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Fütterung Mineralstoffe: Blindflug ins Milchfieber Die Trockensteher-Ration entscheidet über den Start in die Laktation. Wie dabei die Kationen- Anionen-Bilanz aussehen sollte, sagen Martin Schulze und Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge. B undesweit erkrankt fast jede zehnte Kuh an akutem Milchfie- ber. Literaturangaben zufolge ist die Zahl der Tiere mit subklinischem Milchfieber, das meist unbemerkt bleibt, mit 30 % noch ungleich höher. Hervorgerufen wird Milchfieber ins- besondere durch Fütterungs- und Hal- tungsfehler in der Trockenstehzeit. Auch hohe Einstiegsleistungen, das zu- nehmende Alter der Kuh und Vorer- krankungen spielen eine große Rolle. R 22 top agrar 10/2017 Und dabei bleibt es nicht: Beide For- men von Milchfieber begünstigen Fol- geerkrankungen. Nachgeburtsverhalten, Gebärmutterentzündung, Mastitis, Ke- tose und Labmagenverlagerung treten häufiger bei Kühen auf, die rund um die Geburt an Milchfieber erkrankten. Das verursacht Milchfieber: Die Milchfiebergefa hr hängt vom Säure- Basen-Haushalt der Kuh ab. Jedes Fut- termittel enthält natürlicherweise ver- schiedene Salze, die den Säure -Basen- Haushalt des Tieres beeinflussen. Die Kationen-Anionen-Bilanz (Kasten rechts) des Futtermittels oder der Ra- tion gibt an, welcher Effekt auf den Säure-Basen-Haushalt der Kuh zu er- warten ist. Ein Überschuss an starken Anionen äußert sich in niedrigen oder negativen DCAB-Werten. Rationen mit einer DCAB von 50 meq/kg TM oder weniger haben eine ansäuernde (azido- tische) Wirkung. Sie begünstigen eine j

Mineralstoffe: Blindflug ins Milchfieber · Kalium (K) und Natrium (Na) sowie den Anionen Chlor (Cl) und Schwefel (S), Gehalte in g/kg TM: metabolische Azidose. Sehr hohe DCAB-Werte

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Fütterung

Mineralstoffe: Blindflug ins Milchfieber Die Trockensteher-Ration entscheidet über den Start in die Laktation. Wie dabei die Kationen­

Anionen-Bilanz aussehen sollte, sagen Martin Schulze und Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge.

Bundesweit erkrankt fast jede zehnte Kuh an akutem Milchfie­ber. Literaturangaben zufolge ist

die Zahl der Tiere mit subklinischem Milchfieber, das meist unbemerkt bleibt, mit 30 % noch ungleich höher.

Hervorgerufen wird Milchfieber ins­besondere durch Fütterungs- und Hal­tungsfehler in der Trockenstehzeit. Auch hohe Einstiegsleistungen, das zu­nehmende Alter der Kuh und Vorer­krankungen spielen eine große Rolle.

R 22 top agrar 10/2017

Und dabei bleibt es nicht: Beide For­men von Milchfieber begünstigen Fol­geerkrankungen. Nachgeburtsverhalten, Gebärmutterentzündung, Mastitis, Ke­tose und Labmagenverlagerung treten häufiger bei Kühen auf, die rund um die Geburt an Milchfieber erkrankten.

Das verursacht Milchfieber: Die Milchfiebergefahr hängt vom Säure­Basen-Haushalt der Kuh ab. Jedes Fut­termittel enthält natürlicherweise ver-

schiedene Salze, die den Säure-Basen­Haushalt des Tieres beeinflussen. Die Kationen-Anionen-Bilanz (Kasten rechts) des Futtermittels oder der Ra­tion gibt an, welcher Effekt auf den Säure-Basen-Haushalt der Kuh zu er­warten ist. Ein Überschuss an starken Anionen äußert sich in niedrigen oder negativen DCAB-Werten. Rationen mit einer DCAB von 50 meq/kg TM oder weniger haben eine ansäuernde (azido­tische) Wirkung. Sie begünstigen eine

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DCAB und NSBA - was ist das? Die Kationen-Anionen-Bilanz oder

dietary cation anion balance (DCAB) gibt den Einfluss der Futterration auf den Säure-Basen-Haushalt der Kuh an und wird in Milligrammäquiva­lent (meq) je kg TM ausgedrückt. Sie berechnet sich aus der Menge der wichtigsten pH-wirksamen Kationen Kalium (K) und Natrium (Na) sowie den Anionen Chlor (Cl) und Schwefel (S), Gehalte in g/kg TM:

metabolische Azidose. Sehr hohe DCAB-Werte wiederum, also ein Über­hang an starken Kationen, führen zu einer basischen (alkalischen) Stoffwech­sellage. Das ist bei Werten um 200 meq pro kg TM der Fall. Eine DCAB in die­sem Bereich führt zu einer verringerten Reaktion von Knochen und Niere auf das Parathormon, das dort normaler­weise für die Ausschüttung von Cal­cium (Ca) sorgt. Bei hohen DCAB-Wer­ten trainiert die Kuh ihre Ca-Regulati­onsmechanismen nicht ausreichend. Damit steigt das Milchfieberrisiko.

In der Vorbereitungszeit sollte daher eher eine saure Stoffwechsellage an­gestrebt werden. Berater und Wissen­schaftler empfehlen für diese Zeit Ra­tionen mit DCAB-Werten von 50 meq pro kg TM und weniger. Verlässliche DCAB-Werte der Futtermittel sind nö­tig, um die Ration entsprechend zu be­rechnen und das Milchfieberrisiko ein­zudämmen.

Unsere Versuche zeigen jedoch: An­nahme und Wirklichkeit über die

Übersicht 1: Berechnete und analysierte DCAB

400 Berechnete DCAB, meq/kg TM

350

300 R2 = 0,004

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0 50 100 150 200 250 300 350 400

Analysierte DCAB, meq/kg TM

Die Kationen-Anionen-Bilanz in den Ra­tionen war meist höher als angenommen.

DCAB (meq/kg TM)= (43,5 x Na+ 25,6 x K) - (28,2 x Cl + 62,3 x S)

Wie sich die Ration tätsächlich auf den Säure-Basen-Haushalt auswirkt, hängt von der resorbierten Ionen­menge ab. Diese lässt sich anhand der Netto-Säure-Basen-Ausscheidung (NSBA) über den Harn beurteilen. Hohe NSBA-Werte bedeuten einen alkalischen Zustand, niedrige wiede­rum einen azidotischen Zustand.

DCAB-Werte in der Ration gehen teils weit auseinander.

Annahme und Wirklichkeit: Vorab gingen wir der Frage nach, wie hoch DCAB-Werte in Trockensteherrationen allgemein eingestellt sind. Dafür be­trachteten wir die Trockensteher-Ratio­nen von zehn Betrieben in Schleswig­Holstein mit durchschnittlich 188 Kü­hen. Weiterhin untersuchten wir, ob eine Beziehung zwischen berechneten DCAB-Werten im Futter und dem er­mittelten Säure-Basen-Haushalt der Kühe in der Transitphase (gemessen in NSBA; Kasten oben) besteht.

Dafür bestimmten wir die DCAB der Rationen auf Basis der analysierten Mi­neralstoffgehalte (K, Na, Cl, S), also der realen Werte. Die berechneten Werte bezogen sich auf Tabellenwerte der Mi­neralstoffgehalte in den Futtermitteln, lediglich K und Na in den Silagen wur­den analysiert. Erschreckend: Die reale DCAB der Ration unterschied sich stark von der Berechneten (Übers. 1). Sie war

Schnell gelesen • Um Milchfieber vorzubeugen,

sollte die Kationen-Anionen­Bilanz für Trockensteher unter 50 meq/kg TM liegen.

• Die berechnete Kationen­Anionen-Bilanz unterscheidet sich zum Teil stark von der tatsächlich analysierten.

• Besonders Grassilagen variieren erheblich. Deshalb sind Tabellenwerte nicht verlässlich.

• Nur eine vollständige Futtermittelanalyse kann helfen, Milchfieber vorzubeugen.

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mehrere virale und bakterielle

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z.B. und

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Fütterung

Kalium, g 2,7 24,4 39,6

Natrium, g 0 1,4 7

Chlor, g 0,9 7 19,8

Schwefel, g 1,2 2,5 4,9

DCAB, meq -339 337 680

6,4 5,1 9,9 15,5 1,8

1, 1 0 0,01 0,6 0,1

3,5 0,2 1,7 5,3 0,8

0,6 0,7 4,4 0,3

140 -37 146 268 45

Quelle: LKSmbH Lichtenwalde, 2015/16

Das passiert bei Milchfieber

Die Mineralstoffgehalte und DCAB-Werte in Gras- und Maissilagen schwanken.

Mit der Kalbung steigt der Cal­cium (Ca)-Bedarf der Kuh durch die einsetzende Milchproduktion erheblich. Gleichzeitig ist die Fut­teraufnahme in dieser Phase ver­ringert, sodass der Bedarf nicht ganz über die Fütterung gedeckt wird. Milchfieber entsteht, wenn die natürliche Regulierung des Cal­cium- und Phosphatstoffwechsels nach der Kalbung gestört ist.

Deshalb sollten Landwirte das Futter analysieren und keine Tabellenwerte nutzen.

meist deutlich höher als angenommen. Und das steigert die Milchfiebergefahr für Transitkühe. Bei der Bestimmung der NSBA von 50 Kühen der zehn Be­triebe bestätigte sich die Annahme. Es bestand kein Zusammenhang zwischen der NSBA der Tiere und der auf Basis unzureichender Analysen kombiniert mit Tabellenwerten unterstellten DCAB in ihrem Futter.

Grassilage ist das Problem: Die Ur­sache für die Unterschiede zwischen den realen und den analysierten DCAB­Werten einer Ration liegt besonders in den großen Differenzen zwischen den einzelnen Grassilagen. Oft haben ins-

Unsere Autoren

Martin Schulze, Prof. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge, FH Kiel

besondere Grassilagen sehr unter­schiedliche K-Gehalte. Das liegt vor al­lem an der unterschiedlich starken Gülle-Düngung. Auch in Maissilagen unterscheiden sich die Mineralstoffge­halte (Übersicht 2). Genauso wie die K-Gehalte, variieren auch Cl und S ab­hängig von Düngung, Boden und Nie­derschlägen stark. Diese Mineralstoffe nehmen ebenfalls Einfluss auf den Säu­re-Basen-Haushalt der Kuh.

Was heißt das für die Praxis? Eine er­folgreiche Milchfieberprophylaxe ist untrennbar mit der Rationsgestaltung für die Trockensteher verbunden.

Insbesondere in der Vorbereiterration müssen die Ca-Gehalte korrekt einge­stellt sein. Das geht nur, wenn die realen DCAB-Werte der Einzelfuttermittel be­kannt sind. Tabellenwerte der Mineral­stoffgehalte von Grundfutter sind wenig verlässlich, da Silagen innerhalb eines

Jetzt

Diese läuft normalerweise so ab: Durch den sinkenden Calcium­spiegel im Blut kommt es zur Frei­setzung von Parathormon. Das be­dingt die Reduzierung der Ca-Aus­scheidung über den Harn und die Steigerung der Absorption von Ca aus dem Futter. Auch die Ca-Mobi­lisation aus den Knochen steigt. Die Kühe müssen mehrere Tage vor der Kalbung über die Anfütte­rung trainiert werden, damit diese Regelprozesse funktionieren.

Jahres stark variieren. Es ist zwingend notwendig, alle eingesetzten Futtermit­tel in Bezug auf ihre Wirkung auf den Säure-Basen-Haushalt zu untersuchen. Ist das nicht möglich muss zumindest die ganze Mischration analysiert wer­den. Nur dann ist die gezielte Anpas­sung des Ca-Gehalts möglich. -klh-

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