeit.

Deutsches Institutfür Erwachsenenbildung

BESTANDSAUFNAHME

PERSONALGEWINNUNG

UND QUALIFIZIERUNG

IN NORDRHEIN-WESTFALEN

Mig

A

Migrantinnenund Migrantenin derAltenpflege

Jens Friebe

Deutsches Institut fürErwachsenenbildung

German Institute

for Adult Education

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Eine Handreichung für Bildungund Praxis in der Altenpflege

Ministeriumfür Arbeit, Gesundheitund Soziales desLandes Nordrhein-WestfalenDIE

Migrantinnenund Migrantenin derAltenpflege

BESTANDSAUFNAHME,PERSONALGEWINNUNG UNDQUALIFIZIERUNGENIN NORDRHEIN-WESTFALEN

Autor:Jens Friebe,Deutsches Institut für Erwachsenenbildung

Mitarbeit:Heidi Stier, Hans Küpper

Deutsches Institut fürErwachsenenbildung

German Institutefor Adult Education

Gefördert vom

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Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung

(DIE) ist eine Einrichtung der Leibniz-

Gemeinschaft und wird von Bund und Ländern

gemeinsam gefördert.

Das DIE vermittelt zwischen Wissenschaft und

Praxis der Erwachsenenbildung und unterstützt

sie durch Serviceleistungen.

Das dieser Publikation zugrunde liegende

Entwicklungsprojekt wurden mit Mitteln des

Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales

des Landes Nordrhein-Westfalen und Mitteln des

DIE gefördert.

© 2006 Deutsches Institut für Erwachsenenbildung

Friedrich-Ebert-Allee 38, 53113 Bonn

Satz, Grafiken, Umschlag:

Grafisches Büro Horst Engels, Bad Vilbel

Druck: LokayDruck, Reinheim

Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

Bestandsaufnahme, Personalgewinnung und

Qualifizierungen in Nordrhein-Westfalen

Eine Handreichung für Bildung und Praxis

in der Altenpflege

Dr. Jens Friebe (DIE)

Bonn 2006

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ...................................................................................................................................................... 5

Teil 1: Demografischer Wandel und Qualifikationsstrukturen derMitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund in Altenpflegeeinrichtungen

1.1. Potentiale entwickeln ..................................................................................................................... 71.2. Ausgangslage: Alternde Gesellschaft in Deutschland ................................................................... 81.3. Demografischer Wandel und Zuwanderung in Nordrhein-Westfalen ............................................. 91.4. Pflegende mit Migrationshintergrund ........................................................................................... 101.5. Qualifizierungsbedarf der Beschäftigten mit Migrationshintergrund ............................................. 111.6. Zielsetzungen der Qualifizierungsangebote ................................................................................ 121.7. Herkunftsgruppen und Zielgruppen ............................................................................................. 131.8. Pflegebedürftigkeit und Personalbedarf ....................................................................................... 14

Teil 2: Ressourcen und Probleme der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitermit Migrationshintergrund

2.1. Von der Defizitorientierung zur differenzierten Haltung ............................................................... 172.2. Sprache in der Pflegepraxis ......................................................................................................... 182.3. Deutschkenntnisse der Pflegenden mit Migrationshintergrund ................................................... 18

Teil 3: Qualifizierungen für Pflegende mit Migrationshintergrund

3.1. Pflegewissen und Fachsprache ................................................................................................... 233.2. Handreichung für Trainerinnen/Trainer und Lehrerinnen/Lehrer ................................................. 243.3. Fortbildungsmodul 1 .................................................................................................................... 253.4. Fortbildungsmodul 2 (Hans Küpper) ............................................................................................ 293.5. Fortbildungsmodul 3 (Heidi Stier) ................................................................................................ 343.6. Fortbildungsmodul 4 .................................................................................................................... 383.7. Aufbauende Fortbildungsmodule ................................................................................................. 44

Teil 4: Konzepte für Personalgewinnung und Organisationsentwicklung

4.1. Personalbedarf und Personalgewinnung ..................................................................................... 514.2. Interkulturelle Kompetenz von Pflegekräften mit Migrationshintergrund ..................................... 514.3. Interkulturelle Öffnung und Personalförderung ............................................................................ 544.4. Bausteine eines betrieblichen Qualifizierungskonzepts ............................................................... 55

Literatur ................................................................................................................................................... 57

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4

.

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5

Die deutsche Gesellschaft ist stark von Zuwande-rung geprägt, was durch die Diskussion um Integra-tionskonzepte in den letzten Jahren stärker in dasöffentliche Bewusstsein geraten ist. Zuwanderer ausvielen Länder der Welt und Ihre Nachkommen – inder Wissenschaft zumeist als Menschen mit Migrati-onshintergrund bezeichnet – bringen ihre Erfahrun-gen in den Beruf und in unseren Lebensalltag ein.Als Adressaten für die Weiterbildung sind Beschäf-tigte mit Migrationshintergrund bisher wenig in Er-scheinung getreten. Nach Angaben des Berichtssys-tems Weiterbildung der Bundesregierung (Kuwan/Thebis 2005, S. 42) nehmen deutsche Mitarbeiterdie Weiterbildung etwa doppelt so oft in Anspruchwie Mitarbeiter mit Migrationshintergrund. Da aberinsgesamt die Weiterbildungsbeteiligung von Arbeit-nehmer/innen in Deutschland im Vergleich zu ande-ren europäischen Ländern gering ist, stimmen dieseDaten nachdenklich.

Migrantinnen und Migranten arbeiten inzwischen anvielen Arbeitsplätzen mit hohen Professionalitätsan-sprüchen. Die Altenpflege gehört zu einem Berufs-feld, dass durch hohe Beziehungsanteile zum Klien-

ten und durch personenbezogene Dienstleistungencharakterisiert ist. Ein komplexes Anforderungspro-fil schafft hier einen Bedarf an differenzierten Quali-fizierungsangeboten. Die Beschäftigten mit Migrati-onshintergrund stellen nach der Bestandsaufnahmedes Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung imProjekt „Migrant/innen in der Altenpflege“ fast einDrittel der Mitarbeiter/innen in stationären Altenhilfe-einrichtungen. Für diese Gruppe der Pflegemitarbei-ter ergibt sich ein spezieller Qualifizierungsbedarf,der sich sowohl auf sprachliche, als auch auf pflege-fachliche Bildung bezieht.

Der vorliegende Text ist als Handreichung für dieTräger der Altenhilfeeinrichtungen, den Weiterbil-dungsstätten und Seminarleitungen konzipiert. Ervermittelt Hintergründe zu den Qualifizierungsanfor-derungen und präsentiert neue Fortbildungskonzep-te. Diese sollen einen Beitrag zur verbesserten be-ruflichen Integration von Pflegekräften mit Migrati-onshintergrund, zur Weiterentwicklung der interkul-turellen Arbeit und damit zur Professionalität in derPflege leisten.

Susanne KraftDeutsches Institut für Erwachsenenbildung

Vorwort

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Die vorliegende Handreichung zur Situation undQualifizierung von Pflegekräften mit Migrationshin-tergrund in der Altenhilfe NRWs basiert auf den Er-gebnissen des Forschungs- und Entwicklungspro-jekts „Migrantinnen und Migranten in der Altenpfle-ge“ (MigA) des Deutschen Instituts für Erwachsenen-bildung (DIE). Das Ministerium für Arbeit, Gesund-heit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalenhat im Jahre 2003 die Initiative zu diesem Projektergriffen und anschließend den größten Finanzie-rungsanteil geleistet. Damit hat die LandesregierungNRW als erste die Situationen von Pflegekräften mitMigrationshintergrund untersuchen und Qualifizie-rungsmaßnahmen entwickeln lassen. Dafür ist ihr inbesondere Weise zu danken.

Im Laufe der Bestandsaufnahme zur Situation vonMigrant/innen in der Altenpflege haben 96 stationä-re Einrichtungen und 16 ambulante PflegediensteDaten für die vorgelegte Studie geliefert. Es habenEinrichtungen aus der freien Wohlfahrtspflege, ausden Kommunen sowie private Träger mitgewirkt. DieBefragungen waren für die Einrichtungen mit Auf-wand verbunden und daher gilt auch Ihnen unserbesonderer Dank.

Die anschließenden Erprobungen könnten an fünfStandorten in NRW durchgeführt werden. Wir bedan-

ken uns bei der Diakonie in Düsseldorf, beim Cari-tasverband Rhein-Sieg, bei den Städtischen Senio-renheimen Dortmund, beim Diakoniewerk Ruhr Bo-chum/Witten und bei der Sozialholding in Mönchen-gladbach für die gute Zusammenarbeit.

Während der gesamten Laufzeit des Projektes stan-den die Mitglieder des Projektbeirates beratend zurSeite. Es waren dies: D. Baric-Büdel (AWO Bundes-verband, Bonn), H. Buchholz (AWO BezirksverbandNiederrhein, Essen), R. Krause (DRK Landesver-band Nordrhein, Duisburg), M. Luig (Städtische Se-niorenheime gGmbH, Dortmund), B. Neuhöfer undM. Wiggermann (Caritasverband des ErzbistumsKöln e.V.), R. Öztürker (DAAG e.V., Bonn), Dr. N.Ralic (Diakonie Düsseldorf), Dr. W. Rückert (Kurato-rium Deutsche Altershilfe, Köln), Dr. W. Schmidt (For-schungsgesellschaft für Gerontologie e.V., Dort-mund), Prof. Dr. W. Schnepp (Universität Witten/Herdecke).

Schließlich gilt unser Dank den Dozentinnen undDozenten, die Fortbildungsveranstaltungen durchge-führt haben sowie unseren studentischen Mitarbei-ter/innen und unseren Kolleg/innen, die an der Rea-lisierung mitgewirkt haben.

Deutsches Institut für Erwachsenenbildung,November 2006

Danksagung

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1.1. Potentiale entwickeln

In der deutschen Altenpflege arbeiten zahlreicheMenschen mit Migrationshintergrund, die zunächstnur ein gemeinsames Merkmal aufweisen: Sie selbstoder ihre Eltern haben nicht ihr ganzes Leben inDeutschland verbracht und sie haben außer Deutschnoch eine weitere Sprache praktiziert. Man könntepositiv formulieren, sie haben Erfahrungen, die denmeisten deutschen Pflegemitarbeiterinnen und -mit-arbeitern fehlen und die mit dem Begriff „Migration“verbunden sind. Der Duden erklärt die Migration alsbiologischen oder soziologischen Begriff für „Wan-derung“. Die Wanderung in andere Kulturen undLänder galt lange als bereichernde Erfahrung, seies für den Dichter oder Philosophen, den wandern-den Handwerksgesellen oder für junge Leute, dieeinen Schul-, Studien- oder Arbeitsaufenthalt im Aus-land absolvierten. Allerdings fehlt bei zahlreichenEinwanderern in unsere deutsche Gesellschaft die-se spontane positive Zuschreibung und sie wird durcheine eher ambivalente Haltung ersetzt. Einerseitswird die Leistung der Einwanderer für die Wirtschaftin Produktion und Dienstleistung anerkannt, dochandererseits bleiben sie die „Fremden“, deren Le-bensstile verunsichern und die am Wohlstand derdeutschen Gesellschaft teilhaben wollen.

Nicht anders in der Altenpflege: Wir wissen, dass vie-le Menschen mit Migrationshintergrund – und zu 90%sind es Frauen - in der Altenpflege körperlich undzwischenmenschlich harte Arbeit leisten, ohne dieunser Versorgungssystem nicht existieren könnte.Doch die gesellschaftliche Anerkennung dieser Ar-beit ist nicht sehr hoch und das Bild einer „Pflege-kraft mit Migrationshintergrund“ wird schnell mit ne-gativen Zuschreibungen und Vorurteilen verbunden.Im Vergleich der Fähigkeiten oder Kompetenzendeutscher und nichtdeutscher Pflegekräfte sind dieDefizite letzterer schnell markiert: Sie sprechenschlecht Deutsch und wissen zu wenig über unsereKultur bzw. über das deutsche Pflegesystem. Und inder Tat existiert in diesen Bereichen Fortbildungsbe-darf, den wir aber teilweise auch bei deutschen Mit-arbeiterinnen und Mitarbeitern finden. Es ist daherwenig hilfreich, die Fähigkeiten und Arbeitsleistun-gen deutscher und nichtdeutscher Mitarbeiterinnen

und Mitarbeiter hierarchisch zu bewerten – wer machtes besser? – sondern wir sollten voneinander ler-nen und gemeinsam nach neuen Lösungen in ei-nem schwierigen Arbeitsfeld suchen.

Definition:„Migration ist der auf Dauer angelegte bzw. dau-erhaft werdende Wechsel in andere Gesellschaf-ten bzw. andere Regionen von einzelnen odermehreren Menschen“ (Treibel 1999, S. 21). Die-ser Definitionsansatz integriert ein breites Spek-trum von Einwander/innen, deren Motive zur Mi-gration in der Familienzusammenführung, derArbeitssuche, der politischen oder persönlichenSituation liegen mögen. Mit der Migration wer-den u.a. Sprachen, Sozialisationserfahrungen,Religionen und kulturelle Faktoren transportiert,die soziales und berufliches Handeln beeinflus-sen können.

In diesem Kontext ist das Projekt „Migrantinnen undMigranten in der Altenpflege“ (MigA) entstanden, daszunächst in einer Bestandsaufnahme Daten zur Si-tuation von Pflegekräften mit Migrationshintergrundzusammengestellt und ausgewertet hat, um dann aufdieser Grundlage Qualifizierungskonzepte zu entwi-ckeln, die in der Lage sind, Strategien der Personal-förderung und –gewinnung zu unterstützen. DieserText wird zunächst Informationen zur Situation vonPflegekräften in der Altenpflege liefern und anschlie-ßend die Qualifizierungskonzepte vorstellen.

Vor der Konzeptentwicklung von geeigneten Qualifi-zierungsangeboten lag die Prüfung der zugrunde lie-genden „Haltung“. Betrachten wir Migration prinzipi-ell als Quelle besonderer Erfahrungen, sehen wir dieRessourcen der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters, dieaus einem anderen Land zu uns gekommen sind undwollen wir in einen interkulturellen Dialog treten, dervon gegenseitiger Anerkennung, Offenheit und Ori-entierung an den Interessen unserer Klientinnen undKlienten geprägt ist?

Diese Fragen lassen sich nicht einfach bejahen, dennsie enthalten viel mehr Schwierigkeiten als wir den-ken (vgl. Friebe/Zalucki 2003, S. 146). Wir solltendaher die aufgeführten Punkte eher als Prüfkriterien

Teil 1: Demografischer Wandel und Qualifikations-strukturen der Mitarbeiter/innen in Altenpflege-einrichtungen

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für unser Handeln im Gedächtnis behalten, die zurregelmäßigen Kontrolle unserer Ziele und Maßnah-men geeignet sind. Dieser Text plädiert für eine dif-ferenzierte Wahrnehmung der Potentiale von Mig-rantinnen und Migranten, um vorhandene Chancenzu erkennen und notwendige Hilfen zur Verfügungzu stellen (vgl. BMFSFJ 2005, S. 391). In diesemSinne wird der folgende Text Beispiele für die Poten-tiale und Kompetenzen von Mitarbeiter/innen mitMigrationshintergrund in der Altenpflege benennenund gleichzeitig den speziellen Bildungsbedarf auf-zeigen. Damit sollen Voraussetzungen für die För-derung der beruflichen Integration und für das quali-tativ verbesserte Handeln in Beruf und Alltag geschaf-fen werden.

1.2. Ausgangslage: Alternde Gesell-schaft in Deutschland

Die Altenpflege bekommt in Deutschland aufgrunddemografischer Entwicklungen eine immer stärkereBedeutung. Sowohl die familiäre oder ehrenamtlicheUnterstützung, als auch die professionellen Dienst-leistungen werden in der Zukunft immer mehr ex-pandieren. Arbeitnehmer/innen mit Migrationshinter-grund haben schon heute einen erheblichen Anteilan der Versorgung der immer zahlreicher werden-den älteren Menschen und werden auch in der Zu-kunft gebraucht.

Die demografische Alterung in Deutschland schrei-tet fort und dieser Trend wird in den nächsten zweiJahrzehnten an Dynamik gewinnen (vgl. BiB, Bun-desinstitut für Bevölkerungsforschung, 2004). Immermehr Menschen erreichen durch verbesserte Le-bensbedingungen ein hohes Alter. Die durchschnitt-liche Lebenserwartung liegt heute bei 80,4 Jahrenfür Frauen und bei 73,5 Jahren für Männer (BiB 2004S. 42). Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familiestagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau (Gebur-tenrate 1,4 - BiB 2004, S. 61). Prognosen lassen er-warten, dass 2050 bei zurückgehender Einwohner-zahl in Deutschland mehr als ein Drittel der Men-schen über 60 Jahre alt sein wird. Es wird dann vor-aussichtlich mehr als 9 Millionen Menschen über 80Jahre bei uns geben. Die demografischen Entwick-lungen werden häufig auf die Kurzformel gebracht,„wir werden weniger, älter und bunter“.

Für die Altenhilfe sind Verschiebungen im Aufbau derdeutschen Gesellschaft von großer Bedeutung, diedurch die unterschiedliche Stärke der Altersgruppenentstehen. Die gesellschaftliche Alterung wird sich

in den nächsten Jahren1 beschleunigen, da ab 2015geburtenstarke Jahrgänge der 1950er und 60er Jahredas Rentenalter erreichen, gefolgt von Altersgrup-pen mit Geburtenrückgang der Jahre 1965 bis 1975.Für die mittlere Generation im Alter von 20 bis 64Jahren, die hohe Potentiale für die Erwerbstätigkeithat, ergeben sich folgende Auswirkungen: Auf 100Personen der mittleren Generation kamen 1950 noch50,8 jüngere Menschen im Alter unter 20, im Jahr2000 noch 34 und 2050 voraussichtlich nur noch 30Personen (Jugendquotient, BiB 2004, S. 58). Dage-gen steigt der Anteil der 65-Jährigen und Älteren imVerhältnis zur mittleren Generation. 1950 kamennoch 16,2 Personen, im Jahr 2000 26,8 Personenund 2050 voraussichtlich schon 54,4 Personen aufje 100 Menschen im Alter zwischen 20 und 64 Jah-ren (Altenquotient, ebenda, S. 58).

Deutlicher zeigen sich die Veränderungen noch beider Analyse des „potentiellen und intergenerationa-len Unterstützungskoeffizienten“ (BIB 2004, S. 59).Im Jahr 2000 kamen auf eine Person über 65 Jahrenoch 3,7 Personen zwischen 20 und 64 Jahren, vo-raussichtlich werden es 2050 nur noch 1,8 Perso-nen sein. Intergenerational wird die Altersgruppe der50 bis 64-Jährigen mit der Gruppe der über 80-Jäh-rigen verglichen. Auf 100 Personen der ersten Al-tersgruppe kamen 2000 noch 19,8 Menschen im Al-ter von 80 Jahren und mehr. 2050 werden den 100„jüngeren Alten“ ca. 60 Hochbetagte gegenüber ste-hen. Diese Relation hat große Auswirkungen aufUnterstützungs- und Pflegeleistungen zwischen denGenerationen. Die sozialen Sicherungssysteme wer-den diesen Entwicklungen angepasst werden müs-sen, da für Unterstützung und Pflege zukünftig immerweniger Personen im erwerbsfähigen Alter zur Ver-fügung stehen werden.

1 Die angegebenen Trends beruhen auf der „10. koordiniertenBevölkerungsvorausberechnung“ des Statistischen Bundes-amtes (BiB 2004, S. 61). Die Prognosen zeigen zukünftigeEntwicklungen unter Berücksichtigung aktueller Annahmen zurGeburtenentwicklung, Mortalität, Migration.

Alten- und Unterstützungsquotientenin der Bundesrepublik Deutschland 1950-2050

Datenquelle: Statistisches Bundesamt, 10. koordinierte Bevölke-rungsvorausberechnung, Berechnungen BiB 2004, S. 59

Jahr

1950

2000

2050

Alten-quotient

16,2

26,8

54,4

PotenziellerUnterstützungs-

koeffizient

6,2

3,7

1,8

IntergenerationalerUnterstützungs-

koeffizient

5,7

19,8

60,3

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Im demografischen Wandel spielt auch die Zuwan-derung eine wichtige Rolle, weil sie den Bevölke-rungsrückgang und die Alterung in Deutschland zwarnicht verhindern, möglicherweise aber etwas abmil-dern kann. Das statistische Bundesamt hat im Jahr2005 erstmalig den Bevölkerungsanteil der Einwoh-ner Deutschlands mit Migrationshintergrund berech-net. Fast ein Fünftel der Bevölkerung hat einen Mig-rationshintergrund, so lautete das Ergebnis der Da-tenauswertung (Statistisches Bundesamt 2006 a),und damit ist Deutschland weit stärker durch Zuwan-derung geprägt, als dies die Zahlen über Ausländer-anteile wiedergaben.

Berechnungen für die Bevölkerung mit und ohneMigrationshintergrund nach Mikrozensus 2005(Statistisches Bundesamt 2006a, S. 73 ff): Deut-sche ohne Migrationshintergrund sind diejenigen,die nie eine andere Staatsangehörigkeit beses-sen haben und deren Eltern auch keinen Migra-tionshintergrund haben. Das statistische Bundes-amt rechnet zu den Personen mit Migrationshin-tergrund alle Ausländer/innen, Deutsche, die alsSpätaussiedler/innen zugewandert sind, einge-bürgerte Ausländer/innen und deren Nachkom-men. Danach gibt es in Deutschland 67,1 Millio-nen Menschen (81%) ohne Migrationshinter-grund und 15,3 Millionen Menschen (19%) mitMigrationshintergrund (Statistisches Bundesamt2006a, S. 73).

Betrachtet man die Altersverteilung der Bevölkerungmit Migrationshintergrund, so zeigen sich weitereinteressante Aspekte. So stellen bei der deutschenBevölkerung ohne Migrationshintergrund die 40-Jäh-rigen das am stärksten besetzte Geburtsjahr, wäh-rend es bei denjenigen mit Migrationshintergrundeine nahezu konstante Verteilung bis zum 40. Le-bensjahr gibt. „Der Rückgang der Bevölkerung voll-zieht sich ausschließlich bei den Deutschen ohneMigrationshintergrund“ (Statistisches Bundesamt2006a, S. 79).

1.3. Demografischer Wandel und Zu-wanderung in Nordrhein-Westfalen

In NRW lebten 2004 gut 18 Millionen Menschen (LDSNRW 2004 S. 20). Etwa 3,5 Millionen Menschenwaren über 65 Jahre alt (ebenda S.23). Heute liegtder Anteil der über 60-Jährigen in NRW bei 24 Pro-zent, wird aber in den nächsten drei Jahrzehnten auf33 Prozent anwachsen (Interministerielle Arbeits-gruppe 2005, S. 5).

Von den Einwohner/innen NRWs waren im gleichenJahr 1.926.600 Ausländerinnen und Ausländer; da-mit jede/r neunte Einwohner/in (10,7 Prozent) nichtim Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit. Diegrößte Nationalitätengruppe bildeten mit 627.000Türkinnen und Türken; weitere 483.200 Einwohnerstammten aus einem der EU-Staaten (ebenda S. 22).1976 lag der Ausländeranteil noch bei 6,9 Prozent,2015 wird er voraussichtlich auf 13 Prozent steigen(MGSFF 2002).

Diese Daten berücksichtigen nur den „nichtdeut-schen“ Teil der Bevölkerung NRWs und geben da-mit keinen Überblick über Spätaussiedler/innen odereingebürgerte Personen. Das Landesamt für Daten-verarbeitung und Statistik hat den Mikrozensus 2005unter der Frage des Bevölkerungsanteils mit Migra-tionshintergrund neu ausgewertet. Danach leben inNRW im Einzelnen (www.lds.nrw.de, 2006):

• 1,96 Millionen Menschen mit ausländischerStaatsangehörigkeit

• 2,46 Millionen Menschen, die seit 1950 von au-ßerhalb der Bundesrepublik zugewandert sind(Aussiedler/innen, Eingebürgerte)

• 2,26 Millionen Menschen mit mindestens einemaus dem Ausland zugewanderten Elternteil

Insgesamt errechnet sich so für die Einwohnerinnenund Einwohner NRWs mit Migrationshintergrund einBevölkerungsanteil von 22,9%.2

Bei der ausländischen Bevölkerung waren Anfang2002 in NRW etwa 9,3 Prozent über 60 Jahre alt(LDS, Statistischer Jahresbericht 2002). Im Bundes-

Jahr 2000 2002 2004

Insgesamt 18.009.865 18.076.355 18.075.352

Deutsche 16.011.711 16.096.568 16.130.796

Nicht-deutsche 1.998.154 1.979.787 1.944.556

Nicht-deutschein Prozent 11,1 % 10,9 % 10,8 %

Deutsche und nichtdeutsche Bevölkerung inNRW (www.lds.nrw.de, 2006-08-10)

2 Die Stadt Köln hat in ihrer Statistik erstmalig die Kategorie„Einwohner mit Migrationshintergrund bzw. ausländischerHerkunft“ eingeführt. Wurde 2003 die ausländische Bevölke-rung mit 17,8% angegeben, so ergab die neue Zählweise ei-nen Anteil von 25,2% Bevölkerung mit Migrationshintergrund.(MGSFF 2004, S. 28).

Page 12: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

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gebiet ist die Zahl älterer Ausländer und Auslände-rinnen über 64 Jahre in den Jahren 1997 bis 2002von etwa 275.000 auf ca. 420.000 Menschen ange-wachsen (BMFSFJ 2005). Unterstellt man, dass äl-tere Zuwanderinnen und Zuwanderer, wie auch beider deutschen Bevölkerung, zukünftig einen Anteilvon mehr als 20 Prozent erreichen, so wird klar, wel-che Bedeutung der Migrationsfaktor in der Altenhilfeerhält.

„Für NRW wird eine Steigerung von derzeit 80.000ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern imAlter von über 60 Jahren auf 250.000 im Jahre 2010erwartet“ (Landtag NRW 2005, S.94).

Welche Bedeutung hat die zunehmende Zahl

älterer Menschen mit Migrationshintergrund für

die Altenpflege?

Die Pflege von älteren Migrantinnen und Migrantenorientiert sich zwar im Wesentlichen an den Quali-tätsansprüchen, die für deutsche Pflegebedürftigegelten, doch bestehen zwei wesentliche „Fallen“ oder„Stolpersteine“ für eine individuelle Pflege: die Kul-turfalle und die Gleichbehandlungsfalle (vgl. Ertl,2003).

• Kulturfalle meint, dass wir pflegefachlicheProbleme – z.B. Schwierigkeiten beim Ver-ständnis der Symptomsprache eines auslän-dischen Patienten: „mein Fuß schmerzt ...zwei Hunde in meine Ferse beißen ...“ oderinstitutionelle Probleme bei der Sicherstellungindividueller Pflege: „die religiösen Sitten ...das Schamgefühl meiner muslimischen Frauerlaubt es nicht, von einem männlichen Pfle-ger versorgt zu werden“, oderKonflikte in der Pflegebeziehung: „das lasseich mir von diesem Mann nicht mehr gefal-

len, der mag seine Frau so bevormunden,mich aber ...“– als kulturelle Probleme deuten und zumProblem der Migrantinnen und Migranten ma-chen.

• Gleichbehandlungsfalle meint, dass wirkulturelle und migrationsbedingte Differenzie-rungen im Pflegeprozess ignorieren aus derHaltung heraus „gleiche Behandlung für alle“oder „bei uns gibt es keine Extrawurst“ oderaus dem Interesse heraus, niemanden bevor-zugen oder diskriminieren zu wollen.

Die Sicherstellung der Versorgung älterer Mgrant/innen steht in einem engen Zusammenhang mit denRessourcen der Pflegekräfte mit Migrationshinter-grund. Auf diesen Aspekt wird in diesem Text nochvertieft eingegangen. Doch zunächst sollen einigeDaten zur Situation von Migrant/innen in der Alten-pflege NRWs präsentiert werden.

1.4. Pflegende mit Migrationshinter-grund

Migration ist sowohl auf der Seite der Klienten derAltenpflege, als auch auf Seiten des Personals einbedeutender Einflussfaktor. Exakte Zahlenangabenzum aktuellen Stand des Pflegepersonals mit Mig-rationshintergrund liegen in der Berufsstatistik bishernicht vor. Die Daten sind unzureichend, denn sie do-kumentieren einerseits nur die Bevölkerungsgruppenmit rechtlichem Ausländerstatus und erfassenandererseits nur Berufe und nicht deren Einsatzfel-der3. Es ist sinnvoll, bei der Bestandsaufnahme desAltenpflegepersonals die Kategorie „mit Migrations-hintergrund“ zu gebrauchen, denn damit werdenMerkmale, wie erlernte Erstsprache, Geburtsort (derEltern) oder kulturelle Faktoren, berücksichtigt. DieKategorie umfasst Spätaussiedler/innen, Einwander/innen der ersten und der nachfolgenden Generatio-nen, ebenso wie Flüchtlinge oder sonstige Zuwand-ergruppen.

Die Analyse des Mikrozensus des Statistischen Bun-desamts (2006a) unterscheidet außerdem Menschen

3.000.000

2.500.000

2.000.000

1.500.000

1.000.000

500.000

01997 2010 2020 2030

Personen ausländischer Herkunft über 60 Jahre

(Die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2002,S. 278).

3 Vergleichszahlen des Mikrozensus des Statistischen Bundes-amtes (2004) bezogen sich bisher ausschließlich auf die aus-ländische Bevölkerung. Zudem stimmen die Berufsklassifi-zierungen mit dem Berufsfeld Altenpflege nicht überein. ImBerufsbereich „übrige Gesundheitsberufe“ werden Kranken-pflegekräfte, Heilpraktiker, medizinische Assistenzberufe u.a. zusammengefasst. Dort arbeiten ca. 3,3% erwerbstätigeAusländer/innen (Statistisches Bundesamt 2004). Im Berufs-bereich Sozial- und Erziehungsberufe finden sich die Alten-pfleger/innen, gemeinsam mit sozialpädagogischen, wissen-schaftlichen Berufen und Lehrern, ca. 1,7% ausländische Er-werbstätige werden aufgeführt (ebenda).

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nach „persönlicher Migrationserfahrung“. Zurzeithaben etwa 2/3 der Menschen mit Migrationshinter-grund die Zuwanderung persönlich erfahren und sindnicht in Deutschland geboren. Diese Differenzierungist unter anderem für die Debatte um demografischePerspektiven und notwendige Integrationsprogram-me für Migrantinnen und Migranten bedeutsam.

In der Bestandsaufnahme des Deutschen Institutsfür Erwachsenenbildung wurden im ersten Halbjahr2005 Fragebögen aus 97 stationären Altenhilfeein-richtungen und 16 ambulanten Pflegediensten aus-gewertet. In den befragten Einrichtungen waren5.495 Pflegekräfte beschäftigt. Davon hatten 1.647Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Migrationshin-tergrund. Dies entspricht einem Anteil von 29,97 Pro-zent.4 (Friebe 2005, http://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2005/friebe05_01.pdf) Nur vier Ein-richtungen gaben an, keine Migrantinnen und/oderMigranten zu beschäftigen.

Hochgerechnet auf die 75.000 Pflegenden in denHeimen NRWs (Statisches Bundesamt 2003) bedeu-tet ein Migrantenanteil von knapp 30% mehr als20.000 Beschäftigte. Geht man davon aus, dass rund23 Prozent der Einwohner/innen NRWs einen Mig-rationshintergrund haben, so sind beim Personal inder Altenpflege Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitMigrationshintergrund überrepräsentiert.

1.5. Qualifizierungsbedarf derBeschäftigten mit Migration-hintergrund

Migrantinnen und Migranten sind als Adressaten fürdie Weiterbildung in der Altenpflege bisher wenigwahrgenommen worden, obwohl sich ihre Voraus-

setzungen in einigen Punkten von anderen Bildungs-teilnehmern unterscheiden. Sie haben vielfältigeSozialisationen und Sprachbiografien, die auch ihrberufliches Handeln beeinflussen können. Da dieAltenpflege eine kommunikative und beziehungsori-entierte Tätigkeit ist, müssen Pflegende sensibel mitkulturellen Unterschieden umgehen und auf das ge-genseitige Verstehen fokussieren. Allein schon die-se allgemeine Überlegung markiert einen Bildungs-bedarf für die interkulturelle Begegnung zwischenKlient/innen und Pflegekräften mit Migrationshinter-grund.

Welcher Bildungsbedarf zeigte sich bei der

Adressatengruppe?

Die Weiterbildungswünsche der Einrichtungsleitun-gen für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Mi-grationshintergrund bestehen laut Bestandsaufnah-me des DIE zunächst in den Bereichen deutscheSprache, Fachsprache und schriftliche Dokumenta-tion. Sodann wird die Kommunikation benannt, diesich nicht nur auf sprachliche Aspekte bezieht, son-dern auch weitere Elemente der Interaktion ein-schließt. Mit einigem Abstand werden die Weiterbil-dungsthemen Kultur-/ Pflegeverständnis und Betreu-ung alter Menschen aufgeführt.

Ergebnisse aus der Erprobung der Qualifizierungs-angebote:

30%

70%

Dt. Mitarbeiter

Migrant/innen

Migrant/innen in der Altenpflege

4 Die Studie bildet die Situation der Beschäftigten mit Migrati-onshintergrund in NRW ab, da bei der Auswahl der befragtenEinrichtungen typische Merkmale des Landes berücksichtigtworden sind.

Weiterbildungsbedarf (73) Nennungen

Sprache (mündlich + schriftlich) 33

Pflegedokumentation 8

Fachsprache 5

Kommunikation 4

Kulturverständnis 4

Pflegeplanung 3

Verhalten zu Heimbewohnern 3

Pflegeverständnis in Deutschland 3

Betreuung 2

Rhetorik 1

Gesundheitssystem 1

berufliche Verordnungen 1

Arbeitsorganisation 1

EDV 1

christliche Werte 1

Gerontopsychiatrische Betreuung 1

Deutsche Geschichte 1

Page 14: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

12

Nachdem im Projekt „Migrantinnen und Migrantenin der Altenpflege“ die Bestandsaufnahme in statio-nären Altenpflegeeinrichtungen durchgeführt war,wurden Qualifizierungskonzepte entwickelt und infünf Orten in NRW erprobt. Insgesamt nahmen 90Pflegekräfte teil, deren Angaben in die Analyse desQualifizierungsbedarfs eingingen.

Der subjektiv von Pflegenden mit Migrationshinter-grund eingeschätzte Bildungsbedarf wurde durchEinzelinterviews und durch Befragungen der Fortbil-dungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ermittelt.Dabei steht gleichfalls die deutsche Sprache ganzoben an. Der größte Bedarf besteht aus der Sichtder Teilnehmenden bei der deutschen Rechtschrei-bung und generell beim schriftlichen Ausdruck. Qua-lifikationen im Bereich der mündlichen „Fachsprache“werden hingegen seltener und im Bereich der Pfle-gearbeit selten gewünscht. Weiterbildungsbedarfsehen Pflegende mit Migrationshintergrund auch zurechtlichen Themen.

Diese Selbsteinschätzung der Teilnehmenden weichtvon der (Fremd-) Wahrnehmung der Dozentinnenund Dozenten der Qualifizierungsmaßnahmen ab,die gerade in der präzisen sprachlichen Bezeichnungvon Beobachtungen und Informationssammlungenein starkes Defizit sahen.

Insgesamt kann von einem Bedarf an „adressaten-spezifischen“ Fortbildungen gesprochen werden, die

die berufliche Integration der Pflegenden mit Migra-tionshintergrund verbessern sollen. Da aber Integra-tion stets ein wechselseitiger Prozess „gleichberech-tigter Teilhabe“ (Die Beauftragte der Bundesregie-rung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2003)sein muss, sollte dieses Fortbildungsangebot in einumfassenderes Konzept der interkulturellen Organi-sations- und Personalentwicklung einmünden. Vonden befragten Einrichtungsleitungen in der Bestands-aufnahme des DIE haben 66,7 Prozent Fortbildungs-veranstaltungen gewünscht, die allerdings eintägigund hausintern durchgeführt werden sollen. Dieserenge Zeitrahmen ist für angemessene Maßnahmender interkulturellen Sprachförderung sicher nichtmöglich.

Der Bedarf an adressatenspezifischen Bildungsan-geboten ergibt sich schließlich aus der generell nied-rigen Beteiligung von Migrantinnen und Migrantenan beruflicher Weiterbildung (vgl. BMFSFJ 2005, S.421). Es liegen zwar keine Daten über die Bildungs-beteiligung von Migranten in Pflegeweiterbildungenvor, doch kann vermutet werden, dass Bildungsbar-rieren die anderenorts wirksam sind, auch in der Pfle-ge Einfluss haben.

1.6. Zielsetzungen der Qualifizierungs-angebote

Die hier vorgestellten Qualifizierungskonzepte sol-len allgemein die Integration in den Altenpflegeberufund am Arbeitsplatz verbessern. Kriterien gelunge-ner Integration wären daher gerechte Chancen fürMigrant/innen beim Zugang zum Beruf, gute Mög-lichkeiten des Berufsverbleibens, zur Arbeitszufrie-denheit und zur qualitativ hochwertigen Arbeit durchWissen und Kompetenz. Diese Zielsetzungen erwei-sen sich noch als ergänzungsbedürftig, doch zeigensie erste Schwerpunkte der Maßnahmen auf. Dashier vorgestellte DIE-Projekt „MigA“ gab sich folgen-de Ziele:

• die Beschäftigungssituation und den Bildungsbe-darf von Pflegenden mit Migrationshintergrund inNRW ermitteln

• durch Qualifizierung die Altenhilfe und -pflege si-chern und verbessern, mögliche Benachteiligungvon Migrantinnen und Migranten ausgleichen

• die Vernetzung interkultureller Maßnahmen in derAltenhilfe fördern.

Zielgruppe der Qualifizierungsangebote waren alleMitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshin-tergrund, die in der Definition des Pflegeversiche-

018-25 J.

16

14

12

10

8

6

4

2

26-35 J. 36-45 J. 46-55 J. 56-80 J.

Alter der Fortbildungsteilnehmer/innen

Polen Kasachstan Russland Iran

42% 17% 17% 7 %

Nigeria Philippinen Sonstige

7% 5% 5%

Herkunft der 77 Fortbildungsteilnehmer/innen:

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13

rungsgesetzes (Pflege VG §80) als Pflegepersonenarbeiten oder dies beabsichtigen. Allerdings ist die-se Zielgruppe wenig homogen und bringt in Bezugauf die sprachlichen und kulturellen Hintergründehöchst unterschiedliche Voraussetzungen mit. Istdaher ein zielgruppenorientiertes Fortbildungskon-zept überhaupt sinnvoll?

Das Projekt MigA bekannte sich zur Orientierung ander Ziel- oder Adressatengruppe „Pflegende mit Mi-grationshintergrund“, da ein gemeinsamer Qualifizie-rungsbedarf in Bezug auf bestimmte Themen fest-gestellt worden ist. Die Zielgruppe wurde zunächstüber den Bildungsbedarf zur Sprache, zu kulturel-lem Wissen und zum Pflegeverständnis beschrieben.Dies wurde ergänzt durch didaktische Überlegungenzur Lehr-/ Lernsituation, den Lernvoraussetzungen,dem Erfahrungsaustausch und der Initiierung vonVerstehensprozessen in der Lerngruppe.

Allerdings sollten zielgruppenspezifische Bildungs-angebote keine auf Dauer angelegten Veranstaltun-gen werden, da sie ansonsten in der Gefahr stehen,erneut zu stigmatisieren. Sie dienen in erster Liniedazu, eigene Situationen der Teilnehmenden zu re-flektieren, den subjektiven Lernbedarf einzuschätzenund Lernprozesse anzustoßen. Danach sollten dieThemen in interkulturellen Lerngruppen weiter be-handelt werden, denn nur im Dialog lässt sich dieIntegration als gegenseitiger Prozess des Aufeinan-derzugehens fördern und Benachteiligung durchPersonal- und Organisationsentwicklung abbauen.

Gegen die speziellen Angebote für Migrantinnen undMigranten gab es im Projektverlauf Widerstände so-wohl aus der Gruppe der Migrant/innen selbst, alsauch von den deutschen Mitarbeiterinnen und Mit-arbeitern. Pflegekräfte mit Migrationshintergrund kri-tisierten häufiger zu Beginn der Veranstaltungen,dass sie die Qualifizierungsangebote als eine Formder „verordneten Nachhilfe“ empfanden, für die esnach vielen Jahren der Betriebszugehörigkeit keineRechtfertigung gab. Immer dann, wenn diese Beden-ken in der Gruppe frühzeitig thematisiert werdenkonnten, stellten sie sich als nicht tragfähig heraus,sodass die Teilnehmenden das Angebot gut anneh-men konnten.

Einige Teilnehmer berichteten, dass ihre deutschenKolleginnen und Kollegen mit Unverständnis auf dasspezielle Angebot reagierten, da sie eine bevorzug-te Behandlung vermuteten. Dabei bleibt zu beden-ken, dass zwar alle Mitarbeiter grundsätzlich gleicheBildungschancen haben sollten, doch dieses Argu-ment gerade die gesellschaftliche Verpflichtung zur

Beseitigung herkunftsabhängiger Benachteiligungeneinschließen muss.

Theoretisch lassen sich die Ziele des integrativenAngebots aus Pflegewissen und Fachsprache ausden Konzepten „Kultureller Bewusstheit“ (culturalawareness, Papadopoulos 2003) und „Sprachbe-wussheit“ (Language awareness, Europarat 2001)herleiten.

Kulturelle Bewusstheit: In der Pflegewissenschaftgibt es unterschiedliche Modelle die inter- oder trans-kulturelle Kompetenz als Element der Pflegekompe-tenz zu beschreiben. Papadopoulos, Tilki und Taylor(ebenda, S. 87ff) haben an der Middlesex Universityin London ein Phasenmodell entwickelt, bei demLernende über die kulturelle Bewusstheit, kulturel-les Wissen und kulturelle Sensibilität zur kulturellenKompetenz gelangen können. Die vorgestellten Qua-lifizierungen orientieren sich an der ersten Phase derkulturellen Bewusstheit, insofern die Selbstreflexionim Kontext von Pflege und Kultur, die eigene kultu-relle Identität und die Kulturalität des Gegenübersthematisiert und gefördert werden sollen.

Sprachbewusstheit: Die Konzepte des Europara-tes (2001) zur Förderung der „funktionalen Mehrspra-chigkeit“ und der „Gemeinsame Europäische Refe-renzrahmen für Sprachen“ haben neue Prioritätenfür den Sprachenerwerb gesetzt. Im Mittelpunkt ste-hen diejenigen Kompetenzen, die für die sprachli-che Handlungsfähigkeit des Lernenden konstitutivsind. Die Sprachbewusstheit umfasst sprachlichesKönnen in unterschiedlichen beruflichen, öffentlichenund privaten Situationen. Die Sensibilität fürSprache(n) und ihre Formen, Strukturen, Funktionensowie ihr Gebrauch stehen mehr im Fokus als Gram-matik- und Wortschatzkenntnisse.

Es ergibt sich folgendes Qualifizierungsziel: Sprach-liches und interkulturelles Lernen in der Pflege wer-den im vorliegenden Konzept funktionell verbundenund auch Teilkompetenzen erfahren Wertschätzung.Damit sollen Voraussetzungen für die Förderung derSprachreflexionsfähigkeit geschaffen und Impulse fürkontinuierliche pflegefachliche Lernprozesse in derAltenhilfe gesetzt werden.

1.7. Herkunftsgruppen und Zielgruppen

Die Beschäftigten mit Migrationshintergrund in derAltenpflege stellen in der Bestandsaufnahme des DIEkeine homogene Gruppe dar:

Page 16: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

14

• Mehr als die Hälfte (58 Prozent) der Pflegendenmit Migrationshintergrund werden als Spätaus-siedler/innen bezeichnet. Sie sind „deutschstäm-mig“ oder haben deutsche Angehörige, lebtenaber seit Generationen im Ausland5.

• Mit ca. 19 Prozent folgen Menschen der erstenZuwanderergeneration aus dem Ausland. Schonseit der Einwanderungswelle der 70er Jahre ka-men Pflegekräfte aus Herkunftsländern wie Itali-en, Spanien oder Portugal in die Bundesrepub-lik. Eine zweite Gruppe Pflegender wurde seiner-zeit in Asien, besonders in Korea, auf den Philip-pinen oder in Thailand für die Krankenhäuserangeworben. Sie sind noch heute in Altenpflege-einrichtungen auffindbar.

• Rund 10,3 Prozent der Pflegenden mit Migrations-hintergrund gehören der zweiten Zuwandererge-neration an, das heißt sie sind in Deutschland ge-boren oder als Kleinkinder zu uns gekommen,haben aber deutsch nicht als Muttersprache.

• Flüchtlinge mit Arbeitserlaubnis finden sich sel-ten in der Altenpflege (1,3 Prozent). Bei der Grup-pe der „Sonstigen“ (1,8 Prozent) gibt es zeitbe-fristete Beschäftigungen, z. B. auch für „Ordens-schwestern“

Es findet weiter kontinuierlich Einwanderung nachDeutschland statt, insbesondere in Form des Nach-zugs von Familienangehörigen und durch internati-onale Migrationbewegungen. So finden sich in denAltenpflegeberufen nicht nur Menschen aus ganzEuropa, sondern auch aus Südamerika und Afrika.Die Pflegemitarbeiter/innen mit Migrationshintergrundder befragten Einrichtungen kommen aus mehr als30 verschiedenen Nationen. Die häufigsten Her-kunftsländer sind Polen und die Nachfolgestaatender UdSSR. Die Staaten des ehemaligen Jugosla-wiens und die Türkei stehen an dritter und vierterStelle der Herkunft.

Die meisten Mitarbeiter/innen mit Migrationshinter-grund verfügen noch über persönliche Migrations-erfahrungen. Sie haben erlebt, was es bedeutet, ineinem Land fremd zu sein und möglicherweise dieSprache nur unzureichend zu beherrschen. Sie ha-ben Wege gefunden, sich mit der Situation zu ar-rangieren und ihre Aufgaben in der Altenpflege zuerledigen. Die Altenpflege steht aber vor neuen He-rausforderungen, die sich einerseits durch gestie-gene Anforderungen an die Qualität der Leistungund andererseits durch immer stärkere Einschrän-kungen der Klientinnen und Klienten ergeben. Beider Bewältigung dieser Aufgaben haben Mitarbei-ter/innen mit und ohne Migrationshintergrund nichtimmer gleiche Voraussetzungen und gleichen Qua-lifizierungsbedarf. Dabei ist zu beachten, dass dieAnforderungen in der Altenpflege sich kontinuier-lich verändern. Der Bildungsbedarf ergibt sichgleichzeitig aus berufsbiografischen Situationen derBeschäftigten und aus veränderten gesellschaftli-chen Situationen.

1.8. Zukünftige Entwicklungen derPflegebedürftigkeit und desPersonalbedarfs

Die demografischen Entwicklungen in Deutschlandund Nordrhein-Westfalen wurden unter dem Stich-wort „Alterung der Bevölkerung“ bereits skizziert. Ins-besondere die gestiegene Lebenserwartung bringtvermehrte Pflegebedürftigkeit, die einen erhöhtenBedarf an Pflegekräften nach sich zieht.

Die Entwicklung der Pflegebedürftigkeit in NRW:

Die Lebenserwartung hat sich im Verlauf der letz-ten Jahre in Deutschland kontinuierlich erhöht,was insbesondere zur Zunahme der Gruppe sehralter Menschen führte. Im höheren Alter steigtdas Risiko für Pflegebedürftigkeit. „Bis 2040 wird

0

Aussiedler

Zuwanderung

1. Generatio

n

Zuwanderung

2. Generatio

n

Flüchtlin

ge

Sonstige

N=1

430

800

700

600

500

400

300

200

100

900

Zuwanderergruppen

5 Die Beschreibungs- und Erfassungskategorie „Spätaussied-ler/innen“ liefert bisher keine hinreichenden Kriterien, um denZuwanderungshintergrund der Betroffenen und die sich darausfür die Lebenslage ergebenen Konsequenzen zu ermitteln (vgl.MASQT 2000, S. 8).

Page 17: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

15

die Zahl der Pflegebedürftigen [in NRW] um ca.55 Prozent (Frauen: + 45 Prozent, Männer: + 75Prozent) oder eine Viertelmillion auf über 700 000Menschen anwachsen, wobei knapp drei Vierteldieser Entwicklungen bereits 2020 erreicht seinwerden“. (LDS NRW 2004, S. 12) Damit erhöhtsich in den nächsten drei Jahrzehnten der Anteilder Pflegebedürftigen an der Gesamtbevölke-rung in NRW von heute 2,5 Prozent auf mehr als4 Prozent (ebenda). Dabei erreichen auch Män-ner zunehmend Altersgruppen, in denen dieWahrscheinlichkeit für Pflegebedürftigkeit steigt.

Die ehemaligen Arbeitseinwanderer und ihre Fa-milien werden gleichfalls in Deutschland alt. Die-ser Personenkreis wird potentiell zu Klienten desGesundheits- bzw. Pflegesystems und der Alten-hilfe. In den kommenden Jahrzehnten wird beider Bevölkerung mit Migrationshintergrund mithöherer Inanspruchnahme professioneller Diens-te und mit einem Rückgang der Übernahme derPflege durch Angehörige gerechnet (vgl. Land-tag NRW 2005). Der Wandel der Strukturen inZuwandererfamilien, die oft beengten Wohnver-hältnisse und der verstärkte Pflegebedarf (z.B.bei Demenz) werden die familiären Unterstüt-zungspotentiale überfordern und trotz bestehen-der Zugangsbarrieren zu mehr Nachfrage desPflegeangebotes durch Migrantinnen und Mig-ranten führen. Die pflegerische Infrastruktur wirddiesem Bedarf bisher nicht gerecht (vgl. Land-tag NRW 2005, S. 94). Sie muss unter Berück-sichtigung der Finanzierungsgrundlagen und dessteigenden Bedarfs verbessert werden und neueVersorgungsangebote entwickeln.

Die beschriebenen Veränderungen sind bedeutsamfür die Quantität und Qualität des Pflegepersonals.Im Jahr 2001 gab die Pflegestatistik für NRW bei ca.120.000 Pflegeheimplätzen 75.000 Mitarbeiterinnenund Mitarbeitern im Bereich Pflege und Betreuungan (Statistisches Bundesamt 2003, S. 10). Sie ver-teilten sich auf 1.850 stationäre Altenpflegeeinrich-tungen, von denen zwei Drittel in Trägerschaft derfreien Wohlfahrtspflege waren. 70 Prozent der Pfle-gebedürftigen wurden 2001 in NRW zu Hause ge-pflegt6, unterstützt durch rund 2000 ambulante Diens-te. In ambulanten (Alten-) Pflegediensten arbeiteten2001 etwa 90.000 Beschäftigte, davon ca. 40.000 inPflege und Betreuung (Statistisches Bundesamt2003, S. 6).

6 dabei hat die Zahl der Einpersonenhaushalte zugenommen(LDS-NRW 2004)

Die demografischen Entwicklungen lassen eine wei-ter steigende Nachfrage nach qualifiziertem Perso-nal in der Altenhilfe und Pflege erwarten. Aber esexistieren im Bereich der Berufswahl und des Be-rufsverbleibs Defizite, die längerfristig zu einem Man-gel an Fachkräften in der Pflege führen können. DieAltenpflege gilt vielfach als wenig attraktives Arbeits-feld mit hohen Belastungen und schlechten Vergü-tungen. So treten bei steigender Arbeitskräftenach-frage immer wieder Personalengpässe in der Alten-pflege auf (Pflegenotstand). Außerdem ist zu erwar-ten, dass die Zahl der für den Arbeitsmarkt zur Ver-fügung stehenden Erwerbspersonen statistisch starkzurückgeht. Steigende Nachfrage nach Pflegekräf-ten durch mehr Pflegebedürftigkeit und demografi-sche Verringerung des Erwerbspersonenpotentialssind gegenläufige Entwicklungen, die in den nächs-ten zwei Jahrzehnten erhebliche Engpässe beimPflegepersonal erwarten lassen. Betrachtet man dieBetriebszugehörigkeit der Pflegekräfte mit Migrati-onshintergrund, so wird deutlich, dass die Mehrzahlder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereits langjäh-rig im Betrieb ist, während die Neueinstellungen zu-rückgehen.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrations-hintergrund sind im Durchschnitt bereits ca. 6,5 Jah-re in den Betrieben beschäftigt. Die Betriebszuge-hörigkeit ist generell in den Pflegeberufen in denletzten Jahren angestiegen. Arbeiteten in den1990er Jahren Pflegekräfte im Durchschnitt nochca. 5 Jahre in Krankenhäusern und Pflegeeinrich-tungen, so hatte sich 2004 die Betriebszugehörig-keit auf durchschnittlich 10 Jahre verlängert (MAGS2006, S. 65). Ein Grund dafür ist allerdings diegestiegene Arbeitslosigkeit bei Pflegenden, die zwarnur halb so hoch wie bei der sonstigen Erwerbsbe-völkerung in NRW ist, dennoch zurzeit die berufli-che Mobilität bremst.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dassPflegekräfte mit Migrationshintergrund bereits seit

0unter 1

50

40

30

20

10

seit 1-3Jahren

4-6Jahre

7-9Jahre

10 Jahreund mehr

Verweildauer im Betrieb

Page 18: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

16

Jahren ein wichtiges Beschäftigungspotential in derAltenpflege stellen. Allerdings sind die besonderenFähigkeiten und Bedürfnisse dieser Beschäftigten-gruppe in Theorie und Praxis bisher wenig wahrge-nommen worden.

Page 19: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

17

2.1. Von der Defizitorientierung zurdifferenzierten Haltung

Die Pflege ist eine personenbezogene Dienstleistungund realisiert sich in der Begegnung von Pflegen-den und Klient/innen. Ein modernes Pflegeverständ-nis stellt daher die Interaktion in den Mittelpunkt desprofessionellen Handelns. Der Klient erhält nicht nureine „Verrichtung“, sondern die Pflegehandlungenwerden unter Berücksichtigung der Selbstpflegean-teile kommuniziert und vereinbart. In der Praxis mö-gen zahlreiche Zwischenformen von verrichtungs-bzw. funktionsorientierter Pflege und Handlungen, dieauf Kommunikation und Verständigung ausgerichtetsind, vorkommen. Doch müssen sich die Ziele derPflege stets an der Partizipation, Aktivität und Auto-nomie des Klienten messen lassen und im Pflege-prozess weiter entwickelt werden.

Pflegenden mit Migrationshintergrund wird häufigneben den fehlenden Sprachkenntnissen ein unzu-reichendes Pflegeverständnis zugeschrieben. Be-sondere Fähigkeiten, die sie aufgrund ihrer Erfah-rungen und ihrer Mehrsprachigkeit in die Altenpfle-ge einbringen, treten hinter der Betonung der Pro-bleme und Defizite zurück.

In der Bestandsaufnahme des DIE wurden die Ein-richtungsleitungen gefragt, ob Pflegende mit Migrati-onshintergrund im Vergleich zum deutschen Personalbesondere Stärken oder Ressourcen mitbringen. 18Prozent der Antworten sahen keine besonderen Stär-ken. Die meisten Antworten bezogen sich auf Eigen-schaften wie Zuverlässigkeit, Freundlichkeit und ho-hen Arbeitseinsatz. Nur 5% der Befragten gaben an,dass Pflegekräfte mit Migrationshintergrund im Ver-gleich zu deutschen Mitarbeiter/innen keinerlei Defi-zite aufweisen. Defizite werden bei den Mitarbeiter-innen und Mitarbeitern mit Migrationshintergrund imVergleich zu deutschen Pflegenden hauptsächlich imBereich der Deutschkenntnisse, der Teamfähigkeitund dem Pflegeverständnis gesehen. Welche weiter-gehenden Probleme sich hinter den sprachlichenDefiziten verbergen, ist damit noch nicht bestimmt.

Stärken und Defizite der Mitarbeiter/innen mit Mig-rationshintergrund im Vergleich zu Ihren Kollegen

ohne Migrationshintergrund aus Sicht der Einrich-tungsleitungen stationärer Altenpflegeeinrichtungen:

Das vorliegende Qualifizierungskonzept will an denStärken oder Ressourcen der Migrant/innen anset-zen, die ja auch durch die Erfahrungen aus unter-schiedlichen Ländern gewonnen werden können undin der beruflichen Pflegearbeit nützlich sind. Die Ana-lyse des Statistischen Bundesamtes (2006a) liefertZahlen über die „persönliche Migrationserfahrung“der Bevölkerung. Zurzeit haben etwa 2/3 der inDeutschland lebenden Menschen mit Migrationshin-tergrund die Zuwanderung persönlich erfahren undsind nicht in Deutschland geboren.

Ressourcen bringen Pflegemitarbeiter/innen mit Mi-grationshintergrund oft auch durch ihre Vorbildungin den Herkunftsländern mit. In der Bestandaufnah-me des DIE geben leider nur die Hälfte der Einrich-tungsleitungen Auskunft über die Vorbildung ihrerMitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund, dochzeigte sich in der Tendenz, dass über 50% eine be-

Teil 2: Ressourcen und Probleme der Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter mit Migrationshintergrund

Besondere Stärken(Mehrfachnennungen mögl.)

Besondere DefiziteIn%

In%

Keine Stärken

hoheEinsatzbereitschaft

Zuverlässigkeit

sehr engagiert

sehr freundlich

sehr zugewandt

mehr Fleiß

Belastbarkeit

Flexibilität

Ausdauer

größeresPflichtbewusstsein

Einfühlungsvermögen

Deutsche Sprache(allgemein)

Sprache (schriftlicherAusdruck)

Dokumentation

Kommunikation(mündlicher Ausdruck)

Keine Defizite

Teamfähigkeit/-integration

Kulturverständnis

Rechtschreibung

beruflichesSelbstverständnis

geschlechtlicheRollenprobleme

Konflikt-/Problem-löseverhalten

Einfühlungsvermögen

18

8

7

7

6

6

5

5

4

4

4

4

32

20

15

8

5

4

4

2

2

1

1

1

Page 20: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

18

rufliche Ausbildung und ca. 12% eine akademischeAusbildung aus ihrer Heimat mit nach Deutschlandbrachten. Die Schulabschlüsse der Teilnehmer derFortbildungserprobungen weisen in die gleiche Rich-tung:

2.2. Sprache in der Pflegepraxis

Die Hinweise auf sprachliche Defizite der Pflegekräftemit Migrationshintergrund müssen ernst genommenwerden, da es sich bei der Pflege um eine „perso-nenbezogene Dienstleistungs- und Unterstützungs-beziehung“ handelt. Die Pflegewissenschaft betontdie Bedeutung der Kommunikation und damit dessprachlichen Kontaktes in der Beziehung zum Kli-enten (vgl. Bartholomeyczik 2005). Durch die Spra-che werden u.a. Handlungen vermittelt, Prioritätenfestgelegt, Gemeinsamkeiten gestiftet und wird diePflege gegenüber anderen dargestellt (vgl. Zegelin-Abt 1997, S. 3). Es kommen mehrere Sprachebe-nen vor:

• Alltagssprache – Pflegende unterhalten sich mitdem Klienten, in der Regel in dessen Zimmer oderWohnung

• Sprache im Kontext der Kommunikation mit Kli-enten, Angehörigen und im Team – Pflegendeerfragen die Lebenssituation und Befindlichkei-ten etc.

• Die Fachsprache im Pflegeprozess und in derDokumentation – Pflegende erstellen Anamne-sen, Ziele, Planungen und Beurteilungen, siekommunizieren mit anderen Berufsgruppen (z.B.Ärzten)

Welche sprachlichen Anforderungen stellt die Al-

tenpflege?

Die Interaktion im professionellen Kontakt zwischenPflegenden und Klienten sollte, unabhängig von demzugrunde liegenden Professionalitätsverständnis,

bestimmte Kriterien oder Standards erfüllen, die ihreQualität ausmachen. Dies verlangt von den Fach-kräften bestimmte berufliche Kompetenzen, die häu-fig eng mit kommunikativen und sprachlichen Fähig-keiten verbunden sind: z.B. müssen schriftliche Ziel-formulierungen und Pflegestandards gelesen undverstanden werden, Beobachtungen nachgefragt undmitgeteilt werden, Situationen beschrieben und re-flektiert werden, Intentionen und Handlungen formu-liert und erläutert werden. Pflege wird durch Spra-che „sichtbar gemacht“ (Zegelin-Abt 1997, S. 15).

Pflegende müssen sich sprachlich den jeweiligenSituationen anpassen, um gemeinsame Handlungenmit den jeweiligen Akteuren zu vereinbaren unddurchzuführen. Dabei wirken zahlreiche Einflussfak-toren, die gegenseitige Verstehensprozesse er-schweren und Missverständnisse entstehen lassenkönnen. Sprechen Pflegende und Klient/innen un-terschiedliche Muttersprachen, so können Verste-hensprobleme, die in jeder Kommunikation entste-hen, kumulieren. In der heutigen Bundesrepublikwerden neben dem Deutschen weit mehr als 100verschiedene Sprachen gesprochen (Maas 2005, S.108). Psychologische Untersuchungen haben viel-fach Einflüsse im gegenseitigen Verstehen durchverbale und nonverbale Faktoren nachgewiesen (vgl.Hornung/Lächler 2006, S. 204 ff).

Die Ergebnisse der Wahrnehmungs- und Kommuni-kationspsychologie bieten wichtige Inhalte und Hil-fen für die Gestaltung des interkulturellen Dialoges.Sprache und ihre Symbole sind eng an kulturelleVorstellungen gebunden, die sich aufgrund Herkunfterheblich unterscheiden können. Kulturelle Differen-zen gibt es in den Bereichen Normen und Werte,Alter und Familienvorstellungen, Religion etc. (vgl.Friebe/Zalucki 2003, S. 153). Die Wahrnehmung die-ser Unterschiede und das gegenseitige Verständnisfür Gesundheit und Krankheit bilden die Grundlagefür die Gestaltung des Pflegeprozesses.

2.3. Deutschkenntnisse der Pflegen-den mit Migrationshintergrund

In der Altenpflege begegnen sich Menschen unter-schiedlicher Herkunft sowohl als Pflegebedürftige,als auch als Pflegekräfte. Die Herkunft und die er-lernte Muttersprache wirken in die Pflegebeziehungein. Die Erst- oder Muttersprache vermittelt die inder primären Sozialisation notwendigen Symbole inVerbindung mit den kognitiven und emotionalen Sys-temen. „In unserer Muttersprache lernen wir nicht nurIch, sondern auch Wir zu sagen“ (Krumm in Gogolin

Realschule7 Abitur Hauptschule Hochschule

40% 20% 15% 14%

11% der Teilnehmenden machten keine Angabe

Schulabschlüsse der 77 Teilnehmenden der Fortbil-dungserprobungen:

7 Allerdings sind die Schulabschlüsse im Ausland und inDeutschland nicht immer vergleichbar

Page 21: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

19

2005, S. 131). Die Muttersprache ist nicht zwangs-läufig mit einer Schriftsprache gekoppelt. Im Lebens-lauf entwickelt sich das Sprachwissen und weitereSprachkenntnisse können hinzukommen. Eine Zweit-sprache wird aber nicht in gleicher Weise erlernt undpraktiziert wie die Muttersprache. So können z.B. dieLexika von Erst- und Zweitsprache Unterschiedeaufweisen, können die Laut- und Buchstabenzuord-nungen, Syntax und die Grammatik aus einer in eineandere Sprache übertragen oder Ausdrucksweisenungleichen Verhaltensformen zugeordnet werden.

Probleme mit der deutschen Sprache entstehen fürAussiedlerinnen und Aussiedlern oft dadurch, dasssie Deutsch nur in den Familien gesprochen habenund die deutsche Sprache in der Öffentlichkeit (z.B.in der Sowjetunion) unerwünscht war.

Wie wird die Pflegeinteraktion beeinflusst, wenn

die Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind?

In der Bestandsaufnahme des Projekts „MigA“ zei-gen sich aus Sicht der Leitungen der stationärenAltenpflegeeinrichtungen drängende Probleme auf,die sich auf die Qualität der Pflege auswirken kön-nen. Da stehen an erster Stelle die fehlendenDeutschkenntnisse der Pflegenden mit Migrations-hintergrund8. Fähigkeiten im schriftlichen Ausdruckwerden gerade einmal mit der Note ausreichendbewertet, was eine gute Dokumentation einschränkt.Mündlich werden die Kenntnisse mit befriedigendeingeschätzt, was aber nicht viel ist, wenn man diezentrale Bedeutung der Kommunikation in der Al-tenpflege bedenkt. Die Ergebnisse geltengleichermaßen für Spätaussiedler/innen und fürAusländer/innen9.

Fehlende Deutschkenntnisse können eine Quelle fürMissverständnisse sein. Situationen werden im Kon-text der Erfahrungen gedeutet und müssen dahersowohl sprachlich wie kulturell übersetzt werden.Dabei werden möglicherweise Einschätzungen inFrage gestellt, die für den Gesprächspartner selbst-verständlich sind. Der Spielraum für eine metakom-munikative Vermittlung entstehender Konflikte ist beifehlenden Sprachfähigkeiten häufig gering.

Es lassen sich bei den Pflegekräften mit Migrations-hintergrund mindestens drei Formen unterschiedli-cher Sprachbiografien mit unzureichenden Deutsch-kenntnissen feststellen:

• Einwanderer erster Generation, bei denenDeutsch nicht die Muttersprache ist und die häu-fig Deutsch erst vor Ort erlernt haben

• Einwanderer zweiter Generation mit niedrigemBildungsabschluss, die ihre formale Sprachkennt-nis im deutschen Bildungssystem erworben ha-ben, aber noch eine Familiensprache beherr-schen

• Aussiedler/innen und ihre Angehörige, dieDeutsch in den Familien, nicht aber in der Öffent-lichkeit gesprochen haben

Für Migrantinnen und Migranten in Pflegeberufenkann die kurz skizzierte Sprachenentwicklung beson-dere Schwierigkeiten in der Altenpflege bringen, denndie Pflegesituation wird durch die Lebenssituation,die individuellen Bedürfnisse der Klient/innen und dieinstitutionellen Anforderungen hoch komplex. Bedeut-sam sind auch die Situationen, in denen Sprachepraktiziert wird, denn der Intimbereich der Familie,die informelle Öffentlichkeit der Straße oder desMarktes und die formelle Öffentlichkeit in (staatlichen)Institutionen bilden verschiedene Sprachregister(Maas 2005, S. 102 ff.). In der Kommunikation derPflegeteams werden sowohl formelle wie auch All-tagsbegriffe verwandt, deren Übersetzung vielfachnur im Kontext sinnvoll ist. Einige Begriffe sind in derAltenpflege und im Umgang mit älteren Menschentabu10.

Das Wissen über konkrete Pflegeinteraktionen zwi-schen Pflegenden und Klient/innen mit und ohneMigrationshintergrund ist bisher eher gering, da we-nig Fall- oder Feldstudien vorliegen (vgl. Switalla2005, S. 55). Einige Beispiele deuten darauf hin, dassPflegekräfte im Kontakt zu Altenheimbewohnerinnen

01

50

40

30

20

10

2 3 4 5Note

schriftlichmündlich

Deutschkenntnisse

8 Vergleichzahlen für die sprachlichen Fähigkeiten deutscherMitarbeiter/innen liegen nicht vor.

9 „Im Laufe des letzten Jahrzehnts ist die Zahl derjenigen unterden Spätausgesiedelten drastisch angestiegen, die über nurgeringe Deutschkenntnisse verfügen“ (MASQT 2000, S. 8)

10 Menschen werden nicht gefüttert, ein älterer Mensch nichtmit Oma/Opa bezeichnet. Einige Begriffe müssen erlernt wer-den – was ist der Galgen, die Ente oder Egon? (MIA 2005)

Page 22: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

20

oder -bewohnern häufig eine „vereinfachende“ Spra-che (Sachweh in: Zegelin-Abt 1997, S. 95ff) verwen-den. Ebenso kann die Sprache nur aus kurzen auf-fordernden Sätzen bestehen, die für die Ausführun-gen der Pflegeverrichtungen notwendig sind. Pfle-gekräfte ausländischer Herkunft benutzen dann be-vorzugt eine „medizinische“ Sprache (Weinhold in:Zegelin-Abt 1997, S. 59ff) und orientieren sich stär-ker an Krankheiten.

Die sprachlichen Fähigkeiten der Pflegemitarbeiter-innen und -mitarbeiter mit Migrationshintergrundwurden bisher nicht systematisch getestet und ein-gestuft. Interpretiert man die Aussagen der Leitun-gen der Altenpflegeeinrichtungen in NRW in der Un-

tersuchung des DIE, ist davon auszugehen, dassviele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Altenpfle-ge Sprachprobleme haben und Deutsch nur auf demNiveau „elementare und selbständige Sprachverwen-dung“ praktizieren (Niveaustufen A und B nach demGemeinsamen Europäischen Referenzrahmen Spra-che) und die kompetente Sprachverwendung nichterreichen.

Immer wieder werden Probleme zahlreicher Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter mit der schriftlichen Do-kumentation des Pflegeprozesses genannt. Diesebeziehen sich auf die standardisierte Pflegedoku-mentation und auf den Pflegebericht. Im Pflegebe-richt soll das Besondere der Pflegesituation möglichst

Kann praktisch alles, was er/sie liest oder hört, mühelos verstehen. Kann Informationenaus verschiedenen schriftlichen und mündlichen Quellen. zusammenfassen und dabei Be-gründungen und Erklärungen in einer zusammenhängenden Darstellung wiedergeben. Kannsich spontan, sehr flüssig und genau ausdrücken und auch bei komplexeren Sachverhaltenfeinere Bedeutungsnuancen deutlich machen.

Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch impliziteBedeutungen erfassen. Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlicherkennbar nach Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen undberuflichen Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen. Kannsich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern und dabei ver-schiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.

Kann die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen verstehen;versteht im eigenen Spezialgebiet auch Fachdiskussionen. Kann sich so spontan und flie-ßend verständigen, dass ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere An-strengung auf beiden Seiten gut möglich ist. Kann sich zu einem breiten Themenspektrumklar und detailliert ausdrücken, einen Standpunkt zu einer aktuellen Frage erläutern und dieVor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten angeben.

Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wennes um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht. Kann die meisten Situationenbewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet begegnet. Kann sich einfach und zu-sammenhängend über vertraute Themen und persönliche Interessengebiete äußern. Kannüber Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreibenund zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.

Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von ganz un-mittelbarer Bedeutung zusammenhängen (z. B. Informationen zur Person und zur Familie,Einkaufen, Arbeit, nähere Umgebung). Kann sich in einfachen, routinemäßigen Situationenverständigen, in denen es um einen einfachen und direkten Austausch von Informationenüber vertraute und geläufige Dinge geht. Kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunftund Ausbildung, die direkte Umgebung und Dinge im Zusammenhang mit unmittelbarenBedürfnissen beschreiben.

Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und verwenden,die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen. Kann sich und andere vorstellen undanderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen - z. B. wo sie wohnen, was für Leute siekennen oder was für Dinge sie haben - und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben.Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder Gesprächs-partner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.

Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen SpracheÜbersicht (http://www.kmk-fremdsprachenzertifikat.lernnetz.de/handr/rr.htm#drei)

KompetenteSprach-verwendung

SelbstständigeSprach-verwendung

ElementareSprach-verwendung

C 2

C 1

B 2

B 1

A 2

A 1

Page 23: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

21

präzise ohne eigene Wertungen festgehalten wer-den. Die Pflegedokumentationen werden immer be-deutsamer, da sie den Rahmen für Finanzierung undLegitimation der Pflegemaßnahmen in jedem Einzel-fall bilden. Dafür reicht der Gebrauch von vorgefer-tigten Dokumentationssystemen und Standardformu-lierungen nicht aus, auf die gerade bei Sprachpro-blemen oft zurückgegriffen wird (Spahn 2005, S. 85).

Die fehlenden Deutschkenntnisse der Pflegekräftemit Migrationshintergrund werden zumeist als indivi-duelle Defizite betrachtet, die durch fehlende Anstren-gung und wenig Integrationswillen der Betroffenenentstehen. Die Monolingualität sei schließlich Nor-malität in der Altenhilfe und daher könne auch vonzugewanderten Mitarbeiter/innen Anpassung erwar-tet werden. Die Mehrsprachigkeit Pflegender mit Mi-grationshintergrund wird daher wenig als individuel-le und allgemeine Ressource anerkannt. Dies ent-spricht der weit verbreiteten Auffassung in der deut-schen Gesellschaft, dass Mehrsprachigkeit zwar fürbestimmte soziale Schichten nützlich sei, die „breiteMasse“ aber eher überfordere und eine Last darstelle(vgl. Gogolin 2005, S. 5). Nicht das Bild des poly-glotten Weltbürgers, sondern das des Analphabetenin zwei Sprachen wird häufig bemüht. Sprachenwerden auch unterschiedlich bewertet – Deutsch undEnglisch gelten heute als wichtig für jeden Beruf, hin-gegen haben osteuropäische Sprachen, Türkischoder Arabisch eher geringen Status.

Es gibt zahlreiche Gründe, die Mehrsprachigkeit alswichtige Ressource in der Altenhilfe anzuerkennenund zu fördern: Auf die Rolle von Sprache und Kom-munikation in personenbezogenen Dienstleistungenwurde bereits hingewiesen. Die Migration hat diedeutsche Gesellschaft kulturell und sprachlich viel-fältiger werden lassen. Auch bei der deutschen Be-völkerung gibt es aber sprachliche Eigenarten undDialekte, die gerade für Menschen im höheren Le-bensalter wieder bedeutsamer sind. Sprachproble-me entstehen in der Altenpflege zudem in Zusam-

menhang mit Krankheiten, z.B. bei Aphasien, psy-chischer Störung oder Demenz. Ein bewusster Um-gang mit Sprache kann die Kommunikation mit demälteren Menschen unterstützen und verbessern.

Wie können Diskurse im interkulturellen Dialog

gefördert werden?

In Gesprächen ist zu beachten, dass Worte nicht nurGegenstände und Sachverhalte benennen, sondernihnen auch eine bestimmte Bedeutung im Kontextder Umgebung geben. Worte werden zudem betont,mit Gestik und Sprachmelodie verbunden. Spracheist mehr als Worte und Grammatik, denn sie ist stetsauf die Bewältigung kommunikativer Aufgaben in derGesellschaft gerichtet.

In den Programmen „Deutsch am Arbeitsplatz“ fürErwachsene wird die Sprache häufig an authenti-schen Situationen gelernt. Bestimmte „Szenarien“von Gesprächssituationen (vgl. Grünhage-Monetti2005) werden mit Hilfe der benutzen Wörter, derSprachintentionen und Notionen analysiert: Sprach-intentionen sind Teilelemente der Sprachhandlungen.Sie haben in der Altenpflege bestimmte Funktionen,z.B. Aufnahme und Pflege von Kontakten, Gefühlemitteilen, Austausch von Meinungen, Austausch vonInformationen oder jemanden zu einer Handlungbewegen. Notionen sind Allgemeinbegriffe wie Raum,Zeit, Besitz oder Zugehörigkeit, die dem Diskurs einebestimmte Ausrichtung geben.

Die Methode der Diskursanalyse erweitert unsereWahrnehmung von Gesprächssituationen um sozio-kulturelle Aspekte und hilft die arbeitsplatz- und be-rufsbezogene Kommunikation zu verstehen und zuoptimieren (Grünhage-Monetti 2006). Die sprachlicheFörderung wird so in den Kontext der berufsfachli-chen Förderung gestellt und die „künstliche“ Tren-nung von Sprachlernen und fachlicher Qualifikationtendenziell aufgehoben. Auf dieser Grundlage sindauch die folgenden Qualifizierungsangebote konzi-piert.

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22

.

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23

Qualifizierungsbedarf

Die Bestandsaufnahme der Situation der Migrantin-nen und Migranten in der Altenpflege NRWs hat ei-nen Qualifizierungs- bzw. Fortbildungsbedarf in denBereichen deutsche Fachsprache in Verbindung mitPflegeinhalten ergeben. Der Qualifizierungsbedarfleitet sich einerseits aus den Anforderungsprofilenab, die sich mit gewandelten Aufgaben der Altenpfle-ge in Deutschland ergeben, und andererseits ausden persönlichen Voraussetzungen und Kompeten-zen, die der einzelne Mitarbeiter mit Migrationshin-tergrund in die berufliche Situation einbringt.

3.1. Pflegewissen und Fachsprache

Im Folgenden wird ein integriertes Konzept aus fach-sprachlichen und pflegefachlichen Elementen vor-gestellt und mit Bildungsmaterialien ergänzt. DiesesKonzept spricht von der Altenpflege als „menschli-che Begegnung“ (vgl. Robert Bosch Stiftung 2001,S. 26). Dennoch liegt kein spezielles Pflegemodellzugrunde, denn mit dem Begriff Begegnung (Inter-aktion) wird allgemein „aufeinander bezogenes Han-deln zweier oder mehrerer Personen“ verstanden(Wied 1999, S. 130). So genannte interaktionistischeAnsätze der amerikanischen Pflegetheoretikerinnensind begrifflich nicht einheitlich und beziehen nichtnur Personen und Gruppen, sondern auch Systemeund ihre Umwelt ein.

Die Orientierung an der Pflegesituation als Begeg-nung fokussiert zwei wichtige Aspekte:

• Pflege ist eingebettet in ein professionelles Ver-ständnis von beruflichem Handeln. Im gemein-samen Prozess werden zwischen Klientinnen/Kli-enten und Pflegenden die Schritte der Pflegepla-nung begründet, vereinbart und durchgeführt.

• Pflegende bauen so eine Beziehung zur Klientin/zum Klienten auf, die reflektiert und bewusst ge-staltet werden soll. Sprache und Kommunikationsind zentrale Elemente der Interaktion im Sys-tem Pflege.

Teil 3: Qualifizierungen für Pflegende mitMigrationshintergrund

Das Pflege- und Sprachhandeln verfolgt daher dasZiel, die beruflichen Leistungen unter „Sicherung derpersonalen Integrität des Hilfebedürftigen“ (Höhmann2006, S. 25) zu erbringen.

Das vorliegende Qualifizierungskonzept wird pflege-fachliche Inhalte mit sprachlich-kommunikativer För-derung verbinden. Die Pflegeinhalte orientieren sicham aktuellen pflegewissenschaftlichen/gerontologi-schen Diskurs, an den Vorgaben des Pflegeversi-cherungsgesetzes und den Qualitätsstandards derjeweiligen Altenpflegeeinrichtung. Hinzu kommt diesprachlich-kommunikative Förderung, basierend aufden Programmen „Deutsch am Arbeitsplatz“ desDeutschen Instituts für Erwachsenenbildung (Grün-hage-Monetti 2006).

Im Mittelpunkt stehen folgende Themen:

• Mit Bewohnerinnen und Bewohnern kommunizie-ren und Informationen sammeln

• Pflege planen und durchführen• Dokumentieren in der Altenpflege• Fallbesprechung im multikulturellen Pflegeteam

Diese vier Themen bilden die grundlegenden Modu-le der Qualifizierungsangebote, die im Projekt „MigA“entwickelt, erprobt und anschließend überarbeitetworden sind. Die nachfolgenden aufbauenden Qua-lifizierungsmodule sind zurzeit noch nicht erprobt.Das Angebot beinhaltet zunächst vier Fortbildungs-termine mit je vier Zeitstunden (einschließlich Pau-sen). Zu Beginn werden die Teilnehmererwartungenermittelt und in die Planung aufgenommen. JedesFortbildungsmodul enthält einen pflegefachlichenInput sowie Erarbeitungs- und Übungsanteile. Dasfachliche Thema wird jeweils orientiert am Wissens-stand der Teilnehmenden erarbeitet. Die grundlegen-den Konzepte der Informationssammlung, der Pfle-geplanung, des schriftlichen Pflegeberichts und derTeambesprechung werden aufgefrischt und weiter-entwickelt. Anschließend werden mit Hilfe von Ge-sprächsanalysen relevante Wortlisten, Grammatik-regeln und Sprachreflexionen zum Thema zusam-mengestellt und geübt. Damit sollen die ElementeHörverstehen, Lesen, Sprechen und Schreiben ge-fördert werden.

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Zwischen den Veranstaltungen bekommen die Teil-nehmenden Aufgaben. Am Ende jedes Fortbildungs-tages und zum Schluss der Qualifizierungsreihe ste-hen Reflexionen und Evaluationen. Die Teilnehmen-den erhalten weiterführende Hinweise zum Selbst-lernen und Fortbildungsmaterialien.

In den Qualifizierungen wird an den Interessen derTeilnehmenden und an den Erfordernissen des be-ruflichen Alltags orientiert gelernt. Die berufliche Kom-petenz in den Bereichen Beobachtung, Reflexion undDarstellung von Pflegesituationen soll so verbessertwerden. Diese Betrachtungsweise wirkt sich auf die

didaktischen Orientierungen aus. Pflege wird zu ei-nem „Erfahrungsraum“ (Robert-Bosch Stiftung 2001,S. 38), der im Spannungsfeld von gesellschaftlicherOrganisation, individueller Lebenswelt und konkre-ter Situation reflektiert wird, um schließlich die Hand-lungsspielräume zu entdecken.

In Folgendem soll erfahrenen Trainerinnen/Trainernund Lehrerinnen/Lehrern ein schneller Überblick überdas Konzept der Seminarreihe vermittelt werden.Diese „Regie-Anweisungen“ enthalten die metho-disch-didaktischen Hinweise zur Durchführung derSeminarreihe in Kurzform.

3.2. Handreichung für Trainerinnen/Trainer und Lehrerinnen/Lehrer

Seminarablaufplan

Fortbildungsmodul 1: Mit Bewohner/innen kommunizieren, Informationen sammeln

Vorstellungsrunde Partner-Interview oder „Fotolangage“ Flip Chart (FC)oder 3 – 5 Bilder pro TN

Seminarerwartungen Was möchte ich hier lernen? KartenabfrageWas möchte ich hier nicht erleben? Pinnwand

Seminarplan Planungen besprechen FC

Mit Bewohner/innen Begrüßungsformen Übungkommunizieren Wie begrüße ich ...?

Orientierung geben Wie kann ich mich verständlich machen? Fallbeispiel (Szenario)

Beobachtungen Welche Anzeichen für Befinden, Zustände Schlüsselworte, Adjektive FC,etc. werden gesehen und beschrieben? Begriffskiste

Gesprächssituationen Was soll erfragt werden? Regel für Fragen FCFragesätze, Wortlisten,Alltagssprache/Fachsprache Übungen zur BedeutungVerbale/ para- / nonverbale Kommunikation von Worten

Biografie, Lebenslauf + Kultur Welche Informationen werden für die Pflege Fallbeispiele, Geschichte(n),benötigt? Übungen, Plenum (PL)

Reflexion Was nehme ich mit? VokabelheftPL

Fortbildungsmodul 2: Pflege planen und durchführen

Begrüßung Praxiserfahrungen, Tagesplan Plenum

Informationen im Pflegeprozess Welche Bedeutung hat die Pflegeplanung? Input,zusammentragen Beispiel für eine Planung

Systematische Welche Hilfsmittel werden genutzt? Gruppenarbeit (GA)Informationssammlung AEDL - Listen

Begriffskiste

Ressourcen und Probleme Pflegeleitbild PlenumPflegeverständnis Fachbegriffe,

Standardisierte Anamnese

Assessment, Pflegediagnosen Welche weiteren Konzepte gibt es? Übung: Arbeit mit denFragebögen

Page 27: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

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3.3. Fortbildungsmodul 1Mit Bewohnerinnen/Bewohnernkommunizieren, Informationen sammeln

Der erste Kontakt zwischen Bewohnerinnen undBewohnern eines Alten- und Pflegeheims bzw. zwi-schen Klientinnen und Klienten eines Pflegediens-tes und der Pflegemitarbeiterin / des Pflegemitarbei-ters ist – wie in vielen anderen Begegnungen – sehr

Pflegeziele formulieren Pflegeplanung dokumentieren FachbegriffeListen

Die Pflegeplanung Welche Bedeutung hat sie? Diskussion

Reflexion Bilder, Sprichworte, Metaphern Kreis

Fortbildungsmodul 3: Pflegedokumentation und Pflegebericht

Begrüßung Praxiserfahrungen PL

Elemente der Dokumentation Welche Systeme werden in der Praxis Beispiele, Szenariogenutzt?

Pflegebericht Was müssen sie enthalten? GA, Partnerarbeit (PA),Formulierungshilfen

Lesen und Schreiben von Texten Verständlichkeit Übungen

Schriftlich kommunizieren Was ist bei Dokumenten zu beachten Übung: Beispiel „Jemandenund zu vermeiden? zu einer Handlung bewegen“

Funktionen der Dokumentation Für das Team, für Dritte. Test

Berufsgruppen und Qualifikation Wer tut was in der Einrichtung? GA Organigramm

Aufbau- und Ablauforganisation Wie werden die Aufgaben erledigt? Übung, Rollenspiel

Reflexion Gruppenprotokoll PL

Fortbildungsmodul 4: Fallbesprechung im multikulturellen Pflegeteam

Begrüßung Praxiserfahrungen Plenum

Besprechungen Welche Teamsprache herrscht vor? Einführung

Arbeiten im multikulturellen Was macht das „Leben schwer“? ÜbungPflegeteam

Fallbesprechung im Team Beschreibung der Pflegeprobleme und Gruppenarbeit, Fall- und„Kollegiale Beratung“ Maßnahmenanalyse,

Plakate

Handlungen vereinbaren Welche Maßnahmen können umgesetzt Kompetenzmodellwerden?

Arbeiten mit anderen Mit wem müssen wir kooperieren? Übung,Berufsgruppen Netzkarte

Reflexion Seminarabschluss FC,Was habe ich gelernt? SeminarerwartungenWoran will ich weiter arbeiten?

Evaluation Fragebögen

wichtig für den weiteren Interaktionsprozess. Aus derPsychologie kennen wir die Wirkungsweise des „ers-ten Eindrucks“, der sich an wenigen Merkmalen ori-entiert, zur Einschätzung des Gegenübers führt undhäufig langlebig und wenig korrigierbar den Kontaktsteuert.

Pflegende müssen daher den ersten Kontakt mit ih-ren Klientinnen und Klienten besonders sorgsam

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gestalten und auf Formen stereotypen Verhaltensachten. Pflegende mit Migrationshintergrund stehenvor dem besonderen Problem, dass sie durch äuße-re Merkmale (z.B. Hautfarbe) oder ihr Sprachverhal-ten Objekt von Vorurteilen und vorgefassten Eindrü-cken sein können. Diese Inhalte werden mit den Teil-nehmenden erarbeitet.

Was ist wichtig, wenn wir uns einen Eindruck von

Menschen verschaffen?

Personenwahrnehmung gehört in den Bereich dersozialen Wahrnehmung (vgl.Hornung/Lächler 2006,S. 189). Unsere Wahrnehmung wird durch psychi-sche und soziale Faktoren beeinflusst, z.B. durchErfahrungen, eigene Bedürfnisse, Wertvorstellungen,Motive und emotionale Situationen. Wahrnehmungs-fehler können durch folgende Faktoren entstehen:Einzelne Eigenschaften werden in Zusammenhangmit allgemeiner Vorstellung interpretiert, logischeFehler entstehen durch private Persönlichkeitstheo-rie, durch aufeinander folgende Wahrnehmungen(mehrere Klienten), durch Umfeldfaktoren oder Se-lektion.

Wie wird kommuniziert?

(Die Grundlagen der Kommunikationstheorie sindden Teilnehmenden zumeist aus vorhergehenderAusbildung bekannt)

Kommunikation erfolgt:

• verbal: geschriebene und gesprochene Sprache• paraverbal (paralinguistisch): Lautstärke, Ge-

schwindigkeit• nonverbal: Körperhaltung, Gesten, etc.(vgl. Hornung/Lächler 2006, S. 205)

Kommunikation transportiert Informationen nachbestimmten generellen und spezifischen (kultur-, fa-milien- und personenabhängigen) Regeln in symbo-lischer, nichtsprachlicher und sprachlicher Form. DieInformationen können verstanden werden, wenn eseinen gemeinsamen Zeichenvorrat und ein gemein-sames Regelwissen bei den Kommunikationspart-nern gibt.

Menschliche Kommunikation ist die Vermittlung vonInformationen zwischen Personen in jeweils gege-benen Lebenszusammenhängen, unter Berücksich-tigung der individuellen Erfahrungen (Vergangen-heitsbezug) und unter Berücksichtigung der indivi-duellen Erwartungen (Zukunftsbezug) (vgl. Friebe/Zalucki 2003, CD Fortbildungsmaterialien, siehe „dievier Seiten einer Nachricht – ein psychologischesModell zwischenmenschlicher Kommunikation“ nachSchulz von Thun 2002).

Kommunikationstheoretische Axiome von Watzlawick

1. Man kann nicht nicht kommunizieren (Watzlawick u. a. 1985, S. 53).

2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer denersteren bestimmt (ebenda, S. 56).

3. Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe (ununterbro-chener Austausch von Mitteilungen) seitens der Partner bedingt (ebenda, S. 61).

4. Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten. Digitale Kommuni-kationen haben eine komplexe und vielseitige logische Syntax, aber eine auf dem Gebiet der Be-ziehungen unzulängliche Semantik. Analoge Kommunikationen dagegen besitzen dieses seman-tische Potential, ermangeln aber die für eine eindeutige Kommunikation erforderliche logischeSyntax (ebenda, S. 68).

5. Zwischenmenschliche Kommunikationsabläufe sind entweder symmetrisch oder komplementär,je nachdem, ob die Beziehung zwischen den Partnern auf Gleichheit oder auf Unterschiedlichkeitberuht (ebenda, S. 70).

Quelle: Watzlawick, P./Beavin, J .H./Jackson, D. D. (1985): Menschliche Kommunikation. 7. Aufl. Bern. In G. Brüning (2003)Förderung des zivilen Dialogs, DIE Bonn

Page 29: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

27

Wie können wir den Bewohner/die Bewohnerin

verstehen?

Die sprachliche Verständigung ist die Voraussetzungfür das Verstehen. Dies beinhaltet die Kenntnis derBedürfnisse des Klienten, seiner Biografie, seinerSituation und seiner emotionalen Befindlichkeit. DieInformationen werden gedeutet, interpretiert und zueinem „Fallverstehen“ verdichtet.

Zahlreiche Wirkungsfaktoren können Missverständ-nisse produzieren. Ein wichtiger Faktor ist die ver-ringerte Kommunikationsfähigkeit des Klienten:

Übung zur Informationssammlung (Gruppenarbeit):

„Stellen Sie sich vor, Sie waren 2 Wochen im Urlaubund lernen nun eine Bewohnerin / einen Bewohnerneu kennen, deren Pflege Sie übernehmen.Welche Informationen benötigt die Bewohnerin / derBewohner?Welche Informationen benötigen Sie als Pflegende?

Die Informationssammlung speist sich aus unter-schiedlichen Quellen: Pflegende beobachten diePerson, unterhalten sich mit ihr und befragen sie.Möglicherweise gibt es Vorinformationen aus derstandardisierten Pflegeanamnese. Häufig werdenDaten zur Bewohnerin / zum Bewohner orientiert andem Modell der Aktivitäten und existentiellen Erfah-rungen des täglichen Lebens (Krohwinkel 1993) er-fasst. Diese stellen die Grundlagen der Pflegepla-nung. Doch jede Planung muss auf die individuelleSituation und auf die Bedürfnisse der Bewohner/innen oder des Klienten angepasst werden. Dazuenthalten standardisierte Pflegeanamnesen und Pfle-gebedarfserhebungen häufig Spalten zu individuel-len Besonderheiten, Bedürfnissen, Gewohnheitenetc. (vgl. Budnik 2005, S. 45 ff).

In dieser Situation kommt der Informationssammlungund der systematischen Beobachtung im Kontakt mitden Bewohner/innen eine besondere Bedeutung zu.Unsere Wahrnehmung ist im Sinne einer gezieltenVerhaltens- und Situationsbeobachtung einzusetzen.

Das (erste) Gespräch mit der Bewohnerin / demBewohner folgt bestimmten Intentionen der profes-sionellen Pflege: Es soll

Kommunikation in der Altenpflege

(Powell 2005, S. 37) Aufgabe: Interpretieren Sie die dargestellten Situationen!

Wahrnehmungs- – Visuelle Wahrnehmungsstörungstörungen – Auditive Wahrnehmungsstörung

– KinästhetischeWahrnehmungsstörung

– GustatorischeWahrnehmungsstörung

– Taktile Wahrnehmungsstörung– Olfaktorische

Wahrnehmungsstörung

Neglect – Fehlende Bewusstheit undAufmerksamkeit für eineKörperseite

Beeinträchtigte – WissensdefizitKommunikation – Fehlende Kooperations-

bereitschaft

Therapie- – wirksames/unwirksamesmanagement Therapiemanagement

– Unwirksames familiäresTherapiemanagement

Pflegediagnosen in der Altenpflege (KDA Hrsg.2006, www.kda.de)Kommunizieren Können

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– ein gutes Gesprächsklima hergestellt werden– notwendige Informationen gesammelt werden– Prozesse in Gang gebracht werden– Handlungen vorbereitet und vereinbart werden.

Diskussion: Welche Probleme können bei der In-formationssammlung entstehen, wenn PflegendeDeutsch nicht als Muttersprache haben?

Wie werden Fragen formuliert?

Die Intentionen des Gespräches werden über Fra-gen gesteuert. Fragen erfüllen wichtige Funktionenim Gespräch, die abhängig sind von der „Angemes-senheit“ der Fragestellung. Sie:

– lenken das Gespräch– begrenzen oder erweitern die Thematik– klären und verdeutlichen– aktivieren und motivieren– geben Impulse

oder sie erfüllen diese Funktionen nicht, indem sieverwirren, provozieren, verletzen und das Ge-sprächsklima bzw. den Pflegeprozess negativ beein-flussen. Es gibt verschiedene angemessene Frage-formen, die je nach Situation die notwendigen Infor-mationen erbringen:

– offene Fragen bieten sich an, um viele Informati-onen zu erhalten oder Meinungen einzuholen –sie lenken das Gespräch aber wenig

– geschlossene Fragen bieten sich an, um kurzeund exakte Informationen zu erhalten – sieschränken die Antwortmöglichkeiten stark ein

– indirekte Fragen bieten die Möglichkeit, Informa-tionen auch zu sensiblen Themen zu erhalten –sie verursachen aber leicht Missverständnisse

– direkte Fragen können Probleme klären und In-formationen kontrollieren – sie können als unhöf-lich empfunden werden und Abwehrreaktionenhervorrufen

Fragesätze können unterschiedlich aufgebaut wer-den. Bestimmte Entscheidungsfragen können nur mitJa oder Nein beantwortet werden, während Ergän-zungsfragen häufig mit einem „W-Fragewort“ (wann?wo? wie? warum?) eingeleitet werden und dann das„flektierte“ Verb folgt (siehe deutsche Grammatik).Fragen können aber auch nur durch Betonung imAussagesatz gebildet werden oder „rhetorisch“ garnicht auf eine Antwort abzielen.

Weitere Übungen:

(Schulung des Hörverstehens, Sprechens und derfachlichen Deutung)

Welche Bedeutung haben bestimmte Begriffe in

der Altenpflege?

Beispiele: Die besondere Rolle der Aktivierung imAlter, der doppelte Sinn des Begriffs „Betreuung“(rechtliche und soziale Bedeutung), die Aktivitätendes täglichen Lebens (AEDL nach Krohwinel 1993),fördernde Prozesspflege, mit existentiellen Erfahrun-gen umgehen können.

Erklären Sie bitte folgende Begriffe.

Pflegerelevante Fachbegriffe: Deutsch-Deutscherklärt (MIA 2005, S. 2-3)

Anteil nehmen Mitgefühl haben, an den Sorgen oderKrankheiten der/des Bewohner/s inte-ressiert sein und dies auch sagen undzeigen.

Betreuung Menschen, die aufgrund einer Krank-heit oder ihres Alters Hilfe brauchen,werden betreut. Es ist jemand für sieda, z.B. das Pflegepersonal in einemPflegeheim.

Aktivierung Das Pflegepersonal fördert die Bewoh-ner, an Aktivitäten oder an der eigenenPflege teilzunehmen, z.B. sich selbstzu waschen, wenn es noch möglich ist.

Tagesablauf Essenszeiten und Freizeitangebotestrukturieren strukturieren den Tagesablauf, sie hel-

fen den Bewohnern zu wissen, welcheTageszeit ist.

Angehörigen- Im Heim hat man auch viel mit denarbeit Angehörigen (Familien) der Bewohner/

innen zu tun. Man informiert sie z.B.darüber, wie es dem/r Bewohner/ingeht, was im Pflegeheim passiert oderwas sie zur Pflege beitragen können.

Erstellen von Wortlisten aus dem Pflegebereich

Bereich: Kommunikation

die Anordnung anordnen, befehlen, Aufgabeerteilen/erhalten

die Beratung beraten, aufklären, informieren,verbale Hilfestellung geben/erhalten

die Information informieren, aufklären, Wissenweitergeben/erhalten

die Linderung lindern, verbessern, erleichtern,trösten, Gesundung

Page 31: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

29

Ergebnis:

„If we cannot name it, we cannot control it, finance it,teach it, research it, or put it into public policy“ (Clark,in Bartholomeyczik 2005) - Wenn wir es nicht be-nennen, können wir es [auch] nicht beherrschen, fi-nanzieren, lehren, erforschen oder zu einem Be-standteil politischer Entscheidungen machen.

3.4. Fortbildungsmodul 2(Hans Küpper)

Der Pflegeprozess – Pflege planen und

durchführen

Professionelle Pflege ist eine geplante, personen-bezogene Dienstleistung. Der Pflegeprozess ist ihrRegelkreislauf (auch Pflegeregelkreis genannt). DerPflegeprozess organisiert eine systematische, an denindividuellen Bedürfnissen und dem Bedarf des Pfle-gebedürftigen orientierte Pflege. Die schriftliche Pla-nung und Dokumentation der Pflege sind heute un-verzichtbare, integrale Bestandteile des Pflegepro-zesses. Hierfür benötigen Pflegekräfte insbesonde-re den sicheren Umgang mit der formalisierten Fach-sprache und ausreichendes Sprachvermögen aufanderen Sprachebenen, um im und über den Pfle-geprozess kommunizieren zu können.

Schritte im Pflegeprozess sind:

• Informationen sammeln

• Probleme erkennen und Ressourcen erfassen

• Pflegeziele festlegen

• Pflegemaßnahmen planen

• Pflege durchführen

• Wirkung der Pflegemaßnahmen beurteilen

Neben dieser, in Deutschland weit verbreiteten,Darstellung des Pflegeprozesses in sechs klar ab-grenzbaren Schritten (nach Fichter/Meier 1988) exis-tiert eine bunte Fülle von Darstellungsformen desPflegeprozesses. Gemeinsam ist diesen Darstel-lungsformen im Kern der Versuch, den Charaktereines sich wiederholenden und selbst kontrollieren-den Prozesses sichtbar machen zu wollen.

Der Pflegeprozess hat zum Ziel, auf systematischeArt und Weise dem Bedürfnis des Patienten nachpflegerischer Betreuung zu entsprechen. Er bestehtaus einer Reihe von logischen, voneinander abhän-gigen Überlegungs-, Entscheidungs- und Handlungs-

die Orientierung orientieren, zurechtfinden,des/orientiert sein, Orientierungerleichtern

der Tastsinn tasten, anfassen, ertasten, erfühlen

die Taubheit nicht hören, schwerhörig

das Zuhören zuhören, lauschen, Gesagtesverstehen

Wortschatz „Sich bewegen“: (Peikert 2006, S. 152).

„Beugen, strecken, dehnen, drehen, recken, räkeln, an-ziehen, spreizen, kreisen, anspannen, entspannen, drü-cken, ziehen“...

Begriffe erläutern

Essen

Mahlzeit Nahrungsaufnahme Speisen

Mittagessen Darreichungsform Speisenfolge

Kaffeetrinken Passierte Kost Speiseplan /-karte

Übung: Verben ändern ihre Bedeutungen auchdurch die Vorsilbe.

hören tragen reden

zuhören vortragen zureden

abhören beitragen überreden

überhören nachtragen zerreden

verhören übertragen nachreden

Übung: Adjektive kennzeichnen die Eigen-schaften eines Nomens.Sie charakterisieren die Qualität, Häufigkeit,die emotionale Besetzung etc. (Grammatik,Wortformen)

Der Schmerz ist: stechend, ziehend, pochend,pulsierend, drückend, ausstrah-lend, brennend, dumpf, lähmendund vieles mehr!

Ausscheidung beobachten (Peikert 2006, 130 ff)

Der Husten ist trocken, keuchend, rau, kratzig,bellend

Der Harn ist dunkelbraun, trüb, milchig, übelriechend

Der Stuhl ist schwarz / teerfarben, hell / lehm-farben

Page 32: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

30

schritten, die auf eine Problemlösung, also auf einZiel hin, ausgerichtet sind und im Sinne eines Re-gelkreises einen Rückkopplungseffekt (Feedback) inForm von Beurteilung und Neuanpassung enthalten.

Das Resultat der Pflege wird am Pflegeziel gemes-sen. Wenn das Ziel erreicht wird, ist der Vorgangbeendet. Wenn aber Abweichungen vom gesetztenZiel vorkommen oder neue Probleme auftreten, be-ginnt der ganze Prozess von neuem. Es müssenzusätzliche Informationen gesammelt werden, Pro-bleme und Ziele neu formuliert und die Maßnahmenentsprechend angepasst werden.

Der Pflegeprozess ist als Arbeitstechnik ein wesent-licher Baustein eines Pflegekonzepts in Altenpflege-einrichtungen. Für Pflegende ist es oft schwer, ihreigenes pflegerisches Handeln in den Zusammen-hängen einer Institution zu verstehen. Ein gut for-muliertes Pflegekonzept kann hierzu einen Orientie-rungsrahmen bieten – unabhängig davon ob eineEinrichtung ein formalisiertes Qualitätsmanagement-system eingeführt hat oder nicht.

Im Rahmen der Seminarreihe „Pflegewissen undFachsprache“ wird die Auseinandersetzung mit demPflegeprozess in den Zusammenhang und Bezug zuPflegekonzepten gestellt. Bei Inhouse-Schulungensollte auf das in der Einrichtung praktizierte Pflege-konzept möglichst konkret Bezug genommen wer-den. Die einzelnen Elemente eines Pflegekonzeptssind den am Seminar teilnehmenden Pflegefachkräf-ten meist bekannt und sollten deshalb nur exempla-risch angesprochen und nicht vertieft werden. Es gehtvielmehr darum, sich über das Pflegekonzept in sei-ner institutionellen Eingebundenheit und Ausprägunggemeinsam zu verständigen. Als Beispiel kann dieBeschäftigung mit dem Pflegeleitbild der eigenenEinrichtung dienen oder das im Folgenden darge-stellte Arbeitsblatt helfen.

1.Informations-

sammlung

2.Erkennen von

Problemen undRessource

6.Beurteilen

der Wirkung derPflege auf den

Patienten

5.Durchführung

der Pflege

4.Planung

der Pflege-maßnahmen

3.Festlegung der

Pflegeziele

Pflegeprozess als Sechs-Schritt-Modell

(Fichter und Meier, 1988)

Ein Pflegekonzept sollte mindestens auf folgen-de Punkte eine Antwort geben:

Pflegeleitbild

Pflegemodell

Pflegesystem

Regeln der Ablauforganisation

Pflegeprozess

Standards

Leistungsbeschreibungen

Kooperationen mit anderen Diensten

Page 33: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

31

Pflegeleitbild

1 Wir sehen unseren Auftrag in der angemessenen stationären Versorgung der älteren und/oderpflegebedürftigen Bürgerinnen und Bürger der Stadt XYZ.

2 Die Bewohnerinnen und Bewohner stehen im Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns.

3 Wir sehen den Menschen als eigenständige, einzigartige Persönlichkeit, dem wir ohne Wertungder Person, seiner Herkunft und seines Glaubens mit Achtung und Respekt begegnen.

4 Die Würde des Menschen wollen wir wahren und aktiv schützen.

5 Die Erhaltung und Förderung der Selbstständigkeit, der Entscheidungsfähigkeit und der Eigenver-antwortung der Bewohnerinnen und Bewohner sind wichtige Ziele unserer Arbeit.

6 Wir fördern und unterstützen daher die Bewohnerinnen und Bewohner in ihren Fähigkeiten zurRealisierung von Lebensaktivitäten und im Umgang mit existentiellen Erfahrungen des Lebens.

7 Die individuelle Pflege orientiert sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Bewohnerinnen undBewohner.

8 Die persönliche Lebensgeschichte der Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren aktuelle Le-benssituation und Zukunftsperspektiven werden berücksichtigt.

9 Die körperlichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner be-achten und berücksichtigen wir gleichrangig als eine Einheit.

10 Die Bewohnerinnen und Bewohner erfahren im Rahmen der notwendigen pflegerischen Tätigkei-ten angemessene Fürsorge und Zuwendung.

11 Die Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Bezugspersonen werden in die Planung und Gestal-tung der Pflegeprozesse, die sich an den aktuellen Erkenntnissen der Pflegewissenschaft orien-tieren, einbezogen.

12 Wir wahren und achten die Privat- und Intimsphäre der Bewohnerinnen und Bewohner bei allenpflegerischen Tätigkeiten.

13 Ziel unserer pflegerischen Tätigkeit ist es, für die Bewohnerinnen und Bewohner, deren Bezugs-personen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Atmosphäre des Wohlbefindens, der Sicher-heit und der persönlichen Akzeptanz zu schaffen.

14 Wir verstehen Pflege als individuelle Dienstleistung. Vereinbarte, erforderliche und erbrachte Leis-tungen werden dokumentiert und dadurch transparent und bewertbar gemacht.

15 Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich verpflichtet nach diesem Pflegeleitbild zu arbei-ten.

Aufgabe:Diskutieren und erarbeiten Sie mit ihrem Partner bitte folgende Fragen:

1. Unterstreichen Sie bitte alle Wörter/Begriffe, die Sie nicht auf Anhieb verstehen oder fürbesonders diskussionswürdig halten.

2. Worin unterscheiden sich Wünsche und Bedürfnisse?3. Was bedeutet Respekt für Sie?4. Wer bestimmt, was eine angemessene stationäre Versorgung ist?

Arbeitsblatt „Pflegeleitbild“

Page 34: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

32

Übung (Worte und ihre Bedeutungen)

Die Übung „Wo ist denn da der Unterschied?“ machtnoch einmal die sprachlichen Anforderungen in derAltenpflege deutlich. Beispielsweise kann bei demBegriff „Bedürfnisse“ die Bedürfnispyramide vonMaslow als psychologischer Erklärungsansatz her-angezogen werden - wohingegen bei den Begriffen„begleiten, anleiten, betreuen und unterstützen“ ver-schiedene Pflegeinterventionen beschrieben werdenmüssen.

„Wo ist denn da der Unterschied?“

Privatsphäre / Intimsphäre

vereinbart / erforderlich / erbracht

Wünsche / Bedürfnisse / Gewohnheiten

beachten / berücksichtigen

begleiten / anleiten / betreuen / unterstützen

Arbeiten mit dem Pflegeprozess

Der Satz „wir pflegen nach Monika Krohwinkel“ stehtnicht nur in vielen Hausprospekten von Altenpflege-einrichtungen, sondern wird auch von vielen Pfle-genden in die Debatte geworfen, wenn es um denPflegeprozess oder Konzepte in der Pflege geht. DasModell der „Aktivitäten und existentiellen Erfahrun-gen des Lebens“ (AEDL) von Monika Krohwinkel(1993) ist in der deutschen Pflegelandschaft weitge-hend akzeptiert. Mit Hilfe der AEDLs kann man über-prüfen, in welchen Bereichen Ressourcen und Pro-bleme (also Pflegebedarf) einer Bewohnerin / einesBewohners bestehen. Die Informationssammlungspielt im AEDL Modell eine entscheidende Rolle.Immer wieder müssen Pflegende dabei eine andereSprachebene einnehmen und mit unterschiedlichenGesprächspartnern kommunizieren. Fähigkeiten undRessourcen müssen angemessen erfragt, Hilfebe-darf abgeschätzt und Probleme beschrieben werden.Letztendlich muss das Ergebnis in formalisierterFachsprache gefasst und im Team besprochen wer-den - denn Pflege ist meistens eine Teamleistung.

AEDL nach M. Krohwinkel (Liste der 13 Aktivitä-ten als Arbeitsblatt)

Aufgabe:

Es werden Kleingruppen gebildet (nicht mehr als vierPersonen pro Gruppe).

Listen Sie auf dem Ihnen zugeteilten Arbeitsblatt(jeweils eine AEDL pro Arbeitsblatt z.B. „ruhen undschlafen können“) alle Nomen auf, die Ihnen spontanzu dieser AEDL einfallen.

Ordnen Sie die Nomen zu sinnvollen Blöcken, diebeispielsweise in Pflegeberichten häufig gemeinsamVerwendung finden.

Auswertung im Plenum

Tipp: Begriffskiste

Ein besonderer Anreiz ist ein so genannter „Setzkas-ten“ in den man die auf kleinen Kärtchen notiertenBegriffe einsortieren kann (und sie auch immer wiederumgruppieren kann). Besonders für längerfristige Lern-

gruppen geeignet.

Als Beispiel für eine systematische Informations-sammlung (z.B. in Form von Checklisten) kann diefolgende Auflistung dienen: „Welche Informationenwerden beim Heimeinzug benötigt?“

Heimeinzug / Erstgespräch

Informationen sammeln

• Biografische Daten

• Pflegeanamnese / Pflegediagnosen

• Bedarf an Körperpflege (Grundpflegebedarf)

• Bedarf an ärztlich angeordneter medizinischer Be-handlungspflege (gemäß SGB V)

• Bedarf an rehabilitativen Maßnahmen und sozialerBetreuung

• Bisherige Gewohnheiten/Wünsche und Bedürfnis-se/Abneigungen

• Hilfsmitteleinsatz

• Kontakte zu und Beteiligung von Angehörigen und

Bezugspersonen

Probleme und Ressourcen (auch Fähigkeiten) freizu formulieren ist schwierig und muss gelernt undimmer wieder geübt werden. Welche Fragen kannich mir dabei stellen, um zu einem befriedigendenErgebnis zu gelangen.

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Was kann der Bewohner noch selbständig?

Wobei braucht er Anleitung, „Beaufsichtigung“,Unterstützung oder teilweise Übernahme,vollständige Übernahme der Aktivitäten?

Welche potentiellen Risikofaktoren gibt es?

Aufgabe: Bilden Sie Kleingruppen.

Formulieren Sie bitte schriftlich jeweils drei häufigvorkommende Pflegeprobleme:

• Geäußerte• Messbare• Beobachtbare

Auswertung im Plenum

Sind in einer Einrichtung Assessment-Verfahren oderPflegediagnosen bereits eingeführt, sollte daraufBezug genommen werden und die Arbeit mit denFragebögen bzw. Listen geübt werden. Ansonstenkann ein kleiner Überblick über unterschiedliche Ver-fahren und für die Altenhilfe relevante Pflegediagno-sen ein sinnvoller Input sein.

Pflegeziele formulieren:

Das Pflegeziel beschreibt ein Ergebnis, das Bewoh-ner und Pflegeteam in einem festgelegten Zeitraumerreichen wollen. Das Ziel gibt die Richtung der zuplanenden Pflegemaßnahmen an und dient dazu, dieMaßnahmen auf ihre Wirksamkeit und Qualität zuüberprüfen. Es sollte eher mit Nahzielen gearbeitetwerden: Was können wir in einem überschaubarenZeitraum erreichen? Was haben wir erreicht? DieZielformulierungen müssen realistisch und überprüf-bar sein – das gilt auch für die häufig in der Alten-pflege verwendete Formulierung „soll erhalten wer-den“. Ziele werden positiv formuliert.

Übung:

Die Formulierung von Pflegezielen (Nahzielen, auchTeil-, Feinziele genannt) sollte geübt werden anhandvon guten Praxisbeispielen oder freien Formulierun-gen zu den Bereichen:Zustand, Fähigkeiten, Wissen, messbare Befunde,Verhalten und Entwicklungen.

Bei kleinen Lerngruppen kann im Plenum gearbeitetwerden – sonst sind Kleingruppen zu bilden und dieAuswertung im Plenum vorzunehmen.

Schriftlich formulierte Pflegeprobleme, -ziele unddaraus individuell abgeleitete Pflegemaßnahmensind die wesentlichen Elemente einer Pflegeplanung.Die Pflegeplanung sollte für andere an der PflegeBeteiligte nachvollziehbar und verständlich sein. EineDiskussion über Pflegeplanung sollte das „Wehkla-gen über zuviel Bürokratie“ vermeiden und den kon-kreten Nutzen einer guten Pflegeplanung für dieBewohnerinnen und Bewohner und für die fachlicheWeiterentwicklung der Pflege im Wohnbereich bzw.Altenpflegeheim betonen.

Ausklang:

Übung: „Typisch“

Es werden zwei Gruppen gebildet.

Auf einem FC – Bogen sammelt jede Gruppe Sprich-wörter.

Beispielsweise: „Scherben bringen Glück“

Nach dieser ersten Arbeitsphase tauschen die Grup-pen die Bögen aus und versuchen den in dem jeweili-gen Sprichwort enthaltenen verborgenen Wert bzw.Sinn auszuloten und schlagwortartig dahinter zuschreiben.

Beispielsweise: „Scherben bringen Glück“ – Optimis-mus

Auswertung im Plenum

Wie stehen Sie zu den in den Sprichwörtern ausge-drückten Werten?

Was ist für Sie typisch Deutsch?

Eine Reflexion im Plenum steht am Ende des Fort-bildungsmoduls.

Page 36: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

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3.5. Fortbildungsmodul 3 (Heidi Stier)Pflegedokumentation und Pflegebericht

Durch das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz hat dieDokumentation der Pflege einen noch höheren Stel-lenwert erlangt. Die Pflegedokumentation ist daswichtigste Kommunikations- und Planungshilfsmittel,welches den Pflegekräften zur Verfügung steht.Durch sie wird der Pflegeaufwand einer Bewohnerin/ eines Bewohners ermittelt und dokumentiert.Dadurch wird die Pflege professionalisiert, auch wenndie Handhabung nicht immer einfach ist. Gerade derPflegebericht bereitet vielen Pflegekräften Schwie-

rigkeiten (nicht nur denjenigen mit Migrationshinter-grund). Immer wieder stellen sich die Fragen: Wieformuliere ich angemessen und verständlich Pflege-probleme, ohne eine Wertung mit einfließen zu las-sen? Was gehört eigentlich in einen Pflegeberichtund wer darf dort eine Eintragung machen? Pflege-kräfte mit Migrationshintergrund haben oft Hemmun-gen, Eintragungen vorzunehmen. Oftmals haben sieAngst etwas „Falsches“ zu schreiben und sich „lä-cherlich“ zu machen. Denn wie soll man kurz undknapp in einer Sprache formulieren, die nicht die Mut-tersprache ist?

Inhalt Sozialform Medien

Begrüßung der TN und Vorstellungsrunde UG

Was ist ein Pflegebericht? UG/LV

Anforderungen an den Pflegebericht LV Flip-Chart

Juristische Rahmenbedingungen LV

Was gehört in den Pflegebericht UG Folie/ Hand - Out

Wichtig beim Pflegebericht LV

Ungeeignete Begriffe für den Pflegebericht UG Folie/ Hand - Out

Formulierungsbeispiele UG Folie/ Hand - Out

Verbessern von Formulierungen EA Arbeitsblatt

Beispiel eines Pflegeberichts UG Arbeitsblatt

Alle Eintragungen außer den folgenden... UG Arbeitsblatt

Formulierungshilfen UG Arbeitsblatt

Pflegebericht bei demenziellen Erkrankungen LV/UG

Inhalte im Pflegebericht bei Menschen mit Demenz LV/UG Folie/ Hand - Out

Folgende Fragen sind wichtig… LV

Trainingsmöglichkeiten LV/UG

Checkliste zur Überprüfung des Pflegeberichts UG Arbeitsblatt

Der Pflegebericht und seine Bedeutung in der Zukunft LV

Reflexion UG

Übersicht Fortbildungsmodul 3

Erklärung der Abkürzungen:UG= Unterrichtsgespräch, LV= Lehrervortrag, EA= Einzelarbeit, HZ= Handzeichen, NK= Namenskürzel,TN= Teilnehmer

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Was ist ein Pflegebericht?

Der Pflegebericht dient einerseits als Rechenschafts-bericht über Vorgang, Verlauf und Wirkung der Pfle-ge, andererseits dient er der fortlaufenden Informa-tionssammlung und -weitergabe. Er gibt wie jederBericht Antwort zu den so genannten W-Fragen:

Wer? Was? Wann? Wie? Wie oft? Wo? Wozu/warum?

In sachlicher und knapper Form gibt er Auskunft überVerlauf und Wirkung der Pflege sowie Besonderhei-ten:

• Allgemeines Befinden des zu Pflegenden.

• Veränderungen der körperlichen, seelischen,geistigen und sozialen Situation des zu Pflegen-den.

• Wirkung von Pflegemaßnahmen.

• Verbale und nonverbale pflegerelevante Äußerun-gen des zu Pflegenden.

• Besuch und Informationen von bzw. an den Arzt,Therapeuten, Pastor, Angehörigen, etc.

• Besondere Vorkommnisse.

Die genannten Inhalte werden im Pflegebericht wert-neutral, stichpunktartig oder in kurzen Sätzen fest-gehalten. Datum, Zeit und Handzeichen vervollstän-digen jede Eintragung. (vgl. Kirks, Scherer, Streit:„Deutsch/Kommunikation in der Altenpflege“, 2000,S. 87)

Anforderungen an den Pflegebericht

Formal: Inhaltlich:• Lesbarkeit • Verständlichkeit• Übersichtlichkeit • Kontinuität• Datierung • Orientierung am

und Signierung Pflegeprozess

Zu vermeiden sind:

– Wertungen (z.B. wütend, aggressiv, sauer, giftig,kindisch, ablehnend, frech, gut gelaunt, schlechtgelaunt, aufbrausend).

– Wenig aussagefähige Begriffe und Formulierun-gen (Bewohnerin/Bewohner hat eine Rötung, ...ist desorientiert, ... ist verwirrt).

– Beobachtungen, die für die Pflege nicht relevantsind (keine medizinischen Daten, kein Tätigkeits-nachweis).

(vgl. Kirks, Scherer, Streit: 2000, S. 87)

Berücksichtigung juristischer Vorschriften

Der Pflegebericht ist ein Dokument, das auch beijuristischen Streitfragen oder zum Nachweis derDurchführung einer professionellen Pflege im Falleeines pflegerischen Gutachtens hinzugezogen wird.In einer solchen dokumentarischen Darstellung dür-fen sich keine Eintragungen finden, die direkt oderindirekt erkennen lassen, dass gegen bestehendesRecht verstoßen wurde (z.B. „Frau... wollte sich heuteMorgen nicht waschen lassen, habe sie trotzdemgewaschen“ = Verstoß gegen das Grundrecht desMenschen zur Selbstentscheidung oder „Frau...wehrt sich gegen die Intimpflege. Haben sie zu zweitdurchgeführt. Sr. K hat sie festgehalten, ich habegewaschen“).

Die Rechtsprechung zeigt auf, dass pflegerischeLeistungen nur dann als „gemacht“ gelten, wenn sieauch dokumentiert sind. Folgende Manipulationender Dokumentation gelten als Dokumentenfäl-schung:

• Tipp Ex• Überkleben• Schreiben mit Bleistift und Ausradieren• unleserlich machen(vgl.: Löser, A. P.: „Pflegeberichte endlichprofessionell schreiben“, 2004, S.30-31)

Was gehört in den Pflegebericht und welche Ein-tragungen sind wichtig?

• Das aktuelle Befinden der Bewohnerin/des Be-wohners – wie geht es ihr/ihm heute?

• Die Reaktion der Bewohnerin/des Bewohners aufdurchgeführte Pflegemaßnahmen – wie wir-ken sie bei ihr/ihm?

• Entwicklung eines bestimmten Pflegeproblemsoder einer Ressource – wie hat sich der Zustandverändert?

• Besondere Vorkommnisse, gefährliche Situatio-nen, Zwischenfälle – trat etwas Ungewöhnlichesauf?

• Modifikation der Pflegeplanung nach wiederhol-tem Auftreten eines Pflegeproblems?

• Ereignisse, die eine direkte Auswirkung auf denBewohnerzustand oder dessen Versorgung ha-

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ben – gab es heute solche Ereignisse?• Modifikation der in der Pflegeplanung dargestell-

ten Maßnahmen – wurden die Pflegemaßnahmengeändert hinsichtlich Art, Dauer, Material, Zeit-punkt? Wenn ja, warum?

• Kooperation mit Schnittstellen – gibt es Informa-tionen, die an andere Berufsgruppen /Dienstleis-tungsanbieter weitergeben werden müssen oderweiter gegeben wurden?

• Darstellung von Orientierungsstörungen – tratenheute Orientierungsstörungen auf, die nicht re-gelmäßig vorhanden sind?

(vgl. Löser 2004, S. 82)

Wichtig beim Pflegebericht: Keine Romaneschreiben!!!!!!

Der Pflegebericht soll EIKLAN sein = Einfach, klarund anschaulich!!!!!

Dokumentieren Sie nie doppelt!

Es gilt der Grundsatz: So viel wie nötig, so wenigwie möglich!

Beispiel: Der Blutdruck (RR) von Herrn Schulzebetrug 180/90 mmHg, er erhielt 10 mg Pidilat. Einehalbe Stunde nach der Medikamentengabe sinkt derRR von Herrn Schulze auf 150/70mmHg. Der RRWert und Medikamentenanordnung werden im fort-laufenden Kurvenblatt vermerkt. Sie brauchen RRWerte und Maßnahmen nicht im Pflegebericht auf-zuführen (keine Ansammlung von medizinischenDaten, kein Tätigkeitsnachweis).

Im Pflegebericht wird das Befinden dokumentiert, z.B

Frühdienst 7.30 Uhr Herr Schulze äußert, dass ersich erschöpft fühlt und klagtüber Kopfschmerzen. He

8.00 Uhr Herr Schulze gibt an, dass ersich besser fühlt, möchtejedoch gern Hilfe bei derKörperpflege, da er Angst äußertzu kollabieren. He

(vgl. Budnik, B. 2005: „Pflegeplanung leicht gemacht“,S. 100-101)

Ungeeignete Begriffe für den Pflegebericht

Ungeeignete Begriffe Fragestellung

Öfter mal … Wie oft? Was sind dieGelegenheiten?Wann, zu welchemZeitpunkt?

Zeigt mehr oder Was ist „mehr“? Was istweniger … „weniger“?

Auf welche Menge,Stärke Ausprägungs-merkmale bezieht sich dieAussage?

Ist mal so und mal so … Wann ist das „mal“?Wann tritt es auf?Wie oft tritt das „mal“ auf?Was heißt „so“? was zeigtsich genau?

… kann nicht alles? Was ist „alles“?Welche Anteile sindgenau gemeint?Was kann der Betroffene?Was kann er nicht?

… ist mal wieder total … Was heißt „mal wieder“?Was ist „total“? Wie siehtder Zustand genau aus?

… geht es schlechter? Auf was bezieht sich„schlechter“? Was zeich-net das „schlechterGewordene“ aus?

(vgl. Löser 2004, S. 23)

Besser

Herr Müller wollte heute unbe-dingt alleine duschen. Dabei ist erum 7:10 Uhr in der Duschkabineausgerutscht und hat sich denKopf an der Kabine angeschla-gen. Nach eigenen Angabenhabe er aber keine Beschwerden.Äußerlich sind keine Verletzun-gen erkennbar. Weiter beobach-ten.

Frau Bauer ist depressiv. Sieweint leise vor sich hin und lässtsich nicht ansprechen.

Herr Maurer erkennt seine Toch-ter beim Besuch nicht wieder. Erschrie laut um Hilfe und bat mich,die fremde Frau wegzuschicken.

Frau Flemming biss mir in denUnterarm und schlug nach mir,als ich sie zu Bett bringen wollte.Sie schrie mich an und be-schimpfte mich.

Schlecht

Herr Müller istheute Vormittagausgerutscht,keine Besonder-heiten.

Frau Bauer istdepressiv.

Herr Maurer istverwirrt.

Frau Flemming istaggressiv.

(vgl. Kirks, Scherer, Streit: 2000, S. 87)

Formulierungsbeispiele

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Folgende Eintragungen entsprechen nicht den In-tentionen eines Pflegeberichtes:

„Es könnte sein“ = unzulässige Wertung.„Keine besonderen Vorkommnisse“ = für die Pflegeunrelevant, nicht aussagefähig.„Ist aggressiv“ = keine konkrete Beobachtung undBeschreibung.„Ich glaube“ =unzulässige Wertung und Vermutung.„Dr. S. war zur Visite“ = Es fehlen Informationen überdas Ergebnis der Visite.„Wieder einmal schlecht gelaunt“ = unzulässigeWertung, keine konkrete Beobachtung.„Schlechte Gesichtsfarbe“ = das Adjektiv „schlecht“ist wenig aussagekräftig.(vgl. Kirks, Scherer, Streit: 2000, S. 8)

Formulierungshilfen bei wechselnden Situatio-nen/Zuständen/Pflegezeiten

• Frau U. konnte die Körperpflege nicht durchfüh-ren, weil …

• Heute … Minuten für die Körperpflege bei HerrnJ. benötigt, da er immer wieder zwischendurchweglaufen wollte

• Heute im Frühdienst nur 2x gelagert. Frau Ö. littunter Übelkeit, wollte auf dem Rücken liegen blei-ben, lehnte häufigere Lagerungswechsel ab.

Formulierungshilfen bei erhöhtem Pflegezeitauf-wand

• Heute … Minuten für die Körperpflege benötigt.Mehraufwand erforderlich, weil Frau/Herr … (fol-gendes Verhalten/Problem) zeigte

• Insgesamt 30 Minuten für das Anreichen derMahlzeit benötigt, weil Herr/Frau... beim Anrei-chen immer wieder weglaufen wollte

Formulierungshilfen bei langfristig gleich blei-benden Zuständen11

• Frau ... fühlt sich nach dem Bad nach eigenenAngaben sehr wohl. Im warmen Wasser kann sieentspannen und ihre Schmerzen lassen nach.

• Herr … hat heute nicht nur Gesicht und Hände

selbst gewaschen, sondern konnte nach Anlei-tung auch die Oberarme pflegen

• Frau … hat heute das erste Mal an einer Grup-pengymnastik teilgenommen.Nach anfänglichen Problemen, sich in der Grup-pe einzufinden, fand sie die anderen Bewohnerdort sehr nett und möchte auch nächste Wochedort hingebracht werden.

(vgl. Löser 2004, S. 119-120)

Folgende Fragen sind wichtig und im Pflegebe-richt zu klären:

• Wie geht es dem Bewohner heute? Welches Be-finden zeigt er?

• Gibt es außergewöhnliche Reaktionen, Proble-me oder Pflegebedarfe, die nicht planbar waren?

• Ist der Zeitaufwand bei der Durchführung einerMaßnahme höher als im Regelfall?

• Ist nachts ein erhöhter Pflegebedarf erkennbar?

Trainingsmöglichkeiten (Begriffsverwendungenund Schreiben)

Überprüfen des Pflegeberichtes in mündlicher Form:

Anhand eines für jede Teilnehmerin / jeden Teilneh-mer kopierten Pflegeberichtbeispieles können dieTeilnehmenden erkennbare Defizite und positiveBereiche überprüfen.

Diese werden kurz auf der Kopie markiert, um dieentsprechenden Textstellen in der mündlichen Dis-kussion schneller aufzufinden. Nach einer Lese- undReflexionszeit wird der Bericht in der Gruppe aus-gewertet.

Vorteil: Die Übung benötigt nicht viel Zeit. Jenach Umfang des kopierten Pflegebe-richts sind ca. 10 Min. Lesezeit ausrei-chend.

Nachteil: Nicht alle Teilnehmenden beteiligen sichan der Diskussion.Die erkannten Faktoren werden evtl.von einigen Teilnehmenden nicht doku-mentiert. Der Analyseprozess ist eherunstrukturiert.Ergebnisse werden damit eher zufälligzusammengestellt, der nachhaltige Ler-nerfolg ist eher gering.

11 Insbesondere bei demenziellen Erkrankungen ist es schwie-rig, den tatsächlichen Pflegezeitwand darzustellen und einegeeignete Pflegestufe zu erhalten. Die beim jeweiligen Be-wohner auftretenden Probleme sind vielgestaltig und könnenvon Tag zu Tag variieren. Manchmal kommen hierzu nochSchwankungen im Tagesverlauf

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In der Praxis kann die „kritische Beobachtung“durch eine Kollegin oder einen Kollegen aus einemanderen Wohnbereich übernommen werden. Dieskann günstig sein, um „Betriebsblindheit“ in Bezugauf die Zusammenhänge zu vermeiden.

Überprüfung mittels Checkliste

Es wird eine Checkliste mit Überprüfungsfragen zumPflegebericht ausgeteilt. Teilnehmende erhaltenwieder einen kopierten Pflegebericht (Hier eignet sicham besten ein Fremdbeispiel, da der Mensch dazuneigt, bei seinen eigenen Texten auch die Hinter-grundinformationen mitzulesen, obwohl sie nicht imText stehen. Bei fremden Texten sind Lücken, Defi-zite und Probleme eher erkennbar).

Vorteil: Die erkannten Faktoren werden schrift-lich festgehalten. So kann auch nachTagen das Ergebnis noch besprochenoder nachgearbeitet werden. DieCheckliste kann gleichzeitig als Evalu-ationsinstrument für die Überprüfungder überarbeiteten Maßnahmen dienen.

Der Pflegebericht und seine Bedeutung in derZukunft

In der Zukunft wird der Pflegebericht weiter an Be-deutung gewinnen. Er wird als Instrument zum Nach-weis des reflektierten und begründeten Einsatzes vonPflegeleistungen und zur Darstellung der Wirkungenbenötigt. Eine unzureichende Pflegeberichterstattungwird dann möglicherweise zu Leistungskürzungenführen.

3.6. Fortbildungsmodul 4Arbeiten mit Fallbesprechungen

Die Sprache am Arbeitsplatz erfüllt unterschiedlicheFunktionen im Rahmen des Pflegeprozesses. Imsozialen Kontakt mit dem Klienten werden Informa-tionen gesammelt und auf dem Hintergrund desFachwissens, des Kontextes und der kulturellen Er-fahrung interpretiert. Das Pflegeteam plant dann dieMaßnahmen, führt sie durch und sichert die Kontrol-le. Es ist eine Handlungsgemeinschaft, in der Infor-mationen ausgetauscht, Erklärungen gegeben, Maß-nahmen geplant und dokumentiert werden. Ort hierfürsind die Fall-, Gruppen- und Übergabebesprechun-gen in denen die „operative Dimensionen“ der Spra-che dominant ist.

Die Fallbesprechung thematisiert ein Pflegeproblemund sucht Wege, die Pflegebedürfnisse der Bewoh-nerin/des Bewohners oder der Klientin/des Klientenbestmöglich zu erfüllen. Das professionelle Handelnwird mittels einer „Fachsprache der Altenpflege“ ver-einbart und festgelegt.

Die Fachsprache „Altenpflege“ ist bisher wenigerstandardisiert als andere Fachsprachen (z.B. inRecht und Verwaltung). Verschiedene Wissensbe-reiche – insbesondere die Pflegewissenschaft unddie Medizin – bilden Elemente dieser Sprache. Be-sprechungen werden häufig auf der Ebene der Team-sprache abgehalten. Sie sollten aber „formell“ doku-mentiert werden. Informationen, die im „familiären“Gespräch mit der Bewohnerin/dem Bewohner ge-wonnen worden sind, werden fachsprachlich über-setzt und fachlich dokumentiert.

Übung: Wie unterscheiden sich die Familienspra-che, die Teamsprache und die formelleFachsprache in der Altenpflege? NennenSie Beispiele!

Wer spricht denn Kauderwelsch(?) Das ist die ab-wertende Bezeichnung für eine verworrene Sprech-weise, für ein unverständliches Gemisch aus mehre-ren Sprachen oder eine vermeintlich verworrene, frem-de Sprache. Kauderwelsch (von „kaurerwelsch“, ei-gentlich „churromanisch“) ist ursprünglich der Nameeiner rätoromanischen („welschen“) Sprache im Ge-biet Chur/Graubünden (Schweiz). (wikipedia.org.

2006-06-16)

Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Qualifi-zierungen wird mit der Unterscheidung der „Sprach-register“ die Notwendigkeit des „Switchens“ zwischenverschiedenen Sprachcodes aufgezeigt.

Drei Sprachregister – Variationen der Sprache inbestimmten Situationen

• Intimbereich: (Familie, Freunde)

• Informelle (Straße, Markt, Team)Öffentlichkeit:

• Formelle (staatliche InstitutionenÖffentlichkeit: etc.)

(Sprache und Sprachen in der Migration, Maas 2005)

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Beispiele für eine Fallbesprechung.

Anhand eines (authentischen) Interviews mit einemälteren Migranten der ersten Einwanderergeneration,werden zentrale Altersprobleme heraus gearbeitet.Der „Fall“ wird in Hinblick auf die Aspekte der Kör-perpflege, Ernährung, soziale und psychische Situ-ation untersucht. (Es kann aber auch eine Auflistungvon Pflegeproblemen mit Hilfe der AEDL-Skala er-folgen, s.o.). Anschließend werden Pflegemaßnah-men in der Gruppe erörtert und im Plenum vorge-stellt: Diese sollen sich auf Unterstützungs- undSelbstpflegeaspekte, auf die psychische Betreuung,auf die Förderung der sozialen Teilhabe und auf dieUnterstützung bei Sprachproblemen beziehen.

Übung: (Lesen und Verstehen)Interviews in einem ambulanten Pflegedienst(Friebe/Zalucki 2003)

Herr B., *1923, kam 1960 als griechischer Arbeitsmig-rant in die BRD. Er arbeitete bis zum Alter von 58 Jah-ren 14 bis 18 Stunden täglich in der Schwerindustrie.Herr B. hat keine Angehörigen in Deutschland, seinsoziales Umfeld besteht aus ehemaligen Arbeitskol-legen. Er spricht wenig deutsch.

Er lebte bis vor ungefähr 3 Jahren in einem betriebs-eigenen Männerwohnheim unter unhaltbaren hygie-nischen Zuständen und völlig verwohntem Mobiliar.Als das Wohnheim geschlossen wurde, fand der Pfle-gedienst eine Wohnung für ihn, die er jedoch nach 8Wochen wieder verlassen musste, weil er in die Eckenspuckte und vom Balkon urinierte. Daraufhin wurdeeine griechisch sprechende Sozialarbeiterin einge-schaltet, gemeinsam wurde eine betriebseigene Woh-nung gefunden, die Herr B. heute noch bewohnt.Herr B. legt großen Wert auf sein äußeres Erschei-nungsbild. In den ersten Jahren seines Aufenthaltesin Deutschland lebte er sehr sparsam, in den letztenJahren jedoch kaufte er Kleidung nur noch in Bou-tiquen. Auf gute Qualität der Möbel für seine neueWohnung legte er jedoch wenig Wert. Vor 4 Jahrenwurde bei Herrn B. ein insulinpflichtiger Diabetes mel-litus diagnostiziert und im Krankenhaus eingestellt. DerSozialdienst des Krankenhauses vermittelte die Be-treuung durch den ambulanten Pflegedienst, der seit-dem die Grund- und Behandlungspflege, Ernährungs-beratung sowie hauswirtschaftliche Hilfe durchführt.Vor 2 Jahren hatte Herr B. eine Herzoperation, er be-kam mehrere Bypässe. Daneben besteht seit einigenJahren eine Harninkontinenz. Der Pflegedienst stelltseit kurzem einen leichten geistigen Abbau fest.

Herr B. nimmt die Pflege und Unterstützung durch denPflegedienst gern an und kommt mit allen Mitarbeiter-innen gut aus. Er hat Probleme, sich an die Diabetes-

Diät zu halten. Es ist ihm nicht möglich, seine Ernäh-rungsgewohnheiten zu ändern. Mahlzeiten, die ihmaus der stationären Einrichtung des Pflegedienstesgebracht wurden, lehnte er ab mit der Begründung,diese seien vergiftet. Bereitet ihm die Hauswirtschaf-terin ein- bis zweimal in der Woche in seiner Woh-nung ein Essen zu, so isst er dies zusätzlich.Herr B. hatte immer den Wunsch, nach Griechenlandzurückzukehren. Er hat nach wie vor große Sehnsuchtund bereitet (zusammen mit einem Freund) noch fürdieses Jahr einen Besuch bei seiner Schwester und

anderen Verwandten vor.

Welche Fragen und Maßnahmen in folgenden Be-reichen sind anhand des Fallbeispiels zu entwickeln?

Sprache: Inwiefern fördert Nichtverstehen Unsi-cherheit und Angst? Kontakt zu Mutter-sprachlern herstellen, sprachliche Un-terstützung organisieren.

Pflege: Welche Selbstpflegeanteile existieren?Unterstützung bei der Mobilität, Diabe-tesdiät und Harninkontinenz leisten.

Soziales: Wie kann die soziale Teilhabe verbes-sert werden? Kontakte zu ehrenamtli-chen Helfern und zur griechischen Ge-meinde herstellen.

Betreuung: Gibt es psychiatrische Einschränkun-gen? Ansprache verbessern, Orientie-rungshilfen geben, Beratung organisie-ren.

Gruppenarbeit: Modell der „Kollegialen Beratung“(vgl. Fallner/Gräßlin 1990)

Das Modell der Kollegialen Beratung ist für die Ar-beit mit authentischen Fällen entwickelt, die die Teil-nehmerinnen und Teilnehmer selbst erleben odererlebt haben. Dabei begibt sich eine Teilnehmerin/ein Teilnehmer in die Rolle der Falleinbringerin, wäh-rend die anderen Gruppenmitglieder die Beratungübernehmen. Wichtig ist, dass ein Teilnehmender dieEinhaltung der Gruppenarbeitsphasen (zeitlich undinhaltlich) überwacht. Das Verfahren benötigt aus-reichend Zeit und ein gewisses Maß des Vertrauensin der Gruppe. Sind diese Voraussetzungen nichtgegeben, ist eine Anwendung des Verfahrens aufbereits vorliegende Fallbeschreibungen möglich,allerdings bringt dies meistens geringere Lernerfol-ge:

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Interpretationshilfen für Beispiele zur Pflege von äl-teren Menschen mit Migrationshintergrund: Die Fall-beispiele weisen auf bestimmte soziokulturelle Fak-toren hin, die im Gesundheitsbereich von großerBedeutung sind:

• Sprache und Kommunikation sind wichtige Mittelim Pflegeprozess

• kulturelle Differenzen gibt es in den BereichenNormen und Werte, Alter und Familienvorstellun-gen, Religion etc. (vgl. Leininger 1998)

• das Verständnis für Gesundheit und Krankheitsowie die Erwartungen an die Pflege könnendurch Kultur und Religion definiert werden

• spezielle Beeinträchtigungen, aber auch Ressour-cen, müssen entdeckt werden

• Migration verändert auch kulturelle Herkunftsfak-toren, ohne eine vollständige Anpassung an dieAufnahmegesellschaft zu produzieren

• die Interaktion zwischen professionellen Helfernund dem Pflegebedürftigen und kranken Klien-ten ist zentral im Pflegeprozess

Die Fallbesprechung kann genutzt werden, um dieGrundsätze einer „kultursensiblen Pflege“ zu erar-

beiten. (Material: Arbeitskreis Charta/KDA 2002, Füreine kultur-sensible Altenpflege – eine Handreichung,Köln). Zitat aus dem Memorandum für eine Kultur-sensible Altenhilfe (Arbeitskreis Charta/KDA 2002,S. 10):

„Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichnerdes Memorandums, fordern Politik und Gesell-schaft auf, allen in Deutschland lebenden altenMenschen unabhängig von ihrer sozialen, ethni-schen und kulturellen Herkunft den Zugang zuden Institutionen der Altenhilfe zu ermöglichenund dort ein kultursensibles fachliches Handelnsicherzustellen.

Diskussion zu folgendem Zitat aus „für eine kultur-sensible Altenpflege – eine Handreichung“ (ebendaS. 19):

„Kultursensibilität als Paradigma der Altenpflegebeschreibt also eine Haltung, die auf Verständ-nis anderer Kulturen und Religionen beruht. DieSensibilität liegt in der Aufmerksamkeit für diekulturellen Prägungen und Bedürfnisse pflegebe-dürftiger Menschen und für die Folgen des Pfle-gehandelns. Sie ist in besonderer Weise biogra-fie- und subjektorientiert.“

Übung (Präzise formulieren)

Phase 1Gründliche Vorstellung desFalles, (Lektüre der Fallbe-schreibung)

Phase 2BesprechungFragensammlung

Phase 3Fallanalyse der Gruppe

Phase 4Formulierung des Pflegepro-blems und Planung von Maß-nahmen

Die Teilnehmer/innen machensich Notizen in Bezug auf zen-trale Aussagen und möglicheInterpretationen.

In der Gruppe besprechen dieTeilnehmenden ihre ersten Ge-danken zum Fall. Sie formulie-ren eine oder mehrere Frage/nzur Situation.

Welche Wahrnehmungen undAbsichten haben die beteiligtenPersonen? Wie verlaufen dieEreignisse?

Die Ergebnisse der Beratungwerden formuliert und aufge-schrieben. Vorschläge für Pfle-gemaßnahmen werden in Stich-worten notiert.

Zeitmanagement

Protokollantin notiert die Fra-ge/n. Gruppe berät sich überden Fall.

Jede/r Teilnehmer/in soll ihre/seine Sicht des Problems sa-gen.

Protokollant überträgt die Er-gebnisse auf OHP Folie. EineTeilnehmer/in erstattet im Ple-num Bericht.

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(Übersetzung und Zusammenfassung durch Friebe 2003)

Weitere Fortbildungsmaterialien:

Transkulturelles Pflegeassessement

Leitfaden nach Andrews und Boyle 1999 (Friebe 2003).

Kulturelle Dimension:

kulturelle Bindungen

Wertorientierung

kulturelle Sanktionen und Restriktionen

Kommunikation

Gesundheitsvorstellungen und -praktiken

Ernährung

sozioökonomische Betrachtungsweisen

unterstützende kulturelle Organisationen

Bildungshintergrund

religiöse Bindungen

kulturelle Aspekte der Erkrankung

kultur-biologische Variationen

entwicklungsbezogene Gesichtspunkte

Beispiele:

Zu welcher(n) kulturellen Gruppe(n) fühlt sich der Klientzugehörig, wie stark ist die Identifikation, wo ist er gebo-ren, wo hat er gelebt,

Wie sind die Ein-/Vorstellungen über Geburt, Tod, Gesund-heit und Krankheit, Pflege

Wie ist die Einschätzung von Gefühlen, Sexualität, welcheMöglichkeiten des Gesprächs

Welche Umgangssprache wird zu Hause gebraucht, Schrift-sprache, Kommunikationsstile, nonverbale K., wird eineÜbersetzungen benötigt?

Wie wird Krankheit erklärt, welche Gesundheitsideale,Heilungserwartungen gibt es, wie ist die Rolle psychischerKrankheit und Pflege

Welche Meinungen zu gesunder Kost, Zubereitung herr-schen vor, gibt es kulturelle Essenvorschriften und Gewohn-heiten, Diät und Fasten,

Welche soziale und unterstützende Netzwerke existieren,wie ist die Rolle in der Familie, die Einkommenssituation,der Lebensstil,

Welche Bedeutung haben Migranten-, Herkunfts- und Re-ligionsvereinigungen für die Gesundheit,

Welcher Bildungsabschluss, Wissensstand, wie ist die Lern-fähigkeit,

Welche Bedeutung hat die Religion für Gesundheit undKrankheit, Rituale und Personen

Gibt es genetische oder verhaltensspezifische Bedingun-gen für Krankheit in der kulturellen Gruppe

Zeigt der Klient besondere Merkmale der Haut, der Anato-mie und bei physikalischen Überprüfung,

Gibt es besondere Charakteristika, Vorstellungen zur kind-lichen Entwicklung, über das Altern, kulturelle Aspekte desHandeln.

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Andrews und Boyle bauen ihr Assessment-Instru-ment auf der These einer Bindung der Menschen ankulturelle Gruppen und Gemeinschaften „cultural af-filiation“ auf, wobei sie betonen, dass die Gruppen-grenzen fließend sind und sich Individuen auch un-terschiedlichen Gruppen zugehörig fühlen können.Kulturelle Bindung und Identifikation sind dann be-stimmend für die weiteren Faktoren, die jeweils nochmit Unterpunkten verbunden sind, z.B. Wertorientie-rung: Einfluss der Kultur auf das Körperbild, kultu-relle Stigmata bezogen auf die Krankheit, Rolle vonPrivatheit und Berührung, kulturelle Umgangsformenzwischen den Geschlechtern, den Menschen unter-schiedlichen Lebensalter und sozialer Klasse etc..Einige Bereiche werden durch spezielle Instrumen-te ergänzt, wie das Schmerzassessement und derBereich der Glaubens- und Wertvorstellungen (An-drews/Boyle 1999, S. 294 u. S. 448). Außerdem wirddas Assessement auf die Gemeinde und (politische)Systeme erweitert und durch Instrumente des Selbst-assessments von Individuen und Organisationenvervollständigt.

Arbeiterwohlfahrt Westliches Westfalen CD-Rom„Pflege ist Pflege – oder vielleicht doch nicht?“(2003, S. 158):

Arbeitsblatt zur Situation älterer Migrantinnen

und Migranten in Deutschland

Bedeutung ethnischer Enklaven für Äl-tere• Rückzug in ethnische Enklaven

wird im Alter aufgrund folgender As-pekte verstärkt:– nach Ausscheiden aus dem Er-

werbsleben bestehen kaumnoch Kontakte zur deutschenMehrheitsbevölkerung

– eigene ethnische Sprache be-herrscht die Kommunikation

– altersbedingtes Wiederauflebenvon Ethnizität

– ethnisch-kulturelle Traditionen,Orientierungsmuster und Ver-haltensweisen.

• Älter werdende und hilfsbedürftigeMigrantinnen und Migranten findeninnerhalb der ethnischen EnklavenNetzwerke, die für ihr Leben einezentrale Ressource darstellen.

Arbeitkreis Charta für eine kultursensible Alten-pflege / KDA (Hrsg.) (2002).

Maßnahmen zur interkulturellen Personalent-

wicklung

Vom multikulturellen zum interkulturellen Team

Diskriminierung abbauen ... und Kompetenzennutzen!„Es bedarf also bestimmter Schlüsselqualifikationen,um eine interkulturelle Teamarbeit zu entwickeln:1. um zu lernen, sich gegenseitig als einzigartige

Persönlichkeiten anzuerkennen, bedarf es einerSelbstreflexivität, die immer wieder neu gestaltetwerden muss.

2. um zu einer gleichberechtigten Verständigung zukommen, muss sowohl kontinuierlich an einergemeinsamen Sprache als auch an Formen dermündlichen und schriftlichen Kommunikation ge-arbeitet werden.

3. um mit Reibungen und unterschiedlichen Inter-essen im Team einen nicht diskriminierendenUmgang zu entwickeln, muss eine partnerschaft-liche Konfliktbearbeitung eingeübt werden.“

Diakonisches Werk Württemberg (Hg.) (2001):Trainings- und Methodenhandbuch, ArbeitskreisInterkulturelles Lernen. Stuttgart

Orientierung anallen potenziellen

Klient(inn)en/Sozialraumanalyse

Methodenvielfalt/Sprachenvielfalt &Sprachkompetenz

Leitbild –Interkulturelle

Orientierung derkonzeption

Verhalten &Einstellungen derMitarbeiter(innen)

Beseitigung versteckterAusgrenzungs-mechanismen

ÖffentlicheSichtbarmachung

des ProzessesQualitätssicherung

Gemeinwesen-orientierung

Fortbildung/Personalentwicklung

EINRICHTUNGDIENSTSTELLE

etc.

Maßnahmen zur interkulturellen Öffnung und Organisations-entwicklung

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Organisationsentwicklung unterstützt Teams, Einrich-tungen und Organisationen bei Veränderungen, inSelbstverständnis- und Motivationskrisen, bei struk-turellen und konzeptionellen Erneuerungen. Die da-mit verbundenen Entwicklungsprozesse können sichbeziehen auf:

➜ Ziele und Leitbild➜ ihre Aufbau und Ablauforganisation➜ Kommunikation und Verhalten im Inneren➜ Arbeitsmethoden➜ Mitarbeiter/innen, Kund/innen➜ Zusammenarbeit und Kontakt im Umfeldfi

BMFSFJ 2005, Handbuch für eine kultursensible Altenpflegeausbildung (www.bmfsfj.de)

Page 46: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

44

3.7. Aufbauende Fortbildungsmodule

Bildungsbedarf

Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund habenaufgrund ihrer besonderen Voraussetzungen einenspeziellen Bildungsbedarf in zentralen Fragen derAltenpflege. In Folgendem werden aufbauende Fort-bildungsmodule zu drei Themen skizziert: Biografie-arbeit, Pflege demenzkranker alter Menschen undPflege in ambulanten Bereich.

Die Biografiearbeit hat in der modernen Altenpflegeeinen hohen Stellenwert, da sie einen höheren Graddes Verstehens der Pflegesituation und damit An-knüpfungspunkte für die Betreuung des älteren Men-schen erwarten lässt. Mitarbeiter/innen, die selbstnicht in Deutschland aufgewachsen sind, erhalten inden Fortbildungen Informationen zum Zeitgesche-hen und zu prägenden Lebensereignissen ihrer Kli-enten. Gleichzeitig werden die besonderen Stärkendes biografischen Ansatzes in der Altenpflege ver-mittelt.

Die Pflege demenzkranker Menschen erhält ihre gro-ße Bedeutung durch die starke Zunahme von ge-rontopsychiatrischen Veränderung im höheren Le-bensalter (vgl. BMFSFJ 2005, S. 248 ff). StatischeDaten weisen darauf hin, dass etwa 2/3 der über 80-jährigen pflegebedürftigen Menschen unter demen-tiellen Veränderungen leiden. Pflegemitarbeiter/innenmit Migrationshintergrund sollen in den Fortbildun-gen die Rolle des Faktors „Kultur“ für Erklärungenpsychischer Prozesse reflektieren und moderne The-rapie- bzw. Pflegemethoden thematisieren.

Die ambulante Pflege hat Vorrang gegenüber statio-nären Formen der Versorgung. Diese Dienstleistungfindet in der häuslichen Umgebung des Klienten stattund ist daher stark auf die Kooperation mit den An-gehörigen und anderen Helfern angewiesen. Pfle-gende mit Migrationshintergrund sollen in den Fort-bildungen die speziellen Merkmale der ambulantenArbeit reflektieren und Unterstützungsformen bespre-chen.

Für alle drei aufbauende Fortbildungsmodule gilt,dass auch deutsche Mitarbeiter/innen in diesen Be-reichen Fortbildungsbedarf haben. Grundsätzlich istes daher auch möglich, diese Angebote mit Mitar-beitergruppen deutscher und nichtdeutscherer Her-kunft durchzuführen. Die Angebote sollen aberjeweils auf bestimmte Fragestellungen fokussieren,bei denen der Migrationshintergrund bedeutsam ist.Die Fragen wären z.B.:

– Welche Bedeutung hat die Migration in der Bio-grafie der Pflegekraft und welche Ansatzpunkteergeben sich für das Verstehen der Lebensge-schichte des Klienten?

– Welche Bedeutung haben Vorstellungen überpsychische Veränderungen in der Herkunftskul-tur von Migrant/innen und welche Merkmale cha-rakterisieren die gerontopsychiatrische Pflege inDeutschland?

– Welche Bedeutung hat die Pflege im familiärenUmfeld in anderen Ländern und in Deutschland.Welche Verhaltensregeln gelten für die Altenpfle-ge im „privaten Raum“ des eigenen Haushalts desKlienten?

Biografiearbeit mit alten Menschen

Wollen wir in der Altenpflege einen höheren Graddes Verstehens der Situation des Pflegebedürftigen,seines „Gewordenseins“, seiner Stärken und Schwä-chen erreichen, so ist der biografische Ansatz zurZielerreichung sehr hilfreich, denn damit:

• stellen wir das Subjekt in den Mittelpunkt unsererPflegearbeit

• betrachten die Lebensgeschichte aus interdiszi-plinärer Perspektive

• fokussieren den Dialog mit dem Klienten

Die Biografiearbeit gilt heute als Merkmal „guter“ Pfle-ge. Psychologie, Soziologie oder Pädagogik nähernsich der menschlichen Biografie aus ihrer disziplinä-ren Perspektive, doch stets steht die Verknüpfungvon individuellen und strukturellen Entwicklungen imZentrum der Aufmerksamkeit (Friebe 2004). Aber wasist Biografie? Zusammen gesetzt aus den griechi-

(Powell 2005, KDA)

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schen Wörtern „Bios“ und „graphein“ würde es „Le-ben und Schreiben“ bedeuten und käme damit demliterarischen Begriff der Autobiografie nahe. Mit zu-nehmendem Alter steigt das Bewusstsein für denLebensweg und die entstandene Persönlichkeit. Bi-ografie und Identität werden von dem einzelnenMenschen stark verknüpft.

Welchen Stellenwert hat die Migration in der

Biografie des Menschen?

Die Biografie von Menschen mit persönlicher Migra-tionserfahrung ist dadurch gekennzeichnet, dass sieihren sozialen Lebensraum verlassen haben unddann mit neuen Anforderungen der Aufnahmegesell-schaften konfrontiert waren. Dabei entstehen häufigneue kollektive interkulturelle Regeln, die aus derHerkunfts- wie aus der Aufnahmegesellschaft zusam-mengesetzt sind. Auch Migrant/innen werden alt undso müssen sie sich auch mit dem Thema Pflegebe-dürftigkeit befassen. In einem Beispiel zeigt uns Tür-kan Yilmaz (1997) sechs Frauen, die Bilanz über ihrLeben ziehen, das sie aus der Türkei nach Deutsch-land gebracht hat.

Frau C. ist als junge Witwe mit ihrem Sohn 1957migriert. Nach ihrem Arbeitsleben wird sie nichtmehr in die Heimat zurückkehren und beschäf-tigt sich mit ihrem Alter:„Ach so, wenn ich mal pflegebedürftig wäre, jadann würde ich gerne wieder von meinem Sohngepflegt werden. Aber es ist nur eine Hoffnung.Wenn es dafür Institutionen gibt, warum sollensie mich nicht auch pflegen. 31 Jahre habe ichfür dieses Land gearbeitet“ (Yilmaz 1997, S. 66).„Ich werde nur in ein Altenheim gehen, wenn icheinmal pflegebedürftig bin. Dann ist es für michsehr wichtig, dass ich unter meinen eigenenLandsleuten bin und mich türkisches Personalpflegt. Die deutschen Krankenschwestern pfle-gen sehr gut, sie sind auch sehr freundlich. Ichhabe es im Krankenhaus oft erlebt. Aber ich weißnicht, was mit mir bis dahin wird. Vielleicht wer-de ich die deutsche Sprache ganz vergessen.“(ebenda S. 71)

Welche Informationen liefert dieser Interviewaus-

schnitt?

Es wird eine ältere Frau nach ihren Bedürfnissen undWünschen bei Pflegebedürftigkeit und den Erwar-tungen an die Altenhilfe befragt, doch was wird unterdem Begriff „Pflege“ verstanden? Die Existenz kul-

turell unterschiedlicher Gesundheits- und Krankheits-vorstellungen ist belegt. Die professionelle Sicht, dierechtliche Definition von Pflege und die Vorstellungaufgrund des kulturellen Hintergrundes und der Bio-grafie können erheblich voneinander abweichen.Welche Rolle kann die Familie bei der Pflege einesälteren Menschen einnehmen? Da es sich um eineältere Frau türkischer Herkunft handelt, kann unter-stellt werden, – ohne die erheblichen Unterschiedevon städtischer und ländlicher Herkunft zu negieren- dass die Erwartungen in Bezug auf die Pflege durchdie Familie hoch sind. Doch wird tatsächlich der Sohndie Pflege übernehmen können? Diese Rollenver-teilung wäre ungewöhnlich und die Wohnbedingun-gen von türkischen Familien in Deutschland lasseneine entsprechende Familienpflege oft nicht zu (zurSituation älterer Migranten vgl. Schmidt 2003 undSchopf/Naegele 2005). Der Hinweis der Frau aufmögliche Sprachprobleme ist bedeutsam, wenn manden „ethnischen“ Rückzug im Alter berücksichtigt, dersich bei Krankheit oft verstärkt.

Übung: Biografische Merkmale und Fragen

Vorfahren (Ahnen) Noch bevor Menschen gebo-ren sind, entsteht ihre Biogra-fie

Ursprungsfamilie Willkommen in der großenWelt?

Partnerschaft Das Glück der Begegnung er-fahren?

Eigene Familie Lust oder Lebenslast?

Wohnen Wo hat das Leben einen Platzgefunden?

Arbeit Mühsal oder Selbstverwirkli-chung und Entwicklung?

Gesellschaft Anerkennung über das Priva-te hinaus?

Materielle Sicherheit Unzufrieden mit Erreichtemund Unerreichtem?

Sinn Was führt über die bloße Exis-tenz hinaus?

(vgl. Ruhe 2003)

Biografische Arbeit in der Pflege konzentriert sichnicht nur auf das Individuum, sondern betrachtet denMenschen als Mitglied einer Generation oder Alters-gruppe (vgl. Kohli 1992), als Inhaber einer sozialenRolle in Familie und Beruf und Repräsentant derZeitgeschichte (vgl. Peikert 2006, S. 86 ff.). Pflegen-de haben selbst häufig andere Familienbiografien alsihre Klientinnen und Klienten (wurden die Kriegsjah-re aus deutscher, polnischer oder russischer Per-spektive erlebt?). Pflegemitarbeiter/innen, die nicht

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in Deutschland aufgewachsenen sind, haben oft ei-nen anderen Zugang zur Zeitgeschichte oder verfü-gen über andere Informationen als ihre Kolleg/innenmit deutscher Biografie. Dies bedeutet aber auch,dass sie bei der Pflege von Klienten mit Migration-hintergrund Schnittpunkte zu ihrer eigenen Biogra-fie herstellen können.

BeispielMit Hilfe einer Lebensereignisskala kann ein biogra-fischer Zugang zum Klienten in die Praxis umgesetztwerden. Eine solche Skala kann Teil einer Versor-gungsplanung sein (vgl. Kollak 2003)

Frau C.12 ist 63 Jahre alt, verheiratet und hatzwei erwachsene Söhne. Sie kam 1960 ausder Türkei allein nach Deutschland. Sie hattediesen Aufenthalt als temporäre Verdienstmög-lichkeit gesehen. Ihr Weggang aus der Türkeiwar zu Hause sehr umstritten, da sie dort bereitsverheiratet war und einen Arbeitsplatz bei derPost hatte. Sie ging zu Siemens in Berlin undlebte in einem Wohnheim. Sie verdiente gutund baute mit ihrem Mann ein kleines Haus inder Türkei.

Sie kann nicht mehr genau sagen, was genauden Ausschlag gab, um ihren Mann nachDeutschland nachzuholen: Das Pendeln zwi-schen den beiden Ländern, die Zerrissenheitzwischen Heimat und Mann und der Verdienst-

möglichkeit? Ihr Mann kommt acht Jahre nachihr nach Deutschland. Nach zwei Jahren kommtihr erster Sohn zur Welt. Schwangerschaft undGeburt verlaufen komplikationsreich. Währendder gesamten Zeit leben sie unter recht ärmli-chen Bedingungen, weil sie ihr Geld für eineRückkehr in die Türkei sparen. Erst nach weite-ren Jahren erfolgt für die Familie der Umzug indie erste Mietwohnung. Mit einigen Jahren Ab-stand kommt ihr zweiter Sohn zur Welt. Danachwerden bald bei ihr Bluthochdruck und Herzrhyth-musstörungen festgestellt. In diese Zeit fällt einweiteres, schwerwiegendes Ereignis, das dieganze Familie für einige Zeit lähmt. Ihr jüngsterSohn wird von jugendlichen Gewalttätern verfolgtund zusammengeschlagen. Die folgenden Jah-re reist Frau C. viel in die Türkei, um bei der Pfle-ge ihrer Stiefmutter und später bei der ihres anMS erkrankten Vaters zu helfen.

Bei ihr selbst wird eine akute Verschlechterungdes Gesundheitszustands deutlich, der mit derAufregung um die Eröffnung eines eigenen Ge-schäfts durch den zweiten Sohn zusammenfällt.Die Geburt ihrer beiden Enkelkinder und die Ehe-schließung ihres älteren Sohnes folgen. IhreAbteilung bei Siemens schließt und entlässt FrauC. als Frührentnerin. Schwierigkeiten im Geschäftihres Sohnes sowie der Tod ihres Vaters gehenihrem Herzinfarkt unmittelbar voraus. Zur Zeit desInterviews ist Frau C. seit zwei Monaten aus demKrankenhaus entlassen.

Die Fallgeschichte kann mit Hilfe einer Lebensereig-nisskala grafisch veranschaulicht werden und ermög-licht es, wiederkehrende Muster innerhalb von Krank-heitsverläufen sichtbar zu machen. Diese Muster

12 Die Fallgeschichte von Frau C. Sie beruht auf einem Inter-view, das Willi Kellenbenz beim Berliner DRK in der AbteilungFlüchtlingshilfe und Migrationsdienste im Frühjahr 1999 durch-geführt hat (Kollak 2003, S. 57,58)

10 20 30 40 50 60

INFARKT

Todder

MutterVater

heirateterneut

Geb. Halb-schwester

Heirat inder Türkei

Haus

Geburt1. Sohn(Kompl.)

Geburt2. Sohn

RRHerz-

erkran-kung Tod der

Stief-mutter

RRHerz

VaterMS

krank

1.Enkel-kind

2.Enkel-kind

1.Sohn

heiratet

Toddes

Vaters

Ein-schu-lung

Arbeit inder Post

D ??? Siemens

Ausreise Mann nach D,Wohnheim

Umzug in eineWohnung

Überfall aufden 1. Sohn

Laden2. Sohn

Schließung derAbt. beiSiemens

Lebensereignisskala in Anlehnung an das Interview mit Frau C.

Page 49: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

47

veranschaulichen die Reaktionen eines Menschenauf Veränderungen. Ein Gespräch über eine solcheLebensskala kann eine gute Grundlage bilden, umBedürfnisse und Ressourcen zu erkennen und eineabgestimmte Pflege zu planen (vgl. Kollak 2003, S.58).

Biografisches Arbeiten in der Pflegepraxis ist in ers-ter Linie Kommunikation. Das gemeinsame Ge-spräch, die Erinnerung an zurückliegende Zeiten, dieBetrachtung von älteren Bildern, die Aktualisierungvon Sinneserfahrungen und das Zurückversetzen indie alte Zeit soll Wertschätzung und Sinngebungausdrücken und den drohenden Identitätsverlustvermeiden (vgl. Ruhe 2003). So lassen sich verschüt-tete Fähigkeiten und andere Ressourcen entdecken,die auch in der Situation der Pflegebedürftigkeit nütz-lich für den Einzelnen und die Gemeinschaft sind unddamit Defizite erträglicher machen.

Die Biografiearbeit erfordert ein hohes Maß an In-formation und Einfühlungsvermögen und sie stelltgroße Herausforderungen an Pflegende und Einrich-tungen. Es ist nicht sinnvoll, diesen Anspruch ohneentsprechende Maßnahmen der Organisations- undPersonalentwicklung einzufordern. Vielfach ist diePraxis für derartige Ansprüche noch zu schlecht aus-gestattet und auch die Pflegewissenschaft und -for-schung muss sich der Biografiearbeit erst noch stär-ker annehmen. Die Biografiearbeit und der Umgangmit psychisch veränderten Menschen sind sinnvolleThemen für aufbauende Qualifizierungsmodule fürPflegende mit Migrationshintergrund.

Pflege von demenzkranken Menschen

Das Zusammentreffen von Migrationshintergrundund Demenz stellt Angehörige und Pflegeeinrichtun-gen vor besondere Probleme. Dabei erbringen dieMigrationsbiografie und die schlechten Lebensbedin-gungen erhöhte Risiken für psychische Störungenund Erkrankungen (vgl. Collatz 2001, S.º52 ff.).Allerdings liegen hinsichtlich Morbidität und Inan-spruchnahme medizinischer Leistungen wenig ak-tuelle Daten vor (Berg 2000, S. 552, BMFSFJ 2005,S. 423 ff). Das Verständnis für psychische Erkran-kungen kann bei Angehörigen aus eher ländlich-tra-ditionellen Gesellschaften mit dem der modernenGerontopsychiatrie und ihrer Behandlungsmethodenkollidieren.

Welche Rolle spielt der Faktor „Kultur“ für psy-

chische Veränderungen im Alter?

Wenn Somatisierungen und Erklärungen für Krank-heit aus dem Bereich der Magie vorkommen, ist eineangemessene Pflege durch die Familie außerordent-lich erschwert. Insbesondere bei der ersten Genera-tion von Einwander/innen können „kulturspezifische“Krankheitsvorstellungen wirksam sein, die ein ganz-heitlichen Konzept von Leib und Seele enthalten,Krankheitsursachen „von außen“ suchen (z.B. Fehl-verhalten, Schuld, böser Blick) oder volksmedizini-sche Erklärungen (z.B. fallende Organe“) heranzie-hen (Berg 2000, S. 554). Dies trifft auch für die Al-tersdemenz zu.

Übung:

„Plötzlich hat mich mein Vater nicht mehr erkannt. Alsich dies meinem Onkel berichtete sagte er zu mir, dassmein Vater Bunuma13 hat.“ (Arbeiterwohlfahrt Westli-ches Westfalen 2005, www.awo-ww.de).

Primäre Demenzformen: Alzheimer DemenzVaskuläre Demenz

Sekundäre Demenz: Als Folge vonGrunderkrankungen

Wie erkennt man eine Demenzerkrankung?- Räumliche und zeitliche Orientierungsprobleme- Unfähigkeit den Alltag zu bewältigen- Eingeschränktes Urteilsvermögen- Sprachstörungen- Antriebsstörungen

- Persönlichkeitsveränderungen

Die Demenz stellt Pflegeeinrichtungen und ihre Mit-arbeiter/innen vor erhebliche Probleme: So ist dieAltersdemenz, ebenso wie die Altersdepression,zumeist von einem „ethnischen“ Rückzug des Er-krankten begleitet, bei dem er sich stark an seinerHerkunft und seinen Erfahrungen an den frühen Le-bensjahren orientiert. Religion bekommt eine stär-kere Bedeutung und es kann passieren, dass die inder Fremde erlernte nicht emotionsgebundene Zweit-sprache nicht mehr beherrscht wird (vgl. Haasen2000, S. 22). Die Kommunikation zwischen Perso-nal und Klient/innen wird dadurch sehr erschwert undstellt hohe Anforderungen an die Pflege. Die Mitar-beiter/innen mit Migrationshintergrund müssen sichzunächst über ihre eigenen Vorstellungen über De-menz und psychische Erkrankung klar werden. DieSelbstwahrnehmung kann das Verständnis für denpsychisch veränderten älteren Menschen verbes-

13 Abwertendes türkisches Wort für Demenz

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sern. Allerdings muss der Umgang mit psychischenVeränderungen und Demenz als Thema der inter-kulturellen Pflege noch ausführlicher bearbeitet wer-den.

Das Kuratorium Deutsche Altershilfe hat im Rahmender Landesinitiative Demenz-Service NRW umfang-reiche Informationen und Ratgeber für Pflegende undAngehörige zusammengestellt. Die Demenz ist imeigentlichen Sinne nicht heilbar, ihr Verlauf kann aberdurch entsprechende Maßnahmen gemildert werden.Dazu wurden spezielle Methoden entwickelt, diehäufig an der Biografiearbeit orientiert sind.

Siehe z.B.:Böhm, Erwin (2004) Psychobiografische Pflegemo-dell, WienFeill, Naomi (2005): Validation, München

Die Altenpflege steht dabei vor der Aufgabe, demdemenzkranken Menschen ein möglichst hohes Maßdes „Wohlbefindens“ zu ermöglichen. Dies beinhal-tet ein Verständnis von Demenz, dass die betroffenePerson stärkt, Fähigkeiten fördert und Raum fürGestaltung bietet (KDA 2005, S. 14).

Zur Feststellungen des Wohlbefindens kann auf „Pro-file“ (KDA 2005, S. 25) zurückgegriffen werden, diees den Pflegenden erleichtern, sich in die Situationdes Demenzkranken hineinzuversetzen. Dabei wur-den Indikatoren des Wohlbefindens entwickelt.

Bewohner/in– Kommuniziert Wünsche, Bedürfnisse und Vorlie-

ben– Nimmt Kontakt zu anderen auf– Zeigt Herzlichkeit oder Zuneigung– Zeigt Freude oder Vergnügen– Zeigt Wachsamkeit und Aktivitätsbereitschaft– Nutzt verbliebene Fähigkeiten– Findet kreative Ausdrucksmöglichkeiten– Ist kooperativ oder hilfsbereit– Reagiert angemessen auf Menschen / Situatio-

nen– Drückt der Situation entsprechende Emotionen

aus– Hat entspannte Haltung und Körpersprache– Hat Sinn für Humor– Zeigt Handlungsfähigkeit– Hat Selbstrespekt

Indikatoren für Unwohlsein wären danach u.a. dep-ressive Phasen, Verzweifelung, Wut, Ängste, Unru-he, Teilnahmslosigkeit, Passivität, Körperliche An-spannung und Schmerzen.

Die Pflegequalität kann mit dem Instrument „Demen-tia Care Mapping“ (DCM) eingeschätzt werden. Eshandelt sich dabei um ein Evaluationsinstrument,welches geeignet ist, ein Abbild der Demenzpflegeder stationären Einrichtungen zu schaffen (KDA2005, S. 17).

In den letzten Jahren sind zahlreiche Kontakt- bzw.Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen für Ange-hörige von Alzheimerkranken entstanden. Die Ver-netzung mit diesen Initiativen und anderen Dienstenist für die gerontopsychiatrische Altenpflege von zen-traler Bedeutung.

Altenpflege in ambulanten Pflegediensten

Die Arbeit in ambulanten Diensten bringt gegenü-ber der Situation in der stationären Pflege einigeUnterschiede. Für Pflegekräfte mit Migrationshin-tergrund kann die individuell im Haushalt des Kli-enten/der Klientin erbrachte Pflege eine besondereHerausforderung bedeuten. Diese sollten daher zumThema aufbauender Qualifizierungsmodule gemachtwerden.

Wie viele Mitarbeiter/innen mit Migrationshinter-

grund sind in der ambulanten Altenpflege be-

schäftigt?

Bisher haben wir wenige Informationen über die Si-tuation von Migrantinnen und Migranten als Mitar-beiter/innen und als Klient/innen der ambulantenPflege. In der Bestandsaufnahme des DIE wurden16 Pflegedienste in die Befragungen einbezogen. Sieversorgten insgesamt ca. 2500 Klientinnen und Kli-enten. 213 Klient/innen hatten einen Migrationshin-tergrund (8 Prozent), und damit war ihr Anteil höherals in der stationären Pflege.

In den 16 ambulanten Diensten waren etwa 1900Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege be-schäftigt (sehr viele Teilzeitkräfte). 209 Mitarbeiter-innen und Mitarbeiter (11 Prozent) hatten einen Mig-rationshintergrund, deutlich weniger als im stationä-ren Bereich.

Die Herkunftsgruppen sind in stationären und am-bulanten Pflegebereichen weitestgehend gleich.Lediglich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter türkischerHerkunft haben im ambulanten Bereich ein etwasstärkeres Gewicht. Die Fachkraftquote ist mit 54 Pro-zent in den ambulanten Diensten höher als im stati-onären Bereich.

Page 51: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

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Diese Ergebnisse repräsentieren lediglich ersteTrends, deren Aussagekräftigkeit durch weitere Un-tersuchungen geprüft werden muss.

Ambulante Pflegedienste (16 Anbieter)

Klientinnen und Klienten gesamt 2535

Klient/innen mit Migrationshintergrund 213

Mitarbeiter/innen gesamt 1948

Mitarbeiter/innen weiblich 1839

Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund 209

Mitarbeiter/innen weiblich und mit Migrationshintergrund 202

Fachkräfte mit Migrationshintergrund 108

Welche Strukturen zeigt das Versorgungsange-

bot der ambulanten Pflege?

Insgesamt ist die Situation der ambulanten Pflegeunübersichtlich. Es entstehen immer mehr privatePflegedienste, die ihr Angebot auf „ethnische“ Klien-tengruppen ausrichten. Wenn diese auf die Zusam-menarbeit mit den Pflegekassen verzichten, bleibtihre Arbeit weitgehend unkontrolliert. Besonders un-klar sind die Angebotsstrukturen dort, wo im Grenz-bereich von Haushaltshilfe und Pflege, Leistungenin Form von „irregulärer Pflegearbeit“ (vgl. Kondra-towitz 2005) durch Migrant/innen erbracht werden.

Die Versorgungsangebote in der ambulanten Pflegein Deutschland sind an den Regelungen des Pflege-versicherungsgesetzes orientiert. Diese finanziertLeistungen in den Bereichen Körperpflege, Ernäh-rung, Mobilität und Hauswirtschaft (Pflegebedürftig-keit nach § 14 SGB XI). Leistungen werden in Form

des Pflegegeldes oder Sachleistungen erbracht. DieVersorgungsangebote weisen im internationalenVergleich große Unterschiede auf (vgl. Kollak 2001).Beispiele aus anderen Ländern ermöglichen eineAnalyse deutscher Strukturen und stellen die Ver-bindungen zum Erfahrungshintergrund der Fortbil-dungsteilnehmer her.

Welche neuen Versorgungsformen entstehen

zurzeit in Deutschland?

Pflegemitarbeiter/innen mit Migrationshintergrundstehen in der ambulanten Pflege häufig vor Bera-tungsaufgaben. Sie benötigen daher einen Über-blick über die Versorgungsangebote und deren Fi-nanzierungsmöglichkeiten. In den letzten Jahrensind zwischen der ambulanten und stationären Pfle-ge viele komplementäre Einrichtungen entstanden.Diese können einerseits neue Wohnformen sein, diedas selbständige Leben auch bei Pflegebedürftig-keit ermöglichen, oder andererseits teilstationäre An-gebote, die familiäre Pflegeleistungen unterstützen.

Ein besonderes Element innerhalb der pflegerischenVersorgung bilden Angebote, die sich auf Klientenmit Migrationshintergrund ausrichten. Dabei ist einDiskurs zwischen Vertretern interkultureller und „eth-niespezifischer“ Ansätze entstanden. Pflegende mitMigrationshintergrund haben im Feld der interkul-turellen Pflege besondere Expertise, die in Fortbil-dungsangeboten weiterentwickelt werden kann.

Beispiel:Ambulante transkulturelle Kranken- und Altenpfle-geTranskultureller Pflegedienst Hannover(Fernando Angel Cubillos, in: Kollak 2001, S. 243-257)

Page 52: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

50

.

Page 53: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

51

4.1. Personalbedarf und Personal-gewinnung

Die demografischen Entwicklungen und die Zunah-me der Pflegebedürftigkeit stellen zukünftig erhöhteAnforderungen an die Professionalität des pflegen-den Personals. Es werden mehr, besser ausgebil-dete und belastungsfähigere Mitarbeiter/innen ge-braucht (vgl. FFG 2004). In Heimen und ambulan-ten Pflegeeinrichtungen Deutschlands waren 2001rund 650.000 Personen beschäftigt, über 85 ProzentFrauen (Pfaff 2003, S. 13 ff.). Insgesamt stieg dieAnzahl der Beschäftigten im Vergleich zu 1999 umfast 8 Prozent, bei den Altenpfleger/innen im statio-nären Pflegebereich sogar um 16 Prozent (Pfaff2003, S. 14). Allein in den Jahren 2000 bis 2003 stiegdie Anzahl der in ambulanten Pflegediensten be-schäftigten Pflegekräfte um 12% (MAGS-NRW2006). All dies macht eine Strategie längerfristigerPersonalplanung und Personalgewinnung notwen-dig, in die Pflegekräfte mit Migrationshintergrund ein-zubeziehen sind.

Der Personalbedarf ergibt sich einerseits durch neueerweiterte Aufgaben, die mit dem Anstieg der Pfle-gebedürftigkeit entstehen, und andererseits durchden Ersatz von Pflegekräften, die aus dem Berufausscheiden. Die Bestandsaufnahme des DIE zeig-te, dass viele Pflegekräfte mit Migrationshintergrundbereits älter sind und schon längere Zeit im Berufarbeiten. Da fast ein Drittel der Beschäftigten in derAltenpflege einen Migrationshintergrund hat, müs-sen auch sie nach dem Berufsaustritt ersetzt wer-den. Zurzeit geht aber die jährliche Zuwanderunginsbesondere von Spätaussiedlern immer weiter zu-rück (Statistisches Bundesamt 2006b, S. 28). Daherist nicht zu erwarten, dass ausscheidende Pflege-kräfte mit Migrationshintergrund weiterhin durch Zu-wanderung ersetzt werden können. Wahrscheinlichkann dieser Personalbedarf auch nicht durch deut-sche Pflegekräfte gedeckt werden, denn der demo-grafische Wandel führt zu einem Rückgang und zurAlterung des Erwerbspersonenpotentials. Heute stel-len die 30- bis 44-Jährigen die größte Gruppe derErwerbspersonen, aber schon 2010 werden dies die45- bis 49-Jährigen sein (Harry/Pries in Weiterbildung2005, S. 8). In den nächsten 20 Jahren werden die

geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre die Grup-pe ältere Arbeitnehmer und Ruheständler stellen. Eswird dann mehr über 50-jährige als unter 30-jährigeBeschäftigte geben (vgl. BMFSFJ 2005 S. 91).

Aus heutiger Sicht mögen diese Perspektiven nochnicht so aktuell erscheinen und viele Personalver-antwortliche sehen bisher keinen Handlungsbedarf.Zurzeit setzen die Krankenhäuser viele Pflegekräftefrei, die teilweise auch in die Altenpflege wechseln.Es ist aber nicht damit zu rechnen, dass diese Ent-wicklungen längerfristig anhalten und insbesonderebei einer allgemeinen Verbesserung der Arbeits-marktlage können in der Altenpflege wieder schnellPersonalengpässe auftreten. Daher sollten die Ein-richtungen schon heute Maßnahmen einleiten, dieeinerseits die Attraktivität des Pflegeberufs erhöhenund andererseits die Beschäftigungsfähigkeit derMitarbeiter/innen erhalten. Neben Maßnahmen derGesundheitserhaltung und Arbeitsplatzgestaltungspielt die Weiterbildung eine wichtige Rolle. Einenguten Ansatzpunkt liefert die Förderung und Nutzungder Kompetenzen der Pflegenden mit Migrationshin-tergrund.

4.2. Interkulturelle Kompetenz vonPflegekräften mit Migrations-hintergrund

Welche Potentiale und Kompetenzen haben Pfle-

gekräfte mit Migrationshintergrund?

Pflegende mit Migrationshintergrund haben guteVoraussetzungen zur Erlangung der inter- bzw. trans-kulturellen Kompetenz:14 Sie verfügen über Wissenzu anderen „Kulturen“ und gesellschaftlichen Verhält-nissen, zu anderen Wertvorstellungen, Normen,Religionen, politischen Situationen etc. Sie sindmehrsprachig und kennen Strategien, sich in einerfremden Sprache auszudrücken. Sie haben die Mig-rationserfahrungen und kennen Gefühle der Fremd-heit und des Vertrauens. Sie mussten sich in neuenSituationen zurecht finden und vieles mehr. Doch alldies bedeutet nicht, dass Pflegende mit Migrations-

Teil 4: Konzepte für Personalgewinnung undOrganisationsentwicklung

14 Begriffe werden hier synonym verwendet

Page 54: Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege

52

hintergrund schon „automatisch“ interkulturell kom-petent handelten. Der Migrationshintergrund schütztnicht vor Vorurteilen und Stereotypen, vor Überheb-lichkeit oder Intoleranz. Erst die Reflexion eigenerErfahrungen, Vorstellungen und Gefühle auf derGrundlage von Wissen führt zur Empathie gegenü-ber fremden Personen und befremdenden Verhal-ten. Insofern finden sich bei Pflegenden mit Migrati-onshintergrund wichtige Potentiale für interkulturellkompetentes Handeln, doch müssen diese gefördertund ausgebildet werden.

Weiterführende Fortbildungsmaterialien: Dis-kursanalysen

Die interkulturelle Kompetenz kann in Zusammen-hang mit der Förderung der funktionalen Mehrspra-chigkeit am Arbeitsplatz von der Methode der Dis-kursanalyse profitieren. Die Diskursanalyse erwei-tert unsere Wahrnehmung von Gesprächssituationenum soziokulturelle Aspekte und charakterisiert sie alsSzenarien. „Szenario wird hier definiert als die er-wartbare Abfolge kommunikativer Handlungen, dieteils als rein sprachliche Handlungen, teils als reinnicht-sprachliche Handlungen und teils in gemisch-ter Form ablaufen“ (Beneke in: Grünhage-Monetti2006). Sprache ist also Handlung, die auf die Ge-sellschaft gerichtet ist und bestimmte Funktionenerfüllt. Damit stehen die sprachlichen Handlungenund das Zusammenspiel verschiedener sprachlicherElemente im Vordergrund.

Die Diskursanalyse untersucht die „Szenarien“ nichtnur mit Hilfe der gebrauchten Wörter, sondern auchauf dem Hintergrund der Diskursstrategien, derSprachintentionen und Notionen. Sprachintentionen

sind Teilelemente der Sprachhandlungen. Sie habenbestimmte Funktionen für die Aufnahme und Fort-führungen des Gesprächs. Notionen sind Allgemein-begriffe wie Raum, Zeit, Besitz oder Zugehörigkeit,die dem Diskurs eine bestimmte Ausrichtung geben.Die Analyse und Bewertung der Diskurse mit Hilfedes Szenario-Ansatzes hilft die arbeitsplatz- undberufsbezogene Kommunikation zu verstehen undzu optimieren.

Übung:

Es lassen sich anhand eines Pflegegesprächs miteiner Bewohnerin im Altenheim verschiede Szenari-entypen erkennen:

➜ Aufbau und Pflege von Kontakten: GegenseitigeVorstellung, Alltagsgespräche

➜ Austausch von Meinungen: Gespräche, Diskus-sionen

➜ Austausch von Informationen: Erklärungen, Be-richte

➜ Jemanden zu einer Handlung bewegen: Instruk-tion, Beratung, Vereinbarungen treffen

Beispiel aus der Altenpflege: Szenario das Pflege-gespräch

Frühdienst in einem Seniorenheim.Die Altenpflegerin tritt in das Zimmer von Frau W.um die Körperpflege durchzuführen. (Vorspielen ei-ner authentischen Audioaufnahme).

Diskursphasen

1. Eröffnung: Begrüßung, Selbstvorstellung

2. Angebot, Bitte, Frage

3. Auskunft über die Person

4. Reaktion auf die Vorstellung, eigene Vorstellung

5. Abschluss

Interaktion

Wissen, Erfahrung Selbstreflexion

Empathie

Transkulturelle Kompetenz

Literatur: Domenig, Dagmar (Hg.) (2001): Professionelle trans-kulturelle Pflege. Handbuch für Lehre und Praxis in Pflege undGeburtshilfe.

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Bei der Bewältigung kommunikativer Aufgaben wirdeine Reihe von Strategien verwendet. Sie könnenaber sehr unterschiedliche Funktionen und Zielehaben. Trainingskonzepte zur interkulturellen Kom-petenz sollten die Relativität der Kommunikationenbewusst machen und für die Wahrnehmung fremderEinstellungen und Wertorientierungen sensibilisieren.Die Diskursanalyse unterstützt so die Förderung derkulturellen und sprachlichen Bewusstheit in der Al-tenpflege.15

Mehrsprachigkeit als Ressource in der Alten-pflege

Mehrsprachigkeit ist eine soziale, kommunikative undkognitive Ressource (Gogolin 2005, S. 2). DieSprachfähigkeit gehört zu den wichtigsten Fähigkei-ten, die Menschen im Alltag, in der Familie oder imBeruf benötigen. Sie benutzen dabei Formen dermündlichen und schriftlichen Sprache, die auf dieSituationen in Hinblick auf die Personen und diverse

Funktionen angepasst werden. Durch entsprechen-de Förderung kann auf dieser Grundlage Sprachbe-wusstheit (language awareness) als Teil einer „mehr-sprachigen plurikulturellen Kompetenz“ entstehen(Europarat 2001). Mehrsprachigkeit ist mehrdimen-sional und beinhaltet Fähigkeiten des Zuhörens,Sprechens, der Beziehungsgestaltung und des Ver-mittelns.

Ein wichtiges Element der Sprachbewusstheit istdie Fehleranalyse und Selbstkorrektur. Beispiele fürFehlerquellen liefern Laut-Buchstaben-Beziehungoder Sprachmelodien, die Worten ihre Bedeutun-gen geben, aber auch Zeit- und Raumvorstellun-gen, die die Gedankenführung strukturieren. DieInteraktion wird durch zahlreiche psychologischeMechanismen gesteuert, die auf die Kommunikati-onsprozesse wirken. Schließlich werden Informati-onen übersetzt, gegliedert, eingeordnet und inter-pretiert, was wiederum zahlreiche Verstehensfehlermit sich bringt. Sprache codiert kulturelle Vorstel-lungen, deren Kenntnis für das Verstehen elemen-tar sind.

Gesprächsauszug Altenpflege /Szenario

Gesprächstext

Pflegende: GutenMorgen Frau W.Guten Morgen.

Pflegende: Ichmöchte Sie gernwaschen und aus’mBett holen, ja.

Bewohnerin: Ja?

Pflegende: Ich rich-te mir jetzt alles zu-recht, lasse IhrenUrinbeutel leer lau-fen.

Haben Sie gut ge-schlafen?

Diskursstrategie

ein Gespräch ein-leiten

eine Aussage ein-leiten

die Gesprächspart-nerin auffordernweiter zu reden

eine Aussage ein-leiten

Grammatik

möchten: Absicht,PlanungAussagesatz mitFragepartikel ja?:Entscheidungsfrage

Ja: Hörsignal

Präsens: Absicht,Planung

InformationsfrageAdjektive,Adverbien

Notionen

gern

jetzt alles

gut

Sprachintention

jemandenansprechen

um Erlaubnis bitten

etwas benennen

sich nach dem Be-finden erkundigen

15 vgl. Kapitel 1.6.

(vgl. TRIM – Training for the Integration of Migrant and Ethnic Workers into the Labour Market and Local Community,Grünhage-Monetti et al 2005).

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In der Altenpflege wird die Mehrsprachigkeit eineimmer wichtiger werdende Kompetenz. Immer mehrMenschen mit Migrationshintergrund erreichen inDeutschland ein höheres Alter und bedürfen profes-sioneller Unterstützung. Pflegende mit Migrations-hintergrund eignen sich hier als Sprach- und Kultur-mittler.

Ein Beleg der Mehrsprachigkeit der Pflegekräfte mitMigrationshintergrund in der Altenpflege findet sichbei der Gruppe der Teilnehmenden der Fortbildungs-erprobungen des DIE. Folgende Sprachen wurdenbei 70 Teilnehmenden gut gesprochen:

Russisch Polnisch Englisch Französisch

24 18 10 4

Türkisch Arabisch Persisch

4 3 3

Jenseits der unterschiedlichen Herkunft kommt esin der Altenpflege zu Begegnung zwischen Pflegen-den und älteren Menschen, bei denen die Sprache,bzw. die Sprachstörung eine besondere Rolle spielt.In der Geriatrie werden Formen von Sprachstörun-gen (Aphasie) beschrieben. Sie können mit „Apra-xie“ verbunden sein, bei der komplexe Handlungs-abläufe gestört sind und oft die Fähigkeit Formenund Gegenstände zu erkennen fehlt. Krankheitsur-sachen für Aphasien sind der Schlaganfall (apoplek-tischer Insult) oder Formen extrapyramidalmotori-scher Syndrome (z.B. Parkinsonsyndrom). Aphasi-en treten auch häufig in Zusammenhang mit hirnor-ganischen Prozessen auf, etwa bei dementiellenErkrankungen. Das Konzept der Sprachbewusstheitbekommt auch im Umgang mit Aphasikern stärkereBeachtung, da eine Sprachstörung nicht automatischmit dem Verlust der Sprachreflexion und metasprach-lichen Fähigkeiten einhergehen muss. Die Sprach-bewusstheit kann daher bei Diagnostik und Thera-pie von Aphasien eine wichtige Rolle spielen (vgl.Hinneberg 2004).

Ist die funktionelle Mehrsprachigkeit eine Res-

source im Umgang mit Sprachstörungen?

Ähnlich wie der sprachgestörte ältere Mensch kenntder Mitarbeiter nichtdeutscher Herkunft Situationen,die er versteht, doch in denen er sich nicht ausdrü-cken kann. Häufig fehlt ihm auch der passende Be-griff, sodass er die Fähigkeit erwirbt, Dinge zu um-schreiben. Wichtig für die Verständigung ist auch dieklare sprachliche Artikulation, die Kohärenz von Spra-che, Gesten und Gefühlsäußerungen etc. Auch Hin-weise zum pflegerisch korrekten Umgang mit Sprach-

störungen werden demjenigen, der sich in einerFremdsprache ausdrücken muss, vertraut vorkom-men. Spreche langsam und deutlich, halte Blickkon-takt, bilde keine Schachtelsätze und gib dem Ge-genüber Rückmeldungen und vieles mehr.

These:

Die Mehrsprachigkeit ist zwar noch nicht selbst dieKompetenz im Umgang mit sprachgestörten Men-schen, bildet aber eine wichtige Voraussetzung fürdie notwendige Empathie und Reflexion des Han-delns. Möglicherweise zeigen sich die „Brücken desVerstehens“, die Menschen nutzen, wenn sie unter-schiedliche Sprachen sprechen, ebenso tragfähig beider Pflege und der Kommunikation mit sprachgestör-ten Menschen.

4.3. Interkulturelle Öffnung undPersonalförderung

Dort, wo Programme der Personal- und der Organi-sationsentwicklung gleichzeitig initiiert sind, gelingtder Transfer interkulturellen Lernens besonders gut.In einigen Projekten unterziehen sich Pflegeeinrich-tungen und ambulante Dienste einem systemati-schen Prozess der interkulturellen Öffnung. Dabeiwerden das Leitbild der Organisation, die Personal-struktur, die Abläufe und Methoden, die Vernetzung,das Wissen und die Haltung der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter fortentwickelt. Die Verkoppelung vonMaßnahmen der interkulturellen Organisationsent-wicklung und Personalenwicklung verhilft den Bil-dungsbemühungen zu besonders nachhaltigen Er-gebnissen, denn der Transfer des Erlernten liegt nichtnur in der persönlichen Verantwortung des Teilneh-mers, sondern ist Bestandteil der Ziele der Organi-sation.

Es stellt sich die Frage, ob die Ressourcen von Pfle-gekräften mit Migrationshintergrund bisher ausrei-chend gewürdigt und wie sprachliche Defizite beur-teilt werden. Ressourcen sind zunächst nur Potenti-ale, die erst durch Maßnahmen der Personalentwick-lung bestimmt und gefördert werden müssen. Defi-zite, auch im Sprachenbereich, können aber nichtnur auf Versäumnisse hier lebender Migrantinnen undMigranten zurückgeführt werden, denn Organisatio-nen tragen Verantwortung für die Qualifikation ihrerMitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mangelnde inter-kulturelle Orientierung – von Organisationen undderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – führt zumAusschluss der zugewanderten Bevölkerungsgrup-pen (vgl. Arbeiterwohlfahrt 2003, S. 8). In der Kon-

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sequenz käme es darauf an, vorherrschende Defi-zitorientierung gegenüber Pflegenden mit Migrations-hintergrund durch differenzierte Haltung im Sinne des„Managements of Diversity“ mit Anerkennung derUnterschiede zu ersetzen.

Welchen Beitrag leisten Qualifizierungen zur in-

terkulturellen Teambildung?

Ein zentrales Thema interkultureller Fortbildung bil-det die kulturell vielfältige Zusammensetzung derTeams in der Pflege. Die Interaktionen innerhalb dermultikulturellen Pflegeteams und mit den Klient/innensind nicht spannungsfrei. Aufgeführt werden häufigSprach- und Kommunikationsprobleme, unterschied-liches Pflegeverständnis und abweichende Arbeits-haltungen. Zahlreiche Pflegekräfte mit Migrationshin-tergrund haben in ihren Herkunftsländern qualifizierteAusbildungen durchlaufen, deren schulische Voraus-setzungen nicht selten höher waren als beim deut-schen Personal, die aber zumeist eher medizinischeSchwerpunkte hatten. Selbst die Pflegeausbildungin vielen Ländern Afrikas und Asiens ist häufig anden ehemaligen Kolonialmächten Großbritannien,Niederlande und Frankreich orientiert und damit imNiveau (Akademisierung) und in den Inhalten derdeutschen Ausbildung überlegen. Mitarbeiter auslän-discher Herkunft berichten häufig über Diskriminie-rungserfahrungen, die ihnen offen und versteckt be-gegnen. Die unterschiedliche Herkunft wird zumeistals ein Problem und Defizit betrachtet, denn die Be-schäftigung von „Ausländern“ in der Pflege ist eherdie Notlösung, da Deutsche diese harte Arbeit nichtleisten wollten. Hier knüpft interkulturelles Lernen andas Thema Antidiskriminierung an und ergänzt Maß-nahmen der Teamentwicklung (vgl. Arbeitskreis Char-ta für eine kultursensible Altenpflege/KuratoriumDeutsche Altershilfe 2002).

Das Pflegemanagement muss die Ressourcen imSinne der Personalentwicklung multikultureller Teamsfördern. Die Mehrsprachigkeit ist eine besondereFähigkeit von Pflegenden mit Migrationshintergrund,die grundsätzlich bei Verstehensproblemen mit älte-ren Menschen nützlich sein kann. UnterschiedlichesPflege- und Krankheitsverständnis kann einen hilf-reichen Perspektivenwechsel erbringen, der kreati-ve Lösungen für Pflegeprobleme erleichtert und so-mit Voraussetzungen für Innovationen schafft. Dochkommen diese Ressourcen nicht von allein zum Tra-gen, sondern sie müssen erkannt und gefördert wer-den (Human Resources Management). Dem Pfle-gemanagement kommt hier eine wichtige Aufgabezu, da auch zukünftig multikulturelle Pflegeteamsunsere Realität bestimmen werden. Der interkultu-

relle Dialog muss entwickelt und interkulturelle Ar-beit Bestandteil von Karriereplanung und Qualitäts-entwicklung werden.

4.4. Bausteine eines betrieblichenQualifizierungskonzepts

Das Konzept der sprachlichen und interkulturellenFörderung von Pflegenden mit Migrationshintergrundsollte mehrere Lern- und Handlungsebenen berück-sichtigen. Formalisierte Lernangebote können wich-tige Impulse für Lernprozesse setzen. Sie helfen Er-fahrungen zu verarbeiten oder zu strukturieren. Fürdie Verbesserung der Sprachfähigkeit spielt aber dasregelmäßige individuelle Training eine wichtige Rol-le. Dies muss auch in Form des selbständigen Ler-nens und Übens stattfinden. Schließlich sind Formendes „arbeitsplatzintegrierten Lernens“, die durchMentorenkonzepte, Arbeitsgruppen und andere dia-logische Unterstützungsmodelle am Arbeitsplatz rea-lisiert werden, sehr sinnvoll.

Die Erfahrungen mit dem adressatenorientiertenQualifizierungsangebot waren sehr positiv – dieGruppen waren bunt, lebhaft, interessiert – wie eseiner unserer Dozenten zusammenfasste. Dennochsollten entsprechende Konzepte nicht überall und imgroßen Stil eingeführt werden, sondern sie sollteneingebettet in Konzepte des interkulturellen Dialogsstattfinden.

So sinnvoll die spezielle Förderung einzelner Grup-pen und die Möglichkeit des Erfahrungsaustauschsim geschützten Raum einer Fortbildung ist, so sehrkann ein permanentes Angebot von „Ausländerkur-sen“ wieder zu neuen Stigmatisierungen führen unddamit die Ausgrenzung, statt die Integration fördern.Die Empfehlung der Autor/innen dieses Textes lau-tet daher in regelmäßigen Abständen besondereVeranstaltungen für Pflegende mit Migrationshinter-grund in den Betrieben anzubieten (evtl. 1 x pro Jahr)und den Zeitrahmen ruhig bei 16 bis 30 Stunden zubelassen. Damit aber die Ziele der Verbesserung derSprachfähigkeit erreicht werden können, müssen dieSeminarangebote durch andere Lernformen ergänztwerden. Ein umfassendes Qualifizierungskonzeptenthält daher mindestens drei Elemente:

• Eigene Lernaktivitäten: Selbstlernen mit Me-dien, Deutsch als Fremdsprache

• Training on the job: Unterstützung durch Pra-xisanleitung, Lerntandems, Gespräche

• Inhouse Schulungen: Adressatenspezifischeund interkulturelle Fortbildungen

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1. Sprachlernen kann nicht ohne Selbstaktivität funk-tionieren. In den Fortbildungserprobungen desDIE wurden den Teilnehmern deshalb sowohlwährend der Seminare, als auch danach Hinwei-se zum Selbstlernen gegeben – Wie führe ichmein persönliches Wörterbuch, wo kann ich er-gänzende Kurse finden, welche Literatur gibt es,was bietet das Internet? Doch diese Angebotesind bisher unzureichend und leider haben vielePflegende bisher keinen ausreichenden Zugangzum Internet.

2. Ein weiteres wichtiges Element ist das arbeits-platzintegrierte Lernen: Einige Einrichtungen ver-suchen z.B. Lernpartnerschaften oder Lerntan-dems im Team zu installieren. Dadurch kann kon-kret beim Arbeiten mit dem Pflegeprozess dieSprache und ihr Inhalt geübt werden – und wieso häufig beim Lernen haben beide Partner et-was davon. Andere Lernformen am Arbeitsplatzlassen sich in Besprechungen, bei Übergaben,

Qualitätszirkel oder Formen wie Job Rotationeneinrichten.

3. Regelmäßige Veranstaltung für Pflegekräfte mitMigrationshintergrund und zu interkulturellen The-men liefern aktuelle Informationen, helfen eige-ne Erfahrungen einzuordnen, bieten Möglichkei-ten zur Selbstevaluation und zeigen Qualifizie-rungswege auf.

Diese drei Elemente –, Selbstlernen, Lernen am Ar-beitsplatz und Lernangebote in Form von Semina-ren – können, wenn sie systematisch geplant undkontinuierlich verfolgt werden, die zu Anfang diesesTextes geschilderten Probleme gut bewältigen hel-fen. Gleichzeitig werden sie nützlich für das gesam-te Team und potentiell auch für die Bewohner/innenbzw. Klient/innen der Pflegeeinrichtungen sein, daeine verbesserte Kommunikation und Information sowichtig im Pflegealltag ist.

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Ministeriumfür Arbeit, Gesundheitund Soziales desLandes Nordrhein-Westfalen

Diese Publikation ist eine „Handreichung“ für Bildung Praxis in der Altenpflege. Sie ist im

Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Migrantinnen und Migranten in der Altenpflege“ des

Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) entstanden und beinhaltet eine

Bestandsaufnahme über die Situation von Pflegekräften mit Migrationshintergrund in der

Altenpflege Nordrhein-Westfalens sowie entsprechende Qualifizierungsangebote und

Empfehlungen für die interkulturelle Bildungsarbeit.

Deutsches Institutfür Erwachsenenbildung

BESTANDSAUFNAHME

PERSONALGEWINNUNG

UND QUALIFIZIERUNG

IN NORDRHEIN-WESTFALEN

Mig

A

Migrantinnenund Migrantenin derAltenpflege

Jens Friebe

Deutsches Institut fürErwachsenenbildung

German Institute

for Adult Education